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Hasentage: Outtake 3 und 4

von

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Isa und Lukas - November

Isa und Lukas
 

Es war nicht das erste Mal, seit sie in dem fremden Haus lebte, dass sie mit dem Jungen, Isabelle berichtigte sich, ihrem neuen Bruder, alleine am Abendtisch saß und was Aufgewärmtes aus der Tiefkühltruhe aß. Er schien genau wie sie viel weg und draußen zu sein und sich ebenfalls über was Warmes am Abend zu freuen. Naja, wenn sie ehrlich war zeigte er überhaupt keine Regung. Und dass ihm die ganze Situation gehörig gegen den Strich ging war nur am ersten Tag deutlich sichtbar gewesen. Da hatte sie dann doch Angst gehabt, dass er sie verprügeln würde oder so, aber er hatte nur grimmig mit ihr ihre Sachen in ihr neues Zimmer getragen. Mittlerweile hatte sie auch rausbekommen, dass sie das alte Arbeitszimmer von Lukas Vater bewohnte, der vor noch gar nicht langer Zeit gestorben war.
 

Dass Lukas sie und ihren Vater nicht leiden konnte, konnte sie sonderbarer Weise sogar verstehen, und so versuchte sie gar nicht erst sich ihm irgendwie aufzudrängen. Und wirklich Zeit hätte sie eh nicht gehabt. Sie hatte doch wieder die Hauptrolle in ihrer Ballett-Gruppe. Sie würde den Prinzen im Schwanensee tanzen dürfen! Nur dass ihre Ballett-Schule jetzt am anderen Ende der Stadt war, war gelinde ausgedrückt, Megascheiße. Fast 3 Stunden gurkte sie jetzt 2 mal die Woche dahin und zurück, und dass, obwohl ihr Vater nicht weit weg arbeitet und sie wenigstens mit zurück nehmen konnte. Aber nein, er hatte nur gesagt, Ballett ist jetzt gestrichen, zu weit weg. 'Such dir doch was anderes!' Ha ha, guter Witz. Nicht wenn man zum 4. Mal in Folge die Hauptrolle angeboten bekam.
 

Manchmal wurde Isabelle von einer Mutter ihrer Freundinnen ein Stück mitgenommen, dann kam sie noch im hellen Heim, doch meistens war es Abends, wenn sie an dem fremden Haus, ihrem neuen Zuhause ankam. Ihr Vater merkte nie, dass sie nicht da war wenn er Nachmittags heim kam. Der war doch ständig mit dieser Mutter von dem Jungen irgendwo unterwegs. Und diesem… Lukas… war sie eh egal. Doch das waren alles Sachen, mit denen kam sie irgendwie noch klar, sie hatte ihre Freundinnen beim Ballett, die mochten sie, da fühlte sie sich zu Hause.
 

Das einzige, was wirklich nervte, waren diese Mittagessen. Ihr Vater und die Frau bestanden darauf, dass sie alle family-like am Mittagstisch saßen. Doch dazu hätten sie sie auch mit ihnen unterhalten müssen, Interesse an ihnen zeigen müssen, meinetwegen auch nur vorheucheln, und nicht so schnell es geht das Essen in sich hineinschaufeln um dann abzuhauen und ihr und Lukas den Abwasch zu überlassen.
 

Einige Tage lies Isabelle diese Mittage über sich ergehen, dann hielt sie es nicht mehr aus. Sie begann zu reden, nur um des Redens willen. Scheiß egal was, es hörte ja doch keinen zu. Das Wetter war grad ein super Thema, jeden Tag waren die Bäume bunter und ihr fiel was ein, was man so rumlabern konnte. Und wenn ihr nichts mehr einfiel redete sie halt übers Ballett. Vielleicht, vielleicht bekam ihr Vater ja doch mit, dass am ersten Advent ihr großer Tag war. Isabelle hoffte es doch so sehr, schließlich war er ja immer noch das einzige bisschen Familie, dass sie hatte.
 

Nach ein paar Wochen spürte sie eines Mittags ein kritischen Augenpaar sie mustern. Als sie hochsah blickte Lukas weg, zu ihren Eltern und musterte die genauso. Dann huschte ein leichtes Grinsen über sein Gesicht, doch sagen tat er nichts. Erst jetzt viel Isabelle auf, dass sie wohl schon zum tausendsten Mal erklärt hatte, dass sie den Sigfried im Schwanensee tanzen würde. Ach ne… der Bengel hörte ja doch zu! Und hatte sehr wohl bemerkt, dass sie sich andauernd wiederholte...
 

Die Tage vergingen und Novemberende rückte bedrohlich näher. Isabelle hatte sich mittlerweile damit abgefunden, dass sie sich am Sonntag wohl alleine durch die Stadt schlagen musste. Nach einem Mittagessen stürmte sie nicht gleich in ihr Zimmer um ihre Sporttasche zu holen sondern blieb noch kurz bei Lukas. „Du, eine Frage….“ Den abwartenden Blick, den Lukas ihr darauf hin zuwarf deutete sich einfach mal als Aufforderung weiter zu reden. „Wenn ich Sonntags auf 12 Uhr in Palenburg sein muss, wann muss ich dann hier weg und auf welchem Weg?“ Lukas antwortete nicht. Er stand auf, ging ins Wohnzimmer und kam kurz darauf mit einer Karte des Verkehrsverbundes zurück. Diese breitete er vor ihr auf dem Küchentisch aus. „Hier sind wir…“ er zeigte auf die Karte. „Du musst bis hier hin laufen…“ sein Finger rutschte über die Häuserzeilen „…da steigst du ein in die 352. Die kommt aber verdammt selten und unregelmäßig, dafür aber auch am Wochenende. Damit fährst du dann bis ins Industriegebiet Neustett, und den Rest musst du wieder laufen. Plan mal 2 bis 2,5 Stunden ein für einen Weg.“ Und damit lies er sie alleine, den großen Busplaner bereits auf der richtigen Seite aufgeschlagen.
 

Resignierend lies Isabelle die Schultern hängen. Ein Mal, ein einziges Mal könnte ihr Vater sie doch wenigstens fahren, doch als sie ihn heute Mittag direkt gebeten hatte, hatte er nur wissen wollen, warum sie denn jetzt, nach 2 Monaten auf einmal wieder bei ihrem Ballett aufkreuzen wolle.
 

Es wurde Sonntag und um kurz nach acht verließ Isabelle voll beladen und im Wanderoutfit das Haus. Wechselkeidung und Schuhe waren zu unters im Rucksack, Kostüm und Ballerinas weiter oben, damit nichts zerknittert. Das Duschzeug musste heute halt in ne extra Tasche. Dass sie beim Mittagessen fehlen würde war ihr egal. Mehr als den Flyer der Aufführung, auf dem sie namentlich in der Hauptrolle erwähnt war, auf den Küchentisch zu legen und das Datum einzukringeln konnte sie jetzt wirklich nicht mehr machen. Ihr war völlig klar, dass ihr wesentlich mehr als nur Hausarrest drohte, wenn sie heute Abend irgendwann wieder zurückkommen würde.
 

Pünktlich 20 Minuten bevor sie alle zur Generalprobe dazusein hatten stapfte Isabelle in die Garderobe des Theaters. Die lieben Spötteleien von wegen ob sie umziehen wollte und so überging sie einfach. Und ein Gutes hatte der Marsch dann doch gehabt, sie war als einzige richtig aufgewärmt, als sie in der noch eiskalten Halle die letzte Probe absolvierten. Ein paar Pannen passierten, das war gut, dann würde die Aufführung nämlich perfekt werden.
 

Dann kamen langsam die ersten Eltern und auch Isabelle wurde gefragt, wo denn ihr Vater bliebe. Eine einsame Träne lief ihre Wange entlang, als sie ihrer Freundin zugeben musste, dass er nicht kommen würde. Auch ihre Trainerin kam jetzt dazu und Isabelle konnte es nicht mehr verheimlichen. Sie gestand, dass ihr Vater ihr bereits seit dem Umzug nicht mehr das Ballett erlaubt, weil‘s ja so weit weg seie. Und dass die die 3 Monate Kündigungsfrist einfach gnadenlos ausgenutzt hatte und heimlich gekommen war. Doch viel Zeit zum Heulen und Jammer blieb keinem. Die Vorstellung begann!
 

Es war inmitten des 3. Akts, Isabelle musste gerade dekorativ am Rande der Bühne herumstehen, als sie in einer der vorderen Reihen einen Jungen bemerkte, der ihr seltsam bekannt vorkam. Dieser schaute absolut desinteressiert dem Treiben auf der Bühne zu. Als sein Blick über die Kulisse schweifte und auch sie berührte erkannte Isabelle den Jungen. Es war Lukas! Und wenn Lukas da war, dann hieß das, dass auch ihr Vater da sein musste. Ihr Herz tat einen Hüpfer.
 

Doch Isabelle kam nicht mehr dazu, sich besser im dunklen Saal umzusehen, sie war wieder dran. Und bis zum Ende des Stückes war sie auch zu gefordert, als dass sie Zeit für solche Ablenkungen wie im Publikum herumgucken gehabt hätte. Sie wollte ihre Rolle doch perfekt machen. Denn dass das das letzte Mal in ihrem Leben sein würde, wo sie in einen Aufführung auf der Bühne stehen würde, das war ihr klar. Es gab Dinge, die ließ ihr Vater einfach nicht durchgehen, und das hier war eines davon.
 

So lange die ganze Vorbereitung und Aufregung auch gedauert hatte, so plötzlich war die Aufführung vorbei und hinter dem roten Vorhang verschwand der applaudierende Saal zum letzten Mal. Flink rannte sie mit den anderen in die Umkleide wo jede von ihnen von Mama oder Papa in die Arme genommen wurde. Nur ihr Vater lies sich nicht blicken. Naja, er hatte sich ja auch schon lange nicht mehr in ihrem Zimmer blicken lassen. Nur bis zur Türe aber nicht weiter, Privatsphäre war ihm sehr wichtig.
 

Schneller als alle anderen war Isabelle geduscht und hatte ihre Sieben-Sachen zusammengepackt. „Ich bin dann weg, ich werd doch abgeholt!“ rief sie in die Runde und rannte aus der Garderobe in den Gang hinein. Eine Ecke weiter wurde sie von Lukas aufgehalten. „Brauchst dich nicht zu hetzten. Die sind eh nicht da.“ Kam es spröde von im. Er nahm ihm den schweren Rucksack ab und hielt ihr eine Öljacke hin. „Zieh die noch drüber, es pisst wie Sau.“ Er selber schlüpfte in ein ebenso hässliches, gelbes Exemplar, das nur ein bisschen kleiner war als die die sie mechanisch angezogen hatte. „Pass gut drauf auf, die gehörte meinem Vater.“ Isabelle Tasche mit dem Duschzeug stopfte er in seinen eigenen, jetzt freien Rucksack.
 

Wie paralysiert sah Isabelle ihm zu. Was wollte Lukas? Was tat er hier? Und wo war denn bloß ihr Vater? „Wo ist Papa?“ fragte sie leise, ungläubig. „Keine Ahnung, die sind um 4 mit dem Wagen abgedüst. Ich solle ordentlich abschließen, es könnte spät werden, war alles was Ma gesagt hat. Und jetzt komm, der Weg ist echt weit im Dunkeln.“

Willenlos folgte Isabelle dem Zug an ihrer Hand. Im Freien angekommen hatte Lukas von irgendwo her einen großen Regenschirm, den er über sie beide hielt. Lukas führte sie zu seinem Fahrrad, seinen Rucksack klemmte er auf dem Gepäckträger. „Steig auf und halt den Schirm, ich schiebe. Du hast dir ne Pause verdient. Aber wir wechseln ab!“
 

Das Theaterhaus war schon lange nicht mehr zusehen als Isabelle wieder in der kalt-nassen Realität angekommen war. „Aber warum bist du dann hier?“ fragte sie zögerlich. „Weil du ne Hauptrollen in nem gar nicht so unbekannte Kinderballet gespielt hast.“ antwortet Lukas sofort und blieb stehen. „Absteigen! Wechseln, du bist schwer!“
 

Isabelle kletterte vom Rad und übergab Lukas den Schirm. Jetzt wo sie das Rad schob merkte sie, wie doll es tatsächlich regnete und sie war um die Öljacke mehr als dankbar. Da hatte sie ja echtes Glück gehabt, dass es am Morgen noch trocken gewesen war. Nach zwei Laternen hieß Lukas sie dann anzuhalten und forderte den Rucksack, den sie immer noch trug zu sich. Und sie musste ihm Recht geben, so schob es sich viel besser.
 

Es kam Isabelle vor, als wäre sie grade eben erst weitergelaufen, da bestimmte Lukas wieder nen Wechsel. Sie bekam den Rucksack zurück und nun durfte sie wieder den Schirm über sie beide halten. Und hatte jetzt auch wieder genug Atem um Lukas weiter zu fragen, was sie noch immer beschäftigte. „Das wir so gut sind, woher weist du das? Interessierst du dich etwa für Ballett?“ Das ‚Neee‘ kam so verächtlich, wie schnell und machte Lukas Meinung mehr als deutlich. Jetzt erst recht verwundert musste Isabelle diese letzte Frage einfach stellen: „Aber warum bist du dann gekommen?“ Lukas hielt an und schaute ihr, wohl zum ersten Mal, direkt in die Augen. „Weil es dir wirklich wichtig war.“ Kam die Antwort kurz und nüchtern.
 

Klappernd fiel der Schirm zu Boden. Diese Bengel hatte geschafft, was selbst ihr Vater über Jahre hinweg nicht erkannte hatte. Er hatte mitbekommen, was sie wirklich bewegte. Er hatte sie verstanden! Auch wenn er immer so abweisend getan hatte. Ein dicker Kloß bildete sich in ihrem Hals, als Lukas sie bat sich grad mal am Zaun festzuhalten. Er bückte sich und hob den Schirm wieder auf. „Also ich hab keinen Bock darauf, mehr als nötig nass zu werden…“ Er hielt der Schirm wieder über sie und sah sie auffordernd an. Langsam griff sie danach und ihre klammen Finger striffen leicht über Lukas heißen Handrücken. Ein paar Tränen liefen unbemerkt zwischen dem Wasser aus ihren Haaren über ihre Wangen.
 

„Weist du, wie du grad aussiehst?“ hörte sie Lukas dann fragen. Isabelle schüttelte den Kopf. 'Wie ein begossenen Pudel? Verheult?' fragte sie sich spöttisch selber. Die Antwort wollte sie eigentlich gar nicht wissen. „So als ob du schon ewig nicht mehr in den Arm genommen wurdest…“ Lukas legte den Kopf schief und griff vorsorglich noch Mal nach dem Schirmgriff.
 

Wie machte der das bloß? Erst wochenlang nichts, und dann innerhalb von ein paar Minuten war ihr so, als würde er in ihr Innerstes sehen. Das Bild von Lukas Gesicht verschwamm vor ihren Augen. Nur die warme Hand auf der ihren war deutlich zu spüren. Das Fahrrad neigte sich leicht und ein Arm legte sich sanft um ihren Oberkörper. Auch Isabelle legte ihren freien Arm um Lukas und jetzt konnte sie nicht mehr. Sie war doch nicht so stark, wie sie sich die letzten Monate immer eingeredet hatte. Sie war einsam und verletzt und hatte nie wegziehen wollen und erst recht keine neue Familie, die sie nicht mochte. Tränen liefen ihr über die Wangen und tropften auf Lukas Öljacke.
 

Wie lange sie so standen hätte keiner von ihnen sagen können. Als Isabelle sich langsam wider aufrichtete spürte sie zu ihrer Verwunderung ein paar Regentropfen ihren Hals entlang laufen. Aber dabei hatte sie doch die Kapuze noch aufgehabt. Sie hatte doch nur Lukas im Arm ge…
 

Er musste auch geweint haben! Lukas war wohl genau so allein wie sie. Isabelle streckte den Rücken durch. Ne, das war wirklich nichts, sich so von nem Fahrrad runterzubeugen. „Du bist klein!“ kommentierte sie. „Na komm lass uns heim, da ist’s wenigstens trocken und warm.“ Noch im Losschieben knurrte Lukas zurück „Ich bin nicht klein, nur noch ein bisschen kurz, ...Isa!“
 

Isa! So hatte man sie noch nie gerufen. Ihr Vater hatte allen immer klargemacht dass seine Tochter Isabelle hieß und das Abkürzungen nicht schicklich wären. Isabelle grinste. „OK, Kurzer!“ In schönster Kleinkindmanier bekam sie die Zunge von Lukas zu sehen. „Isa!“
 

„Kurzer!“
 

„Isa!“
 

„Kurzer!“
 

„Isa!“
 

„Kurzer!“
 

„Kannst du eigentlich Kochen?
 

Hä? Was sollte den diese Frage jetzt? „Nö, du etwa?“ fragte sie Lukas zurück.
 

„Scheiße! Die ham uns nämlich nichts im Tiefkühler dagelassen.“ Lukas sah sie an und Isabelle schaute zurück. Und musste anfangen zu lachen. Und Lukas stimmte mit ein.



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