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37 matches, 36 losses

Clovis' letzte Partie gegen Lelouch
von

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37 matches, 36 losses

Die beiden Jungen saßen einander gegenüber – aufrecht, die Schultern gestrafft, und einen Ausdruck im Gesicht, der ein hohes Maß an Konzentration verriet. Es war offensichtlich, dass sie der Oberschicht entstammten - selbst ohne die kostbaren Stoffe, die sie trugen - und jeder, der ein Auge dafür hatte, hätte auf den ersten Blick sagen können, dass sie gleichermaßen die entsprechenden Umgangsformen besaßen.

Abgesehen davon jedoch hätten sie unterschiedlicher kaum sein können: Der eine war kaum mehr als ein Kind, konventionell gekleidet und dunkelhaarig, mit ernster Miene und einem berechnenden Ausdruck in den violetten Iriden, der ihn wesentlich älter als seine zehn Jahre wirken ließ. Der andere hatte schon beinahe das Mannesalter erreicht; sein Haar war lang und blond, und er war gehüllt in prunkvolle Gewänder, die gemeinsam mit der jovialen Arroganz, die sich in seinen meerblauen Augen widerspiegelte, und trotz des vorgetäuschten Desinteresses auf seinen Zügen seine jungenhafte Erscheinung unterstrichen.

Charakterlich hatten die beiden ebenfalls nicht viel gemeinsam, und ihre Begabungen glichen sich nur so lange, wie man auf sportliche Gebiete schaute. Keiner von ihnen war ein Athlet – der eine ein geborener Stratege, der andere mehr interessiert an den Freuden der der Kunst.

Hier und da mochten sich ihre Interessen überschneiden, aber grundsätzlich lagen zwischen ihren jeweiligen Begabungen ganze Welten, und diese unterschiedlichen Fähigkeiten zeigte sich auch in der einen Vorliebe, die sie zufälligerweise teilten: Es war kein Geheimnis, dass Clovis la Britannia seinem sieben Jahre jüngeren Bruder in Sachen Schach nicht das Wasser reichen konnte. Von insgesamt sechsunddreißig Partien hatte der blonde Prinz jede einzelne verloren, und auch wenn die genaue Zahl nur den wenigsten Leuten bekannt war, glaubte schon längst niemand bei Hofe mehr, dass es in Zukunft vielversprechender für ihn aussah.
 

Auch Clovis selbst wusste, dass Lelouch immer besser sein würde als er – aber entgegen dem, was die Menschen um ihn herum vermutlich glaubten, hatte er längst beschlossen, dass das in Ordnung war.

Ärgerlich, ja, und über alle Maßen frustrierend. Und wenn sein kleiner Bruder ihm über das Schachbrett hinweg mit einem Blick ansah wie in eben diesem Moment, verspürte er jedes Mal aufs Neue große Lust, etwas nach ihm zu werfen – man sollte doch meinen, jemand, der gerade erst aus den Windeln herausgekommen war, besäße zumindest den Anstand, seine himmelschreiende Selbstgefälligkeit für sich zu behalten.

Aber Lelouch war nun einmal Lelouch. Abgesehen davon, dass Clovis es noch nie geschafft hatte, ihm länger als für ein paar Minuten ernsthaft böse zu sein, war es wirklich keine Schande, eine Partie gegen Marianne vi Britannias Erstgeborenen zu verlieren. Alter hin oder her, außer einem einzigen Mann war es noch niemandem gelungen, den ungewöhnlich intelligenten Jungen in seinem bevorzugten Zeitvertreib zu schlagen, und Schneizel el Britannia war ohne jeden Zweifel eine Liga für sich. Dass es sonst niemanden gab, der mit Lelouch mithalten konnte, machte es beinahe erträglich, immer wieder aufs Neue gegen ihn zu verlieren.

Folglich hatte Clovis bisher noch nicht der Versuchung nachgegeben, der kleinen Nervensäge den Hals umzudrehen. Und er würde ganz gewiss nicht ausgerechnet jetzt damit anfangen, wo er doch bis gerade eben noch außergewöhnlich guter Laune gewesen und noch lange nicht so weit war, sich geschlagen zu geben - ganz im Gegenteil.

Clovis entdeckte etwas auf dem großen Schachbrett aus poliertem Holz, das die Falle, die er in den letzten paar Zügen vorbereitet hatte, mit beinahe vollkommener Sicherheit würde zuschlagen lassen, wenn er es richtig anstellte, und ein Lächeln glitt auf.

Er griff nach seiner Dame – der weißen Dame, denn es war stets Lelouch, der Schwarz für sich beanspruchte und sich damit in einem weiteren Punkt von der breiten Masse unterschied, die vor allem bei Hofe ganz versessen darauf war, Weiß und damit auch den ersten Zug zu haben - und bewegte sie vier Felder nach vorne.

Anschließend sah er gerade noch rechtzeitig auf, um beobachten zu können, wie sich Lelouchs Züge verwandelten. An die Stelle provokanter Siegesgewissheit trat Nachdenklichkeit, und Clovis versuchte das immense Gefühl von Befriedigung zu ignorieren, das es ihm verschaffte, seinen Bruder zur Abwechslung einmal vor eine Herausforderung zu stellen, die er nicht innerhalb weniger Sekunden überwinden konnte.

Nach einer Weile streckte Lelouch die Hand aus und ließ sie über seinen Figuren in der Luft schweben, während er auf das Brett starrte und ganz offensichtlich über seinen nächsten Zug nachdachte. Dann senkte er sie plötzlich über dem schwarzen König.

Clovis war gespannt, was sein Bruder vorhatte. Wenn er nicht vollkommen falschlag, dann gab es nicht viel, was Lelouch tun konnte, um diese Partie noch für sich zu entscheiden – zumindest nicht innerhalb der nächsten zehn oder zwanzig Züge, und schon gar nicht mit seinem König.

Aber in Anbetracht dessen, um wen es sich bei seinem Gegner handelte, war er sich nicht sicher, ob er mit seiner Einschätzung auch tatsächlich richtig lag, und bevor er es herausfinden konnte, klopfte es an der Tür.

Lelouchs Finger erstarrten wenige Millimeter vor dem schwarzen polierten Marmor, und Clovis hob verärgert den Kopf. „Was?“

Die Tür öffnete sich und ein Diener trat ein. Clovis’ Unmut schien ihn nicht weiter zu beirren, und er verbeugte sich tief. „Hoheiten“, sagte er. Dann wandte er sich ohne Umschweife dem blonden Prinzen zu. „Der Kaiser wünscht, Euch zu sprechen.“

„Vater?“, fragte Clovis perplex. „Hat er auch gesagt, warum?“

„Ich fürchte nein, Euer Hoheit. Aber man sagte mir, es sei dringend.“

Clovis hob die Brauen. „Ist das so? Hmpf…na schön.“ Er machte eine nachlässige Handbewegung.

„Euer Hoheit?“

Clovis schnaubte. „Ich brauche niemanden, der mir die Hand hält“, sagte er trocken. „Du kannst dem Kaiser ausrichten, dass ich auf dem Weg bin.“

Der Diener zögerte einen Moment, aber schließlich verneigte er sich ein weiteres Mal und verließ ohne ein weiteres Wort den Raum.

Gleich darauf erhob sich auch Clovis. „Ich werde mich wohl für heute entschuldigen müssen“, sagte er und schritt zur Tür - es war niemals eine gute Idee, Charles di Britannia warten zu lassen. Dennoch drehte er sich noch einmal um. „Aber beim nächsten Mal beenden wir diese Partie“, versprach er Lelouch in seinem selbstzufriedensten Tonfall. „Und dieses Mal werde ich gewinnen.“

Lelouch erwiderte nichts, aber das Lächeln, das sich auf seine Lippen legte, war Antwort genug. Und wieder einmal wünschte Clovis sich, er hätte etwas zur Hand, das er nach dem nervtötendsten seiner Geschwister werfen könnte.

Stattdessen jedoch bedachte er seinen kleinen Bruder noch einmal mit einem langen, herablassenden Blick, bevor er ihm schließlich den Rücken zukehrte und mit einem hochmütigen Schnauben den Raum verließ.

Anstatt sich darüber Gedanken zu machen, was sein Vater von ihm wollen könnte, ärgerte er sich für die gesamte nächste halbe Stunde darüber, so jäh unterbrochen worden zu sein. Doch dann überwog irgendwann ein anderes Gefühl, und ein aufrichtiges Lächeln legte sich auf die Lippen des blonden Prinzen.

Nächstes Mal, dachte er, würden sie dort weitermachen, wo so aufgehört hatten. Und vielleicht würde er nach siebenunddreißig Partien dann endlich einmal einen Sieg errungen haben.
 

~
 

Hätte er gewusst, dass es die letzte Partie sein würde, die er jemals gegen seinen jüngeren Bruder spielen würde, dann hätte Clovis sie niemals freiwillig unterbrochen. Der Kaiser hätte seinetwegen zur Hölle fahren können – sein Vater wusste, dass er keinerlei Interesse daran hatte, Befehlshaber oder Gouverneur von überhaupt irgendetwas zu werden, schon gar nicht von einem erst kürzlich eroberten Gebiet; und wenn Charles di Britannia sich nicht einmal die Mühe machen wollte, seinem Sohn den Posten gegen seinen Willen aufzuzwingen, sondern ihn auf sein Ablehnen hin ganz einfach keines Blickes mehr würdigte, dann hätte er es sich auch sparen können, ihn überhaupt zu sich zu beordern.

Und wenn Clovis geahnt hätte, dass Marianne vi Britannia nur einen Tag später ermordet und Lelouch mit seiner von nun an blinden und lahmen Schwestern in ein Land geschickt würde, in dem er vermeintlich sterben würde, nur um sieben Jahre später wieder aufzutauchen und ihm eine Kugel in den Kopf zu jagen, dann wäre er niemals von seiner Seite gewichen.
 

Aber so konnte er sich nur fragen, ob es so etwas wie Schicksal gab, und warum er es niemals geschafft hatte Lelouch zu sagen, dass er sein Bruder war und dass er ihn liebte, trotz all ihrer Meinungsverschiedenheiten.

Und selbst das ging unter in dem Unglauben und der Furcht und tausend anderen namenlosen Emotionen, die Clovis verspürte, als ihm voller Entsetzen klar wurde, dass Lelouch den Abzug drücken würde.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Orientalo
2009-10-15T17:11:35+00:00 15.10.2009 19:11
Wirklich Super :) Auch sehr gut geschrieben.
Irgendwie lese ich viele deiner fanfics. Toll wenn die anderen weitergehen würden :) sind einfach toll *_*
lg kiss
Von: abgemeldet
2009-08-16T10:24:58+00:00 16.08.2009 12:24
Einfach sehr gut geschrieben. Zeigt auch mal etwas Positives an Clovis, abgesehen davon das er wie auch sonst immer seinen wahren Gefühlen keinen Nachdruck verleiht - weil er sich dummerweise was durch den Kopf gehen lassen muss, und das ist zuweilen ungesund - und insofern ist dieser Oneshot herrlich ironisch.

Habe ihn mit Freude gelesen ^.^

MfG
Das Gray
Von: abgemeldet
2009-07-19T21:46:50+00:00 19.07.2009 23:46
Das ist toll *_______* Und so traurig ;_;
Mir gefällt dein Schreibstil wirklich gut ^^
Habe nichts zu meckern xD
LG
fayn


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