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My Dear Brother

The Vampires
von

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Verdammter Flug

Freitag früh morgens: Ich kullerte aus meinem Bett und stieß mir heftig den Kopf an meinem Pseudo-Schrank, zog mir meine Uniform raus und zog sie mir im Halbschlaf an. Ich schlurfte in meiner morgendlichen Gereiztheit ins Bad, welches natürlich durch meine Mutter besetzt wurde.
 

»Mom, mach das Bad frei«, brummte ich durch die Tür, während ich gegen sie hämmerte.

»Eine Minute wirst du ja wohl noch warten können«, rief sie aus dem kleinen Raum. »Auf dem Esstisch steht schon was zu essen.«
 

Langsam, aber sicher, schlurfte ich mit meinen schwarzen Pantoffeln zum Esstisch in unser riesiges Wohnzimmer. Ich ließ mich auf einem der Lederimitat-Stühle fallen und stocherte in meiner Cornflakes-Schüssel rum. Heute war es soweit. Heute war der Tag, wo ich zu meinem Vater flog. Ich war aufgeregt. Und zwar richtig. Ich hätte es kaum für Möglich gehalten, aber mein Adrenalin schoss mir in mein Blut und verursachte heftiges Herzklopfen. Schon am frühen Morgen, dabei musste ich noch einen sechs Stunden Schultag meistern. Aber der würde wohl schneller vorbeigehen, als gewollt.
 

Endlich ging die Badezimmertür auf und meine Mutter kam frisch gestylt raus. Sie sah grauenhaft aus. Knatsch roter Lippenstift, blauer Liedschatten, dicker Liedstrich drauf und noch eine Meterschicht aus Make-up.
 

»So, du kannst jetzt rein, Schatz. Ich bin dann weg«, begrüßte sie mich, wie jeden Morgen, und gab mir einen Kuss auf die Stirn. Dann verschwand sie aus unserem Palast und schloss laut die Tür. Seufzend ließ ich mich im Stuhl sinken und schaufelte mir weiter die Cornflakes rein. Kurz danach ging ich ins Bad, kämmte mir meine Haare und packte schnell meine Schultasche. Als ich in meiner typischen Hektik aus meinem Zimmer stürmen wollte, vergaß ich, dass mein Koffer ja schon dort stand und flog natürlich schön über ihn gen Boden. Nach ein paar fluchenden Worten, vergaß ich den stechenden Schmerz an meinem linken Arm und rannte weiter aus der Haustür. Ich ließ alles stehen und liegen, wie jeden Morgen, nur um meinen Bus zu bekommen.

Außer Atem rannte ich noch schnell in den Bus und ließ mich neben meinem Kumpel fallen. Es war genau der gleiche, den ich Vorgestern, ohne Vorwarnung, mitgebracht hatte: Jiro. Er hatte schwarze Haare, die ihm über ein Auge fielen. Eigentlich war er sowieso nur in schwarz gekleidet. Manchmal schminkte er sich seine Augen auch schwarz, doch er sah immer ganz genau an meinem Blick, dass ich das etwas übertrieben fand. Aber wer’s mag?
 

»Na, wieder zu spät aufgestanden?«, fragte er mit einem breiten Grinsen, sichtlich darüber amüsiert, dass ich fast gestorben wäre.

»Schuld allein ist meine Mutter.«

»Wie immer.«

»Genau.«
 

Dann schwiegen wir. Er hörte seine Musik und ich meine. Gespräche dieser Art sind normal. Wenn jemand was zu sagen hat, dann soll er halt nerven und es sagen. Da wir beide Morgenmuffel waren, waren wir demnach auch schlecht drauf. Der letzte Tag in der Woche, auch noch vor den Ferien, war sowieso immer sehr schwer. Besonders, wenn es mein letzter Tag hier war. Ich hatte niemandem bis jetzt davon erzählt, aber Jiro musste sich wohl unbedingt unterhalten:
 

»Was machst du in den Ferien?«, fragte er, sichtlich desinteressiert.

»Ich fahr zu meinem Vater.«

Sofort stieg das Interesse.

»Zu deinem Vater?« Er klang sehr ungläubig.

»Ja, so was hab ich auch. Meine Mutter ist nicht alleine Schuld an der Sache mit mir.«

Er seufzte kurz und schüttelte den Kopf.

»Das meine ich nicht. Du hast ihn doch noch nie gesehen, oder?«

»Ja, schon, aber es gibt immer ein erstes Mal.« Ich musste gähnen und hoffte natürlich innerlich, dass ich damit das Gespräch beenden konnte. Immerhin zeigte ich ihm gerade das Ausmaß meiner Müdigkeit, welches sich kaum in Worte fassen ließ, so gewaltig war es.

»Und? Bist du aufgeregt?« Er grinste dabei verschmitzt und knuffte mich in die Seite.

»Nein, natürlich nicht. Es ist mein Vater. Er wird schon kein Monster auf acht Beinen sein.«

Oh Gott, ich war so aufgeregt.

»Haha! Natürlich nicht. Sonst sähest du ja auch so aus.«

»Nicht unbedingt, ich kann ja auch nach meiner Mutter kommen.«

»Dann bist du aber zu groß geraten. Oder deine Mutter kniet immer unter ihren Röcken, damit sie kleiner wirkt.«

»Sehr lustig«, meinte ich ironisch und verdrehte die Augen.

»Ich finde schon.« Dabei lachte er über seinen eigenen Witz.

»Wenn, dann hat sie sich operieren lassen. So Kniescheiben wegoperieren. Meine Mutter ist für alles zu haben. Die würde sich auch die Zehen verkleinern lassen, nur um in Designerschuhe, die nur bis Größe neununddreißig gehen, zu passen.«

»Im Ernst?«

»Klar. Es ist meine Mom.«

»Stimmt, ich vergaß.«
 

Ja, meine Mutter war schon bekannt für ihre außergewöhnlichen Angewohnheiten und Vorlieben. Ich kannte keine Mutter, die so drauf war. Sie benahm sich, wie ein Teenager. Mit nur mehr Falten. Viele fanden das lustig und mal »abwechslungsreich«. Das einzige »Abwechslungsreiche« in unserer Familie sind die Schulden, die wegen ihrer schrägen Ideen, die sie dann auch immer ausprobiert, entstehen. Mal sind sie größer, mal sind sie kleiner. Sehr »abwechslungsreich«.
 

Der Bus hielt endlich an unserer Haltestelle. Wir stiegen aus und trafen dann auch meine anderen zwei Kumpels. Roku und Kyo. Beide ebenfalls düster angezogen, genau wie wir. Roku hatte eine grüne Strähne in den schwarzen Haaren und Kyo eine blaue. Manchmal sahen sie aus wie Zwillinge, aber das waren sie ja natürlich nicht. Sie waren so gut miteinander befreundet, dass sie die ganze Zeit miteinander rumhingen. Manche sagten immer, sie seien schwul. Waren sie aber nicht. Ihre Freundschaft war halt einfach nur … etwas enger. Weswegen sie auch die »69«-er genannt wurden. Bekannt ist die Stellung beim »Geschlechtsverkehr« und ist im weitesten Sinne auch gemeint. Roku heißt nämlich »sechs« und Kyo heißt »neun«. Ein lustiger Zufall, den viele für schmutzige Gedanken ausnutzen. Ich bin ehrlich, ich auch. Und Jiro natürlich auch. Den beiden machte das aber nichts aus, die fanden das zwar nicht gerade toll, aber weltuntergangsmäßig auch nicht. So war jeder Glücklich: Wir konnten unsere schmutzigen Gedanken an ihnen auslassen und sie konnten weiterhin Freunde sein. Ein idyllisches Leben, wären da nicht die Mädchen.
 

»Hallo, Jungs«, erschreckte uns eine tiefe Frauenstimme. Es war Fräulein »Unbekannt«. Sie hatte alle möglichen Schmuck in ihrem Gesicht. Dabei meine ich die Piercings, von denen ich nicht wissen möchte, wo sie noch alles welche hat. Sie war nämlich auch nicht die schlankste. Außerdem hatte sie rot gefärbte Haare. Sie trug nur Schwarz und lila. Das lila stach mit ihren Haaren und führte Tag für Tag einen unerbittlichen Kampf mit dem rot aus, um den Preis, wer mehr auffiel. Sie war Fräulein »Unbekannt«, weil niemand ihren Namen kannte. Nur die Lehrer, aber selbst die nannten sie nur noch Fräulein. Unter uns hieß sie Lampe. An den Ursprung für diesen Namen kann sich kein Schwein mehr erinnern, aber sie war Lampe und damit fand sie sich ab. Man konnte so tolle Dinge mit ihrem Namen machen: »Schau mal, die Lavalampe kommt« oder »Sch, Lampe, sei still«. In der Tat war sie so etwas wie eine Schlampe. Nicht nur, weil sie unordentlich war, sondern auch, weil sie mit jedem ins Bett sprang. Und wenn ich sage, mit jedem, meine ich mit jedem. Auch Mädchen. Leider gehörte sie zu unserer Clique und war demnach öfter da als von mir gewollt. Sie war nämlich die Schwester von Roku. Er wusste ihren richtigen Namen. Aber der war so kompliziert, dass wir ihn ganz schnell wieder vergessen hatten.
 

Jedenfalls ging sie mit einer ihrer Freundinnen an uns vorbei und ich betete, dass sie auch wirklich nur vorbeiging. Ich muss nicht erwähnen, dass ich sie nicht ausstehen konnte. Aber alle anderen mochten sie, weil sie so eine lockere Art an sich hatte. Gerade das störte mich. Das war mein Teil und manchmal war sie selbst für meinen Geschmack ein wenig zu locker. Als ihr Portmonee mit dem Geld ihrer Mutter verschwunden war, scherte sie sich einen feuchten Kehricht drum und unternahm nichts dergleichen, es zu suchen. Erst als ein Lehrer das Ding durch Zufall auf dem Gang fand und es ihr wiedergab, bedankte sie sich cool und steckte es wieder weg. Ich glaube, ich wäre gestorben, denn in dem Ding war mehr als viel Geld drin. Es sollte für ihre Großmutter sein, die im Altersheim lag und um etwas Geld gebeten hatte. So was erzählte sie uns ganz offen. Ich würde noch nicht mal Jiro erzählen, dass ich eine Menge Kohle mit mir rumschleppen würde.

Na ja, genug von Lampe. Sie ging nämlich schön brav an uns vorbei, Richtung Schulgebäude. Ich war sichtlich erleichtert, wobei mich der Gedanke an den beschissenen Flug am Nachmittag ganz schnell wieder einholte. Meine Gesichtsfarbe wurde schlagartig blasser als sie eh schon war und meine Augen weiteten sich um das doppelte.
 

»Alles klar bei dir, Hero?«, fragte Jiro, sichtlich verwundert über meine Mutation.

»Alles bestens, ich musste nur grade an den Anfall meiner Mutter denken, wenn sie den Saustall sieht, den ich vorhin hinterlassen habe«, log ich und versuchte meinen Originalzustand zurückzugewinnen. Jiro lachte und winkte ab, dass ich nicht solche Scherze mit meiner Mutter treiben sollte. Roku und Kyo, die es ab jetzt nur noch im Doppelpack gab, grinsten mich beide an und deuteten auf das Schulgebäude. Sofort verschwand das Lachen aus Jiros Gesicht und veränderte sich zu einem grimmigen Ausdruck. Langsam schlurften wir zu unserer Klasse. Wie immer kamen wir zu spät, wie immer die Lehrerin auch.
 

Als der Unterricht nach fünfzehn Minuten Verspätung begann, gehörte meine ungeteilte Aufmerksamkeit mal wirklich der Lehrerin. Ich tat das Unfassbare nur, um auf andere Gedanken zu kommen. Neben mir schwafelte Jiro sich einen zusammen, während ihm, anstatt ich, seine reizende Nachbarin zuhörte. Sie hieß Natasha und ihre Eltern kamen aus Amerika. Eigentlich nicht selten in Japan zu finden, aber sie war eine Klasse für sich. Und das im wortwörtlichen Sinne. Sie war Klassensprecherin, Schülervorsitzende und, wenn sie älter wäre, Elternvorsitzende wohlmöglich auch noch. Denn das ist ihre Mutter. Wenn es um Feste oder Veranstaltungen ging, hatte sie immer die Nase vorne. Es benötigte keine »Arbeits-Gruppen«, es reichte, wenn sie die »Gruppe« war. Im Unterricht meldete sie sich bei jeder Frage, ob sie sie nun beantworten konnte oder nicht. Der Drang, immer im Mittelpunkt zu stehen, war bei ihr wohl mal so groß, dass sie sich nach einer verhauenen Mathematikarbeit im Klo eingesperrt hat und da nicht mehr rausgekommen ist, bis der Hausmeister sie mit einem Brecheisen aus der Klokabine geholt hatte. Natasha war bei uns »Always«. Weil sie »Always« dabei sein musste. Aber leider reagiert sie auf den Namen »Always«, was natürlich dann nicht mehr als Beleidigung gelten kann. Bei Lampe war das was anderes. Manche glauben sogar, sie hat sich den Namen selber gegeben. Aber bei unserer Natasha war es der Drang zur Aufmerksamkeit, auch wenn es der falsche Name war. Hauptsache sie war gemeint. Hauptsache sie.
 

Unsere Lehrerin, die wir grade hatten, war auch unsere Klassenlehrerin. Sie hieß Frau Kain. Sie war noch sehr jung und unerfahren. Ständig bat sie um Ruhe in unserer Klasse, ständig, wenn sie etwas anschrieb, bekam sie etwas an den Kopf geworfen und ständig seufzte sie so laut, als hätte sie grade guten Sex gehabt. Sehr schön, wenn die Klasse danach anfängt zu lachen und sie nicht weiß warum. Sie könnte einem schon Leid tun. Aber das tut sie keinem hier.

Sie unterrichtete bei uns Japanisch und Religion. Zwei Fächer, die niemand brauch. Nur Lehrer, um damit Geld zu verdienen und Kinder zu quälen. Wobei letzteres wahrscheinlich für sie mehr Spaß macht.
 


 

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... weiter geht's nächsten Sonntag! *Kommifähnchen schwänk* :33



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