Per Anhalter
Er hasste es. Ja, er hasste es wirklich.
Er hasste es, sich kein Auto leisten zu können.
Er hasste es, dass er sich jedes Mal irgendwie mitnehmen lassen musste.
Immer wieder dieselbe Scheiße.
Er stand am Straßenrand, wartete und wartete. Ein Auto nach dem anderen zog an ihm vorbei und seine Laune sank mit jedem, das an ihm vorbeizog. Das Leben als Tramper hatte eben doch nicht nur Vorteile, auch wenn es manchmal ganz amüsant war. Man lernte viele schräge Vögel kennen, manchmal sprang auch eine kostenlose Zigarette raus, oder sonstige Kleinigkeiten. Aber heute hatte er einfach kein Glück.
Missmutig kaute Reita auf dem Kaugummi in seinem Mund herum. Der hatte schon lange keinen Geschmack mehr. Aber irgendwie musste er seinen Nerven ja beruhigen, denn jedes Auto, das einfach ungeachtet an ihm vorbeiraste, machte ihn aggressiver. Er ahnte, dass er mehr Chancen hätte, wenn er ein süßes Mädchen mit kurzem Rock und weitem Ausschnitt wäre, aber er würde sich Hüten auch nur einen knöchellangen Rock zu tragen! So tief war er nun auch wieder nicht gesunken.
Wie lange er noch in der Kälte stand, mit seinem Rucksack beladen, wusste er nicht, aber irgendwann hielt ein dunkelblauer Wagen an und die Beifahrertür öffnete sich. Na also! Grinsend stieg Reita ein, stellte seine Tasche im Fußraum ab und schloss die Beifahrertür wieder. Er warf einen Seitenblick auf den Fahrer, der schwarze Haare hatte und nicht unbedingt zu der Sorte gehörte, die so aussah, als würde sie irgendwelche Kerle mitnehmen. Aber irgendwie war er ja ganz hübsch, aber diesen Gedanken verbot er sich gleich wieder. Reita hob eine Braue, während er sich anschnallte. Die dunklen Augen richteten sich auf ihn.
„Was guckst du so?“, fragte er und das Herz des Schwarzblonden begann ein wenig schneller zu schlagen und er nuschelte ein ‚Nichts, nichts.’
„Wo willst du überhaupt hin?“, fragte ihn der Schwarzhaarige. Er duzte ihn einfach so, aber irgendwie störte Reita das nicht, wäre es anders, hätte es ihn wohl mehr genervt. Er kam sich dann immer so alt vor. „Hab’ kein Ziel. Reicht mir, wenn du mich ein Stück mitnimmst.“
„Ein Tramper, huh?“, fragte er amüsiert und Reita konnte bloß nicken.
Sie unterhielten sich bloß wenig, sehr wenig. Ein wenig über die anderen Autofahrer, die alle einen beschissenen Fahrstil hatten und doch alle ihren Führerschein aus den Überraschungseiern hatten, oder im Lotto gewonnen und dass Hizumi – Reita hatte herausgefunden, dass der Kerl so hieß – eh als Einziger hier richtig fahren konnte. Hizumi hatte Reita nicht gesagt, wohin er fahren würde und Reita interessierte es ja auch nicht. Er war froh, wenn er bloß ein Stück mitgenommen wurde. Vielleicht würde er dann ja noch einen guten Schlafplatz finden. Der Rucksack zwischen seinen Füßen, klapperte leise, doch das hörte man nicht, dafür war die Musik zu laut. Reita mochte Hizumis Musikgeschmack. Und nicht nur das. Er mochte auch Hizumi, irgendwie jedenfalls. Er war ihm sympathisch. Die Art, wie er sich über die anderen Autofahrer aufregte, wie er fluchte und auf sein Lenkrad schlug, wie er die Augenbrauen zusammenzog und finster nach draußen sah, aber dennoch freundlich zu Reita blieb, das gefiel ihm einfach. Schade, dass sie sich nie wieder sehen würden, sobald er die Autotür hinter sich zuschlug.
Und Reita schien Hizumi ja auch nicht so unsympathisch zu sein, denn er grinste viel und lachte. Reita hatte nicht den Eindruck, dass der andere ihn auslachte. Eher im Gegenteil.
„Sag mal Reita… wie bist du eigentlich zum Trampen gekommen?“, fragte Hizumi und er spürte genau, wie neugierig er war. Reita zuckte grinsend mit den Schultern. „Warum nimmst du Tramper mit?“
„Keine Ahnung.“, erwiderte der Kleinere und Reita begann leise zu lachen, wobei Hizumi fast schon beleidigt grinste. „Da hast du deine Antwort.“
„Wichser!“, knurrte der andere und Reita bedankte sich grinsend, was den anderen zum Lachen brachte. Ja, irgendwie verstanden sie sich wirklich gut, waren wohl auf einer Wellenlänge oder so.
Sie fuhren bestimmt zwei Stunden, bis Hizumi eine Abfahrt fuhr, um an der Tankstelle, die noch zwei Kilometer entfernt war, Tanken zu können.
„Kannst mich an der Tankstelle absetzen.“, meinte Reita. Ein Stück mitnehmen hieß ja nicht, dass er ihn durch halb Japan fahren musste. Hizumi sah ihn kurz überlegend an, ehe er zu nicken begann. Irrte Reita sich oder war der andere danach schweigsamer, als vorher? Schließlich hielt Hizumi an einer der Tanksäulen und Reita blieb vorerst sitzen, weil Hizumi meinte, dass er das machen sollte. Und Reita tat ihm den Gefallen. Durch den Spiegel blickte Reita zu Hizumi, der gerade darauf wartete, dass der Tank voll wurde, die Arme verschränkt hielt. Ein leichtes Schmunzeln legte sich auf Reitas Lippen, weil Hizumi auch jetzt seine Augenbrauen genervt aneinander gezogen hatte. Auf manche Menschen würde das vielleicht gefährlich wirken, aber nicht auf Reita.
Hizumi ging dann in die Tankstelle, um zu bezahlen. Reita konnte ihn ab da nicht mehr sehen, sodass er sich zurücklehnte und die Arme, mit einem matten Grinsen, verschränkte. Innerlich bereitete er sich aber schon darauf vor, das Auto zu verlassen. Vorsorglich schnallte er sich ab.
Hizumi kam wieder raus, schlurfte auf ihn zu. Er hatte noch eine Tüte dabei, die er Reita einfach gab, der verwirrt blinzelte, als die Beifahrertür von dem Schwarzhaarigen geöffnet wurde.
„Das ist für dich.“, meinte Hizumi bloß knapp, knallte die Autotür dann zu – das machte Reita auch furchtbar gerne – und öffnete dann die Fahrertür, schloss diese nicht minder laut wieder hinter sich, blickte Reita an.
Dieser warf einen neugierigen Blick in die Tüte, fand dort ein paar Onigiri und blickte Hizumi irritiert an.
„Für später, falls du Hunger kriegst.“, meinte Hizumi bloß und Reita nickte verstehend, bedankte sich und wollte gerade die Tür öffnen, als er Hizumis Hand an seiner Schulter spürte, die ein angenehmes Kribbeln auf dieser zurück lies.
Und Reita grinste breit, während er sich doch wieder anschnallte, nachdem er Hizumis tiefe Stimme nah an seinem Ohr gehört hatte.
„Willst du nicht noch ein Stückchen mitfahren?“
_Owari_