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Wir

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Wir

Die Jahre vergingen. Manchmal wie zähes Gummi, manchmal wie im Flug. Dein Sohn wuchs heran und er wurde Dir mit den Jahren immer ähnlicher. An schlechten Abenden war es wie ein Stich in mein Herz, wenn ich ihn ansah. Deine Augen blickten mich an. Eine an den Nerven zerrende Sehnsucht ergriff mich immer wieder. An guten Abenden lachten und spielten wir beide in deiner großen Villa Verstecken. Einiges hatte ich nun verändert, da es mich zu sehr an Dich erinnerte. Doch Dein Andenken bewahrte ich immer noch sorgsam auf. Überall hingen Bilder von Dir und Dein Sohn fragte oft danach, wie Du gewesen bist. Immer muss ich die Tränen zurückhalten, wenn ich ihm von Dir erzähle.

Seit der Geburt Deines Sohnes habe ich angefangen, Tagebuch zu schreiben. Jeder kostbare Moment mit Deinem Sohn wird darin festgehalten.

Ich denke oft, dass Du mitliest, wenn ich abends am Schreibtisch sitze und mit feiner, sauberer Schrift die Seiten fülle. Von meinen Schultern wird dann eine Last genommen. Wenn ich in das große Regal im Schlafzimmer sehe, dann wird es immer voller. Das macht mich glücklich.

Der erste Tag im Kindergarten, Geburtstage, die Einschulung, der erste Liebeskummer, Klassenfahrten, Ausflüge, Erlebnisse, der erste Tag auf dem Gymnasium, die erste Freundin, Abitur, Abschlussball. Überall in den Büchern sind Bilder zu finden, die den Weg Deines Sohnes begleiten, doch auch ich habe Fortschritte gemacht. Neuer Beruf, neue Kollegen, mein eigenes, unabhängiges Leben, Beförderung.

Vor kurzem habe ich jemanden kennen gelernt, der mir sehr ans Herz wächst. Doch ich kann noch immer nicht ohne Zweifel gehen.

Er ist ein Gentleman, das erste Abendessen gemeinsam fand auf der Terrasse seines Strandhauses statt. Es war sehr schön, ich konnte mich aber nicht entspannen. In meinem Kopf warst du. Ich hatte ein schlechtes Gewissen und bin früher gegangen, als ich geplant hatte.

Am nächsten Morgen fand ich in der Post einen Brief. Er war von dir. Mein Herz setzte Momente lang aus. Ich lehnte mich gegen die Wand und rutschte an ihr hinab, so schwach wurden meine Knie. Mit zitternden Fingern hielt ich den Brief, wie eine Kostbarkeit, die nicht zerstört werden durfte. Aber ich fand in dem Augenblick auch nicht den Moment, ihn zu öffnen.

Lange saß ich so dort. Zitternd. Tränen liefen mir über das Gesicht. Mein Herz drohte abermals zu zerspringen. Wieso kam dieser Brief erst jetzt? Jahre nach deinem Tod?

Doch meine Sehnsucht siegte über meine Angst und ich riss den Brief mit unruhigen Fingern auf. Heraus fiel ein kleinerer Umschlag und ein beschriebener Bogen Papier. Als erstes las ich mir den Brief mehrmals durch, sog jedes einzelne Wort in mich auf.
 

„Meine Liebe,

es schmerzt mich, Dir diesen Brief schreiben zu müssen. Etwas sagt mir, dass ich nicht mehr lange leben werde. Hab keine Angst, ich werde immer über Dich wachen, egal, was passiert.

Nun, meine Pläne sind klar, sie nie umzusetzen bricht mir jedoch das Herz. In dem kleinen Umschlag wird Dich eine Überraschung erwarten. Es tut mir unendlich leid, dass ich sie Dir niemals persönlich überreichen kann.

Denke immer an die wunderschönen Tage und Nächte, die wir gemeinsam verbracht haben. Bitte vergiss mich nicht. Doch höre nicht auf zu leben. Beginne einen neuen Anfang, aus eigener Kraft. Ich werde Dich beobachten und auf Dich aufpassen. Schau nach vorn, das Leben bietet unendlich viele Möglichkeiten. Verwirkliche Deine Träume, bevor es zu spät ist.

Ich liebe Dich über alles, mein Herz.“
 

Ich konnte mich nicht zusammen reißen und brach in Tränen aus. Die Sehnsucht nach dir wurde wieder unermesslich stark. Durch einen Tränenschleier öffnete ich den kleinen Umschlag und heraus fiel ein Ring. Zierlich und golden, mit einem winzigen Diamanten, der direkt in den Ring eingelassen worden war. Ich zog eine kleine Karte heraus.

„Du bist meine Traumfrau. Dies sollte unser Verlobungsring werden.“

Nun war es um mich geschehen. Ein kompletter Zusammenbruch erfolgte. So fand mich Dein Sohn. Er nahm mich schweigend in den Arm. Tröstete mich, bis ich mich wieder gefasst hatte.
 

Gerade sitze ich in dem kleinen Café an der Ecke, in dem wir das erste Mal gemeinsam Kuchen gegessen hatten. Mir gegenüber sitzt meine neue Bekanntschaft. Nach Deinem Brief habe ich mir ans Herz gefasst und wage nun einen Neuanfang. Deinen Ring trage ich an einer Kette um den Hals, ich werde Dich niemals vergessen. Doch ich werde auf Dich hören. Und mein eigenes Leben neu beginnen.

Er weiß über Dich Bescheid und akzeptiert Dich. Es ist ein merkwürdiges Gefühl. Ich weiß noch nicht genau, wie ich es aufnehmen soll.
 

Und wieder ist ein Jahr vergangen. Vor kurzer Zeit haben wir geheiratet. Ich bin abermals schwanger, Dein Sohn freut sich, großer Bruder zu werden. Glück bestimmt mein Leben. Dein Ring hängt immer noch an der Kette um meinen Hals.

So werde ich niemals vergessen, dass Wir eine Familie sind.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2012-07-17T10:04:04+00:00 17.07.2012 12:04
Hab es mir als ich sah das ein neues Kapitel da ist, noch einmal ganz durchgelesen :)
Finde es ist ein passendes Ende, dass warten hat sich gelohnt.


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