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Das Pendel

Wenn man nicht schwarz und auch nicht weiß sein kann, was ist man dann?
von

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Dämonen stinken!

Langsam ging ich den schmalen Weg entlang. Der Kiesel knirschte unter meinen Füßen und der kalte Herbstwind blies mir ins Gesicht. Zu beiden Seiten von mir reihten sich Gräber, jeder von ihnen mit einem Namen beschriftet, manche mit voller Liebe gepflegten Blumen verziert, andere durch die Zeit mit Vergessen bestraft.

Ob geliebt oder nicht, alle hatten sie eine Geschichte zu erzählen, man musste nur zuhören können. Es gibt Leute, die darauf schwören mit Toten reden zu können. Die meisten von ihnen haben nur eine sehr ausgeprägte Phantasie, aber manche sind mit dem zweiten Gesicht gesegnet. Sie können mit den Verstorbenen reden, also wie der Junge in ‚The sixt sence’.

Ich gehöre zu keinem von beiden, und übrigens, mein Name ist Celia Grant.

Ich mochte Friedhöfe schon immer. Sie erinnern uns daran, dass alles im Leben vergänglich ist. Das Leben ist voller Ungewissheiten und Lügen. Das Einzige was im Leben wirklich sicher ist, ist der Tod. Früher oder später kommt er zu jedem von uns.

Er unterscheidet dabei nicht unter reich oder arm, schön oder hässlich, jung oder alt, schwarz oder weiß. Am Ende sind wir alle gleich.

Auf einem der Gräber lag ein großer Haufen schöner Blumen, vor lauter Sträußen konnte man den Namen nicht mehr lesen. Egal wer hier lag, er musste sehr geliebt worden sein.

Im Schatten der großen Blumengestecke lag ein verkümmertes Grab. Auf dem brüchigen Stein stand: Aletha Cummings, 1917-2008. In der trockenen Erde des Grabes wuchs Unkraut. Eine kleine Blume hatte sich durch das Grünzeug gekämpft nur um dort an der Trockenzeit der letzten Tage zu verenden.

Ich kniete mich vor das Grab und legte meine rechte Hand auf die vertrocknete Blume. Als ich die Hand wieder zurückzog stand das kleine Pflänzchen sicher und gesund in der Erde. . Ich richtete mich auf und ging weiter.

Jeder kann doch was ganz bestimmtes am besten, und das ist meins. Ich hab so zu sagen einen grünen Daumen, wenn ihr so wollt.

Plötzlich rempelte mich etwas in der Höhe meiner Hüfte an. Überrascht verlor ich das Gleichgewicht und stolperte über einen Randstein. Ein pochender Schmerz breitete sich in meinem linken Bein aus und ich unterdrückte ein Stöhnen. Verwirrt suchte ich nach dem Grund meines Sturzes und erblickte einen kleinen Jungen, der mit bleichem Gesicht entsetzt auf mich hinab sah.

Ich sah ihm direkt in die Augen und musste ziemlich angefressen gewirkt haben, denn plötzlich lief er so schnell er konnte in Richtung Ausgang. Ich brüllte ihm noch ein empörtes „Hey!“ nach und seufzte dann lautstark. Wer erlaubte seinem Kind auf einem Friedhof rum zulaufen als sei dies ein Spielplatz?

Ich versuchte aufzustehen, brach aber vor Schmerzen gleich wieder zusammen. „Verdammte Scheiße! “, stieß ich hervor. Diese kleine Kröte hatte mir das Bein gebrochen! Ich suchte den Friedhof ab, doch ich war allein, auf einem Friedhof. Na toll, gleich würden sich die Vampire ja nur so auf mich stürzen! Da musste ich mir wohl selbst helfen.

Ich heilte zwar um einiges schneller als die Menschen, aber es war kalt und ich hatte keine Lust mir während dem Warten den Arsch abzufrieren!

Ich wollte mich gerade an einem Steinkreuz hochziehen als es auf einmal rechts von mir schwarz zu qualmen anfing. Auf diese Art projizierten sich Dämonen, ja Dämonen. Total klischeehaft, aber diese kleinen Würmer gingen nun mal nicht mit der Mode.

Ich lehnte mich an das Kreuz hinter mir und sah zu wie ein zwei Meter großer Hüne aus der Wolke trat. Er hatte eine mehrfach gebrochene Nase und kleine Schweinsaugen, die ihn wie den Idioten aussehen ließen der er wahrscheinlich auch war.

„Was willst du Dämon?“, fragte ich ihn genervt.

Er knurrte mich nur an und ging langsam auf mich zu. Ich konnte nichts anderes tun als mich festzuklammern und ihm zuzusehen. Ich dachte an das Messer in meinem rechten Stiefel, konnte mich aber nicht danach bücken ohne erneut zusammenzubrechen. Sah so aus als ob ich ein richtiges Problem hätte.

„Äh…, hören Sie mal Mr. Dämon, ich bin sicher, dass Sie mich mit jemandem verwechseln.“, versuchte ich ihm klar zu machen, doch der Hüne schien nicht sehr beeindruckt von meinen Worten zu sein. Er hatte mich schon fast erreicht, als mir sein fauler Mundgeruch regelrecht entgegen schlug. Ich verzog das Gesicht, ersparte mir aber ausnahmsweise meine Kommentare. In diesem Augenblick wäre mir ein Vampir wohl lieber gewesen!

Als er endlich in meiner Reichweite war streckte er seine riesigen Pranken aus und umschloss damit meinen Hals. Er drückte fest zu und seine Nägel bohrten sich in meine Haut.

Wie es zu erwarten ist, wenn man gewürgt wird bekam ich keine Luft mehr und das machte mich so richtig sauer. Ich stieß mich von dem Kreuz ab und riss den armen Vollidioten, der dumm genug gewesen war mich zu verärgern, gleich mit.

Wir landeten aneinandergeklammert auf dem Kiesboden und wirbelten dabei eine riesige Staubwolke auf. Er hatte inzwischen meinen Hals losgelassen und begrub mich jetzt unter seinem massigen Körper. Mein linkes Bein schmerzte furchtbar unter dem Gewicht seines Knies und ich stöhnte auf.

Als er merkte, dass ich verletzt war, war meiner Meinung nach sehr lange gedauert hatte, verlegte er sein ganzes Gewicht auf meinen gebrochenen Knochen.

Dieser verdammte Wichser!

Schnell merkte ich, dass mein anderes Bein nun frei war und ich versuchte mein Messer zu erreichen. Meine Finger umschlossen das kühle Metall und mit einem Ruck zog ich die Waffe aus meinem Stiefel.

Als der Dämon das Messer in meiner Hand entdeckte, war es schon zu spät. Mit voller Wucht rammte ich es ihm in die Magengegend. Er schrie vor Schmerzen laut auf und ich rollte ihn auf den Rücken.

„Wer hat dich geschickt, du Matschbirne?“

Er grunzte laut und wollte sich von mir befreien, doch ich fing langsam an das Messer umzudrehen. Er fing wieder zu schreien an und ich fragte nochmals: „Wer hat dich geschickt, du verdammter Neandertaler?“

Er hatte offensichtlich nicht vor, diese Frage zu beantworten. Es fing wieder zu rauchen an und plötzlich war von dem Hünen nichts mehr übrig, als sein mieser Mundgeruch. Dieses feige Schwein war einfach abgehauen! Ich steckte das Messer wieder ein und fluchte über die Blutflecken in meiner weißen Bluse. Das würde nie wieder rausgehen! „Verdammt noch mal!“, zischte ich.

Ich war zwar niemand, der davon lief wenn’s mal ernst wurde, aber irgendwas, vielleicht war’s ja der bestialische Gestank der die Luft verpestete, sagte mir, dass ich am besten abhauen sollte.

Also richtete ich mich mit aller Mühe wieder auf und versuchte irgendwie weiter zu kommen. Ich hüpfte von einem Stein zum anderen und sah dabei bestimmt total belämmert aus, doch schließlich kam ich dadurch trotzdem bei meinem Auto an.

Gut, dass ich nicht weiter weg geparkt hab, dachte ich und ließ mich erschöpft in den Sitz von meinem roten Mini sinken.

Die Selbstheilung würde sicher noch mindestens zwei Stunden dauern und währenddessen konnte ich nur hoffen, dass kein anderer Neandertaler kommen würde um nach mir zu suchen.
 

Zwei Stunden später stieg ich aus dem Auto und streckte mein Bein aus. Es war verheilt und wieder vollkommen belastbar. Der Heilungsprozess war anstrengend gewesen und nun war ich übermüdet und sehnte mich nach meinem Bett.

Inzwischen war es dunkel geworden und ich setzte mich wieder ins Auto um nach Hause zu fahren.

Die Fahrt war, außer einem verrückten Überholungsmanöver eines Jugendlichen, nicht weiter interessant, doch als ich vor meinem Haus parken wollte, konnte ich sehen, dass in meiner Wohnung direkt unter dem Dach das Licht brannte.

Ich wusste allerdings sicher, dass ich das Licht ausgeschaltet hatte bevor ich gegangen war, denn seit es im Fernsehen immer diese Werbungen über den Klimawandel gab schaute ich darauf auch immer brav den Müll zu trennen und Strom zu sparen.

Ich nahm mein Messer wieder zur Hand und ging langsam und vorsichtig die lange Treppe hoch.

Fünf Minuten später stand ich vor meiner eingetretenen Tür. Mit Adrenalin voll gepumpt schlich ich mich in die Wohnung und suchte nach meinem Einbrecher.

Im Wohnzimmer fand ich ihn schließlich…..dochdas hatte ich nicht erwartet!

Er saß gemütlich in meinem Lieblingssessel und trank ein Glas von meinem Whiskey.

Für einen Tag war das echt zu viel! „Warum könnt ihr scheiß Dämonen mich nicht in Ruhe lassen? Was hab ich euch denn getan? Ich mach doch nur meinen Job!“, schrie ich ihn an. Ich stampfte wütend mitten in den Raum und funkelte den Dämon böse an.

Doch irgendwas war anders, irgendetwas fehlte…

Der Geruch! Es stank nicht nach Dämon!

„Sie sind ja gar kein Luftverpester!“, platzte ich überrascht aus.

„Äh…Luftverpester? Nein nicht, dass ich wüsste. Ich hab heute Morgen erst geduscht.“, stellte er ruhig mit Humor in der Stimme fest.

„Geduscht?“ Jetzt verstand ich gar nichts mehr! „Seit wann duschen Dämonen denn?“, fragte ich ihn verwirrt.

„Ich hab ehrlich gesagt noch keinen gefragt, aber ich denke mal sie duschen wirklich nicht.“

Man konnte fast hören wie es in meinem Kopf zu rattern anfing. „Dann sind Sie ja gar kein Dämon!“

„Ja, natürlich nicht!“, rief er belustigt- empört aus.

„Nein?“, ich schüttelte langsam den Kopf.

„Nein!“, schüttelte er zurück.

„Wer sind Sie aber dann?“, mein Hirn schlug Purzelbäume vor lauter Nachdenken, aber na ja…ich war nun mal noch nie eine große Leuchte gewesen.

„Mein Name ist Kain Jonnson.“, sagte er und stand auf um mir seine Hand entgegen zu strecken.

Ich war immer noch total baff und starrte seine Hand verwirrt an. „Kain Jonnson“, wiederholte ich gaaanz langsam.

„Ja genau, die sollten Sie eigentlich zur Begrüßung schütteln!“, bemerkte er und nickte in die Richtung seiner, immer noch in der Luft hängenden Hand.

Es klackte laut in meinem Kopf und endlich war alles da, wo es hin gehörte. Ich fing so laut zu schreien an, dass die Wände wackelten: „Sie brechen bei mir ein, saufen meinen teuersten Whiskey und wollen mir allen Ernstes auch noch Benimmregeln beibringen. Haben Sie sie nicht mehr alle?“

Ich hatte es noch nie leiden können, besserwisserisch belehrt zu werden und heute war eindeutig nicht mein Tag, also wieso nett bleiben?

„Entweder Sie verschwinden sofort aus meiner Wohnung oder Sie sagen endlich was Sie von mir wollen.“ Um dem Ganzen eine besondere Wirkung zu geben wackelte ich mit dem Messer vor seiner Nase rum.

„Schon gut, schon gut. Ich rede ja schon, aber wie wäre es wenn wir es uns gemütlich machen würden?“ Er wollte sich gerade wieder in den Sessel sinken, doch nicht mit mir! „Das ist meiner!“, sagte ich immer noch wütend und ließ mich über die Lehne in die weichen Polster fallen. „Die Couch.“ sagte ich zu ihm und machte es mir gemütlich.

Ich seufzte erleichtert. Mir tat alles weh, doch an die weichen Kissen gelehnt, konnten meine Muskeln sich endlich entspannen. Meine Wut verpuffte einfach und für einen Augenblick versuchte ich den Mann auf meiner Couch einfach auszublenden.

Das gelang mir natürlich nicht. „Also gut Kain…Kain wie in der Bibel?“ fragte ich ihn mit dem nettesten Ton den ich aufbringen konnte.

„Stimmt, aber das ist eine andere Geschichte.“ Hatte ich mir das nur eingebildet, oder war kurz ein düsterer Schatten über sein Gesicht gezogen?

„Äh…gut, ich heiße Celia Grant…also was wollen Sie von mir?“

„Ich wollte Sie eigentlich warnen, aber anscheinend komme ich damit zu spät, nicht wahr?“

„Da haben Sie aber verdammt recht.“

„Wissen Sie was ein Equilibrier ist?“

„Jaah….Nö! Noch nie gehört, ist das Latein?“

„Genau. Aequlibrium heißt so viel wie Gleichgewicht. Ein Equilibrier ist jemand, der versucht das Gleichgewicht zwischen Gut und Böse zu erhalten.“

Ich sah ihn misstrauisch an. „Was wollen Sie von mir?“

„Sie wissen über was ich rede, oder? Ihre Mutter hat es Ihnen beigebracht.“

Aus mit dem Entspannen. „Meine Mutter ist seit zehn Jahren tot.“, sagte ich feindlich.

Das überraschte ihn. „Es tut mir leid das zu erfahren.“ Meinte er das etwa ernst?

„Ihre Mutter war das stärkste Mitglied im Orden des Pendels, einer Gruppe von Equilibrier, doch eines Tages verschwand sie ganz plötzlich. Sie war wie vom Erdboden verschluckt Der Orden hat drei Jahre gebraucht um sie wieder aufzuspüren und musste dann feststellen, dass sie aus eigenem Antrieb untergetaucht war ohne jeglichem Interesse daran je wieder zurückzukehren.

Abe hat gesagt, dass sie ihrer Tochter alles beigebracht haben würde, aber ich muss zugeben, dass ich, bis Sie mit blutiger Kleidung und einem Messer in der Hand rein geplatzt sind, daran gezweifelt habe, ob Sie etwas anderes als einfach nur langweilig sein würden.

Ich gebe zu, ich muss mich geirrt haben.“

Ich sah ihn lange an, und zwar zum ersten Mal.

Kain Jonnson hatte braune, wuschelige Haare und die seltsamsten eisig – blauen Augen, die ich je gesehen hatte. Er war wahrscheinlich ungefähr in meinem Alter, also so Mitte zwanzig und mitten in seinem unverschämten Gesicht klebte ein Dauergrinsen, das mich zur Weißglut brachte. Es war nun wirklich nicht der richtige Tag um mich zum Explodieren zu bringen, und das hatte ich heute schon oft genug bewiesen!

„Also, ja gut! Jetzt ist es ja so oder so zu spät. Dann bin ich wohl auch so ein Equi-dingsda! Sie haben mich erwischt!“ Ich knallte mir übertrieben dramatisch die Hände aufs Gesicht und machte einen auf bestürzt.

„Machen Sie was Sie wollen mit mir, ich war so ein böses, böses Mädchen!“ Ich streckte ihm meine Hände entgegen. „Verhaften Sie mich! Oder muss ich mir eine Lizenz besorgen und ab jetzt jeden Monat wuchernde Mitgliedspreise bezahlen?“

Mr. Tritt-lieber-die-Tür-ein-als-zu-warten starrte mich perplex an, und ich starrte mit meinem ‚speziellen Blick’ zurück. Gleich würde er zusammen brechen und zu wimmern anfangen!

Aber…nein. Anstatt anzufangen zu sabbern, brach dieser Verrückte in schallendes Gelächter aus, lief rot an und fiel fast wirklich auf den Boden!

„Zu-lustig! Keine-Luft-mehr. Aufhören!“, prustete er atemlos und klatschte mit den Händen auf seine Schenkel.

Ich blickte ihn fassungslos an. Das letzte Mal als ich jemanden so angesehen hatte, war der Mann der meine Tasche stehlen wollte, kreischend wie ein Mädchen weggerannt!

Der hatte vielleicht Nerven! Ich stand auf, ging zum Tisch und leerte die Flasche Whiskey in einem Zug. Aaahhh! Tat das gut. Ich holte gleich Nachschub und schwankte etwas als ich damit wieder zurück zum Sessel ging. Ich plumpste in die Polster und schüttete etwas von meinem Lebenselixier auf den Boden. Sehnsüchtig betrachtete ich die Lache, die sich in meinem Teppich ausbreitete.

Kain hatte sich inzwischen wieder gefangen und sah mir nun bei meinem Trinkgelage zu.

„Also, was wollen Sie den dann von mir?“ Lallte ich etwa schon?

„Sie sind betrunken!“ warf er mir streng vor.

„Ja Papi, das bin ich wohl!“ Ich fing an unkontrolliert zu kichern, wie es jedes Mal passierte wenn ich betrunken war. Ich kuschelte mich in die Kissen und schlief ein.
 

Kain sah dieser Wahnsinnigen dabei zu, wie sie ihren Rausch ausschlief und seufzte. Mit was hatte er das verdient?

Er streckte die Hand aus und versuchte ihr die Flasche wegzunehmen. Dies stellte sich als schwierig heraus, denn sie klammerte sich im Schlaf mit aller Kraft daran fest. Als er es endlich geschafft hatte ihr die Flasche zu entreißen, fiel er vor lauter Wucht fast über den Couchtisch, konnte sich aber im letzten Augenblick noch halten.

Es fehlte nur noch, dass sie zu schnarchen anfing. Wie auf Kommando holte sie dies gleich nach.

Kain seufzte gleich noch mal und suchte im Zimmer nach einer Decke. Als er bald darauf im IKEA-Regal fündig geworden war, breitete er sie aus und deckte Celia damit zu.

Diese schlief selig wie ein Kind in dem roten Ohrensessel und ließ sich nicht stören. Ihre kurzen blonden Haare standen ihr wirr vom Kopf.

So sieht sie fast harmlos aus, dachte Kain und setzte sich auf das gelbe Sofa. Er gähnte und griff nach der Fernbedienung.
 

Ich erwachte von dem Lärm. Mein Kopf dröhnte und ich riss die Augen auf. Direkt vor mir krachte gerade ein Dämon, zu erkennen an seiner Duftmarke, in meinen Couchtisch. Dieser war auf die Last nicht vorbereitet und brach in der Mitte auseinander.

„Was ist denn hier los?“ krächzte ich Kain zu, der gerade mit einer anderen Matschbirne beschäftigt war.

Ich sprang mit aller Anstrengung aus dem Sessel und rannte in die Küche, auf der Suche nach ein paar Fleischermessern. Ich bin relativ ordentlich, daher wurde ich schnell fündig.

Mit Kriegsgebrüll platzte ich wieder ins Wohnzimmer, gerade richtig um zuzusehen wie Kain dem zweiten Dämon einen Renner gab und dieser in meinen Lieblingssessel fiel. Der war, wie auch der Tisch, nicht für 120 Kilo Dämonenmasse gebaut worden. Er krachte durch und der verdammte Bastard verschwand in einer schwarzen Wolke.

„Anja, oh Anja!“, heulte ich.

„Anja? Dein Sessel heißt Anja?“ fragte Kain verwirrt.

Ich drehte mich zu ihm um. „DU, DU, DU…Vollidiot, Wahnsinniger, kranke Sau! Musst du deine perversen Triebe unbedingt an unschuldigen Sesseln auslassen? Sie hat dir doch nie etwas getan.“ schniefte ich, zeigte mit dem Finger wie wild auf ihn und piekste ihn auf den Brustkorb.

In meinen Gedanken verfluchte ich ihn. ‚Die Pest auf eurer beider Häuser!’

Dummerweise beeindruckte das den Sesselmörder wenig. „Igitt, hier stinkt es vielleicht!“, jammerte er und ging aus meiner Reichweite um ein paar Fenster aufzureißen.

Was genauer betrachtet eigentlich sehr klug war. Er musste nur darauf achten, nicht von mir aus dem Fenster gestoßen zu werden.

Draußen war es immer noch stockdunkel. Der Wind blies und man konnte die Autos vorbeifahren hören.

„Wir müssen weg hier! Sie werden ganz sicher bald Nachschub schicken, also such dir ein paar Sachen zusammen. In fünf Minuten müssen wir verschwinden!“, sagte er im Wie-ist-das-Wetter-denn-morgen-Ton.

„Wir, weg hier, fünf Minuten“ stotterte ich benommen und fing langsam an meine Sachen zusammen zu suchen.
 

Eine Viertelstunde später zerrte Kain mich aus der Tür.

„Lass mich los, du Vollidiot! Ich bin noch nicht mit Packen fertig!“ fluchte ich empört, als er mich die Treppe hinab schleifte.

„Wir haben keine Zeit mehr.“

„Für Packen hat man immer Zeit!“ versuchte ich ihm ungeduldig zu erklären.

„Sieht nicht so aus, nicht wahr?“ sagte er als wir aus der Eingangstür in die schwarze Nacht traten.

Ich hatte es aufgegeben und folgte ihm zu einem Auto. Er kramte den Schlüssel aus seiner Jackentasche und steckte ihn ins Schloss.

„Moment mal! Der hier ist deiner?“ Wir standen vor einer Rostlaube und ich bezweifelte, dass dieses Ding nur einen Meter fahren können.

„Das ist meiner:“ bestätigte er und stieg ein.

Ich ging auf die Beifahrerseite und wollte die Tür aufreißen, doch…nichts geschah.

„Du musst zuerst drücken, dann geht’s!“, klärte Kain mich auf.

Ich hörte nicht auf ihn und zog so fest ich konnte. Plötzlich gab die Tür nach und ich landete mit dem Hintern voraus auf dem harten Asphalt

„Autsch!“, heulte ich los und kletterte ins Auto.

Der Motor brauchte zwei Anläufe bis er endlich ansprang und wir ratterten Richtung Innenstadt.

„Wo wollen wir eigentlich hin?“, fragte ich neugierig.

„Das wirst du bald sehen.“

Den Rest der Fahrt sagte keiner von uns ein Wort
 

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So...das war's fürs erste...freu mich über eure Kommis^^

Im Bunker

„Wir sind da“, sagte Kain. Ich war unter der Fahrt eingenickt und schreckte jetzt auf. Wir standen in einer düsteren Sackgasse. Eine von der Art, wo die meisten Leute einen großen Bogen drum machten.

Ich sah Kain erstaunt an. „Wir sind da? Wo ist da?“

Er schien nicht zu hören und stieg aus dem Wagen. Ich tat es ihm gleich und folgte ihm in die dunkelste Ecke der Gasse. Es stank furchtbar nach Urin und auf dem Boden lag eine dicke Müllschicht.

Ich sah Kain hinter einem riesengroßen Müllcontainer verschwinden und versuchte ihm zu folgen, ohne über eine Plastikflasche am Boden zu stürzen.

Ich erkämpfte mir also einen Weg zum Container und zwängte mich durch den Spalt zwischen Wand und Tonne. Es stank fürchterlich und ich hielt die Luft an.

Plötzlich zog eine Hand mich durch einen kleinen Durchgang in der Wand. Hier war es stockdunkel und feucht und nach zwei Metern weitete sich der Gang. Kain zog mich weiter und wieder zehn Meter später wurde es auf einmal hell. Kain hatte den Lichtschalter gefunden.

Meine Augen schmerzten und als ich sie zudrückte tanzten Lichtflecken unter meinen Lidern hin und her.

Ein paar Sekunden später machte ich die Augen wieder auf und sah Kain ins Gesicht. Der ließ sofort meine Hand los und machte sich an einem Eisentor in der Wand zu schaffen.

Ich ließ meinen Blick über den Raum wandern und erkannte, dass es sich wohl um einen Bunkerkeller aus dem zweiten Weltkrieg handeln musste.

Kain hatte es endlich geschafft das rostige Schloss an der Tür zu knacken und als er die Tür aufdrückte quietschte es unerträglich.

Plötzlich sprang Kain irgendetwas pinkes an, schlang sich um seinen Hals und kreischte in den schrecklichsten Tönen. Oh Gott! Ich rechnete schon mit dem schlimmsten, wie etwa mit einer Sirene. Ich musste dieses Wesen unbedingt von ihm runter kriegen! Ich stellte mich in Kampfposition und wollte gerade loslegen, als sich das Etwas von Kains Hals loslöste um stattdessen seine Hände zu umklammern.

Jetzt erst konnte ich erkennen, dass es sich bei der Klette um eine kleine Frau mit langen blonden Haaren und pinkem Outfit handelte. Das war viel schlimmer als es jede Sirene hätte sein können. Ich hasste Blondinen! Na gut, ich bin selber auch blond, aber das ist was vollkommen anderes!

Ich schaute der Blondine also zu wie sie um Kain tänzelte, wie ein Hund um sein geliebtes Herrchen. Wuff, wuff!

„Als du nicht gekommen bist, dachte ich sie hätten dich erwischt! Ich hab mir ja solche Sorgen um dich gemacht!“, quietschte Blondie. „Es war ja so schrecklich nicht zu wissen was mit dir passiert ist.“

„Ist ja schon gut! Jetzt bin ich ja da“ Kain fühlte sich offensichtlich nicht wohl in seiner Haut. „Fiona, das ist Celia. Und Celia, das ist Fiona“ stellte er uns vor.

Fiona bedachte mich nur mit einem kurzen Blick und wandte sich sofort wieder an Kain. Sie heulte ihm wieder etwas vor, aber ich verstand nur „Wuff, wuff, wau, wau, aaouuuu!“ Fifi der Hund, das passte doch!

Kain hatte es endlich geschafft sich aus Fifi’s Umklammerung zu lösen und warf mir einen gequälten Blick zu. Das musst du schon allein schaffen, dachte ich und zwängte mich an den beiden vorbei durch die Tür.

Es war ein großer Raum mit weißen, schimmeligen Wänden und spartanischer Einrichtung. An einer Wand reihten sich zwei ungemütlich wirkende Pritschen und mitten im Zimmer stand ein Metalltisch mit vier Sesseln.

Ich setzte mich auf einen der Stühle und legte die Beine auf den Tisch. Kain kam rein und legte mir meine Tasche vor die Füße. „Die hast du im Auto vergessen“, sagte er und ging wieder Richtung Tür.

„Hey, halt! Lässt du mich hier etwa allein?“ Ich war kein Angsthase, aber er hatte mich in diese Bruchbude geführt und da war es ja nur fair, dass er unter dem gleichen Komfort leiden musste wie ich.

„Nein, ich muss mit Fiona über unsere Lage reden“ Er ging raus und knallte die Tür hinter sich zu.

Dieser Vollidiot, der hatte vielleicht Frauengeschmack! Da drehte sich mir ja der Magen um. Ich langte nach meiner Tasche und durchwühlte den Inhalt. Ich hatte nicht genug Zeit gehabt um mich richtig vorzubereiten und hatte nicht viel mehr als mein Handy und etwas Geld mit. Ich hatte immer noch das dämonenblutbesudelte Oberteil an und roch stark nach Whiskey. Mein Magen knurrte vor Hunger und ich durchsuchte meine Tasche gleich nochmals nach Essbarem. Schließlich fand ich ein Döschen Tick-Tacks und fing an eins nach dem anderen zu lutschen.

Fünf Minuten später war die ganze Dose leer und mein Magen beschwerte sich laut. Ich griff nach meiner Tasche und setzte mich auf eine der Pritschen. Sie waren noch unbequemer als ich erwartet hatte!

Ich streckte die Beine aus und lehnte mich an die Wand.

War ich eigentlich wahnsinnig geworden? Ich kannte diesen Typen doch gar nicht, wusste nicht einmal ob er wirklich Kain Jonnson hieß, ich hatte keinen Grund ihm zu glauben und er war bei mir eingebrochen, verdammt noch mal! Und trotzdem hatte ich mich von ihm verschleppen lassen! Eigentlich müsste ich ihm zutiefst misstrauen…aber das tat ich nicht.

Warum , um Gottes Willen? Hatte ich etwa meinen Biss verloren? Das musste es sein, ich war schwach geworden, bestimmt wegen der ganzen Aufregung und dem Loch in meinem Bauch! Ja, so musste es sein! Wenn er wieder kam, konnte er was erleben!

Ich starrte die Wand an und fing an die Spinnen, die ich im Zimmer entdecken konnte zu zählen.

Als ich bei 32 war ging die Türe auf und Kain kam herein. Er wirkte ziemlich mitgenommen und selbst sein Dauergrinsen war von dunklen Augenringen verbannt worden.

„Wo ist Fifi denn hin gegangen?“ fragte ich, hoffentlich, unauffällig.

Er sah mich einen kurzen Augenblick verwirrt an. „Fiona ist wieder gegangen. Sie kommt morgen mit etwas Essen vorbei“

Wenn sie das wirklich tat, würde Fifi Bonuspunkte bekommen!

„Ihr gebt ein süßes Paar ab“ sagte ich ehrlich. Er konnte ja nicht wissen, dass mich solche Pärchen in den Wahnsinn trieben.

„Wir sind nicht zusammen“ stellte er fest. „Sie ist ja ganz nett, aber…was interessiert dich das eigentlich?“

„Gar nichts, ich hab dich aber trotzdem fast zum Antworten gebracht.“ Ich lächelte, warum lächelte ich? „Ich denke, wir sollten unser Gespräch, von dem wir vorher unterbrochen worden waren wieder aufnehmen“

„Du meinst wohl, bevor du angefangen hast dich vollaufen zu lassen“, stellte er fest.

„Ich hab mich nicht vollaufen lassen!“ verteidigte ich mich. „Ich hab nur ein paar Schlückchen getrunken und bin dann einfach eingeschlafen!“

„Na klar! Du hast gesoffen wie ein Seemann!“

„Wie bitte?“, fragte ich mit gefährlichem Unterton. Wenn er klug war, hielt er jetzt die Klappe.

„Das ist eine Sucht, weißt du? So, wie du getrunken hast bist du sicher eine Alkoholikerin!“ Womit die Frage über seine Intelligenz wohl geklärt war.

Ich sprang auf. „Du bist ein Krimineller! Du bist bei mir eingebrochen, hast mein Leben riskiert, Anja umgebracht und mich dann noch in das letzte Loch verschleppt! Wenn hier wer Probleme hat, dann ja wohl du!“

„Ich? Du bist doch wahnsinnig, du hast deinem Sessel den Namen Anja verpasst! Wenn das mal nicht krank ist!“

DAS geht dich nichts an.“ Meine Stimme war immer leiser geworden und klang nun bedrohlicher als zuvor. Der Sessel hatte meiner Mutter gehört. Sie hatte ihn geliebt und nach dem sie gestorben war hatte ich, immer wenn ich mal Kummer hatte, in die weichen Kissen gekuschelt. Dann hatte ich sie riechen können.

Ich war grundsätzlich kein sentimentaler Charakter, aber meine Mutter war mein wunder Punkt. Sie hatte mich allein großgezogen und sich bis zuletzt für mich aufgeopfert. Als ich fünfzehn war, war sie an einem Gehirntumor gestorben und Anja war eins der Dinge, die ich von ihr geerbt hatte.

Irgendetwas an meiner Stimme gab Kain wohl einen Wink und er verstand, dass es wohl nicht klug war weiter zu reden. Wie intelligent! Er funkelte mich wütend an, sagte aber trotzdem nichts mehr. Ich erwiderte seinen Blick eiskalt.

“Was wollt du und deine süße kleine Freundin von mir? Wieso komme ich nach Hause und finde dich da in meinem Wohnzimmer vor? Du hast meine Tür eingetreten! Warum wache ich auf und du prügelst dich mit zwei Dämonen?

Was weißt du über meine Mutter? Wieso könnt ihr mich nicht einfach in Ruhe lassen? Was mache ich hier in diesem Bunker? Bin ich eure Geißel? Bist du eigentlich wahnsinnig? Bin ich eigentlich wahnsinnig?

Was ist hier los?” Zuerst wollte ich ihm eigentlich Angst machen, aber dann waren die Fragen in meinem Kopf explodiert und ich hatte begonnen zu quietschen. Den Auftritt hatte ich wohl versaut!

Kain schaut inzwischen wieder vergnügt drein. Verdammt! “Also gut. Du hast wohl ein Recht darauf zu erfahren was los ist.” Er deutete mit der Hand auf den Tisch und setzte sich auf einen der Sessel.

Ich war kurz darüber verblüfft, dass er so schnell nachgegeben hatte, und setzte mich ihm gegenüber hin. “Leg los!”

“Na gut” Er überlegte einen Augenblick. “Deine Mutter hatte eine große Begabung. Genau genommen war sie, nach Abe, die Mächtigste im Orden. Nun bedroht uns etwas und wir haben die Hoffnung, dass du etwas von den Kräften deiner Mutter geerbt hast. Abe ist inzwischen zu alt um seine Macht zu benützen. Das würde ihn zu sehr überanstrengen.”

“Woher soll ich wissen, ob das was du da erzählst wahr ist?”

“So weit ich das mitbekommen habe, hat deine Mutter dir beigebracht was zu tun ist, aber was den Rest angeht. Vorerst kann ich dir keine Beweise liefern”

“Wie vertrauenserweckend!” klagte ich. „Wie hast du mich gefunden?“

„Telefonbuch.“ Ich blickte kurz ziemlich blöd aus der Wäsche.

Telefonbuch?!? War das gerade ein Scherz gewesen?

„Haha!“, sagte ich sarkastisch und sah ihn weiter fordernd an.

Kain lachte. „Eigentlich war das ernst gemeint, aber schön dass du Sinn für Humor hast. Lachen ist gesund, das hat meine Freundin in der Highschool immer gesagt.“

„Willst du ablenken? Bei mir funktioniert das nämlich nicht!“, stellte ich fest.

„Wirklich?“ Er schaute mich intensiv an. „Natürlich nicht, schließlich bist du ja intelligent. Intelligente Menschen kann man nicht austricksen, das hätte ich eigentlich wissen müssen, aber du hast bestimmt schon gemerkt, dass ich dir nicht ebenbürtig bin.“ Meinte er völlig überzeugend.

Ich kniff die Augen zu Schlitzen zusammen. „Findest du das wirklich?“

„Aber natürlich! Weißt du, du bist einer von den Menschen, die man nur beneiden kann. Du bist schön und klug und hast ein tolles Leben, nicht wahr?“

Bei schön war ich schon gebrochen gewesen. „Du findest mich schön?“ fragte ich ihn neugierig.

„Aber sicher doch! Du hast Augen wie Saphire und deine Haare glänzen wie gold und du hast einen unglaublichen Modesinn!“

„Ernsthaft?“

„Ja klar. Dieses Top sieht einfach fabelhaft an dir aus, und diese Jeans passt perfekt dazu. Deine Haare müssen ein Vermögen gekostet haben! Süße, dein Sinn für Mode ist der Traum jeder Frau, das sag ich dir!“

Ich sah an mir herunter. Meine ehemals weiße Bluse war verklebt mit Blut und Dreck und meiner Jeans war’s nicht besser ergangen. Ich fuhr mir mit meiner Hand durch das kurze Haar und blieb an einem Knoten hängen. Also hatte er mich verarscht!

„TRAUM JEDER FRAU?!?“, schrie ich entrüstet.

Kain ließ sich von mir nicht aus der Ruhe bringen. „Wie ich sagte. Also wirklich Celia, du brauchst mehr Selbstbewusstsein, außerdem würden dir sogar die Klamotten von Fiona stehen!“

Sollte das ein Kompliment oder eine Beleidigung sein? „Ich dachte du magst Fifi!“

„Ich wollte damit eigentlich nur sagen, dass ihr Stil ein absolutes ‚None’ ist.“ Er schnalzte mit der Zunge. „Ich denke wir sollten jetzt schlafen.“ Sagte er und ging auf eines der es-sieht-zwar-nicht-so-aus-ist-aber-trotzdem-eins-Betten. Wahrscheinlich hatte er Recht. Ich drehte das Licht ab und kroch unter die kratzende Decke.

Fünf Minuten später fing Kain an zu schnarchen. Nicht auch das noch! Ich stöhnte und wälzte mich auf die andere Seite.

‚Klack’! Dieser gemeine Mistkerl hat mich wirklich abgelenkt!

Ich sprang auf, wollte das Licht andrehen und stieß gegen einen Stuhl. In diesem verdammten, abgefuckten Zimmer gab es praktisch nichts und ich fand trotzdem was zum drüber stolpern! Und dann auch noch der gleiche Fuß wie vorher! Ich humpelte zum Lichtschalter und drehte die kahle Birne an der Wand an. Und dann, hopp, zu diesem Wichser! Ich beugte mich über ihn und schüttelte ihn wie verrückt, aber er wachte nicht auf. Was sollte das denn schon wieder? Ich beugte mich tiefer und schrie ihm so laut ich konnte direkt ins Ohr. Kain zuckte nicht mal mit der Wimper. Okay…das war jetzt echt gruselig!

Ich schaute ihn etwas entsetzt an. Eigentlich sah er gar nicht so schlecht aus, stellte ich fest. Er hatte eine schöne, gerade Nase und glatte Haut und man sah ihm an, dass er kein Muskelprotz auf Beinen war. Ehrlich gesagt war mir das so auch lieber, aber das war alles vollkommen unwichtig. Schließlich konnte ich diesen unverschämten Typen nicht ausstehen!

Ich wollte mein Gewicht verlagern und merkte zu spät, dass das keine gute Idee war. Ich krachte nämlich wegen meines verstauchten Fußes zusammen und landete direkt auf Kain. Ich wollte schnell wieder aufstehen, aber bevor ich Zeit dazu gehabt hätte spürte ich plötzlich zwei Arme, die sich um mich schlangen und mich fest hielten.

Oh Gott! War er aufgewacht? Ausgerechnet jetzt!

Ich wollte mich von ihm frei reißen und bog den Kopf in Richtung Kains Gesicht. Er schlief noch immer! Ich starrte jetzt wieder auf seine Nase und merkte, dass er keine ekligen Nasenhaare vorzuweisen hatte.

Ich rüttelte so heftig ich konnte an seinen Armen, nur um fest zu stellen, dass er nicht losließ. Verdammt!

Nun zogen die Hände stärker an mir und plötzlich landete ich mit meinem Mund auf seinem. Er fing an meinen Mund mit seiner Zunge zu erkunden. Stopp! Ich war schließlich keine billige Schlampe aus einem Kitsch Roman! Ich fing sofort (na gut, vielleicht ein bisschen später) an, mich so gut es ging von ihm zu befreien und landete mit voller Wucht mit meinem Hintern voraus auf dem Boden.

„Marissa, was machst du denn? Komm zurück ins Bett Schatz!“ murmelte Kain jetzt im Schlaf.

Marissa?!? Hatte der Typ Selbstmordgedanken? Das war echt das Letzte! Ich stürmte wütend, und vielleicht auch etwas durcheinander durchs Zimmer, hämmerte unterwegs auf den Lichtschalter und ließ mich auf mein Bett fallen. Durch die Wucht des Aufpralls hatte sich eine Staubwolke gebildet und ich keuchte und hustete wie verrückt bis der Staub sich wieder gelegt hatte.

Ich verfluchte noch den ganzen Tag, und vor allem Kain, und schlief endlich ein.
 

Kain wartete noch ein paar Minuten, bis Celia wieder zu schnarchen begann, dann stand er leise auf und schlich durch das dunkle Zimmer auf Celia zu. Er konnte zwar rein gar nichts sehen, aber Celias Bewusstsein leuchtete wie ein mächtiges Lagerfeuer.

Er musste zugeben, dass es wohl nicht klug gewesen war sie zu küssen, aber…na ja, was soll’s?

Sanft legte er seine Hand auf ihre Stirn und drang in ihren Geist ein. Er fand sich in eine Art Zimmer wieder. Die Wände waren voll behangen mit Bildern. Auf allen war Celia zu sehen. Eins zeigte sie in den Armen einer Frau, wahrscheinlich ihre Mutter, ein anderes zeigte sie in einem Cafe kellnern. Das musste ein neueres sein, überlegte Kain. Also war sie Kellnerin. Er berührte die Oberfläche des Bildes und fand sich in Celias Erinnerung wieder.

Es fühlte sich seltsam an körperlos durch ein Cafe zu schweben und er brauchte etwas Zeit um sich daran zu gewöhnen und nicht jedes Mal um zu kippen wenn er sich bewegen wollte. Hinter ihm rief ein ungeduldiger Kunde nach einer Kellnerin. Celia sah sich im Raum um, musste aber einsehen dass sie die Einzige in Reichweite war. Der Gast wurde noch ungeduldiger und schrie gleich nochmals. Celia verdrehte die Augen ohne, dass es der Typ an dem Tisch bemerkt hätte. Sie ging auf ihn zu und versuchte ihn mit ihrer nettesten Stimme zu beruhigen: „Bitte entschuldigen Sie Sir, was kann ich Ihnen anbieten?“ „Warum geht das bei euch denn so langsam? Ich hab doch keine Ewigkeit Zeit! Ich zahl doch nichts dafür, dass du auf deinem fetten Arsch sitzen bleibst und nichts tust!“, beschwerte er sich lautstark.

Kain konnte sehen wie Celia klackte und es wunderte ihn als sie das Gesicht zu einer grässlichen Maske verzog und ganz leise sagte: „Es tut mir wirklich sehr leid Sir, kann ich Ihnen vielleicht einen Gratiskaffee als Entschädigung anbieten?“

„Das ist ja wohl das Mindeste!“, meinte der nach Schweiß stinkende Typ.

Celia drehte sich um und wollte zurück zur Theke gehen als er seine Hand hervor schnellen ließ und sie ihr auf den Arsch tatschte.

Kain hielt entsetzt die Luft an. Der Mann konnte einem beinahe Leid tun.

Celia schnellte herum nahm seinem Kopf in ihre Hände und schlug ihn so oft gegen die Tischplatte bis der Grabscher bewusstlos zu Boden sank.

„Oh mein Gott, was haben Sie getan?“, krächzte ein kahlköpfiger Mann hinter Celia. Er hatte die Szene wohl beobachtet. „Das ist zu viel, einfach zu viel! Sie sind fristlos entlassen! Seien Sie froh wenn der arme Mann Sie nicht verklagt und jetzt verlassen Sie sofort mein Cafe!“

Celia band sich ruhig die Schürze los, ging Richtung Ausgang und knallte dem Cafebesitzer beim Vorbeigehen die Faust ins Gesicht. Der spuckte Blut und etwas, das verdächtig nach einem Zahn aussah auf den Boden und schrie Celia noch nach: „Das wird ein Nachspiel haben!“

Kain beschloss, dass er in dieser Erinnerung wohl alles gesehen hatte und kehrte wieder in den Raum mit den Bildern zurück. Dort angekommen wandte er sich an das nächste Bild.

Die siebenjährige Celia stand vor einem großen grauen Gebäude, hielt stolz eine bunte Schulanfängertüte in den Armen und lachte mit einer Zahnlücke in die Kamera, die ihre Mutter auf sie richtete. Diese hatte Tränen in den Augen und sagte: „Mein Schatz, ich bin ja so stolz auf dich. Ich hab dich ja so lieb.“

Plötzlich fühlte Kain sich fehl am Platz. Er hatte kein Recht diesem intimen Augenblick beizuwohnen. Gleichzeitig beneidete er Celia für die liebevolle Mutter, die er nie gehabt hatte.

Er verließ die Erinnerung wieder und suchte weiter nach etwas wichtigem, was etwas mehr über Celia verriet.

Die erwachsene Celia kniete neben einem Grabstein und beugte sich über eine tote Pflanze. Als sie sich wieder aufrichtete stand das Pflänzchen wieder, diesmal wohl größer und stärker als je zuvor. Da haben wir ja ihre Gabe, dachte Kain.

Er durchwühlte noch ein paar Erinnerungen und kehrte dann in den Bunker zurück. Dort war seit seinem Verschwinden keine Sekunde vergangen. Celia hatte sich zwar etwas unter seiner Hand verkrampft, schlief aber immer noch tief und fest.

Er schlich sich zurück zu seinem Bettgestell und legte sich auf den Flohfänger um auch endlich einzuschlafen.
 

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Bitte wieder Kommis schreibn^^

A bienôt!

Die Flucht

Die Flucht
 

Langsam bahnte sich Licht wie ein strahlend heller Stern in mein Bewusstsein und ich wachte auf. Doch anstatt sofort aufzustehen wie es die ‚braven’ Menschen immer zu tun pflegten, blieb ich noch eine halbe Ewigkeit liegen und döste, glaub ich, noch mal kurz ein. Ich drehte mich auf den Bauch und drückte das Gesicht in das Kissen. Schlechte Idee, ganz, ganz SCHLECHTE Idee. Ich atmete den Staub ein und fing grässlich an zu husten und zu würgen.

Bevor ich mich versah lag ich auf dem Boden und rang verzweifelt nach Luft. Ich versuchte mich zu beruhigen und nach ein paar Minuten wurde es besser. Nach einer Viertelstunde stand ich zittrig auf und stützte mich mit den Händen auf die Armlehne. Verdammtes Asthma!

Der fensterlose Raum war stockdunkel und ich suchte mir vorsichtig den Lichtschalter.

Die Augen schmerzten von dem plötzlichen, grellen Licht und ich hielt sie mir zu bis sie sich daran gewöhnt hatten. Danach ließ ich meinen Blick über den Raum schweifen. Eigentlich sah alles genau wie gestern aus, außer…

Dieser verdammte Mistkerl!!! Kain fehlte! In diesem modrigen, schimmeligen Zimmer war die schlimmste Einrichtung verschwunden. Die einzige verdammte Einrichtung, die reden konnte, der einzige der überhaupt von etwas Ahnung hatte! Das würde er mir büßen!
 

Kain ging durch den langen Gang und bewunderte die beschmückten Wände und die schönen Skulpturen so fasziniert wie jedes Mal. Am Ende des langen Flurs angekommen, klopfte er an die verzierte Holztür. „Komm rein!“, rief eine Stimme von der anderen Seite.

Kain drückte die schwere Metallklinke runter und öffnete die Tür. Er trat in das große Zimmer und schaute den alten Mann hinter dem breiten Holzschreibtisch respektvoll an. „Abe.“, sagte er. „Hallo Kain, du hast Nachrichten für mich?“ war die Antwort.

„Das stimmt. Ich habe sie gefunden, Sir und heute Nacht hab ich ihre Identität geprüft. Es besteht kein Zweifel, dass es sich bei der observierten Person um Celia Grant handelt, die Tochter von Samantha Grant.“ Seine Stimme klang ernst und professionell.

„Nun gut. Wo ist sie jetzt?“ „Sie befindet sich gerade im Bunker in Percy Mews und ist wohl auf.“ Abe spielte abwesend mit einer Büroklammer. „Hm, Fiona hat mir schon von der Auseinandersetzung mit den Dämonen erzählt. Gute Arbeit, Kain.“

‚Auseinandersetzung’, das war typisch Abe. Für ihn war wohl auch der Zweite Weltkrieg nicht mehr als ein kleiner Streit gewesen.

„Du hast gesagt, dass du ihre Identität geprüft hast, was hast du noch herausgefunden?“ fragte Abe in einem ruhigen Bass.

„Mit Fünfzehn ist ihre Mutter gestorben und sie musste sich selbst durchschlagen. Samantha muss wohl hohes Potenzial in ihr entdeckt haben, denn sie hat ihr alles was sie wusste beigebracht. Celia besitzt eine gute Ausbildung im Nahkampf und ich habe Grund zur Vermutung, dass ihr in ihren früheren Lebensjahren Erinnerungen verändert und gelöscht wurden. Ich weiß zwar nicht wie groß ihre Macht ist, aber es ist sicher, dass sie eine besitzt, höchstwahrscheinlich ist sie eine FF. Also etwas Richtung Flora und Fauna. Ich denke nicht, dass sie im Umgang mit ihrer Macht ausgebildet ist. Soll ich mich um ihre Ausbildung kümmern?“

Abe blickte auf die verbogene Büroklammer in seiner Hand. „Versuche erst mal heraus zu finden, wie groß ihre Kraft ist, dann reden wir weiter.“

Kain spürte, dass das Gespräch beendet war. Er verabschiedete sich und verließ den Raum.
 

Ich trat in einem monotonen Rhythmus gegen die dicke Eisentür. „Du-gemeiner-Mistkerl! Das-wirst-du-bereuen! Das-schwör-ich-dir!“ stieß ich wütend hervor.

Das war das Einzige was noch in meinem Kopf herumspukte. Es gab in meiner Welt nur noch den Gedanken an Rache und den Weg, den ich gehen musste um sie zu erreichen.

Eine Stunde später sank ich erschöpft und völlig ausgelaugt gegen die Wand direkt neben der Tür und konnte mich nicht mehr regen. Meine Muskeln schmerzten und protestierten schon allein bei dem Gedanken daran wieder auf zu stehen.

Ich lag so, mit geschlossenen Augen an die Wand gelehnt, ein paar Minuten da und dachte rein gar nichts, doch plötzlich störte ein schrilles Quietschen meine Ruhe. Die Tür zu meiner Rechten öffnete sich ächzend und Kain kam, voll bepackt mit braunen Einkaufstüten, herein.

„Oh, guten Morgen Celia. Hast du gut geschlafen?“ fragte er während er seine Last auf dem Tisch ablud. Diese falsche Schlange!

Ich funkelte ihn wütend an und schloss die Augen nochmals nur noch für einen kleinen Moment, dann kratzte ich alle Willenskraft und Würde, die ich noch besaß zusammen und hievte mich vom Boden. Als ich wieder auf meinen Beinen stand, wankte ich für einen Moment und drohte gleich wieder umzufallen. Plötzlich jedoch spürte ich eine Hand an meinem Oberarm, die mich stützte. Ich sah Kain einen Augenblick lang arrogant an und sagte dann hochnäsig: „Du kannst ruhig loslassen. Deine Hilfe brauche ich nicht.“

Kain ließ aprupt los und ich stolperte auf den nächsten Sessel zu.

„Was ist denn mit dir los?“, fragte er. Na endlich! Wenigstens hielt er es für anständig sich um das Wohlbefinden seines Gasts/seiner Geisel zu kümmern!

„Nichts.“ Antwortete ich trotzig. Das hieß schließlich noch lange nicht, dass ich da auch mitspielen würde. Er sah mich zwar noch etwas zweifelnd an, sagte aber nichts mehr. Na toll, er lernte ja doch noch was dazu.

Nun hatten die vielen Tüten mein Interesse erweckt. „Was ist denn in denen da drinnen?“ Ich deutete auf den Haufen auf dem Tisch neben mir. „Das ist alles Mögliche. Essen, Kleidung und solchen kram eben.“ Essen! Versuchte der Typ sich etwa bei mir einzuschleimen? So war er auf jeden Fall auf dem besten Weg!

Ich schnappte mir gleich die naheste Tüte und durchwühlte sie.

Während ich mich mit allem voll stopfte, was mir in die Hände fiel, handwerkelte Kain an der Tür rum. Er drehte sich in meine Richtung und sagte mit gerunzelter Stirn: „Warst du das?“ Er trat einen Schritt beiseite und ich konnte sehen, dass an der Stelle, wo ich immer wieder dagegen getreten hatte eine riesige Ausbeulung prangte. „Nicht schlecht.“ Murmelte ich leise.

Kain seufzte laut und runzelte die Stirn nur noch mehr. Da ich merkte, dass da wohl nichts mehr kommen würde, widmete ich mich wieder meinem Schinken-Käse-Sandwich.

Ich konnte sie schon spüren, bevor ich sie eigentlich hören konnte. Fifi stürmte quietschend in den Bunker. Diesmal war sie vollkommen in rosa gekleidet, war sie das denn gestern nicht auch gewesen? Sie kam also zur Tür herein und verteilte sofort ihre bickig -süße Aura im ganzen Raum. Da ging es einem ja gleich besser!

Fifi beugte sich ganz nahe an Kain und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Dieser sagte daraufhin laut: „Wir sind in ein paar Minuten wieder da.“ Ich brauchte ein paar Sekunden bis ich merkte, dass er mit mir geredet hatte.

Ich sah den beiden noch kurz nach und biss wieder in mein Sandwich. Echt bewundernswert! Ich besserte mich, mir war ab jetzt alles egal!

Als ich fertig gegessen hatte, griff ich nach einer anderen Tüte und leerte einige Kleidungsstücke auf meinem Schoß aus. Es war sogar Unterwäsche dabei. Der Gedanke, dass Kain mir Unterwäsche kaufte war zwar echt unangenehm, aber immer noch besser als gar keine zu haben. Sie war mit Spitze und sah nicht so aus wie meine Unterhosen es sonst taten.

Das musste ja ein Vermögen gekostet haben! Alles Markenware, für gewöhnlich konnte ich mir so was nicht leisten!

Ich griff nach einem schwarzen Samttop und einer ebenfalls schwarzen Hose und kleidete mich so schnell wie möglich neu ein. Es passte wie angegossen!

Ich hatte leider keinen Spiegel, aber es fühlte sich toll an, weniger wert zu sein als seine Kleidung. Naja, das war vielleicht Ansichtssache, aber ‚Geld ist super!’:

Ich durchsuchte den Rest der Sachen, alles die Kleidung meiner Träume und wartete noch einige Zeit, ohne was zu tun.

So ungefähr eine halbe Stunde später kam Kain wieder rein. „Wo ist denn Fifi?“ fragte ich höflich, aber desinteressiert.

„Die,…ähm, Fiona hatte noch was zu tun.“ LÜGE! Ich konnte ihm ansehen, dass er das gerade erfunden hatte. Wahrscheinlich konnte die kleine Schlampe mich genauso wenig leiden wie ich sie. Aber mir sollte es recht sein, schließlich hielt mir das Fiona vom Hals. Konnte es etwas Schöneres geben als zu wissen, dass es eine andere Welt gibt, eine düstere Welt, eine pinke Welt, und das diese Welt einem freiwillig fern bleiben würde? Ich denke doch kaum!

„Und was passiert jetzt?“, fragte ich Kain.

„Keine Ahnung.“ Das war die Antwort. Schöne Antwort !

Ich starrte Kain ungläubig an und dann fing die Verzweiflung an ihre langen Krallen in meine Haut zu schlagen. Sie kroch mir kalt den Körper hoch und umklammerte mein Herz. Plötzlich konnte ich die dicke Betonschicht um mich herum spüren. Sie drückte mich nieder und nahm mir den Atem.

„Ich muss hier raus!“ heulte ich auf. Ich sprang auf und stolperte hastig zur Bunkertür. Ich zog daran und, Gott sei Dank, sie ging langsam und schwer auf.

Und schon rannte ich los. Ich schnellte den dunklen Gang entlang. Zwängte mich an die frische Luft und atmete. Ich atmete einfach nur und nahm die Welt endlich wieder wahr. Die Gasse sah bei Tageslicht nicht gerade verlockend aus. Der Müll türmte sich und hinterließ einen scheußlichen Gestank. In einer Ecke saß, an der schimmeligen gelben Wand gelehnt, auf einem Pappkarton ein Obdachloser. Er ließ sich von ihrem plötzlichen Auftauchen nicht beeindrucken. Er lebte in seiner eigenen Welt, sah Dinge, die nur er sehen konnte. Er lebte in der Welt die er sich erschaffen hatte, weil es der Ausweg vor dem Verzweifeln war.

Hinter mir hörte ich das Poltern von Schritten. Kain folgte mir. Ein Gefühl von Trotz tauchte in mir auf, da wo es eigentlich schon mein Leben lang gewesen war. In den letzten Stunden hatte ich ihn nur vergessen.

Ich rannte, rannte so schnell ich konnte und noch schneller. Ich achtete nicht auf den Weg. Wich Passanten auf dem schmalen Bürgersteig aus. Bog um Ecken. Wurde mindestens dreimal fast überfahren. Hatte keine Ahnung wohin mich meine Beine trugen, wohin sie mich tragen sollten.

Ich erreichte einen Wald und unter den hohen Baumkronen fühlte ich mich schon viel geborgener. Ich verschwand im Dickicht des Waldes. Eigentlich hätten mir die zarten Äste den Weg versperren sollen, doch sie ließen mich gewähren, wichen mir aus und schufen einen Durchgang, wie es Menschenhänden noch nie gelungen war.

Ich hatte mein Zeitgefühl verloren, rannte einfach. Rund herum zogen grüne Schemen an meinen Augen vorbei.

Nach einiger Zeit, Minuten oder Stunden vermochte ich nicht zu sagen, erreichte ich eine Lichtung. Rund herum standen die Bäume dicht beieinander und ich glaube, dass ich in diesem Moment einen der wenigen Orte betrat, die nicht den Menschen gehörte. Möglicherweise war ich sogar die Erste, die diesen Platz betrat. Es war ein Friedenshort der Natur. Von der Natur für die Natur. Hier war die Welt wie sie sein sollte.

Die Äste schlossen sich hinter mir und ich lehnte mich vollkommen erschöpft an einen der Bäume und hörte den Vögeln zu, die hoch oben in den Kronen ihre Lieder sangen.
 

Kain sah Celia einen Augenblick entgeistert nach. Die Wirklichkeit brauchte einen Sekundenbruchteil um zu ihm vor zu dringen. Er wusste nicht warum, aber damit hatte er wirklich nicht gerechnet.

In dem Moment als er begriff, sprintete er ihr schon nach, folgte ihr so schnell er konnte.

Als sie zwischen dem Dickicht verschwand stand er noch auf der anderen Straßenseite. Er versuchte zwar sich einen Weg durch die Büsche zu bahnen, doch es erwies sich als unmöglich. Die Äste zerkratzten ihm die Haut und hinderten ihn am Weiterkommen.

Was soll ich denn nur jetzt machen? fragte sich Kain verzweifelt. Celia war wichtig. Das hatte Abe nie aufgehört zu betonen, als er Kain den Fall überwies.

Doch konnte sich Kain jetzt überhaupt noch dort blicken lassen? Panik erfasste Kain. Abe war immer wie ein Vater für ihn gewesen, seit dem Augenblick als er zum ersten Mal den Orden betrat, seinen, Abe’s Orden. Was würde auf ihn warten, nun da er es vergeigt hatte?

Nein, dachte Kain. Noch ist noch nichts entschieden, es ist noch nicht zu spät.

Und er machte sich daran einen Weg zu finden, einen Weg zu Celia, einen Weg der Hoffnung bedeutete.
 

Ich öffnete verschlafen die Augen und gähnte laut. Inzwischen war es schon wieder dunkel geworden. Ich hatte im Bunker wohl meinen Tagesrhytmus verloren. Und das in so kurzer Zeit. Der Gedanke daran verbitterte mich und ich sog erneut die Luft der Freiheit ein.

Erst in diesem Augenblick merkte ich, dass das nicht stimmen konnte. Es war tiefster Herbst und alle Blätter hatten sich bereits verfärbt, doch hier merkte man nichts von der Zeit. Alle Blätter waren saftig grün und voller Leben. Dies hier war ein magischer Ort.

Und nun fing ich an mir Gedanken über meine jetzige Lage zu machen und ich merkte, dass ich keine Ahnung hatte was ich tun sollte.
 

Am nächsten Morgen merkte ich, dass sich der Hunger ein großes Loch in meinen Magen gefressen hatte und er zwang mich zu der Erkenntnis, dass ich nicht ewig hier ausharren konnte.

So also kam es, dass ich mich wieder auf den Weg durch die Büsche machte. Und als ich wieder in der Realität ankam überfiel mich ein Gefühl des Verlustes. Der Hort hatte mir geholfen als ich es dringend brauchte. Das würde ich nie vergessen.

Ich ging wieder durch die Hektik der Stadt und plötzlich merkte ich, dass ich ja nicht mal Geld hatte. Alle meine Habseligkeiten waren weg. Nun, da ich ja wieder in der Wirklichkeit wandelte, wie wir sie alle kennen, hatte auch der Wind wieder Macht über mich. Er wehte um meine Gliedmassen und bald schon war mein Gesicht unter der Kälte zu einer Maske erstarrt.

Ich fror fürchterlich und ich wusste, nun weniger als je zuvor, wohin ich gehen sollte.

Ich ging gerade durch eine enge und vielleicht etwas düstere Seitenstraße, als ich Schritte hinter mir wahrnahm. Sie haben mich also gefunden, dachte ich.

Als ich mich umdrehte sah ich einen Mann, der sich im Schatten verbarg. „So hübsche, kleine Mädchen sollten nicht so allein in solchen Gegenden herum wandern. Soll ich dir Gesellschaft leisten?“, zischte der Schatten bedrohlich in die Stille hinein. Ich konnte in seiner Hand etwas aufblitzen sehen.

Scheiße! Aber was sollte es. Wenn ich mit riesigen, nach verfaulten Eiern riechenden Dämonen fertig wurde, war das doch eine Kleinigkeit für mich, oder?

Der Mann kam jetzt immer näher und hielt das Messer in seiner Hand bedrohlich auf mich gerichtet. Er drängte mich an die Wand und drückte die Spitze der Klinge sachte an meinen Bauch. „Und jetzt wollen wir ein bisschen Spaß haben, wir Zwei.“, raunte der Unbekannte an mein Ohr und mir wurde schlecht bei dem Gedanken an das, was er von mir wollte. Seit wann bestand die Welt eigentlich nur noch aus perversen Typen, die es auf mich abgesehen hatten?

Langsam begann er mein Oberteil aufzuschneiden. Also wirklich, das war zu viel. Ich verpasste ihm einen Kinnhaken, rannte mein Knie in seine Weichteile und wich der Klinge aus, die versuchte mich zu durchbohren.

Das alles passierte in Zeitlupe für mich, auch wenn es in Wirklichkeit nur einen Bruchteil der Zeit gebraucht hatten. Nun sah ich auf ein wimmerndes Bündel hinab, das sich vor Schmerzen krümmte. Langsam entwand ich ihm den Dolch und kniete mich neben ihn.

„Es war falsch, das was du gerade eben noch vorhattest.“ Flüsterte ich ihm zu. “Ich weiß nicht was der Grund dafür ist, warum du das getan hast. Hattest du vielleicht eine schlechte Beziehung zu deiner Mutter? Hat sie dich misshandelt? Wurdest du von den Mädchen in der Schule immer ausgelacht? Ich weiß es nicht, und es ist mir auch egal.

Das einzig Wichtige ist, dass es falsch war. Du verdienst eine Strafe.“ Ich ließ den Dolch auf ihn niedersausen. Die Klinge bohrte sich ihm in den Bauch, durchtrennte Fleisch und Muskeln und schnitt in Organe. Er begann zu bluten und zu schreien. Ich zog ihm den schwarzen Mantel aus um ihn nicht mit dem Blut zu besudeln, zog dann das Messer wieder aus der Wunde und durchtrennte ihm mit einer schnellen und fließenden Bewegung die Hauptschlagader. Eine Fontäne aus Blut schoss in die Luft und bespritzte meine Kleidung.

Ich trat beiseite, zog mir den Mantel an und flüchtete weiter.

Ich hasste mich dafür, was ich eben getan hatte. War die Welt denn nicht schon schlecht genug? Doch ich wusste, dass mir zu viel Grübeln auch nicht weiterhelfen würde. Ich hatte die Kontrolle verloren und die Folge waren katastrophale Ausmaße gewesen.

Vollkommen in dem schwarzen Mantel vermummt ging ich durch die Straßen. Als ich die kalten Hände in die Manteltaschen stecken wollte, merkte ich dass sich in der linken Tasche eine Geldbörse befand. Ich öffnete sie und erkannte, dass sich darin mindestens zweihundert Euro befanden. Das war doch mal was!

Ich ging in das nächste Gewandgeschäft, das ich sah und kleidete mich dort, so billig wie möglich neu ein Unter anderem erstand ich eine graue Jacke, die den Mantel ersetzten würde ein schlichtes, grünes Oberteil und eine klassische Jeans.

Ich suchte mir eine verlassene Ecke, entledigte mich meiner vollgebluteten Sachen und zog mich frisch an. Ein herrliches Gefühl!

Direkt um die Ecke besorgte ich mir an einem Stand einen Hotdog, verdrückte den in Rekordzeit und kaufte gleich einen neuen.

Als mein Hunger endlich gestillt war, kaufte ich mir noch eine Wasserflasche und ging dann Richtung Park. Dort setzte ich mich auf eine Bank und dachte über meine Lage nach.

Ich sah Kindern beim Spielen zu, während ich grübelte. Das war leider noch nie so wirklich meine Stärke gewesen und innerhalb kürzester Zeit verbarrikadierte sich mein Hirn und meine Hirnzellen waren lahm gelegt. Also dache ich wieder mal an nichts.

Plötzlich setzte sich jemand neben Mich auf die Bank. Instinktiv drehte ich den Kopf um zu sehen um wen es sich handelte. Es war Kain.

Ich wollte aufspringen, doch dieses Mal war er schneller. Er packte mich fest am Handgelenk und zog mich zurück auf die Sitzbank. „Du bleibst.“, zischte er mir wütend zu.

Sein Gesicht war schmerzverzehrt und seine Augen waren erfüllt mit Wut. „Oh Gott, was ist denn mit dir passiert?“

„Du bist abgehauen und sie haben es herausgefunden. Das ist passiert!“

Wer sind sie? Doch nicht etwa deine eigenen Leute?“

Er nickte langsam und das Entsetzen rann mir kalt den Nacken runter. Ich stieß ein ersticktes Quietschen aus und hielt mir meine freie Hand vor den Mund.

„Was haben sie dir angetan?“, flüsterte ich, doch ich erhielt keine Antwort. Kain schaute mich nur aus diesen Augen an. Kalte Augen. Leere, leblose Augen.

„Wir werden jetzt gehen.“, befahl er und zog mich mit als er aufstand und aus dem Park ging.

Niemand bemerkte uns und beim Gedanken an das vorhin geschehene war mir das lieber, als bemerkt zu werden und dann für Mord lebenslänglich zu bekommen.

So aber folgte ich Kain brav, wie ein treuer Hund seinem Herrn. Und irgendwann kamen wir an seinem Auto an. Es sah noch immer so verschrottet aus, wie beim letzten Mal als ich es gesehen hatte, doch Kain hatte sich verändert und nun passten die Beiden nicht mehr so zusammen, wie es einmal gewesen sein mochte.

Kain riss die Beifahrertür auf, bewundernswert, dass er das beim ersten Mal hinkriegte, dann schubste er mich heftig ins Auto, knallte die Tür wieder zu und stieg dann selbst ein.

Wir fuhren los und als wir bei einer Ampel anhielten, versuchte ich die Tür zu öffnen. Dummerweise hatte Kain daran gedacht und sie verriegelt. Im großen Ganzen stand es also nicht so gut um mich.

„Wo fährst du mich jetzt hin?“, fragte ich so gefasst wie möglich. Mit einem Unbekannten gegen Dämonen zu kämpfen und dann mit ihm zu verschwinden war was vollkommen anderes als von dem Typen, der sichtlich nicht mehr alle Tassen im Schrank hatte, entführt zu werden! So eine Scheiße!

„Ins Hauptquartier.“, sagte er so ruhig wie ein Zombie. Verdammter Zombie! Hauptquartier? Zu den psychopatischen Zombiemachern? Wirklich gar nicht gut!

Ich vermied den Sichtkontakt zwischen uns beiden so gut es ging. Es könnte uns beide nur aufregen und unterm Fahren wäre das auch so was von gar nicht gut.

Tja, das musste man wohl Optimismus nennen. Selbst in so einer Lage war für mich alles nur gar nicht gut. Wie wär’s denn mit katastrophal oder schrecklich? Ich werde sterben, ach hätte ich nur mit dem Rauchen angefangen, dann könnte ich mich jetzt nach meiner letzten Zigarette sehnen? Nein, ich blieb lieber bei meiner gar nicht gut. Das brachte mich vorerst wenigstens nicht um den Verstand. Und das war doch schon mal was!

„Celia“, raunte Kain mir mit seiner gruselig ruhigen Stimme zu. „Gute Nacht.“ Bevor ich auch nur irgendetwas mitbekam sauste ein Elektroschocker auf mich zu. Die Stromladung traf mich am Hals und ich begann unkontrolliert zu zittern. Dann kam die Dunkelheit und zog mich in ihren Abgrund hinab.
 

Langsam öffnete ich meine schweren Lider. Sie waren verklebt, ich konnte nur hoffen, dass ich nicht geheult hatte. Das grelle Neonlicht brannte in den Augen. Ich wollte sie mir gerade reiben, als ich merkte, dass ich auf einer brettartigen Liege gefesselt war.

Ich versuchte mich zu befreien, doch meine Glieder waren schwer und mein Kopf dröhnte, also ließ ich es vorerst bleiben. Stattdessen lag ich einfach da und starrte an die Decke.

Ich befand mich in einem sterilen Raum ohne Fenster. Hatten wir das nicht schon mal? Nein, es war ganz sicher nicht der Bunker. Meine Liege und ich, wir waren die einzige Raumausstattung, die der Raum hatte. Das schrie ja so förmlich nach Inneneinrichtung! Vielleicht sollten die Typen bei ‚Den Wohnungseinrichtern’ anrufen, doch irgendetwas sagte mir, dass die Leute hier bestimmt nicht darauf erpicht waren ins Fernsehen zu kommen.

Irgendwann öffnete sich die Tür hinter mir. Ich konnte nicht sehen wer gekommen war und ehrlich gesagt war mir im Augenblick alles Schnuppe. Ich wollte mich nur noch in meinem Elend baden. Warum musste so was auch immer nur mir passieren?

Durch die geöffnete Tür wehte ein Windhauch herein und streifte sachte mein Gesicht. Ich konnte spüren wie mir die Gänsehaut die Arme hoch wanderte.

Plötzlich konnte ich Kains Stimme an meinem rechten Ohr flüstern hören: „Es tut mir leid. Glaub mir das bitte. Es tut mir leid. Hab bitte keine Angst. Er kommt gleich und ich glaube, dass er es mag wenn sie Angst haben. Das habe ich gespürt als…“ Seine Stimme versagte ihm und ich drehte den Kopf so weit ich konnte in seine Richtung. Zwar sah Kain noch immer sehr verstört aus, doch verrückt konnte man seinen Ausdruck nicht mehr nennen. Das gab mir, glaub ich, in diesem Augenblick Hoffnung und die nötige Kraft, die ich bald brauchen würde.

Ich hörte wie jemand den Raum betrat und obwohl ich mich dagegen wehrte umklammerte Panik mein viel zu schnell schlagendes Herz.

Inzwischen war Kain wieder von meiner Seite gewichen und ich fühlte mich schrecklich alleine.

„Hallo Celia.“, sagte eine tiefe Stimme links neben mir. „Du siehst aus wie dein Vater, hast sein Gesicht, seine Nase.“ Die Stimme verstummte, schien nach zu denken und hinterließ viel zu viele unbeantwortete Fragen im Raum schwebend. Woher kannte dieser Typ meinen Vater? Wer war mein Vater? Hatte ich etwa ohne es zu wissen auf dieser einsamen Welt noch Verwandte von denen ich nichts wusste?

Plötzlich berührten raue Finger sachte mein Gesicht und streichelten es kurz. Ich unterdrückte kurz den Drang nach der Person zu schauen, die mir viel zu nahe gekommen war.

„Deine Augen hast du allerdings von deiner Mutter. Samantha hatte die schönsten Augen, die ich je zu Gesicht bekommen habe. Sie leuchteten in diesem wunderschönen Grün. Wenn sie lachte, lachten ihre Augen mit und alle, die das sahen mussten unweigerlich auch lächeln.“

Die Stimme klang nun als träumte sie von alten Zeiten. Die Finger berührten meine Lider.

„So, nun meine liebe Celia, wollen wir ein bisschen plaudern.“ Seine Stimme war nur noch ein Flüstern und ich fühlte mich wie ein Opferlamm auf der Schlachtbank. Kein schönes Gefühl, das kann ich euch sagen!

„Was weißt du über deinen Vater, Celia?“ Er wollte die Wahrheit hören und die gab ich ihm. „Nichts“ krächzte ich leise.

„Wie bitte?“, fragte er bittersüß.

„Nichts“, stieß ich diesmal so laut hervor wie ich konnte. Meine Stimmbänder schmerzten unter der Belastung.

„Bist du dir sicher?“

„Ja, das bin ich.“

„Na gut, auf das kommen wir später noch zu sprechen. Was hat dir deine Mutter beigebracht?“, wollte er nun wissen.

„Fahr doch zur Hölle, du verdammter Wichser!“

„Na, na, na“, tadelte er mich wie ein kleines Kind. „Das ist wirklich sehr unhöflich von dir. Du solltest dich entschuldigen.“

„Also gut, es tut mir leid.“, krächzte ich wieder. „Fahr bitte zur Hölle!“

Das gefiel ihm nicht. Er drückte seine Hand auf meinen Kopf und ab da bekam ich nichts mehr mit.
 

Kain hatte bis dahin ruhig in einer Ecke gestanden und zugesehen. Doch dann hatte Abe Celia die Hand auf den Kopf gedrückt und war gewaltsam in ihren Geist eingedrungen. Nun wälzte sich Celia, so weit das ihre Fesseln erlaubten von einer Seite auf die andere und schrie aus Leibeskräften vor Schmerz. „Abe, hör auf damit! “, brüllte er plötzlich zu seiner eigenen Überraschung. Dieser drehte sich überrascht nach Kain um und im selben Augenblick nutzte Celia’s Geist die Gelegenheit und ‚kickte’ Abe so zu sagen aus ihrem Kopf. Dieser sank auf den Boden wie ein Stein und bewegte sich nicht mehr.

In der plötzlichen Stille war nur noch Celia’s Wimmern zu hören. Kain stürmte aus einem ihm unergründlichen Impuls zu ihr und zerrte an ihren Fesseln, doch diese wollten einfach nicht nachgeben. Sein Hirn war auf Hochtouren und er zückte sein Messer, das an seinem Gürtel unter der Jacke versteckt gewesen war. Damit durchsäbelte er so schnell es ihm möglich war die Ledergurte. Wenn irgendjemand sie entdeckte…Sie hatten Abe angegriffen. Sie wären verloren! Kains Verzweiflung stieg und er hob die bewusstlose Celia hoch und trug sie sachte aus dem Zimmer.

Auf dem Weg nach draußen vermied er die breiten Gänge und ging stattdessen die einsameren Wege zum Hinterausgang. Er schaute sich nach einem Fluchtweg um. Sein Auto konnte ihnen wohl nicht mehr helfen. Es stand in der Tiefgarage des Gebäudes und war für sie nun unerreichbar. Er rannte mit Celia auf den Armen durch die Büsche, die das Grundstück abgrenzten und wie durch ein Wunder wichen Celia die Äste aus und sie konnten mühelos passieren.

Sie kamen auf der anderen Seite auf einem Gehsteig an. Gegenüber der angrenzenden Straße war ein Parkplatz. Dort wollten sie hin!

Kain überquerte die Straße und ging auf einen roten Fiat am Rand des Parkplatzes zu. Hier konnte man sie nicht beobachten. Sachte legte er Celia auf den harten Boden und ging zur Fahrertür.

Er wickelte sich seine Jacke um die Faust und schlug mit voller Wucht das Fenster ein. Dann öffnete er die Tür und machte sich an den Kabeln zu schaffen. Als der Motor ansprang seufzte Kain erleichtert. Er legte Celia auf die Hinterbank und achtete darauf, dass sie von außen nicht zu sehen war. Sie suchen nach zwei, also werden sie nur einen finden. Das macht es ihnen ein bisschen schwerer. Das hoffte er zumindest.

Und so fuhren sie los. Kain hatte keine Ahnung wohin er fahren sollte, also nahm er den Weg raus aus der Stadt Richtung Land. Da würde Celia sich wenigstens wohl fühlen.
 

Ich wachte wieder auf. Diesmal war es schlimmer als beim letzten Mal. Mein Kopf fühlte sich wie eine Coladose an, die man zu oft geschüttelt hatte und nun Gefahr lief auszufahren.

Mir war nach Stöhnen zu mute, doch ich verkniff es mir. Schließlich konnte es sein, dass dieser alte Knacker neben mir saß und mich beobachtete. Also spielte ich ‚toter Hund’ und hielt die Klappe.

Ich musste mich beim Aufwachen verräterisch bewegt haben, denn es blieb nicht unbemerkt, dass ich bei Bewusstsein war.

„Celia? Bist du wach? Gott sei Dank, ich dachte schon er hätte dir alle Sicherungen durchgeschmort.“ Das war Kain. Ich blinzelte ein paar Mal und fragte ihn dann leise: „Was ist passiert?“ Erst jetzt merkte ich, dass ich in einem Auto lag. Ich war angeschnallt und die Gurte verhinderten, dass ich von der Bank kullerte wie ein Stein.

Kain verzog ob meiner Stimme das Gesicht. „Du hörst dich schrecklich an. Wie geht es dir?“

„Scheiße.“

Kain nickte stumm. „Was passiert ist erzähl ich dir nachher. Nur eins sei gesagt: Wir sind auf der Flucht.“

Das war ein bisschen verwirrend! „Wo fahren wir jetzt hin?“

„Zu einer Hütte in den Bergen. Dort hab ich mich als Kind öfters versteckt. Zu dieser Jahreszeit lebt dort niemand, Ich hab davon niemandem erzählt. Dort müssten wir sicher sein.“

Meine Kopfschmerzen drohten Überhand zu ergreifen und ich schloss die Augen wieder und versuchte an nichts zu denken. Ausnahmsweise gelang mir das nicht. Na toll!

Inzwischen fuhren wir einen sich schlängelnden Weg den Berg hoch direkt durch den Wald. Weil meine Schmerzen dem Sadisten da oben wohl noch nicht auszureichen schienen wurde mir von der Achterbahnfahrt schlecht. Manchmal kommt halt alles auf einmal. Doch ich hätte nie gedacht, dass das SO zutreffen könnte!

Plötzlich bremste der Wagen und die Wucht drückte mich in die Gurte. Die Wucht schnürte mir kurz die Luft ab und ich verhedderte mich in den Gurten. Schon kam mir Kain zu Hilfe und stützte mich beim Aussteigen, aber ich wollte es allein versuchen. Nach den ersten beiden Schritten drehte sich alles und ich wankte zu einer nahe stehenden Eiche um mich fest zu halten. Plötzlich wurde der Brechreiz zu stark und ich beugte mich zur Seite und würgte meinen kläglichen Mageninhalt wieder hoch.

Als ich mich wieder hoch hievte stand Kain neben mir und schaute mich besorgt an. Häh? Seit wann sorgte sich der Typ denn um mich?

„Kannst du gehen?“, fragte er. Ich starrte ihn mit meinem stell-mich-nicht-in-Frage-du-wirst-schon-noch-sehen-Blick an und tat den ersten Schritt.

Zuerst ging es noch ziemlich wackelig voran, doch die frische Luft tat mir gut und bald konnte ich wieder einigermaßen normal gehen.

„Wie weit müssen wir eigentlich zu der Hütte laufen?“, fragte ich Kain. Auch wenn ich gehen konnte, hieß das noch lange nicht, dass ich es gleich überstürzen musste.

„Ein paar Kilometer, aber wir können Pause machen wenn es sein muss.“ Ein paar Kilometer?!? Hatte der sie noch alle? Ich gehörte in den Krankenstand, außerdem hatte ich Wandern schon immer gehasst! Am liebsten wäre ich ihm an die Kehle gesprungen, doch ich hatte gerade genug damit zu tun aufzupassen, dass ich nicht stolperte.

Ein paar Kilometer später war es bereits dunkel. Das hielt uns allerdings nicht davon ab noch immer nach der Hütte zu suchen. Okay, Das machte mich sauer!

„Wann kommen wir denn endlich an?“, quengelte ich wie ein kleines Kind, das beim Urlaub fahren alle fünf Minuten die gleiche Frage stellte.

„Wir sind bald da.“, antwortete Kain schon vollautomatisch.

„Sag bloß wir haben uns verlaufen?“ Ich stöhnte laut.

„Sei still, ich find sie schon noch!“ Typisch Mann!

Nun war es nicht einfach nur dunkel, es war stockdunkel. Sind Sie schon einmal mitten in der Nacht quer durch einen Wald gelaufen? Haben Sie sich auch bei jedem zweiten Schritt den Kopf an einem Baum angeschlagen? Oder sind über Wurzeln gefallen? Ich schon, und ich war von Anfang an nicht erpicht darauf dieses Erlebnis je zu machen…

„Ahhh!“ Das war der Laut den ich ausstieß als ich über eine Stiege stolperte und auf der daran hängenden Terrasse hart landete. „Kain, ich glaub ich hab deine Hütte gefunden“, stellte ich angefressen fest. Warum musste dieser Scheiß ausgerechnet mir passieren, immer wieder?

Kain schien an meine Dauerunfälle und meinen ewig labilen Zustand inzwischen gewöhnt sein. Er zog mich wortlos hoch und machte sich an der Tür zu schaffen. Ich dachte schon er würde irgendwelche Meistertricks anwenden um das Schloss zu knacken, aber weit verfehlt.

Er trat einmal heftig gegen das alte Holz und schon schwang die Tür wie von allein auf. Er ging hinein und rief noch schnell: „Kommst du?“ Dann hatte die Dunkelheit ihn schon verschluckt.

Ich hatte irgendwie das Gefühl, dass es nicht klug war in einen sehr, sehr finsteren Raum zu gehen, wenn mich doch nichts dazu zwang. Im Gedanken konnte ich mich schon wieder fallen sehen, also blieb ich wo ich war.

Plötzlich ging das Licht an und Kain war wieder zu sehen. „Ich hab die Sicherungen rein getan.“, antwortete er meinem fragenden Blick.

Ich sah mich kurz in der Hütte um. Sie war größer als es von draußen den Anschein hatte. Zuerst gab es da den Hauptraum. In der Ecke stand eine unbequem wirkende Holzgarnitur mit Tisch. Darüber hingen ein paar Regale, die teils voll gestopft waren mit irgendwelchem Krimskrams und teils vollkommen leer waren. Die andere Ecke des Raumes war als Küche benützt worden. Eine Tür im hinteren Teil des Raumes führte in ein zwar enges, aber vollkommen ausgestattetes Badezimmer und daneben befand sich ein Schlafzimmer mit Doppelbett.

„Ich brauche jetzt ein Bad“, stöhnte ich laut.

„Warte noch, ich seh mal nach ob die Wasserleitung verriegelt ist.“

Er verschwand fast eine halbe Stunde hinter der Badezimmertür. Seit dem ich Kain kannte war ich immer besser geworden Zeiten zu schätzen! Wenn das nicht mal ein Vorteil unter x-tausend Nachteilen unserer Begegnung war…

„Das Wasser läuft jetzt wieder“, sagte Kain und machte mir den Weg ins Bad frei. Während ich mir ein schönes, warmes Bad einließ, suchte ich in dem kleinen Schränkchen neben der Wanne nach Handtüchern und wurde fündig. Endlich mal etwas Positives!

Eine halbe Stunde lang entspannte ich mich in der Wanne und dachte, absichtlich, an gar nichts. Nach den Geschehnissen der letzten paar Tage schwebte ich für kurze Zeit auf Wolke sieben.

Als ich endlich sauber war fühlte ich mich gleich um zehn Kilo leichter. Ich verließ das Bad und fand Kain vor dem Herd vor. Ein Mann der handwerkeln und kochen konnte. Echt dumm, dass die Rede von Kain war, sonst hätte ich wahrscheinlich die Liebe meines Lebens gefunden.

„Ich hab im Schrank da unten ein paar Konservendosen entdeckt. Es gibt Bohnensuppe.“

Allein bei dem Gedanken an Essen knurrte mein Magen schon.

Ich suchte nach Besteck und Geschirr, spülte es kurz ein bisschen ab und legte es dann bereit auf den Tisch. Danach machte ich es mir so gemütlich wie nur möglich und wartete auf das Essen.

Zehn Minuten später war das Essen fertig, zwei Minuten später war der Topf leer geputzt.

„Oh mein Gott, ich glaub ich hab noch nie so gut gegessen.“, schwärmte ich.

„Hunger ist eben der beste Koch.“, meinte Kain.

„Ich glaube du hast Recht. Willst du mir jetzt endlich erzählen, was passiert ist?“

„Also gut.“ Überraschender weise klang er überhaupt nicht resigniert. Er schaute einen Augenblick lang ins Leere und schien zu überlegen wo er anfangen sollte.

„Als du verschwunden warst, hat Abe mich im selben Raum wie dich verhört. Er wollte wissen, ob ich dir bei deiner Flucht geholfen hätte. Ich antwortete mit nein, doch das schien ihn nicht zu befriedigen. Also hat er das gleiche mit mir gemacht, wie mit dir. Er ist gewaltsam in meinen Geist eingedrungen und hat meinen Kopf völlig auf den Kopf gestellt.“ Er lächelte bei dem (miesen) Wortspiel. „Das ging einige Stunden so. Wenn es eine Hölle gibt, dann war ich dort.“, flüsterte er. Danach hab ich dich gesucht und ich hab dich gefunden. Ich hab keine Ahnung wie ich das bei diesem Zustand überhaupt geschafft habe. Ich bin in der Gegend herum gegangen und dann saß ich plötzlich neben dir und danach fuhren wir zu Abe.“ Inzwischen sprudelten die Worte nur so aus seinem Mund.

„Als ich dann sah, wie Abe dich quälte, beschloss ich, dass das so nicht weiter gehen konnte. Und dann hat sich dein Geist instinktiv gegen Abe gewehrt und der ist einfach umgekippt.

Das hat bis jetzt noch niemand geschafft. Du musst viel stärker sein als ich es gedacht habe.

Danach bin ich mit dir abgehauen, und hier sind wir.“

Langsam ging ich auf Kain zu und beugte mich nahe an ihn ran. „Danke dafür, dass du mich gerettet hast.“, flüsterte ich ihm leise zu, als würde ich ihm ein Geheimnis erzählen.

Dann wandte ich mich langsam seinem Mund zu, bis sich unsere Lippen berührten. Er stand auf und wir umklammerten und küssten uns ein paar Minuten wie Teenager, dann zog ich mich abrupt zurück. „Und das ist dafür, dass du mich entführt hast.“, sagte ich als ich ihm eine schallende Ohrfeige gab.

Eigentlich hatte ich damit gerechnet, dass er zu schreien anfinge, doch stattdessen begann er plötzlich zu lachen. Nun gut. Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet!

„Ich denke das hab ich verdient. Beides.“, fügte er noch hinzu.

Auf einmal hatte ich das unausweichliche Bedürfnis nach Alkohol, also machte ich mich auf die Suche und fand schließlich eine verstaubte Flasche Cognac. Zitternd vor Sehnsucht leerte ich ihn in ein großes Glas und stürzte das auf einmal runter. Ich verzog das Gesicht kurz und goss mich sofort ein neues Glas ein. „Wem gehört diese Hütte eigentlich?“, fragte ich Kain.

„Als ich noch ein Kind war, hat es einem reichen Schnösel gehört. Der ist aber immer nur zur Jagdzeit hier aufgekreuzt. Seit ich das letzte Mal hier war hat sich nicht viel geändert.“

Ich hatte mich inzwischen wieder hingesetzt und konsumierte fleißig Alkohol.

„Warum bist du eigentlich so plötzlich verschwunden? Es wirkte irgendwie wie eine vollkommen spontane Entscheidung.“, wollte Kain von mir wissen.

„Wenn man eine Pflanze in einem so lichtleeren Ort einsperrt, geht sie früher oder später ein. Der Moment, als ich realisierte, dass ich hier möglicherweise auf Dauer eingesperrt sein würde, war der Moment als ich floh.“ Ich sah mit glasigem Blick in die Tiefen meines Glases und trank noch einen Schluck.

Kain nahm das still zur Kenntnis.

„Erzähl mir was von dir.“, forderte ich Kain auf.

„Was denn?“

„Erzähl mir was aus deiner Kindheit.“

„Also schön.“ Er atmete tief ein. „Meine Kindheit endete am Tag meiner Geburt.“

„Warum?“

„Es gab Komplikationen und meine Mutter starb. Mein Vater hat mir das nie verziehen, darum nannte er mich Kain. Der erste Mörder, derjenige der in der Bibel seinen Bruder Abel tötete. Das bin ich.“ Seine Stimme klang auf eine schmerzliche Art distanziert und traurig.

„Mein Vater sah mich immer nur als lästige Notwendigkeit an, mehr war ich nie für ihn. Ich rannte oft weg und auf einem meiner Ausflüge entdeckte ich diese Hütte.

Mit vierzehn lief ich endgültig fort, dann lebte ich zwei Jahre auf der Straße. Dort fand mich Abe. Er nahm mich mit zu sich nach Hause und behandelte mich wie sein Kind. Er war der Vater, den ich nie hatte. Das war alles eine Lüge.“ Ich konnte den Schmerz in seinen Augen sehen. Er langte über den Tisch nach der Flasche Cognac und trank direkt daraus gierig einige Schlucke. Als er die Flasche danach viel zu heftig wieder auf den Tisch knallte, schwabte ein Teil der Flüssigkeit auf die Holzplatte über und rann von dort quälend langsam auf den Boden.

Einige Augenblicke lang war es ganz still und wir hörten dem Tropfen der Flüssigkeit zu.

„Ich hätte nicht erwartet, dass du mir das wirklich erzählst. Ich meine, ja ich hab gefragt, aber erwartet hätt ich’s trotzdem nicht.“

„Jetzt sind wir quitt“, flüsterte Kain, dann schaute er mich kurz ganz intensiv an, kam zu mir, und wie vorher ich ihn so küsste jetzt er mich. Ich ließ es geschehen, doch dann löste ich mich wieder von ihm und umarmte ihn ein paar Minuten einfach nur.

Dann zog ich ihn mit mir Richtung Schlafzimmer und hielt ihn umklammert, bis er einschlief.

„Du hast einen wirklichen Sinn für Männer“ flüsterte ich sarkastisch in die Stille bevor auch ich einschlief.
 

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Hat's euch gefallen?

Bis zum nächsten Mal!

Blutige Probleme

Ich wachte auf und hatte ausnahmsweise so überhaupt keine Lust noch mal einzudösen. Der Grund? Der 90 Kilo schwere, schnarchende Grund lag schräg über mir und klammerte sich an meine Taille. Ich sah rasch an mir runter, gut, wir waren beide noch angezogen. Man konnte ja nie wissen, schließlich hatten wir beide getrunken und beide wenig vertragen! Wäre schließlich nicht das erste Mal gewesen, dass mir so was passiert.

Ich suchte nach einem Ausweg aus dieser peinlichen und beklemmenden Lage und hatte die Idee! Ich umarmte Kain und zog ihn ganz dicht an mich, dann rollte ich mich ganz sachte mit ihm auf die Seite. Die alte Matratze protestierte lautstark und ich hielt einen Moment in der Bewegung inne, aus der Angst er könne aufwachen. Doch Kain schnarchte ungestört weiter.

Als wir uns so weit gerollt hatten, dass ich auf ihm lag, befreite ich mich sanft aus seinem Klammergriff und floh leise, zuerst aus dem Schlafzimmer und dann aus der Hütte.

Danke Friends! Den Trick mit dem Rollen hatte ich in einer Folge meiner Lieblingsserie gesehen, da soll noch mal jemand sagen, dass Fernsehen nicht bildet! Bis jetzt hatte ich noch nie Gelegenheit dazu gehabt mein Wissen anzuwenden, aber das hatte nun ein Ende!

Ich ging durch den dichten Wald in dem die kleine Hütte stand und atmete die frische Luft ein. Wer in der Stadt lebt kann so etwas gar nicht schätzen, aber das ist so etwas wie frische Milch, gerade gepflückte Früchte, selbst gepresster Orangensaft oder das neueste Modestück von DKNY aus erster Hand.

Der Erdboden war weich unter meinen nackten Sohlen und es fühlte sich an, als würde ich über Kissen wandern. Das mag vielleicht nicht für jeden verständlich sein, doch in diesem Augenblick fühlte ich mich geborgen und zu Hause.

Es war gerade erst hell geworden, doch die Vögel zwitscherten schon um die Wette. Ich bahnte mir orientierungslos einen Weg zwischen die hohen Bäume. Sie waren, ihrer Größe nach teilweise mehrere hundert Jahre alt. Das faszinierte mich immer aufs Neue. Sie waren schon da als wir geboren worden waren und, wenn sie nicht zum Opfer eines dummen Menschen wurden, waren sie auch noch da, wenn unsere Zeit zu Ende war.

Ich bekam Hunger und beschloss, dass es wohl Zeit war wieder zurück zu gehen. Den Weg fand ich problemlos. Dies war mein Element!
 

Kain wachte auf und schlug sich die Hände auf den schmerzenden Kopf. Es gab einen guten Grund, warum er nie trank, er vertrug dieses verdammte Zeug einfach nicht!

Er versuchte sich an den gestrigen Abend zu erinnern, doch seine gemarterten Hirnzellen spielten da nicht mit. Er bemühte sich noch mehr den riesengroßen Knoten, den er Hirn nannte zu entwirren.

Celia… Da war Celia. Sie hat mich geküsst, und…und sie hat mich geschlagen. Als diese Erinnerung zurückkehrte musste er schmunzeln. Instinktiv hielt er seine Handfläche, dorthin wo Celia ihn getroffen hatte.

Was ist dann passiert?, fragte er seinen gequälten Kopf, doch dieser war noch immer beleidigt und gab Kain keine Antwort.

Kain stöhnte, hatte er etwa etwas Falsches gesagt? Wo war Celia überhaupt?

Er verließ das Zimmer und suchte nach der so gar nicht blonden Blondine, doch er fand sie nicht. Wo konnte sie nur sein?

Stopp! Zu viele Gedanken bei zu wenig Gehirnaktivität! Er brauchte jetzt erst mal eine schöne Tasse Kaffee. Wo sollte er denn bitte Kaffee auftreiben? Wie sollte er auch nur einen Tag ohne seinem geliebten, schwarzen Gebräu überleben? Mach das Beste daraus!

Er kniete sich auf dem Boden im Hauptraum nieder und öffnete eine unscheinbare Falltüre. Unter den Holzlatten befanden sich diverse Konservendosen und noch ein paar von den braunen Glasflaschen von gestern, dieses Teufelszeug, sonst nichts. Was sollte man denn auch sonst über das ganze Jahr hier zurücklassen?

Er fischte sich wahllos ein paar Dosen und stellte sie auf den Tresen in der Kochecke.
 

Als ich die ächzenden Stufen zur Hütte hoch ging fühlte ich mich besser als seit Tagen. Ich öffnete die alte Türe und wäre beinahe mit Kain zusammen gestoßen.

„Hi“, sagte Kain und grinste mich wieder auf seine typische Weise an. Ich hatte dieses Grinsen vermisst, als es weg gewesen war, doch nun brachte es mich wieder zur Weißglut!

„Guten Morgen“

„Mais oder Thunfisch?“, fragte er nun.

„Wie bitte?“

„Möchtest du lieber Mais oder Thunfisch essen?“

„Ich nehme Mais, hab im Fernsehen gesehen, dass Thunfisch am Aussterben ist.“ Ja, ja. Fernsehen bildet!

„Nun gut.“, sagte er und ging zur Theke.
 

Nur fünf Minuten später schlemmerte ich den, etwas fade schmeckenden Mais. Hunger war immer noch der beste Koch! Das dachte mein Magen wohl auch, denn er war vollauf zufrieden mit dem Dosenfutter. Jahrelanges Training hatten ihn nahezu immun gegenüber Fertigfraß, oft aus zweifelhaften Quellen, gemacht.

Das ist zwar nichts, was man in seinen Lebenslauf schreibt, erzählte ich meinem Magen, aber wie man sieht, hat auch Allesfresser sein seine Vorteile.

Plötzlich merkte ich, dass Kains Blick auf mir ruhte. „Was ist?“, fragte ich und bespuckte ihn beinahe mit Mais. Kain grinste wieder mal über beide Ohren. „Nichts, ich hab nur noch nie jemanden so ähm…leidenschaftlich essen gesehen.“ Oh, dieser vorlaute Vollidiot! Ich würde ihm sein Grinsen schon noch austreiben! Natürlich ohne ihn fürchterlich zu quälen, fügte ich im Gedanken noch hinzu. Im Gegensatz zu Abe, hatte ich das schließlich nicht notwendig!

Dann, auf einmal, verspürte ich ein, mir nur zu gut bekanntes Verlangen und ich streckte trotzig die Zunge raus, wie es wohl jedes Kleinkind in so einer Lage tun würde. Na gut, zugegeben, meine Reaktion war wohl nicht unbedingt sehr reif und erwachsen, aber was soll’s? Mit Erwachsen sein war ich im Leben noch nie wirklich weiter gekommen, also warum ausgerechnet jetzt damit anfangen?

Im Gegensatz zu allen sechsjährigen machte Kain es mir nicht nach. Nein, viel schlimmer. Er tat, was Kain nun mal zu tun pflegte. Er fing zu lachen an.

Ich funkelte ihn wieder mal an, während er vor sich hin prustete und warf ihm im Gedanken ziemlich unkreative Schimpfwörter an den Kopf. DAS war ich! Kain konnte lachen, bis er umfiel, aber ich hatte schon immer sofort rot gesehen! Das war ich.

Kain hatte sich inzwischen wieder einigermaßen gefangen und war gerade aufgestanden um sich ein Glas Wasser ein zulassen. Auf dem Weg zur Theke überfiel ihn ein heftiger Hustenreiz. Anscheinend hatte er sich verkühlt. Gut so! Der kleine Husten würde ihn nicht umbringen und den Rest hatte er verdient. Mal abgesehen von der Tatsache, dass er mich gerettet, selbst sein Leben riskiert und so gut wie alles aufgegeben hat um sich mit einer durchgeknallten Vollirren, also mir, auf Flucht zu befinden. Na gut, vielleicht hatte er es doch nicht verdient.

„Bist du krank?“, fragte ich ihn deswegen mit besorgt-netter Stimme.

„Ach nichts“, er hustete gleich noch einmal. „Nichts Ernstes jedenfalls. Bin nur etwas verkühlt.“

Ich sah ihm noch kurz ein paar Sekunden zweifelnd in die Augen, aber hielt Stand. „Was hast du jetzt vor?“, fragte ich ihn schließlich. Er runzelte kurz die Stirn. Ich glaube, das war kein gutes Zeichen. Mr. Happy machte ein ernstes Gesicht! Es passte nicht zu ihm und ich ertappte mich bei dem Gedanken, dass er doch bitte wieder lachen sollte. Der Gedanke ist tabu, verdammt noch mal!

„Eins ist klar, wir können nicht mehr lange hier bleiben. Wir befinden uns immer noch zu sehr in der Nähe des Ordens.“ Seine feste Stimme zerschnitt meinen kleinen Gedankenkonflikt. „Aber wo sollen wir dann hin?“ Meine Worte verrieten meine Ratlosigkeit. „Mach dir mal keine Sorgen! Mir wird schon was einfallen. Mir muss etwas einfallen.“, stellte er fest. Mit diesen Worten drehte er sich um und ging Richtung Schlafzimmer.

„Was hast du denn jetzt vor?“, wollte ich, neugierig wie ich eben bin, wissen. „Ich werde nachdenken.“ Dann knallte die Tür hinter ihm zu.

„Und was mach ich jetzt?“, fragte ich alle Anwesenden, also mich. Ich begann zu grinsen, als mein Blick auf den Boden fiel. Hatte Kain da nicht herumgewerkelt? Vielleicht war ja noch ein bisschen von dem herrlichen Wundermittel übrig?
 

Eine Flasche und ein kleines Nickerchen auf dem Boden später weckte mich ein sachtes Rütteln. Kain. Ich drehte meinen tonnenschweren Kopf mühsam auf die Seite und starrte direkt auf den Fuß eines ausgewachsenen Vollidioten! Dieser besagte Vollidiot hatte mich getreten, damit ich aufwache! „DUUU!!!“, nuschelte ich undeutlich und ich glaube es hörte sich so an wie „SCHUUUH!!!“ Dann spürte ich zwei Hände, die mich an der Seite um griffen und hochzogen. Ich war noch ziemlich orientierungslos und merkte so erst, dass Kain mich ins Schlafzimmer getragen hatte, als ich etwas ungelenk auf die ächzende Matratze krachte. Einen Moment lang fühlte es sich so an, als würden die Federn nachgeben und ich würde weiter fallen bis zum Boden. Im zweiten Moment rächte sich die malträtierte Matratze für den unfairen Angriff und schleuderte mich mit voller Wucht noch mal in die Höhe. Ich stöhnte wie eine verletzte Hirschkuh, (Nur ne Metapher, ich meine ich hab noch nie einer Hirschkuh beim Stöhnen zugehört. Ihr denn?) und vergrub mein Gesicht in den, etwas streng riechenden Kissen. Dann beschloss ich, dass ich ein kleines Schläfchen ruhig verdient hätte. Fragt jetzt bitte nicht mit was! Meine Theorie war in dem Augenblick nicht gerade wasserdicht.
 

Irgendwann später zog mich Kains Stimme aus der Dunkelheit meines traumlosen Schlafes. Dann spürte ich, wie er mich an der Schulter berührte und sanft zu rütteln begann um mich aufzuwecken. Ich schlug einigermaßen erfolglos nach seiner Hand und verkroch mich dann gleich wieder unter der Decke. Kain ignorierte meinen offensichtlichen Wunsch auf ein ungestörtes Nickerchen und zog mich aus dem Bett um mich zur Bank im großen Zimmer zu schleifen. Als ich auf dem harten Holz saß, trat ich nach ihm. Er hatte mich aber durchschaut und war im letzten Moment noch zur Seite gesprungen und grinste mich jetzt besserwisserisch an. Ich funkelte zurück und wir spielten wieder unser Spiel. Das war schon zur Tradition geworden und irgendwie fühlte es sich gut an.

Ich verbat mir schnell diese gefährlichen Gedankenwege und fragte Kain mit klarer Stimme und wieder einigermaßen klarem Verstand: „Weißt du schon, was wir machen sollen?“

„Wir gehen nach Paris.“

Paris? Also… „Paris?“

„Paris“, stellte Kain fest. „Ich hab da einen alten Bekannten, der es zu was gebracht hat und ich hoffe bei ihm können wir uns eine Weile verstecken.“

„Und wie sollen wir dorthin kommen?“

„Mit dem Auto. Es wäre allerdings nicht klug immer mit dem gleichen Wagen zu fahren. Also werden wir zu dem Bauern am Rand des Waldes gehen und sehen, was er so zu bieten hat.“

„Moment! Gehen?! Ist das dein Ernst? Wirklich? Hasst du mich so sehr? Dieser Wald ist doch sicher ein paar Hektar groß!“, platzte ich entsetzt heraus.

„Ja, das ist mein Ernst. Außerdem weißt du doch nicht mal was ein Hektar ist.“

Erwischt. „Natürlich weiß ist was ein Hektar ist! Hältst du mich für vollkommen doof?“ Stopp! Ich will die Antwort gar nicht wissen! „Weißt du eigentlich, dass du mich noch umbringen wirst?“

„Ich bitte dich! Das hast du auch ohne mich ganz schön hinbekommen!“

Ich wollte ihm gerade wieder die Zunge rausstrecken, als er plötzlich sagte: „Heute ist es schon zu spät um aufzubrechen, aber morgen früh, und wenn ich früh sage, dann mein ich früh Celia! Also morgen früh gehen wir los!“ Mit diesen Worten verschwand er aus der Hütte.

„Hey! Kain! Wo willst du denn hin?“ schrie ich als ich ihm aus der Tür nach ins Freie hechtete. Draußen war es hell, aber der Himmel hatte schon einen leichten Rotton angenommen.

Als ich ihn erreicht hatte, klammerte Kain seine Finger fest um meinen Oberarm. „Bist du wahnsinnig?“, zischte er wütend. „Wenn du hier zu laut bist, werden wir noch ein paar Kilometer weiter gehört. Willst du das? Dann sind sie bald hier und du musst dich nicht mehr mit mir abgeben! Ich gebe mir die größte Mühe, damit wir beide hier noch ein Weilchen überleben, ist das klar?“

Ich ertappte mich dabei, wie ich ihn entsetzt anstarrte. Das war ja mal was ganz neues. Unser lieber Kain hatte ja doch mehrere Seiten, wie interessant…

„Ich gehe das Auto verstecken.“, meinte er nun etwas abweisend. Sein Tonfall verpasste mir einen kleinen Stich, doch ich ignorierte ihn so gut es ging. Schnellen Schrittes ging er nun weiter und drehte sich kein einziges Mal um. Warum macht uns das nur was aus?, fragte ich mein Herz. Doch es gab mir keine Antwort.

Als ich Kain nicht mehr sehen konnte ging ich zurück in die Hütte und machte mir dort eine Dose mit Bohnensuppe auf. Ich stellte mich zwar schrecklich ungeschickt mit dem Gasherd an, aber mein Magen und ich befriedigten uns auch mit einer kalten Suppe. Da kann man nur hoffen, dass da keine Salmonellen drin sind, nicht wahr?, r

Fragte ich meinen knurrenden Magen. Aus Zustimmung brummte er gleich noch mal laut auf und ich machte mich über die Bohnen her. Es schmeckte zwar nicht unbedingt besonders gut, aber das war mir ziemlich egal und so brauchte ich nicht lange, bis auch nur der kleinste Rest vernichtet war.

Durst!, schoss es mir urplötzlich durch den Kopf. Ganz automatisch wanderte mein Blick Richtung Falltüre. Nein, diesmal nicht., sagte ich mir stattdessen und füllte mir ein Glas Wasser ein.

Als ich meinen Durst gelöscht hatte, ging ich ins kleine Badezimmer und drehte den Hahn auf um mir ein entspannendes Bad zu gönnen.

Fünf Minuten später war die Wanne bis oben voll mit Wasser und als ich rein stieg schwabte ein Teil über den Rand und tränkte den Fliesenboden. Ich achtete einfach nicht darauf, lehnte mich zurück und schloss die Augen.
 

Als ich die Augen wieder öffnete war das Wasser schon kalt. Ich runzelte die Stirn. Ich musste wohl eingeschlafen sein. Vorsichtig stieg ich aus der Wanne und zog gleich den Stöpsel aus dem weißen Boden um das Wasser abzulassen. Dann trocknete ich mich ab und strupelte meine kurzen Haare bis sie nur noch ein kleines bisschen feucht waren. Danach machte ich mir sogar die Mühe, das Wasser vom Boden aufzuwischen. Mein Verstand sagte mir, dass ich endlich gelernt hatte ordentlich zu leben, doch von meinem Magen wusste ich, dass ich einfach nicht mit Kain reden wollte.

Als alles trocken und blank poliert war, fand ich keine Ausrede mehr und ich verließ das kleine Zimmer. Ich sah mich im großen Raum um, doch Kain war nicht da. Ich durchsuchte den Rest der Räume und fragte die leere Hütte: „Kain, wo bist du?“ Draußen war es bereits stockfinster und ich begann mir Sorgen zu machen. Wo blieb er nur?

Ich wartete noch eine gute halbe Stunde, in der ich mir einredete, dass alles in Ordnung sei. Woher willst du das denn wissen?, zischte ich mich selbst an.

Dann stürmte Celia, das Nervenbündel in die kalte, dunkle Nacht, die den Wald in ihren Klauen hielt.

Die kühle Nachtluft brannte mir in den Lungen, als ich mich im Wald umhertastete, ohne Ziel, nur mit einem schmerzenden und bedrückenden Gefühl, das sich in jeder Zelle meines Seins festgesetzt zu haben schien. Ausnahmsweise ließ ich alle Gefühle, die mich umströmten gelten. Was soll’s? Hab ich mich halt in ihn verknallt. Und wenn schon. Dann leide ich eben am Stockholmsyndrom! Das wird schon wieder vorbeigehen, aber ich muss ihn trotzdem finden. Das war zugegeben einer von wenigen klaren Momenten, die ich während meiner Hetzerei hatte. Jegliches Zeitgefühl war mir abhanden gekommen und ich nahm, außer meinen laufenden Beinen, die sich ohne genaue Anweisungen auf dem Boden weiterbewegten und dem Geräusch meiner Schritte nichts um mich mehr wahr. Mein keuchender Atem, war mir vollkommen egal, ich musste ihn nur finden.

Nach einer unmöglich benennbaren Zeit spielte mein übermüdeter Körper nicht mehr und ich klappte zusammen, wie ein kaputter Gartenstuhl. An einen Baum gelehnt hockte ich auf dem weichen Waldboden. Jede Faser meines Körpers fühlte sich so an, als ob sie in Flammen stehen würde und ich konnte nichts mehr tun, war nicht mal mehr in der Lage zu denken. Plötzlich spürte ich wie meine Augen zu brennen anfingen, und eine Träne sich ihren Weg über mein Gesicht bahnte und dann von meinem Kinn tropfte. Ich weinte. Ich weine nicht.belehrte ich meine Tränendrüsen. Ich weine nie, verdammt noch mal! Ich weine nie, und erst recht nicht wegen diesem Idioten!

Also grub ich mich aus meinem Berg aus Selbstmitleid raus und stand wieder auf. Mein Leben, wie ich es kannte ist vorbei und die einzige Chance auf Hilfe, die ich habe ist verschwunden. Also was tue ich? Ich rette meine einzige Hoffnung wenn das der einzige verdammte Weg auf ein neues Leben ist!

Ich hielt mich mit beiden Händen an der rauen Rinde fest und flüsterte dem Baum zu: „Weißt du wo er ist? Bitte verrat es mir.“ Der Wind wendete und ich hörte dem Flüstern der Blätter zu. Ein paar Minuten stand ich mit geschlossenen Augen da und lauschte so intensiv ich konnte. Dann ging ich los. Ich wusste nicht genau wohin ich ging, aber im Gegensatz zu vorhin wusste ich genau, dass ich auf dem richtigen Weg war. Ich wandelte wie in Trance und als ich endlich das Auto sehen konnte, bemerkte ich, dass es bereits hell geworden war.

Das kleine Auto stand in dieser Schlucht. (Ich hatte nicht einmal bemerkt, dass ich abwärts gegangen war.) Es war gegen eine dicke Eiche gekracht und durch die Wucht war die Motorhaube aufgesprungen und gab so freien Blick auf den rauchenden Motor.

„Kain?“, rief ich. Mir war vollkommen egal, was er gerade gestern noch gesagt hatte. „Kain, bist du hier irgendwo?“ Keine Antwort. Die Stille durchschnitt mich. „Kain! Komm raus, Kain! Ich mach mir Sorgen!“ Immer noch keine Antwort. Langsam begann ich eine Runde um den Wagen zu drehen, nichts. Vielleicht hat er ja gar nicht mehr im Auto gesessen, als es hier runter gerattert ist. Vielleicht ist er jetzt schon wieder in der Hütte und ärgert sich, weil ich nicht da bin. Vielleicht. Aber was ist wenn nicht?

Langsam bahnte sich mein Blick den Abhang hinauf. Dort, wo das Auto hinunter gefahren war konnte man zwei Linien der Zerstörung sehen. Die Blätter und Büsche waren platt gefahren und an vielen Stellen konnte man die Erde sehen. Was, wenn er noch dort oben ist? In dem Moment, als sich dieser Gedanke durch mein Hirn geschossen war, rannte ich schon los. Leichter gesagt, als getan. Der Weg war unglaublich steil und ich rutschte immer wieder ab. Ich versuchte es ein kleines Stückchen weiter rechts. Dort gab es mehr Bäume und es gelang mir mich von einem zum anderen hoch zu ziehen. Doch auch trotz meiner überirdischen Mühe rutschte ich beinahe alle zwei Meter wieder einen hinab. Auf diese Weise brauchte ich eine halbe Ewigkeit und als ich endlich über den Rand der Schlucht blicken konnte war ich von unten bis oben voller Schlamm. Als ich mich endlich ganz hochgezogen hatte, lehnte ich mich einen Moment lang gegen einen kalten Stein. Er gab mir für den kurzen Augenblick Halt und ich stand auf um weiter nach Kain zu sehen.

Der Gestank war sofort da, verätzte nicht zum ersten Mal meine Nasenschleimhäute bis meine Augen zu tränen begannen. Verfaulte Eier. Verdammt! Dämonen!

Ich drehte mich schnell um die eigene Achse, verlor fast das Gleichgewicht, doch Dämonen konnte ich keine sehen. Plötzlich konnte ich auf dem Lehmboden vor mir eine dunkle Flüssigkeit erkennen. „Oh, Scheiße.“, stieß ich entkräftet hervor. Ich spürte, wie meine Augen wieder zu brennen begannen als ich entsetzt die Spur Blut vor mir anstarrte. „Verdammte Scheiße!“, schluchzte ich leise auf. „Kain? Kain! Bitte komm doch endlich! Ich bin’s, Celia. Wie soll ich das alles ohne dir schaffen?“, brüllte ich, einem Nervenzusammenbruch nahe in den Wald.

Dann, auf einmal glaubte ich ein leises Stöhnen zu hören. Von dort! Ich sprintete nach vorne links so schnell ich nur konnte. Der Weg senkte sich etwas ab und dann sah ich ihn.

Kain hatte sich hinter einem Baumstamm zusammengerollt, mit beiden Händen auf den Bauch gepresst. Sein Gesicht war, wirklich, kalkweiß. Ich rutschte durch den Dreck zu ihm. „Oh mein Gott! Oh Gott, oh Gott…“, murmelte ich vor mich hin. Plötzlich schlug er die Augen auf und sah mich an. „Ich hab dir doch gesagt, du sollst nicht so brüllen.“, flüsterte leise, ach so leise.

„Was ist passiert? Was ist los mit dir?“, wollte ich, nein forderte ich zu wissen.

Anstatt einer Antwort hob Kain einen kurzen Moment seine Hände und gab den Blick auf einen sehr, sehr großen Blutfleck frei. Entsetzt war ich nur in der Lage hin zu starren. „Oh nein, Kain!“

„Ist nur ein Kratzer.“, meinte er und lächelte sogar ein kleines bisschen, doch ich konnte an seinem Gesichtsausdruck erkennen, dass es ihm viel Mühe kostete den unverwundbaren zu spielen.

Ich konnte spüren, wie meine Lippe zu zittern begann. „Du hast Recht, nur ein Kratzer.“

„Hör zu Celia! Ich glaube ich habe in dem Wagen einen Verbandskasten gesehen. Du musst ihn holen.“, flüsterte er mir zu.

Ich wollte nicht weg von ihm, wollte ihn nicht schon wieder verlassen. Hatte Angst, dass er, wenn ich zurückkäme, die Augen nicht mehr aufmachen würde. Doch ich wusste, dass es sein musste. „Versprichst du mir, dass du noch da bist, wenn ich wieder komme?“, fragte ich ihn leise.

Er grinste wieder schwach, und mir brach das Herz. „Ich verspreche es, okay?“

Ich grinste so gut ich konnte zurück, versagte aber kläglich bei dem Versuch. Dann wirbelte ich herum und rannte zum Abhang. Ich sprang ihn förmlich hinunter und humpelte dann zum Auto. Ich versuchte mit aller Kraft, die Türen zu öffnen, doch sie waren zu sehr verbogen und gingen nicht mehr auf. Ich trat einmal mit voller Wucht gegen das verdammte Gefährt und suchte den Boden nach irgendetwas ab, mit dem ich die Scheiben einschlagen könnte. Ich entdeckte nur wenige Meter entfernt einen Stein und hob ihn auf.

Ich brauchte nicht lang um die Windschutzscheibe zum Splittern zu bringen. Sie hatte schon zuvor einige Sprünge vorzuweisen gehabt. Ich kletterte ins Auto und durchsuchte den Bereich vorne. Nichts. Ich kletterte wieder raus um mir die hintere Reihe vorzunehmen. Nichts. Ich hämmerte mit dem Arm auf das Autodach, bis meine Faust eine große Delle hinterlassen hatte. Dann nahm ich mir den Kofferraum vor.

Dort lag ein kleines, weißes Köfferchen mit einem roten Kreuz drauf. So sachte ich konnte öffnete ich es und sofort quollen mir Verbandszeug und Pflaster entgegen. Ich stieß ein dankbares Seufzen aus und machte mich an den Aufstieg. Zwar hatte ich jetzt eigentlich nur eine Hand frei, doch wie ein Wunder gelang es mir im Bruchteil der Zeit und bald darauf sank ich wieder neben Kain nieder.

Er hatte die Augen geschlossen und mich umklammerte wieder die Angst. „Kain, wach auf! Mach die Augen auf, du hast es versprochen!“ Ich rüttelte an seinen Schultern, bis ich plötzlich eine Bewegung bemerkte.

„Celia, hör auf. Ich bin ja schon wach.“ Oh Gott! Ich hatte schon gedacht…

„Ich hab’s gefunden!“ Ich schwenkte mit dem Köfferchen vor seiner Nase herum. Dann schob ich ungefragt sachte seine Hände weg und schob seinen dünnen Pullover über die Wunde. Sein ganzer Bauch war schon blutverschmiert und der klaffende ‚Kratzer’ begann sofort wieder zu bluten. Ich versuchte so angestrengt, wie es mir nur möglich war alle meine kläglichen Kenntnisse über den menschlichen Körper zusammen zu kratzen.

„Ich glaube nicht, dass das Messer irgendwelche Organe erwischt hat. Sonst würde es viel stärker bluten.“, meinte Kain. Ich fand, dass es schon stark genug blutete, sagte aber nichts. Ich kramte im Medizinkoffer herum und drückte dann ein paar Mullbinden auf die Wunde. Dann verband ich ihn so fest es ging und klebte das Verbandende dann fest.

„Du gehörst ganz dringend in ein Krankenhaus.“, stellte ich fest.

„Nein“

„Kain, sei doch vernünftig! Was ist wenn es doch schlimmer ist als du denkst und du bist gerade dabei innerlich zu verbluten?“

„Wir können nicht ins Krankenhaus! Sie würden Fragen stellen und in kürzester Zeit hätte der Orden uns geschnappt! Außerdem liege ich hier schon die ganze Nacht und wäre es wirklich so schlimm, wärst du viel zu spät gekommen. Also sei du vernünftig! Wir müssen so schnell wie möglich weg hier!“ Er blieb stur. Plötzlich packte er meinen linken Arm. „Was ist das denn?“ Ich sah an mir hinunter. Mein Blick blieb an einer ziemlich tief wirkenden Schnittwunde an besagtem Arm hängen. Er war schon über und über mit meinem Blut voll geschmiert. Komisch, ich hatte überhaupt nichts gemerkt, doch jetzt begann die Wunde weh zu tun.

„Nichts. Es ist nicht. Das ist wahrscheinlich beim Auto unten passiert. Ich muss mich an einer Glasscheibe geschnitten haben.“, stellte ich gelassen fest während ich für meinen Arm eine Miniversion von dem Verband für Kains Stichwunde zusammenbastelte. Ich stellte mich etwas ungeschickt an und auf einmal kamen Kains Hände mir zu Hilfe. Als das Werk fertig war schaute ich Kain prüfend an.

„Kannst du denn überhaupt gehen?“, fragte ich ihn zweifelnd.

„Bin mir nicht so sicher, aber ich hab ja sowieso keine Wahl, nicht wahr?“ Er grinste schon wieder. Dann begann er plötzlich sich hoch zu ziehen und ich konnte sehen, wie sehr ihn das anstrengte.

„Bei Gott! Lass das sofort! Du bringst dich doch nur um.“, fuhr ich ihn an.

„Jede längere Sekunde, die wir hier verbringen, könnte für uns beide den Tod bedeuten. Also hilf mir besser auf! Ich glaube ich kann wirklich ohne Hilfe nicht gehen.“ Ich seufzte laut, half ihm aber trotzdem. Streiten war nun mal nur lustig wenn nicht einer von beiden eine Unmenge an Blut verloren hatte!

„Wohin denn jetzt?“, fragte ich ihn während ich ihn stützte.

„Da lang.“, meinte er nur und wir torkelten los.

Wir mussten zwar öfter mal eine Pause einlegen, aber im Anbetracht der Situation kamen wir erstaunlich schnell voran und so kam es, dass wir den Waldrand erreichten. Vor uns lag ein Feld und dahinter stand ein Bauernhof.

„Dort müssen wir hin.“, meinte Kain und wir gingen weiter.

Eine halbe Stunde später hatten wir den Vierkanthof endlich erreicht. Inzwischen hatte es zu dämmern begonnen. „Und was jetzt? Sollen wir da einfach reinspazieren und mit den Leuten reden? Wie hast du dir das vorgestellt?“, wollte ich wissen.

„Na ja, so genau hab ich mir das ehrlich gesagt nicht überlegt.“, gab er zu. War ja klar!

Ich zog ihn hinter eine Hütte, die wahrscheinlich für Werkzeug da war. „Okay, ein Vorschlag. Wir warten bis es dunkel ist und dann steig ich durchs Fenster ein. Und du!“ Ich hob meinen Zeigefinger und wedelte damit herum. „Du bleibst hier und wartest auf mich!“ Man konnte genau sehen, wie sehr das an ihm nagte. Ich kam ihm wieder zuvor. „Nein Kain! Verdammt noch mal, du kannst ja nicht mal ohne meiner Hilfe gehen! Streit das jetzt ja nicht ab, meine Schulter tut mir davon immer noch weh.“, beklagte ich mich. „Was ist, wenn sie uns erwischen und wir müssen wegrennen? Bildest du dir wirklich ein, du wärst in der Lage zu flüchten? Ich bitte dich! Wir sind beide viel besser dran wenn du hier auf mich wartest!“

Ich glaube, darauf fiel ihm wirklich nichts mehr ein, denn er hielt den Mund und sagte nichts mehr. Diese Argumente waren echt gut gewesen! Hätte ich nie von mir erwartet…

Als es endlich völlig dunkel war umrundete ich vorsichtig das Haus. Durch einige Zimmer konnte man immer noch Licht sehen. Das hieß wohl weiterwarten. Ich kehrte wieder zu Kain zurück und jede halbe Stunde drehte ich eine Runde ums Haus. Bei der sechsten waren endlich alle Lichter aus und ich ging noch ein letztes Mal zu Kain.

„Es ist so weit.“, flüsterte ich ihm zu und ging wieder. „Celia?“, hörte ich ihn rufen und ich drehte mich nochmals um. „Bitte pass auf dich auf, ja?“ Ich nickte schnell und schlich mich ans Haus.

Ich lauschte der Stille und tastete mich an der Wand voran bis ich ein offenes Fenster ertastet hatte, welches mir schon vorhin aufgefallen war. Perfekt zum Einsteigen, außerdem hatte ich den ganzen Abend noch niemanden dort gesehen. Vorsichtig schob ich es noch ein kleines Stück weiter auf und kletterte langsam rein.

Drüben angelangt versuchte ich in der Dunkelheit etwas zu erkennen. Ich ging vom Fenster weg und als das Mondlicht wieder freie Bahn hatte, verriet es mir, dass ich in einer Waschküche stand. Die Wände waren alle in einem Weiß-türkismuster gefliest und links von mir standen Waschmaschine und Trockner mit einem großen Waschbecken an der Wand aufgereiht. Mitten im Raum stand ein voll beladener Wäscheständer. So viel Glück würde ich doch nicht haben? Ich sah mir die Sachen durch und entdeckte tatsächlich Gewand ungefähr in meiner Größe und außerdem etwas, was Kain passen könnte. Ich nahm noch ein großes Handtuch und legte alle Sachen hinein, dann band ich es mit einem Knoten oben zu einem Beutel zusammen und nahm es mit, als ich aus dem Zimmer ging.

Auf der anderen Seite der Tür erwartete mich ein ziemlich unspektakulärer Flur. Auf beiden Seiten reihten sich Türen, die nur darauf warteten geöffnet zu werden. Ich wandte mich gleich der Tür zu meiner Rechten zu. Sie ging völlig widerstandslos und ohne Geräusch auf, doch als ich im Türrahmen stand konnte ich jemanden schnarchen hören. Geschockt schloss ich die Tür gleich wieder und ging zu nächsten.

Diesmal handelte es sich um ein ziemlich großes Zimmer und ich war mir beinahe sicher, dass es sich um das Wohnzimmer handeln musste. Ein Fernseher spiegelte das Mondlicht und der Boden war mit gemütlichen Teppichen ausgelegt. So vorsichtig wie wahrscheinlich noch nie im Leben tastete ich mich in dem unbekannten Gefilde voran und erreichte bald die hinterste Ecke des Raumes. Dort konnte man am meisten sehen und ich erkannte die Umrisse einer Frauenhandtasche auf einem kleinen Couchtisch. Ich kramte darin herum und entdeckte eine Geldtasche, einen Schlüsselbund und das gewöhnliche Zeug. Schminke, Tampons…

Ich griff mir die Tasche und verließ das Zimmer wieder. Das reicht., sagte mein, im Augenblick eigentlich abgeschaltetes Gewissen, aber es hatte Recht und ich schlich mich wieder in die Waschküche um erneut durch das Fenster zu klettern.

Draußen angelangt lehnte ich mich kurz mit dem Rücken an die Wand und atmete die frische Nachtluft ein. Dann ging ich wieder zu der Hütte, wo Kain auf mich wartete.

Tat er nicht.

Verdammt! Was war wenn sie ihn entdeckt hatten? Ich spürte wie mein Herz zu rasen begann.

Plötzlich bog ein Schatten um die Ecke und ich wollte schon wegstürmen, als ich Kains Stimme flüstern hörte. „Celia, halt! Beruhig dich. Ich bin’s nur.“ Okay, der Typ war echt gut darin mir den letzten Nerv zu rauben, und das immer wieder auf eine andere Weise. Wär’s nicht ich, der er das antut könnte ich ihn beinahe dafür bewundern.

„Wo warst du? Ich hab dir doch gesagt, du sollst dich nicht von der Stelle bewegen!“, klagte ich.

Er ignorierte mein Gejammer einfach. „Ich hab ein Auto entdeckt!“, erklärte er mir wie ein kleiner Junge, der gerade zum ersten Mal in seinem Leben ein Auto gesehen hatte. „Es steht etwas weiter vorne, hinter dem Viehstall.“ Er wartete nicht auf meine Reaktion, sondern drehte sich einfach um.

Und stöhnte bei der Bewegung laut auf. „Ich hab’s ja gewusst!“, meinte ich schadenfroh und ging zu ihm um ihn zu stützen. In der einen Hand hatte ich immer noch den Wäschebeutel und die Handtasche. Mit der anderen stützte ich nun Kain beim Gehen. Da wir uns vorher schon an die Situation gewöhnt hatten, brauchten wir nicht lange, bis wir wieder den richtigen Rhythmus heraus hatten und bald konnte ich einen großen, schwarzen Van sehen.

Am Ziel angekommen ließ ich Kain los. Ich sah hinüber zum Wohnhaus, konnte aber immer noch kein Licht brennen sehen. Ich drehte mich wieder dem Auto zu und sah gerade noch, wie Kain mit der Faust ausholte um das Fenster zu zerbrechen.

Stopp!“, quietschte ich ihn an. Gerade noch rechtzeitig. Er hielt in der Bewegung inne und schaute mich verwundert an. „Was ist denn?“

„Du tust dir doch nur weh und davon haben wir doch wohl für einen Tag genug, nicht wahr? Außerdem weckst du möglicherweise mit dem Lärm noch jemanden im Haus!“

„Das mag schon sein, aber hast du eine andere Idee, wie wir in den Wagen kommen sollen?“ Seine Stimme sagte, hör auf mit dem Gejammer! Ich weiß es doch sowieso besser als du.

Er sah mich zweifelnd und arrogant an.(Das konnte ich sogar im Dunkeln sehen.) Und ich kramte in der Handtasche nach den Schlüsseln.

Entdeckt! Triumphierend hielt ich den Schlüsselbund in der Hand und zeigte Kain einen, der ziemlich nach Auto aussah. Ich steckte ihn ins Schloss und…Meine Damen und Herren! Wir haben einen Gewinner, wir bitten um Applaus!

Die Tür sprang sofort auf und ich warf Kain meinen Besserwisserblick zu, bevor ich mich ins Auto setzte. Ich verweigerte Kain damit meine Hilfe und er musste sich am Wagen abstützen um zur Beifahrertür zu gelangen. Als er sich mit voller Wucht auf dem Beifahrersitz niederließ stöhnte er wieder auf. Ob aus Erleichterung oder Schmerz konnte ich nicht sagen.

Ich machte meine Tür zu, Kain tat es mir gleich und wir fuhren los. Ich fuhr nur so lange, bis der Bauernhof nicht mehr zu sehen war. Dann parkte ich am Straßenrand und drehte das Licht an der Autodecke an. „So, und jetzt lass uns doch mal nachsehen was wir da alles haben.“, murmelte ich als ich nach dem Beutel griff und ihn öffnete. Ein Frauen-T-Shirt in weiß, eine alte Frauenjeans. Ich dankte zu Gott, dass die Bäuerin des Hauses wenig von der klassischen Bauernmode zu halten schien. Dann hatten wir hier noch ein, zwei Frauenoberteile und einen Männersweater und eine Latzhose. Bei dem Gedanken an Kain in einer Latzhose musste ich innerlich zu lachen anfangen.

Kain musste mein Grinsen gesehen haben, denn er fragte mich verwundert, „Was ist denn mit dir los?“ Ich sparte mir die Antwort, reichte ihm seine Klamotten und stieg selbst aus um mich umzuziehen. „Wehe, du siehst mir zu!“, warnte ich ihn vor und schälte mich aus meinem völlig verdreckten Oberteil. Ich ersetzte es gleich durch das weiße T-Shirt und machte bei der Hose weiter. An manchen Stellen war der Stoff durch den Dreck hart geworden und ich mühte mich ab um mich davon zu befreien. Dann wollte ich in die Jeans schlüpfen, musste aber zu meiner Verbitterung feststellen, dass sie mir etwas zu klein war. Ich kämpfte mich ab, sprang ein paar Mal in die Höhe, bis ich den Stoff endlich über meine Hüften gezogen hatte. Dann brauchte ich noch ein kleines Bisschen um den Kampf gegen den Knopf zu gewinnen und plötzlich fühlte ich mich einfach toll. (Fast-)Noch nie hatte eine zu kleine Hose mir standgehalten! Bei dem Gedanken lachte ich auf und ich beschloss, dass ich wieder mal zu Kain sehen sollte. Vielleicht hatte er ja ähnliche Probleme wie ich.

Doch als ich die Tür erreicht hatte, konnte ich sehen, dass seine Problemchen etwas anders waren, als meine. Kain saß schwer schnaufend und völlig fertig in die Kissen zurück gelehnt da. Sein Oberkörper war entblößt und mit Entsetzen musste ich erkennen, dass sein Verband vollkommen durchblutet war. Ich riss die Tür auf und beugte mich über ihn um den Sitz so weit wie möglich zurück zu stellen. Nun konnte Kain schon fast richtig liegen. Danach entfernte ich schnell seinen Verband, während er einfach nur keuchte. Der Wundrand war aufgeschwollen und hatte sich gerötet. Sah ganz so aus, als hätte sich die Wund entzündet und irgendwo in meinem tauben Gehirn wurde mir erklärt, dass das überhaupt nicht gut war.

Auf der Suche nach einem zweiten Verbandskästchen durchforstete ich das ganze Auto.

Erfolglos.

Ungehalten fluchte ich vor mich hin. Was sollte ich denn nur jetzt machen? Kain konnte an der Infektion sterben! Sterben. Dieses Wort bohrte sich in meine Gedanken und mir kam es so vor, als würde es fürchterlich laut immer wieder in meinem Kopf dröhnen. Was würde passieren, wenn Kain sterben sollte? Ich wollte nicht weiterdenken, doch mein Kopf flüsterte mir zu, dass das dann auch mein Ende wäre. Nicht zuletzt, weil er der Einzige war, der den Orden kannte und der wusste wo wir uns verstecken mussten. Mit Entsetzen stellte ich fest, dass ich ohne Kain wohl keine Woche überleben könnte.

Nun mehr entschlossen als zuvor griff ich nach dem Handtuch, das mir vorher als Beutel gedient hatte und presste es mit beiden Händen auf Kains Bauch. Dieser stieß einen leisen Schrei aus und rollte mit den Augen. Besorgt musste ich erkennen, dass ihm inzwischen der Schweiß im Gesicht stand. Er hatte Fieber. Das heißt, dass sich sein Körper gegen die Infektion wehrt., erklärte mir mein Kopf. Das ist gut.

Während ich mit der einen Hand das Handtuch festhielt, wickelte ich mit der anderen den voll gebluteten Verband um seine Taille bis das Tuch von selbst hielt. Dann schnallte ich ihn vorsichtig an und setzte mich selbst neben ihn ins Auto und fuhr los.
 

Er brauchte einen Arzt.

Brauchte ihn schnell.

Aber wo sollte ich nur einen Arzt auftreiben, bei dem wir sicher sein würden?

Und eine wahrscheinlich ebenso wichtige Frage: Wo, zur Hölle noch mal waren wir hier?!

Ich fuhr jetzt schon einige Zeit umher und war noch auf keine einzige Siedlung, oder sonst etwas Derartiges gestoßen. Nur vereinzelte Bauernhöfe bildeten die Ausnahme.

Ich seufzte laut auf. Das war alles etwas viel auf einmal!

Ich achtete nicht mehr auf die Zeit und als sich der Himmel langsam hellviolett färbte konnte ich am Horizont eine Stadt ausmachen. Wieder seufzte ich, diesmal aus Erleichterung.

Als wir durch die Straßen fuhren, blieb ich bei der ersten Telefonzelle, die ich sah, stehen und durchforstete die Gelben Seiten nach einem gewöhnlichen Hausarzt. Ich prägte mir die erste Adresse gut ein und fuhr los.

Nicht zu dem Arzt. Nein, vorher musste ich noch einkaufen. In der Geldbörse hatte ich stolze 150€ entdeckt. Ich parkte in einer verlassenen Ecke um Kain vor neugierigen Blicken zu schützen und betrat dann das noch fast leere Geschäft. Dort angekommen begab ich mich in die Küchenabteilung und kaufte die schönsten und schärfsten Messer, die ich auftreiben konnte.

Jetzt würde ich zu dem Arzt fahren!

Die Adresse hatte sich in mein Gedächtnis eingebrannt. Das half mir allerdings überhaupt nicht als es galt meinen (nicht existierenden) Orientierungssinn unter Beweis zu stellen. Dadurch brauchte ich länger als mir lieb war um den Weg zur Praxis zu finden.

Schließlich stand ich vor einer jämmerlichen Bruchbude. Die Wände waren voll geschmiert mit Grafities und im großen Ganzen machte das Gebäude nicht gerade einen einladenden Eindruck.

Ob es eine gute Idee ist, da rein zu gehen?, fragte ich mich. Ich sah zu Kain hinüber. Er schlief noch immer und hatte hohes Fieber. Ich muss! Es ist die einzige Möglichkeit.

Das war Grund genug und ich verließ das Auto um zu dem Arzt zu gehen. An der Tür läutete ich unter dem Namen Dr. Sebastian Green –Arzt für Allgemeinheilkunde und wartete dann einen Augenblick lang bis eine mürrische Stimme aus der Gegensprechanlage ertönte. „Wer ist da und was willst du? Herrgott noch mal! Heute ist mein freier Tag!“

Ich sammelte all meine Schauspielkunst zusammen und holte leise tief Luft. „Bitte, Sie müssen mir helfen!“, heulte ich los. „Mein Freund und ich, wir sind überfallen worden und…und sie haben meinen Freund niedergestochen! Es geht ihm so schlecht! Bitte kommen Sie runter.“ Und nun eine dramatische Pause und… „Bitte Kommen Sie schnell! Ich glaube er stirbt.“ Meine Stimme war mit jedem Wort immer leiser geworden und nun wartete ich auf die Antwort des Doktors. „Ist ja schon gut! Ich komm ja schon.“, murrte er.

Ein paar Minuten später war er immer noch nicht aufgekreuzt und ich überlegte schon, ob ich noch mal an läuten sollte, als die Tür aufging und ein alter Mann vor mir stand. „Wo ist er?“, fragte er mich und seine mürrische Stimme passte perfekt zu seinem Gesicht und überhaupt seiner ganzen Erscheinung. Theatralisch zeigte ich auf den Wagen und der Doktor ging mit seinem Täschchen hin und öffnete die Tür. Ich setzte mich auf der anderen Seite in das Auto und sah zu, wie der Arzt den provisorischen Verband entfernte und dann laut auf pfiff als er die inzwischen eiternde Wunde betrachtete. Ich erwartete Fragen, doch der Doktor machte keine Anstalten welche zu stellen. Wahrscheinlich war das hier die falsche Gegend für Antworten. Also sparte er sich gleich die Fragen.

Inzwischen hatte er die Stichwunde gesäubert und war fleißig dabei darauf herum zu drücken. Jedes Mal zuckte Kain in seinen Fieberträumen zusammen. „Sieht nicht sehr gut aus, Missy.“, sagte er zu mir. Ich war nur in der Lage ihn entsetzt anzustarren. Als ich die Sprache wieder gefunden hatte fragte ich ihn stotternd; „Heißt das…Sie können ihm nicht mehr helfen?“

„Natürlich kann ich, aber das kostet Geld, Missy. Und die Frage ist, ob du welches hast.“

„Ich hab Geld! Wie viel wollen Sie haben?“

Der alte Mann hatte anscheinend das große Geschäft gewittert. „Sagen wir…500€.“

Ich keuchte. „So viel hab ich aber nicht.“

„Na dann…“ Er zuckte mit den Schultern und machte Anstalten einfach wieder zu gehen. Ich sprang auf und holte ihn noch vor der Tür ein. „Machen wir’s so! Sie kümmern sich um ihn und ich gebe Ihnen 100€. In Anbetracht der Lage finde ich das sehr großzügig von mir.“, flüsterte ich ihm zu während ich ihm eins der Küchenmesser an den Bauch drückte. Seltsamerweise schien ihn das wenig zu beeindrucken. Ich nehme an, dass ihm so was ständig passierte. „Also gut, ich mach’s!“, sagte er in einem gelangweilten Tonfall und kehrte zurück zum Auto.

Zuerst tupfte er die Wunde mit irgendeinem Mittel ab, dann schmierte er eine übel riechende Salbe darüber. Und dann begann er die Wunde wieder zuzunähen. Bei jedem Stich krümmte sich Kain zusammen. „Halt still, verflucht noch mal! Hey Missy! Halt deinen Freund fest, oder es geschieht noch ein Unglück.“ Ich tat, wie der Doktor es gesagt hatte und flüsterte Kain leise Beruhigungen ins Ohr. „Sei ruhig. Alles wird gut, entspann dich einfach!“ Währenddessen hielt ich seine Hand und streichelte die glühende Stirn. Und wirklich, nach ein paar Sekunden hatte er sich schon etwas beruhigt. Inzwischen stöhnte ich jedes Mal mit Kain und nach einigen Minuten war es vorbei. Danach verband er die Wunde richtig.

„So Missy, hier ist eine Salbe und da das Antibiotika gegen die Entzündung. Steht alles in der Anleitung und jetzt will ich mein Geld haben.“, forderte der Alte.

Ich holte seufzend den 100€ Schein aus der Börse und reichte sie ihm. „Ich kenn dich nicht, und du hast uns noch nie gesehen. Verstanden?“, sagte ich ihm noch bevor er schon wieder in der Tür verschwand. Ich stieg ins Auto und fuhr los.
 

Ein wenig später stand der Van und mit ihm Kain und ich auf einem völlig leeren Parkplatz. Um das restliche Geld hatte ich etwas zu essen und ein paar Wasserflaschen gekauft. Im Augenblick kämpfte ich mich gerade durch die langweilige Bedienungsanleitung der Antibiotika. Ich musste gähnen und einen Moment lang fielen mir die Augen zu. Kein Wunder, schließlich war ich jetzt schon fast 48 Stunden lang wach. Das gab mir den Rest! Ich versorgte den schlafenden Kain noch kurz mit seiner Medizin und schlief dann selbst sofort fest ein.
 

Als ich wieder aufwachte konnte ich hören, wie sich jemand darüber beschwerte, dass ich erst jetzt aufwachte. Ich sah zwar noch etwas verschwommen, konnte aber sofort erkennen, dass Kain putzmunter neben mir saß.

„Kain! Wie fühlst du dich?“ Ich hatte zuvor noch nie einen Mann gefragt, wie er sich fühle. Schließlich ist die Antwort immer… „Gut. Ich hab doch gesagt, es ist nur ein Kratzen.“, antwortete Kain. Ich verkniff mir jegliche Kommentare, denn in meinem Kopf dominierte pochendes Kopfweh. Für das war ja wohl auch noch später Zeit.

„Also dann.“, sagte ich als ich den Motor startete. „Auf, nach Paris.“
 

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Das war das vierte Kapi^^

Frohe Weihnachten!

LG von mad

Hoffnungslos

Ich gähnte. Zuerst kurz. Dann musste ich länger gähnen. Die Autobahn begann vor meinen müden Augen zu verschwimmen. Und ich gähnte wieder. Mein Körper fühlte sich nach 12 Stunden vor dem Lenkrad ausgelaugt und kraftlos. Natürlich kamen dann noch die Energie killenden Geschehnisse von Gestern dazu. Die paar Stunden Schlaf, die mir vergönnt gewesen waren, waren nicht in der Lage gewesen, die Müdigkeit tief in mir zu vertreiben. Wie ein schwarzer Fleck verbreitete sie sich jede Sekunde weiter. Ich gähnte. Um ehrlich zu sein hatte ich das Gefühl, als würde ich innerlich langsam absterben. Sie hatte meinen Körper befallen, doch das, was sich tief in meiner Seele und meinem Geist festgesetzt hatte war viel schlimmer. Hoffnungslosigkeit.

Ich war hoffnungslos, was ein neues Leben betraf. Hatte keine Hoffnung auf ein Happy End. War es Leid immer wegzulaufen. Hat das alles denn einen Sinn? Hat es einen Sinn um mein Leben zu kämpfen? Aber wir kämpfen noch nicht einmal. Alles was wir tun ist wegrennen, so wie es ein feiger, rückratloser Mensch es tun würde. Ich gähnte noch einmal lange. Soll ich denn nun ein Leben lang flüchten? Und wenn ich nur einen kleinen Fehltritt begehe, ist das dann mein Tod? Kann man denn so leben? Kann man das überhaupt Leben nennen? Mir war nach heulen zumute. Ich wollte einfach die Augen schließen und aufgeben, wollte allen Schmerz, den tiefen Abgrund in mir einfach raus schreien. Alles was kam, war ein erneutes Gähnen.

Aus den Augenwinkeln konnte ich eine kleine Bewegung ausmachen. „Celia?“, fragte Kains verschlafene Stimme rechts von mir.

„Hmm?“

„Du bist zu müde um weiterzufahren. Wir müssen eine Pause machen.“

„Und wo? Wir haben kein Geld! Sollen wir auf der Straße schlafen?“ Auch wenn ich müde bin, konnte meine Stimme nur so vor Sarkasmus triefen.

„Wenn du weiterfährst, wirst du mitten auf der Straße einnicken und nie wieder aufwachen!“

Ich wusste es. Er hatte Recht. Ich brauchte dringend Schlaf und würde ihn auch bekommen, egal wie. Aber das würde ich ihm natürlich nie sagen! Ich dachte es nur ganz leise vor mich hin. Und bei der nächsten Einfahrt bog ich ein.

St. Albans.

Ich war noch nie dort gewesen und wollte eigentlich gar nicht wissen was uns erwarten würde. Ich fuhr eher am Rand der Stadt entlang. Dort reihten sich ein paar Fabriken. Vor einem verlassenen Gelände blieb ich stehen. Direkt vor uns war eine große, leere Fläche. Ich fuhr auf dem löchrigen und ausgeblichenen Asphalt geradeaus. Am Ende des Platzes befand sich die alte Fabrik. Die Wände waren schmutzig gelb und an manchen Stellen mit kreativlosem Gekrakel voll geschmiert. Beinahe alle Fenster waren zerbrochen und man konnte die Gitter im Rahmen sehen, die versuchen sollten ihr Heim gegenüber rebellischen Rowdies und Angebern zu verteidigen. Ich konnte kein Anzeichen von Misserfolg erkennen.

Ich parkte in einer Ecke von der ich hoffte, dass sie uns vor Blicken bewahren würde.

Ich sah auf den Beifahrersitz hinüber. Kain war wieder eingeschlafen. Seit dem wir losgefahren waren hatte er beinahe ununterbrochen geschlafen. Ich schätzte, dass die ganze Energie in das Loch in seinem Bauch wanderte. Die Stichwunde hatte sich einigermaßen beruhigt und Kain klagte über keine Schmerzen. Ja genau! Als er das letzte Mal nicht geklagt hat, hatte sich die Wunde entzündet und er hat den Mund nicht aufgerissen, bis er nicht mehr in der Lage war auch nur ein Wort zu sagen! Prüfend blickte ich auf den Mann zu meiner Seite. Sein Gesichtsausdruck war vollkommen ruhig und entspannt. Ich beruhigte mich wieder ein kleines Stück. So sieht kein Gesicht aus, das schreckliche Schmerzen erleiden muss., versuchte ich mir klar zu machen. Aber sieht denn so ein Mensch aus, dessen Welt gerade auseinander fällt? Ich konnte mich dem Gedanken nicht versperren. Verheimlichte Kain etwas vor mir? War das alles hier überhaupt real? Konnte ich ihm denn trauen?

Ich werde verrückt.

Das entlockte mir ein hysterisches Lachen. Ich wurde wirklich verrückt! Nicht etwas durchgeknallt. Nein, wahrhaftig verrückt!
 

Ich schwebe auf einer duftenden Blumenwiese umher. Die bunten Pflänzchen sind wunderschön und erhellen mein Gemüt. Mir ist nach Springen und Tanzen zumute. Ich lache und fühle mich vollkommen frei.

Machen, was du willst. Gehen, wohin es dich führt. Leben.

Ich atme noch einmal den Duft der Freiheit ein, dann stehe ich plötzlich auf dem Platz vor meiner Grundschule. Ich sehe meine Mutter und mich, wie wir uns umarmen. Sie flüstert mir etwas Liebevolles ins Ohr. Das ist mein erster Schultag, erkenne ich. Ich kann spüren, wie mich mein Kummer wieder auf den Boden zieht. Ich sehe zur Seite um meinen Kummer zu dämmen und sehe direkt in Kains Augen. Er starrt die kleine Celia an und mir wird bei dem Anblick schlecht.

Dann bemerke ich, wie Kain verschwindet, sich einfach auflöst. Und ich folge ihm. Ich bin ihm immer auf den Fersen, während er sich durch alle möglichen Erinnerungen aus meiner Vergangenheit kämpft.

Er beobachtet mich. Wie ein Spanner. Ich habe das Gefühl, als müsste ich würgen, aber ich tut’s nicht. Ich wehre mich aber auch nicht gegen den Brechreiz. Irgendwie vertraue ich meinem Magen.

Nach einer langen Hechterei durch meine Erinnerungen befinde ich mich plötzlich im Bunker. Ich kann sehen, wie Kains Hand auf meiner Stirn ruht. Dann beobachte ich, wie er aufsteht und sich hinlegt um einzuschlafen.

Ich schwebe in einem schwarzen, leeren Raum. Ich kann mich nicht sehen, mein Bewusstsein ist eingesperrt in diesem Nichts. Ich kann spüren, wie sich alles zu drehen beginnt und die Dunkelheit vertrieben wird.
 

Verwirrt und völlig desorientiert öffnete ich meine Augen. Wie Blitze schossen die Erinnerungen an meinen Traum durch mein Gedächtnis. Ich runzelte leicht die Stirn. Es war alles so … komisch gewesen. So real, als wenn es wirklich passiert wäre.

„Kain?“, fragte ich ihn leise. Er hörte es trotzdem und rollte sich vorsichtig auf die andere Seite um mich sehen zu können. „Hast du in meinen Gedanken rumgeschnüffelt?“

Kain war ein guter Lügner. Wenn er jetzt log, ich würde keinen Unterschied zur Wahrheit erkennen. Doch er belog mich nicht. Genau genommen sagte er gar nichts. Er sah mich nur traurig an. Er würde nichts sagen, doch sein Ausdruck hatte mir alles schon bestätigt.

Entsetzt starrte ich ihn an. „Wie konntest du nur?“ Ich hob meine Hand an sein Gesicht und er sah meine Finger an. Sie zitterten. Ich spürte es gar nicht als ich ausholte und ihm laut eine knallte. Er sah mich einfach nur an, traurig, als warte er auf den nächsten Schlag und sagte immer noch kein Wort.

Ich war wie betäubt, als ich die Autotür öffnete und aus dem Wagen stolperte. Ich wusste nicht, wohin ich gehen sollte. Es war mir egal. Alles, was zählte, war von diesem Scheusal zu entkommen.
 

Kain sah Celia nach, als sie vollkommen aufgelöst vom Van weg rannte. Vor ihm weg rannte. Ich muss sie aufhalten., sagte sein Verstand, doch er wusste, dass das nicht gut enden würde. Celia hatte irgendwie herausbekommen, was er getan hatte und nun hasste sie ihn dafür. Sie hasst mich., flüsterten seine Gedanken traurig.

Wenn er ihr jetzt folgte, würde sie sich sicher weigern mit ihm mit zu kommen. Es war zwecklos. Auf sich allein gestellt wären sie beide verloren, doch irgendetwas sagte Kain, dass er wohl in Celias Nähe genau so, wenn nicht noch unsicherer war. Er konnte sie ja sogar verstehen, aber er hatte eben Befehle entgegen genommen.Und danach hab ich ihr Leben gerettet., rechtfertigte er sich. Ja, und sie deins., kam es zurück.

Celia hat alles Recht dazu mich zu hassen., gestand er sich ein. Wäre er in ihrer Lage gewesen, ihm wäre es genau so ergangen.

Kain seufzte. Das änderte nichts an der Tatsache, dass sie verloren waren.
 

Ich keuchte und hustete wie ein Asthmakranker als ich mich kurze Zeit später, in einiger Entfernung zu der alten Fabrik, auf eine leere Holzbank fallen ließ. Was mach ich denn jetzt? Ich fand, die Frage war berechtig. Denn auch trotz diversen, fragwürdigen Trieben, war Kain der Einzige, der in der Lage gewesen wäre meinen Arsch zu retten. Wahrscheinlich hat er das für sich selbst getan. Mir grauste. Wie hatte er das tun können? Hätte mir auffallen sollen, das der Typ pervers war? War er denn überhaupt pervers? Ich ließ noch mal die ganze Zeitspanne vom Augenblick an, als Kain in meinem Wohnzimmer aufgetaucht war, bis vorhin Revue passieren. Und auch wenn ich mich noch so anstrengte irgendeine Kleinigkeit, einen winzigen Beweis zu finden, musste ich mir eingestehen. Da war nichts.

Aber, hätte da nicht etwas sein müssen? Oder verstand Kain etwa seine ‚Neigungen zu verschleiern? Oder, bohrte es in meinem Kopf. Oder etwa…Hatten sie ihn vielleicht dazu gezwungen?

Ich weiß nicht, ob das ein Schutzmechanismus, oder etwa ein klarer Moment gewesen war. Aber in diesem Augenblick war mein, ach so verzweifeltes Wesen hoffend. Trotzdem war da noch eine andere Möglichkeit. Was, wenn Kain nicht dazu gezwungen worden ist?

Leise fluchte ich vor mich hin. Warum ich, jammerte ich herum. Warum ausgerechnet ich? Gibt es nicht Leute, die das alles viel mehr verdient hätten als ich? Was hab ich denn getan? Filme lädt sich doch wirklich jeder aus dem Internet runter! Das ist doch kein Verbrechen!

Ich hatte das Gesicht in meine Hände gelegt und sah mit Sicherheit schrecklich erbärmlich aus. Ich bin nicht erbärmlich!, versuchte ich mich zu motivieren.

Doch, bin ich!, kam es zurück.
 

Kain stand ein paar Meter von Celia entfernt und versteckte sich hinter einem Hot Dog -Stand. „Was darf’ s denn sein?“, fragte der verschwitzte Verkäufer. Kain starrte ihn an. „Ich hab kein Geld.“, sagte er entschuldigend.

„Na, dann mach, dass du verschwindest!“, fuhr ihn der Mann an. „Aber pronto!“ Kain hob beschwichtigend die Hände. Eine Prügelei war das Letzte, was er jetzt brauchen konnte und der Typ hier hatte wohl Lust auf eine Freikarte.

Langsam ging er also von dem Stand weg und schaute wieder zu der Bank. Inzwischen hatte Celia den Kopf in ihre Hände gestürzt. Weinte sie etwa? Oh Gott! Kain hätte nicht gedacht, dass Celia der Typ von Frau war, der weinte. Genau genommen konnte er sie sich am besten beim Fluchen vorstellen. Bei dem Gedanken musste er grinsen. Also wieso verfluchte sie ihn in diesem Augenblick nicht einfach?

Vorsichtig näherte er sich der Bank und setzte sich dann sachte neben sie. Celia schreckte von dem Ruck auf und starrte ihn entsetzt an. Kain stellte zufrieden fest, dass ihre Augen trocken waren. „Bitte, lauf nicht weg.“, flüsterte er leise.

„Gib mir einen Grund, weshalb ich auf dich hören sollte.“

„Ich möchte dir erzählen, wie es wirklich war.“, sagte er. Celia nickte nur ungeduldig.

„Also gut. Wo soll ich anfangen? Es gehörte alles von Anfang an zusammen. Abe hatte mich beauftragt, dich zu finden. Aus bestimmten, mir unbekannten Gründen war er der Ansicht, dass du die letzte Rettung für die Pendler sein würdest.“ „Rettung? Vor was?“, wollte Celia wissen.

„Ich habe dir davon erzählt. In letzter Zeit verschwinden immer mehr von uns spurlos. Viele glauben, dass es die Dämonen sind. Die Frage ist nur, wessen Dämonen? Schließlich sind sie auch nur Fabelwesen wie Feen zum Beispiel.“

„Feen riechen aber mit Sicherheit besser!“, unterbrach Celia ihn. Er lachte, wenn auch etwas gezwungen über ihren Witz. Es war gut, dass sie wieder welche machte.

„Da magst du wohl Recht haben. Doch die Frage ist doch. Wem dienen diese Dämonen, und weshalb hat ihr Meister es auf uns abgesehen?

Ich weiß, dass es falsch war, deine Erinnerungen zu durchforsten, aber wir brauchten einen Beweis dafür, dass du die Richtige bist.“

„Bin ich denn die Richtige?“, wollte Celia wissen.

„Ich weiß es nicht.“, gab Kain widerwillig zu. „Es steht außer Frage, dass du Macht besitzt, aber ob du uns geholfen hättest, kann nur Abe sagen.“

„Du sagst immer noch ‚wir’! Du gehörst nicht mehr zu ihnen, kannst nie wieder zurückkehren.“, meinte Celia plötzlich. „Und du hattest kein Recht dazu, mir meine Erinnerungen zu stehlen!“, fuhr sie ihn etwas lauter an.

„Du hast Recht, aber es ist geschehen und wir können es nicht mehr rückgängig machen. Was also willst du?“, fragte Kain sie.

„Meine Erinnerungen“, flüsterte sie selbstsicher. „gegen deine.“
 

„Was?“, fragte Kain entsetzt.

„Meine Erinnerungen gegen deine Erinnerungen.“, wiederholte ich gehorsam. Mann, das ist echt gut! Kain sah mich immer noch mit einem Blick, schwankend zwischen Überraschung und blankem Entsetzen, an. Ja, ja. Gib’ s ruhig zu! Damit hast du nicht gerechnet, nicht wahr? Aber da hast du was Wichtiges übersehen! Unterschätze nie eine Celia Grant! Auch wenn das kindisch erscheinen mag, aber am Liebsten hätte ich diesem Mistkerl, (ich war wohl immer noch ziemlich sauer auf ihn…), genau diese Worte entgegen geschleudert. Dummerweise hätte diese Szene meine erhabene Erscheinung versaut und…ach was soll’ s?

„Du gemeiner Vollidiot hast meine Erinnerungen durchwühlt wie, wie…verdammt noch mal! Ich bin nicht Google, verstanden?“, fuhr ich ihn mit meiner Anti-Ladylike-Stimme an. Ich wartete auf eine Entgegnung, aber Kain sagte immer noch kein Wort.

„Warum läufst du nicht mehr weg von mir? Hast du’s dir anders überlegt?“, meinte er schließlich. Wollte er ablenken?

„Ich glaube, ich bin zum Schluss gekommen, dass ich nirgends hin laufen kann und, dass wegrennen nicht meine Art ist.“ Meine Stimme wurde ernster. „Kain, wir sind auf einander angewiesen. Dafür ist es notwendig, dass wir uns auf einander verlassen können. Im Augenblick tue ich mir aber wirklich schwer dir zu vertrauen. Ich hab eingesehen, dass wir keine Zeit haben das Vertrauen neu aufzubauen, also werden wir das jetzt anders machen müssen.“

„Ist Vertrauen denn notwendig?“, fragte Kain leise.

„Ja, ist es! Ich weiß im Moment einfach nicht mehr woran ich glauben soll. Die ganze Sache hat mir den Boden unter den Füßen weg gerissen, verstehst du? Es ist so, als ob ich in einem leeren Raum schweben würde. Ich brauche irgendwas zum Festhalten…und du wirst es mir geben. Ich weiß fast gar nichts über dich, habe auf noch fast keine meiner Fragen eine Antwort bekommen. Ich will endlich wissen, was hier los ist! Warum sind alle hinter mir her? Was hat das alles mit mir zu tun?“

Kain starrte geradeaus ins Leere und nickte nun leicht. „Ob du’s glaubst oder nicht. Ich kann das verstehen.“, flüsterte er. „Aber du musst auch verstehen, dass ich es wohl genauso wenig mag, dass jemand in meinen Gedanken rumstöbert.“

„Das hättest du dir aber überlegen sollen bevor du meine Gedanken durchstöbert hast.“, zischte ich ihn wütend an.

„Glaubst du wirklich ich hätte das so einfach aus Spaß gemacht? Denkst du, ich hab mir plötzlich einfach gedacht, das wird lustig? Denkst du das wirklich?“ Aufgebracht schüttelte er den Kopf. „Nur damit du’s weißt, es hat nicht Spaß gemacht!“ Er funkelte mich böse an. „Ich hab mir das sicher nicht selbst ausgedacht! Abe hat mir gesagt, dass es notwendig sei.“

„Für was notwendig?“, hakte ich nach. Kain zuckte mit den Schultern.

„Für was notwendig?“ drängte ich weiter. „Kain?“

„Das ist kompliziert.“

„Ist es wirklich kompliziert, oder machst du es nur dazu?“

Kain schwieg einen Moment und schaute mich grübelnd an. „Nun, vielleicht tue ich das wirklich.“

„Und?“

„Was und?“

„Naja, ich dachte mir, wenn du das schon einsiehst kannst du mir auch erzählen was sich hier abspielt. Es kann schließlich nur Probleme machen, wenn ich zu wenig weiß.“, versuchte ich ihm beizubringen.

„Es ist so… Ich weiß selbst nicht viel mehr als du.“

„Wie bitte? Wie kann das denn sein? Du hast doch dort gearbeitet, nicht wahr?“

„Ja, schon. Aber um ehrlich zu sein, ich war nicht unbedingt wichtig, weißt du? Außerdem weiß nie jemand, was Abe vorhat. Er vertraut niemandem.“ Er stockte. „Zu Recht, nicht wahr?“ Bei den Worten umzog ein süffisantes Lächeln seine Mundwinkel. Irgendwo in mir durchstach es mich plötzlich. Schuldgefühl?

„Du weißt, dass du mich nicht hättest retten müssen, nicht wahr? Ich hab dich nicht gezwungen dein Leben wegzuwerfen!“, sagte ich leise, und vielleicht auch etwas konfrontationsfreudig. Als er verstanden hatte kniff Kain wütend die Augen zu Schlitzen.

Du hast mich nicht dazu gezwungen?“, zischte er mir entgegen. „Denkst du denn wirklich, dass ich dir so was vorwerfen könnte? Was denkst du von mir?“ In seinen Augen lag wieder diese Härte, die mir solche Angst machte. Ich denke mal, es wäre wohl klüger gewesen ausnahmsweise mal nichts zu entgegnen. Klar, dass ich es trotzdem tat.

„Was soll das denn schon wieder heißen? Was soll ich denn von dir denken? Dass du mich entführt hast? Mehrmals? Dass du in meinem Kopf herumgewühlt hast wie ein Maulwurf? Weißt du was? Natürlich musstest du mich retten! Das warst du deinem Gewissen schuldig!“

Kain war inzwischen aufgesprungen. „Ach ja? Ist das so?“ Die pure Streitlust hatte von uns beiden Besitz ergriffen, so dass es uns vorkam als wären wir durch eine riesige Glasglocke vom Rest der Welt abgeschnitten. Denn im Grunde gab es im Augenblick nur uns zwei. Das mag vielleicht romantisch klingen, aber ich gehöre zu den Menschen, die gegenseitiges Beschimpfen nicht unbedingt romantisch nennen würden.

Trotzdem war es extrem unterhaltsam.

„Du-gemeiner-Vollidiot!“ Bei jeder Silbe piekte ich, so fest ich konnte, mit dem Zeigefinger in Kains Brust. „Du undankbare…“, kam es von Kain zurück während er mich gegen die Schulter stieß.
 

Ach ja, nur mal so ne Anmerkung am Rande. Jeder, der inzwischen meinen Charakter durchblickt hat, wird sich schon das ein oder andere Mal gewundert haben, warum jegliche verbalen Angriffe(Ja, ich WEIß was verbale Angriffe sind!) bis jetzt so harmlos ausgefallen sind. Es gibt einen Grund dafür! Ja genau, es ist der gleiche Grund für so schön nervige Dinge wie Altersbegrenzung und Fernsehzensur am Abend. Es ist unsere(oft hoffnungslose) Zukunft. Wer’s immer noch nicht durchblickt hat, ich rede von den Kindern! Verdammte Rotzviecher! Wisst ihr was? Scheiß auf die Zukunft! So wie’s aussieht werde ich sowieso nicht mehr hier sein wenn sie erst mal die Welt zerstören!
 

„Du verdammtes Riesenarschloch! Dann hast du mir eben mal das Leben gerettet! Nachdem du mich entführt hattest! Und ich habe dir außerdem auch den Hals gerettet! Ohne mir wärst du inzwischen schon längst mitten im Wald verreckt!“

Ohne dir wäre ich dort aber nie aufgekreuzt, du Hohlbirne!“ konterte er.

„Hör doch zu jammern auf! Ich hab dich nicht gezwungen mich zu entführen und damit hat das Alles schließlich angefangen.“ Ich machte eine ausschweifende Geste mit den Händen.

„Nein, das ist nicht wahr! Angefangen hat es in genau dem Augenblick, in dem Abe beschlossen hat, dass irgendjemand dich entführen sollte.“ Sein scharfer Ton bohrte sich in meine Ohren. „Verstehst du denn nicht Celia? Hätte ich dich nicht entführt, hätte es jemand anderes getan und dann wärst du in diesem Moment wohl kaum hier und würdest mit mir reden. Nein, du wärst nicht in der physischen, und wahrscheinlich auch psychischen Verfassung zu reden. Dann wäre es jetzt schon zu spät! Also sei froh, dass ich dich entführt habe! Sei froh Celia Grant! Es hätte nicht besser für dich laufen können.“ Hohn spritzte mir aus seinen Augen förmlich entgegen. Noch schlimmer war meine Reaktion. Gar keine.

Für’ s erste Mal seit ewigen Zeiten hielt ich die Klappe. Er hat Recht., schoss es mir durch den Kopf. Er hat wirklich und wahrhaftig Recht mit dem was er gerade gesagt hat. Und das bedeutete…

„Stimmt! Aber weißt du was? Niemand zwingt dich, jetzt nicht sofort zu verschwinden!“, knallte ich ihm gegen den Latz und zeigte mit ausgestrecktem Arm die Straße hinunter. „Also verschwinde wenn du willst!“

„Weißt du was? Vielleicht sollte ich das wirklich?“ Ich war baff. Was war denn jetzt plötzlich aus ‚Nur zu zweit überleben’ geworden? Meinte er das ernst? Zuerst sucht er mich eine halbe Ewigkeit um dann von selbst davon zu laufen? Anscheinend schon. Er hatte sich gerade umgedreht und stapfte nun aufgebracht die Straße runter um jeden Moment hinter der nächsten Ecke zu verschwinden. „Was soll das denn jetzt?“, schrie ich ihm nach. Jedes Lebewesen in der Umgebung beobachtete das Spektakel. Das fiel mir jetzt auf, doch wahrscheinlich hatten sie dem ganzen Theater vergnügt gelauscht. Ich muss zugeben, es war ein schrecklich unangenehmes Gefühl von allen Seiten mit Blicken durchbohrt zu werden. Es ging mir nicht darum, was die Leute von mir denken könnten. Das war es nie. Nein, mir ging es eher darum, was den falschen Ohren zugetragen werden könnte. Schließlich war ich auf der Flucht. Verdammt! Es kam mir immer noch alles so unwirklich, so surreal vor. Und jetzt war auch noch Kain weg. Ich seufzte leise.

Dann heißt es jetzt wohl sich selbst durchschlagen.

Mein Magen knurrte laut. Er hatte auch allen Grund dazu. Ich versuchte, mich daran zu erinnern wann ich das letzte Mal was Richtiges gegessen hatte. So lange konnte es nicht wirklich aus sein, doch um so mehr ich mich anstrengte mich zu erinnern, desto weiter rückte mir der Gedanke weg. Ich war ein Wrack. Ein vollkommen übermüdetes Wrack, gerade dabei zu verhungern.

Also machte sich das Wrack auf die Suche nach was Essbaren.
 

Kain stürmte an der glotzenden Menschenmenge vorbei und bereute jetzt schon, weggelaufen zu sein. Das war vollkommen sinnlos, bar jeglicher Logik. Also drehte er wieder um und wollte erneut zurück laufen. Drehte wieder um. Blieb dann vollkommen still stehen und fragte sich, was er denn nun machen sollte. Sein Verstand schickte ihn zurück zu Celia, doch sein Ego befahl ihm genau das Gegenteil. Völlig hin und her gerissen stand er ein paar Minuten reglos stehen, während links und rechts von ihm die Leute vorbei eilten.

Kain seufzte leise. Er wusste, was zu tun war. Er ging wieder zurück, innerlich noch immer vollkommen überzeugt, ob es so am Besten wäre. Jeden Schritt wurde er jedoch überzeugter und die letzten paar Meter rannte er schon beinahe.

Doch als er endlich angekommen war, war die Bank leer. Nirgends eine Celia in Sicht. Er fluchte leise vor sich hin und ließ sich auf die braune Sitzbank fallen. Erst jetzt bemerkte er die stechenden Schmerzen in der Seite, da wo seine Wunde sich befand. Er schob die Weste beiseite und konnte sehen, dass er durch den Stoff des T-Shirts hindurch blutete. Mit einem Grund mehr fluchte er gleich doppelt so wild weiter. Er brauchte seine Medikamente. Dringend. Das hieß, er musste zurück zum Auto.

Vielleicht geht Celia doch auch zurück zum Wagen., dachte er und schöpfte sogleich Hoffnung aus dem Gedanken. Sachte stand er wieder auf und suchte sich den Weg zurück zum Fabrikgelände.
 

Ich ging durch die Straßen, auf der Suche nach Essen. Essen! Wo sollte ich nur Futter finden? Gerade als diese Frage mein Hirn schon zum wohl tausendsten Mal quälte, umwehte ein köstlicher Geruch meine auf Essen eingestellte Radarnase. Ich fing an zu schnuppern und folgte der Duftfahne. Nach kurzer Zeit stand ich vor einer alten, aber schön hergerichteten Pizzeria und quälte mich selbst bei dem Gedanken an ein köstliches Stück Pizza mit Käse, der sich zieht und Schinken… Ich konnte spüren, wie mein Magen Saltos schlug, bei dem Gedanken daran endlich was zu essen. Mjam!

Ich wusste ganz genau, dass ich kein Geld zum Zahlen hatte. Keinen einzigen Penny. Meinem Magen war das vollkommen scheißegal und so kam es, dass ich in die überfüllte Pizzeria ging und mir einen Platz suchte. Beinahe jeder Tisch war besetzt, doch schließlich fand ich doch noch einen kleinen Tisch in einer düsteren Ecke und setzte mich auf den bequemen Sessel.

Schon nach ein paar Minuten kam eine sichtlich überforderte Kellnerin zu meinem Platz und nahm meine Bestellung entgegen. Da ich keine Ahnung hatte, was ich essen sollte, nahm ich einfach das Tagesgericht und hoffte, dass es sich um nichts Unessbares handelte.

Fünfzehn selige Minuten später stand eine dampfende Schüssel mit Tomatensuppe vor meiner Nase, daneben ein Glas Orangensaft. Mann, oh Mann… Mein Magen spielte jetzt endgültig verrückt. Oh Mann! Ich scheffelte die rote Suppe in Rekordgeschwindigkeit runter und starrte dann vollends deprimiert in die tiefen Gründe einer viel zu leeren Suppenschüssel. Mehr. Mehr!, schrie mein immer noch schrecklich unzufriedener Magen verzweifelt. Mehr, verdammt noch Mal! Etwas verloren blickte ich mich im Restaurant um. So, wie es aussah war die Kellnerin, die mich vorhin bedient hatte beinahe vollkommen alleine mit den Bestellungen gelassen worden. Sie hatte pechschwarzes Haar und einen südländischen Touch, der locker als italienisch durchkommen könnte. Sie war schlank, hatte aber gesunde Rundungen um die Hüften. Man konnte auf einen Blick erkennen, dass sie völlig überlastet war. Sie strahlte eine träge Müdigkeit aus, die aber im geschäftigen Treiben unterging.

Meine Augen folgten der unbekannten Frau durch die Schänke und als sie endlich auf mich zukam, fing ich innerlich zu jubeln an. Sie hatte in der linken Hand einen großen Pizzateller und in der anderen eine Salatschüssel. Ich konnte spüren, wie ich bei dem Anblick zu sabbern anfing. Die Kellnerin stellte mir die Teller vor die Nase und der delikate Geruch bahnte sich sofort einen Weg in meine Schleimhäute und setzte mein Gehirn auf kalt. Trotz dieser Tatsachen, und das sollte einiges über meine Höflichkeit aussagen, wandte ich meinen Blick noch rasch der Schwarzhaarigen zu um mich zu bedanken. Erst da erkannte ich, dass unter der grünen Schürze mit Mehlflecken ein runder Bauch versteckt war. Sie war schwanger.

Als sie meinen Blick bemerkte lächelte ich sie an und fragte so nett ich konnte: „Im wievielten Monat sind Sie denn?“ Die Frau stöhnte kurz auf und fing dann zu lachen an. „Im sechsten.“, sagte sie stolz. Ihre Stimme war angenehm sanft und beruhigend, garniert mit einem fast unhörbaren Akzent. „Da gratuliere ich.“, meinte ich aufrichtig. „Danke.“ Entgegnete sie. „Und lassen Sie es sich schmecken.“ Dann drehte sie sich um und wuselte wieder davon.

Danach widmete ich mich wieder vollkommen meinem Essen. Und wie das duftete! Einfach göttlich. Ich schlug mir den Bauch voll, und als ich fertig war, war mein Magen ernsthaft voll. Das hatte ich die letzten paar Tage nie geschafft. Ich stöhnte zufrieden auf und streckte mich kurz. Dann fiel mir wieder auf, dass ich gar kein Geld hatte. Bei dem Gedanken jetzt einfach die Zeche zu prellen bekam ich Schuldgefühle. Natürlich wusste ich, dass ich so gut wie keine Wahl hatte und schließlich wäre es nicht das erste Mal. Also stand ich, als die Frau mal wieder in der Küche verschwunden war, langsam auf und bahnte mir so unauffällig wie möglich einen Weg zum Ausgang. Von da an ging ich in normalem Schritttempo weiter und verschwand unter der Menschenmasse. Nach kürzester Zeit war ich um die nächste Ecke verschwunden und damit außer Reichweite. Es war zwar alles andere als nett eine schwangere Frau zu betrügen, aber ich hatte im Moment ganz sicher größere Sorgen.

Zum Beispiel die Tatsache, dass ich keine geringste Ahnung hatte, wohin ich jetzt gehen sollte. Die hatte ich tatsächlich nicht, daher ging ich ziellos durch die Straßen.

Eine halbe Stunde später stellte meine Blase fest, dass sie mehr Beachtung wünschte. Also suchte ich nach einem Klo. Natürlich fand ich keins. Inzwischen befand ich mich wieder in dem Armenviertel der Stadt. So eins, wie das in dem ich aufgewachsen war oder dem, wo ich Hilfe für Kain gefunden hatte. Solche Orte zogen mich wohl magisch an. Ich musste jetzt ganz dringend pinkeln und der kalte Wind, der mir entgegen wehte war dabei nicht gerade hilfreich. Also stürzte ich mich bei erster Gelegenheit in den nächsten Laden und sagte dem fetten, nach Bier stinkenden Mann hinter der Theke rau: „Kann ich mal auf’ s Klo? Ich muss pinkeln.!“ Der Fettsack grinste mich an und sagte dann genüsslich: „Nur wenn du was kaufst.“

„Also gut.“, sagte ich nett. „Entweder du gibst mir jetzt sofort den Schlüssel für’ s Klo oder ich pisse dir den Boden voll!“ Obwohl ich stark bezweifelte, dass ihn das wirklich stören würde, verfehlten die Worte nicht ihre Wirkung.

„Also wirklich!“, tadelte mich der Fettsack spielerisch und schnalzte laut mit der Zunge. Dann erhob er sich stöhnend und als er wortlos Richtung Hinterteil des Ladens ging wogte seine Masse bei jedem Schritt. Ich schätzte ihn auf mindestens 150 Kilo. Er trug dieses typische Schlabbergewand, das man anhatte, wenn einem sonst nichts mehr passte.

Er kramte jetzt in seiner Hosentasche herum bis er einen Schlüsselbund heraus fischte und triumphierend damit herum wedelte. Als er den richtigen Schlüssel gefunden hatte schloss er damit die schwere Eisentür auf und ließ mich eintreten. „Klo ist da hinten rechts.“ Erklärte er mir. „Und denk an mich.“ Setzte er noch mit einem anzüglichen Grinsen hinzu. Ich konnte genau spüren, wie sich mein ganzer Körper vor Ekel versteifte. Als er meinen Gesichtsausdruck sah schnalzte er auch schon die Tür hinter sich zu.

Ich gab mich nicht lange mit der Tatsache ab, dass ich ihn beleidigt hatte, sondern stürmte schon etwas zappelig Richtung Klo. Ich riss die schmutzige Plastiktür auf und öffnete noch im Laufen meine Hose. Dann ließ ich mich auf die schmutzige Klobrille fallen und erlöste mich von meinen Qualen. Zu meinem großen Bedauern konnte ich kein Klopapier, geschweige denn einen Wasserhahn entdecken und ich musste auf besondere Hygiene verzichten.

Danach ging ich wieder zur Eisentür. Auf dem Weg dort hin sah ich mich ein bisschen um. Allem Anschein nach befand ich mich im Lagerraum. An allen Seiten stapelten sich Kisten zu hohen Türmen. Am anderen Ende des Raums angekommen drückte ich die Klinke der Tür.

Nichts geschah.

Verdammt! Ich hämmerte gegen das kalte Metall und schrie so laut ich konnte: „Hey, lassen Sie mich raus! LASSEN SIE MICH RAUS!!!“ Auf der anderen Seite tat sich nichts. „LASS MICH RAUS DU HÄSSLICHER FETTSACK!“ Ich blieb gerade lang genug ruhig um zu hören, wie er daher watschelte und amüsiert sagte: „Also wirklich!“ Er schnalzte wieder mit der Zunge. „Da wollte das böse Mädchen mich einfach beklauen. Na, na, na.“ Er redete mit mir, wie mit einem Kleinkind. “Der Polizei wird das nicht gefallen! Ich hab es ihnen erzählt, musst du wissen, und sie waren so aufgebracht, dass sie jetzt gleich vorbei schauen wollen.” Ich konnte vor meinem inneren Auge sehen, wie er bösartig grinste.

Ich wandte mich von der Tür ab und überlegte fieberhaft, was ich jetzt tun sollte. Dann fiel mir das Fenster am Klo ein. Ich stürmte hin um es aufzureißen und versagte. Es war verschlossen. „Verdammte Scheiße!“, fluchte ich leise vor mich hin und begab mich wieder zurück in den Lagerraum, auf der Suche nach was Hartem um die Scheibe einzuschlagen.

Ich riss alle möglichen Schachteln auf und fand Shampoo, Müsliriegel, Wasserflaschen und sonst allen möglichen Scheiß. Nur nicht das, was ich eben suchte. Ich ging den ganzen Raum ab und durchsuchte jeden Quadratzentimeter, voll gepumpt mit Adrenalin, verzweifelt durch die Tatsache, dass jeden Moment die Polizei herein stürmen würde und mich verhaften könnte. Dann, plötzlich entdeckte ich hinter einem Stoß Kartons voller Schokolade eine Eisengeldbüchse. Ich öffnete sie und mir fielen die Augen heraus. Das waren mindestens 1000 Pfund! Innerlich jubelte ich, nur um dann sofort wieder auf den Boden der Tatsachen geholt zu werden. Ich ging grundlos noch mal zum Klo und schaute mir das Glas genauer an. Es war nichts besonderes, mal abgesehen davon, dass die Scheibe milchig war um zu verhindern beobachtet zu werden. Ich ging wieder raus und knallte diesmal wütend die Klotür zu. Na toll Celia! Du kannst es mit Dämonen aufnehmen, aber von einem fetten Verkäufer lässt du dich besiegen? Also wirklich! Ich drehte mich hilflos im Kreis und blieb mit den Augen an einem Feuerlöscher hängen. Er musste schon die ganze Zeit da gewesen sein, aber durch die offene Klotür hatte ich ihn nicht bemerkt. Aufgeregt stürmte ich hin und riss den roten Feuerlöscher von der Wand. Mit dem schweren Ding in der rechten und dem Geld in der linken Hand ging ich wieder ins Klo und stellte mich etwas unsicher auf den Klodeckel. Dort schwang ich den Feuerlöscher und schlug damit auf das Fenster ein. Nach ein paar Mal hatte das Glas schon einige Sprünge, aber es dauerte trotzdem noch ein paar Minuten bis es endlich vollkommen brach. Ich warf den Löscher weg und fegte noch ein paar Scherben auf die Seite.

Plötzlich waren Stimmen zu hören und meine Panik wuchs wieder weiter. Ich kletterte auf den Fenstersims und sprang von dort mit der Gelddose raus in die Seitengasse. Im Flug, jedoch verlor ich das Gleichgewicht und landete mitten in den Glasscherben. Meine Hände und Knie waren aufgeschlitzt und bluteten stark. Die Stimmen von vorher schienen jetzt näher und lauter, und ich sprang etwas mühsam auf und rannte so schnell ich konnte durch die eine Gasse in die nächste und von dort noch weiter. Ich konnte die Stimmen hinter mir laut rufen hören und bezweifelte nicht, dass ich verfolgt wurde. Was tat ich also?

Ich rannte weiter.

Meine, durch Scherben bespickten Arme und Beine taten bei jeder Bewegung höllisch weh. Ich schätze mal, sie hätten genauso wehgetan, wenn ich still gestanden hätte, aber ich hatte wirklich keine Zeit um meine Theorie zu testen.

Nach einigen atemlosen Minuten stürzte ich, an eine Wand gelehnt zusammen. Ich konnte jetzt niemanden mehr hören und hoffte, dass ich nicht mehr verfolgt wurde. Ich verharrte dort einige Momente und stand dann wieder auf. Ich befand mich noch immer in einem der Gässchen. Zuerst hatte ich den Weg auf die Hauptstraße nicht gefunden, doch inzwischen hatte ich einfach Angst davor entdeckt zu werden. Ich war voller Blut, Schweiß und Dreck und würde auf diese Weise sofort aus der Menge heraus stechen, was logischerweise so gar nicht günstig wäre.

Ich bog um die nächste Ecke und wurde plötzlich zur Seite gezerrt. Ein grober Arm hatte mich umschlungen und ich konnte spüren, wie mir kaltes Eisen sanft in den Hals ritzte.

„Was willst du?“, krächzte ich leise.

„Was kannst du mir denn geben?“, fragte die Stimme heiser und verstärkte den Druck. Ich war mir inzwischen ziemlich sicher, dass es sich um einen Mann handeln musste.

„Ich habe kein Geld.“, log ich leise.

„Wer braucht denn Geld?“, fragte er mich und beinahe im selben Moment konnte ich einen vollkommen anderen Druck von hinten spüren. Der Wichser hatte gerade einen Ständer bekommen! Ich überlegte einen Moment, was ich tun sollte und kam zu dem Schluss, dass wohl jeder Versuch blutig enden würde.

Und zwar für mich.

Trotzdem war ich mir sicher, dass mir alles lieber wäre, als nichts zu tun. Ich blieb kurz still stehen und ließ mich dann mit einem Ruck, wie einen Sack fallen. Der Typ dachte jetzt sicher ich wäre in Ohnmacht gekippt, wie ein süßes, kleines Mädchen. Er legte mich, nicht gerade sanft, auf den harten Boden und ich trat ihm so fest ich konnte in die Eier. Das überraschte ihn und er fing an zu heulen und krümmte sich auf dem Boden zusammen, wie ein Embryo.

Ich hatte eigentlich erwartet, dass er wenigstens auf mich einstechen würde, aber nichts geschah. Er schrie jetzt nur nach seiner Mama. Also wandte ich mich um und ging weg.

Dann, ganz plötzlich, konnte ich spüren, wie jemand hinter mir stand. Ich wollte mich umdrehen, doch bevor ich dazu kam, spürte ich einen sengenden Schmerz, als mir ein Messer in den Rücken gestoßen wurde. Das letzte, was ich mit bekam, war mein eigener Schrei, der von allen Wänden widerhallte.
 

Kain ging auf den Wagen zu. Er konnte ihn schon aus der Ferne sehen, so wie er da vollkommen allein auf dem leeren Platz stand. Zu seinem großen Bedauern war keine Spur von Celia in der Nähe. Er ging weiter gerade aus auf das Auto zu. Einen Schritt nach dem anderen.

Und der Wagen explodierte.

Kain wurde geblendet.

Und durch die Wucht zurück geschleudert.

Er kam auf dem harten Boden auf und verlor im selben Moment das Bewusstsein.

Wie geht es dir, Miranda Schiller?

Wie schon so oft in den letzten paar Tagen, wachte ich benommen auf. Ich öffnete meine brennenden Augen und konnte im ersten Moment alles nur verschwommen erkennen. Dann drückten mir unbekannte Mächte meine schweren Augenlider wieder zu. Mein ganzer Körper fühlte sich so an als wäre er vollkommen in Watte verpackt und ich konnte mich, auch wenn ich mich noch so sehr anstrengte, nicht bewegen. Es kam mir so vor, als wäre ich in einer anderen Dimension gefangen, ohne Körper.

Ich konnte keinen einzigen zusammenhängenden Gedanken bilden, und auch trotz der Tatsache, dass ich mich verzweifelt an mein Bewusstsein klammerte, versank ich schon bald wieder im Strudel des Träumens.

Und ich träumte. Träumte von vielen, zusammenhanglosen Dingen. Und wachte trotzdem nicht auf. Nicht nur das, ich versank immer tiefer, konnte mich nicht festhalten, drohte unterzugehen. Ging unter. Drohte zu ertrinken.

Und wachte ruckartig auf.

Ich saß von einem Moment auf den anderen hellwach und kerzengerade in meinem Bett und sank nahezu im gleichen Augenblick, von Schmerzen gepeinigt, wieder zurück in die weichen Kissen. Jeder Zentimeter meines Körpers pochte höllisch und ich war überzeugt, noch nie solche Schmerzen gehabt zu haben. Ich wollte schreien, doch bei dem Versuch bekam ich nur ein schreckliches Krächzen heraus. Ich konnte spüren, wie die Tränen mir über das ganze Gesicht strömten und sich brennende Spuren bis zu meinem Hals bahnten. Ich konnte genau hören, wie ich innerlich zu wimmern begann und hasste mich in diesem Moment für meine Schwäche. Durch die Schmerzen war mein Verstand glasklar. Auf diese Tatsache hätte ich in diesem Augenblick wirklich gerne verzichtet.

Einfach die Augen schließen und schlafen.

Bist du wahnsinnig?, schrie es in meinem Inneren. Wenn du jetzt einschläfst gibst du auf! Du wirst sie jetzt ganz sicher nicht siegen lassen! Wehe du gibst einfach den Löffel ab! Mach die Augen wieder auf! Sonst war alles um Sonst. Kain hat dann sein Leben um sonst weggeschmissen. Du hast dich dann vollkommen um Sonst durch dein Leben gekämpft! Du hast noch nie aufgegeben und es ist der schlechteste Zeitpunkt um damit anzufangen. MACH DIE AUGEN WIEDER AUF!

Ich öffnete wieder die Augen.

Und war immer noch so müde.
 

Kain wachte im selben Moment wie Celia auf. Sein Kopf tat höllisch weh und er stand sofort etwas schwankend auf und stützte sich an die Wand.

Was für eine Wand?

Kain schaute sich verwirrt in dem Raum um. Die Wände waren in einem grauweiß gestrichen und außer dem schmalen Bett, in dem er aufgewacht war und einem metallenen Gefängnisklo in der gegenüber liegenden Ecke war das ganze Zimmer vollkommen leer. Es gab kein einziges Fenster, aber Kain konnte in der Decke ein Gitter erkennen, durch das frische Luft zu strömen schien. Es gab eine große, glatte, weiße Tür ohne Türklinke in der die Umrisse eines Rechtecks eingelassen waren. Kain schätzte, dass man ihn auf diese Art beobachten könnte.

Er stieß sich von der Wand ab und schwankte zittrig zu der Tür. Er begann mit den Fäusten auf die feste Fläche zu schlagen bis seine Hände zu bluten anfingen.

Lasst mich hier raus! Macht auf! Ich will hier raus!“, schrie er immer wieder so laut er konnte, doch schon bald hatte er seine Stimme verloren und krächzte nur noch lautlos vor sich hin.

Nach ein paar Stunden fiel er schwach auf den Boden und rollte sich zusammen während seine eigenen Worte immer wieder in seinem Kopf widerhallten.

Lasst mich hier raus!
 

Ich hatte es geschafft. Ich war wach geblieben und nun fiel es mir kaum noch schwer die Augen offen zu halten.

Ich lag noch immer in dem weichen, breiten Bett. Das Zimmer, in dem ich mich befand war hübsch und gemütlich und hatte einen mädchenhaften Omastil. Die Vorhänge an den beiden Fenstern und mein Bettüberzug waren mit Blumenmustern verziert. Direkt geradeaus konnte ich die schöne, alte Holztür sehen, doch allein der Gedanke dorthin zu gehen schien mir unmöglich. Rechts neben der Tür stand eine Kommode aus dem gleichen Holz, wie die Tür und über ihr hang ein breiter Spiegel, der einen verschnörkelten Rahmen hatte, der ihn sehr alt wirken ließ. Höchstwahrscheinlich ist er es auch, dachte ich.

Ich hatte keine Ahnung, wo ich hier war und hatte mich auch noch keinen Millimeter bewegt seit dem ich wach war. Ich konnte spüren, dass mein ganzer Oberkörper und mein Hals verbunden waren. Und ich konnte die Schmerzen spüren.

Ich hatte keine Ahnung, was geschehen war. Das Letzte, an das ich mich erinnern konnte, war dieser Typ, der mich bedroht hatte. Vor meinem inneren Auge konnte ich ihn noch immer am Boden wimmern sehen. Es war alles vollkommen klar, doch was war danach geschehen?

Egal, was es war, es musste schrecklich gewesen sein. Soweit mein Zeitgefühl mich nicht betrog, musste ich hier schon einige Zeit liegen, ganz abgesehen von den Stunden, die ich verschlafen hatte. Das wirklich seltsame daran war, dass die Schmerzen währenddessen nicht nachgelassen hatten. Eigentlich hätte von den Wunden kaum noch etwas übrig sein dürfen, doch sie waren noch immer mindestens genauso präsent wie zu Anfang. Wenn ich in der Lage dazu gewesen wäre, hätte ich jetzt die Stirn gerunzelt.

Meine Mutter hatte mir einmal erzählt, dass das schnelle Heilen von Verletzungen schon seit Generationen in meiner Familie lag. Ich hatte außer meiner Mutter nie einen anderen Verwandten kennen gelernt, aber so weit ich wusste hatte mein Vater mir diese Gabe vererbt. Angeblich hatte meine Familie einmal zu den 7 Gründerfamilien des Ordens gehört. Ich hatte zwar bis auf Kain noch nie von den Pendlern gehört, aber auch wenn mir der Name nicht bekannt gewesen war, so hatte ich trotzdem schon von dem Orden an sich gehört.

Die Sage, so weit ich sie kannte, besagte, dass der Orden entstanden war nachdem Gott mit der Sintflut all das Böse aus der Welt merzen wollte. Danach war das Gleichgewicht so gestört gewesen, dass die Welt untergehen zu drohen schien. Ab da waren die Pendler das erste Mal auf der Bildfläche erschienen. Ihre Aufgabe war es, dafür zu sorgen, dass das Gleichgewicht nie wieder überkippte. Alle 7 Gründer stammten aus der Verbindung des Guten und des Bösen, so hieß es. Natürlich war es trotzdem schon oft zu Problemzeiten gekommen, das letzte Mal in Europa während des 2. Weltkrieges. Dies war die schwarze Zeit in der Geschichte des Ordens gewesen. Das alles kam der Wahrheit höchst wahrscheinlich nur sehr vage nahe, aber irgendwo musste doch etwas dran sein, denn in meiner Familie war die Gabe auch über die vielen Jahrtausende nicht verloren gegangen.

Schon komisch über was man nachdachte, wenn man nichts zu tun hatte. Innerlich konnte ich mich noch an den Nachmittag in meiner Kindheit erinnern, an dem ich meine Mutter das erste Mal gefragt hatte, warum meine Verletzungen so schnell verheilten.

An dem Tag war es besonders schön gewesen und unsere Lehrerin in der ersten Klasse hatte beschlossen ein paar Stunden draußen zu spielen. Ich war vom Klettergerüst gefallen und hatte mir dabei den Fuß gebrochen. Die Lehrerin war total außer sich gewesen und die Rettung war mit Blaulicht angefahren. Mir war im Krankenhaus das ganze Bein eingegipst worden, aber am Abend war das ganze Bein wieder heil gewesen. 2 ganze Monate lang hatte ich mit dem Gips in die Schule gehen müssen um keine Blick auf mich zu ziehen. Das würde ich nie vergessen. Daran hatte ich schon seit Jahren nicht mehr gedacht. Ich vermisste meine Mum wirklich sehr.

Wenigstens hatte mich das jetzt eine Weile von meinen Schmerzen abgelenkt, aber nun starrte ich wieder wie gebannt an die Decke und dachte eine Zeit lang gar nichts. Innerlich wusste ich, dass ich mir die eine Frage nicht stellen durfte.

Wo bin ich hier?

Mein Unterbewusstsein war sich klar, dass mir diese Frage den Rest geben würde, also hielt ich es für besser nichts zu denken. Das hatte ich schon immer gut gekonnt. Nichts denken…

Die weiße Tür öffnete sich beinahe lautlos und ein Schatten glitt in das, inzwischen dunkle Zimmer. Ich schreckte auf und folgte dem unbekannten Eindringling durch den Raum. Er ging auf die rechte Seite meines Bettes zu und setzte sich dort auf einen Hocker, den ich noch nicht entdeckt hatte. Dann schaltete er eine Lampe direkt über meinem Kopf an. Das Licht blendete meine überempfindlichen Augen und ich drehte mein Gesicht ganz nach rechts um den Unbekannten bei Licht zu sehen. Ich konnte spüren wie meine Halswunde aufzuplatzen drohte und schnappte erschocken nach Luft. Der junge Mann neben mir hatte lange, blonde Haare und ein engelhaftes Gesicht. Er grinste mich breit an und machte einen überraschend sympathischen Eindruck. „Tut es immer noch sehr weh? Ach, was sag ich denn da. Natürlich wirst du dich elend fühlen.“ Er machte eine theatralische Geste. Als ich den Mund aufmachen wollte schüttelte er entgeistert den Kopf. „Ach Kindchen! Nicht reden, bitte nicht reden! Du willst sicher wissen was passiert ist?“ Er machte einen seltsam seriösen Gesichtsausdruck der zu dieser Person nicht zu passen schien. Er gab mir eigentlich keine Gelegenheit zu antworten und plapperte sofort weiter. „Aber sicher willst du das! Also, lass mich nur kurz sehen…An was erinnerst du dich denn noch? Ach, was frag ich denn da! Nun, wo soll ich nur anfangen? Ach ja, genau. Du hast 48 Stunden lang durchgeschlafen. Ich hab dir ein paar Schmerzmittel gegeben, damit du es etwas besser erträgst. Du armes, armes Kind…

Also…Ich bin Harry! Und du darfst mich Harry nennen!“ Er streckte mir die Hand entgegen und blickte dann ein bisschen hilflos umher, als sein Arm nutzlos in der Luft hängen blieb. Als er ihn wieder zurück zog fing er zu lachen an.

„Wenn du dir den Namen nicht merken kannst, denk einfach an Harry Potter! Nicht an Prinz Harry, bitte! Den hab ich einmal getroffen und ich musste leider feststellen, dass sein Modegeschmack einfach nicht existiert!“ Er machte eine verächtliche Geste und brachte mich mit seinem Gesichtsausdruck beinahe zum Lachen.

„Nun jedenfalls…wo war ich? Ist ja auch nicht so wichtig! Jedenfalls…was tust du denn da?“

Ich hatte gerade versuchen wollen zu reden, aber irgendwie brachte ich nur ein erbärmliches Röcheln zustande. „Nein, nein! Nicht reden!“

„Was ist…passiert?“ Ich klang schrecklich, das musste selbst ich zugeben. Und hätte ich es selbst nicht gehört, so hätte ich es spätestens an dem Gesichtsausdruck von Harry abgelesen. Er sah vollkommen aufgelöst vor Mitleid aus. „Bist du dir wirklich sicher, dass du es wissen willst? Es ist wirklich schlimm.“, fragte Harry mich leise.

Ich nickte mühsam. „Also gut.“, setzte er langsam an. Jegliche Fröhlichkeit war aus seinen Zügen gewichen. „Vor etwas mehr als zwei Tagen wurdest du in einer Seitengasse am Rand von St. Albans überfallen. Dieser Mistkerl hat dich förmlich ausgeweidet.“ Hass spiegelte sich in seinem Gesicht wider. „Insgesamt wurde 15-mal auf dich eingestochen.“ Er schluckte laut. „Als er damit fertig war hat er dir den Hals aufgeschlitzt.“ Er deutete viel sagend auf meine verbundenen Hände. „Du hast dich wohl gewehrt. Es gleicht einem Wunder, dass er dabei die Aorta verfehlt hat. Sonst wäre dir nicht mehr zu helfen gewesen.“ Er stockte einen kurzen Moment. „Ich habe dich schreien hören und bin daraufhin sofort in deine Richtung gelaufen. Als ich dich endlich entdeckt habe hat sich dieses Arschloch gerade über dich gebeugt. Hätte ich ihn nicht unterbrochen, hätte er es mit Sicherheit zu Ende gebracht. Von ihm fehlt noch immer jegliche Spur.“ Er blickte mich entschuldigend an.

„Ich hab mich dann um dich gekümmert und dich dann hier her gebracht. Das war, wie gesagt vor zwei Tagen.“ Harry wandte sich ab. „Wenn ich ehrlich bin, bis zu dem Augenblick in dem ich durch die Tür hier gekommen bin und gesehen habe, dass du wach bist, hätte ich keinen einzigen Moment auch nur die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass du überleben wirst.“ Er lachte traurig. „So etwas hab ich noch nie erlebt.

Jetzt sah er mich wieder an. Sein Gesicht war wie ausgewechselt. „Weißt du was? Ich habe keine Ahnung wie du heißt. Hmmm, lass mich überlegen… Du siehst aus wie…eine Susanna, richtig?“ Meine Mundwinkel zogen sich automatisch nach oben.

„Ach? Liege ich also so falsch? Vielleicht Melissa? Corinne? Sarah? Nein, nicht?“

„Mein Name ist…“ Ich hatte automatisch zu reden begonnen. „Mein Name ist Miranda Schiller.“, sagte ich mit rauer Stimme.

„Miranda? Ein hübscher Name, Miranda. Und er passt wie angegossen! Dass ich da nicht von selbst drauf gekommen bin.“ Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse. „Nun gut Miranda…Als dein Retter fühle ich mich verpflichtet, dass du dich grässlich anhörst. Du bist sicherlich müde! Also, ich lass dich dann in Ruhe schlafen.“ Er stand auf, schaltete das Licht wieder aus und ging durch das jetzt dunkle Zimmer auf die Tür zu.

„Harry?“, würgte ich hervor.

Mit der Hand schon auf der Klinke drehte er sich noch einmal um.

„Ja Liebes?“

„Ich…Kann ich was zu essen haben?“

Harry schlug sich mit der Handfläche auf die Stirn. „Essen! Aber natürlich!“ Er schüttelte den Kopf. „Du musst am Verhungern sein! Lass mir ein wenig Zeit, ich sehe mal nach, was ich finden kann.“ Dann öffnete er die Tür, verschwand durch den Spalt und machte hinter sich wieder zu.

Das Zimmer war jetzt vollkommen dunkel. Ich schaute noch ein paar Minuten lang zur Tür, doch dann wurden meine Augenlider unerträglich schwer und ich schlief ein.
 

Kain saß erschöpft in einer Ecke in seiner Zelle und starrte auf den Boden wo er Kreise mit seinem Zeigefinger malte. Er hatte jegliches Zeitgefühl verloren, das grelle Neonlicht richtete sich nicht nach den Tageszeiten. Sein Magen knurrte und er war wie in Trance. Einen Kreis nach dem anderen. Seine Hände waren blutverkrustet und schmerzten schon allein vom Hinsehen. Er lehnte sich zurück und schloss einen Moment die Augen.

Ach, tut das gut!

Der Boden war zwar hart, aber das Bett wäre nicht besser und auf diese Weise müsste er wenigstens nicht der Schwerkraft trotzen. Also blieb er einfach liegen.

Sein Magen knurrte schon wieder und bei dem Geräusch verkrampfte er sich verspannt. Mühsam rappelte er sich auf und schwankte einen Moment bis er das Gleichgewicht gefunden hatte. Dann ging er ungeschickt auf die Tür zu.

„Ich hab Hunger! HEY! Ich sagte, ich hab Hunger!“, brüllte er so laut er konnte. „Hallo? Ist da jemand?“ Er trat so fest er konnte gegen die Tür. „Ich hab Hunger, ihr Arschlöcher! Ich will was zu essen haben!“, schrie er weiter. „Hallo?“ Er trat noch einmal heftig gegen die Tür. „Hey!“

Plötzlich machten die Neonlampen ein beunruhigendes Summen und Kain stand von einem Moment in den anderen in schwärzester Dunkelheit. Kain trat noch einmal so fest er konnte gegen die harte Oberfläche. Er war sich sicher, dass sein Fuß früher Schaden von dieser Methode erleiden würde als die Tür, aber seine pochenden Knochen waren ihm dabei herzlich egal. „Ihr Wichser!“

Kain streckte instinktiv die Arme aus während er das Zimmer durchquerte, aber schon nach einem Meter knickten ihm die Beine weg und er landete auf dem steinharten Bett. Er stöhnte einmal laut, rollte sich zusammen und schloss dann die Augen.
 

Ich wachte am nächsten Morgen auf und fühlte mich wie ausgewechselt. Natürlich waren die Schmerzen noch da, aber inzwischen konnte ich schon einen immensen Unterschied zu gestern feststellen. Immerhin etwas…

Ich sah mich im Zimmer um. Es war jetzt hell und dadurch automatisch gemütlicher. Auf der weißen Kommode stand ein Tablett wie aus einem Film. Aus der Entfernung konnte ich nur ein Glas, einen großen Teller und, alle Achtung, eine Minivase mit dazupassendem Miniblumenstrauß erkennen. Mir hatte noch nie jemand Blumen geschenkt. Ich konnte spüren, wie ich zu grinsen anfangen musste.

Vorsichtig bewegte ich meine Arme und setzte mich auf. Im ersten Moment sog ich erschrocken die Luft ein, dann gewöhnte ich mich schnell an das komische Schmerzgefühl. Ich blieb noch ein paar Minuten reglos mit geschlossenen Augen sitzen und konzentrierte mich ausschließlich auf das Atmen. Als ich meine Augen zögerlich wieder öffnete, entdeckte ich einen faustdicken Verband auf meinen Händen. Ich runzelte die Stirn und begann an dem weißen Stoff herumzuzupfen, bis er endlich nachgab. Ich wickelte und zog schon beinahe panisch an dem Leinen herum, bis meine rechte Hand frei war. Die Handfläche war mit weiß glänzenden Narbenlinien überzogen, aber ich fühlte keinen Schmerz wenn ich sie bewegte. Ich war mir sicher, dass dies die Überbleibsel meines Scherbenunfalls waren und machte mich daran auch die andere Hand zu befreien. Sie sah im Grunde genauso aus wie ihre Schwester, aber mitten in meiner Handfläche prangerte noch immer ein blutunterlaufener 3 Zentimeter langer Schnitt. So, wie es aussah musste diese Wunde bis auf den Knochen gegangen sein, aber ich war mir sicher, dass dies noch nicht der Fall gewesen war, nachdem ich aus dem Fenster gesprungen war. Das hier musste danach passiert sein.

Langsam rutschte ich mit den Beinen über die Bettkante und kam vorsichtig zu stehen. Meine Bauchgegend fühlte sich auf eine gewisse Art wie abgestorben an. An manchen Stellen kam es mir so vor als wäre meine Haut zu eng für meinen Körper. Ich dachte jeden Moment mir würden die Wunden von neuem aufplatzen. Ich trug ein breites, blaues Omanachthemd, das um meine Beine schlabberte.

Vorsichtig, einen Schritt nach dem anderen, trippelte ich auf die Kommode zu wie ein alter Mensch mit Gehschwäche. Endlich angekommen, stand mir der Schweiß schon im Gesicht.

Oh mein Gott!

Ich schlug mir die Hände vor den Mund und fing im selben Moment zu wimmern an. Ich blickte meinem Spiegelbild direkt in die Augen und konnte spüren wie mir schlecht wurde.

Ich sah schrecklich aus.

Einfach fürchterlich.

Über meine linke Wange zog sich ein dicker, mindestens 5 Zentimeter langer Schnitt, der sich ungesund rötlich-gelb verfärbt hatte. Mein rechtes Auge war blau angelaufen und geschwollen und meine Unterlippe war blutig aufgeplatzt. Im großen Ganzen sah ich so aus, als hätte ich mir eine intensive Barschlägerei geliefert. Wäre ja wohl nicht das erste Mal gewesen, aber bis jetzt hatte ich noch nicht mal ansatzweise so ausgesehen.

Der weiße Verband rund um meinen Hals hatte vereinzelte gelblich-rote Flecken, die an die Oberfläche schimmerten.

Der Anblick schaffte mich wirklich. Ich starrte gebannt auf mein Gesicht und war nicht in der Lage weg zu sehen.

Es war wahrscheinlich schon eine halbe Stunde vergangen, als ich von draußen Schritte hören konnte. Ich schreckte auf und stolperte so schnell ich konnte zum Bett. Dort hatte ich mich gerade ein paar Sekundenbruchteile unter der weichen Daunenbettdecke verkrochen, als Harry zur Tür rein kam. Er hatte eine schwarz-weiß karierte Seidenbluse und eine schwarze Hose an. „Und, wie geht’s dir heute Miranda?“, fragte er mich nett. Ich lächelte ihn so erbärmlich wie möglich an und zuckte unscheinbar mit den Schultern.

„Hast du Hunger?“ Ich nickte schwach, in der Hoffnung, dass er mir meine Rolle abnehmen würde.

Tat er.

Harry runzelte die Stirn und holte mir das Tablett ans Bett. „Schaffst du’s alleine?“, fragte er mich besorgt. Ich nickte wieder, während er mir die Platte auf den Schoß stellte. Ich langte mit der Hand nach dem Croissant auf dem Teller, verharrte aber dann plötzlich, als Harry meine Hand verwirrt ansah. „Du hast ja den Verband runter gegeben.“, sagte er verwundert, als er nach meiner rechten Hand griff. Er strich mit dem Daumen immer wieder über die Innenfläche und blickte mich verwirrt an. „Als ich den Verband vor zwei Tagen gewechselt habe, war deine Hand doch völlig zerschnitten. Wie hast du das gemacht?“ Er sah mich misstrauisch an. Ich konnte spüren wie mir langsam immer heißer wurde. „Ich habe keine Ahnung.“, sagte ich mit rauer Stimme.

„Na dann. Du bist also etwas beständiger als die meisten anderen Menschen, nicht wahr?“ Er lächelte mich nett an. „Seien wir froh, sonst könnte ich dich jetzt nicht mehr mit meiner störenden Anwesenheit nerven. Aber da ich es gerade sage, ich muss jetzt wieder gehen. Lass es dir schmecken.“, meinte er noch bevor er durch die Tür verschwand.

Das war seltsam gewesen. Ich bezweifelte, dass er das so hinnehmen würde, auch wenn es den Anschein hatte. Außerdem hatte er zuerst so gewirkt, als hätte er sich auf einen längeren Besuch eingestellt. Hatte sein plötzliches Verschwinden mit den verheilten Schnittwunden zu tun? Natürlich konnte ich es nicht wissen, aber meine Theorie machte mich misstrauisch. Was hatte Harry in dieser Seitengasse zu suchen gehabt? War es nur ein Zufall, dass er mich gefunden hatte? Und warum hatte er mich nicht ins Krankenhaus gebracht?

Wieso fiel mir das Alles eigentlich erst jetzt auf? Irgendetwas stimmte hier überhaupt nicht und ich hatte keinen blassen Schimmer, was nun zu tun sei. Weglaufen konnte ich nicht, das ließen meine Verletzungen mir noch nicht zu. Allerdings konnte sich das bald ändern. Von einem Moment auf den anderen fühlte ich mich nicht mehr wohl in dem gemütlichen Zimmer.

Ich blickte freudlos auf das Essenstablett hinab. Wann hatte ich das letzte Mal keinen Appetit gehabt? Vielleicht lag es aber auch daran, dass ich plötzlich Angst hatte, vergiftet zu werden.

Ach, Blödsinn Celia! Weshalb sollte er dich zuerst retten, nur um dich dann zu vergiften? Das ergibt keinen Sinn!, klärte mich mein Hirn freundlicherweise auf. Also iss! Du wirst es die nächsten Tage noch brauchen können.

Gesagt, getan.

Alles, was ich jetzt sonst noch machen konnte, war warten.

Gesagt, getan.
 

Kain wachte auf und fing zu schnaufen an, als ein Krampf seine Wirbelsäule und die Schulterblätter zu traktieren begann. Diese Matratze war die Hölle. Verspannt setzte er sich auf und rieb sich kurz die Augen. Als sein Blick auf den Boden traf, erstarrte er. Auf einem Plastiktablett, zentral im Zimmer, standen ein Teller mit ein paar Broten und ein Glas Wasser.

Während er geschlafen hatte, war jemand hier gewesen! Er fing zu fluchen an. Es war wirklich jemand hier gewesen, keinen Meter neben ihm!

Schnell kniete er sich vor das Tablett und nahm sich ungeduldig eine Scheibe Brot. Was für ein Klischee! Gefangen bei Brot und Wasser! Kain fing zu kauen an und verschlang beinahe alles ohne zu kauen, dann wollte er nach dem Glas greifen um die Brocken runter zu spülen. Sein Blick landete auf der Stelle, auf der das Glas gestanden hatte. Dort lag ein weißer Zettel auf dem mit dickem, schwarzen Filzstift:
 

An das Arschloch!

Liebes Arschloch,

Hör mal zu du Wichser! Du hast mich gestern aufgeweckt!

Weißt du, wie lange ich gebraucht habe um wieder einzuschlafen?

Kannst du dir das vorstellen?

Wenn du das noch einmal tust, wirst du in Zukunft im Dunkeln verrecken dürfen!

Du hast doch ‚Kill Bill’ gesehen? Nein, du bist nicht Bill!

Du bist Buck!

Kapiert Arschloch?

Kain starrte böse auf den Zettel und las ihn sich immer und immer wieder durch. Irgendwann zerdrückte er das Papier in seiner Hand und zerriss es dann in kleine Fetzen.

Er war in den Fängen eines Psychopathen gelandet!

War ja klar!

Resigniert widmete Kain sich wieder seinem Magen zu, aber die Worte hatten sich in seine Netzhaut eingebrannt, so dass es ihm unmöglich schien, sie aus seinen Gedanken zu verbannen. Plötzlich stieg ein Glucksen seine Kehle hoch, und während er seinen Hinterkopf gegen die Wand in seinem Rücken knallte, rannen ihm vor Lachen die Tränen übers Gesicht.

Er hatte eine Wahnsinnige vorm Einsperren gerettet und war jetzt selbst das Spielzeug für einen. Hier würde er wohl nicht mehr so schnell heraus kommen.

Etwas schwankend stand er auf und ging auf die Tür zu.

„Hey! Ich weiß, dass du da bist! Wach auf! Ich – will – hier – RAUS!“ Er hämmerte in einem gleichmäßigen Pochen gegen die Tür, während seine aufgesprungenen Wunden zu bluten anfingen und die weiße Oberfläche beschmierten. „MACH – DIE – VERDAMMTE – TÜR – AUF!!!“, hallte es durch den Raum. Jetzt trat er auch mit seinem Knie los. „Hallo, hier bin ich! Zeig dich doch wenigstens du Feigling! Was ist denn schon dabei? Oder bist du etwa zu schwach um dich mir zu zeigen? Hast du Angst vor mir? Bist du deswegen erst rein gekommen, als ich geschlafen habe? ZEIG DICH MIR!!!“, schrie er gegen die Tür.

Dunkelheit umhüllte ihn, wie ein Überfall von hinten. Ganz plötzlich.

„DU HAST ES SO GEWOLLT! GUTE NACHT BUCK!“ Die Stimme klang sehr, sehr jähzornig und passte zu dem Bild, das Kain sich schon von seinem Psychopathen gemacht hatte. Er setzte sich wieder auf den Boden und starrte mit offenen Augen ins Nichts.

Apropos ‚sein Psychopath’. Wo Celia wohl gerade war? Ob sie es geschafft hatte?

Oder hatten sie sie gefunden?

Kain konnte spüren, wie Sorge seine Brust umfing. Er hätte sie nie verlassen dürfen, niemals. Was hatte ihn dazu geritten, sie einfach zu verlassen? Er stöhnte leise, als sein Kopf wieder zu pochen begann.

Das konnte doch alles nicht wahr sein. Es durfte einfach nicht wahr sein. Seine Gedanken rasten im Kreis. Er kam nur immer wieder zu dem einen Gedanken.

Ob es jetzt aus ist?
 

Mitten in der Nacht wachte Kain auf. Warum? Nein, nicht weil der Boden zu hart war und auch nicht weil es ziemlich kalt war. Der Grund war, dass sein Psycho gerade dabei war ihn und seine Innereien in Mus zu treten. „ICH – HAB – DICH – GEWARNT – ABER – DU – HAST – ES – JA – SO – GEWOLLT“ brüllte Mr. Psycho-Dad während Kain zusammengekrümmt zu seinen Füßen lag und leise vor sich hin stöhnte.

Ja, so wie es aussieht ist es vorbei.
 

Es vergingen noch fünf lange Tage, bis ich wieder heil war.

Harry kam ein paar Mal vorbei um mir Essen und Verbände vorbei zu bringen, aber die Ausstrahlung, die ihn seit unserem ersten Treffen ausgemacht hatte, war verschwunden und er war immer bald wieder weg. Das brachte mich nur dazu, mich noch mehr hier weg zu sehnen.

In den fünf Tagen erkundete ich das Zimmer. Die Fenster verrieten mir, dass ich mich mindestens sechs Stockwerke über einer breiten, viel befahrenen Straße befand. Gegenüber war ein, wahrscheinlich ebenso hohes Gebäude im Romantikstil. Keine Ahnung warum ich das wusste, aber die Wahrscheinlichkeit war sehr groß, dass ich mich irrte. Mit ziemlicher Sicherheit war das der Fall.

Über so was, und noch mehr Unsinn machte ich mir in der Zeit Gedanken.

Das ganze Zimmer gab nicht viel her. Keine versteckten Laden, keine Geheimgänge, nichts, was mir helfen würde.

Mein Plan war…Ich hatte keinen Plan. Ich hatte eigentlich vorgehabt mich aus der Tür zu schleichen, aber ich war noch immer in diesem Zimmer, auf diesem Bett floh immer noch nur im Gedanken aus diesem niedlichen Zimmer mit den Blumen überall. Ich fühlte mich nicht gut, bei dem Gedanken so lange an einem Ort zu bleiben. Schließlich war ich auf der Flucht gewesen, bevor ich hier gelandet war. Da war es ja wohl kein Wunder, dass ich so schnell wie möglich weiter flüchten wollte, oder etwa doch? Ich war mir nicht ganz sicher, aber ich wusste, dass ich hier weg wollte.

Die Tür öffnete sich leise und Harry kam mit einem Tablett voller Essen in den Händen herein. Er trug ein schreiend pinkes Hemd und sehr enge Jeans.

„Hallo Süße! Wie geht es uns heute?“

„Ich weiß nicht, wie geht es uns denn?“, fragte ich zurück.

„Also mir geht es blendend.“, sagte er während er mir das Tablett in die Arme drückte und sich mit überschlagenen Beinen neben das Bett setzte.

Ich musste schon sagen, irgendwie hatte ich Harry gern. Es war nur so, dass, und ich konnte eigentlich nicht wirklich begründen weshalb, ich fühlte mich unwohl. Mein Unterbewusstsein brüllte mir zu, dass ich hier weg musste. Mein Fluchtinstinkt trampelte gefühllos auf meinem Verstand herum und dieser sagte mir, wenn er mal gerade funktionierte, dass die anderen beiden wohl irgendwo Recht haben würden. Ich durfte niemandem vertrauen. Das war für mich, und auch den anderen, zu gefährlich. Ich musste hier weg.

Ich musste Kain finden.

Wow, im Grunde musste ich wohl sagen, dass es mir ziemlich gut gelungen war das zu verdrängen. Tatsache war, dass ich ihn finden musste. Das war wohl wieder so ein Unterbewusstsseinsding…

„Miranda?“ Ich blickte auf und bemerkte, dass Harry mich verwirrt anstarrte. „Hast du keinen Hunger?“ Ich runzelte die Stirn und sah auf das Tablett. Heute gab es Joghurt mit Müsli. Ich nickte langsam und streckte träge meine Hand nach dem Glas Orangensaft aus.

„Weißt du?“, fing Harry neben mir wieder zu reden an, „Ich hab dich jetzt schon lang nicht mehr gefragt, aber wie geht es deinen Wunden? Ehrlich gesagt siehst du nicht gerade so aus als wärst du noch vor einer Woche dabei gewesen zu verbluten, weil dich irgendwer versucht hatte dich in der Mitte durch zu schnippeln.“ Er sah mich prüfend an und ich kam mir unter seinem Blick unwohl vor. Ich mochte es nicht, wie er mich ansah, als warte er auf eine bestimmte Reaktion.

Als hätte er es gemerkt, stand er auf, grinste mich noch schnell an und meinte: „Lass es dir schmecken, Liebes.“, bevor er lautlos das Zimmer verließ.

Ich stopfte mir das Müsli runter und spülte dann mit dem Saft nach. Rekordzeit. Im Essen war ich immer schon schnell gewesen. Bei dem Gedanken daran fing ich zu grinsen an. Vorsichtig stellte ich das Tablett auf den Hocker neben dem Bett und stand auf. Grübelnd zupfte ich an meinem Nachthemd. Wenn ich hier abhauen wollte, brauchte ich etwas Unauffälligeres. Fragend suchte ich das Zimmer mit meinen Augen ab. Wo sollte ich hier was zum Anziehen auftreiben? Ich tappelte auf die Kommode zu und kniete mich vor ihr hin. In der ersten Lade waren nur weiße Bettlaken. Laden Nummer zwei und drei waren oll mit Bettwäsche. Und Lade Nummer vier? Voller Hoffnung öffnete ich sie. Zuerst klemmte sie etwas und ich musste stärker an dem Metallgriff ziehen, aber plötzlich gab das Holz nach und ich landete mit einem Ruck auf dem Hintern. Ich mühte mich wieder auf und linste in die Holzlade, in diese leere, leere Holzlade.

Na toll, jetzt hatte ich endlich die Möglichkeit von hier abzuhauen und musste dabei müffeln wie was weiß ich, weil ich schon seit über einer Woche nicht mehr gebadet hatte und trug ein übergroßes Omanachthemd in dem ich aussah wie vor zweihundert Jahren.

Ich seufzte, raufte mir die Haare und ging zur Tür. Irgendwie würde ich schon einen Weg finden um zu Klamotten zu kommen. Sanft drückte ich die vergoldete Türklinke runter und das Schloss sprang lautlos auf. Ich streckte den Kopf vorsichtig durch den Spalt und prüfte ob wer zu sehen war, aber der schmale Gang war vollkommen leer. Meine nackten Sohlen machten leise Geräusche, als ich die ockerfarbene Wand entlang schlich, aber schon bald stand ich vor einer Wand. Ich drehte um und ging in die andere Richtung. Nach ein paar Metern musste ich um eine Ecke biegen und erreichte eine Treppe. Die Stufen knarrten unangenehm, als ich hinunter schlich und ich versuchte mein Gewicht besser zu verlagern. Es funktionierte, jedoch wurde ich auf diese Art so langsam, dass ich mein Tempo wieder etwas ankurbelte. Ich fühlte mich unwohl bei dem Gedanken daran solchen Lärm zu verursachen, wusste allerdings keine andere Möglichkeit.

Als ich am Fuß der Treppe angelangt war führte eine Stiege weiter nach unten und so ging es weiter. Jeder Gang, jede Treppe sah gleich aus und nach einigen Stockwerken kam es mir so vor als wäre ich in einer Endlosschleife gelandet, darauf verflucht hier ewig herum zu irren. Ich begann zu verzweifeln und als ich gerade von einer Stiege zur anderen weiter wollte rannte ich stattdessen beinahe gegen die Wand. Hier ging es nicht weiter. Ich drehte mich um und ging den Gang links von mir entlang. An den Seiten reihten sich schlichte Holztüren, aber Fenster gab es keine. Der Raum wurde schwach von Deckenlampen beleuchtet, wirkte allerdings trotzdem eher trist und deprimierend.

Als der Gang zu Ende war, stand ich vor einer Tür. Auch wenn sie nicht gerade anders aussah, als alle Türen in diesem Haus, hatte ich doch das Gefühl, dass ich hier auf dem richtigen Weg war. Ich öffnete sie vorsichtig einen Spalt breit und versuchte zu erkennen, ob jemand im Zimmer dahinter zu sehen sei, aber ich konnte nichts hören und sowieso nichts sehen und so schlich ich mich in den Raum. Niemand in Sicht.

Ich stand in dem leeren Zimmer und sah mich um. Die Wände waren weiß gestrichen und viele Fenster fluteten den Raum in hellem Licht. Es gab zwei Türen. Kurz stand ich unentschlossen da, dann wagte ich mich an die linke.

Im Raum dahinter befand sich niemand. Das Zimmer war von allen Seiten voll gestopft mit Bücherregalen, nur an einer Seite war Platz für ein Fenster geblieben, das Ausblick auf einen kleinen, schönen Hof gewährte. Davor stand ein gemütlich aussehender, roter Ohrensessel und ich bekam mit einem Mal das starke Bedürfnis mich in die weichen Kissen zu kuscheln. Einen kurzen schmerzhaften Moment dachte ich an Anja und ihr schreckliches Ende, als Kain sie ermordet hatte. Dann musste ich an Kain denken und mir kam wieder in den Sinn, dass ich von hier verschwinden musste.

Mein Blick fiel plötzlich auf einen Kleiderständer in der rechten Ecke. Ich nahm mir schnell den langen, schwarzen Mantel darauf und schlüpfte hinein. Er war mit Fell gefüttert und musste ein Vermögen gekostet haben. Der Stoff endete unter meinen Knien und meine Hände schauten aus den überlangen Ärmeln beinahe nicht mehr heraus.

Auf einmal streifte etwas warmes, seidiges mein rechtes Bein. Ich schreckte auf und konnte ein Kreischen noch so weit verhindern, dass nur noch ein krächzendes Quietschen seinen Weg aus meinem Mund fand. Verstört entdeckte ich eine vollkommen schwarze Katze, die sich zutraulich an mein Bein schmirgelte. Mein rasendes Herz beruhigte sich bei dem Anblick langsam wieder und ich versuchte wieder langsamer zu atmen. „Na, wer bist denn du?“, fragte ich das Tier leise.

Die Katze maunzte mich jetzt laut an und ging, als sie sich meiner Aufmerksamkeit sicher war, auf die Tür, durch die ich gekommen war, zu. Sie versuchte mir zu verstehen zu geben, dass sie raus wollte und ich öffnete ihr brav die Tür. Sie blitzte anmutig hindurch und ich folgte ihr langsam.

Als ich mich wieder in dem großen, leeren Raum von vorhin befand wartete das schwarze Tier schon vor der noch verbliebenen Tür auf meiner Entdeckungstour. Ich öffnete sie und gelangte so in einen eher kleinen Raum. Der Boden bestand aus schwarzen und weißen Fliesen und direkt gegenüber von mir befand sich eine weitere Tür, diesmal allerdings breiter und mit einem kunstvollen Metallrahmen verziert, der sich immer wieder verschnörkelte. Davor saß die Katze schon geduldig wartend und beobachtete aufmerksam alle meine Bewegungen, als ich den Raum durchquerte.

Ich öffnete die Tür und atmete frische Luft. Ich hatte den Ausgang gefunden. Euphorie stieg in mir hoch und ich wagte wieder zu hoffen. Dumm eigentlich, ich wusste schließlich nicht mal so genau auf was den nun eigentlich. Langsam machte ich einen Schritt nach draußen. Der Betonboden war kalt unter meinen nackten Füßen und ich drehte mich noch ein letztes Mal dem Haus zu. Die Tür stand noch immer sperrangelweit offen, aber von der Katze war nichts zu sehen. Ich machte noch schnell die Eingangstür zu um keine Aufmerksamkeit auf das Haus zu ziehen und machte mich auf der Straße nach rechts vom Acker.

Meine Füße waren schon nach kürzester Zeit zu Eisblöcken geworden, aber wenigstens der Mantel wärmte mich schön. Grundsätzlich hielt ich herzlich wenig von Mänteln aus Tierfell, aber dieses Ding schützte mich auf jeden Fall besser vor diesem eisigen Wind, als es so ziemlich jede Plastikjacke drauf gehabt hätte. Kurz gesagt, wenn man nichts als ein Nachthemd an hat ist man nicht mehr wählerisch.

Fröstelnd schob ich meine Hände in die Manteltaschen und erstarrte überrascht. Ich zog meine linke Hand wieder heraus und begutachtete die Ledergeldtasche, die meine Finger umgriffen. Sie war dunkelbraun und abgenützt und fühlte sich rau an. Vorsichtig öffnete ich sie und durchsuchte alle Fächer. Ausweis oder sonst irgendwas konnte ich nicht finden, aber…WOW! Da waren allen Ernstes Geldscheine im Wert von, von…sehr, sehr viel Geld drin. Zählen hätte zu lange gedauert, aber das war mit Sicherheit ein mehrstelliger Wert. Innerlich fing ich bei dem Anblick zu sabbern an.

Inzwischen hatte ich den Weg in die Zivilisation gefunden. Immer mehr Menschen begegneten mir auf meinem Weg und warfen einen kurzen abwertenden Blick auf meine blau-braunen Füße. Viele flüsterten sich dabei gegenseitig irgendwelches Kauderwelsch zu. Zu meinem Bestürzen konnte ich kein Wort verstehen, sie sprachen eine vollkommen andere Sprache. Ich hatte zwar keine Ahnung um welche es sich dabei wohl handeln mochte, aber für französisch näselte und quiekte es zu selten und italienisch konnte ich auch mit Bestimmtheit ausschließen, dafür war es hier viel zu kalt. Was den Rest anging, die Welt war groß.

Das, was ich wirklich wissen wollte war im Grunde ganz einfach.

Wo, verdammt noch mal, war ich hier?

Auf meinem Weg kam ich in ein Geschäftsviertel und ich besorgte mir Gewand und Schuhe, die ich mir in der ersten öffentlichen Toilette, die ich finden würde, anziehen wollte. Diesmal hatte ich mehr Glück und ich kam (ganz ohne gemeinem Fettsack) auf einem Bahnhof zu meiner geliebten, wenn auch unhygienischen Kloschüssel. Hatte ich erwähnt, dass ich in der letzten Woche in eine Bettpfanne gemacht hatte? Igitt! Da tat es schon ganz schön gut wieder sitzen zu können. Die Trefferquote stieg dadurch ungemein.

Nun fing ich an mich auszuziehen, gaaanz langsam…Hey stopp! Das hier ist kein Porno, verdammt noch mal! Wenn ihr einen Porno wollt müsst ihr euch ein Vampirkitschbuch kaufen. Das ist die weibliche Antwort auf den Playboy…

So, wo war ich? Ich zog mich also gerade aus. In der Klokabine war es eiskalt und ich bekam gleich eine Gänsehaut. Der Versuch, meine Oberarme warm zu rubbeln, scheiterte und ich begann leise zu bibbern. Als ich das Nachthemd losgeworden war, sah ich mit meinen Verbänden wie jemand aus, der sich voll laufen lassen hat, dann versucht hat sich als Mumie zu verkleiden und schließlich auf dem Weg zur Party von einem Bus angefahren worden ist und sich dann auf dem Bahnhofsklo verkrochen hat. Genau so hätte es mir unter anderen Umständen passieren können…war es passiert? Konnte sein, genauer genommen konnte alles passiert sein während ich besoffen war. Danach erinnerte ich mich meistens an gar nichts.

Nun begann ich jedenfalls meine Besoffene Mumie wird von Bus überfahren-Bandagen abzuwickeln. Schon nach kürzester Zeit kamen unter dem Verband rote Striemen, blaue Riesenflecken und dunkelrot verfärbte Narben zu sehen. Mein ganzer Bauch war davon übersäht und am Rücken konnte ich die Vernarbungen auch spüren. Mir wurde schwindlig und ich musste mich auf den verdreckten Klodeckel sinken lassen.

Insgesamt wurde 15-mal auf dich eingestochen.

Oh Gott…das musste ich jetzt erst mal verdauen. Nein, musste ich nicht! Ich beugte mich ruckartig vor und kotzte mit dem Kopf zwischen den Füßen auf den sowieso dreckigen Boden. Nach ein paar Minuten hörte der Raum auf sich um mich zu drehen und plötzlich fing ich auch an zu registrieren, dass ich splitterfasernackt in einer eiskalten Klokabine saß. Ohne dass ich es mit gekriegt hätte, hatten meine Zähne zu klappern begonnen. Mit aller Kraft, die mir verblieben war, sammelte ich mich wieder und stand auf. Langsam und schon beinahe zärtlich zog ich mir den weichen Rollkragenpulli und die Jeans über die empfindliche Haut.

Fertig angezogen kam ich aus der Kabine und sah mich seit ich geflohen war zum ersten Mal wieder in einem Spiegel. Der Schnitt auf der Wange war inzwischen schon verblasst und schimmerte nur noch rosa und mein blaues Auge war auch kaum noch zu erkennen. Beinahe hätte ich ganz normal aussehen können, wäre da nicht diese ungesund blasse Gesichtsfarbe gewesen. Meine Augen waren von dem ganzen Stress dunkel unterlaufen und so sah ich aus, als wäre ich gerade aus einer Gruft ausgebrochen. Mein Halsverband, der eigentlich unter dem Rolli verschwunden war, gab der Sache noch das gewisse Etwas, also begann ich ihn langsam abzunehmen. Die Haut darunter war gelblich verfärbt und die Wunde zog sich von der einen Seite auf die andere. Der Schnitt sah so aus, als würde er jederzeit wieder zu bluten anfangen können. Schockiert betastete ich die dünne Haut, die sich bereits über das offene Fleisch gezogen hatte.

In diesem Moment platzte eine aufgetakelte Blondine in den Waschraum und erstarrte bei meinem Anblick. Sie redete mit einer, mir fremden Sprache, auf mich ein. Schnell und etwas hysterisch. Ich zischte ihr ein „Verpiss dich, Schlampe!“ zu und sie verschwand wie auf Befehl sofort wieder aus dem Raum.

Ich verdeckte den Schnitt mit dem Rollkragen, knöpfte dem Mantel zu und verließ etwas ruhiger als die Blondine von vorhin den Waschraum.

Die notgeile Sau und ich

In gleichmäßigem Trott bewegten sich meine Beine auf dem kalten Asphalt, während meine Augen in der Umgebung umher schweiften. Ich war irgendwann in dieser Wohnsiedlung gelandet, wo sich die Häuser an beiden Seiten, der beinahe unbefahrenen Straße, hinter hohen Mauern und Hecken versteckten. Anscheinend lebten hier die oberen Zehntausend von, wo auch immer ich hier war. Wo wir schon mal dabei waren, das war offensichtlich eine wichtige Frage, der ich mich noch viel zu wenig gewidmet hatte.

Wo, zum Teufel, bin ich hier?

Gute Frage, wirklich gute Frage… Dummerweise hatte ich keinerlei Ideen, was die Antwort betraf. Dumme Sache, wirklich dumme Sache…

Plötzlich fiel etwas kleines, nasses sachte auf meine Wange. Ich hob den Kopf gen Himmel und konnte sehen, wie feine Schneeflocken von oben herab segelten und sich in meinen Haaren verfingen.

Ich hatte schon seit Stunden keine Ahnung mehr, wohin ich sollte. Das Einzige, was ich gerade wollte, war was zu essen. Ja, genau! Ich hatte schon wieder mal Hunger! Aber es gab einen großen Unterschied zu den letzten beiden Wochen, ich hatte Geld und war in der Lage selbst einzukaufen. Klingt toll, nicht wahr?

So also war es gekommen, dass ich nun orientierungslos in der Gegend umher lief, ohne Schimmer wo ich, da wo ich war, hin sollte. Ist das logisch?

Nach einer halben Stunde ungefähr hatte ich das Ende der Reichensiedlung erreicht und stand nun wieder vor einer breiten Hauptstraße. Ich folgte den Fußgängern, die ich am Straßenrand entdeckt hatte und landete so ein paar Minuten später in der Altstadt von, was weiß ich wo. Ich suchte mir ein Restaurant und wurde sogar, hurra, fündig. Der Laden war im Stil der Dreißiger eingerichtet. Das Licht war schummrig gehalten, und wurde nur von den Kerzen beleuchtet über die sich Liebende mit einander flüsternd unterhielten. An den Wänden hingen Kunstbilder und die Tische waren durch Raumteiler abgegrenzt. Genau das Richtige für mich! Ich suchte mir den mit Abstand dunkelsten, entferntesten und verstecktesten Tisch im ganzen Restaurant aus und versuchte bei dem Licht die Speisekarte zu entziffern.

Ich scheiterte natürlich kläglich, aber musste das überhaupt noch erwähnt werden?

Jedenfalls kam ein paar Minuten später ein Kellner zu meinem Tisch und brabbelte irgendwas dahin. Er hatte schwarze Haare, die er klischeehaft zurück frisiert hatte und trug einen klassischen Frack. Ich konnte ihn nur verständnislos anstarren und antwortete flüsternd: „Tut mir Leid, ich versteh kein Wort. Bin nicht von hier.“ Seine Miene hellte sich sofort auf, das konnte ich sogar im Dunkeln erkennen. Er antwortete mit starkem Akzent: „Ah, eine junge Engländerin. Verzeihen Sie bitte gnädige Dame. Ich hole Ihnen sofort die Speisekarte auf Englisch.“ Er drehte sich höflich um und kam keine zwei Minuten später mit einer neuen Karte zurück, dann ließ er mich wieder allein.

Ich arbeitete mich hindurch, bis ich an einem Menünamen hängen blieb. Kopenhagen-Spezial Hmmm… Kopenhagen also. War das nicht in…lasst mich überlegen! Das ist doch in Dänemark, nicht wahr? Ja, ja, stimmt schon! In Geographie war ich noch nie wirklich gut gewesen, aber das war mir in diesem Augenblick egal. Ich wusste jetzt wenigstens wo ich wahr. Das brachte mich aber schon zur nächsten Frage.

Wie bin ich hier her gekommen?

Also ich bitte um Applaus! Das war doch wieder mal eine Frage, die es auf den Punkt brachte, nicht wahr? So wie es aussah, musste Harry mich hier her gebracht haben. Er hatte schließlich gesagt, dass er mich in St. Albans gefunden hatte.

Der Kellner kam wieder und unterbrach so meine Gedanken. Ich bestellte mir einen Jack Daniels und ein Fischfilet. Gott sei Dank musste ich nicht lange auf meine Bestellung warten. Diese wiederum musste nicht lange darauf warten verputzt zu werden. Ich bestellte mir gleich noch einen Daniels und dann noch einen…und noch einen. Dann spielte meine Blase nicht mehr mit und ich ging leicht schwankend auf die Toilette, die ich sogar fand!

Als ich wieder an meinen Tisch kam lag an meinem Platz ein weißer Umschlag auf dem mit feiner, schöner Schrift An Celia Grant stand. Mein Herz fing bei diesem Anblick sofort wild an zu schlagen und als meine Finger über das glatte Papier strichen, glaubte ich einen kurzen Moment lang umzukippen. Ich setzte mich hin. Mir war schwindlig als ich den Brief heraus zog und anfing die Zeilen zu lesen:
 

Sehr geehrte Celia Grant,

Wir wollen Sie hiermit darüber in Kenntnis setzen, dass wir über die gegenwärtige Lage Ihres Reisebegleiters Kain Jonnson, ehemaliges Pendel-Mitglied, informiert sind. Wir rechnen damit, dass Sie diese Informationen gerne erhalten wollen und werden Ihnen deswegen anbieten sich mit uns heute, am 17. November um 18 Uhr im Tivoli, am westlichen Rand zu treffen. Um garantieren zu können, dass Sie den Weg problemlos finden werden, haben wir uns erlaubt hiermit eine Stadtkarte beizulegen.

Mit den besten Empfehlungen wünschen wir Ihnen noch einen wunderschönen Aufenthalt in Kopenhagen.
 

Hier endete der Brief. Meine zitternden Hände hielten das filigrane Papier krampfhaft umschlossen und es kostete mich einiges an Mühe den zerknitterten Brief wieder los zu lassen.

Plötzlich wurde ich von der Seite angesprochen. „Kann ich Madame noch etwas anbieten?“ Ich drehte den Kopf erschrocken zur Seite und sah, wie der Kellner mit dezentem Auftreten fragend vor mir stand. „Haben Sie mir diesen Brief hier her gelegt?“, fragte ich ihn mit schärferer Stimme als ich beabsichtigt hatte. Der Kellner blieb allerdings ruhig. „Ich fürchte ich muss Sie enttäuschen, Madame. Das war ich nicht.“

„Haben Sie vielleicht gesehen, wer es gewesen ist?“

„Auch da muss ich Sie enttäuschen. Ich habe niemanden gesehen. Kann ich sonst noch etwas für Madame tun?“ Einen kurzen Moment zog ich in Betracht mir noch einen Whiskey zu bestellen, verwarf diese Idee ausnahmsweise aber gleich wieder. Dank dem Schock von eben war ich wieder vollauf nüchtern und ich hatte so das Gefühl, dass das so bleiben sollte. „Nein, aber vielen Dank. Ich würde jetzt gerne zahlen.“

„Sehr wohl, Madame.“ Er kramte so ein Elektroding hervor und tippte darauf herum, dann blickte er wieder auf. „Das macht dann genau 23, 50€, wenn ich bitten darf.“

Ich gab ihm 25€ und blieb noch ein paar Minuten grübelnd sitzen, dann nahm ich den Umschlag und zog triumphierend die Stadtkarte, von der im Brief die Rede gewesen war, hervor. Auf der Karte waren zwei Kreuze eingezeichnet. Das eine da, wo ich mich gerade befand, das andere dort, wo ich hin sollte. Es war schon ein ganzes Stück dazwischen. So, wie es aussah handelte es sich beim Tivoli um eine Art Park, oder so. Dann sollte ich mich mal auf den Weg machen, nicht wahr?
 

Es schneite jetzt schlimmer, als vorher. Die Schneeflocken wirbelten umher und hatten bereits eine dünne Schneeschicht am Boden hinterlassen. Eine Uhr in der Auslage von einem Schmuckgeschäft verriet mir, dass es gerade vier war. Das hieß ich hatte noch zwei Stunden. Dank meinem hervorragenden Orientierungssinn würde ich sowieso so lange brauchen. Das nennt man wohl berechnende Voraussicht.
 

Eine dreiviertel Stunde später stand ich vor der Eintrittskasse des Vergnügungsparks Tivoli an. Die Frau hinter dem Gitter sah müde und geschafft aus. Ihre braunen Haare hingen ihr in Strähnen ins Gesicht als sie mich fragend ansah.

„Ich hätte gerne eine Eintrittskarte, bitte.“, sagte ich freundlich. Die Frau unterdrückte sichtlich ein Gähnen. „Tut mir Leid. Wir jetzt zusperren. Komm morgen wieder.“, meinte sie abweisend in brüchigem und fehlerhaften Englisch. Wie bitte?!?

Ich zischte sie entsetzt an. „Ich muss aber da rein, es geht wirklich um Leben und Tod.“

„Hmmm, nicht meine Schuld. Wir jetzt schließen.“

„Ich muss da aber jetzt rein, verdammt noch mal!“, quietschte ich sie böse in den höchsten Tönen an, aber ihre einzige Reaktion war ein gleichgültiges Schulterzucken. Diese Frau hatte offensichtlich nicht die Absicht, sich um anderer Leute Probleme zu kümmern.

Lass mich da jetzt sofort rein, du verdammte Crackhure!“, schrie ich so laut ich konnte.

In dem Moment kam von rechts ein weißhaariger Mann in Anzug auf mich zu. „Kann ich Ihnen behilflich sein? Ich arbeite hier.“

„Ich muss da rein.“, quetschte ich hervor und zeigte verzweifelt in Richtung Park.

„Madame Grant? Celia Grant?“, fragte mich der Mann. Ich konnte spüren, wie mir heiß wurde, als ich nickte.

„Es wurde etwas für Sie hinterlegt, entschuldigen Sie vielmals. Annika muss das vergessen haben.“ Er deutete auf die Frau hinter der Kasse mit der er nun einige scharfe Worte auf Dänisch wechselte. Annika war gezwungen nachzugeben und legte ein kleines Packet auf den Drehboden der Glaswand vor ihr. Der Mann, der offensichtlich ihr Vorgesetzter war, nahm das Päckchen auf der anderen Seite entgegen und reichte es mir feierlich. Ich dankte ihm und ging.

An der nächsten Ecke fand ich eine eingeschneite Parkbank, auf die ich mich setzte. Ich betrachtete das Packet. In der gleichen Schrift, wie auf dem Brief, stand dort mein Name. Ich riss das Papier unachtsam auf und öffnete die Kartonschachtel, die darunter hervor kam. Darin befanden sich ein Schlüssel mit vergoldetem Hotelanhänger und ein erneuter Brief mit Karte. Im Brief stand:
 

Sehr geehrte Celia Grant,

Es freut uns zu erfahren, dass Sie den Weg offensichtlich gefunden haben.

Wie Sie mit Sicherheit bereits bemerkt haben, haben wir der Schachtel außerdem einen Schlüssel beigelegt. Dieser Schlüssel gehört zu dem Zimmer 52 im Imperial Hotel. Dieses ist auf der beigelegten Karte vermerkt.

Wir freuen uns auf Ihr Eintreffen.
 

Mich würde mal brennend interessieren wer wir waren. War ich gerade dabei mitten in die Arme des Mannes zu laufen, vor dem ich seit zwei Wochen auf der Flucht war? Dies wäre wohl äußerst unklug, aber hatte ich eigentlich eine Wahl? Sie wussten, wo Kain war, und wenn das wirklich wahr war, dann musste ich doch dort hin. Schließlich hatte Kain genauso sein Leben für mich riskiert. Genau so war es und nicht anders.

Ich musste dort hin.
 

Dieses Mal nahm ich mir ein Taxi. Ich hatte keine Ahnung, warum ich vorher zu Fuß gelaufen war, aber die frische Luft hatte mir gut getan. Die Fahrt dauerte vielleicht eine Viertelstunde, aber das hinderte den Taxifahrer nicht daran mich nach Strich und Faden abzuzocken. Ich meine 50 € für 15 Minuten?! So dreist war noch nicht mal ich… wahrscheinlich.

Ich hatte keine Zeit mich aufzuregen und bezahlte den Mann wortlos mit bösem Blick, dann ging ich auf das moderne Gebäude zu. So unauffällig, wie ich konnte, durchquerte ich die große Eingangshalle und wartete auf den Aufzug. Im ersten Stock stieg ich aus und begab mich auf die Suche nach Zimmer Nummer 52.

Ich musste ein paar Mal umbiegen und so dauerte es ein bisschen, bis ich den richtigen Gang gefunden hatte. Ab da ging es schneller und keine zwei Minuten später stand ich vor der Tür mit der goldenen 52. So vorsichtig, wie es mir möglich war, drückte ich mein rechtes Ohr an die kalte Tür und versuchte ein paar Momente etwas zu erlauschen …vergeblich.

Etwas unsicher fingerte ich den Schlüssel langsam hervor und drehte ihn dann vorsichtig im Schloss um. Die Tür sprang lautlos auf und ich ging hinein. Ich blickte schnell im Zimmer umher und erstarrte. Im Sessel in der rechten Ecke des Zimmers saß vollkommen gelassen Harry und schaute mich abwartend an. Ich wollte wieder aus dem Raum flüchten, aber bei dem Gedanken an den Grund dieses Treffens war mir klar, dass das wohl nicht zu den Optionen gehörte. Also schloss ich die Tür hinter mir und trat in die Mitte des Zimmers vor.

„Hallo Miranda.“, sagte Harry mit ungewöhnlich ruhiger Stimme.

„Hallo Harry.“

„Wie ich sehe ist es dir nicht schlecht ergangen, Miranda. Du bist weder erfroren noch verhungert, ich habe mir wohl grundlos Sorgen gemacht.“

„Was soll das alles hier, Harry? Warum hast du mich nach Kopenhagen gebracht? Was hast du mit Kain zu tun und vor allem wo ist Kain?“, verlangte ich mit zusammengekniffenen Augen von ihm zu wissen. Harry ließ sich nicht beeindrucken und grinste mich nur schwach an. Er sah anders aus als sonst, er trug ein dezentes Hemd mit schwarzer Hose. An seinem Auftreten war nichts Knalliges und Schreiendes mehr. Er wirkte so ruhig.

„Es wäre wohl besser, du würdest dich setzten.“ Er deutete einladend auf das gemütlich wirkende Doppelbett neben ihm. Wenn auch etwas zögernd, setzte ich mich auf das Bett und sah ihn abwartend an.

„Ich nehme mal an, dass du das Geld im Mantel entdeckt hast. Gut so, damit hab ich gerechnet.“, setzte er an. „Wo soll ich anfangen? Ach ja … mein Name ist Harold Sebastian Meyers, meines Zeichens Herr über die Dämonen.“ Seine Augen hingen berechnend an meinem Gesichtsausdruck. Dieser war gerade dabei jegliche Form zu verlieren.

W-Wie bitte?“, stotterte ich. „Was soll das heißen?“

„Ich bitte dich, ruhig zu bleiben, Miranda.“

„Warum nennst du mich immer noch Miranda? Du kennst doch meinen richtigen Namen!“, quietschte ich ihn an.

„Was bedeuten schon Namen? Rede ich mit jemand anders wenn ich mit Celia Grant spreche? Ich bezweifle es, aber auf deinen Wunsch hin, kann ich dich auch Celia nennen, wenn dir das lieber ist.“

„Ist es!“, stellte ich bestimmt fest.

„Also gut Celia Grant, dann erzähle ich dir jetzt eine kleine Geschichte. Vor ungefähr 26 Jahren verschwand deine Mutter spurlos. Sie war wie vom Erdboden verschluckt. Keinen Tag bevor man ihr Verschwinden entdeckte hatte man deinen Vater tot aufgefunden, Celia.“

„Mein Vater?“ Meine Mum hatte nie auch nur ein Wort von ihm erzählt. Ich wusste rein gar nichts über ihn.

„Genau. Michael Grant verblutete auf Grund einer Schussverletzung.“

Er verblutete? Wie kann das denn sein?

Harry musste meinen verwirrten Gesichtsausdruck wohl richtig gedeutet haben. „Du hast es erfasst Celia Grant. Wir sind nun an einem Punkt angelangt, an dem nur wir beide wissen können, um was es geht. Denn nur wir beide können wissen, dass dieser Mann nicht dein Vater gewesen sein kann. Er ist verblutet und das wäre unmöglich, wäre er wirklich dein Vater gewesen. Deine Gabe schneller zu verheilen, wie ich sie an dir entdeckt habe, muss dir dein Vater vererbt haben, aber Michael Grant hatte diese Gabe offensichtlich nicht. Du kannst mir doch folgen, nicht wahr?“ Ich nickte langsam und er redete weiter. „Ich mag dich Celia Grant und deswegen werde ich dir erzählen, was ich weiß. Der Orden sucht dich, Abe sucht dich.“

„Aber warum?“

„Ich bin mir nicht sicher. Du hast bestimmt schon von den verschwundenen Pendlern gehört? Sie gehörten ausnahmslos zu den 7 Gründerfamilien, so wie du. Abe steckt dahinter. Er hat mich in der Hand und somit auch meine Dämonen.“

„Wieso tut er das und warum gehorchst du ihm?“, fragte ich ihn skeptisch.

„Ich weiß nicht genau was er damit bezweckt. Möglicherweise möchte er auf diese Weise den Orden zerstören und im Moment sieht es so aus, als hätte er Erfolg dabei. Es geschehen immer mehr Dinge, die das Gleichgewicht fatal stören. Was das andere angeht, Abe hat etwas von mir, etwas sehr wichtiges, aber das ist eine andere Geschichte.“

Er war einen Moment lang ganz still und wirkte abwesend. „Abe weiß nicht, dass du von einer der 7 Familien abstammst, aber irgendetwas möchte er trotzdem von dir. Er hat mich dazu beauftragt, dich zu finden und dir dies zu sagen. Sie haben Kain Jonnson, Celia, und sie werden ihn erst frei lassen, wenn du dich Abe freiwillig auslieferst.“

„Aber warum das alles? Ich verstehe es nicht. Warum hast du mich nach Kopenhagen gebracht? Was soll ich hier? Warum hast du mich nicht direkt bei Abe abgeliefert? Warum muss Kain da als Druckmittel dienen? War es Absicht, dass ich von diesem Typen niedergestochen worden bin? Warum hast du mich laufen gelassen und mir auch noch mit dem ganzen Geld geholfen? Hast du die Briefe geschrieben?“ Ich hielt inne um zu verschnaufen und konnte hören wie Harry laut pfiff.

„Also wirklich! Das nenn ich mal viele Fragen! Und alle sind sie wichtig. Du willst wissen, was du in Kopenhagen machst? Das ist leicht. Hier ist mein Hauptwohnsitz, ich liebe diese Stadt. Und, was wolltest du noch alles wissen? Ich hab dich deswegen nicht bei Abe abgeliefert, weil er ausdrücklich verlangt hat, dass du freiwillig zu ihm kommst. Deswegen auch die Sache mit deinem Kain. Deswegen ist er das Druckmittel. Was den Typen angeht, der dich überfallen hat, so kann ich dir zumindest garantieren, dass das keiner von meinen Leuten war, allerdings wurde mir gesagt, dass ich dich ungefähr dort außer Gefecht gesetzt finden würde. Die Briefe habe nicht ich geschrieben, ich wurde nur dazu beauftragt sie zu überbringen.

Das ist alles, was ich dir zu sagen habe Celia Grant. Sei dir gewiss, es ist etwas besonderes, dass ich dir geholfen habe und es ist nicht sicher, dass ich es je wieder tun werde.“

Er stand auf und streckte mir einen weiteren Briefumschlag entgegen. Ich nahm ihn und da sagte Harry feierlich: „Lebe wohl, Celia Grant und alles Glück, das es gibt auf dieser grausamen Welt. Du wirst es mit Sicherheit brauchen.“ Mit diesen Worten verschwand er durch die Tür.

Ich seufzte und ließ mich zurück auf das Bett fallen. Das waren viel zu viele Informationen gewesen und mein Kopf fühlte sich so schrecklich schwer an. Nach einer halben Ewigkeit, so schien es mir, setzte ich mich wieder auf und öffnete den Brief.
 

Sehr geehrte Celia Grant,

Es freut uns zu erfahren, dass Sie diesen Brief erhalten haben.

Hiermit berichten wir Ihnen, dass Sie die Gelegenheit haben Kain Jonnson die Freiheit zu schenken. Das Einzige, was Sie dazu tun müssen, ist, sich morgen, am 18. November in diesem Zimmer zu befinden. Im Laufe des Tages werden Sie aufgesucht werden. Weitere Informationen erfahren Sie dann.

Mit den besten Empfehlungen.
 

Ich schaute noch einen kurzen Moment auf die feinen Linien und legte dann den Brief zur Seite. Ich musste also nur in diesem Zimmer bleiben? Die letzten paar Stunden meines erbärmlichen Lebens in einem Sechssternehotel? Da wusste ich, was zu tun war!

Zuerst ließ ich mir ein Bad in dem großen Whirlpool ein, mit gaaanz viel schön duftendem Schaum. Ich ließ mich über zwei Stunden in dem warmen Wasser einweichen.

Danach machte ich es mir neben der Minibar und vor dem Fernseher gemütlich. Ich ließ mich mit allem, was ich in dem kleinen Kühlschrank finden konnte, voll laufen und das war nicht gerade wenig. Schon nach kurzem konnte ich nicht mehr gerade sitzen und die Wörter, die der Fernseher von sich gab, ergaben auch keinen Sinn mehr. Ja, gut, das hatten sie auch schon vorher nicht gemacht, aber ich hätte so oder so kein Wort mehr verstehen können. Wie zu erwarten döste ich irgendwann im weichen Hotelbademantel neben der dänischen Version von ‚Columbo’ ein. Gute Nacht Celia, auch wenn’ s das letzte Mal ist…
 

Viel zu früh wachte ich am nächsten Morgen von dem lauten Pochen von der Tür auf. Also kein ‚noch ein letztes Mal ausschlafen’ für die arme Celia. Ich raufte mir die Haare und rollte mich kraftlos zur Seite. Wie spät war es eigentlich? Im Zimmer war es stockdunkel und das lag mit Sicherheit nicht an meinen nur halb geöffneten Augen. Nun rutschte ich ungeschickt von der Bettkante und kämpfte von dort mit meiner Selbstbeherrschung um nicht sofort wieder am Boden eingerollt weiterzuschlafen. „Ms Schiller? Madame Miranda Schiller? Sie haben gewünscht aufgeweckt zu werden? Ich muss mich entschuldigen Sie auf solch grobe Art und Weise zu wecken, aber wir haben im Moment ein technisches Problem mit unserem Haustelefon. Madame Schiller, Sind Sie wach?“, schien die Tür in tiefer Männerstimme auf mich einzureden. Madame Schiller? Dafür musste wohl Harry verantwortlich sein. Ich krächzte ein leises „Ich komme gleich.“, und stolperte auf die Tür zu. Ich riss sie auf und musste die Augen zukneifen, weil ich das grelle Licht vom Gang blendete.

„Wie spät ist es denn?“, fragte ich den Hotelangestellten, der in roter Uniform vor mir stand. Er hatte hellbraune Haare und freundliche Augen mit denen er mich betrachtete. Als er sprach konnte ich trotz Anstrengung beinahe keinen Akzent in seiner Stimme hören. „Es ist 7 Uhr morgens, Madame. Um diese Uhrzeit wollten Sie doch geweckt werden, nicht wahr Madame?“ Mit Sicherheit nicht! Eigentlich wollte ich ihm das an den Kopf schleudern, aber dann ließ ich es doch sein. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass es das arme potentielle Opfer meiner Aggressionen nicht verdienen würde, was ich zu sagen hätte. Also war ich ausnahmsweise ein nettes Wesen (-ernsthaft!) und nickte nur langsam. Ich versuchte sogar dem Mann ein Lächeln zu schenken, aber meine Mundwinkel befanden sich immer noch im Halbkoma und ich brachte daher nicht gerade viel zusammen. „Danke“, krächzte ich dann noch schnell. Mein menschlicher Wecker bestand natürlich darauf, dass ‚das nicht der Rede’ wäre und verabschiedete sich höflicher, als ich es mein ganzes Leben bis jetzt gewesen war. Ich fragte mich im Unterbewusstsein leise, ob ich wohl je wieder die Chance haben würde dies zu ändern.

Ich schloss leise die Tür wieder hinter mir und ließ mich auf das große Bett fallen. Das Seltsame, wirklich Seltsame war, dass ich keine Angst hatte. Eigentlich hätte ich mir bei dem Gedanken daran in die Hosen machen müssen, aber der flauschige Bademantel, in den ich mich gewickelt hatte blieb eindeutig trocken. Innerlich blieb ich vollkommen unberührt, wie leer. Ich war nahezu völlig taub. Möglicherweise war dies eine Art Schutzinstinkt? Vielleicht war meinem Unterbewusstsein klar, dass dies der einzige Weg war um mich daran zu hindern einfach weg zu laufen und dass das der einzige Weg war Kain zu retten. Aber war es wirklich Schuldbewusstsein, das mich so sehr dazu antrieb meinen Retter wiederum zu retten? Fühlte sich Schuldgefühl wirklich so aufopfernd an? Und warum fiel es mir so schwer das zu glauben? Im Grunde hatte doch ich daran Schuld gehabt, dass wir uns getrennt hatten. Es war kindisch und (viel zu) pubertär von mir gewesen, schließlich hatte er nichts dafür gekonnt, dass Abe ihn dazu gezwungen hatte mein Gedächtnis auszunehmen wie eine Weihnachtsgans. Spätestens als er mich dann vor Abe gerettet hatte, hatte er das wieder gut gemacht. Ich kam so oder so nur zu einem einzigen Schluss.

Es war meine Schuld. Verpflichtete mich das nicht nahezu dazu ihn zu retten? Nur, warum hatte ich dann nicht das Gefühl, dass ich es aus Verpflichtung tun würde. Und was war es dann? Um es auf den Punkt zu bringen, ich hatte keine Ahnung und im Grunde wollte ich es auch gar nicht wissen.

Ich streckte mich auf dem Bett zur Seite und krallte mir die Fernbedienung, mit der ich dann im dänischen Fernsehen herum zappte, aber schon nach wenigen Minuten verlor ich die Lust daran diesem, mir unverständlichen Kauderwelsch zu lauschen. Ich knallte das kleine silberne Kästchen mit voller Wucht an die Wand in der gegenüberliegenden Ecke und drehte mein Gesicht in die weichen Kissen. Ich konnte die Fernsehbedienung splittern hören und rollte mich auf dem Bett unter der Decke zusammen. Die konnten mich alle mal! Wenigstens noch ein einziges Mal ausschlafen…
 

„Ms. Celia Grant.“, flüsterte mir die monotone Stimme neben mir zu. „Ich bitte Sie jetzt aufzuwachen. Es ist an der Zeit.“

Es war an der Zeit. Dieser Satz drang schließlich in mein Bewusstsein vor. Nun war es also so weit. Ich öffnete die Augen und war ganz plötzlich vollkommen wach. Ich setzte mich langsam auf und mein Blick fiel das erste Mal auf meine Gäste. Direkt vor mir ragte ein Mann in grauem Anzug in die Höhe. Er hatte schwarze Haare, die bereits von grauen Strähnen durchzogen waren und einen dermaßen ausdruckslosen Blick, wie ich ihn wohl noch nie gesehen hatte. Neben ihm stand er gleich noch zwei Mal. Quieeetssch! Stoppt das Klonen! Diese drei Typen sahen wirklich alle gleich aus. Wie gruselig… Ob sie wohl Zwillinge waren? Klon Nummer 1 unterbrach meine Gedankenwege. „Ms Grant, Ich bitte Sie jetzt mitzukommen.“ Alle drei standen sie da, einer neben dem anderen und das Einzige, was sie gemein hatten war… genau alles. Sie schauten mich alle so erwartungsvoll wie Betonklötze an und ich stand auf. Schaute an mir hinab. „Ähm… Könnte ich mich vielleicht noch umziehen?“ Sie sahen alle ein bisschen dumm aus der Wäsche und irgendwie war mir das Warten zu blöd. Ich drehte mich einfach um und ging ins Bad. Ich konnte mir nur schwer vorstellen, was diese Spießer dagegen machen sollten, trotzdem war ich angespannt und schlüpfte deswegen schneller als sonst in meine Sachen. Eine bequeme und saubere Jeans und meinen Rollkragenpullover. Dann, ohne dass ich es bemerkt hätte, hatte ich plötzlich die Geldtasche in der Hand. Warum war sie denn nicht in der Manteltasche? Hatte ich sie hierher getan? Ich sah hinein. Es waren noch immer ein paar hundert Euro da. Was sollte ich damit anfangen? Irgendwie zweifelte ich stark daran, dass es was bringen würde das Geld mit zu nehmen. Wahrscheinlich würden sie es mir dann sowieso wegnehmen. Einen Moment starrte ich abwesend auf die Geldscheine. Der Moment zog sich in die Länge und ich konnte meine Augen immer noch nicht davon losreißen, bis ein plötzliches Klopfen an der Tür nachhalf. „Ms. Grant? Alles in Ordnung?“, fragte der Klon mich. „Alles okay, ich will mich nur noch anziehen. Das wird doch wohl kein Problem sein, nicht wahr?“ Es kam keine Antwort und ich wandte mich wieder dem Geld zu. Was war, wenn ich es hier ließ? Irgendwo, wo es keiner fand? Wenn ich Glück hatte konnte ich dann später wieder hierher zurückkehren und es holen. Ich stieg vorsichtig auf den Whirlpoolrand und zog an dem Luftschachtgitter. Das hatte ich mal in einem Film gesehen. Das Gitter gab nicht nach und ich zog immer fester bis es sich endlich löste und ich in hohem Bogen auf dem Boden landete. Der flauschige Teppich unterdrückte das Geräusch des Aufpralls, aber es hinderte den harten Boden nicht daran mein Becken zu misshandeln. Ich unterdrückte ein Stöhnen und hoffte, dass die Klone draußen nichts davon mitbekommen hatten. Dann zog ich mich am Waschbecken wieder hoch, klaubte das Gitter auf, holte mir die Geldtasche und kletterte erneut auf den Badewannenrand. Einen Augenblick lang verlor ich das Gleichgewicht und schwankte nach hinten bevor ich die Balance wieder fand. Danach legte ich das Portemonnaie in den Luftschacht und schloss ihn wieder. Anschließend sprang ich anmutig, wie ich fand, auf den Boden und ging hinaus. Dort griff ich mir meinen Mantel und ging auf den Flur. „Hey Tick, Trick und Track! Kommt ihr?“

Tick, Trick und Track zeigten mit ihrer Verwirrung, dass sie meinen Witz nicht verstanden hatten und kamen schließlich zu mir auf den Flur.

Wir gingen wortlos den Gang entlang, fuhren mit dem Aufzug in die Parkgarage und stiegen in eine schwarze Limousine mit verspiegelten Gläsern, die dort schon auf uns gewartet hatte.

Drinnen entdeckte ich verzückt eine Minibar, die mir die groteske Situation sympathischer zu machen schien. Ich wollte mich eigentlich schon auf das kleine Schränkchen stürzen, als eine kräftige Hand mich festhielt und dann in die Ecke des Wagens stieß. Dank der mehr als ausreichend gepolsterten Sitzbank spürte ich so gut wie gar nichts von meiner ungeplanten Landung. Völlig überrascht wandte ich den Kopf um und konnte plötzlich sehen, wie mich ein großer schwarzhaariger Mann anstarrte. Er stand mitten im Raum der Limousine, neben ihm hatte das Trio bereits brav Platz genommen. Mir war sofort klar, dass er mich geschubst haben musste, diese drei Eierlosen wären nicht in der Lage dazu gewesen. Also lehnte ich mich gemütlich zurück, legte den Kopf in den Nacken und schaute den Mann so böse ich konnte an.

Auge um Auge, Zahn um Zahn, und das wahrscheinlich mindestens 10 Minuten lang. Dann machte sich langsam ein Grinsen auf dem Gesicht des Fremden erkennbar. „Sieht so aus, als hättet ihr da eine richtige Wildkatze gefangen.“, sagte der Schwarzhaarige spöttisch in Richtung der drei Chipmunks. „Und ihr seid auch sicher, dass sie die Richtige ist? Euer Boss zerlegt mich in der Luft, wenn sie es nicht ist. Das ist euch aber klar, oder?“

„Wir sind uns ziemlich sicher, dass es sich um die gesuchte Person handelt.“, antwortete einer der drei.

Ziemlich sicher? Leute, das war kein Scherz! Dieser Abe killt mich, wenn ich das verbocke!“ Er klang aufgeregt. „Hey du! Bist du Celia?“, wandte er sich plötzlich direkt an mich. Ich starrte ihn einen Moment lang einfach nur an. Ohne blassem Schimmer, was nun zu sagen sei. Bevor ich mich jedoch versah ertappte ich mich selbst dabei, wie mein Kopf schwerelos im Raum schwebte, und zwar rauf und runter, rauf und runter… Na toll! Ich nickte. Der Typ bedankte sich mit einem abschätzig abwertenden Blick, nahezu so, wie man eine leicht Verrückte ansehen würde. Dann drehte er sich um und verschwand aus dem Wagen. Die Tür knallte so laut hinter ihm zu, dass ich sehen konnte, wie die drei Engel für Charly zusammen zuckten.

Wenigstens bedeutete das, dass dieser Irre nicht mit fahren würde. Mit den drei Weicheiern konnte ich es aufnehmen, aber ein Gefühl verriet mir, dass dieser Typ nicht so leicht zu berechnen war…

Plötzlich fuhr der Wagen mit einem Ruck los und ich wurde in den Sitz gedrückt bis ich dachte durch die Bank zu fallen. Ich hatte ganz vergessen, dass ja noch jemand die Limo fahren musste. Wahrscheinlich war das Mr. Nice Guy. Wenn er es war, dann hatte er jedenfalls eine radikale Art zu fahren. Das Auto ratterte über die Straße, die Reifen quietschten auf dem Asphalt und bei jeder Kurve fiel ich fast von meinem Sitz. Bei diesem Fahrstil wurde mir schlecht und ich konnte sogar sehen, wie die Beach Boys zu meiner Rechten sichtlich immer grüner im Gesicht wurden.

Als der Wagen endgültig stehen blieb, fiel ich tatsächlich in hohem Bogen auf den Boden. Dabei schürfte ich mir am rauen Teppich das Kinn auf. Als ob ich in letzter Zeit nicht genug Probleme hätte…

In meinem Blickwinkel konnte ich sehen, wie zwei Füße rechts von mir zum Stehen kamen. Schöne schwarze Designerschuhe, die glänzten. Und jetzt begannen die Schuhe auch noch zu sprechen. Sie sagten: „Jetzt komm schon Süße, steh auf! Ausnahmsweise ist jetzt nicht die Zeit sich flach legen zu lassen.“ Verdammte Wichsschuhe!

Ich drehte mich auf die Seite und stand auf. Mein Kinn brannte ziemlich und ich glaubte zu spüren, dass es blutete. Währenddessen funkelte ich den Besitzer der Schuhe verachtend an. Dieser hatte allerdings nur ein anzügliches Grinsen im Gesicht kleben, höchstwahrscheinlich forderte das schon alles an Intelligent, was in seinem hübschen kleinen Kopf Platz hatte.

„Komm jetzt Püppchen, wir müssen los.“ Er deutete mit dem Daumen Richtung Tür. Ich stöhnte genervt auf und klopfte mir ein paar Dreckfussel vom Boden von der Kleidung. Dann verließ ich mit dem sexistischsten Mann alive die Limousine.

„Wo sind wir hier?“, fragte ich ihn, den Blick auf das Gebäude vor uns gerichtet. „Das ist der Flughafen von Kopenhagen.“, sagte er. Nun gut, das erklärte die rauschenden Geräusche.

„Fliegen wir denn weg?“, wollte ich verwundert wissen. „Ja.“, war die kurz angebundene Antwort. Mehr war wohl nicht aus ihm raus zu bringen.

„Entschuldigen Sie bitte? Ich glaube wir sollten gehen.“, ertönte nun eine lispelnde Stimme zu meiner Linken. Dort standen die drei Klone in Reih und Glied und schauten uns beide abwartend an. Der Schwarzhaarige nickte kurz und setzte sich in Bewegung auf das Gebäude zu. Wenn auch etwas unfreiwillig, begann ich ihm zu folgen. In meinem eigenen Tempo. Langsam. Sogar sehr langsam.

„Jetzt komm schon!“, brüllte er quer über den Parkplatz und brachte mich damit zum Grinsen. So theatralisch wie nur möglich wurde ich immer langsamer bis ich unterm Gehen schon beinahe stehen blieb. „Beweg jetzt endlich deinen fetten Arsch hier her!“ brüllte er schon wieder. Moment mal! Fetter Arsch?!

„Fetter Arsch?!“, heulte ich vollkommen aufgebracht los und stampfte wütend wie Godzilla auf ihn zu. „Fetter Arsch? Ich hab keinen fetten Arsch!“, schrie ich ihn an und holte mit meiner Faust aus um ihn zu verprügeln, aber schneller als ich sehen konnte, hatte er meinen Schlag abgeblockt und mir die Hand verdreht. Ich kreischte kurz ein kleines bisschen vor Schmerz und kickte ihm mit voller Wucht gegen das Schienbein. Mit Genugtuung bemerkte ich, wie er überrascht aufheulte. „Was soll der Scheiß? Das hat Weh getan!“, protestierte er laut. Die Leute am Parkplatz beobachteten uns schon alle und als er das bemerkte zog er mich plötzlich an der Hand, die er noch immer im Klammergriff hatte und umarmte mich.

„Was soll das?“, zischte ich los. „Ach Liebling! Lass uns nicht mehr streiten. Wir werden jetzt einen wunderschönen Urlaub haben, so wie ich es dir versprochen hab.“, sagte er viel zu laut. Häh? Dann begann er bedrohlich in mein Ohr zu flüstern. „Jetzt hör mir mal zu Madonna! Du wirst hier keine Szene machen! Halt einfach schön die Klappe und komm brav mit. Ich mach hier nur meinen Job, und wenn du’s wissen willst, ich bekomm für so was wie dich kein Extrageld!“

Ich legte sanft meine Handflächen auf seinen Brustkorb und stieß ihn so heftig wie ich konnte von mir weg. Dann drehte ich mich um und ging auf den Eingang zu.

„Kommst du Schatz?“, fragte ich mit bittersüßem Sarkasmus. Er stand noch immer reglos am selben Fleck und schaute mich etwas überrascht an, doch bei meinen Worten fing er plötzlich an laut zu lachen. „Was ist?“, zischte ich ihn darauf hin aggressiv an.

„Das kann ja mal ein Urlaub werden.“, war seine einzige Antwort, dann kam er zu mir rüber. „Moment mal, wo ist denn das unschlagbare Trio hingekommen?“, wunderte ich mich laut. Tatsache, ich hatte die drei vollkommen aus den Augen verloren und jetzt waren sie weg.

„Ach, du meinst den flotten Dreier? Ich glaub die sind vorgegangen, schon mal alles regeln.“, meinte er zu meiner Überraschung. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er mir antworten würde.

Wir durchquerten gerade die moderne Eingangshalle und steuerten auf die Metalldetektoren zu, die es in jedem Flughafen gab. Die Detektoren surrten leise, als der uniformierte Beamte mit verdunkelter Brille mich abcheckte. Vor mir wartete mein schwarzhaariger Freund bereits auf mich. Ich grinste ihn süffisant an, als der Brillengigolo endlich fertig war und folgte ihm, als er auf eine schlichte Tür zuging, auf der mit roter Schrift „Zutritt nur für Befugte“ stand. Er trat in den stockdunklen Raum dahinter ein und ich folgte ihm etwas zögerlich.

„Pass auf, wo du hin steigst.“, sagte er sarkastisch. „Weißt du eigentlich, dass du ein Riesenarschloch bist?“, wollte ich von ihm wissen.

„Aber natürlich weiß ich das, nur, wer hat es dir gesagt? Mir kannst du’s verraten, komm schon! Ich wette, es war Yvonne aus der Buchhaltung! Diese blöde Kuh tratscht überall Blödsinn über mich rum, seit dem ich ihren Lieblingspulli verbummelt hab. Aber bitte, was hätte ich denn auch machen sollen? Ich war einfach betrunken und dann bin ich bei diesem Typen im Bett aufgewacht. Ich wollte einfach weg, da hab ich nicht an den Pulli gedacht!“, inszenierte er dramatisch.

„Ach, fick dich doch!“, riet ich ihm böse. Er drehte das Licht endlich an und ich musste im ersten Moment die Augen zu kneifen bevor ich erkennen konnte, dass wir in einem leeren Gang standen.

„Aber immer doch! Jeden Tag, ist schließlich gesund. Aber da du schon mal hier bist, vielleicht willst du mir ja zur Hand gehen?“ Seine Augen wanderten anzüglich über meinen ganzen Körper. Ich verkniff mir ein Stöhnen. „Ja, warum denn eigentlich nicht? Lust auf einen schönen Blowjob? Ich könnte ja auch meine Freundinnen anrufen und wir besorgen’ s dir so richtig.“ Ich drängte ihn gegen die Wand. „Aber bist du denn überhaupt Manns genug für fünf?“ Genüsslich langsam streckte ich einen Finger nach dem anderen nach oben und wedelte damit vor seiner Nase rum. Er schluckte hörbar. Da hielt ich es nicht mehr aus und ich musste losbrüllten vor Lachen. Ich konnte gar nicht mehr aufhören damit. Männer waren so durchschaubar!

Die notgeile Sau schnaufte angefressen, funkelte mich verachtend an und ging dann den Gang entlang. Erst als er hinter einer Ecke verschwunden war, setzte auch ich mich in Bewegung. Wir kamen zu einer Tür, die direkt auf den Flugplatz führte. Von dort aus gingen wir auf einen kleinen Flieger zu, der etwas weiter rechts stand. Die Treppe war ausgefahren und die Stufen wackelten ein kleines bisschen unter meinen Füßen als ich hinauf stieg, so dass ich mich instinktiv am Geländer fest klammerte. Der Typ stand direkt hinter mir und als ich stehen blieb stöhnte er einmal demonstrativ genervt auf und meinte: „Was ist? Ist dein Hintern jetzt doch zu fett um durch die Tür zu passen? Du solltest es mir wirklich sagen, bei Übergewicht von 100 Kilo und mehr sollte ich das wissen, wegen dem Flugzeug.“ Er deutete auf die Maschine.

Und ich trat ihn die Stiege runter. Dummerweise war er schneller als ich und klammerte sich ans Gerüst. Dieses begann durch die Wucht heftig zu klappern und zu zittern und ich rutschte aus. Direkt in die Arme meines Engels. Dieser war wenigstens dieses Mal, mit einer Blondine in den Armen, nicht mehr in der Lage sich selbst zu retten und wir beide rutschten die zwei Meter lange Stiege hinab und landeten auf dem rauen Asphalt.

„Uff!“, stöhnte er unter mir. „Die Frage mit dem Übergewicht wäre jetzt wohl geklärt.“ Zum Dank für dieses Kompliment bohrte ich galant meinen Ellenbogen in seine Seite. Da stöhnte er natürlich gleich noch mal. „Währst du so nett von mir runter zu gehen? Ich glaub nicht, dass das hier der richtige Ort für so was ist, aber zu einer anderen Zeit, an einem anderen Ort…“ Er ließ die Worte in der Luft hängen und rollte mich nicht gerade sanft zur Seite.

„Aua!“, heulte ich auf, als ich mir das Knie am Geländer anstieß. Mühsam rappelte ich mich hoch und sah meinem schwarzhaarigen Freund zu, wie er das gleiche tat.

„Sag bloß, du fliegst uns?“, fragte ich ihn plötzlich. „Äh… Ja, natürlich.“, meinte er selbstverständlich. „Oh…“ Ich musste an die Fahrt hier her denken. Nicht gut, gar nicht gut!

„Sag mal, wie heißt du eigentlich?“, fragte ich ihn dann. „Roman, wieso?“, kam sogar die Antwort. „Ach nichts… Ich wollte nur wissen wer mich umbringen wird…“, flüsterte ich vor mich hin.

„Was hast du gesagt?“, wollte Roman wissen. „Ich hab gesagt, ich wollte nur wissen, wer mich fliegen wird.“, klärte ich ihn freundlich auf. „Wo fliegen wir denn eigentlich hin?“, versuchte ich das kurze Gespräch gerade auszunützen. „Nach London natürlich.“, meinte er noch, dann drehte er mir den Rücken zu und verschwand im Flugzeug. Ich schaute zuerst noch etwas ratlos umher, beschloss dann aber, dass ich es wohl nicht mehr sehr lange aufschieben würde können. Also ging ich, diesmal besonders vorsichtig, die Stiege zum Flugzeug hoch. Drinnen war alles in einem luxuriösen Beige-Ton gehalten. Die drei Betonklötze saßen bereits wartend nebeneinander in drei extrem bequem aussehenden Ledersitzen, von Roman war jedoch keine Spur zu sehen.

„Wollen Sie sich denn nicht setzten, Miss Grant?“, fragte einer der Klone und deutete mit seinen beiden Freunden synchron auf einen Sessel, der einzeln auf der linken Seite des Flugzeugs direkt neben dem Fenster stand. Ich „aha“te die drei unfreundlich an und setzte mich hin. Gab es auf solchen Flügen nicht immer Alkohol? Genau das war es, was ich jetzt brauchte, so angespannt und genervt, wie ich war. Dummerweise war weit und breit keine Stewardess zu sehen, oder Flugbegleiterin, wie man sie jetzt nennen musste. Mein Gott! Diese Probleme hätt’ ich gern!

Romans Stimme dröhnte jetzt durch die Lautsprecher: „Wir starten jetzt, also bitte anschnallen!“ Das war alles, der Flieger begann ratternd die Flugbahn entlang zu rollen, und ich versuchte mir einen so guten Aufenthalt, wie nur möglich, zu machen. Mit 4 Psychopathen allein in einem Flugzeug, ein paar tausend Meter über dem Boden…
 


 

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Zum Schluss möchte ich meiner tollen Beta Mel(Schneesturm) danken! Vielen, vielen Dank! Du hast es wunderbar verbessert! Ich könnte mir keine bessere Beta vorstellen!

Die Gabe

Der Flug war zu meiner Überraschung nicht ganz so schlimm wie ich gedacht hatte. Ja, es gab zwar keinen Alkohol und ja, Roman als Piloten zu haben beunruhigten mich natürlich, aber allem Anschein nach nahm er seine Aufgabe wenigstens ernst, denn den ganzen Flug lang war nichts von ihm zu hören oder zu sehen. Die drei Schlümpfe ließen mich seltsamerweise auch in Ruhe. Keine Ahnung ob meine freundliche Art sie verschreckt hatte, aber selbst untereinander hatte niemand etwas zu sagen.

Ich machte mir darüber nicht gerade viele Gedanken und genoss ganz einfach den Ausblick. Ich war noch nie geflogen und das aufgeregte Kribbeln hatte mich schon beim Start heimgesucht. Im Augenblick flogen wir gerade über die Nordsee… glaubte ich jedenfalls. Die Sonne war gerade dabei vom Horizont verschluckt zu werden und der Himmel hatte einen kitschigen Rot-Ton angenommen. Aufgeregt wie ein kleines Kind saß ich also da und drückte meine Nase ans Fenster und das ungefähr zwei Stunden lang. Nicht, dass ich endlich ein bisschen Zeitgefühl gehabt hätte, aber im Flugzeug hing eine silberne Uhr und sogar ich wusste, dass zwischen vier und sechs Uhr zwei Stunden lagen.

Als das Flugzeug an der Landebahn aufsetzte rüttelte es mich einen Moment lang durch. Ich muss zugeben, ich hatte ziemlich Schiss, weil ich das sehr ungute Gefühl hatte, dass die Räder des Fliegers weg zu brechen drohten. Völlig automatisch klammerte ich mich panisch an die Armlehnen meines Sessels und überlegte mit zu gekniffenen Augen, ob es wohl an der Zeit war wieder an Gott zu glauben, während die Welt wackelig an mir vorbei schnellte.
 

„Hallo?“ Eine Hand tippte mich ein paar Mal an der Schulter an. „Hallo?!“ Die Hand schubste mich. „Verdammt noch mal!“ Endlich schlug ich die Augen auf, Roman war gerade dabei gewesen meinen Kopf gegen das Fenster zu schlagen. „Hey!“, murrte ich noch etwas kraftlos von meinem Nahtoderlebnis gerade eben. Moment! Das musste dann aber heißen, dass ich noch immer lebte! Haha! Eine Celia Grant ist nun eben nicht so leicht unter zu kriegen. Ich streckte meinen imaginären Feinden den Mittelfinger entgegen.

„Ähh… Was machst du da?“, fragte Roman mich verwirrt und deutete auf meinen Finger. Oh… Schnell steckte ich mir den Finger wieder da hin, wo er sicher war. „Hmm… Was meinst du?“ Ich räusperte mich und sah mein Gegenüber scheinheilig an. „Hast du was im Auge? Dein Gesicht ist so komisch verzerrt.“, meinte dieses darauf hin besorgt. Ich schaute Roman wieder böse an und war mir sicher, dass ihm mein Gesicht so wieder bekannt vorkam.

„Sind wir denn schon da?“, fragte ich dann. „Ich meine, wir leben ja sogar noch! Diese Landung gerade eben war schrecklich! Ich hab gedacht, es wäre mein Ende.“, klagte ich den Piloten an. Dieser hatte nur ein breites Grinsen für mich übrig. „Wie du sicher gemerkt hast war es das aber leider nicht.“, sagte er sachlich. Wie ich ihn hasste!

Als hätte er meine Gedanken gelesen sagte das Arschloch nun selbstgefällig lächelnd: „Ich liebe dich doch auch mein Schatz!“ Ich lächelte zurück und stellte mir vor, wie ich meinen Fuß mit voller Wucht zwischen seinen winzig kleinen Eiern platzierte. Ahhhh… Welch herrlicher Gefühl!

„Bist du jetzt schon wieder weg?“, wollte Roman verärgert wissen und schnipste ein paar Mal direkt vor meiner Nase mit den Fingern rum. „Ja, bin ich!“, fauchte ich ihn an und schlug mir seine Finger aus dem Gesicht. „Entschuldige bitte meine Versuche mir wenigstens einzubilden ich müsste dich nicht ertragen!“ „Beruhig dich, wir sind da und du bist mich bald los!“, antwortete er genervt. Hoffnung keimte in mir auf, auch wenn ich mir das nie anmerken lassen würde.

„Komm!“, meinte er jetzt und zog mich an der Hand zur Tür. Bei dem Anblick der Metalltreppe erstarrte er einen kurzen Moment und plötzlich stieß er mich nach vorne runter. Ich schrie zuerst überrascht auf, dann gleich noch mal als ich auf dem harten kantigen Metall gelandet war, diesmal allerdings vor Schmerz. „Du verdammtes Arschloch!“, brüllte ich los, während der Besagte über mich drüber stieg und mir wieder auf die Beine half. Als ich mit seiner Hilfe wieder halbwegs stehen konnte, riss ich mich von ihm los und stieß ihn gleichzeitig so heftig ich konnte von mir weg. Dummerweise reichte es nicht aus um ihn umzustoßen und Roman wankte nur ein paar Meter zurück. Mir allerdings knickten die Beine ohne Stütze weg und ich landete gleich noch mal schmerzhaft auf dem Boden. „Was machst du denn da unten? Hast du vergessen wie man steht?“, fragte Roman bissig. Ich schenkte ihm einen beleidigten Gesichtsausdruck und sagte wütend: „Du Genie hast mir das Bein gebrochen!“ Roman machte ein etwas dummes Gesicht und schlug sich seufzend die Hände vor die Augen. Wehe, er fing jetzt an zu jammern! Das waren ja wohl eindeutig seine Schuld und mein Bein!

Roman verdrehte noch einmal die Augen und kam dann auf mich zu. „Wo tut’s weh, Barbie?“ Man muss wohl nicht erwähnen, dass ich bei dem Kosenamen praktisch in den Himmel schoss. Ich meine, Barbie?!? Hatte der Typ sie noch alle? „Selbstmordgedanken?“, fragte ich ihn mit einem passenden Grinsen. Bitte sag ja! Aber er lachte nur kurz auf und kam näher. „Und du bist sicher nicht auf den Kopf gefallen?“, wollte er von mir wissen. Als Antwort wedelte ich mit meinem Mittelfinger rum. Vollidiot

Roman zuckte mit den Schultern und kniete sich neben mich auf den Boden. Mit einem Ruck riss er meine neue Jeans bis zu meinem rechten Oberschenkel auf und tastete an dem roten geschwollenen Fleisch herum. Überrascht von dem stechenden Schmerz zog ich die Luft ein. „Kannst du nicht besser aufpassen?“ Eigentlich hätte es genervt klingen sollen, aber die Töne waren dafür etwas zu schrill. „Reiß dich zusammen und heul nicht so rum, Britney“, kommentierte er meine Schmerzen offensichtlich desinteressiert.

Die nicht existierende Ruhe in mir selbst suchend schloss ich einen Augenblick lang die Augen und atmete lange ein. Umso überraschter war ich als ich mit einem Ruck vom Boden aufgehoben wurde. Ganz instinktiv riss ich die Arme um Romans Hals. „Was tust du denn jetzt?“, wollte ich von ihm wissen. Anscheinend hielt er es für nicht wichtig genug um mir zu antworten. Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich ihn an, während er mich zum Wagen trug. Eine genaue Imitation von der schwarzen Limousine, mit der er mich in Kopenhagen zum Flughafen gebracht hatte. Vorsichtig stellte er mich vor dem Wagen auf den Boden. Kurz unterdrückte ich ein kleines aua und hielt mich dann krampfhaft am Dach fest. Neben mir öffnete Roman mit einem Schlüssel, den er aus seiner Hosentasche gefischt hatte, die Autotür und schleppte mich schon im nächsten Augenblick seltsam vorsichtig in das Wageninnere und setzte mich dort an der längsten Bank ab.

„Wird es so gehen?“, fragte er mich mitfühlend. Perplex schaute ich ihn an und nickte langsam. „Na dann…“, meinte er schon wieder um einiges abwesender und wollte schon gehen. „Hey, warte mal!“, rief ich ihm da noch schnell nach. Bis jetzt war es mir noch gar nicht aufgefallen. „Wo sind denn meine drei Lieblingsklone hingekommen? Ich hätte gedacht sie würden hier warten.“ „Ach die… Sie werden nicht mehr gebraucht, also sind sie schon mal vorgegangen um Bescheid zu geben, dass wir bald ankommen werden. Ach…Celia? Ähm… Die Sache mit dem Bein… Könntest du für dich behalten, dass ich Schuld habe?“ War er gerade rot geworden? „Ist gut, aber nur wenn du versprichst mich nirgendwo mehr runter zu stoßen!“ Das war doch ein faires Angebot, oder? Trotzdem überlegte er noch kurz einen Moment bevor er zusagte. Dann stieg er aus der Limousine um den Wagen zu starten.

Dieses Mal war allerdings offensichtlich, dass er vorsichtiger fuhr. Die Bäume außerhalb des Fensters krochen schon beinahe an uns vorbei. Anscheinend wollte er wirklich nicht, dass ich mir noch mehr wehtat, als sowieso schon…

Natürlich war mir klar, dass ich ihn eigentlich hätte verpetzen sollen, aber irgendwie hatte ich große Zweifel daran ob das überhaupt was bringen würde. Wenn ich schon nicht mit der Polizei sprach, dann würde ich erst recht nicht zum bösen Oberboss laufen um seine Angestellten zu verpetzen. Eines war klar, im Gefängnis würde er deswegen sicher nicht landen…

Mein Magen wurde flau bei dem Gedanken daran, was Kain jetzt wohl durchmachen musste. Umso schneller ich zu Big Brother kam, desto besser würde es für ihn sein. Und trotzdem konnte ich spüren wie der Zweifel an mir nagte. Was war, wenn er überhaupt nicht von Abe festgehalten wurde? Und wer garantierte mir, dass sie ihn dann frei lassen würden? Mir war klar, dass mir das niemand beweisen würde und doch… Der Gedanke daran, was sonst wäre war doch zu schrecklich. Was war, wenn Kain eben doch dort war und verzweifelt darauf wartete, dass ich kam um ihn frei zu lassen? Ich musste es einfach riskieren, es gab keine andere Möglichkeit um die Schuldgefühle, die schwer in meinem Magen lagen, los zu werden. Er hatte sein Leben riskiert um meins zu retten und ich musste nun offensichtlich genau dasselbe für ihn tun, nicht wahr? Schließlich war das genau das, was die Helden in den Hollywoodfilmen immer machten und im Nachhinein fühlten sich dann immer alle einfach super. Vielleicht war ich nicht zur Heldin geboren, und auch wenn ich trotz allem keine reellen Chancen hatte das zu ändern. Für Kain würde ich es allem Anschein nach versuchen.
 

„Wir sind da!“, verkündete mir Roman und hob mich schon wieder hoch. Erst da erwachte ich aus meiner Trance, meine Gedanken hatten mich völlig beansprucht.

Wir sind also da. Auch wenn ich verhältnismäßig ruhig blieb, musste ich mir trotzdem eingestehen, dass ich immer melancholischer wurde. Das sah mir eigentlich überhaupt nicht ähnlich. Es gab Menschen, die immer an das Gute im Leben glaubten und es gab Menschen, die immer daran glaubten, dass sowieso irgendwann alles den Bach runter gehen würde. Ich war eindeutig Pessimistin, aber für gewöhnlich jammerte ich darüber rum, wie unfair alles war. Nur jetzt war ich nachdenklich geworden. Wahrscheinlich hatte ich in der letzten halben Stunde in dieser Stretch-Limousine mehr nachgedacht, als in den letzten zwei Jahren meines Lebens. Im Angesicht des nahezu sicheren Todes…

Mann! War das vielleicht melodramatisch! So würde ich ganz sicher nicht abtreten. Auch in den letzten Momenten meines erbärmlichen Lebens würde ich die jammernde Pessimistin bleiben, die ich schon mein ganzes Leben lang gewesen war. Das nahm ich mir fest vor und das war wahrscheinlich auch gut so, denn sonst hätte ich mit Sicherheit nicht die Kraft aufgebracht das alles zu durchstehen.

Der Optimist dachte vielleicht es würde immer alles gut werden, aber die Pessimisten hatten die sicherere Einstellung. Es war schon alles Müll und es konnte alles immer schlimmer werden, auf die Art wurde man wenigstens nicht enttäuscht.

Roman trug mich den Kiesweg entlang auf eine schrecklich teuer aussehende Villa zu. Sie war dottergelb gestrichen, hatte mindestens drei Stockwerke und hatte mit Sicherheit schon so ein zwei Jahrhundertchen auf dem Buckel. War ja klar gewesen, dass unser lieber Abe sich nicht mit einer herunter gekommenen Baracke zufrieden geben würde, so wie alle anderen Menschen, mich eingeschlossen, es taten. An allen Seiten war das Gebäude von Bäumen umkreist, also auch noch ein kleiner Park.

Wir kamen dem Haus immer näher und ich konnte sehen, wie Roman rot anlief. „Du bist wirklich richtig schwer.“, meinte er auf meinen fragenden Blick hin. Aber natürlich, dachte ich verbissen und verkniff mir jegliche Kommentare. Es hatte jetzt auch keinen Zweck mehr.

Die verhasste Tür, die mich in das verhasste Haus lassen würde bannte meine Blicke. Als hätte ein unbewusster Teil von mir es bereits gewusst öffnete sie sich plötzlich und Abe trat heraus. Sofort lief es mir eisig den Rücken hinunter. Da war er also und jetzt gab es offiziell keinen Ausweg mehr.

Keinen Meter entfernt mehr stellte Roman mich auf die Beine und ich war gezwungen mich an seine Schulter zu klammern um nicht um zu kippen. „Guten Tag Celia.“ Abe’s sanfte Stimme lullte mich ein und widerte mich gleichzeitig an. „Ich hoffe du hattest eine angenehme Anreise?“ Ich verzichtete ihm darauf eine Antwort zu geben, aber er plapperte einfach weiter. „Leider hatte ich das letzte Mal keine Gelegenheit mich von dir zu verabschieden. Wie ist es dir währenddessen ergangen?“ Wieder kein Kommentar.

„Ich glaube, es wäre besser wir würden ins Haus gehen. Es wird langsam richtig kalt hier draußen. Bei den Worten musste ich auf mein angeschwollenes unbrauchbares Bein schauen, dann blickte ich Roman Hilfe suchend an. „Ähm.“, räusperte dieser sich leise. „Sir, Miss Grant hatte einen kleinen Unfall auf dem Weg hier her. Sie hat sich anscheinend das Bein gebrochen.“ Erst jetzt bemerkte Abe meine aufgerissene Hose. „Wie konnte das passieren?“, zischte er Roman an. Dieser hatte eindeutig Probleme damit Abe keine rein zu würgen, aber nun war es an ihm mich bittend anzusehen. „Ich bin gestolpert.“, log ich so gut ich konnte und auch wenn das nicht besonders viel war, hoffte ich, dass er es mir abgekauft hatte. „Vielleicht sollte ich noch mit rein kommen. Ich kann ihr beim Gehen helfen.“, setzte Roman noch eins drauf. Abe schaute ihn kurz böse an, dann legte er seine unsichtbare ‚Ich bin dein Freund’ – Maske wieder auf. „Nein, du wirst hier nicht mehr gebraucht.“, bestimmte er. „Aber gib das deinem Herrn.“ Er streckte Roman einen Brief entgegen, genau so einer, wie die, die ich in Kopenhagen bekommen hatte. „Und sag ihm, dass ich es einfach nur stur von ihm finde, dass er nicht mit mir telefonieren will. Lächerlich ist das!“ Und schon wandte er sich wieder mir zu. „So, meine Liebe.“, meinte er zuckersüß. „Jetzt werden wir erst mal sehen, wie wir dich hier rein bekommen.“ Bei der Vorstellung daran, wie seine Hände mich berührten wurde ich blass. Ich bemerkte, dass ich immer noch Roman umklammert hielt.

„Wäre es nicht besser, wenn Roman mich rein trägt? Ich bin…ähm…Ich bin ziemlich schwer.“ Ich konnte hören, wie meine Zähne knirschten.

„Sehr schwer? Häh? Das dürfte kein Problem sein.“ Er verschwand kurz, viel zu kurz im Haus. Schon im selben Moment konnte ich hören wie Roman mir etwas zu flüsterte. „Ich weiß zwar nicht, was du getan hast und es ist mir auch völlig egal, aber hör auf meinen Rat! Dieser Mann ist wahnsinnig, unberechenbar und mächtig. Bitte leg dich nicht mit ihm an. Es würde dir und allen Menschen, die du jemals gekannt hast sehr Leid tun. Glaub mir.“ Ich glaubte ihm.

Abe kam wieder, dieses Mal in Begleitung eines bulligen Mannes, der den ganzen Türrahmen auszufüllen schien. Im ersten Moment fiel mir bei seinem Anblick der Name Igor ein. Wie hoch wohl die Chance stand, dass er wirklich so hieß? Doch dann drehte der eisig kalte Wind. Ein Dämon. Aber natürlich! So wie Igor aussah konnte er doch auch nur ein Dämon sein. Er kam auf mich zu, anscheinend sollte er Roman ersetzten. Na toll! Den Geruch würde ich wohl ewig lang nicht mehr loswerden.

Einen Augenblick bevor Igor mich in seine stinkenden Pranken schließen konnte flüsterte Roman mir noch etwas zu. „Viel Glück.“ Dann war er verschwunden und ich wurde in das Haus getragen. Jeden Schritt, den Igor der Dämon machte, durchschüttelte es mich und der Schmerz wanderte von meinem Oberschenkel in meinen ganzen Körper. Ich musste zugeben, Roman hatte sich was das anging um einiges geschickter angestellt.

Abe ging voran, wir blieben im Erdgeschoss. Schon bald betrat er ein Zimmer und Igor folgte ihm brav wie ein Schoßhund. In dem Moment kam ich mir so vor wie ein Knochen, den er im Maul hatte um ihn seinem Herrchen zu schenken.

Der Raum war groß und sah so aus wie ein Arbeitszimmer. Mitten im Zimmer stand ein breiter Schreibtisch, der genau so aussah wie alles in diesem Haus. Die linke Wand war voll gestellt mit Bücherregalen und zu meiner Rechten stand ein braunes Ledersofa. Dort lud mich Igor ab und verschwand augenblicklich. Sein Geruch jedoch blieb zurück, wie die Erinnerung an einen Albtraum schwebte er im Zimmer. Wie wenn ich die Erinnerung daran gebraucht hätte, ich steckte schließlich mitten drin.

Und so sehr ich es mir wünschte, ich war mir sicher, dass ich nicht träumte.

In den Augenwinkeln bemerkte ich, wie Abe neben mir auf einem Hocker Platz nahm. Ich lag ausgestreckt auf der Couch und wartete auf das, was jetzt kommen würde.

„Entspann dich doch bitte, Celia.“, sagte Abe. „Liegst du etwa schlecht? Hast du Hunger oder willst du was trinken?“ In diesem Moment betete ich tatsächlich zu Gott, bat ihn darum meinen Magen nicht verräterisch knurren zu lassen. Hier würde ich sicher nichts freiwillig essen!

Vielleicht war es ein Wunder, vielleicht gab es Gott wirklich und er hatte zum ersten Mal in meinem Leben auf meine Bitte gehört. Vielleicht war es auch einfach nur Glück, das meinen Hunger unentdeckt ließ.

„Plaudern wir ein wenig Celia!“, meinte Abe nun, seine Stimme war leiser, drohender geworden. „Über was denn?“, wollte ich von ihm wissen. „Über die guten alten Zeiten:“ „Welche guten alten Zeiten?“ „Die guten alten Zeiten, die du mit deiner Mutter verbracht hast und die guten alten Zeiten, die ich mit ihr verbracht habe.“ Meine Gedanken spielten verrückt, am liebsten wäre ich auf ihn losgegangen, aber ich erinnerte mich an Romans Ratschlag.

Leg dich nicht mit ihm an.

„Wieso meine Mutter? Was hast du mit meiner Mutter zu schaffen? Was hat das alles hier mit ihr zu tun?“ Plötzlich begann er ohne Vorwarnung zu kichern. Es klang irgendwie seltsam, falsch und ich fühlte mich dadurch noch unwohler. „Na so was!“ Er kicherte immer noch in sich hinein. Ein Witz, den nur er verstand.

„Also hat unser lieber Kain es dir nicht erzählt? Ich hätte gedacht…“ Er lachte laut und bellend auf, aber es war kein richtiges Lachen, kein Lachen, das ansteckte oder das nur beim Zuhören schon glücklich machte. Nein, sein Lachen war genau so wie alles an ihm. Falsch, kalt und leblos.

„Deine Mutter war früher auch im Orden. Dann ist dein Vater bei einem Autounfall ums Leben gekommen und Samantha ist hochschwanger von einem Tag auf den anderen verschwunden. Ich hab mir fürchterliche Sorgen um sie gemacht und wir haben sie alle schrecklich vermisst.“ Natürlich glaubte ich ihm kein Wort, für wie naiv hielt er mich überhaupt?

Fragend schaute ich ihn an, dann fiel mir etwas auf. Kain hatte mir tatsächlich davon erzählt. Das war gewesen, als ich ihn das erste Mal gesehen hatte, in meiner Wohnung. Da hatte er auch irgendwas über meine Mutter gelabert.

„Also gut. Aber was hat das alles mit mir zu tun? Wieso könnt ihr mich nicht einfach in Ruhe lassen?“ Unmerklich änderte sich etwas in Abe’s Mine. „Als sie verschwand, da hat sie etwas mit genommen, etwas das mir sehr wichtig ist und ich habe gehofft, du könntest möglicherweise wissen, wo es sein könnte. Aber diese Hoffnung hat sich bei unserer letzten Begegnung als nichtig erwiesen, also möchte ich jetzt etwas anderes von dir.“

„Was?“ Meine schwache Stimme war brüchig und leise und trotzdem erklang das Wort laut im Raum.

„Ich möchte deine Gabe.“, eröffnete mir Abe. Ich konnte sehen, wie in seinen Augen etwas freudig aufblitzte.

Und die Welt begann sich zu drehen. „Was?“, keuchte ich hervor. „Wie kommst du darauf? Ich habe keine Gabe!“ Ich war aufgeregt, meine Stimme hallte laut im stillen Raum wider.

„Doch, du hast eine!“, erwiderte Abe. „Ich konnte sie spüren, als ich in deinem Kopf war.“ Beim Gedanken daran wurde mir ganz kalt und warm zur gleichen Zeit.

„Welche Gabe?“, wollte ich wissen, aber der Nachdruck war schon wieder verschwunden und meine Worte klangen kraftlos resigniert. Hatte ich denn eine richtige Gabe? Ich war mir selbst nicht mehr sicher. Die Sache mit meinen heilenden Wunden hatte mit meiner Herkunft zu tun und meine Pflanzenempathie war allem Anschein nach ein, zwar ungewöhnlicher, allerdings trotzdem bekannter Zusatz was das anging. Aber eine richtige Gabe? Ich zweifelte stark daran. Meine kleinen Pflanzenzaubertricks richteten so gut wie überhaupt nichts aus und weshalb sollte Abe danach streben?

„Samantha war eine begnadete Seherin, sie war die Seherin schlechthin. Zu ihrer Zeit war sie eines der stärksten Mitglieder des Ordens. Wusstest du das?“ Überrascht schaute ich ihn an. Nein, das hatte ich nicht gewusst. Er sah es mir an. „Sie war Epileptikerin, nicht wahr?“ Es war wahr, es hatte bei mir immer die größten Angstzustände ausgelöst sie krampfend mit Schaum vorm Mund am Boden liegen zu sehen. Am Schluss war es immer schlimmer geworden, kein Arzt war in der Lage gewesen ihr zu helfen und irgendwann hatte sie sich dann eine Gehirnblutung geholt und war bald darauf gestorben.

„Sie entstehen wenn man es unterdrückt, weißt du? Deine Mutter hat die Visionen unterdrückt, hat nichts mehr getan um das Gesehene zu verhindern. Sie war selbst schuld an ihrem Tod.“ Er sagte es völlig ungerührt. Meine Selbstbeherrschung bröckelte immer weiter.

„Hätte sie sie verhindert, hättet ihr sie aufgespürt, oder? Kain hat mal erwähnt, ihr hättet lange gebraucht um sie zu finden, aber das stimmte nicht, nicht wahr? Ihr habt sie nie gefunden!“ Ich konnte hören wie meine Stimme gefährlich zitterte.

Abe grinste mich wieder kalt an. „Ja, du hast Recht Celia. Aber nun zum Punkt. Die Gabe der Vorhersehung ist vererblich musst du wissen. Du hast sie genau so wie deine Mutter vor dir!“

Das stimmte nicht, konnte nicht stimmen. Aber meine Gedanken drifteten ab, ich erinnerte mich, sah es genau vor mir, als wäre ich zehn Jahre in die Vergangenheit gereist.

„Du hattest schon mal eine Vision.“, meinte er mit eisiger Stimme. „Du hast ihren Tod gesehen, Samanthas.“ Tiefe Trauer durchflutete mich, gepaart mit einer Überdosis an Verzweiflung. Es hatte alles keinen Sinn, ich kam mir so nackt, so ausgeliefert vor. Er wusste alles von mir, hatte sich alle meine Erinnerungen, mein ganzes Leben angeeignet. Plötzlich hatte ich das drängende Bedürfnis mich auf dem Sofa zusammen zu rollen und nie wieder auf zu wachen.

Er schaute mir direkt in die Augen, so dass es mir so vor kam als würde er in meine Seele sehen können. Am liebsten hätte ich wo anders hin gesehen, aber ich war nicht in der Lage den Blick abzuwenden. In mir tobte ein Sturm und doch wusste ich, dass die Schlacht bereits verloren war bevor sie begonnen hatte. Er würde meine Gabe bekommen, würde mich schon wieder berauben und ich würde mich nicht wehren. Das Seltsame war nur, dass mich das nicht störte. Er könnte sie haben, wenn er wollte. Sie gehörte nicht zu mir, war ein unnützer Fremdkörper, gebunden an das finsterste Ereignis meines Lebens. Ohne ihr konnte ich genau so gut weiter leben, eben so wie ohne Blinddarm.

Die Frage ist nur, ob ich überhaupt weiter leben werde.

„Also gut, du kannst sie haben, aber ich möchte etwas dafür haben.“ Meine Stimme klang rau und so fürchterlich schwach, dass es mir einen Schock versetzte. Einen kurzen Moment hielt ich inne bevor ich weiter sprach, diesmal lauter. „Ich möchte Kain sehen, als Beweis dafür, dass er wirklich da ist.“

Abe nickte kurz abwesend und schaute auf irgendwas hinter mir, dann richtete er seinen Blick wieder auf mich. „Ist gut, du darfst ihn sehen, aber dann bekomme ich auch das, was ich will.“ Schon lange war nichts mehr von dem netten alten Mann, den er zu sein vorgegeben hatte über. Seine Maske war langsam immer weiter abgeblättert und nun hatte die Gier sein ganzes Wesen eingenommen.

„Nun gut… Gehen wir? Ach nein, mein Fehler.“ Sein glasiger Blick wanderte zu meinem verletzten Bein. „Wie lange wird es noch dauern?“, wollte er von mir wissen. Vorsichtig streckte ich meine Gliedmaßen. „Wahrscheinlich noch drei vielleicht auch vier Stunden.“, schätzte ich laut. Es war von vorhinein für mich klar gewesen, dass er keine Sekunde länger mehr warten wollte.

„Dann wird es auch so gehen müssen, hab ich, Recht?“ Er wartete nicht ernsthaft auf eine Erwiderung meinerseits, sondern verschwand einen Moment lang durch die Tür.

Ich nützte die kurze Zeit, die mir übrig blieb um meine Gedanken zu ordnen. So wie es aussah war es mir mit meiner Verletzung nicht möglich zu fliehen, mit oder ohne Gelegenheit. Anscheinend war Kain wirklich hier, andernfalls hätte Abe sicher nicht so schnell nachgegeben, was das anging. Ich hoffte, dass es ihm den Umständen entsprechend gut ging, ich wollte mir gar nicht vorstellen müssen, was sie ihm alles angetan hatten. Ich versuchte den Kloß in meinem Hals runter zu schlucken, aber der machte nicht mit und ich fühlte mich noch mindestens genau so elend wie zuvor.

Die Tür öffnete sich und Abe kam herein, in Begleitung von Igor, dessen besondere Duftnote sofort den ganzen Raum einnahm. Ich unterdrückte einen Würgreiz und ließ mich von ihm hoch heben. Den Bruchteil einer Sekunde lang glaubte ich schon, er würde mich wie ein Stück rohes Fleisch über seine Schulter schwingen, aber Gott sei Dank tat er es nicht.

Ich wurde im Haus hin und her getragen, der Weg dauerte ungewöhnlich lange. Kurz blitzte ein Gedanke in meinem Bewusstsein auf, wenn Abe damit rechnen würde, dass ich wieder heraus kommen würde, hätte er mir dann nicht eine Augenbinde umgebunden, oder führten sie mich gerade in die Irre? Würde ich dieses Gebäude je wieder verlassen?

„Wir sind gleich da!“, stellte Abe schließlich fest. Wir waren über ziemlich viele Treppen auf und ab gegangen und ich hatte es schon lange aufgegeben mir den Weg zu merken. Nun standen wir am Fuß einer Stiege, vor uns war eine weißumrahmte Glastür. Abe drückte auf einen Knopf rechts von ihm und die Tür glitt lautlos auf. Unsere kleine Prozession betrat den Gang, der dahinter lag. Die Wände waren alle vollkommen weiß, sogar der Boden leuchtete blitzblank.

Toll gemacht Meister Proper!

Recht viel war von meinem Humor nicht mehr übrig geblieben und auch jetzt war mir eher nach Heulen, als nach Lachen zumute, aber ich ließ mir nichts anmerken.

Der Gang war vollkommen leer und am anderen Ende erwartete uns die gleiche Glastür wie zuvor. Abe öffnete sie wieder ohne zu zögern und wir betraten eine beinahe genaue Imitation des weißen Ganges. Nur, dass sich nun an allen Seiten Weiße Türen reihten.

Hier irgendwo ist er. Mein Herz schlug einen Takt schneller, jetzt würde ich also Kain wieder sehen.

Wir gingen an einer Tür nach der anderen vorbei. Irgendwie hatte ich das Gefühl ich würde es spüren, wenn wir an der richtigen Tür angekommen wären. Tatsache ist, wenn Abe nicht plötzlich stehen geblieben wäre und gesagt hätte: „Da sind wir.“, ich hätt’s einfach nicht gemerkt. Die besagte Tür sah genau so aus wie alle anderen, nirgends eine Neonschrift. Du bist am Ziel, oder ein Türsteher. Keine Man in Black mit verdunkelten Sonnenbrillen. Noch nicht mal ein Kain, der von der anderen Seite gegen die Wand hämmert und irgendwas brüllt.

Bumm, bumm. Ich schrak völlig überrascht auf und riss den Kopf so heftig herum, dass es knackste. Oh Gott!! Hatte da gerade wirklich jemand gegen die Tür gehämmert? Ich konnte genau spüren wie alle Farbe aus meinem Gesicht verschwand. „Lass mich runter!“, herrschte ich Igor an und zappelte demonstrativ mit meinem heilen Bein herum, bis das Stinktier mich endlich auf dem Boden absetzte.

„Ich will ihn sehen!“, verlangte ich von Abe. Dieser nickte nur kurz und bastelte an der Tür vor ihm rum. Er schob ein kleines Fenster auf und winkte mir zu.

„Da! Schau ihn dir an, aber mach schnell!“ Die Gier in seinen Augen glänzte mir regelrecht entgegen. Sie hatte ihn, wie schon so viele andere, die nach Macht und Geld gestrebt hatten, vergiftet.

So schnell ich konnte humpelte ich auf die Tür zu, stützte mich mit den Händen ab und lugte durch das kleine Viereck.

Kain. Meine Lippen formten die Laute und trotzdem war nichts zu hören. Allerdings wanderte schon im nächsten Moment ein jämmerliches Jammern meine Kehle hoch. Oh Gott, Kain! Ich schlug die Hände vor den Mund und schloss kurz die Augen, aber es half nichts. Das Bild hatte sich eingebrannt, ich sah ihn immer noch, konnte in meiner Verzweiflung einfach nichts dagegen tun.

Er lag da, auf dem Boden und regte sich nicht. Seine Hand war irgendwie verdreht zur Tür ausgestreckt und seine Kleidung war seltsam angekokelt. Aber, war der dunkle Fleck auf seinem Shirt Blut? Meine Augen begannen zu brennen, ich konnte es einfach nicht aushalten und musste wieder hin sehen. Ja, es war Blut.

Ich rieb mir die Augen und sah Abe an. „Ich will zu ihm.“

„Du weißt, was ich von dir will.“ Seine Stimme war vollkommen gleichgültig.

„Lass mich zu ihm…bitte!“ Ich flehte, bettelte, war den Tränen nahe.

„Du weißt, was ich will, Celia.“

Dann sag mir was ich tun muss!“ Ich schrie ihn an, eine Mischung aus Hass und der Verzweiflung, die mich durchströmte und in sich in jeder Ritze meines Wesens einnistete. Mein Kopf dröhnte so stark, als würde er jeden Moment explodieren.

Abe legte seine Hände auf meine Schläfen und der Schmerz steigerte sich ins Unermessliche. „Du musst sie mir einfach geben wollen, aus vollem Herzen.“ Da war also der Haken. Ich musste es wollen. Deswegen alles? Deswegen hatte er Kain entführt? Deswegen hatte er mein Leben zerstört? Mein benommenes Hirn nahm das mit bitterem Zynismus auf.

Also gut. Ich will dich loswerden, du hast mir einfach nur Unglück gebracht. Ich brauche dich nicht. „Du kannst sie haben.“, flüsterte ich mit geschlossenen Augen, aber ich fühlte nichts. „Ist es vorbei?“, fragte ich Abe verwirrt, aber die Enttäuschung war ihm ins Gesicht geschrieben.

Also dann noch mal.

Innerlich stellte ich mich darauf ein. Ich wollte sie loswerden, wirklich. Ich sah Kain vor meinen Augen, musste unbedingt zu ihm. Ich wünschte, das alles wäre einfach vorbei.

Aber nichts geschah.

Schon wollte ich aufgeben, aber dann griff ich nach Abe’s Händen, vielleicht einfach nur um etwas zu tun. „Ich übergebe dir meine Gabe.“, flüsterte ich ihm konzentriert zu. „Aus vollem Herzen.“, fügte ich noch hinzu. Und mit diesen Worten durchströmte plötzlich eine Wärme meine Arme, Hände, schließlich Finger und wanderte auf Abe über. Sein Gesicht fing an zu strahlen, fasziniert blickte er auf seine Hände.

„Ich will zu ihm!“ Das war jetzt keine Bitte mehr, ich forderte es.

„Ja, ja…hmm.“ Abe war vollkommen abwesend. Er machte sich noch nicht einmal die Mühe auf zu sehen. „Alfred, mach ihr die Tür auf.“ Wäre mir der Ernst der Lage nicht so bewusst gewesen, ich hätte jetzt einen fürchterlichen Lachkrampf bekommen. Alfred, der Butler.

„Ja Alfred, lass mich in die Bat-Höhle!“ Na gut, ich konnte es mir trotzdem nicht verkneifen, aber Alfred war ja sowieso zu blöd um den Witz zu verstehen. Wenigstens hatte er genug Grips um die Tür zu öffnen. Er füllte mit seinen breiten Schultern den ganzen Rahmen ein und als er keine Anstalten machte zur Seite zu treten versuchte ich vergeblich ihn weg zu schieben und drängte mich durch den winzig kleinen Spalt auf die andere Seite. Wo ich stolperte, weil ich nicht richtig aufsteigen konnte und direkt neben Kain zu liegen kam.

Kain.

Aus den Augenwinkeln nahm ich wahr, wie die Tür hinter mir sich wieder schloss, aber mein Gehirn verstand nicht, was das bedeutete. Es hatte eindeutig andere Probleme. Bewusstlose Probleme… die gerade die Augen geöffnet hatten.

Aufgeregt krabbelte ich angestrengt zu ihm bis ich mich über sein Gesicht beugen konnte. „Kain? Kain! Kannst du mich hören?“ Meine Stimme zitterte und klang schrill. Aber ich bekam keine Antwort, die leblosen Augen schauten starr zur Decke. „Kain, bitte! Bitte sag etwas.“ Hilflos ließ ich meine Hände über sein Gesicht gleiten, über seine Schultern, seinen Brustkorb. Was sollte ich nur tun?

Ich verharrte bei dem Blutfleck und riss kurzer Hand sein Shirt auf um mir die Ursache anzusehen. Seine Stichwunde war wieder aufgeplatzt und hatte zu bluten begonnen. Kain stöhnte auf als ich das wunde Fleisch betastete.

„Celia?“ Kain’s Stimme war leise, beinahe flüsternd. „Was tust du denn hier?“

„Na was wohl? Ich rette dich.“

„Ich muss nicht gerettet werden.“

„Das sehe ich.“ Oh ja, das tat ich! Ich legte mich neben ihn auf den Boden. „Wie geht es dir?“

„Wunderbar.“ Seine Stimme war ganz rau.

„Wirklich? Du siehst nämlich scheiße aus.“, verriet ich ihm leise.

„Danke.“, sagte er müde. „Du stinkst.“ Sofort schnupperte ich prüfend an meinen Kleidern. Bäh! Er hatte Recht! Verfaulte Eier und nasse Socken. Dieser Verdammte Igor…ähm Alfred.

„Du riechst aber auch nicht unbedingt wie eine Blumenwiese.“

„Haha.“, war seine sarkastische Antwort. „Hab ich noch gar nicht bemerkt.“

„Kain?“, fragte ich ihn. „Hmm?“ Er klang müde.

„Tu mir einen Gefallen und halt die Klappe.“ Ich konnte ein leises Kichern hören. „Und du bist extra hier her gekommen um mir das zu sagen?“ Jetzt musste ich auch kurz lachen. „Du kannst dir gar nicht vorstellen wie sehr ich das vermisst habe.

Kurz schaute ich mich im Zimmer um, aber es gab nicht wirklich was zu sehen. Eine kleine Pritsche, ein Klo und sehr trostlose graue Wände. „Wie hast du dir denn hier die Zeit so vertrieben?“, fragte ich ihn nebenbei. „Ach, ich hab mich mit dem Wächter angelegt.“

„Ist er daran schuld?“ Ich zeigte auf seinen wunden Bauch. Kain winkte schwach ab. „Du hättest ihn mal sehen sollen!“ Aber natürlich.

Plötzlich surrte es und die grellen Neonlichter gingen aus. Na dann! Ich drehte mich zur Seite und misshandelte Kain’s Schulter als Kopfkissen. „Gute Nacht Kain.“

„Gute Nacht Celia.“



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Kommentare zu dieser Fanfic (25)
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Von:  CuteAngel
2009-07-24T22:13:48+00:00 25.07.2009 00:13
Es hat mich einige Überwindung gekostet, diese Geschichte zu lesen - nicht falsch verstehen - denn ich mache meistens bei Romane einen Bogen, die Charaktere beschreiben, beinhalten.
Ich möchte mir lieber immer selber ein Bild von den Charakteren machen; daher hat mich das immr abgeschreckt.
Aber dein Schreibstyl hat mich dann überzeugt, das zu ignorieren und zu lesen. XD

Die Mängel, die ich gefunden habe, waren wenn, Kommas gefehlen und vielleicht einige Formulierungen; aber auch mein kleines Probem, daher fühle ich mit dir. ^.~
Dennoch zieh dein Ding doch, denn es ist gut so, wie du schreibst.
Am Anfang etwas langatmig, doch wo der Mr. Dämon auftaucht amüsant. XD
Ich mag ihren Humor.

Die beiden Hauptprotagonisten sind auf jeden Fall topp und ich hoffe, das bleibt auch so.

LG
Jess
Von:  Schneesturm
2009-04-19T10:46:53+00:00 19.04.2009 12:46
Oje, mir ist beim zweiten mal lesen aufgefallen, das ich wohl einiges übersehen habe (ich sollte mir ein ordentlich schreibprogramm installieren)...das tut mir sau leid... =(((
ich hoffe du bist mir nicht böse und ich hoffe auch ich bin als beta nicht durchgefallen..ich werde das nächste mal besser schauen, versprochen!
so und nun zu den eigentlichem teil.
Also Romans verabschiedung fand ich gut so. So ein blöder Witz von ihm hätte da i-wie nicht gepasst. Aww~ ich liebe roman ♥___♥
kain tut mir natürlich auch leid...was wohl jetzt mit den beiden passieren wird? ich fand das kapi auch etwas traurig, aber ich mag traurige storys und ich finde, die peppen das ganze erst richtig auf, wäre ja langweilig, wenn es nur glückliche zeiten geben würde.
Zu dem Igor xDDD der Name ist einfach nur geil.
Ich finde deine namen ideen so klasse, ich hau mich jedes mal weg xDD
so das wars dann erst einmal von mir...ich hoffe der blöde abe bekommt noch seine gerechte strafe ~.~
lg deine (dich hoffentlich nicht zu sehr enttäuschende) beta mel
Von: abgemeldet
2009-04-18T15:34:35+00:00 18.04.2009 17:34
Aloha, :>
möchte hiermit auch ein Kommentar hinterlassen und fange mal an.
Zuerst fällt mir auf, dass Du manchmal gerne mit Komma's sparst. :-)
>Als er endlich in meiner Reichweite war streckte er seine riesigen ...
Ich meine, dass man hinter "war" ein Komma setzen würde. (Zu 100% bin ich mir aber nicht sicher. Doch da dies, meiner Meinung nach, eine Ergänzung zum Hauptsatz ist, müsste das mit einem Komma getrennt werden.)
Ansonsten liest es sich recht flüssig und kann mich von deinem Schreibstil her auch nicht beklagen. Außer ein paar kleinen Flüchtigkeitsfehlern, habe ich nicht groß etwas gefunden, was mich von der Rechtschreibung her stören würde.
Teilweise muss ich aber auch [[XSchneekatzeX]] zustimmen, was die Beleidigungen betrifft. Es mag zwar aus der "Ich-Perspektive" kommen, aber ich würde solche Beleidigungen und Schimpfwörter in der direkten Rede verwenden und nicht im normalen Text. Das liest sich irgendwie seltsam.
>Dieser verdammte Wichser!
Dort hätte ich es besser geunden, wenn es z.B ein gedachter Satz von Celia wäre, was demnach auch >"Dieser verdammte Wichser!", dachte sich Celia.< hätte lauten können.
Ist deine Geschichte, ich weiß. :-) Ist aber auch nur meine Meinung.

Und was mir noch aufgefallen ist:
>„Mein Name ist Kain Jonnson.“, sagte er...
Wenn Du in der direkten Rede einen Punkt am Ende des Satzes verwendest, ist der Satz zu Ende und man fängt einen neuen Satz an. Daher wird nach einem Punkt in der direkten Rede auch kein Komma mehr gesetzt, egal ob anschließend ein Verb kommt oder nicht. Ausnahmen bilden Ausrufezeichen und Fragezeichen. (Habe den Fehler selbst kürzlich noch gemacht. :>)

Die Grundidee deiner Story hört sich aber schonmal interessant an, auch wenn ich absolut kein Fan von "Ich-Perspektiven" bin. Aber dein Schreibstil liest sich recht angenehm und möchte dich auch mit meinem Kommentar nicht entmutigen, sondern eher ermutigen weiter zu schreiben!

Und ansonsten kann ich jetzt nicht wirklich mehr etwas finden, was ich noch schreiben könnte. Wünsche Dir noch viel Spaß beim schreiben deiner Geschichte! :-)

Liebe Grüße
Von:  P-Chi
2009-04-12T17:40:43+00:00 12.04.2009 19:40
Das war mal wieder sehr toll geschrieben gewesen.
Ich frage mich nur, ob Celia das Geld aus dem Hotel irgendwann mal wieder zurückholt...?
Naja, die Klone waren auch super xDD, aber eine kleine beschreibung wäre ganz nett gewesen.
Harry hat sich ja sehr verändert...von einem Schwulen zu nem Obermacker. Naja, er ist mir trotzdem noch sympathisch xDD *grins*

lg Liti-pa
Von:  P-Chi
2009-04-10T17:23:48+00:00 10.04.2009 19:23
;____________________; Kaaaaaaaiiin~ *schnief* *sich die Nase putz*
Man, das war mal ein deprimierendes Kapitel...
Aber ich glaub da war etwas nicht ganz korrekt. Im ersten Kapi, hat da ihr gebrochenes Bein nicht innerhalb zwei Stunden geheilt?? Hmmm...?
Und du hast (für deine verhältnisse) ganz schön viele Fehler gehabt...-.-"
zb.: Mine -> Miene
Naja, aber da waren noch viele andere...das ist eben das Wort das bei mir hängen geblieben ist.^^'
Igor...man, du hast ja Ideen xDDD Auf in die Bat-Höhle, Alfred! *grins*
Nuuun, ansonsten hast du es ja sehr schön geschrieben. Flüssig zu lesen, schöne Übergänge und diesmal sogar etwas seriös! Respekt, Kafka.
Roman war letztendlich doch ganz nett. Hmmm, ich hätte mehr erwartet das er sich mit i-einem schlüpfrigen Satz verabschieden würde...aber was solls. ;3
Nun denn~ fröhliches schreiben noch!

Lg Liti-pa =^-^=

Von: abgemeldet
2009-03-28T13:52:09+00:00 28.03.2009 14:52
Hm, also ich bin vom Zirkel und dachte, da ich mein Pensum noch nicht erfüllt habe, schau ich mal bei dir rein =).
Ich kommentiere jetzt mal nur das erste Kapitel da ich an Eigenen Serien nicht soo sonderlich interessiert bin, nimms mir nicht übel ^^".

Also zuersteinmal im Großen und Ganzen finde ich deinen Ausdruck sehr schön; der Text ist scghön flüssig zu lesen und auch von der Absatz- und Zeilenumbruchaufteilung sehr gut geworden, da gibt es nichts daran zu mäkeln.
Auch die Idee der Story scheint ganz interessant zu sein, auch wenn ich bezüglich der Umsetzung noch ein kleines Bisschen skeptisch bin - denn ich finde das ein bisschen viel Information für ein einziges Kapitel, es passiert einfach zuviel - ich persönlich brauche, wenn ich etwas anfange zu lesen erstmal ein bisschen Zeit mich auf Charaktere und Umgebung einzustellen und wenn dann eine Actionszene auf die andere folgt und die Standorte so schlagartig wechseln bin ich da leicht überfordert ^^".

Dann bin ich kein Fan von Ich-Perspektiven; ich finde, das schränkt einen einfach im Erzählerspielraum enorm ein und man läuft schnell in Gefahr sein Geschriebenes recht einseitig wirken zu lassen; was ich allerdings noch schlimmer finde, sei mir nicht böse, ist dieser Schwenk zwischen Ich-Form und Erzähler der dritten Form - entscheide dich, entweder oder, aber bitte nicht beides miteinander vermixen.
Was mich teilweise auch gestört hat, diese große Verwendung von Schimpfwörtern, ich meine, gut in der wörtlichen Rede stört es mich nicht sonderlich, aber im Erzähltext wirkt sowas ziemlich billig.
Was noch... achja, hast du schonmal ne halbe Flasche Whiskey geleert? Auf einen Zug? Dauert ein paar Minuten dann kotzt du dir erstmal die Seele aus dem Leib Oo, besonders als Frau, wo man eine geringere Körpermasse hat, zumal das so oder so nicht gut für den Magen ist, also empfand ich das als etwas unrealistisch ^^".

Grammatikalisch war es im Groben auch gut, das Einzige, worauf du wirklich achten solltest sind Nominalisierungen, die hast du recht oft klein geschrieben, aber vielleicht siehst du dir den Text nochmal durch =).

Ansonsten hab ich nichts dran auszusetzen und verabschiede mich mal wieder ^^v.

LG, Katze
Von: abgemeldet
2009-03-18T15:41:43+00:00 18.03.2009 16:41
whaiii *___*
was hab ich da nur entdeckt?!
das ist ja noch witziger als Kapitel 1!
Kain ist ein ausgekochtes Schlitzohr und Celia ein weiblicher Brutalo XD
klasse Kombination!
Fifi hast du auch toll eingeführt, die wird die Sympathieträgerin bleiben XDD *lach* (nein)

Super super super >///<

vielleicht nur eine Anmerkung-
wenn Celia fragt, ob sie sie gefangen halten-
dann ist sie eine Geisel.
Eine "Geißel" ist eine Peitsche oder Plage.
^-^ Geißel ist viel seltener, deshalb kennt das kaum jemand.
Von: abgemeldet
2009-03-18T15:29:41+00:00 18.03.2009 16:29
argh X///D Tippfehler, natürlich heißt sie Celia X///D
*headdesk*
Von: abgemeldet
2009-03-18T15:28:54+00:00 18.03.2009 16:28
hi du :)
Ich wollt mal schauen, was meine Teamkollegin so schreibt
*umfall*
>///< Fantastisch!
Der Anfang schleppt sich etwas, aber ab Seite 2 ist es nur noch zum Brüllen
Kain und Cecilia sind ein herrliches Duo, sie sollten eine Show bekommen! XDDDDDDD
Was ich hier gelesen habe, hat mir sehr gefallen. Es war auch gar nicht anstrengend, zu lesen *0*
ich prophezeihe unserem Team dann schon mal einen tollen Bösewicht und-
^-° wir haben nen ähnlichen Humor, du und ich.
yay sag ich bloß...
yay
XDDD!
Science Fiction wird für dich kein Problem sein, das sag ich dir gleich.
Du hast nämlich Talent.

Kann es sein, dass du Buffy-/Charmed-Fan bist oder welche Inspirationsquellen hat "Das Pendel"?

grüetzi,
styx
Von:  Schneesturm
2009-03-15T17:25:05+00:00 15.03.2009 18:25
xDD also ich muss sagen, das ich den titel echt geil finde "die notgeile sau und ich" also ich würde das so lassen.
Ich finde den Roman seeeeehr sympatisch, besonders weil er mich an eine person erinnert. Mir gefällt seine Art- machogehabe und dann den schwanz einzieh- Ich könnte mir Celia und roman richtig gut als altes ehepaar vostellen und wie sie sich gegenseitig aufziehen x3
roman hat kain von seinen platzt gekickt xD
Zum Kapitel- Ich finde wieder die ganzen Dialoge sehr ansprechend und besonders toll finde ich auch die vergleiche von den 3 Klonen oder wie Celia sie nennt "tick trick und track"
Auch sehr toll fand ich die Idee mit den Briefen und wie sie Celia von einem Ort zum anderen geführt haben.
Mich würde mal interessieren, ob sie Kain wirklich freilassen und was Abe mit den beiden machen will o.Ô
Den Harry mag ich auch immer noch sehr♥
lg deine Beta Mel

PS: ROMAN ICH LIEBE DICH ♥♥♥!! xDDDD



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