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D.Gray-Man

Die unbekannte Geschichte
von

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Düstere Schatten

Seit dem Unfall in der Trainingshalle waren nun schon zwei Wochen vergangen, zwei Wochen, in denen Samantha wieder die träge, einschläfernde Langeweile verspürt hatte, mit der sie schon während ihres ersten Aufenthaltes im hiesigen Krankenflügel hatte kämpfen müssen. Sie hatte ein wenig versucht mit Allen ins Gespräch zu kommen, der noch immer seine schwere Gesichtsverletzung auskurierte, doch der junge Engländer war nicht gerade sehr gesprächig bzw. hatte sich ihr Gesprächsvorrat rasch erschöpft. Mit Lavi hingegen hatte sie sich Stunden unterhalten können, ohne dass die geringste Langeweile aufkam. Er konnte immer eine Geschichte von seinen zahlreichen Reisen oder ganz alltäglichen Begebenheiten zum Besten geben.

Samantha musste sich eingestehen, dass sie den fröhlichen, stets gutgelaunten Rotschopf auf schmerzlichste vermisste. Seit ihrem unangenehmen Streit, der nun fast einen ganzen, langen Monat zurücklag, hatte sie ihn kein einziges Mal wieder gesehen, fast so als würde er ihr absichtlich aus dem Weg gehen, sie meiden. Dieser Eindruck verstärkte sich noch dadurch, dass er sie anders als zuvor kein einziges Mal im Krankenflügel besucht hatte. Wie es schien, hatte er sie endgültig abgehakt, sie wie ein altes, gelesenes Buch bei Seite gestellt, um es dann mit Nichtachtung zu strafen und verstauben zu lassen. Der Gedanke für ihn völlig gestorben zu sein, ließ den Schmerz in ihrer Brust erneut aufflammen, der sie seit ihrer wochenlangen Trennung unablässig quälte, mal mehr, mal weniger.
 

„Trödel nicht herum…“, knurrte eine wohlbekannte, missmutige Stimme und holte sie aus ihren schmerzlichen Gedanken zurück in die Gegenwart. Kanda wandte sich wieder dem Portal zu, das in Mitten der „Eingangshalle“ wie ein Mosaik aus gleißenden Lichtscherben erstrahlte und schritt wie Marie zuvor völlig unbekümmert durch dieses hindurch. Nur Samantha und General Tiedoll standen noch außen vor.

„Er kann es kaum erwarten die Mission anzutreten…Komm, wir lassen ihn besser nicht warten…“, schwatzte Tiedoll gutgelaunt und schob das etwas verunsicherte, französische Mädchen mit sanfter Gewalt durch das Portal, das ihr nicht sonderlich geheuer war. Es war ihre erste, bewusste Reise mit der Arche, sodass ihr die Vorstellung einfach so durch den Raum teleportiert zu werden, nicht ganz behagte. Was, wenn nicht jeder Teil ihres Körpers an ihrem Bestimmungsort ankam? Was, wenn sie von ihrem Team getrennt an einen ganz anderen ort gelangte?

//Bloß nicht an so etwas denken…!// zwang sie sich, während sie sich blind vorantastete, da sie aus Angst die Augen zusammengekniffen hatte. Erst als warmer Wind über ihre fuchsigen Haare und über ihre helle Haut fuhr und sie festen, gepflasterten Boden wieder unter ihren Füßen spürte, öffnete sie wieder ihre Augen und atmete erleichtert aus, da sie auch unbewusst den Atem angehalten hatte. Sie war heil und in einem Stück in der Arche angelangt.

„Tch, was für ein Angsthase…“, hörte sie Kanda verächtlich murmeln, doch das französische Mädchen war viel zu sehr von der neuen Umgebung vereinnahmt, als dass sie die Beleidigung durch ihren missmutigen Kollegen mitbekommen hätte.

„Beeindruckend, nicht wahr? Es ist immer wieder ein überwältigender Anblick…“, kommentierte Tiedoll ihren Ortswechsel in das Innere der Arche, von wo aus sie über eine festgelegte „Tür“ wieder hinaus in die Welt übersetzen würden. Marie und Kanda waren vor dieser Tür stehen geblieben, die die Nummer „19“ trug. Das war jene Portalnummer, die sie nach Japan bzw. zum Dorf Hajimoto bringen würde. Von diesem Startpunkt aus würden sie nach einer in der Nähe lokalisierten Innocence suchen und diese bergen, um sie in Hevlaskas Obhut zu geben.

Es war Samanthas erste Mission seit sie dem schwarzen Orden beigetreten war und dementsprechend aufgeregt war sie. Die Aura der Innocence konnte früher oder später Akumas auf den plan rufen. Zwar traute sie sich zu gegen einen Level 1 und vielleicht auch gegen einen Level 2 Akuma kämpfen zu können, doch alles, was darüber lag, war für sie nach eigener Einschätzung mindestens eine Nummer zu groß.

//Ich bin ja nicht alleine unterwegs…// versuchte sie sich zu beruhigen, doch ihr Herz schlug nach wie vor schwer und heftig in ihrer Brust. Marie konnte es bestimmt deutlich Pochen hören mit seinen sensiblen Innocence-Kopfhörern, ihm entging ja so gut wie nichts mit ihnen. Fast wie zur Bestätigung dieser Vermutung wandte sich sein nahezu kahler, braungebrannter Kop zu ihr um, während sich seine Lippen zu einem beruhigenden Lächeln formten. Auch wenn diese Geste beruhigend hatte wirken sollen, verstörte sie Samantha eher, was zum Teil wohl auch an den trüben, blicklosen bzw. erblindeten Augen des gutmütigen, stillen Hünen lag. Sie hatte sich immer noch nicht an ihren starren, leblosen Anblick gewöhnt und sehr wahrscheinlich würde das noch ein wenig dauern, aber es war möglich, anders als eine Kameradschaft mit dem griesgrämigen Japaner.

Als sie alle die ihnen zugewiesene Tür erreicht hatten, nahm Kanda die messingfarbene Türklinke in die Hand, drückte sie hinab und öffnete die Tür, um in der selben, fließenden Bewegung durch die entstandene Passage zu treten. Für ihn und die anderen schien es das Natürlichste auf der Welt zu sein, doch Samantha konnte sich nur mit großen Widerwillen und guten Zuspruch durch ihren Lehrmeister dazu bewegen, ebenfalls durch das strahlend weiße Portal zu treten. So tauschte sie behagliche, sommerliche Wärme gegen nächtlich, frostige Kälte, die sie mit der ersten, zugigen Windböe erschaudern ließ.

Stärker mummelte sie sich in den dicken, wollenen Reiseumhang, um den frischen Wind so wenig wie möglich an sich heran zu lassen. Hier fast am anderen Ende der Welt tickte die Uhr etwas anders bzw. herrschte eine andere Tageszeit vor, die Nacht. Zu Hause in England wäre es jetzt noch nach wie vor später Mittag. Dieser krasse Zeitwechsel verwirrte Samantha ziemlich und ließ die kühle Nacht, in die sie hinaustraten, nur noch unnatürlicher wirken als zuvor.

„Nicht weit von hier befindet sich Hajimoto…Heute kümmern wir uns nur noch um unsere Unterkunft und machen uns dann morgen auf die Suche nach der Innocence…“, erklärte Tiedoll und führte die kleine Gruppe wie ein Ortskundiger durch den dicht gewachsenen Bambuswald, in dem sie gelandet waren. Der frische Wind pfiff heulend durch die teilweise nur schmalen Abstände zwischen den dicken, alten Bambusrohren und erzeugte dabei ein gespenstisches Heulen, das in der nächtlichen Umgebung plötzlich zum Wehklagen gesichtsloser Schatten wurde.

Diese Schatten waren jedoch nur Ausgeburten eines überreagierenden Hirns, das aus dem düsteren Zwielicht und den sich bewegenden Bambuszweigen namenlose Gespenster formten.

„Willst du da Wurzeln schlagen, Schisser?“ giftete ihr Kandas ungehaltene Stimme aus einiger Entfernung entgegen. Die Anderen waren schon ein gutes Stück vorausgegangen, bevor sie gemerkt hatten, dass ihr jüngstes Mitglied verängstigt zurückgeblieben war. Etwas Gutes hatte Kandas ungehaltener Tonfall, er machte sie wütend und wenn sie wütend war, dann hatte sie keine Zeit, um sich zu fürchten, zumindest sah das so in der Theorie aus. In der Praxis allerdings jagte ihr Herz in ihrer Brust und diesmal was das durch ihre Adern rauschende Adrenalin, das ihre Sinne schärfte, kein Segen, ganz im Gegenteil. Die scheinbar nach ihr greifenden Schatten scheinen mehr Konsistenz, mehr Festigkeit zu bekommen, während ihr heulen laut in Samanthas Ohren wieder hallte. Wie von Dämonen der Hölle gehetzt rannte sie die kurze Distanz bis zu ihrem Kameraden ohne einen Blick nach links oder rechts, geschweige denn nach unten zu richten, sodass sie zweimal kurz hintereinander über umgeknickte Bambusstämme stolperte.

Ihre blinde Ungeschicklichkeit rächte sich mit einem schmerzhaften Pochen in ihrem linken Knöchel, dessen Sehne sie sich wohl beim letzten Sturz gezerrt hatte.

„Wenn du dir schon bei ein paar Schatten im Buschwerk in die Hosen machst, kannst du gleich wieder nach Hause gehen…“, setzte Kanda noch einen drauf, als sie endlich, schwer atmend ihre Teamkameraden erreicht hatte. Das französische Mädchen hätte sich gerne mit dem arroganten Japaner angelegt, doch sie wusste, dass sie unter diesen Bedingungen nur den Kürzeren ziehen würde, sodass sie es dabei beließ den verhassten Kollegen mit imaginären Dolchen zu spicken, um ihn so in ein menschliches Nadelkissen zu verwandeln.

„Genug jetzt, Kinder…Eine warme Mahlzeit und ein heimeliges Bett rufen…“, wies der alte General die beiden Streithähne väterlich zurecht und übernahm dann wieder die Führung, Samantha hatte sich indes zu Marie gesellt.

Von dem ruhigen Hünen hatte sie bisher kein einziges, schlechtes Wort ihr gegenüber gehört, vielmehr verkörperte er neben dem jähzornigen Japaner und dem etwas zu fürsorglichen General den ruhigen, ausgeglichenen Pol in ihrer Gruppe.

„Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, Samantha. Wir sind die Einzigen hier draußen…“, sprach Marie leise und beruhigend auf seine verängstige Teamkameradin ein.

//Er hat gut reden…Er sieht ja nicht diese gespenstischen Schatten…// dachte sie unglücklich und hielt sich direkt an seiner Seite, damit er sie vor ihren heimlichen Dämonen beschützen konnte.

Wieder einmal mehr kehrten ihre Gedanken zu jener Person zurück, die ihr vom ersten Tag an nicht mehr hatte aus dem Kopf gehen wollen. Morgens, wenn sie aufwachte, galt ihr erster Gedanke ihm und wenn sie abends erschöpft einschlief, dann war ihr letzter Gedanke an ihn gerichtet, selbst ihre Träume waren von ihm erfüllt.

//Lavi, ach wärst du nur hier…// seufzte sie bedrückt in Gedanken, während erneut der Schmerz ihrer Trennung in ihrer Brust wühlte.

//Wie konnte ich nur? Wie konnte ich ihm das nur antun? Wie konnte ich nur so blind, so blöd sein? Verdammt, was bin ich doch für eine Idiotin…!// schimpfte sie sich aus und war so in ihrer Strafpredigt versunken, dass sie langsamer geworden war. Als sie ihre Aufmerksamkeit wieder ihrer nächtlichen Umgebung zuwandte, waren die anderen verschwunden.

„Oh nein, bitte nicht…“, jammerte sie leise, als ihr plötzlich bewusst wurde, dass sie völlig alleine durch den dunklen Bambuswald lief.

„Marie? Kanda? General Tiedoll?“ rief sie mit zitternder Stimme die Namen ihrer Teamkameraden, doch der lauter heulende Wind verschluckte ihr Rufen und mögliche Antworten darauf wie eine hungrige Bestie. Der Wind hatte inzwischen aufgefrischt, war stürmisch geworden, sodass die unheimlichen Schatten noch wilder über die hohen, dichten Stämme des Bambus-Buschwerkes waberten. Gierig streckten diese bösen Geister ihre unförmigen Klauen nach ihr aus, um das unvorsichtige Mädchen in ihre dunkle, unheimliche Welt zu ziehen. Blind vor Angst jagte sie voraus in der verzweifelten Hoffnung, dass sie einfach nur zurückgeblieben war und die Anderen gleich wieder in Sicht kommen würden. Gleich würde Kanda sie wieder hämisch verspotten, jetzt gleich, doch niemand kam ihn Sicht.

Etwas Kaltes tropfte auf ihren Kopf und ließ sie erschrocken zusammenzucken, doch es war nur ein Regentropfen gewesen. Ein weiterer folgte sogleich, bis ein wahrer Regenguss auf die Erde und die allein gelassene Exorzistin niederging. Der dichte Regen bahnte sich rasch seinen Weg durch den Wollumhang und den Rest ihrer Kleidung, mischte sich mit den Tränen der Angst, die über ihre Wangen flossen. Sie nahm kaum noch etwas von ihrer Umgebung wahr, als sie blind vor Angst und Tränen allein durch den Bambuswald rannte und sich dabei immer hoffnungsloser verirrte.

Sie konnte nicht mehr sagen, in welche Richtung sie lief, ob sie die kleine Lichtung von vorhin nicht vielleicht schon zum dritten Mal überquerte.

//Wo seid ihr bloß?// schrie sie verzweifelt in Gedanken, da der Wind ihr diese Worte sofort von den zitternden Lippen gerissen hätte. Mächtig und ohrenbetäubend war sein Brüllen mit der Zeit geworden, fast so ohrenbetäubend wie der Donner, der auf die einsetzenden Blitze folgte. Ein wahres Unwetter entlud sich über diesem Fleck der Erde und mehrte ihre Angst noch um ein weiteres Stück. Samantha hasste Gewitter, hasste die gleißenden „Himmelsschlangen“, die sich zur Erde schlängelten, um bei ihrem Aufprall solche Donner auszulösen.

//Lavi…// weinte sie jämmerlich, rutschte auf dem nassen, schlammigen Untergrund aus, strauchelte und kam mit wild rudernden Armen zu Fall. Als sie im Begriff war sich wieder aufzurappeln und aus dem Schlamm zu stemmen, presste sie ein seltsames, ungewohntes Gewischt wieder zurück zu Boden.

„Was haben wir denn da, ein verirrtes Exorzistlein?“ hörte sie eine hämische Stimme sagen, doch es war nicht jene, die sie sich vorgestellt hatte zu hören. Mit Entsetzen wandte sie den Kopf zur Seite, hob ihn leicht an, um festzustellen, was ihr geschockter Geist verweigerte zu erkennen. Ein Level 3 Akuma hielt die gefangen, einen Fuß lässig auf ihren Rücken gestemmt. Jetzt war sie fällig. Diese eigentlich schreckliche Erkenntnis stellte sie mit fast unbeteiligter Nüchternheit fest.

„Was treibt sich jemand wie du so ganz alleine hier draußen herum? Hast du dich vielleicht verlaufen?“ höhnte der Dämon und verstärkte den Druck, den er mit seinem Fuß auf ihren Rücken ausübte. Ein halb unterdrückter Schmerzensschrei entrang sich ihren trockenen Lippen, als sie ihre Wirbelsäule auf Grund dieser Belastung protestieren spürte. Tiefer drückte er sie in den Schlamm, nahm ihr dabei auch die Luft zum atmen, da sie ihren Brustkorb nicht mehr Heben, nicht mehr einatmen konnte.

„Menschliche Kreaturen sind so schwach. Sie gehen so schnell kaputt, wenn man mit ihnen spielt…“, kicherte der Akuma vergnügt und steigerte den Druck wieder. Der Schmerz schien geradezu in ihrem Rücken zu explodieren, fraß sich glühend heiß durch ihren Körper wie eine Feuerwalze und formte einen ohrenbetäubenden Schmerzensschrei, den selbst Wind und Donner nicht zu übertönen vermochten.

„Schrei so viel zu willst. Niemand wird dich hören, niemand wird sich retten…“, säuselte der Level 3 Akuma und war im begriff die Exorzistin wie ein lästiges Insekt unter seinen Füßen zu zerquetschen, doch irgendetwas hinderte ihn daran diese einfache Bewegung auszuführen.

Er konnte sich plötzlich nicht mehr bewegen, als hätte ihn eine Spinne mit ihren klebrigen Fäden eingewickelt. Die „Spinne“ entpuppte sich als 1.89m großer, breitschultriger Hüne mit grimmigen Gesichtsausdruck.

//Marie…// dachte Samantha erleichtert, doch dieses Gefühl hielt nicht lange vor, verschwamm ihre Welt doch schon im Rauschen, Heulen und Donnern, das alles andere verschluckte. Gnadenvolle Schwärze senkte sich auf sie herab, als angstvolle Erschöpfung und brennender Schmerz sie in die erlösende Bewusstlosigkeit hinab zogen.
 

Als Marie aufgefallen war, dass Samantha nicht mehr an seiner Seite war, hatte er sofort versucht sie mit seiner Innocence zu lokalisieren, bevor Kanda wieder einer seiner äußerst gefürchteten Wutanfälle bekam, doch Sturm und Donner, sowie andere Hintergrundgeräusche hatten seine Suche erschwert, bis auch die anderen das Fehlen ihres französischen Schützlings aufgefallen war. Kanda war wie zu erwarten ausfallend geworden.

„Tch, ist doch immer das Gleiche mit ihr…Kaum lässt man sie auch nur für einen Augenblick aus den Augen, schon stellt sie Blödsinn an…“, hatte Kanda zornig geknurrt und auf einen Wink von Marie gewartet, wo sich Samantha aufhielt, damit er ihr gehörig seine Meinung geigen konnte, doch Marie hatte nur schlechte Nachrichten gehabt.

„Ich habe sie gefunden, aber ein Level 3 Akuma ist bei ihr…“, hatte der Hüne alarmiert Auskunft gegeben, bevor sich man sich eiligst auf den Weg gemacht hatte, um der Kameradin in Not beizustehen.
 

„Die werden von Mal zu Mal auch immer hässlicher…“, knurrte Kanda, als er sein Schwert blank zog und es mit einem fast liebevollen Streicheln über die noch stumpfe Klinge aktivierte. Mit einem weit ausholenden Hieb machte er kurzen Prozess mit dem Level 3 Akuma, der für einen erfahrenen Veteranen wie ihn keine große Herausforderung mehr darstellt. Kanda hatte schon gegen weit aus Schlimmeres gekämpft.

„Tch, solch ein Abschaum…“, murmelte Kanda nur verächtlich und ließ die schwarze Klinge wieder zurück in die ebenfalls schwarze Schwertscheide gleiten, bevor er sich zu seinen Teamkameraden umwandte. General Tiedoll hatte das bewusstlose, schlammbespritzte Mädchen auf seine Arme gehoben und wies den anderen wie zuvor wieder den Weg.

„Zeit ins Warme und Trockene zu kommen…“, murmelte er, da sie inzwischen alle bis auf die Knochen durchnässt und durchgefroren waren.

Sowohl Kanda als auch Marie hielten während ihrer weiteren Reise die Augen bzw. Ohren wachsam offen, um für einen weiteren, überraschenden Angriff gewappnet zu sein, doch sie erreichten unbehelligt das kleine, japanische Dorf, in dessen gemütlichen Gasthaus sie dank ihrer Reservierung unterkamen. Die nächste Überraschung ließ jedoch nicht lange auf sich warten.

„Was soll das heißen, es gibt nur zwei Zimmer?“ bellte Kanda wütend, nachdem er seine rechte Hand empört auf den Empfangstresen hatte niederfahren lassen, der nun einige hässliche Risse in dem alten, acht Zentimeter dicken Massivholz aufwies, das die Oberseite des Tresens ausmachte.

„Es tut mir furchtbar Leid, aber so lautet die Reservierung…“, versuchte die eingeschüchterte Empfangsdame die nächtlichen, durchnässten Gäste zu beschwichtigen.

„Dann ändern sie diese eben…“, schnappte Kanda bärbeißig, während eine zornig Ader bedrohlich an seiner Stirn pochte, ein sicheres Zeichen für seine nur mühsam zurückgehaltene Wut.

„Das geht nicht…Wir sind bereits vollkommen belegt…“, piepste die unglückliche Empfangsdame, die vom Tresen bzw. dem wutentbrannten Gast zurückgewichen war.

„Danke, wir nehmen sie. Marie, lass dir die Schlüssel geben…“, mischte sich General Tiedoll mit nüchterner Stimme in den sinn- wie fruchtlosen Streit ein. Seine sonst so väterliche, warmherzige Stimme, ließ eben diese menschliche Wärme nun vermissen, da die Sorge um seinen jüngsten Schützling zurzeit das dominanteste Gefühl in ihm war.

Wortlos begab man sich mit vor Nässe triefenden Umhängen und schlammbespritzten Stiefeln in den zweiten Stock, an dessen linkem Korridorende die beiden, kleinen Doppelzimmer lagen.

„Yuu, du kümmerst dich um Samantha, während ich über Golemfon Bericht erstatten gehe…“, gab General Tiedoll Anweisung, nachdem er das Mädchen im ersten Zimmer behutsam auf eines der beiden Einzelbetten niedergelegt hatte. Mit dieser Anweisung machte der alte General zwei dinge unmissverständlich klar, erstens, Kanda würde sich mit Samantha ein Zimmer teilen müssen und zweitens, er würde für sie sorgen müssen. Natürlich wollte Kanda protestieren, doch der eindringliche, ernste Blick, den Tiedoll seinem japanischen Schüler über den Rand seiner Brille hinweg zuwarf, duldete keinen Widerspruch, sodass sich Kanda widerwillig in sein Schicksal fügen musste.

Mit seiner ungeliebten, bewusstlosen, sowie verletzten Kameradin allein gelassen, hatte Kanda keine andere Wahl, als sich ihrer zu erbarmen, allerdings war er niemand mit großem medizinischen Wissen, wie Lavi oder Bookman, sodass eine medizinisch Versorgung auch schon allein durch den Mangel an entsprechender Ausrüstung auf das Minimum reduziert war. Bevor er sich allerdings darum kümmern konnte, musste er sich und sie erst aus den nassen, triefenden Klamotten schälen.

Mit wenigen, geübten Handgriffen hatte er sich von der tropfenden Kleidung befreit, trocknete sich nur mit einer frischen Shorts bekleidet den regennassen Körper ab und schlang sich dann das Handtuch wie eine exotischen Turban um das nasse, fast nachtschwarze Haar. Ein zweites Handtuch legte er neben Samanthas Bett bereit und machte sich dann daran sie aus ihrer durchnässten Uniform zu zerren, wobei die feuchte Kleidung widerspenstig an ihrer ebenso feuchten Haut kleben blieb.

Gut, dass er nicht so brisant wie andere Männer auf das andere Geschlecht abfuhr, ansonsten wäre diese heikle Aufgabe nichts für ihn gewesen.

//Warum muss ausgerechnet ich mich um sie kümmern? Baka-Usagi ist eindeutig besser für so etwas geeignet…// schmollte Kanda und wünschte sich den frechen Rotschopf herbei, damit er ihn von dieser undankbaren Aufgabe erlösen konnte. Der Japaner war nicht allein mit diesem Anliegen.

„L-Lavi…“, murmelte Samantha schwach, wachte zu Kandas Glück jedoch nicht auf, da er sich gerade daran machte ihr den BH auszuziehen.

//Was ist das für ein Mist?// grollte Kanda, als er sich mit dem Häkchenverschluss des BHs abmühte, schließlich kam es nicht jeden Tag vor, dass er ein Mädchen bis auf die nackte Haut entblößte. Nachdem auch das letzte Kleidungsstück entfernt war, machte er sich daran ihren Körper mit dem bereitgelegten Handtuch zu trocknen. Mehr rasch als wirklich effizient übte er diese Aufgabe aus, da ihm jede Berührung mit ihr zuwider war, als hätte sie eine ansteckende Krankheit. Wenn es nach ihm ginge, dann WAR sie eine Krankheit.

Als er schließlich zu der medizinischen Versorgung überging, fiel ihm auf, wie flach und gequält sie eigentlich atmete. Eine Zeit lang beobachtete er das schwerfällige Heben und Senken ihres Brustkorbes, bevor er dann mit dem Daumen seiner rechten Hand ihren flatternden Puls an ihrem linken Handgelenk erfühlte.

//Sie braucht professionellere Hilfe…// wurde dem Japaner spätestens nach diesem Befund klar. Nachdem er sie mit einer dicken Decke wärmend zugedeckt hatte, stürmte er in frischer, trockener ersatzuniform hinab zum Empfang, wo General Tiedoll immer noch mit der englischen Abteilung des schwarzen Ordens bzw. dessen Leiter, Komui Lee, telefonierte.

„Bestellen sie Lavi und Bookman hierher…“, war alles, was Kanda seinem verdutzten Lehrmeister zu sagen hatte, bevor er auch schon wieder auf dem Absatz kehrt machte, um bis zum Eintreffen der beiden „Sanitäter“ weiter über das verletzte Teammitglied zu wachen. Das war das Mindeste, was er in der Lage war zu tun. Er war Kämpfer, kein Arzt. Er kümmerte sich auf seine Weise um die Verletzten, nämlich indem es nicht zuließ, dass es welche gab.

In diesem speziellen Fall war seine Rechnung leider nicht aufgegangen, was ihn zusätzlich missmutig stimmte. Er hasste es Fehler zu machen.

Wieder oben im Zimmer angekommen, stiefelte er unruhig von einem Ende des kleinen Zimmers zum anderen, bevor ihm das zu dumm wurde und er sich von dem kleinen Tisch, den ihr gemeinsames Zimmer beherbergte, einen Stuhl ans Bett heranzog. Es würde gewiss nicht allzu lange dauern, bis Bookman und sein Schüler in Hajimoto eintreffen würden, immerhin erlaubte die Benutzung der Arche den fast zeitgleichen Wechsel von einem ort zum anderen, egal wie groß die tatsächliche Entfernung zwischen den beiden Punkten war.

//Verdammt, was brauchen die so lange?// knurrte Kanda entnervt, da sich vor allem während des aktiven Wartens die Zeit bis ins Unendliche zu dehnen schien. Grimmig musterten seine nahezu schwarzen Augen das französische Mädchen, das eindeutig Schwierigkeiten beim Atmen hatte. Fieberhaft überlegte er mit zusammengefalteten Händen, ob er etwas tun konnte, um ihr das Atmen zu erleichtern, da sein schlechtes Gewissen ihn bei ihrem verletzlichen Anblick gehörig zwickte. Wenn er besser auf die Acht gegeben hätte, dann wären weder er noch sie Teil dieser dämlichen Situation.

Ungeduldig trommelten die Finger seiner rechten Hand auf die Armlehne des Stuhles, von dem er wie elektrisiert aufsprang, als es plötzlich an der Tür klopfte, die sich auch sogleich daraufhin öffnete.

„Da sied ihr ja endlich, hat auch lange genug gedauert…“, grummelte Kanda ungehalten und schien fast fluchtartig den Raum zu verlassen, als könnte er es nicht länger ertragen mit Samantha in einem Raum zu sein. Vielleicht war es aber auch so, dass er nicht vor der Person an sich, sondern vor der ihm auferlegten Verantwortung für diese entfloh.

Lavi sah dem flüchtenden Japaner für einen Augenblick mit verwundert hochgezogener Augenbraue nach, bevor er sich zu seinem Lehrmeister an das Bett der bewusstlosen Patientin begab. Der alte Bookman hatte bereits die wärmende, schützende Bettdecke ein Stück zurückgeschlagen, um mit der Untersuchung zu beginnen. Lavi, der ihm wie üblich dabei assistierte, hatte seine ganz eigenen Schwierigkeiten zu atmen, steckte ihm beim Anblick der alten Freundin doch ein schwerer, schmerzhafter Kloß im Hals.

Fast einen Monat lang hatte er sie nicht gesehen, hatte sich immer wieder Vorwände gesucht, um ihr nicht begegnen zu müssen, da er trotz Allens und Linalees Zuspruch immer noch vor einer Konfrontation mit ihr zurückschreckte. Als er hier vor Ort den Grund für ihren plötzlichen, fast überstürzten Aufbruch erfahren hatte, hatten so viele unterschiedliche, schmerzhafte Gefühle ihn aufgewühlt und taten es immer noch. Da war seine Sorge um ihr Wohlbefinden, sein schlechtes Gewissen, das ihn nach wie vor plagte, seine heimliche Zuneigung zu der Franzosin und noch vieles andere, das ihm zu schaffen machte.

//Wenn ich sie nur umarmen könnte und alles wäre vergeben und vergessen…//wünschte er sich in Gedanken während er seinem Lehrmeister das Akkupunkthur-Set reichte, das wichtiger Bestandteil der medizinischen Ausrüstung des alten Mannes war.

Lavi erstaunte es immer wieder, welch beachtlichen Wirkungen man mit dem richtigen Setzen dieser feinen Nadeln erreichen konnte. Gezielt piekste Bookman sie an speziellen Knotenpunkten auf Oberkörper und Dekolleté, um die angespannte Muskulatur zu entlasten und so dem Mädchen das Atmen zu erleichtern.

„Richte sie auf, damit ich mir den Rücken ansehen kann…“, wies der alte Mann seinen Schüler mit routinierter Stimme an. Sogleich bezog Lavi gehorsam am Kopfende des Bettes Stellung und schob dem bewusstlosen Mädchen seine Arme unter den Achseln durch, sodass er sie aufrichten und halten konnte. Als er dies tat, fiel ihm der sich inzwischen langsam bläulich-violett verfärbende Abdruck in Höhe der mittleren Brustwirbel auf. Es war ein blauer Fleck von gewaltigem Ausmaß, einem großen Fußabdruck nicht unähnlich, wobei die Konturen jedoch nicht ganz so scharf waren.

„Wie ich vermutet hatte. Die Atembeschwerden kommen vom Rücken her. Der Bluterguss zeigt nur zu deutlich, wie viel Kraft hier einwirkte…“, murmelte Bookman und tastete fachkundig die schmale Wirbelsäule ab, ob diese beschädigt worden war. Einer der unteren Brustwirbel war auf Grund der hohen Belastung die auf den Rücken und seine „Stütze“ eingewirkt hatte, ein Stück aus der regulären Position herausgerutscht, doch das ließ sich zum Glück gleich vor Ort wieder richten. Er gab Lavi Anweisungen wie genau er sie zu halten hatte, damit er den Wirbel wieder zurück an seine ursprüngliche Position rücken konnte.

Ein lautes, hässliches Knacken ertönte, als der Wirbel zurück an seinen Platz sprang und der Körper des bewusstlosen Mädchen bäumte sich leicht in Lavis Griff auf, anscheinend waren die Schmerzen während dieser kurzen Prozedur groß genug, um sie selbst in ihrer Bewusstlosigkeit zu erreichen und veranlasste ihre Muskeln und ihren ganzen Körper sich zu verkrampfen, bevor sie wieder erschlafften, als hätte man einer Marionette die Fäden durchgeschnitten. Um den beanspruchten Rücken zu schonen und zu unterstützen legte der alte Bookman einen strammen Verband um diesen an, achtete aber darauf sie dabei nicht zu sehr in ihrer Atmung einzuschränken. Zufrieden mit der Versorgung packte er die Sachen wieder zusammen und überließ es Lavi die versorgte Patientin zu überwachen, während er selber hinab ins Erdgeschoss ging, um die anderen von dem Zustand ihres Teammitgliedes in Kenntnis zu setzen.

„Wie geht es ihr…?“ fragte General Tiedoll sogleich nach. Kaum, dass er den alten Mann auf der Treppe erspäht hatte, war er von dem Strohsessel aufgesprungen, indem er unruhig auf Neuigkeiten gewartet hatte.

„Ein verrutschter Brustwirbel und leichte Atembeschwerden durch die starke Krafteinwirkung auf den Rücken…jedoch nichts Lebensbedrohliches. Ein paar Tage strenge Bettruhe und die Sache hat sich erledigt…“, gab der alte Mann Auskunft, bevor er sich am Empfang nach zwei Futons erkundigte, da Bookman und Lavi bis zum Abschluss der hiesigen Mission bei ihnen bleiben würden, schon alleine um auf Samantha aufzupassen.

General Tiedoll brach ob der guten Nachrichten in Freudentränen aus, das Gesicht in den Händen geborgen.

„Hör auf rumzuheulen, alter Mann, sie lag ja nicht im Sterben…“, regte sich Kanda über diesen seiner Ansicht nach völlig übertriebenen Gefühlsausbruch seines Lehrmeisters auf, aber das war einfach zu typisch für den gefühlsduseligen General, der seine Schüler liebte, als wären es seine eigenen Kinder, als welche er sie oft zum Verdruss dieser behandelte.

Kurz sprach man noch die neue Raumbelegung ab, bevor man sich allgemein eine gute Nacht wünschte und sich auf die jeweiligen Zimmer zur Ruhe begab, das Ende eines aufregenden Tages.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  35M3R0D
2009-10-13T21:26:49+00:00 13.10.2009 23:26
Sam ist also schon weider verletzt. Naja, besser als wenn sie die über-Helding wäre, die gleich beim ersten Versuch alles auf die Reihe kriegt. So ist es auf jeden Fall realistischer. Zudem hatte diese Verletzung wohl den Zweck einerseits Kanda dazu zu bringen sich Gedanken über Sam zu machen und gleichzeitig auch wieder eine Begegnung mit Lavi herbeizuführen...


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