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Happy ohne Ende?

von

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Sleeping Beauty

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 

Als der Film zu ende war warteten Per, Lena und die Kinder über eine halbe Stunde um sich zum einen nicht mehr durch die Menschenmassen drängen zu müssen und zum anderen doch nicht noch von irgendeinem SV Werder Fan erkannt zu werden. Grundsätzlich machte es Per zwar nichts aus auch in seiner Freizeit Autogramme zu schreiben, denn er freute sich, dass so viele mit seinem Verein und dadurch auch mit seinen Leistungen mitfieberten, aber heute Abend wäre es einfach nur störend gewesen.
 

Er hatte bereits gemerkt, dass Lena nicht unbedingt mit ihm gesehen werden wollte, auch wenn er sich nicht ganz genau vorstellen konnte, warum nicht. Klar, würde irgendjemand ein Foto von ihnen machen und es an eine Zeitung verkaufen, wahrscheinlich noch an die mit den vier großen Buchstaben, so wäre es natürlich erst einmal eine große Story, schließlich war er ein bekannter Fußballer und sie die kleine Schwester seine Vize-Kapitäns, aber trotzdem. Da musste einfach noch irgendetwas anderes dahinter stecken, denn nach den vergangenen anderthalb Stunden glaubte nun auch die unsicherste Seite in Per nicht daran, dass Lena ihn vielleicht doch nicht mögen könnte. Sie hatten sich zwar während des Films nicht viel unterhalten, doch allein ihre Position war so vertraut gewesen, dass sie keinerlei Worte mehr bedurft hatten.
 

„Seid ihr mit dem Auto hier oder soll ich euch nach Hause bringen?“
 

„Wir sind mit der Straßenbahn hierher gekommen, aber wir nehmen uns am besten ein Taxi zurück. So müde wie meine beiden Mäuse sind.“
 

Lächelns sah Lena zu Lisa, die an Pers Hand ging und kaum noch ihre Augen offen halten, und dann zu ihrem Patenkind, das mit Kopf auf ihrer Schulter scheinbar bereits seelenruhig schlief. Zumindest sagte sie keinen Ton, was für Lena äußerst ungewöhnlich war, da sie sonst das sprühende Leben verkörperte.
 

„Es kommt gar nicht in Frage, dass du dir im Dunkeln mit den beiden Mädchen ein Taxi nimmst, Lena. Wer weiß was da für zwielichtige Gestalten rumlungern. Ich bringe euch nach Hause und keine weiteren Widerworte.“
 

Bestimmt griff Per nach Lenas Hand und zog sie ohne weiter auf ihre Proteste zu achten mit sich auf den Parkplatz, wo er sein Auto geparkt hatte. Selbst wenn es nicht Lena und damit die Tochter des „Lutschers“ gewesen wäre, so hätte er doch auch jede andere Frau zuerst sicher nach Hause gebracht und sie nicht mit dem Taxi fahren lassen. Nicht in einer Großstadt und schon gar nicht um diese Zeit, auch wenn es erst kurz vor zehn war. Seine Eltern hatten viel Wert auf gute Manieren gelegt und für ihn war so etwas eine Selbstverständlichkeit. Etwas, weswegen man nicht zu diskutieren hatte, deswegen stellte er ausnahmsweise bei Lenas Einwänden die Ohren auf Durchzug, auch wenn er sonst jedem ihrer Worte genau lauschte.
 

Irgendwann gab Lena ihren Widerspruch auf und schnallte sowohl Lisa als auch Lena gut in Pers Wagen an, bevor sie sich selbst zu ihm auf den Beifahrersitz fallen ließ. Sofort drehte Per sie Sitzheizung an, damit Lena, die er draußen bereits leicht hatte zittern sehen in ihrem dünnen Jäckchen, auch ja nicht noch mehr froh. Angenehm überrascht von der Beobachtungsgabe ihres Fahrers ließ Lena sich noch tiefer in den bequemen sitz sinken und schon bald drifteten ihre Gedanken ab und landeten im Reich der Träume.
 

Weder Per noch Lena bemerkten den Mann, der sie von hinter einer Littfassäule genau beobachtete und ohne Blitz immer wieder fotografierte. Seine Kamera hatte während des kurzen Weges vom Kino bis zum Parkplatz kaum still gestanden und seine Augen waren dem paar jeden Zentimeter gefolgt, wobei sein Augenmerk ganz klar auf der jungen Frau gelegen hatte. Mit Argusaugen hatte er ihren Umgang mit dem kleinen Mädchen auf ihrem Arm beobachtet, das zu schlafen schien. Sie wirkten so vertraut miteinander und sahen sich verblüffend ähnlich. Vielleicht hatte er hier ja sogar noch mehr entdeckt, als er im Grunde genommen erwartet hatte. Der Mann hatte ganz genau beobachtet, wie der junge Mann nach Lenas Hand gegriffen hatte und wie sie sie ihm nicht wieder entzogen hatte. Hand in Hand waren sie bis zu einem Auto gegangen und dann zusammen mit den Kindern weggefahren. Interessant. Das kam ihm äußerst verdächtig vor. Diese Vertrautheit, dieser Mann, der ihm irgendwie doch verdammt bekannt vorkam. All das warf Fragen auf, die er unbedingt beantworten musste. Sie war immerhin sein Ziel und nach sehr langer Suche hatte er sie endlich gefunden. Es war wirklich nicht einfach gewesen ihrer Spur zu folgen, denn niemand in Barcelona wusste scheinbar, wo sie so überstürzt hin abgereist war oder zumindest hatte es ihm keiner sagen wollen. Doch alle Menschen waren käuflich, sie hatten nur ihren Preis und so hatte er von einer kleinen Stuardess schließlich den heißen Tipp bekommen nach Bremen zu fliegen. Dafür hatte er zwar einige bezahlen müssen, doch das war es ihm definitiv Wert gewesen. Und jetzt wusste er, wo sie war und wenn er ihr jetzt folgte, würde er vermutlich auch erfahren, wo sie derzeit wohnte und sie damit unter keinen Umständen mehr verlieren. Perfekt.
 

Per weckte Lena erst, als sie vor dem Tor der Frings angekommen waren und er den Wagen bereits geparkt hatte. Ohne weiter zu Fragen stieg er mit aus dem Auto aus, schnellte Lisa ab, nahm sie auf den Arm und trug sie zur Eingangstür, während Lena wiederum die kleine Lena trug. Er versuchte so vorsichtig wie möglich zu sein als er Lisa in ihr Bett legte, da er das Mädchen nicht wecken wollte. Nicht jetzt, wo sie doch so seelenruhig im Auto eingeschlafen war. Sie sahen beide, Lena und Lisa, so unheimlich niedlich aus, wenn sie schliefen und er ertappte sich dabei, wie er ihnen einfach nur zusah und damit eigentlich ganz zufrieden war, wäre da nicht noch Lena gewesen, die leise, aber geschäftig neben ihm die schlafende Lena in ihren Prinzessinnen Schlafanzug steckte, was gar nicht so einfach war.
 

„Kann ich dir irgendwie helfen?“
 

„Nein, ich glaube das mache ich besser alleine. Der Tag war wahrscheinlich einfach ein bisschen zu viel für die beiden. Zu aufregend.“
 

Ein wenig enttäuscht wandte Per sich zum Gehen um. Deutlicher hätte Lena es ihm nicht zeigen könne, dass seine Pflicht erfüllt war und er nun besser ging. Mit gesenkten Kopf und schlaff herab hängenden Schultern machte er sich auf den Weg in Richtung Tür, als Lenas leise, sanfte Stimme ihn noch einmal inne halten ließ.
 

„Wenn du willst kannst du uns schon mal eine Flasche Wein aufmachen, damit wir noch einen Augenblick zusammen sitzen und reden können. Natürlich nur, wenn du magst.“
 

Lenas Stimme war unsicher gewesen und sie wusste wirklich nicht, was sie in diesem Moment geritten hatte Per darum zu bitten noch zu bleiben, aber sie hatte es getan und jetzt hing es an ihm ob er bleiben oder lieber gehen wollte. Vielleicht war ihm die Zeit im Kino ja schon zu viel gewesen und er hatte sie nur aus reiner Höflichkeit und Pflichtgefühl Torsten gegenüber nach Hause gebracht.
 

„Ich bleibe gern noch.“
 

Per lächelte Lena genauso schüchtern an und machte sich dann auf den Weg nach unten um alles fertig zu machen. Sorgfältig sah er sich in Torstens Weinkeller um und überlegte genau, welcher Wein Lena wohl am besten schmecken könnte. Er schätzte sie als eine Freundin eines süßen Tropfens ein und nahm deshalb eine Flasche „Cuvée Rosso“ aus dem Jahre 2004 aus dem Regal. Im Wohnzimmer entkorkte er die Flasche und stellte schon einmal die Gläser hin. Einschenken wollte er den Wein noch nicht, da er erst einmal ein wenig atmen musste, auch wenn das normalerweise nur in einem Dekanter ordentlich ging. Per war beileibe kein Weinkenner, doch so ein bisschen wusste selbst er und dieses Wissen versuchte er nun einzusetzen. In Gedanken ließ er noch einmal den bisherigen Abend Revue passieren. Dabei fühlte er eine ganz besonders große Herde Schmetterlinge in seinem Bauch Loopings fliegen und ein bisschen schwindelig wurde ihm auch. Das war alles viel zu gut und viel zu schön um wahr zu sein, zumindest sah der Pessimist in ihm das so. Der Optimist jubelte und machte schon Pläne, was er seinem Kapitän als Dankeschön schenken sollte.
 

So in seine Gedanken vertieft, bemerkte Per gar nicht, wie Lena das Wohnzimmer betreten hatte. Erst als er spürte, wie sie sich neben ihn setzte und langsam Wein in die Gläser laufen ließ, kam er wieder zur Besinnung. Ein wenig überrumpelte musterte er Lena eindringlich, die sich während ihrer Zeit in der ersten Etage umgezogen haben musste. Verschwunden waren Jeans und Oberteil, dafür saß sie jetzt in einem überdimensional großen Werdertrikot neben ihn, das ihr fast bis an die Knie reichte, und lächelte ihn verhalten an.
 

„Stört es dich, dass ich mich ungezogen habe? Ich fand es einfach bequemer.“
 

Wieder streifte Pers Blick Lenas nackte Beine, die sie locker untergeschlagen hatte. Nein, es störte ihn ganz und gar nicht, er fand es eher unheimlich sexy wie sie so da saß, das einzige, was seiner Meinung nach hätte geändert werden müssen, war der Name und die Nummer auf dem Trikot. Denn die 22 und den Namen „Frings“ hätte er am liebsten durch „Mertesacker“ und die 29 ersetzt. Ja, dann wäre sie unheimlich perfekt gewesen, aber diese Vorstellung würde ihm wohl erst einmal nur in seinen Träumen begegnen und nicht in der Realität.
 

„Nein, selbstverständlich nicht. Du siehst gut aus.“
 

Zweifelnd hob Lena eine Augenbraue und brachte Per wieder dazu zu erröten. Sie fand es unheimlich süß und verkniff sich jeden weiteren bissigen Kommentar. Heute wollte sie ihm einfach einmal glauben, dafür war der Tag viel zu wunderschön gewesen, auch wenn sie sonst einem Mann skeptisch gegenübertrat, der sie in einem ausgewaschenen Trikot gut aussehend fand. Bei solchen war immer Achtung geboten. Bisher hatte sie diese Worte nur zwei anderen Männern geglaubt und einer von ihnen hatte ihr das Herz gebrochen, das sagte das wohl über ihre Menschenkenntnis aus.
 

Einen Augenblick herrschte Schweigen zwischen den beiden und Lena spielte gedankenverloren an ihrer Kette herum, bis Per die Stille brach, nach seinem Glas griff und ihr zuprostete. Nach dem ersten Schluck stellte er sein Glas jedoch gleich wieder ab und ergriff das Wort.
 

„Von wem hast du diese Kette geschenkt bekommen? Oder hast du sie dir selbst gekauft?“
 

Natürlich wollte er nicht all zu neugierig sein, doch diese Frage hatte ihn bereits im Kino beschäftigt und bevor sie sich noch weiter anschwiegen, fragte er lieber danach. Vielleicht war es ja ein Geschenk von Torsten und Lena verband schöne Erinnerungen damit. Oder sie hatte sie sich irgendwann einmal im Urlaub gekauft, die Kette konnte hundert Geschichten haben und wenn er dadurch die Stimmung etwas lockern konnte, tat er da gern.
 

„Nein, ich habe sie vor einigen Jahren von einem sehr guten Freund bekommen. Sozusagen als Andenken an unsere gemeinsame Zeit.“
 

Ohne weiter nachzudenken fuhr Lena mit den Fingern über ihren Teil des Yin-und-Yang Medaillons. Sie musste es nicht ansehen um den Anblick wieder vor Augen zu bekommen, sie hatte es schon so oft betrachtet, sie würde seinen Anblick nie vergessen. Und die Erinnerungen, die unweigerlich mit dem Anhänger verbunden waren. Auf der Rückseite konnte sie sogar die feinen Linien der Gravur spüren, die nach all der Zeit jedoch schon ein wenig angegriffen wirkte.
 

Lena stand regungslos am Fenster und sah gedankenverloren in das Schwarz der Nacht. Ein leichter, warmer Wind säuselte hin- und wieder durch die Luft und vertrieb für einen kurzen Moment die Hitze, die sich bereits Anfang Juni wie ein bleiernes Tuch über Mailand gelegt hatte. Über ihr leuchteten die Sterne und hätte sie sich die Mühe gemacht, hätte sie in dieser wolkenlosen Nacht problemlos den Großen Wagen entdecken können. Doch die faszinierende Schönheit der Sterne interessierte Lena in diesem Augenblick nicht im Geringsten. Ihre Gedanken galten einzig und allein dem Mann, der hinter ihr im Bett lag und wahrscheinlich immer noch seelenruhig schlief.
 

Wie schon so oft in den vergangenen Tagen machte Lena sich Gedanken darüber, wie es mit ihnen weitergehen sollte. Mit ihr und Ricardo. Und natürlich auch mit Carolin und all den anderen, die direkt oder auch nur indirekt von ihrer Affäre betroffen waren. Denn im Grunde genommen war es noch nicht mehr als eine Affäre, bis jetzt wusste nur Paolo von ihnen und vielleicht noch einer von Ricardos Vertrauten. Sonst niemand. Bisher war sie also nichts weiter als sein kleines Geheimnis. Ein Geheimnis, das sie hüten mussten, eines, das nicht an die Öffentlichkeit kommen durfte.
 

Seit sie nach ihrer ersten gemeinsamen Nacht aus Istanbul zurückgekehrt waren und nun ihre Beziehung hier in Mailand heimlich aufrechterhielten, hatte sich vieles in Lenas Leben verändert. Eigentlich alles und das wusste sie auch. Und sie nahm es in Kauf. Nahm es in Kauf für den Mann, den sie liebte, für den Mann, der sie nur um einen einzigen Gefallen gebeten hatte, nämlich vier Wochen zu warten, damit er seiner Ehefrau persönlich von der Trennung berichten konnte. Rational gesehen wusste Lena, dass es nicht zu viel verlangt war so lange zu warten, doch ihr Herz wehrte sich gegen diese Geheimnistuerei, es verabscheute diese Heimlichkeiten, die Einschränkungen, die sie aus Sicherheitsgründen hinnehmen mussten. Sie wollte einfach nur ihre Liebe, ihr unendliches Glück zeigen, wollte jeden daran teilhaben lassen. Stattdessen waren ihnen nur heimliche, verstohlene Gesten der Zuneigung erlaubt und diese kurzen Nächte, in denen sie sich sahen.
 

Sie konnten nicht wie normale Pärchen auch Händchen haltend durch die Innenstadt spazieren, sie konnten nicht zusammen Essen oder ins Kino gehen. Sie durfte ihren Freund nicht vom Training abholen und ihn weder zu Spielen noch zu irgendwelchen Empfängen begleiten, zumindest nicht offiziell als Frau an seiner Seite und das versetzte Lena jedes Mal einen Stich ins Herz. Der Schmerz darüber verschwand zwar, sobald Ricardo ihr zu lächelte oder ihre Hand nahm um sie kurz zu drücken oder sie gar zum Tanzen auf die Tanzfläche zu führen, doch die Erinnerung an den Schmerz blieb und in der letzten Zeit hatten sich einige schmerzvollen Momente summiert, in denen Lena am liebsten laut geschrieen hätte, dass sie Ricardo liebte. Dass er der Mann war, der ihr Herz im Sturm erobert hatte und mit dem sie so unendlich glücklich war, zumindest, wenn niemand sonst um sie herum war.
 

Ja, Lena wollte ihre Liebe zu Ricardo nicht verstecken, nicht totschweigen, doch gerade für diese Liebe hielt sie sich zurück, schwieg und schluckte alles, was sie sagten. Manchmal schaffte sie es sogar lächelnd im Kreis der Sprechenden sich die Loblieder auf die Beziehung zwischen Carolin und Ricardo anzuhören, wohl wissend, dass sie nichts weiter als Lüge und leere Worte waren, doch meistens konnte sie diese Kraft nicht aufbringen. Dafür war sie dann doch zu schwach, zu emotional. Also hielt sie meistens den Kopf gesenkt und versuchte die Tränen zu unterdrücken, die jedes Mal in ihr aufwallten, wenn jemand von Ricardo und Carolin als glückliches Paar sprach oder gar ein gemeinsames Foto von ihnen zeigte. Lena merkte mit jedem Tag deutlicher, wie sehr ihr diese Lüge an die Substanz ging, wie sie immer weniger aß und immer schlechter schlief. In der Uni sogar nur noch unaufmerksam mitschrieb und all ihre Gedanken nur noch bei Ricardo weilten. Selbstverständlich wusste Lena nur zu gut, dass dieses Verhalten schlecht für sie war, doch sie sah einfach keinen Weg es zu ändern, alles in ihr sehnte sich danach die Menschen um sich herum endlich nicht belügen zu müssen, weil sie keine Zeit mehr hatte oder plötzlich nach einer SMS verschwinden musste. Sie wollte ihnen sagen was Sache war, doch noch konnte sie es einfach nicht. Versprochen war versprochen und sie hatte nicht vor Ricardos Vertrauen zu betrügen, nur weil sie nicht mal vier Wochen ein Geheimnis für sich behalten konnte.
 

Mittlerweile waren drei der vier Wochen vergangenen und Carolins Rückkehr kam immer näher und Lena hatte kein gutes Gefühl dabei. Etwas in ihr sträubte sich dagegen, auch wenn ihr eigentlich klar war, dass sie dann endlich das Versteckspiel würden beenden können. Die Lügen und Ausreden würden endlich ein Ende haben und ihr würde es wieder besser gehen. Alles würde wieder so werden wie früher, nur halt irgendwie- besser. Weil sie dann offen zeigen konnte, dass sie den Mittelfeldakteur des AC Milans von ganzen Herzen liebte. Das hatte Ricardo ihr fest versprochen. Einen Tag nach ihrer Ankunft wollte er ihr sagen, dass er sie verlassen wollte. Und Lena glaubte ihm, auch wenn es ihr unendlich schwer fiel die Kontrolle aus der Hand zu geben. Sie hatte es bisher geschafft und würde es wohl auch noch eine weitere Woche aushalten.
 

„Wieso stehst du hier am offenen Fenster, meu anjo, komm wieder ins Bett, sonst wirst du noch krank.“
 

„Ich brauchte einen Augenblick um in Ruhe nachzudenken.“
 

„Und das konntest du nicht im Bett?“
 

„Nein.“
 

Liebevoll umarmte Ricardo Lena von hinten und drückte sie sanft gegen seinen nackten Oberkörper. Lena konnte noch seine Bettwärme spüren und lehnte ihren Kopf erschöpft gegen ihn. Sie war es so Leid zu kämpfen, so Leid zu lügen und alles verstecken zu müssen, was ihr wichtig war, doch für Augenblicke wie diesen nahm sie all das gerne in Kauf.
 

Langsam fühlte sie etwas Kaltes auf ihre Haut gleiten und kurz darauf zog Ricardo für einen Moment seine Hände zurück und verharrte in ihrem Nacken. Erst jetzt erkannte Lena, dass er ihr eine Kette umgelegt hatte. Vorsichtig tastete sie danach, doch Ricardo drehte sie behutsam so, dass sie sich in der Scheibe des Fensters spiegeln konnte. Da erkannte Lena die weiße Hälfte mit dem schwarzen Punkt des Yin-und-Yang.
 

„Ich kann dir noch keinen Ring schenken um dir zu beweisen, dass ich es wirklich Ernst mit dir meine, deswegen schenke ich dir diesen Anhänger. Sie passen zusammen und sind nur vollkommen, wenn der eine bei dem anderen ist. Nur zusammen, nicht allein. Er soll dich überall an meine Liebe zu dir erinnern. Die andere Hälfte dazu trage ich und ich werde sie erst abnehmen, wenn ich dich nicht mehr lieben sollte.“
 

Gerührt wandte Lena sich von ihrem eigenen Spiegelbild ab und wandte sich Ricardo zu, der seinen Teil der Kette bereits um den Hals trug. Vorsichtig berührte sie seine warme Haut und drehte den Anhänger in Händen, bis ihr eine Gravur auf der Rückseite auffiel, die sie an ihrem eigenen Stück bisher noch nicht bemerkt hatte.
 

„Was steht da, Ricardo, ich kann es im Dunkeln nicht erkennen?“
 

„Auf meinem steht: „Da, wo dein Schatz ist“ und wenn wir es zusammen fügen geht es auf deinem Anhänger weiter mit: „da wird dein Herz auch sein“. Fügen wir es zusammen heißt es: Da, wo dein Schatz ist, da wird dein Herz auch sein.“
 

Lena stiegen Tränen der Rührung und der Liebe in die Augen und sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie war absolut sprachlos, etwas, was zuvor nur selten jemand geschafft hatte, war Ricardo durch eine so romantische und gedankevolle Geste gelungen. Alle Zweifel und all die Wut über ihre Situation waren verflogen und jetzt wollte sie einfach nur den Moment mit Ricardo genießen und alle Probleme von sich fort drängen.
 

„Meu anjo, meu único.“
 

Seine Stimme klang so sanft, wenn er portugiesisch sprach und Lena musste nicht fragen, was er geflüstert hatte, der Wortlaut war nicht wichtig, viel wichtiger war, dass ihr Herz den Inhalt der Worte verstanden hatte und sie brauchten keine Antwort. Ihre Herzen verstanden sich auch so, sie schlugen im Eintakt, zumindest in diesem Augenblick.
 

Per holte sie schließlich mit seiner sanften, leisen Stimme und seinen bedachten Worten wieder aus der Welt der Erinnerungen zurück.
 

„Hast du ihn geliebt? Ich meine denjenigen, der dir diese Kette geschenkt hat. Damals, als Erinnerung. Habt ihr euch geliebt?“
 

Einen Augenblick saß Lena einfach nur regungslos da und sah Per in die Augen. Es schien als würde die Welt still stehen, als hätte sie einfach aufgehört sich zu drehen. Nichts passierte, bis Lena langsam und nur sehr zögerlich ihre Antwort aussprach:
 

„Lieben und geliebt zu werden, das sind zwei vollkommen unterschiedliche Dinge.“
 

Wieder herrschte Schweigen zwischen den beiden und Lena nahm einen weiteren Schluck aus ihrem Weinglas. Ihr war bewusst, dass sie Pers Frage nicht direkt beantwortet hatte, doch sie hielt ihn für klug genug eigene, richtige Schlüsse aus ihrer Antwort zu ziehen. Und genau das bewies Per dann auch mit seiner nächsten, noch persönlicheren Frage:
 

„Er hat dich verletzt, stimmt’s? Hat dir das Herz gebrochen, oder?“
 

Per wusste selbst nicht, warum er ihr all diese Fragen stellte, wo er doch merkte, dass ihr dieses Thema nicht behagte, doch irgendetwas in ihm trieb ihn weiter, wollte unbedingt mehr wissen, auch wenn er wahrscheinlich keine Antwort bekommen würde. So konnte er sich wenigstens nicht vorwerfen es nicht ernsthaft versucht zu haben. So hatte er wirklich versucht etwas über die junge Frau hinter dem Lächeln heraus zu bekommen.
 

Auch Lena überlegte einen Moment, ob sie Per die Wahrheit sagen sollte, die er im Grunde genommen doch eh schon ahnte. Sie wusste nicht, ob es noch einen Unterschied machte. Für ihn womöglich nur einen geringen, für sie aber einen riesengroßen. Es fiel ihr nie leicht über diese Dinge zu sprechen, sie waren einfach viel zu nah, viel zu emotional, aber bei Per hatte sie nicht dieses tonnenschwere Gewicht auf ihrem Herzen. Sie fühlte sich von den Erinnerungen nicht bedrängt, solange er neben ihr saß und sie nur ansah. Er übte keinerlei Druck aus, er zwang sie nicht dazu sich an etwas zu erinnern, was ihr zu Weh tat. Per war einfach nur da und sah sie aus diesen großen Augen heraus an. Und wenn sie schon nicht mit ihrem Bruder über all das reden konnte, so wollte sie es wenigstens mit seinem Kollegen versuchen, der ihr in den vergangenen Stunden schon eher ein Freund geworden war. Vielleicht wurde es ja mit der Zeit leichter manche Dinge zu verkraften, zu verarbeiten und sie dann wieder zu erzählen, wenn man es bereits einmal getan hatte. Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht, Lena war es egal, in diesem Augenblick hatte sie sich dafür entschieden das Risiko einzugehen und sich Per ein Stück weit zu öffnen.
 

„Warst du jemals verliebt?“
 

Diese Frage traf Per absolut unvorbereitet und er wusste beim besten Willen nicht, was er antworten sollte, so perplex war er, doch sein verwirrter Gesichtsausdruck war Lena bereits antwort genug.
 

„Klar, was für eine Frage, natürlich warst du schon Mal verliebt, schrecklich, oder nicht?“
 

Ihre Stimme wurde immer sanfter und Per rückte etwas näher an sie heran um sie besser verstehen zu können.
 

„Es macht dich so verdammt verletzlich. Wenn du jemandem dein Herz öffnest, dann hat er ungehindert die Chance alles durcheinander zu bringen. Du baust all diese Mauern um dich herum, wahre Abwehrbastionen, damit nichts und niemand dich verletzen kann und dann kommt eine einzige dumme Person in dein Leben, eine Person, die sich nicht im Geringsten von all den anderen dummen Personen auf der Welt unterscheidet. Und du gibst ihnen ein Stück deines Herzens, auch wenn sie nicht darum gebeten haben.“
 

Wieder machte Lena eine Pause, versuchte tief durchzuatmen und ohne weiter darüber nachzudenken legte Per den Arm und sie und zog sie näher zu sich heran, damit sie seine Anwesenheit, seine Wärme spüren konnte.
 

„Dann tun diese Menschen irgendetwas verrücktes, wie zum Beispiel, dass sie dich küssen oder dich einfach nur lieb anlächeln und mit einem Schlag gehört dir dein eigenes Leben nicht mehr. Die Liebe nistet sich in deinem Herzen ein. Sie trifft dich ins Mark und frisst dich von innen auf bis nur noch ein Haufen Elend übrig bleibt. Ein kleiner Satz wie zum Beispiel „Vielleicht wäre es besser, wenn wir nur Freunde blieben“ wird zu einem Glassplitter der sich qualvoll langsam durch dein Herz bohrt.“
 

Lena hatte die Augen geschlossen und Per konnte erkennen, wie eine Träne unter ihren Augenlidern hervortrat. In diesem Moment verwünschte er sich, dass er diese Frage überhaupt gestellt hatte und doch war trotzdem irgendwie froh, dass er es getan hatte, denn jetzt zeigte Lena ihm etwas von sich. Sie öffnete ihm ein kleines Fenster in ihre Seele und wollte versuchen jeden Eindruck, den er bekam, aufzubewahren. Stockend und schwer atmend sprach sie weiter und Per ahnte, dass sie mit sich kämpfte um weitere Tränen zurück zu halten.
 

„Es tut weh. Nicht nur in deiner Vorstellung, nicht nur in deinem Kopf. Es ist ein allumfassender Seelenschmerz, so einer, bei dem du dich fühlst, als wenn dein Körper aufgeschlitzt und offen zurückgelassen wird.“
 

Lena schaffte es nicht ihre Tränen wieder unter Kontrolle zu bekommen und als Per sie noch weiter in seine Arme zog und sie festhielt und ihr liebevoll über den Rücken streichelte, da gab es für sie kein Halten mehr. Wie eine Ertrinkende klammerte sie sich an ihn und lauschte seinem Herzschlag. Dass sie dabei sein Hemd durchnässte, störte keinen von beiden, viel zu sehr waren sie auf die Situation konzentriert, die sie beide absolut unvorbereitet getroffen hatte. Zwar war Per nur ein Zuschauer, ein Zuhörer, ihres inneren Kampfes gewesen, doch auch er hatte mit ihr gelitten und jedes Wort tatsächlich gefühlt, das sie ausgesprochen hatte. Egal wer auch immer ihr das Herz gebrochen hatte, er hatte wirklich ganze Arbeit geleistet und wer auch immer es wieder flicken wollte, der würde viel Zeit, Geduld und Einfühlungsvermögen brauchen.
 

Mit der Zeit wurden Lenas Schluchzer leiser und ihre Tränen versiegten langsam und Per bemerkte, dass die kleine Schwester des „Lutschers“ an seiner Brust eingeschlafen war. Einfach so, ohne ein Wort. Vollkommen erschöpft von den Tränen und der Erinnerung. Sicher, so hatte Per sich ihren Abend doch nicht vorgestellt, aber wenn er so auf Lena hinunterblickte, auf die Tränenspuren, aber auch das mittlerweile friedlich schlummernde Profil seines Mädchens vom Flughafen, so hatte er doch ganz tief in sich dieses gute Gefühl, das dieser Abend etwas besonderes gewesen war. Denn man mochte vergessen, mit wem man gelacht hatte, aber man vergaß niemals, mit wem man geweint hatte und so würde auch Lena diesen Abend vermutlich nicht wieder vergessen.
 


 

To be continued
 

Ich weiß ehrlich gesagt selbst nicht so ganz, was ich zu diesem Kapitel schreiben soll. Es hat unheimlich viel gekostet, mir aber auch sehr viel gegeben. Allein schon einen passenden Titel zu finden war eine Herausforderung.

Wahrscheinlich muss jeder von euch selbst entscheiden, wie wichtig und auch wie schön er dieses Kapitel fand, da will ich euch nicht reinreden.

Ich würde einfach nur gerne wissen, was ihr zu diesem Kapitel denkt.



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