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Sei zufrieden

von

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Wieder einmal eine Geschichte, die ich für die Wochenaufgabe geschrieben hat. Diese hier hat sogar gewonnen :DD
 

Sei zufrieden
 

In der Dunkelheit schob sich eine schwarze Hand zwischen den Spalt der zwei dünnen Planen, die anstatt einer Tür am Eingang zu ihrer kleinen „Hütte“ – wenn man es so nennen wollte – befestigt waren. Die Hand hob eine der Planen und ein hochgewachsener junger Mann kam zum Vorschein. Seine Haut war tiefschwarz, sodass er sich kaum von der nachtgetränkten Landschaft hinter ihm abzeichnete. Umso mehr stach dafür das Weiß seiner Augen hervor.

Er schritt zur Seite, machte den Weg für einen älteren Mann, durch dessen Haare und Bart sich bereits graue Strähnen zogen, frei. Hinter diesem folgten auch gleich weitere vier Männer in die Behausung hinein.

Sie alle waren schwarz, wenn auch der eine oder andere im Hautton heller war oder mehr ins Braun ging. Sie alle waren Neger.

Erst als Letzter ging auch der junge Mann hinein. Er musste ja den Älteren den Vortritt lassen.

Hinter ihm fiel die Plane wieder über den Eingang, sperrte die Nacht nur unzureichend aus.

Innen war es nicht viel heller. Zwei Kerzen in gegenüberliegenden Ecken tauchten alles in flackernde Schatten.

Die Männer aßen schnell jeder ein Stück Brot, bevor sie sich schlafen legten. Sie mussten Kerzen sparen, zudem war es ein langer Tag gewesen.

Die anderen, Kinder und Frauen, die nicht auf dem Feld arbeiteten, schliefen schon lange. Es gab kaum genug Platz für sie alle, weshalb die Kinder zu zweit oder zu dritt auf Hängematten lagen, während sich die Erwachsenen auf dem Boden auf dünnen Matten drängten. Die Feldarbeiter hatten ihren Bereich dabei gleich bei der Tür, da sie als erstes aufstehen mussten und als letztes kamen.

Jerome, der Jüngste der Arbeiter, lag noch wach. Er konnte die tiefen, ebenmäßigen Atmungen der Anderen hören. Er sollte auch schlafen, Gott wusste er war müde und erschöpft. Sein ganzer Körper schmerzte. Heute war es besonders spät geworden, trotzdem würden sie morgen zur selben Zeit wie immer aufstehen müssen, um weiter zu arbeiten. Immer wieder fielen seine Lieder über seine geweiteten Pupillen, die beinahe vollkommen die sonst grüne Iris verschluckten, dennoch schlief er nicht ein. Ihm spuckten noch immer die Geschehnisse, das Gehörte, von diesem Tagen im Kopf herum.

„Du bist noch wach.“

Die tiefe Bassstimme seines Vaters war direkt an seinem Ohr. Er konnte jedes Wort wie einen Hauch Luft an seinem Nacken spüren. Leise, es sollte niemand geweckt werden.

„Ich denke über das nach, was John gesagt hat“, gab Jerome genauso leise zurück.

„Spar es dir. Dummes Geschwätz, nichts weiter. Schlaf besser.“

Sein Vater war der Älteste unter ihnen. Selbst aus dieser Nähe konnte Jerome die grauen Strähnen, von denen er wusste, dass sie da waren, nur erahnen.

„Aber…“

„Nichts aber“, fuhr sein Vater ihm dazwischen, ohne auch nur eine Nuance lauter zu werden. „Der Dummkopf weiß nicht, wovon er redet. Verwöhnt ist er! Uns geht es hier gut. Wir hatten Glück. Sei…“

„Zufrieden. Ja“, unterbrach diesmal der Sohn trocken. „Sei zufrieden mit dem, was du hast. Danke Gott, dass wir nicht jeden Tag ohne Grund geschlagen und verprügelt werden, wie es bei anderen vorkommt. Danke Gott, dass man hier besser auf uns achtet. Uns sogar Medizin und Versorgung gibt, wenn wir krank werden und nicht einfach den Gnadenschuss, wie bei einem Pferde. Ja, ich bin zufrieden.“

Dem Vater entging der verbitterte Unterton seines Sohnes nicht, doch es war spät und sie würden am nächsten Tag wieder Energie brauchen.

„Schlaf jetzt“, sagte er daher nur bestimmt, hörte auch schon nach wenigen weiteren Momenten die regelmäßigen Atemzüge seines Sohnes, woraufhin auch er einschlief.
 

Am nächsten Morgen erwachten die Feldarbeiter wie immer mit dem Sonnenaufgang. Für Frühstück hatten sie nur wenig Zeit. Pünktlich standen sie in Reih und Glied wenige Minuten später auf dem Feld. Sie arbeiteten heute auf dem Acker, gruben die Erde um, die ausgetrocknet und hart wie Stein war. Es gab noch mehr Arbeiter wie sie, Sklaven, die nun auf dem hektargroßen Feld arbeiteten. Wenn die Sonne am Höchsten stand und sie eine halbe Stunde Pause hatten, würden sie sich mit einem Großteil dieser Verwandten, Freunden und Bekannten zum Essen treffen. Nicht mit allen, da das Feld zu groß war.

Jerome rammte mit Wuchte seine Hacke in den Boden, zog sie wieder heraus, rammte sie erneut in die Erde. Immer wieder und wieder.

Gestern Nacht hatte er alles hinuntergeschluckt, jeden Gedanken unterdrückt und war sofort eingeschlafen. Als er dann wieder aufwachte, war er dafür noch aufgewühlter gewesen.

Der Vater beobachtete seinen Sohn aus dem Augenwinkel, wie dieser immer stärker die Hacke auf den Boden fahren ließ. Schüttelte den Kopf.

„Man sollte seine Wut nicht mit zur Arbeit bringen. Sie kostet nur Energie und macht dich schnell müde“, tadelte er, während sich seine eigene Hacke in die Erde grub.

„Wäre auch ein Jammer. Ich will mich doch Dankbar zeigen, bei unserem Besitzer“, gab der Mann gepresst zurück, stemmte sich gegen den Stil, damit die Zacken in den staubtrockenen Boden kamen.

„Immer noch das? Vergiss doch das Gelaber von diesem Faulpelz. Er weiß nicht zu schätzen was er hat.“

„Was er hat? Ja, sei zufrieden mit dem, was du hast.“

Jerome atmete schwer, aber nicht nur wegen der Arbeit. Die brennende Wut, die sich durch die Worte seines Vaters nur noch steigerte, schien ihm die Atemwege zuzuschnüren.

„Weißt du, was das Problem damit ist? Dass wir nichts haben! Wir besitzen nichts! Wir besitzen kein Werkzeug, keine Hacke, keine Schaufel, die sind nur geliehen. Wir besitzen keine Hütte, egal wie schäbig, denn da lässt man uns nur drin schlafen und wir können glücklich sein, dass wir nicht im Freien sein müssen. Wir besitzen kein Essen, denn das sind nur Reste, die man uns großzügiger Weise überlässt. Wir besitzen kein Land, das dürfen wir nur bearbeiten. Wir haben nicht einmal eine eigene Frau, sondern dürfen unsere Geliebte nur ab und zu durch die Scheiben der Fenster betrachten – wenn überhaupt. Wir haben keine erste Nacht zusammen, denn die gehört unserem Besitzer. Wir haben keine Kinder, können nur von Glück reden, wenn unser Fleisch und Blut überhaupt am selben Ort wie wir bleibt. Wir haben keinen Willen, wir haben kein Leben und wir haben schon gar keine Freiheit! Wir haben nichts, womit wir zufrieden sein könnten.“

Jerome hielt die Hacke locker in der Hand, seine Brust sank und hob sich rapide, während er mit einem starren Blick die aufgewühlte Erde vor ihm fixierte. Er blinzelte mehrmals hintereinander, um den Schleier vor seinen Augen loszuwerden, sie zu trocknen. Er hatte in seinem Ausbruch immer heftiger zu geschlagen, zuletzt, bei den letzten Worten, war jede Energie aus seinem Körper verschwunden. Er fühlte sich ausgelaugt und leer.

Sein Vater hatte die ganze Zeit über regelmäßig den Boden aufgelockert, hielt auch jetzt nicht inne.

„Du bekommst Essen. Wir werden kaum geschlagen. Man peitscht uns nur bei schweren Vergehen aus. Andere Besitzer treiben ihre Arbeiter mit Peitschen an. Das haben wir nicht. Wir bekommen zutrinken, soviel wir wollen, solange keine Dürre herrscht. Wir haben Pausen. Ja, nicht alle unsere Kinder bleiben hier, aber manche schon. Wie deine kleine Tochter. Sie wird einmal Bedienstete im Haus, wie ihre Mutter. Da geht es ihr gut. Und wenn du deine Arbeit gut machst, darfst du mit ihr spielen, manchmal einen ganzen Nachmittag lang. Das ist außergewöhnlich nett von unserem Besitzer. Man sorgt für uns. Du hättest es viel schlimmer treffen können.“

Jerome krallte seine Hände um die Hacke, um sie vom Zittern abzuhalten.

„Ich hätte es auch viel besser treffen können. Sagst du nicht immer meinen beiden Söhnen könnte es besser gehen als uns? Es könnte also auch mir besser gehen. Oder es geht ihnen schlechter.“

Die Stimme des Sklaven war tonlos. Er hob wieder die Hacke, schlug sie in die Erde, doch die Wucht von vorher war verschwunden.
 

An diesem Tag waren sie wieder früher mit ihrer Arbeit fertig, was Jerome die Möglichkeit gab den Sonnenuntergang zu beobachten. Er dachte nach, als Schritte und die Präsenz eines anderen Körpers, der sich neben ihm setzte, ihn aus seinen Gedanken holten. Er drehte sich nicht auch, auch nicht als ihn sein Vater ansprach.

„Und was willst du tun?“, fragte dieser erneut. „Willst du dich diesem törichten Trottel anschließen? Kämpfen?“

Ein trockenes Lachen entrang dem alten Mann.

„Mit welchen Waffen wollt ihr gegen sie ankommen? Sie sind soviel besser ausgerüstet. Bessere Waffen, mehr Munition, mehr Erfahrung im Kämpfen. Wir haben nur Erfahrung im Ackerbau, im Arbeiten. Sie werden euch erwischen und wenn sie euch nicht töten, dann werden sie euch bestrafen und dann werden sie euch wieder zu euren Besitzern zurück bringen, von denen ihr wieder bestraft werdet. Ihr habt keine Chance. Ihr macht es nur unnötig schlimmer. Seit zufrieden so wie es ist.“

„Ich bin nicht zufrieden“, antwortete Jerome nur.

Er sagte nichts weiter, stand einfach auf und ging hinein. Die Sonne war nun ganz hinter dem Horizont verschwunden und es war Zeit wieder etwas Schlaf zu bekommen, ging sie doch schon nach wenigen Stunden wieder auf.
 

In dieser Nacht hörte der Vater leise Schritte, die aus der Hütte hinaus gingen. Er ignorierte es, zusammen mit dem Schmerz in seiner Brust und schlief einfach weiter.

Am nächsten Morgen wagte es niemand ihn nach seinem Sohn zu fragen, der verschwunden war.

Es vergingen Tage, in denen sie nichts von Jerome erfuhren. Er hatte es wohl aus den Feldern ihres Besitzers hinaus geschafft, ohne erwischt zu werden. Das hatte er schon immer gut gekonnt, sich ungesehen wegschleichen. Der Vater war zufrieden damit, denn nichts von Jerome zu hören, ließ ihm die Hoffnung, dass sein Sohn noch lebte.

Ein Karren, gezogen von zwei Pferden, fuhr den Weg entlang zum Familienhaus des Besitzers. Das war nun schon das zweite Mal. Dahinter liefen beim ersten Mal zwei, diesmal gleich fünf schwarze Figuren hinterher. Selbst auf diese Entfernung konnte man das angetrocknete Blut sehen. Jeromes Vater wusste vom letzten Mal, dass im Karren noch weitere entflohene Sklaven lagen, die nicht mehr imstande waren zu laufen.

Ohne mit seiner Aufgabe aufzuhören, beobachtete er wie zwei der Sklaven, die hinterher gerannt waren, eine leblos wirkende Figur aus dem Karren zogen, sie zu Boden gleiten ließen, während der Lenker vom Karren – ein Sohn eines der Besitzer in der Nähe – mit dem Hausherren sprach. Kurz darauf machten sie kehrt und fuhren zurück, wohl um die restlichen Sklaven zurück zu ihren Besitzer zu bringen. Sie waren ja alle für solche Fälle gezeichnet.

Die Beiden, die schon zuvor den Haufen von Elend aus dem Karren gezogen hatten, brachten diesen nun weg. Ihr Besitzer folgte. Man konnte sich denken, dass dieser ziemlich wütend war.

Die beobachtenden Augen richteten sich wieder auf die Aufgabe vor dem ältlichen Mann. Schon zuvor hatte er gehört, dass John, der den Jüngeren der Arbeiter diesen Floh von Freiheit in die Ohren gesetzt hatte, bereits gestorben war. Er war einer der Feldarbeiter, die weit genug weg arbeiteten, dass sie sich nicht zu Gesicht bekamen, wenn sie arbeiten, aber nahe genug, dass sie ihre Pause zusammen verbrachten. Er hatte diese Idee seinerseits von einem Sklaven eines benachbarten Ackers bekommen, trug sie aufgeregt an jenem Tag vor. Er war sogar noch jünger als Jerome gewesen und es waren auch ausschließlich die Jungen gewesen, die von dem Gedanken um ihre Freiheit zu kämpfen, angezogen wurden. Törichte Jugend. Sie mussten noch lernen. Inzwischen hatten das wohl auch die meisten, zumindest die, die zurückgebracht wurden. Sie würden keine direkte Strafe bekommen. Nein, das hatten sie ja schon. Dadurch würde es lediglich länger dauern, bis sie wieder arbeiten konnten, womit sie nicht nur nutzlos, sondern auch noch eine Last für den Besitzer darstellten. Deswegen würde er sie genesen lassen, bevor er sie härter und gnadenloser arbeiten ließ, als sie es je für möglich hielten. Mit weniger Essen, nur begrenztem Trinken, sie wurden schärfer bewacht und öfter geschlagen werden. Sie werden sich nach den Bedingungen von zuvor sehnen, werden lernen dies zu schätzen und mit ihrem Leben zufrieden sein.
 

Am Abend, als die Feldarbeiter wieder zurück waren, hörten sie von einem der heranwachsenden Knaben, der extra aufgeblieben war, dass die bewusstlose Figur, die tagsüber aus dem Karren gezogen wurde, Jerome war. Er würde in drei Tagen wieder zur Arbeit kommen, egal in welcher Verfassung er dann sein würde.

Der älteste der Arbeiter dankte dem Jugendlichen, schickte ihn dann ins Bett, empfahl dasselbe auch den anderen. Er selbst blieb noch wach. Sein Gesicht war, während er die Nachricht gehört hatte, unbeweglich geblieben. Sollte er nicht erleichtert sein? Sein Sohn hatte überlebt, er würde bald wieder da sein. Aber genau das schien das Problem zu sein. Trotz seiner stetigen Beteuerungen, zufrieden damit zu sein, was man hat, dass es einem nicht schlechter geht, hatte er sich gewünscht, dass sein Sohn weiter kommt, etwas ändern könnte, sei es nur für sich selbst. Er hatte gehofft, dass er wirklich mit sich zufrieden sein könnte. Mit sich und seinem Leben.
 

Zwei Jahre später brach der Bürgerkrieg der Nord- und Südstaaten in Amerika aus. Jerome – ermutigt von seinem Vater – kämpfte für seine Freiheit. Während des Krieges, dennoch bereits in Freiheit, am Sterbebett seines Vaters, fragte dieser ob Jerome nun zufrieden sei. Er antwortete mit ja.



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