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The Hellman

The new Messiah
von

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Joshua Nazara ist tot

Er klopfte mit seinen schwarz lackierten Fingernägel auf die Tischplatte, kaute mit seinen vom vielen Rauchen gelben Zähnen auf seinen Lippen, und starrte auf den Sekundenzeiger der Uhr über der Tafel, dessen Ticken das einzige war, was er hörte, alles andere nahm er nur als undefinierbares Rauschen wahr, bis schließlich endlich ein Läuten den Unterricht beendete. Es schien eine halbe Ewigkeit gedauert zu haben, aber nun konnte er endlich diesen Möchtegern-Literatur-Experten die Meinung geigen. Der Lehrer schien nicht zu merken, dass Joshua auf ihn zustampfte, während die anderen Schüler aus der Klasse rannten.

„Was soll das?“, fauchte er und knallte dem Lehrer die Schularbeit auf den Tisch, die seit kurzem ein großes, rotes „F“ zierte. „Ich hab das nicht verdient!“

Der Lehrer Kern hob die Augen, hörte aber nicht auf seine Unterlagen in die Aktentasche zu schlichten, während er sagte: „In meinen Augen schon.“

Joshua schüttelte den Kopf. „Können Sie mir dann wenigstens eine nachvollziehbare Begründung geben?“

„Sie schreiben wir ein Vierjähriger.“

„Das war doch auch meine Absicht. Ich war schließlich vier, als das passiert ist.“

Anscheinend hatte der Lehrer diese Offensichtlichkeit nicht herauslesen können, denn sein Blick war überrascht. Joshua fragte sich, was nur aus den Bildungsanstalten geworden war, wenn ein Lehrer ihnen etwas über Shakespeare und Joyce referierte, ohne anscheinend in der Lage zu sein, die Intuitionen seiner Schüler zu erkennen.

„Nun, dann korrigiere ich mich – sie schreiben wie ein vierjähriger der versucht Adalbert Stifter zu imitieren. Die Gemeinsamkeit – beide können es nicht.“

„Wer zum Teufel ist Adalbert Stifter?“, platzt Joshua heraus. Der Lehrer verdrehte die Augen. „Tut mir leid, dass ich nicht das Interesse für französische Literatur aufbringen kann, wie Sie, aber... jetzt weiß ich es! Sie haben mich schlecht benotet, weil ich mich nur für englischsprachige Literatur interessiere.“

Kern rieb sich seine Schläfen. „Erstens, Adalbert Stifter war Österreicher, zweitens, nein. Ihr Text war wirklich mehr als miserabel. Schlechte Sprache, schlechter Stil, schlechte Rechtschreibung.“

„Es sind nur sechs Rechtschreibfehler und ein Grammatikfehler!“

„Nein, es waren acht zu vier.“ Bis jetzt hatte der Lehrer nicht an Joshuas Mathematikschwäche geglaubt, doch nun tat er es. „Außerdem war das Thema ein innerer Monolog über persönliche Auseinandersetzung mit dem Tod und nicht ‚Autobiographische Anekdoten über traumatische Ereignisse’.“

„Haben Sie es überhaupt gelesen? Ich beschreibe, wie mein Vater gestorben ist.“

Wieder machte er eine genervte Geste. „Wissen sie überhaupt, was der Unterschied zwischen einen inneren Monolog und einer Erzählung aus der Ich-Perspektive ist?“

Joshua fragte sich erneut, was aus den Bildungsanstalten geworden war, wenn ein Lehrer bei Schularbeiten etwas voraussetzen durfte, das gar nicht Thema des Unterrichts gewesen war.

„Haben Sie verstanden, worauf ich raus will – Themaverfehlung ersten Grades!“ Der Lehrer stand auf, und warf dabei fast den Sessel um. Ihn ganz umzuwerfen war für eine kleine, schmächtige Figur wie diesen Mann nicht möglich.

Joshua seufzte. „Können Sie mir dann wenigstens nicht anrechnen, dass ich etwas äußerst Persönliches beschrieben habe. Ich war noch nie so ehrlich!“

Jetzt platzte Kern der Kragen. Er ballte die Fäuste und schrie regelrecht: „Sie behandeln dieses Thema in Gedichten, die Sie im Internet veröffentlichen und versuchen mit dieser Geschichte bei jedem Mitleid zu erregen! Und jetzt reden Sie mir ein, dass Sie extra für mich ehrlich geworden sind!?“

„Und?“

„Ach Gott, lassen Sie mich in Ruhe!“ Kern drehte sich um, wobei er mit seiner riesigen Aktentasche ein Glas Wasser vom Tisch fegte, was ihn aber nicht weiter kümmerte und er stampfte aus dem Klassenraum. Was Joshua aber nicht davon abhielt, ihn zu folgen, um ihn weiter zu löchern.

„Können Sie mir dann wenigstens sagen, ob ich positiv gewesen wäre, wenn das Thema ein... traumatischer Erlebnisaufsatz gewesen wäre?

Unerwarteterweise blieb der Lehrer stehen, weswegen Joshua gegen seine Fersen trat. Der Lehrer Kern verdrehte die Augen. Er wusste, wenn er jetzt diesem nervtötenden Schüler nicht sagte, was eigentlich Sache war, würde ihn dieser Lümmel für immer zur Last fallen.

„Nein. Zehn schwere Fehler, schlechter Stil, schlechte Sprache – aufgrund dessen werde ich Ihnen niemals glauben können, dass Ihr Vater tatsächlich diese letzten Worte gesprochen hat und dieses... Drama sich tatsächlich so abgespielt hat, wenn ich damals nicht Zeuge gewesen wäre.“ Pause. Er holte tief Luft und brüllte so laut, dass der ganze Gang es hörte: „Auch, wenn Sie es nicht glauben können, da Sie ja so sehr von ihrem literarischen Können überzeugt sind – Sie...“
 

„...haben kein Talent.“

Eigentlich erwartete er ein mitleidiges „Och“ von Rachel, doch ihre Mundwinkel zogen sich langsam nach oben und sie fing laut an zu lachen.

Joshua verzog das Gesicht und warf die Zigarette, die er bis zum Filter geraucht hatte, auf die Straße. „Daran ist gar nichts lustig.“

„Tut mir Leid“, kicherte sie und wippte wie immer beim Lachen auf und ab. „Aber... ich weiß auch nicht... liegt wahrscheinlich daran, dass irgendwo was Wahres dahinter steckt.“ Sie holte tief Luft und riss sich zusammen. „Ehrlich, verglichen mit dem, was du sonst schreibst sind deine Schularbeitenaufsätze immer unter aller Sau.“

„Aber gemessen am Niveau der Nullen aus meiner Klasse, ist das hier nobelpreisverdächtig.“ Er schnippte gegen das Papier, das Rachel gerade mit einem Auge begutachtete. Das andere war auf Joshua gerichtet.

Sie zuckte mit den Achseln. „Ich kenne das Niveau deines Kurses nicht. Aber ehrlich gesagt, ich hätte dir auch ein F dafür gegeben.“ Noch ehe Joshua Einspruch erheben konnte, fügte sie hinzu: „Solche Rechtschreibfehler erwartet man von Immigranten, die erst ein Jahr Kontakt mit der englischen Sprache haben.“

Er verdrehte die Augen und zündete sich die nächste Zigarette an. „Heißt das, du bist auf der Seite von diesem Wichser?“

„Teufel, nein... oder zumindest in der Hinsicht, dass ich das F unterstütze. Aber ich würde nie sagen, dass du kein Talent hast.“ Endlich war der belustigte Ton aus ihrer Stimme verschwunden. „Überhaupt, wie kann man einem Schüler so etwas ins Gesicht spucken. Ist es nicht Aufgabe einer Bildungsanstalt die Schüler zu fördern und zu inspirieren, anstatt zu demütigen und zu demotivieren.“

Joshua verzieh ihr in diesem Moment, dass sie ihn zuerst ausgelacht hatte, denn ihre miserable Meinung von den heutigen Schulen entsprach genau der seinen. Wegen dieser und anderer Meinungsübereinstimmungen war er schon so lange mit ihr zusammen.

Sie gefiel ihm nämlich nicht. Er hatte sich immer eine Freundin mit dem Aussehen eines Supermodels gewünscht. Langes, dichtes Haar, große Augen, Schmollmund, groß, schlank – Rachel war das genau Gegenteil. Klein, mollig mit auslandendem Hinterteil und minimaler Oberweite, sowie ein wenig ungepflegt, war sie sicher keine um die man ihn beneidete. Bevor sie sich bei einer Schulfeier das erste Mal unterhalten hatten, mied er sie, weil sie ihn angeekelt hatte, doch während des Gespräches erkannte er, dass sie genau die Art von Freundin war, die er brauchte, denn sie war selbstsicher, klug und, auch wenn man es ihr nicht ansah, überaus optimistisch. Genau letzteres brauchte er, wenn man seinen melancholischen Charakter betrachtete. Immer, wenn er sich an seine frühere Meinung über sie zurückerinnerte, hasste er sich dafür so oberflächlich gewesen zu sein. Dabei hatte ausgerechnet er immer dafür gepredigt, sich nicht von Äußerlichkeiten irritieren zu lassen.

Noch am Abend der ersten Unterhaltung waren sie das erste Mal im Bett gelandet und seither zusammen. Anfangs hatte er die Beziehung nur als Freundschaft mit Sex gesehen, doch nun, wo er all ihre Gemeinsamkeiten erkannt hatten, wusste er, dass er sie liebte.

Nur leider hatte er keine Ahnung, ob sie dasselbe empfand.

„Ich glaube, ich bin ihm unsympathisch“, antwortete Joshua ihr.

Rachel zuckte mit den Achseln, und las sich die Schularbeit das zweite Mal durch. „Mag sein. Konservativ und oberflächlich wie er ist, wird er wahrscheinlich Probleme mit einem gepiercten und tattoovierten Jungen, der Schottenröcke trägt und sich schwarz schminkt, haben.“

„Dich mag er aber. Und du bist auch nicht gerade die Traumschwiegertochter eines Erzkonservativen.“

„Tja, ich habe eben Talent“, kicherte sie und als sie merkte, dass Joshua den Witz gar nicht lustig fand, umarmte sie ihn und legte ihren Kopf auf seine Schulter. „Nimm’s nicht so tragisch, hat es eben ein erzkonservativer Schullehrer auf dich abgesehen. Deswegen wird dir noch lange nicht der Weg zur Uni versperrt werden. Der Rest der Lehrerschaft mag dich schließlich.“

„Schon möglich, aber Englisch und Literatur sind eben die einzigen Fächer, für die ich mich auch begeistern kann. Und wenn man eben für seine Anstrengungen nicht belohnt wird, ist das mehr als frustrierend.“

„Auch, wenn wir beide der festen Überzeugung sind, dass Herr Kern keine Ahnung hat, wovon er unterrichtet?“

„Es hilft nicht viel, sich so was einzureden.“ Er zündete sich die nächste Zigarette an. „Mal ehrlich, ich hab das Gefühl, dass ich in meinem ganzen Leben nur Leuten begegne, die mich zu Boden drücken wollen.“ Rachel schlug ihn daraufhin auf den Hinterkopf. „Du bist natürlich eine Ausnahme.“

Darauf lächelte sie zufrieden. „Darf ich dir einen Ratschlag geben? Hör auf so selbstmitleidig zu sein. Jeder hat mit Menschen zu kämpfen, die einen demotivieren. Also scheiß auf die Meinung dieser Trottel und Kopf hoch.“

Als ob man Rachels Theorie beweisen wolle, schmiss man in diesem Moment einen halbvollen Pappbecher auf die beiden und ehe sich Joshua und Rachel versehen konnte, stanken die beiden nach Kaffe.

Joshua sah angewidert auf seinen nassen Kilt und blickte dann auf den braungebrannten Schönling mit dem durchtrainierten Körper, dessen Gesicht ein breites Grinsen zierte. Nach einer Beleidigung, die keiner von beiden akustisch verstand, verschwand er. Rachel hob den Mittelfinger.

Aber irgendwie war diese Attacke nicht das schlimmste, denn auf der anderen Straßenseite hatte ein Pärchen das Geschehen beobachtet, das überhaupt nicht zusammen passte. Der Mann, etwa sechsundzwanzig, mit blonden, langen Haaren und einer Art Schlafmütze auf dem Kopf, konnte sich vor Lachen kaum mehr halten. Auch wenn er keinen Beweis hatte, wusste Joshua, dass der Typ ihn und Rachel auslachte. Die Frau, eine blasse, schwarzhaarige Schönheit, zeigte jedoch keine Regung.

Nicht nur wegen der Unterschiedlichen Ausstrahlung konnte man die beiden als Freaks bezeichnen. Joshua verdrehte die Augen. Jetzt wurde er schon sogar in den Augen von Exzentrikern, also von seiner eigenen Liga, ein Spottobjekt.

Rachel wusste nicht, wie sie sonst auf Joshuas vorwurfsvolle Mimik reagieren sollte, und zuckte mit ihrem gewohnt zynischen Lächeln die Schultern. „Quod erat demonstrandum?“

Joshua verdrehte die Augen.

„Okay, Themenwechsel. Weißt du schon, ob du am Wochenende sturmfreie hast?“

Das leidliche Thema des achtzehnten Geburtstags. Rachel hatte Verwandte in Deutschland, wo man eben nicht mit einundzwanzig, sondern schon mit achtzehn volljährig war, weswegen sie seinen Geburtstag in zwei Tagen als groß gefeiert sehen wollte. Doch Joshua hatte keine Lust auf eine großartige Party. Er hatte schließlich nicht einmal genug Freunde, für die er eine großartige Party veranstalten wollte. Neben Rachel zählte er nur seinen introvertierten Freund Paul zu seinem Freundeskreis, doch ob der seinen Computer zugunsten sozialer Kontakte verlassen würde, war fraglich.

Nur diese beiden, und sonst niemanden, wollte er zu seinem Geburtstag sehen, niemals würde er die Sportler- und Chaerleader-Heinis an seinem Tag um sich herum akzeptieren. Und erst recht nicht diesen fünfzehnjährigen Nachbartrottel, der versuchte in die selbe Subkultur wie Joshua zu wandern, doch keine Ahnung hatte, was dahinter steckte außer die Farbe schwarz, der Totenkopf und das Petruskreuz. Höchstens noch seine Schwester würde er bei seiner Feier akzeptieren, wenn sie ihm versprach, nicht den ganzen Alkohol alleine zu trinken. Beziehungsweise wenn sie versprach nie wieder einen Tropfen Alkohol zu trinken.

Doch ihm gefiel der Themenwechsel. So konnte er ihr klar machen, dass er heute eigentlich geplant hatte, irgendwo in der Öffentlichkeit mit ihr zu poppen, doch dann war das Thema Schularbeit angesprochen worden, und seine Geilheit war verschwunden. Aber nun kroch sie langsam wieder hoch, wenn er daran dachte, was er eigentlich an seinem Geburtstag vorhatte.

„Mutter wird sicher nicht da sein, aber Angela wird uns auf die Nerven fallen.“

„Ich mag deine Schwester.“

„Ja, wenn man mir nicht ihr zusammenleben muss.“

Rachel kicherte wieder. Manchmal ging es ihm auf den Nerv, dass sie immer lachen musste, wenn er etwas ernst meinte.

Er legte ihren Arm um sie. „Aber weißt du was, sie wird uns gar nicht stören, denn ich werde dich und mich in meinem Zimmer einsperren, Räucherstäbchen und Kerzen anzünden, die Fenster verdunkeln, und das Bett zu unserem Nest der Sünden machen.“ Woraufhin er ihren Hals küsste. Und wieder kicherte sie, doch durch das leichte Stöhnen als Unterton gefiel es ihm.

„Die Idee gefällt mir.“ Pause. „Aber, nur wenn du mir versprichst nachher ein Fläschchen Absinth zu öffnen.“

Er lächelte, er hatte sic schon längst eine angeschafft, und hängte ihr einen leidenschaftlichen Kuss an die Lippen. Man sah ihnen zu. Beide mochten es, beobachtet zu werden, besonders von Leuten, die sie für Jünger Satans, oder sie für solche Freaks hielten, dass sie angewidert waren. Doch dieses seltsame Pärchen, das aus dem blonden Mann und blassen Frau bestand, starrte noch immer durchlöchernd auf sie, dass ihm die Nackenhaare zu Berge standen.

Als er die Hitze ihres Körpers regelrecht in sich aufsog, läutete plötzlich das Handy in der Tasche seines Kapuzenpullovers, den er trotz der Frühlingshitze trug.

Er riss sich regelrecht von Rachel los und knurrte, nach dem Abheben, in einer wütenden Tonlage, auch wenn er gar nicht gelesen hatte, wer ihn und warum man ihn eigentlich störte: „Was’n los?“

„Angela?“, flüsterte Rachel.

„Schlimmer – Nein, Mutter, ich hab schon Schulschluss. Bei Rachel. Weil wir seit anderthalb Jahren zusammen sind. Wieso? Aber... Okay. Wieso soll ich nicht auflegen? Kannst du mir nicht alles erklären, wenn ich zuhause bin. Keine Zeit, okay. Warte.“ Er setzte sich auf, drückte Rachel einen Kuss auf die Wange, und flüsterte ihr neben den Worten, dass seine Mutter mal wieder vom Teufel geritten worden war, einen Abschied zu.

Während er sich auf den Weg heim machte, erklärte ihm seine Mutter genauer, was sie von ihm wollte. Und das einzige, was ihm dazu einfiel, war: „Hast du...“
 

„...nicht mehr alle Tassen im Schrank?“, schrie er seine Schwester an, als er sie in seinem Zimmer auffand, mit der Absinthflasche in der Hand, die er für seinen Geburtstag um einen überteuerten Preis gekauft hatte.

„Ich war trocken. Und was anderes Alkoholisches haben wir grad nicht.“

„Wieso gehst du dann nicht einfach um die Ecke in den Supermarkt und kaufst dir einen Wodka wie sonst.“

„Blasen an den Füßen“, war ihre schlechte Ausrede.

Joshua verdrehte die Augen und nahm ihr die Flasche weg um das wenige zu retten, was sie noch nicht weg getrunken hatte.

Angela lachte nur über ihn: „Entspann dich, Grufti-Bruder! Ich zahl dir eine neue.“

Er schniefte. Weil sie ja Geld hatte. Früher hatte sie sich ihren Luxus damit verdient Wertsachen heimlich im Internet zu versteigern, doch seitdem ihre Mutter dies herausgefundne hatte, waren die drei von achtzehn Stücken, die übrig geblieben waren, in einem Tresor in einer Bank verwahrt. Seither war Angela konstant pleite.

Joshua zeigte auf die Tür. „Raus aus meinem Zimmer.“

Mit einem grinsen, nickte sie. „Ich bekomme hier sowieso Angst. Dass du unter all den Totenköpfen schlafen kannst.“

„Raus!“

„Schon gut.“ Sie war schon so betrunken, dass sie nicht mehr stehen, geschweige denn geradeaus gehen konnte. Nicht aus Mitleid, sondern weil er sie so schnell wie möglich loswerden wollte, stützte Joshua Angela beim Gehen, und geleitete sie in ihr Zimmer.

Dreiundzwanzig Jahre war sie alt und schon eine Alkoholikerin, die ihre Familie beschiss. Sie war hochbegabt, sie hätte es problemlos nach Yale geschafft, doch nach ihrer Abschlussfeier hatte sie beschlossen, ihr Leben lieber zu einer riesigen Party zu machen, die sie sich nur mit der lieben Schwester Alkohol einbilden konnte. Ein Entzug hatte nicht geholfen, und ihre Mutter hatte sie schon oft rauswerfen wollen. Doch weil sich Frau Nazara dann doch nicht so hartherzig sein konnte, ihre eigentlich hilflose Tochter auf der Straße sterben zu lassen, wohnte sie noch immer im Einfamilienhaus.

Irgendwie schien der Betrunkenen-Gang seiner Schwester ihn angesteckt zu haben, sodass er selbst nur mehr wanken konnte. Er setzte sich auf seinen Schreibtischsessel, schnappte sich die Fernbedienung seines CD-Players, die immer auf dem Schreibtisch lag, und drückte auf Play. Er wusste nicht, welche CD gerade rotierte, doch er war zu faul zum Wechseln. Zum Glück stellte sich heraus, dass die Musik gerade seine Stimmung unterstrich.

Nachdem er sich einige Nummern plan- und gedankenlos mit dem Drehsessel im Kreis gedreht hatte, griff er nach einem Block. Er besaß Massen an Heften und Blöcken, doch nie hatte er genug, immer waren sie schon beschrieben oder mit Skizzen von einem Superhelden im Kilt, der noch keinen Namen hatte, beschmiert. Er musste drei Hefte durchblättern, bis er endlich eines fand, das nur zur Hälfte beschrieben war.

„Innere Monolog...“ murmelte er. Joshua neigte zu Selbstgesprächen, wenn er niemanden zu reden hatte. „Wenn er mir den Unterschied erklärt hätte... Aber ich kann das... auch wenn ich nicht weiß, was das ist.“

Mit Kugelschreibern verhielt es sich ähnlich wie mit Blöcken. Duzende besaß er, aber nur zwei oder drei funktionierten.

Als er endlich zu schreiben begann, war schon die Hälfte der CD durchgespielt, und er drückte auf Replay, ehe er ansetzte:
 

Während ich hier sitze und schreibe, erkenne ich, dass mich das Kratzen des Kugelschreibers auf dem Papier nicht so beruhigt, wie es ich es erhofft hatte. Gibt mir das Schreiben oft das Gefühl, dass es meinen inneren Seelenschmerz heilt, hilft es mir nun nicht über das Gefühl der Einsamkeit hinweg. Vielleicht weil mir gerade zu viel auf der Seele liegt, um alles an einem Abend auf Papier zu bringen. Eine Zusammenfassung würde wahrscheinlich nicht reichen, denke ich. Ich kann es aber dennoch versuchen.

1. Es gibt keinen Menschen auf der Welt, der mir so viel bedeutet wie Rachel Simmons. Für niemanden würde ich eher meine Hand ins Feuer legen, als für sie. Für niemanden würde ich so viel tun, wie für sie. Jeden will ich enttäuschen, außer ihr. Doch genau das ist das Fundament einer Reihe von Ängsten – ich will alles tun, um sie glücklich zu machen. Ich will immer perfekt für sie sein. Sie ist der festen Überzeugung, dass ich meinen achtzehnten Geburtstag in zwei Tagen großartig feiern muss, sie wünscht sich eine Party. Ich will eigentlich gar nicht feiern, am liebsten würde ich diesen Tag verpennen. Doch das hieße, ich würde sie enttäuschen. Und das will ich nicht. Ich kann diesem Perfektionsdruck, den ich ihretwegen habe, nicht entkommen.

2. Aber wahrscheinlich werde ich gar nicht feiern können, weil meine Mutter unbedingt ein Familienfest machen will. Die komplette Bagage, Tante, Onkel, Cousins, Cousinen, Großeltern. Sogar die Eltern meines Vaters, die immer meckern, dass ich mir endlich anständige Klamotten, sprich keinen Kilt, tragen sollte. Obwohl meine Mutter für die schottische Hälfte meiner selbst verantwortlich ist, ist es ihr peinlich, dass ich immer einen Kilt trage. Vor allem, da sie noch immer Eindruck gegenüber ihrer snobistischen Schwiegereltern machen will, die sie hasst, die ich hasse. Ich habe mit ihr Länge mal Breite diskutiert, dass ich, wenn schon unter Gesellschaft, meinen Geburtstag mit meiner Freundin verbringen möchte. Sie hat es nicht verstanden, denn die Familie ist wichtiger als eine Freundin. Und da sie Rachel partout nicht leiden kann, darf sie natürlich auch nicht zu dieser Familienfeier mitkommen. Ich verstehe nicht, warum meine Mutter ausgerechnet heuer auf die Idee kommt, dass die Familie ein so wichtiges Gut ist, wenn sie schon jede Ausrede benutzt um die Weihnachtsfeiern zu schwänzen. Warum hat diese herumtriebige Anwältin überhaupt einmal Zeit für ihren Sohn?

3. Ich hasse den Rest meiner Familie sowieso. Sie bestehen nur aus Leuten, die nicht verstehen, dass ich jetzt noch keine Lust habe mich der Gesellschaft anzupassen, wenn ich das später, wenn ich einmal Arzt bin, sicherlich tun muss. Am widerlichsten sind meine Football-Cousins Christopher und Anthony, die meinen, sie dürften mich anspucken, mein Onkel väterlicherseits, der mich immer als Transvestit beschimpft, und natürlich meine Großeltern väterlicherseits. Der einzige coole ist der Vater meiner Mutter, doch seit einem Schlaganfall kann er nicht mehr sprechen.

4. Ich befinde mich nun in einem Zwiespalt von gar nicht Feiern wollen und den Geburtstag mit Menschen verbringen, die mir auf die Nerven gehen.

5. Ich fühle mich zu dumm für das Medizinstudium.

6. Seine Meinung sollte mir eigentlich egal sein, dennoch bereitet mir das Urteil vom Lehrer Kern über meine Schreibkünste Bauchschmerzen. Rachel hatte zwar Recht, ich bin immer schlechter, wenn ich unter Druck schreiben muss, doch viele freiwillige Texte, die nicht in einer Stresssituation entstanden, bewertete Kern nicht anders. Ja gut, er ist ein Trottel, doch sein Doktortitel wird nicht von ungefähr kommen, er wird schon seine Fähigkeiten im Interpretieren von Texten haben.............Ich kann nicht fassen, dass ich das Schreibe – erkennt man hier meine Selbstzweifel! Da dachte, ich hätte ein Talent auf literarischer Ebene und nun wird sie von einem Menschen, den man nicht kennt und von dem man nicht gekannt wird, mir nichts dir nichts zerstört. Nur wegen ihm, um zu beweisen, dass ich etwas schreiben kann, von dem ich nicht genau weiß, was es ist, konstruiere ich diesen inneren Monolog...

7. Es ist ein Fehler gewesen, den Tod meines Vaters derartig detailgetreu wiedergegeben zu haben. Denn jetzt habe ich wieder Alpträume deswegen.

8. Wieso kann meine verdammte Schwester nicht endlich die Finger von diesem Gift namens Alkohol lassen? Und wenn sie uns schon mit ihrer Sucht zur Last fällt, warum kann sie dann nicht wenigstens von meinem Gut fernbleiben?

9. Immer wieder frage ich mich, warum überhaupt eine Rangordnung in Schulen existieren muss. Im Grunde hatte ich nie etwas persönlich gegen meine Mitschüler, aber sie etwas gegen mich. Aber sie äußern sich nie, wenn ich frage, was für ein Problem sie eigentlich haben, sie scheinen jedenfalls mich so sehr zu hassen, dass es ihnen Spaß macht, mich zu stoßen und zu schlagen. Dabei habe ich nur eine etwas andere Denkweise. Ich blicke nicht auf sie herab, weil sie sich über zu wenige Dinge Gedanken machen, aber sie blicken trotz meiner Toleranz auf mich herab. Ich akzeptiere es, wenn ich ihnen nicht sympathisch bin, aber warum müssen sie mich dann quälen und schauen nicht einfach weg?

10. Und wieso zum Teufel sind die Menschen, denen ich sympathisch bin, Kinder, die noch nicht zwischen Gut und Böse unterscheiden können? Oder anders gesagt: warum muss dieser verdammte Lenny mir immer am Rockzipfel hängen?

11. Und paranoid werde ich auch noch, denn ich hatte das Gefühl dieses komische Paar, das heute Nachmittag mich und Rachel beim rummachen beobachtet hat, hätte mich auf Schritt und Tritt verfolgt.

12. Und warum ist Paul sein Computer wichtiger, als soziale Kontakte. Warum hebt er nicht einmal mehr von Telefon ab?

Ich kann nicht mehr...
 

„...weiter schreiben“, murmelte Joshua.

Und das sagte er nicht, weil es schwerer wurde den Ballast abzuladen, als ihn weiter zu tragen, sondern weil er erkannte, dass es verdammt kompliziert war, etwas zu schreiben, von dem man nur vermutete, was es war, aber nicht wusste, was es war, und sich deswegen immer fragte, ob man die gestellte Aufgabe überhaupt erfüllte.

Noch dazu war heute sein Schreibstil komisch. Als ob man schon einige Seiten und biographische Daten von ihm kennen würde, andere nicht. Als ob er sich jemanden beschreiben würde, der ihn seit heute Mittag beobachten würde. Außerdem verabscheute er das Selbstmitleid, das er gerade zu Papier brachte.

Wütend riss er das Papier aus dem Block, zerknitterte es und schmiss ihn in den Mistkübel.

Mit einem lauten Knall landete seine Stirn auf dem Schreibtisch und er stöhnte, weil es mehr wehtat, als er gerechnet hatte.
 

In der ersten Stunde schon hatte sie eine SMS von Joshua bekommen, dass er heute nicht in die Schule kommen konnte, weil er seine Schwester ins Krankenhaus bringen musste, da sie von der Treppe gestürzt war. Schwer verletzt war sie eigentlich nicht, aber Maria, die Mutter der beiden, hatte darauf bestanden, dass sie von Ärzten auf eine Gehirnerschütterung untersucht wurde.

Sie hatte ihm zurück geschrieben, dass sie ihn abholen, oder besuchen würde, je nachdem ob er sich nach Schulschluss noch mit Angela im Krankenhaus befände, oder nicht. Ohne sich großartig zu konzentrieren, schrieb sie das mit was Lehrer Kern über Tennessee Williams diktierte. Das hasste sie am meisten an seinem Unterricht, dass er ihnen immer vorschrieb, was sie über einen Dichter zu denken hatten. Die Vorstellung, dass der werte Herr keine Ahnung hatte, wovon er unterrichtete, half nicht viel.

Zum Glück war diese die letzte Stunde, per SMS hatte sie Joshua vor kurzem gefragt, ob er noch im Krankenhaus wäre. Bis jetzt hatte er noch nicht zurück geschrieben.

Der Unterricht endete, obwohl sie so schnell wie möglich aus der Schule wollte, wartete sie, bis die ganzen Mitläufer, die sie hasste, an ihr vorbeigezogen waren. Eine Idiotin mit dem Namen Cristina murmelte: „Wahrscheinlich ist sie mit ihrem fetten Arsch stecken geblieben.“

Und so laut, dass sie verstehen konnte fauchte sie: „Besser ein fetter Arsch, als ein molekülgroßes Gehirn.“

Darauf lachte Cristina nur. Als ob so eine Beleidigung eine Einserschülerin verletzen würde. Mal wieder musste Rachel einsehen, dass Äußerungen wie die Christinas sie mehr verletzten, als sie zugeben würde.

„Miss Simmons, dürfte ich dich einen Augenblick sprechen.“

Als Kern sie ansprach, bereute sie es endgültig, so lange gewartet zu haben. Sie faucht: „Sehen Sie nicht ein, dass ich mich bei so einem dämlichen Spruch verteidigen muss.“

„Was für ein dämlicher Spruch?“

Rachel seufzte erleichtert auf. Kern war dafür bekannt, Sarkasmus mit Nachsitzen zu bestrafen. Gut, dass er sie nun doch nicht gehört hatte. „Nichts.“

Zum Glück interessierte es Kern gar nicht, was sie damit gemeint hatte. „Würdest du bitte nach vorne kommen?“

Sie gehorchte. „Aber schnell, ich hab es nämlich eilig.“

„Es wird schnell gehen.“ Aus seiner Aktentasche, die größer als er selbst war, holte er fünf Zettel heraus. Rachel erkannte an der Handschrift, dass es sich um einen ihrer Texte handelte. Sie schluckte. Hoffentlich hatte er nicht zu negativ auf den Dialog zweier Frauen reagiert, die darüber diskutierten, dass Frauen Sex immer passiv hinnehmen müssen.

„Es tut mir leid, wenn meine Ehrlichkeit nicht in Ihr konservatives Denken hineinpasst, aber wenn Sie deswegen glauben, sie müssten mich deswegen zum Schulpsychiater schicken, haben Sie sich geschnitten. Ich werde niemals...“

„Bitte was?“, unterbrach der Lehrer Rachel, nachdem er kurz ihre Anschuldigungen hatte aufnehmen müssen.

„Heißt das, Sie machen sich keine Sorgen über den ‚Dialog der Passivobjekte.’“

Kern schüttelte den Kopf. „Nein, Sorgen mache ich mir schon lange keine mehr, denn ich kenne schlimmere Texte von dir. Allerdings wollte ich tatsächlich über einen Essay von dir sprechen, nämlich ‚Warum wir schweigen’.“

„Ach, der Blödsinn...“

„Das ist gar kein Blödsinn. Die wirklich tollen Parallelen zu Wittgenstein haben mir außerordentlich gut gefallen.“ Rachel wusste gar nicht, dass sie in dieser flüchtigen Arbeit Parallelen zu Wittgenstein gezogen hatte, aber sie widersprach nicht. Wenn er so etwas hinaus lesen wollte, würde sie ihn nicht aufhalten. „Ehrlich gesagt fand ich die Arbeit fast schon zu gut für eine sechzehnjährige.“

„Ich hab das aber selbst geschrieben.“

„Was? Warum bildest du dir immer sofort persönliche Angriffe ein? Ich wollte nur fragen, ob du dein Einverständnis gibst, dass ein guter Freund von mir den Essay in eine Anthologie veröffentlichen wird.“

Auf einmal zierte ein riesiges Grinsen Rachels Gesicht. Sie hatte sich immer um Anerkennung für ihre schriftstellerische Arbeit gewünscht, und nun bekam sie sie endlich. Da sie so überwältigt war, konnte sie nur nicken.

„Ich wusste, dass du einwilligen würdest.“ Er saß mittlerweile nicht mehr hinter dem Schreibtisch, sondern war aufgestanden. Der kleine Mann mit dem Spitzbart hatte die Hände in den Sakkotaschen vergraben, spielte mit irgendetwas darin und ging wie ein Tiger um Rachel herum. Dies machte sie nervös, doch wie immer überspielte sie ihre Ängste. Außerdem war die Freude über das Veröffentlichungsangebot noch immer überwiegend. „Ich wollte noch eine andere Kleinigkeit mit dir bereden.“

Sie seufzte. „Ich wusste es, Sie halten mich für verrückt.“

Darauf lachte der Lehrer. „Natürlich, aber jeder gute Literat ist ein wenig irre, sieh es als Kompliment. Das Thema streift aber ihre Verrücktheit ein wenig. Es geht nämlich um Joshua Nazara.“

Rachel verzog das Gesicht. „Wollen Sie sich eventuell bei mir dafür rechtfertigen, dass sie sagten, er hätte kein Talent? Würden Sie das bitte mit ihm persönlich besprechen. Ihre Meinung hat ihm im Übrigen sehr getroffen.“

„Tja, dann wird er sich noch längere Zeit verletzt fühlen, ich werde meine Meinung, dass er ein Versager ist, nicht zurücknehmen.“ Rachel wollte einen Einwand erbringen, doch Kern ließ dies nicht zu: „Ich mache mir Sorgen um dich. Er ist ein schlechter Umgang und könnte deine beispiellose Kreativität hemmen, wie nichts anderes.“

Rachel stampfte auf und fauchte: „Wie können Sie so etwas sagen? Sie kennen ihn doch gar nicht.“

Kern kratzte sich an der Wange. „Doch, doch, ich kenne ihn besser als er sich selbst und weiß mehr über ihn, als er über sich selbst. Nicht nur in Bezug auf seinen verstorbenen Vater.“

Rachel verzog das Gesicht. Es war ein offenes Geheimnis, dass Kern bei der Ermordung von Joseph Nazara anwesend gewesen war, doch dass er als stinknormaler Zeuge unter vielen mehr in Erfahrung gebracht hatte, als die Familienangehörigen, war zweifelhaft.

„Glaub mir, Rachel Simmons, es ist besser für dich, wenn du in Zukunft nichts mehr mit ihm zu tun hast.“

Sie verdrehte die Augen. „Schwachsinn.“

„Kein Schwachsinn. Der Junge ist ein gefährliches Individuum, das all seinen Freunden und Verwandten großes Leid zufügt und es in Zukunft weiterhin tun wird.“ Er legte seine Hand auf Rachels Schulter, was sie anekelte, doch sie konnte ihn nicht abschütteln. „Früher oder später, wirst du wegen ihm sterben.“

Auch wenn sie sich einbildete, dass diese Hirnwichse, die dieser Mensch von sich gab, sie nicht berührte, lief es ihr doch kalt den Rücken herunter. Eventuell lag es an der Stimme Kerns. Er flüsterte nur und stieß so heftig Atem aus, dass Rachel das Gefühl hatte, ein Bulle würde neben ihr schnaufen.

„Ich verspreche dir, wenn du mir heute noch versprichst, dass du nie wieder mit Joshua reden wirst, ihn nicht einmal ansehen wirst, wirst du den heutigen Tag noch überleben.“

Endlich konnte sich Rachel aus ihrer Paralyse reißen. Sie schüttelte mit einer ausholenden Geste Kerns Hand von ihrer Schulter und schrie. Sie wollte eigentlich nicht schreien, aber anscheinend hatte die Unsicherheit seit langem Kontrolle über sie gewonnen: „Stehen Sie unter Drogen? Was fällt Ihnen ein solche ... perversen Äußerungen von sich zu geben... und sich in mein Privatleben einzumischen! Das erfährt der Direktor! Der wird Sie feuern.“

Rachel wollte wütend aus dem Klassenraum stampfen, doch durch einen unerklärlichen Grund ging plötzlich die Türe vor ihrer Nase zu. Ein Windstoß? Egal. Sie drehte am Türknauf, doch der rührte sich keinen Zentimeter. Abgeschlossen? Wie das?

„Das heißt, du hast nicht vor Joshua Nazara im Stich zu lassen?“

Sie drehte sich zu dem kleinen Mann um. Der plötzlich nicht mehr so harmlos aussah, wie üblich.

Seine Augen glühten gelb, die Pupille war verschwunden. Ein unnatürlich breites Grinsen offenbarte das Gebiss eines Rotweilers. Sein Gesicht war von einem Schatten erfasst worden, der diese Aspekte betonte, sodass Rachel nur auf sie blicken konnte. Wodurch sich eine Angst in ihr aufbaute, die sie noch nie so heftig gespürt hatte. Und irgendwie hatte sie plötzlich die Gewissheit, mit einer Macht zu tun zu haben, die sie nicht verstehen konnte.

In seiner Hand hielt der Dämon Kern ein Messer. Eines mit einer verdammt großen Klinge, das auf sie gerichtet war. Rachel wollte schreien, doch sie war wieder wie paralysiert. Ängstlich presste sie ihren Rücken gegen die Wand und zitterte unweigerlich.

„Tja, muss ich wohl meine Drohung einhalten. Da du weiterhin zu deinem Joshua hältst, musst du die Strafe dafür zahlen.“ Auch seine Stimme hatte sich verändert. Aus dem sonstigen Quieken war eine dröhnende Bassstimme geworden, die den ganzen Raum zum Erbeben zu bringen schien.

Rachel holte tief Luft, betete, dass sie sich aus ihrer Todesangst zumindest für eine Sekunde reißen konnte, damit sie etwas sagen würde, was sie nie zu sagen vermutet hätte: „Ich will meine Meinung noch ändern!“

Es klappte! Nur leider ergab sich nicht der gewünschte Effekt.

„Zu spät.“

Er war mindestens zwei Meter von ihr entfernt. Er hätte gar nicht berühren können. Aber als er mit dem Messer ausholte, berührte die Klinge ihren Hals.

Die Klinge war groß, und sie war scharf, aber ihr Erfolg hätte nie so groß sein können, dass dem über zwei Meter entferntem Mädchen gleich der Kopf abgeschnitten werden würde.

Doch darüber konnte sich Rachel nur mehr in der Hölle darüber Gedanken machen. Denn das unmögliche war passiert.

Eine Blutfontäne schoss in die Höhe, als ihr Kopf auf dem Boden gelandet war. Sie war tot. Ihr letzter Gesichtsaudruck spiegelte die blanke Angst wieder.

Kern schüttelte sich. Das Dämonische aus seinem Gesicht verwand, das Messer warf er auf den Boden. Er nahm seine Aktentasche, und öffnete die Tür, ging aus dem Klassenraum, die Leiche ließ er unberührt liegen. Jeder, der auch nur kurz hineinschaute, sah das Blut und den toten Körper, doch das interessierte...
 

...ihn nicht. Besonders dann nicht, wenn es dieser dumme Nachbarjunge Leonard Brighton es erzählte. Deswegen hatte er auch nicht gar nicht zugehört.

„Ich meine, muss ich mir so etwas wirklich gefallen lassen?“

Auch wenn Joshua keine Ahnung hatte, wovon der fünfzehnjährige geredet hatte, nickte er einfach.

„Findest du es dann fair, dass der Lehrer nur mich bestraft und Curtis nicht?“

Wer zu Teufel war Curtis?

Trotz des Unwissens nickte er und versteckte unter einem Gähnen die Aussage, dass der Lehrer sich unfair gegenüber Lenny verhalten hatte, und dieser Curtis eigentlich aus der Schule verweisen gehört.

„Weißt du was, ich wünschte mir manchmal, dass ich wie Faust einen Pakt mit den Teufel eingehen könnte, doch ich würde mir nicht ewige Jugend, Reichtum und eine schöne Frau wünschen, sondern ich würde alle diese Idioten ins Exil schicken, wo sie auf ewig zu leiden hätten.“

Hätte Joshua zugehört, hätte er darüber gelacht, doch da er zu sehr neben sich stand um auch nur irgendwie auf die Worte des Zwerges einzugehen, bestätigte er, dass er das selbe tun würde, wenn er an seiner Stelle wäre, auch wenn Joshua niemals einen Pakt mit Satan eingehen würde, und erst recht nicht an die Hölle glaubte. Satan und Hölle waren für ein Symbol des Widerstandes und hatten absolut keine religiöse Bedeutung. Er war Atheist, es existierte für ihn wieder Gott noch der Teufel.

Joshua rieb sich die Schläfen. Er konnte die quietschende Stimmbruchstimme von Leonard Brighton auch in normalen Zustand nicht ertragen, doch mit der Müdigkeit auf den Schultern, die er nun trug, war sie noch schrecklicher zu ertragen. Seine Schwester ins Krankenhaus zu bringen war nämlich eine anstrengendere Tätigkeit gewesen, als sich seine Mutter jemals vorstellen konnte. Angela hatte sich nämlich mit Händen und Füßen gewehrt das Krankenhaus zu betreten. Der Sturz, wegen dem sie hingebracht worden war, hatte außer ein paar blauen Flecken, keine Schäden verursacht, doch weil sie sich so hysterisch benommen hatte, hatte man beschlossen sie einen Tag im Krankenhaus zu behalten. Joshua hatte keine Ahnung, was sie dort mit ihr machen würden, ob man sie in die psychiatrische einweisen oder auf Zwangsentzug setzen würde, doch er war froh, dass er einen Tag lang seine Alkoholikerschwester los war.

Leider würde er diese freie Zeit eher verpennen, als feiern, er wollte in sein Bett und auf der Stelle einschlafen.

Doch jetzt quasselte ihn dieser dumme Nachbarjunge voll, während er, mittlerweile ein wenig panisch, seinen Schlüssel suchte, den er zuletzt in der Tasche seines Kapuzenpullovers gespürt hatte. Leider hatte er so viel Kram in den Taschen, dass er das zierliche Ding zwischen Handy, Geldbörse, MP3-Player, Minigetränkeflasche und Zigarettenpackung nicht fand. Hoffentlich hatte er ihn nicht verloren, sonst saß er im Stiegenhaus fest.

„Jetzt mal im Ernst, wieso glaubt die Kirche noch Anhänger ihres lieben Gottes finden zu können, wenn Gott solche Arschlöcher wie Curtis produziert.“ Lange würde er dieses Gefasel nicht mehr aushalten. „Und Satan hat dann Mitleid mit den netten Menschen und bestraft dann die, die sie geärgert haben.“

„HA!“, platze Joshua heraus, und betrachtete glücklich den Schlüssel, den er gerade gefunden hatte. Leonard war zusammengeschreckt.

Bevor der Zwerg auch noch irgendetwas sagen konnte, sperrte Joshua hastig die Tür auf und faselte irgendetwas von wegen, dass er keine Zeit hatte, weil er etwas für die Schule nachholen musste.

„Kann ich vielleicht morgen...“

Obwohl er Unhöflichkeit hasste, knallte er dem Kind dennoch die Tür vor der Nase zu. Der kleine Wichser klopfte ein paar Mal gegen die Tür und rief Joshuas Namen, was diesen aber kalt ließ. Das Klopfen war zwar ein unangenehmes Geräusch, die Türglocke erst recht, aber irgendwann würde der Idiot schon die Geduld verlieren und verschwinden.

Joshua warf auf die Couch sich im Wohnzimmer, welche das bequemste Möbelstück im Apartment, doch nur selten zu genießen war, da sonst immer Angela oder seine Mutter oder gar beide um ihn herumschwirrten.

Er drehte den Fernseher an, es zwar neunzehn Uhr, um diese Uhrzeit lief die einzige intelligente Sendung im lokalen Nachrichtenkanal. Auf diesen schaltete er. Ein wenig Information über das aktuelle Tagesgeschehen würde schon nicht schaden, die meisten Leute meinten eh, er würde viel zu wenig Interesse am Welt- und Stadtgeschehen zeigen.

Das erste Bild, das er sah, war das seiner Schule. Eine Stimme aus dem Off, deren Erzählung er mitten im Satz angestaltet hatte, faselte irgendetwas von einem brutalen Mord eines Lehrers an einer Schülerin. Joshua wurde hellhörig. Auch wenn er sich sicher war, dass er die Ermordete nicht kennen würde, berührt es einem doch sehr, wenn ein Mord an der eigenen Schule geschah. Insgeheim verfluchte er seine Schwester, dass sie ihn heute vom Schultag abgehalten hatte, dieses Massaker hätte er tatsächlich gerne gesehen.

Den Mörder erkannte er jedenfalls, obwohl sein Gesicht verschwommen worden war und sein Name nicht genannt wurde – es war der Lehrer Kern.

Er grinste, auch wenn es ihn entsetzte. Kern war der letzte gewesen, dem er die Tat zugetraut hätte. Er beurteilte zwar ungerecht, schickte Schüler wegen kleinster Vergehen, worunter auch harmloser Sarkasmus und das Lärmen mit Schulmaterial fiel, zum Nachsitzen, aber er konnte sich oft nicht durchsetzen und erst recht nicht laut werden. Joshua fragte sich, von welchem Teufel er geritten worden war.

Die Nachrichten zeigten eine Aufnahme, wie er von der Polizei abgeführt wurde. Er sprach dabei kein Wort, noch wehrte er sich in irgendeiner Weise.

Doch es dauerte, bis der Name der Ermordeten genannt wurde – eine gewisse Rachel S.

Joshua schluckte.

Obwohl es anscheinend zu persönlich für das Fernsehen war, das Gesicht eines Mörders zu zeigen, war es anscheinend okay das Foto des Opfers zu zeigen. Joshua sah in diesem Augenblick das letzte Mal das Mondgesicht, das überbreite Grinsen und die braunen Augen seiner Rachel – und das auf dem Fernseherbildschirm.

Er glaubte, dass in diesem Moment sein Herz zum Stillstand gekommen war. Doch er war zu perplex um seinen Puls zu testen. Jedenfalls bemerkte er irgendwie, dass tatsächlich sein Atem ausgesetzt hatte.

Seine Rachel?

Die erste Regung setzte nach zehn Minuten ein, als der Bericht schon längst zu Ende gegangen war. Erst zitterten seine Hände, und dann bebte sein ganzer Körper.

Seine Rachel? Seine Rachel war vom Lehrer Kern umgebracht worden?

Dann schrie er. So lange und so laut, dass er heiser wurde.

Seine Rachel?

Dann platzten aus seinen Augen regelrecht die Tränen heraus. Er krallte seine für einen Jungen zu langen Nägel in seine nackten Oberschenkel um den Schmerz zu überspielen, es half nichts. Er schmiss sich auf den Boden, schrie und weinte solange weiter, bis irgendwer kommen würde, um ihn ohnmächtig zu schlagen.

Seine Rachel! Seine Rachel war vom Lehrer Kern umgebracht worden!
 

Der erste, dem die Schreie Sorgen bereiteten, war nicht Leonard Brighton, der einzige der sich gerade in dem Wohnbau aufhielt, weil er seinen coolen Nachbarn für einen Teufelsanbeter hielt, weswegen er glaubte Joshuas Geschrei sein Teil einer Art satanischem Ritual. Der erste, dem die Schreie Sorgen bereiteten, war ein exzentrisch aussehender Blondschopf, der mit seiner schwarz gekleideten Gattin in einer schwarzen Limousine saß, von der er aus die Wohnung der Familie Nazara beobachtete.

Als das Geschrei begonnen hatten, wollte er aus dem Auto springen und dem schon genug geprügeltem Jungen helfen, doch seine Frau packte ihm am Kragen und er kam nicht los.

„Ich weiß“, murmelte er. „Doch es ist unsere Aufgabe ihn zu beschützen.“

Sie schüttelte den Kopf. Nicht davor, hätte sie gesagt, wenn sie sprechen würde.

„Woher weißt du, dass da oben kein Dämon versucht ihn zu vergewaltigen und dabei die Kehle durchzuschneiden?“ Sie machte nie auch nur eine Regung mehr als notwenig und auf diese Frage, die er sich selbst beantworten konnte, wenn er auch nur mal eine Minute nachdenken würde, ohne sich dabei von seiner Panik leiten zu lassen, würde sie als Antwort nicht einmal blinzeln.

Die beiden spürten jede kleine paranormale Regung auf zweihundert Kilometer – einen Dämonenangriff zehn Meter entfernt war ein Kinderspiel.

Er seufzte: „Wir haben alles umgebracht, was ihn auch nur irgendwie direkt umbringen würde. Wetten, sie haben jetzt Angst. Und wetten, sie versuchen es jetzt auf indirekte Weise.“

Auch so eine Frage ließ sich mit nur einem rationalen Gedankengängen von selbst beantworten. Das war keine Regung wert.

Sie wusste, dass ihr panischer Gatte, der diesen Auftrag am liebsten ausgeschlagen hätte, nun keine produktiven Erkenntnisse mehr liefern, geschweige denn einen vernünftigen Satz sagen würde. Hart wie sie war, drehte sie sich von ihm weg und las in der Zeitschrift weiter, die sie nicht so sehr ablenkte, dass von hier aus keine Hydra umbringen könnte.

„Du würdest auch gelassen bleiben, wenn er sterben würde“, knurrte der Blondschopf und streckte seinen Kopf aus dem Autofenster - eigentlich war diese Handlung viel auffälliger, als man ihnen erlaubt hatte. War es doch schon schlimm genug, dass Joshua neulich einen Blick geworfen hatte. Doch die Frau mit den Schwarzen Haaren sagte nichts. Die nächsten zwanzig Stunden würde schon nichts schief laufen.

Leider sollte sie sich das erste Mal seit Jahren irren, denn eine introvertierte Person wie sie hatte eben keine Ahnung von der Psyche eines jungen Mannes, dessen Vater vor seinen Augen erschossen worden war, dessen Mutter ihn hasste, dessen Schwester eine Alkoholikerin war und dessen Freundin gerade geköpft worden war.

Sein Abschiedsbrief war der:
 

Nun weiß ich, dass es keinen Sinn macht, mich zu fragen, warum mir das widerfährt.

Nun weiß ich, dass ich nichts tun kann, um all das rückgängig zu machen.

Ich weiß aber, dass ich diesem Scheiß ein Ende setzen kann.

***

Ich weiß nicht, warum mein Vater sterben musste.

Ich weiß nicht, warum Angela Alkoholikerin ist und meine Mutter mich ausnutzt.

Ich weiß nicht, warum mir Rachel genommen worden ist.

Ich weiß nicht, warum alle Menschen, die ich liebe, sterben müssen, und ich weiß nicht, warum alle, die ich lieben sollte, mich nicht lieben und alles tun, damit ich sie nicht mehr liebe.

Ich weiß aber, dass ich der Faktor ihres Todes ich bin und sein werde.

Ich weiß, dass es immer Menschen geben wird, wegen denen ich hassen muss.

***

Mein Vater nahm mich zu dieser Parade mit und bat mich durchzuhalten, auch wenn ich nicht der stärkste Mann der Welt bin.

Ich kann dieses Versprechen nicht halten.

Im Prinzip bin ich doch nur ein kleiner, dummer Junge, dem die natürliche Ordnung der Dinge einen schmerzenden Platz zugewiesen hat, und kein Held, der das alles tragen kann.

***

Ich fühle mich unnötig, ich fühle mich fehl am Platz.

Denn irgendwie habe ich das Gefühl, dass man mich woanders sehen will.

Oder mich gar nicht haben will.

***

Ich habe Angst weiterzuleben.

Ich habe Angst noch mehr Menschen zu verlieren und weiter alleine durch die Welt zu gehen.

Ich kann nicht mehr.

Und ich kann nicht weiter schreiben, denn die Worte, die mir nun durch den Kopf gehen, wünschte ich nie gedacht zu haben und kann sie niemals zu Papier bringen.

***

Ich bin ein Versager.

Ich will nicht mehr leben.

***

Tut mir Leid, Papa
 

Um Punkt Mitternacht sprang Joshua von der Fensterbank und landete direkt vor den Füßen von Toraria und Jonathan Letherman, die ihn eigentlich vor den Tod hätten bewahren müssen.
 

Gabriel X. Paradiso legte den Zettel mit dem Abschiedstext, den er hatte stehlen lassen, noch bevor Joshuas Mutter erfahren konnte, dass ihr Sohn tot war, bei Seite, wobei er sich bei dem Gedanken erwischte, dass der Junge das dichterische Talent einer Kartoffel hatte, doch seine Augen vermittelten die Stimmung, in der sich gerade befand: nackte Wut, wegen der er am liebsten den beiden gegenübersitzenden Personen die Köpfe abgerissen hätte, wenn sie so etwas getötet hätte.

„Das war Toris Idee!“, platze Jonathan Letherman heraus. „Sie sagte, nur vor paranormalen Einwirkungen sollen wir ihn beschützen.“

In diesem Zusammenhang zeigte das ausdruckslose Gesicht von Toraria Letherman ausnahmsweise so etwas wie eine Emotion – diese Fehlkalkulation war ihr tatsächlich mehr als peinlich.

Gabriel X. Paradiso ignorierte Jonathan: „Siebzehn Jahre lang läuft alles gut. Siebzehn Jahre lang haben wir all die Dämonen von ihm fernhalten können. Es gab Opfer, aber er blieb am Leben, aufgrund der Handlung eines senilen Greises, der sich gelegentlich immaterialisiert. Und dann übertrage ich die Aufgabe an zwei talentierte Killermaschinen, die jung im Kopf sind, und was passiert – vierzehn Stunden vor der Verkündung geht der Schwachkopf übern Jordan. Erklärt mir bitte, warum ihr es geschafft habt, Satans schlimmste Söldner abzuwehren, aber ihn nicht vor dem Selbstmord zu bewahren!?“

Jonathan zeigte noch immer auf seine Gattin, doch an eine verbale Schuldzuweisung dachte er nicht: „Nun ähm, woher sollten wir wissen, dass der Junge Depressionen hat... hatte? Man hat uns keine Hinweise darauf gegeben.“

„Seht ihn euch an – wer sich so anzieht und so einen Dreck schreibt muss unter Depressionen leiden! Ich hab gedacht, ihr habt so etwas wie gesunden Menschenverstand.“ Gabriel X. Paradiso musterte die beiden genau. Und dabei fragte er sich, wie er auf die Idee gekommen war, den beiden gesunden Menschenverstand zuzuschreiben. Der Alb Jonathan Letherman auf der einen Seite, der Kleidung an hatte, die wie ein Schlafanzug aussah und nun fast zu weinen schien, und die Magierin Toraria Letherman auf der anderen Seite, die kein Wort sprach und keine Emotionen zu haben schien, und deren Stammbaum so von Inzest verseucht war, dass sie ihre eigene Mutter sein könnte.

Jonathan senkte den Kopf. „Tut uns leid. Tut uns wirklich leid.“ Toraria nickte sogar zustimmend.

Gabriel X. Paradiso versenkte das Gesicht in den Händen. „Schon okay. Sehen wir das ganze einmal objektiv – Wir, nicht ihr. WIR haben einen Fehler gemacht. WIR dachten, die Feinde würden nur Angriffe direkt auf Joshua versuchen, doch wir haben die Tatsache übersehen, dass sie seine Psyche angreifen könnten und werden und ihn so in den Selbstmord treiben. Bringt ja auch Vorteile für die – Selbstmörder haben keine Chance in den Himmel zu kommen, was ihn automatisch auf ihre Seite bringt.“ Gabriel X Paradiso wurde gerade das komplette Ausmaß dieser Fehlberechnung bewusst. „Es war vor allem mein Fehler, dass diese Möglichkeit übersehen wurde. Noch dazu habe ich euch beauftragt, dass ihr so verdeckt bleiben müsst, dass er euch nicht einmal sieht – ihr hab euch nur an die Regeln gehalten, die Kontrolle seines psychischen Zustandes fiele eindeutig in die Kategorie des ‚Sich Zeigen.’

Also, wir alle haben Fehler gemacht. Es ist nicht nur eure Schuld.“

Jonathan seufzte, doch Erleichterung war keine zu bemerken. Auch Torarias Gesicht zeugte noch immer von der kaum sehbaren Mimik der Blamage.

„Wir können nichts, daran ändern. Der Messias ist tot.“ Pause. „Der Messias ist tot.“ Noch längere Pause. „Und vermutlich in der Hölle. Wir müssen jetzt genau überlegen, wie wir fortschreiten sollten“, sagte Gabriel X. Paradiso. Doch der einzige Gedanke den er hatte, war:

JOSHUA NAZARA IST TOT!



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