Zum Inhalt der Seite

Silence

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Hallo ihr Lieben ^^ Jaha, ihr lest richtig! Schon wieder ein kleiner One-Shot von mir... und dafür musste diesmal nicht ein Jahr vergehen! XD Das bedeutet wohl, dass ich mich endgültig an der Schreibfront zurückmelde... oder so *lach*

Vielleicht liegts auch nur an den Prüfungen. Während dieser Zeit macht man ja bekanntlich alles lieber als schreiben.

So, nun aber genug geschwafelt! Ich hoffe euch gefällt diese kleine Episode aus dem stillen Leben des jungen B. Über Kommis würde ich mich sehr freuen, denn momentan versuche ich alles, um meine Fähigkeiten wieder herzustellen... so sie denn vorhanden waren/sind XD

Ich empfehle den Lesern, die die Story als txt lesen (bin auch so eine, weil zu faul zum umblättern XD), sie diesmal im html-format zu lesen, da ziemlich viel kursiv ist und man sonst ein wenig verwirrt sein könnte ^^
 

Have fun!^^
 

Silence
 

Kinder rannten über die Wiese, spielten mit einem bunten Ball. Ein kleiner, schwarzer Hund flitzte mit wild flatternden Öhrchen einem geworfenen Spielzeug hinterher. Auf einer Bank hatte sich ein älteres Pärchen in vertrautem Schweigen niedergelassen, ihre Hände ruhten miteinander verschränkt zwischen ihnen.

Zwei junge Frauen hatten es sich unter einem Baum bequem gemacht und versuchten sich durch einen Wust von Papier zu kämpfen, den sie um sich herum ausgebreitet hatte. Eine Gruppe Halbstarker lungerte um ein riesig anmutendes, tragbares Radio herum und schien über irgendetwas zu diskutieren.
 

Die Blätter der zahlreichen Büsche und Bäume wiegten sich im lauen Wind und schufen dunkle Muster auf das helle Grases und die ockerfarbenen Kieswege, die sich beinahe willkürlich durch den Teppich aus sattem Grün zu ziehen schienen. Die goldenen Lichtreflexe der Sonne zauberten einen Hauch von Freundlichkeit und Wärme dazwischen.
 

Bens Mundwinkel zuckten nach oben, als seine Augen die kleinen Ausschnitte der lebendige Szenerie erfassten, sich kaum daran sattsehen konnten. Gierig saugte er die Eindrück in sich auf, die Farben, die Menschen um sich herum, die hierher gekommen waren, um das Wetter zu genießen.

Gerade noch erhaschte er einen Blick auf Reiter, die eben hinter einem Hügel verschwanden.

Der schwache Geruch nach Würstchen und Bier wehte aus einem der Biergärten zu ihm herrüber und vermischte sich mit dem kräftig würzigen der Pflanzen und der leichten Wärme des Tages.
 

Solche Auszeiten gönnte er sich selten, doch die lachende Sonne und die nach Gras und Sommer duftende Luft hatten ihn aus dem nüchtern weiß getünchten Universitätsgebäude in den angrenzenden Park hinausgelockt. Und nun hatte er sich im Schatten einer Baumgruppe niedergelassen und beobachtete die Leute in seiner Umgebung. Man mochte es eine merkwürdige Angewohnheit nennen, doch das Verhalten Anderer faszinierte ihn ungemein.
 

Zu sehen, wie sie sich stritten, sich nahe waren, lachten, traurig waren, einsam oder zufrieden... es war beinahe schon so etwas wie ein Hobby geworden, als stiller Zuschauer unentdeckt an diesen kleinen Fetzen fremder Leben teilzuhaben, ohne dass die Protagonisten der winzigen, stillen Dramen etwas davon ahnten.
 

Und eine willkommene Abwechslung zu seinem Job, der ihn oft tagelang in kleinen Räumen an diversen Computern beschäftigte, wenn er programmierte und sich an einem Problem derart festgebissen hatte, dass er alles um sich herum vergaß. Er neigte dazu, solche Phasen auch gerne mal zu übertreiben. Was ihn aber nicht daran hindern konnte, sich immer wieder genau dorthin zu manövrieren.
 

Zum Glück hatte er heute auf Anzughose und Hemd verzichtet und sich stattdessen für bequeme Jeans und Poloshirt entschieden. Etwas ungewöhnlich für ihn, aber es waren schließlich Semesterferien und die sein Vorgesetzter ohnehin nicht im Haus... also was sollte es schon. Die gute Seele von einer Sekretärin würde ihn schon nicht verpetzen, weil er sich einmal nicht dem unausgesprochenen Dresscode gebeugt hatte.
 

Er ließ sich auf den Rücken fallen und starrte in den strahlend blauen Himmel hinauf, bis ihm bunte Punkte vor den Augen tanzten und er sich abwenden musste. Seine Fingerspitzen streichelten sacht über die angenehm kitzelnden Grasspitzen, spürten dem biegsamen, weichen Gefühl nach.
 

Eigentlich sollte er gerade hinter seinem Schreibtisch sitzen, aber der Tag erschien ihm eindeutig zu schön, um ihn in seinem kleinen, stickigen Büro zu vergeuden. Arbeiten konnte er ebenso gut noch heute nacht. Und einen eigenen Schlüssel fürs Institut hatte er auch, so oft, wie er sich dort zu später oder eher schon früher Stunde herumtrieb.
 

Zufrieden seufzend drehte er sich auf den Bauch und stützte den Kopf in die Hände und schob seine Brille höher auf die Nasenwurzel. Nun noch ein wenig Musik und der Tag wäre perfekt. Sein Lächeln wurde traurig. Damit hatte er eigentlich lange abgeschlossen... aber manchmal, da... er schob diese Gedanken rasch von sich und lenkte sie lieber wieder in Richtung Arbeit.
 

Ein wenig bedauerte er ja, dass er so gut wie nie mit den Studenten in Kontakt kam, denen er nur auf dem Gang begegnete, nie aber in einem der Seminarräume. Aber wie sollte er sie auch unterrichten, wenn er doch...
 

So oft wünschte er sich, er könnte sie einfach ansprechen, ganz zwanglos, so wie seine Kollegen das taten. Dass er ihnen helfen konnte, wenn sie bei einem Problem feststeckten. Einige wenige betreute auch er inzwischen, aber es war... schwierig. Vor allem, weil er es einfach nicht mehr gewöhnt war, mit fremden Menschen umzugehen, so sehr er es auch wollte.
 

Seine treibenden Gedanken fanden ein abruptes Ende, als ihn etwas Hartes unvermittelt am Hinterkopf traf. Erschrocken fuhr er auf und herum. Doch erst auf den zweiten Blick entdeckte er die grellpinke Frisbee-Scheibe, die ganz unschuldig neben ihm im Gras lag. Verwirrt blickte er sich nach ihrem Besitzer um und sah einen jungen Mann mit zerknirschtem Gesichtsausdruck auf sich zukommen.
 

Holla, wo kam der denn her? Und vor allem: was machte so einer bei hellichtem Sonnenschein im Park? Der gehörte seinem Äußeren nach eher auf einen Friedhof oder ein einen dunklen Keller oder so. Die dominierende Farbe der Kleidung war... schwarz. Komplett. Überall. Mit ein bisschen Silber in Form von Metall, dass in unregelmäßigen Fleckchen seinen Körper zierte.
 

Der Kerl wirkte hier so fehl am Platz wie ein Clown auf einer Beerdigung. Er stand in so krassem Gegensatz zu seiner bunten Umgebung, dass Ben sich ernsthaft fragte, ob das wirklich der Frisbee-Werfer sein konnte. Spielte so jemand überhaupt mit einer - pinken! – Plastikscheibe?
 

Bens Blick wanderte die langen Beine hinauf über die schmalen Hüften und die Brust, den Hals bis ins Gesicht, das von strubbeligen, schwarzen – was auch sonst? – Haarsträhnen eingerahmt wurde. Er schätzte den Mann auf etwa Mitte zwanzig, auf jeden Fall jünger als er selbst.
 

Seine Musterung stockte jedoch jäh, als er in die Augen des Fremden sah. Nach der vorherrschenden Kleidungsfarbe hätte er einen kühlen oder melancholischen oder düsteren Ausdruck erwartet. Doch das Gegenteil war der Fall. Warmes Braun strahlte ihn geradezu an. Hellere Sprenkel verliehen ihnen etwas Besonderes, Einmaliges, das er noch nie gesehen hatte, egal wie viele Menschen er schon beobachtet hatte.
 

Fasziniert schaffte Ben es nicht, den Blickkontakt abzubrechen. Die Augen hießen nicht umsonst der Spiegel zu Seele, das hatte er schon so oft festgestellt. Und diese hier waren so unglaublich lebendig, es blitzte so viel jungenhafter Schalk in ihnen, den er kein bisschen mit dem restlichen Schwarz in Verbindung zu bringen vermochte. Nur mit Mühe riss er sich schließlich los und blinzelte verwirrt.
 

So etwas war ihm noch nie passiert. Er beobachtete unauffällig und starrte nicht so entrückt jemanden an, egal, wie er aussah. Und er hatte normalerweise dabei auch kein komisches Ziehen in der Magengegend.
 

Schnell kramte Ben in seiner Tasche schonmal nach dem Zettel, den er für solche Gelegenheiten immer dabei hatte und lenkte sich dabei auch gleich effektiv ein wenig ab.

Er nahm die Frisbeescheibe und hielt sie dem Mann entgegen, der inzwischen vor ihm stand.
 

Ben konnte sehen, dass der Mann etwas sagte und konzentrierte sich auf die Lippen seines Gegenübers.
 

Tut mir wirklich leid, das war keine Absicht... die ging wohl ein bisschen daneben... alles okay bei dir?
 

Der Fremde kratzte sich verlegen hinterm Ohr. Die Geste wirkte so unbedarft und mit dem peinlich-verlegenen Gesichtsausdruck schon fast goldig zu nennen dass Ben erst in diesem Moment auffiel, was er davor eigentlich gedacht hatte. Was war denn um Himmels Willen in ihn gefahren? Er sollte doch von allen am Besten wissen, was Vorurteile brachten: nichts bis gar nichts!
 

Ben war beinahe erschrocken über sich selbst. Nur weil der junge Mann einen sehr... einfarbig dunklen Geschmack für Kleidung zu haben schien, musste er ja noch kein Depressiver oder Friedhofsliebhaber sein! Und warum sollte er nicht den schönen Tag im Park genießen wie die vielen anderen Leute hier auch? Schämen sollte er sich selbst, dass er einen wildfremden Menschen einfach so in eine Schublade gesteckt hatte, nur weil dessen Äußeres nicht der Norm entsprach. Pfui, Ben!
 

Der junge Mann schien verwirrt zu sein, dass er keine Antwort erhielt und setzt gerade dazu an, noch etwas zu sagen, als Ben endlich seinen Notizblock gefunden hatte und ein laminiertes Blatt herausfischte. Mit einem etwas schiefen Lächeln hielt er es seinem Gegenüber hin und wartete gelassen auf den erst erschrockenen, dann mitleidigen Blick, der in den meisten Fällen auf das Gelesene folgte.
 

Der Frisbee-Attentäter runzelte die Stirn verwundert, während seine Augen über die wenigen Zeilen huschten. Ben musterte das schmale Gesicht aufmerksam. Er wusste ja schließlich was da stand. Trotzdem verfolgte er die Wort im Geist mit:
 

„Hallo! Bitte wundern Sie sich nicht, dass Sie keine Antwort von mir bekommen, aber ich bin taub.“ Mehr stand da nicht, aber das war seiner Meinung nach auch gar nicht nötig. Es sollte lediglich aufklären und ihm umständliche Schreibarbeit auf diversen Zettelchen ersparen, mehr nicht. Er hasste nichts mehr als das Mitleid von Fremden.
 

Umso überraschter war er, als der Blick des Anderen erstaunt hochruckte, als dieser den Sinn der Sätze erfasst zu haben schien, er aber weder ablehnend noch bedauernd zu sein schien. Eher fast neugierig.
 

Echt? Krass... ich mein... äh... ach scheiße, du hörst mich ja nicht... äh...
 

Der Fremde sah sich suchend um, als könnte er ein wie auch immer geartetes Hilfsmittel zu Verständigung aus der Luft ziehen. Die Geste wirkte zusammen mit der ratlosen Mimik so niedlich, dass Ben nicht anders konnte, als zu lächeln.
 

Schnell hatte er seinen Block und einen Stift bei der Hand. „Ich verstehe dich schon, ich kann Lippenlesen...“, kritzelte er hastig und hielt dem Dunkelhaarigen das Papier unter die Nase.

Der wirkte deutlich erleichtert und strahlte Ben förmlich an, was diesen nur noch mehr verwirrte.
 

Cool! Ich meine... das ist... cool!
 

So viel zur Eloquenz der Jugend, dachte sich Ben insgeheim, doch es amüsierte ihn eher, dass dem jungen Mann ein wenig die Wort zu fehlen schienen. Und er machte sich wohl auch die Mühe, sehr deutlich zu sprechen, auch wenn das eigentlich nicht nötig gewesen wäre. Nette Geste.
 

„Lass mal...“, schrieb er deshalb nur weiter. „Und mein Kopf ist auch noch heil...“
 

Damit reichte er die Plastikscheibe an ihren Besitzer zurück und ging davon aus, dass ihr ‚Gespräch‘ damit beendet war.
 

Eh... ja, tut mir wirklich leid, ich bin manchmal echt... ungeschickt...
 

Eine leichte Röte überzog die hellen Wangen des Anderen und brachten Ben erneut zum Schmunzeln. Er konnte beobachten, wie der Andere verlegen von einem Bein aufs andere trat und nicht so recht zu wissen schien, was er noch sagen sollte.

Ben hob daher die Hand zum Gruß und wollte sich wieder abwenden, als er aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrnehmen konnte. Er spürte eine kurze Berührung an der Schulter und drehte sich erstaunt noch einmal um.
 

Ich bin Joachim... aber du kannst mich Jo nennen... macht jeder...
 

Ehh... und was wurde das jetzt? Ben blinzelte irritiert, war aber zumindest geistesgegenwärtig genug, seinen Namen zu Papier zu bringen, bevor es peinlich für ihn wurde. Und was kam jetzt? Irgendwie kam ihm das ja spanisch vor. Wollte der Kerl ihn verarschen? Wäre nicht das erste Mal, dass sich jemand einen Scherz auf seine Kosten erlaubte.... aber eigentlich wirkte er gar nicht so, wie er dastand und die Frisbee-Scheibe nervös zwischen seinen Fingern drehte, sie sicher auch geknautscht hätte, wäre es möglich gewesen und unsicher lächelte.
 

Magst... du mitspielen?
 

Ben sah den Anderen verwirrt an. Meinte der das ernst? Er – BEN – sollte mit... Frissbee spielen? Wie stellte der sich das denn vor? Der wollte ihn wirklich auf den Arm nehmen!
 

Ben musste wohl ziemlich komisch geschaut haben, denn Jo lachte herzlich. Sein ganzes Gesicht schien auf einmal regelrecht zu strahlen. Fasziniert starrte er den jungen Mann an, als ihm plötzlich wieder bewusst wurde, was er da gerade tat. Rasch wendete er den Blick ab, ohne daran zu denken, dass er jetzt ja nicht mehr mitbekam, wenn Jo etwas sagte.
 

Überrascht hob er den Blick wieder, als er erneut leicht an der Schulter berührt wurde. Eigentlich hatte er damit gerechnet, dass Jo sich jetzt wirklich einfach umdrehte und wieder ging, vielleicht seinen Freunden noch erzählte, was da für ein komischer Tauber auf der Wiese hockte und starrte. Aber da stand er und lächelte immer noch ein wenig.
 

Ist doch nichts dabei, das kriegen wir schon irgendwie hin...
 

Na das sagte sich so leicht! Misstrauisch musterte Ben Jos Gesicht, bis dieser aus irgendeinem Grund erneut amüsiert lachte.
 

Komm schon, ich beiß auch wirklich nicht... und meine Kumpel auch nicht...
 

Kumpel? Na gut, Frisbee spielte sich wohl auch schlecht alleine, also mussten da noch irgendwo Leute sein, die auf Jo warteten... oder so. Ben zögerte immer noch. Eigentlich wollte er ja schon gerne mitspielen, einfach so, ganz zwanglos wie jeder andere auch. Aber... er war unsicher. So einfach war das, auch wenn er es nicht gerne zugab. Vielleicht konnte er das Ganze ja umgehen, wenn er sich nur lange genug zierte und den Anderen damit vertrieb?
 

Jo jedoch wartete geduldig und reichte Ben schließlich eine Hand entgegen.

Komm!

Dabei lächelte er derart sanft und liebenswert, dass Ben gar nicht anders konnte, als die ausgestreckte Hand zu ergreifen und sich auf die Füße ziehen zu lassen. Seine Fingerspitzen prickelten warm und sein Magen flatterte aufgeregt, als wäre er jeden Moment davor, eine Achterbahn zu besteigen.
 

+++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++
 

Jos Freunde verabschiedeten sich einer nach dem anderen, bis dieser alleine mit Ben auf der Wiese stand. Die sinkende Sonne tauchte sein Gesicht in ein kräftiges Orangerot, als er wieder ein wenig verlegen die Plastikscheibe in seinen Händen drehte.
 

Auch Ben wusste nicht recht, was er jetzt tun oder sag... schreiben sollte. Es war so schwer, sich auszudrücken, wenn das Gegenüber keine Gebärdensprache beherrschte. Er konnte beobachten, wie sie Jos Mund ein paar Mal öffnete und wieder schloss, als wollte er etwas sagen. Doch es formten sich keine sichtbaren Worte.
 

Ben hob schon den Notizblock, um sich endgültig mit ein paar floskelhaften Worten zu verabschieden. Er wollte nicht... er wollte den Nachmittag weiter ausdehnen, mehr Zeit in der angenehm zwanglosen Nähe des Anderen verbringen. Doch es erschien ihm unhöflich, sich aufzudrängen, vor allem in Hinsicht auf sein Handicap. Es war sicher furchtbar anstrengend, sich mit ihm zu unterhalten... wenn man das denn so nennen wollte.
 

Doch es drängte Ben, mehr über den jungen Mann zu erfahren, zu ergründen, wie dessen Äußeres mit seinem heiteren Gemüt zusammenpasste, wie er lebte, was er mochte. Der Stift schwebte über dem Papier, er zögerte, die letzten Worte aufzuschreiben.
 

Die Stunden, die sie miteinander verbracht hatten, waren sicher die schönsten gewesen, die er in der letzten Zeit erlebt hatte. Die ganze Gruppe hatte ihn wie selbstverständlich aufgenommen, als Jo mit ihm im Schlepptau aufgetaucht war. Es hatte zwar ein paar fragende Seitenblicke gegeben, aber mehr auch nicht. Und sie hatten sich alle solche Mühe gegeben, ihn in ihre Gespräche mit einzubeziehen, auch wenn das in Anbetracht seiner Gehörlosigkeit oft mehr als schwer gewesen war.
 

Doch mit Händen und Füßen und Stift hatte es irgendwie geklappt. Und es hatte Spaß gemacht. Mehr, als Ben es sich je hätte vorstellen können. Er wollte nicht, dass es jetzt hier endete. Vor allem wollte er sich jetzt nicht einfach so von Jo trennen, der sich den ganzen Nachmittag immer in seiner Nähe aufgehalten hatte und auf eine unheimliche Art und Weise zu bemerken schien, wenn Ben sich unwohl oder unsicher fühlte. Von seiner anfänglichen Zurückhaltung war inzwischen kaum noch etwas geblieben.
 

Plötzlich griff eine kräftige Hand nach Bens Fingern, als er gerade zum Schreiben ansetzte. Er sah hoch und geradewegs in Jos braune Augen. Rasch huschte sein Blick zu den sich langsam bewegenden Lippen, als würde Jo jedes Wort abwägen, bevor er es aussprach.
 

Würdest... Gehst... Sehen wir uns wieder?
 

Bens Augen weiteten sich überrascht, was Jo ein kleines Lächeln entlockte und seine offensichtliche Nervosität ein wenig beruhigte. Er strich sich ein paar schwarze Haarsträhnen aus dem Gesicht, während er auf eine Antwort wartete.
 

Ben konnte die Gedanken kaum fassen, die ihn in diesem Moment durch den Kopf schossen. Zustimmung, Ablehnung, Hoffnung, Angst, alles vermischte sich zu einem undefinierbaren Gefühl, dass aber nichtsdestotrotz unglaublich aufregend war. Ein leichtes Kribbeln breitete sich in seiner Magengegend aus.
 

„Ja!“, entfuhr es ihm. Erschrocken schlug er sich die Hände vor den Mund. Er hatte es natürlich nicht gehört, wohl aber gespürt, dass er das kleine Wort laut ausgesprochen haben musste. Etwas, dass er sonst niemals tat.
 

Jos blinzelte einen Augenblick vollkommen perplex.

Du kannst ja doch sprechen!
 

Ben schüttelte hastig den Kopf. Er wusste, dass seine Stimme bestimmt ganz furchtbar klang, eben weil er sie selbst nicht hören und damit richtig steuern konnte. Erneut fühlte er warme Hände über seinen eigenen, die sie langsam von seinem Gesicht zogen, energisch festhielten, als er sich zurückziehen wollte.
 

Du hast eine schöne Stimme...
 

Jo lächelte ihn so warm an, dass er unmöglich glauben konnte, dass der Andere ihn belog. Er wollte es nicht glauben. Verlegen sah er zur Seite, jedoch nicht für lange. Er wollte nichts verpassen, was Jo eventuell noch sagen würde.
 

Ben schluckte ein wenig nervös, als er den intensiven Blick wieder wahrnehmen konnte, der ihm schon den ganzen Nachmittag über gefolgt war. Er hatte sich die ganze Zeit gefragt, was das zu bedeuten hatte, ob Jo es vielleicht doch ein bisschen bereute, ihn in ihre Runde eingeladen zu haben und dann babysitten zu müssen. Auch jetzt konnte er sich das Interesse des Mannes nicht erklären und war nahe daran, sich wieder verkriechen zu wollen. Mit solchen Situationen konnte er nur sehr schwer umgehen.
 

Noch immer hielt Jo seine Hände fest in den eigenen. Und Ben ließ es zu. Sein Blick huschte flüchtig über ihre Finger, richtete sich dann wieder auf das Gesicht des Anderen. Fragend, nach einem Grund, nach Bestätigung suchend.
 

Möchtest...

Jo leckte sich leicht über die Lippen und schien sich zu räuspern.

Würdest du... Gehst du mit mir aus?

Jos Augen weiteten sich, als könnte er selbst gar nicht glauben, was er da eben ausgesprochen hatte.
 

Bens Gesichtszüge entgleisten. DAMIT hatte er nun am allerwenigsten von allen denkbaren Fragen gerechnet. Er schluckte trocken. Was sollte er denn jetzt sagen? Es ablehnen und sich wieder in sein Schneckenhaus verziehen, wo es warm und sicher war und er ungehindert das Leben beobachten konnte, ohne wirklich daran teilzuhaben? Oder es annehmen und sich dem Risiko aussetzen, enttäuscht zu werden?
 

Ben nahm seinen Mut zusammen, sah forschend in Jos braune Augen. Fand eine Antwort. Traf seine Entscheidung. Seine Mundwinkel zuckten leicht nach oben. Seine Hände drehte sich ein wenig in Jos und umfassten diese nun seinerseits. Er nickte leicht.

Silent Storm

Hallo zusammen ^^
 

An alle die sich wundern: ich hab mich dazu entschieden, die Teile zu "Silence" nun doch in einer Story zusammenzufassen. Ich denke so bleibt es übersichtlicher.

Jedes Kapitel für sich wird aber weiterhin abgeschlossen sein, auch wenn vermutlich noch mindestens zwei Teile folgen werden ^^
 


 

-- Silent Storm --
 

Hallo zusammen ^^
 

Wie schon angekündigt, kommt hier die Fortsetzung zu "Silence". Ich gebe zu, Ben und Jo haben es mir irgendwie angetan, von daher ist eventuell damit zu rechnen, dass es noch weitergeht... besteht daran überhaupt Interesse? o.o
 

Wie immer würde ich mich über Kommis aller Art sehr freuen und wünsche Euch viel Spaß beim Lesen ^^ Vielleicht leidet ihr ja auch so mit Ben mit, wie ich beim Schreiben XD
 

LG

Cate
 

PS: Auch hier empfehle ich die html-Version, wegen kursiv etc. pp. ^^
 


 

Silent Storm
 


 

Grün? Nein, grün war keine gute Idee.

Braun? No brown after six... also auch nicht...

Unsicher wanderte sein Blick zwischen dem schwarzen Hemd in seiner Linken und der blauen Shirt in seiner Rechten hin und her. Er hatte nur eine ungefähr Vorstellung davon, wohin Jo ihn heute abend ausführen wollte, weswegen er nun schon seit beinahe einer Stunde vor seinem geöffneten Schrank stand – oder besser gesagt, davor auf und ab marschierte.
 

Inzwischen befand sich der Großteil der brauchbaren Kleidungsstücke allerdings nicht mehr in dem Möbel sondern auf seinem Bett und wurde in unregelmäßigen Abständen von der linken auf die rechte Seite und wieder zurück sortiert.
 

Ben seufzte frustriert und warf einen Blick in den Spiegel an der Wand, was ihn jedoch noch viel frustrierter die Augen verdrehen ließ. In spätestens einer halben Stunde musste er los, sonst verpasste er am Ende noch den Bus, dann die Bahn und würde dann... nein, besser nicht darüber nachdenken. Er würde nicht zu spät kommen, basta. Nicht zu ihrem ersten... Date... seit... naja eigentlich zu seinem ersten richtigen Date mit einer nicht gehörlosen Person überhaupt. Wenigstens hoffte er das.
 

Noch immer nagte der Zweifel an ihm, ob er Jo letzte Woche im Park vielleicht falsch verstanden haben könnte. Vielleicht hatte der junge Mann ja was ganz anderes gesagt und er selbst war nur zu doof gewesen, es richtig von dessen Lippen zu lesen...
 

Hastig schon er auch diesen Gedanken beiseite. Selbst wenn, immerhin trafen sie sich heute in der Stadt, also würde er einfach abwarten, wie der Abend werden würde.

Allerdings ließ ein erneuter Blick auf die Uhr ihn in hektische Betriebsamkeit verfallen. Er hatte noch fünfundzwanzig Minuten und so, wie er gerade aussah, konnte er unmöglich gehen. Zumindest nicht, ohne wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses verhaftet und wegen Hang zum Exhibitionismus in die Klapse geschickt zu werden.
 

Er entschied sich schließlich zähneknirschend für eine dunkle Jeans, da diese vermutlich noch am ehesten zu allen möglichen Orten passen dürfte. Nur hatte sich leider das Problem seiner Oberbekleidung damit immer noch nicht gelöst. Vor sich hin grummelnd zog er sich das Shirt über. Nein, eindeutig zu viel blau.

Dass er aussah wie in die Steckdose gesteckt, nachdem er sich wieder aus dem Stoff gewühlt hatte, machte die Sache jetzt nicht unbedingt besser.
 

Ben raufte sich die ohnehin völlig konfusen Haare. Die sollte er vielleicht auch noch in Form bringen, bevor er sich auf den Weg machte. Was in gut zwanzig Minuten der Fall sein musste.

Er vergeudete wertvolle Momente, indem er einige Male panisch aufgescheucht im Kreis lief, bevor er wieder zur Besinnung kam.
 

Wie alt war er denn, verdammt? Sechzehn? Er schnaubte leise und griff schließlich nach dem schwarzen Hemd, dass er zuvor schon in der engeren Auswahl gehabt hatte. Würde schon das Richtige sein. Verdammt, er wollte doch nur mit Jo was trinken gehen... oder so.
 

In sich hinein fluchend zog er sich das Kleidungsstück schließlich über den Kopf und strich die Knitter sorgfältig glatt. Schlampig wollte er ja nun nicht aussehen oder als wäre er des Bügelns nicht mächtig oder...

Ben schlug sich die flache Hand vor die Stirn. Als wenn Jo auf so einen Scheiß achten würde. Die Probleme, die er sich gerade machte, existierten garantiert ohnehin nur in seinem Hirn. Er konnte ja schon froh sein, wenn Jo ihn irgendwann mal als Freund betrachtete und er machte sich hier Sorgen über seine womöglich mangelhaften hausmännlichen Fähigkeiten.
 

Fünfzehn Minuten und seine Haare waren immer noch eine reine Katastrophe. Ben versuchte, mit den Fingern halbwegs Ordnung in das dunkelblonde Chaos zu bringen, allerdings nur mit mäßigem Erfolg. Er wuselte barfuß in sein kleines Bad und schloss dabei die letzten Knöpfe des Hemdes, nur um vor dem Spiegel die obersten zwei sofort wieder aufzufummeln. Ging ja mal gar nicht! Als wenn er... zu spießig! Brillen-Nerd. Er schüttelte sich leicht.
 

Rasch griff er sich die Haarbürste und sortierte die wirren Strähnen. Er versuchte es zumindest. Durch das viele An- und Ausziehen standen seine Haare jedoch elektrisiert ab und weigerten sich standhaft, die gewünschte Form anzunehmen. Zwischen Bens Augen bildete sich eine steile Falte, als er nach oben schielte. Notgedrungen schnappte er sich die Tube Haargel, die er eigentlich nur in Ausnahmefälle benutzte. Im Normalfall taten es Bürste und Fön. Aber heute war eben nichts normal... heute ging er mit Jo aus! Vielleicht zumindest... und da musste er gut aussehen. So gut wie möglich eben...
 

Neun Minuten. Ben atmete noch einmal tief durch, strubbelte seinen Haarschopf noch einmal zurecht und wusch sich die Hände. Noch schnell die Brille geputzt und er war fertig. Fast, wie er mit einem Blick auf seine nackten Füße feststellte. Noch ein paar Socken und Schuhe gegriffen, sich ein letztes Mal vor dem großen Spiegel im Schlafzimmer gedreht und die schwarze Lederjacke übergestreift. Im letzten Moment entschied er sich dafür, doch Block und Stift einzustecken. Man wusste ja nie und ohne fühlte er sich einfach nackt. Geld hatte er dabei, dann konnte es ja losgehen.
 

Etwas unschlüssig stand er vor seiner Wohnungstür und zögerte, sie zu öffnen. Noch konnte er hier bleiben, sich im Bett verstecken und die Decke über den Kopf ziehen. Vielleicht hätte er einfach nein sagen sollen. Oder nicht auf Jos direkte Einladung reagieren, die auch prompt am Tag nach ihrem Kennenlernen bei ihm eingetrudelt war.
 

Da es nichts genützt hätte, wenn Ben ihm seine Telefonnummer gegeben hätte, hatten Sie sich schließlich nach einigem Hin und her auf den Austausch ihrer Email-Adressen geeinigt. Sicher hätten sie sich auch per SMS verständigen können, aber irgendwie... war es schöner gewesen die längeren Nachrichten zu lesen, die die letzten Tage in regelmäßigen Abständen zwischen ihnen ausgetauscht worden waren.
 

Er mochte Jos aufgeschlossene Art, die zwar durchaus neugierig, aber keineswegs aufdringlich war. Als wüsste der junge Mann genau, wie weit er gehen, was er fragen konnte, bevor es zu persönlich wurde. Und er fragte durchaus.
 

Doch er erzählte dafür auch von sich selbst, als könnte er spüren, wie schwer Ben sich damit tat, von sich aus auf den anderen zuzugehen, obwohl er wirklich gerne mehr über den Studenten wissen wollte. Immerhin hatte er mittlerweile erfahren, dass Jo im sechsten Semester Englisch und Latein auf Lehramt studierte - was er dem Mann im Leben nicht zugetraut hätte! –, dass er mit seiner Katze in einer kleinen Wohnung wohnte, die noch nicht einmal weit von seiner eigenen entfernt war.
 

Er wusste, dass Jo auf Metal und Schiller stand und gerne Sahnetorte mit Kirschen aß aber... er konnte seine Neugierde kaum bezwingen, noch mehr über diesen Menschen herauszufinden. Jedes Detail, das er sammelte, bestätigte ihm immer noch mehr, dass Jos Person ein Widerspruch in sich zu sein schien. Ben schaffte es einfach nicht, den Mann einzuordnen. Unmöglich! Jo hatte so unglaublich viele Facetten, die er am Liebsten alle auf einmal ergründen würde und... er kam zu spät!
 

Panikartig riss er den Schlüssel vom Haken und diesen gleich noch mit aus der Wand. Verdammter Mist! Da stand er hier herum und philosophierte darüber, dass er Jo besser kennenlernen wollte und was machte er? Verpasste noch den Bus, dann die Bahn und dann...
 

Mit einem lauten RUMMS fiel die Tür hinter Ben ins Schloss, als er die Treppe hinunter hechtete. Trotzdem nahm er sich die Zeit, sorgfältig seine Umgebung zu sondieren und mögliche Gefahren auszumachen, bevor er auf die Straße trat. Es wäre nicht das erste Mal, dass er beinahe nähere Bekanntschaft mit einem Rad- oder Autofahrer machte, weil er sie einfach nicht kommen hörte.
 

Dann gab es jedoch kein Halten mehr. Zum Glück war es nicht weit zur Haltestelle und so schaffte er es gerade noch rechtzeitig, den Bus zu erreichen, zwar etwas außer Atem, aber immerhin, er saß!
 

Schnaufend ließ Ben sich auf einen der blauen Sitze fallen und lehnte die Stirn gegen die kühle Fensterscheibe. Sein Herz schlug schneller, als er daran dachte, dass er jetzt tatsächlich auf dem Weg zu Jo war, dass er ihn in einer guten halben Stunde wiedersehen würde.
 

Automatisch begann er, sich im Kopf einige Sätze zurecht zu legen, die er dann vielleicht in einem günstigen Moment anbringen konnte.

Er hatte sich entschlossen – vor allem auf Jos Drängen hin – es wenigstens mit dem Sprechen zu versuchen. Zwar sperrte sich alles in ihm dagegen, seine unkontrollierte Stimme zu benutzen, aber vielleicht... konnte er es ja mal ausprobieren. Und bei Jo hatte er wenigstens einen Funken Hoffnung, dass dieser ihn nicht gleich auslachte. Doch ganz auf seinen Halt in Form von Stift und Papier konnte und wollte er nicht verzichten.
 

Aber jetzt konnte er sich erstmal ein bisschen entspannen, jetzt konnte ja bis zu ihrem Treffen nichts mehr schief gehen.
 

***
 

Zweiundvierzig Minuten später war Ben nahe dran, sich schon wieder die Haare zu raufen. Nur der Gedanke daran, dass er hinterher wieder wie ein explodierter Handbesen aussehen würde, hielt ihn davon ab. Aber viel fehlte nicht mehr und seine Nerven würden nachgeben.
 

Er hätte sich nicht so sicher fühlen sollen, er hätte an einem solchen Tag mit dem schlimmsten rechnen müssen! Aber verdammt, warum musste auch immer genau dann alles schief gehen, wenn es ihm mal wirklich wichtig war? Warum gerade heute?!
 

Nicht nur, dass er zum Bus hatte hetzen müssen - ok, das war seine eigene Schuld gewesen – aber wer konnte denn bitte vorhersehen, dass dieser es bis kurz vor seine Haltestelle schaffte und dann auf einmal der Motor krepierte?! Wie oft passierte denn sowas, bitte?
 

Also war Ben zähneknirschend ausgestiegen und zusammen mit etlichen anderen Fahrgästen die letzten paar hundert Meter zur S-Bahn-Station gelaufen. Eine reine Katastrophe, wenn man bedachte, dass er sich generell unter fremden Menschen schwer tat. Er benutzte nicht umsonst die öffentlichen Verkehrsmittel, wo es nur ging, weil die Unfallgefahr für ihn einfach ungleich höher war, wenn er sich auf den offenen Straßen der Großstadt bewegte, als wenn er in einem geschlossenen System gefahren wurde. Die Unsicherheit machte ihn noch nervöser, als er ohnehin schon war und so fühlte Ben sich als reines Nervenbündel, als er endlich den Bahnhof erreichte.
 

Er ließ sich über die Rolltreppe hinunterspülen, wobei er mehr als einmal angerempelt und vermutlich auch verflucht wurde, aber das war er gewöhnt. Und sowas passierte wohl jedem, der sich in diesem Dschungel bewegte.
 

Erleichtert stellte er fest, dass die nächste Bahn schon in zwei Minuten kommen sollte. Wenn er sich dann beeilte, erwischte er die entsprechende U-Bahn noch und kam nur mit wenig Verspätung zu ihrem Treffpunkt.
 

***
 

Sein Leben stank, aber so richtig! Er würde nie wieder so voreilig sein und hoffen, dass alles glatt lief, wenn es ihm einmal wirklich wichtig war. Das nächste Mal würde er mit Sicherheit eine Stunde früher losfahren... Ach nein. Ein nächstes Mal gab es nicht.
 

Ein Blick auf seine Armbanduhr ließ Ben verzweifelt aufstöhnen. Er nahm die Brille ab und rieb sich über die Augen, in der Hoffnung, sich so etwas beruhigen zu können. Er war schon über eine Stunde zu spät. So lange würde noch nicht einmal der gutmütige Jo warten.
 

Ben könnte sich selbst in den Hintern beißen, dass er sich nicht doch die Handynummer des Studenten hatte geben lassen. Dann hätte er ihm wenigstens Bescheid geben können. Wobei... in der Röhre, in der er seit gut einer halben Stunde mit der U-Bahn feststeckte, hatte er vermutlich keinen Empfang.
 

Aber er hätte vorher schreiben könne, als die S-Bahn ihre Verspätung gemeldet hatte oder auf dem U-Bahnhof, als er hatte feststellen müssen, dass der Schienenverkehr aufgrund von Gleisbauarbeiten anders getaktet wurde und er natürlich gerade seine Bahn verpasst hatte.

Er hätte eine SMS schreiben können, während er nervös auf dem Bahnsteig auf und ab marschiert war und ungeduldig gewartet hatte, in dem Wissen, dass er bereits seit einer Viertelstunde bei Jo sein könnte. Oder als...
 

Resigniert seufzend setzte Ben die Brille wieder auf und schloss die Augen. Er war aber nunmal zu blöde gewesen – und zu feige! – um von sich aus nach Jos Nummer zu fragen. Und deswegen würde er den Anderen auch nicht wiedersehen. Weil der bestimmt unheimlich sauer auf ihn war, dass Ben ihn versetzt hatte und dass, wo er es mit einem Gehörlosen sowieso schon schwer genug hatte.
 

Am liebsten wäre Ben geradewegs wieder zurück in seine Wohnung gefahren und hätte sich in seinem Bett verkrochen wie ein kleines Kind. Aber er war ein erwachsener Mann und er musste sich Jo stellen. Sei es auch nur in dessen Abwesenheit.
 

Die Minuten verstrichen und Hoffnungslosigkeit machte sich in Ben breit. Dabei hatte er so sehr gewollt, dass das klappte. Das erste Mal, seit er nichts mehr hörte, war er bereit gewesen, sich mit einem praktisch Fremden zu treffen. Nicht, dass er früher der ultimative Partygänger gewesen wäre, aber seit seinem Unfall kam er praktisch nur noch zum Arbeiten oder zu den gelegentlichen Treffen mit seiner Gehörlosengruppe vor die Tür.
 

Ein Seufzen entwich ihm, bevor er es verhindern konnte. Er fing einen mitfühlenden Blick von der älteren Frau auf, die ihm gegenüber saß und zwang ein schwaches Lächeln auf sein Gesicht. Ihm war so nach Heulen zumute wie selten zuvor.
 

***
 

Außer Atem und abgehetzt erreichte Ben ihren vereinbarten Treffpunkt. Sie hatten sich, aufgrund der schon etwas vorgerückten Stunde für eine kleine Bar entschieden, die sie beide kannten. Die Zahl der Gäste war selbst für einen Mittwoch Abend sehr überschaubar, was Ben auf der einen Seite erleichterte, ihm aber auf der Anderen das Herz in die Hose rutschen ließ, als er Jo weder vor dem Eingang unter den sich dort tummelnden Rauchern, noch in der näheren Umgebung ausmachen konnte.
 

Enttäuscht sackten seine angespannten Schultern nach unten. Was hatte er denn auch erwartet? Er war fast zwei Stunden zu spät. Niemand konnte es Jo verdenken, dass er nicht so lange auf einen Idioten wie ihn gewartet hatte.
 

Wäre er doch nur früher losgegangen oder hätte er sich besser über die Fahrplanänderung informiert... ob es was brachte, wenn er sofort eine Email tippte, sobald er wieder zu Hause war? Vielleicht konnte er Jo ja noch einmal gnädig stimmen, wenn er sich entschuldigte und das Ganze erklärte. Doch wenn er ehrlich zu sich selbst war: er würde es auch nicht glauben, wenn er es nicht selbst erlebt hätte. So viel Pech an einem Abend konnte auch nur er haben.
 

Traurig und mit hängenden Schultern wollte er sich gerade umdrehen und sich wieder auf den Heimweg machen, als er einem Impuls folgend einen Blick durch die Fensterscheibe neben dem Eingang der Bar war.
 

Er hatte das Gefühl, dass sein Herz einen Schlag aussetzte, nur um dann in doppelter Geschwindigkeit weiter zu hämmern. Da... da saß er. Da saß tatsächlich Jo, ein Glas irgendwas vor sich, dass er auf dem Tisch hin und her schob. Er wirkte... traurig. Anders konnte Ben es nicht beschreiben. Wegen ih...?

Da hob Jo auf einmal den Kopf, als hätte er Bens Starren gespürt und ihre Blicke trafen sich. Ein Strahlen huschte über das Gesicht des jungen Mannes und seine Augen, die bis eben noch dumpf den Inhalt seines Glases seziert hatten, leuchteten auf.
 

In diesem Moment gab es kein Halten mehr für Ben. Er war da, Jo hatte tatsächlich auf ihn gewartet, geschlagene zwei Stunden lang, in der Hoffnung, dass er doch noch auftauchte. Ben stürzte praktisch in den Schankraum, ohne darauf zu achten, dass er beinahe ein Pärchen über den Haufen rannte, dass die Bar gerade verlassen wollte. Was sie ihm hinterher riefen konnte er ohnehin nicht hören und es interessierte ihn auch nicht die Bohne.

Jo war da, das war alles, was für ihn zählte.
 

Er umrundete eine Ecke und... stolperte Jo praktisch in die Arme. Der Student hatte sich wohl ebenso schnell erhoben, wie er selbst die Bar gestürmt hatte, um ihm entgegen zu kommen und in seiner Eile schaffte Ben es nicht mehr, rechtzeitig zu stoppen.

Verwirrt hing er so praktisch an Jo und fragte sich, wie er da plötzlich hingekommen war. Nicht, dass es sich etwa unangenehm anfühlte aber... irgendwie kam er gerade nicht mehr mit. Auch nicht damit, dass sich auf einmal kräftige Arme um ihn schlossen und er fest gegen Jos Brust gedrückt wurde.
 

Überfordert stand er einen Moment lang einfach nur stocksteif da, bevor er langsam seinen klammernden Griff aus dem Shirt des Studenten löste und sich vorsichtig wieder aufrichtete. Sein Blick suchte zögernd den des Anderen. Am Liebsten hätte er sich einfach in Jos Armen vergraben und... vielleicht sollte er sich vor Augen halten, dass sie sich eigentlich gar nicht kannten, er zu ihrem ersten richtigen Date zu spät gekommen war und vermutlich viel mehr in die Reaktion des Anderen hinein interpretierte, als es gut für ihn war.
 

Doch in Jos Blick lag keine Wut, kein Zorn, dass er zu spät gekommen war, nur die Frage nach dem Warum und... Sorge?
 

Da bist du ja endlich! Ich hab mir Sorgen gemacht, dass dir was passiert ist...
 

Kein Vorwurf, kein bissiger Kommentar. Ben hätte schon wieder heulen können, diesmal aber vor Freude und Erleichterung. Der ganze Frust, die Verzweiflung, die sich in ihm während seiner Odyssee angestaut hatten, fielen mit einem Mal von ihm ab und er spürte, wie sehr ihn die ganze Sache mitgenommen hatte. Mehr, als er je von sich gedacht hätte.
 

Sein Mund klappte ein paar Mal auf und zu, doch er traute sich einfach nicht, seine Stimme zu benutzen. Unsicher sah er Jo an, doch dieser lächelte nur.

Ben spürte, wie sich eine Hand um seinen Arm schloss und ihn in Richtung des Tisches schob, an dem er Jo vorhin entdeckt hatte. Widerstandslos ließ er sich auf einen der Stühle manövrieren und war froh, dass er noch ein paar Minuten Aufschub bekam, da sein Gegenüber ihn auf einen der Stühle bugsierte und ihm dann bedeutete, kurz zu warten.
 

Seufzend ließ Ben sich auf das Sitzmöbel fallen und stützte den Kopf in die Hände. Er war fertig, aber so richtig. Und die ungewohnte Situation zerrte zusätzlich an seinen Nerven. Er hatte keine Ahnung, wie er sich verhalten sollte, er hatte Angst, Jo doch noch zu vergraulen, wenn er sich jetzt daneben benahm.
 

Ben zuckte zusammen, als er eine sachte Berührung an der Schulter fühlen konnte. Jo setzte sich ihm gegenüber, nachdem er eine Tasse mit dampfender Flüssigkeit vor Ben abgestellt hatte. Verwundert erkannte dieser, dass es sich offensichtlich um heiße Schokolade handelte. Verwundert suchte er Jos Blick, was dieser nur mit einem gutmütigen Lächeln quittierte.
 

Du siehst so aus, als könntest du genau das gebrauchen...
 

Ben nickte leicht und schloss die klammen Finger um die warme Tasse. Er schüttelte leicht den Kopf und versuchte, seine chaotischen Gedanken zu sortieren. Er musste dem Anderen endlich erklären, warum er ihn hatte warten lassen, aber er wusste nicht wie. Er wollte hier vor all den Leuten nicht versuchen zu sprechen und wusste zudem nicht, mit was er anfangen sollte. Jo sollte verstehen, wie wichtig ihm dieses Treffen war, aber Ben wollte auch nicht aufdringlich wirken und wenn er sich nun doch geirrt hatte, dann...
 

Hastig kramte er nach seinem Stift und zerrte den schon reichlich mitgenommen wirkenden Block aus seiner Jackentasche. Hektisch versuchte er, möglichst schnell alles zu Papier zu bringen, was ihm in den letzten Stunden passiert war, verhaspelte sich aber immer wieder, so dass es in einem furchtbaren Geschmier endete, als sich eine warme Hand über seine kalte, zitternde legte.
 

Bens Kopf ruckte nach oben. Da saß Jo. Saß einfach nur da und sah ihn mit schief gelegtem Kopf lächelnd an.
 

Ganz ruhig, ist schon gut...
 

Seine Augen weiteten sich etwas. Woher wusste Jo nur, was er jetzt sagen musste? Woher nahm er diese Gelassenheit, obwohl er doch stinksauer auf ihn sein musste? Der Dunkelblonde schluckte leicht und ließ den Kopf hängen. Nichts konnte er richtig machen.
 

Warme Finger korrigierten sein Kinn ein wenig nach oben, so dass er gezwungen war, Jo wieder anzusehen. Das Lächeln auf den schmalen Lippen hatte sich noch ein wenig verbreitert, war nun fast ein wenig amüsiert.
 

Aber eins muss ich dir schon sagen...
 

Jetzt kam es! Jetzt würde Jo ihm sagen, dass er sich zum Teufel scheren sollte, dass er...
 

Du siehst echt gut aus heute!
 

Bens Augen wurden kugelrund. Was zum...? Er forschte in Jos Blick, konnte aber nichts als Ehrlichkeit und Freude lesen. Freude... dass er endlich da war?

Seine Mundwinkel zuckten nach oben und ein leises Glucksen entkam Bens Kehle. Irgendwie schon absurd das Ganze, aber...

Er lachte befreit auf und drehte die Hand, um Jos Finger fest mit seinen zu umgreifen. Der Stift rollte von beiden unbeachtet vom Tisch und fiel lautlos zu Boden.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (3)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  thongfah
2010-01-30T10:43:11+00:00 30.01.2010 11:43
bitte schreib unbedingt die fortsetzung dieser geschichtee!!! büüdööh! ich will wissen wie es weiter geht. lieben sich die zwei? haben sie bald eine engere beziehung zu einander? verliert ben vielleicht jo (hoffentlich nicht!!! o.o). überwindet ben die angst die er hat, nämlich zu sprechen? werden sie ein süsses liebespaar? gehen sie zusammen ev. auf reisen? wird jemand sterben? fragen, fragen, fragen... ich will es wissen!!! du machts uns alle wahnsinnig, wenn du nicht weiter schreibst.
ich warte geduldig auf deine Fortsetzung...jah? büüüttööö!

ganz liebe grüsse
thongfah
Von:  Oldschool-girl
2009-02-28T22:06:08+00:00 28.02.2009 23:06
Awwwwwww....>////////////< An der spannensten Stelle aufgehört! Q_________Q
Wie kannst du nur? Ich mag meeeeehr....*___________________*
Du hast einen wundervollen Schreibstil. :D Liest sich runter wie Butter. XD
Und dann auch noch so schön bildlich und leicht zu verstehen, das liebe ich. ^^
Das die Hauptfigur taub is find ich klasse, sehr originell, und jede gute Storry braucht Hindernisse....^____^ Und das is ja sooooo süß, wie du die Situation mit dem Date und den "ja" beschrieben hast....;///; *quietsch*
Das muss weitergehen, biddö...Q0Q
Von:  chrishe
2009-02-10T21:16:19+00:00 10.02.2009 22:16
Du kannst es immer noch, das Schreiben verdammt noch mal.
Einige haben es wirklich drauf und du gehörst auf jeden Fall dazu.
Nette, aber viel zu kurze Geschichte. Na gut, da warten noch andere Babies von dir auf Zuspruch, doch eine Fortsetzung dieses One-Shots könnte ich mir gut vorstellen.
Hat mir sehr gut gefallen. Danke und lG


Zurück