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Das Pendel

Wenn man nicht schwarz und auch nicht weiß sein kann, was ist man dann?
von

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Wie geht es dir, Miranda Schiller?

Wie schon so oft in den letzten paar Tagen, wachte ich benommen auf. Ich öffnete meine brennenden Augen und konnte im ersten Moment alles nur verschwommen erkennen. Dann drückten mir unbekannte Mächte meine schweren Augenlider wieder zu. Mein ganzer Körper fühlte sich so an als wäre er vollkommen in Watte verpackt und ich konnte mich, auch wenn ich mich noch so sehr anstrengte, nicht bewegen. Es kam mir so vor, als wäre ich in einer anderen Dimension gefangen, ohne Körper.

Ich konnte keinen einzigen zusammenhängenden Gedanken bilden, und auch trotz der Tatsache, dass ich mich verzweifelt an mein Bewusstsein klammerte, versank ich schon bald wieder im Strudel des Träumens.

Und ich träumte. Träumte von vielen, zusammenhanglosen Dingen. Und wachte trotzdem nicht auf. Nicht nur das, ich versank immer tiefer, konnte mich nicht festhalten, drohte unterzugehen. Ging unter. Drohte zu ertrinken.

Und wachte ruckartig auf.

Ich saß von einem Moment auf den anderen hellwach und kerzengerade in meinem Bett und sank nahezu im gleichen Augenblick, von Schmerzen gepeinigt, wieder zurück in die weichen Kissen. Jeder Zentimeter meines Körpers pochte höllisch und ich war überzeugt, noch nie solche Schmerzen gehabt zu haben. Ich wollte schreien, doch bei dem Versuch bekam ich nur ein schreckliches Krächzen heraus. Ich konnte spüren, wie die Tränen mir über das ganze Gesicht strömten und sich brennende Spuren bis zu meinem Hals bahnten. Ich konnte genau hören, wie ich innerlich zu wimmern begann und hasste mich in diesem Moment für meine Schwäche. Durch die Schmerzen war mein Verstand glasklar. Auf diese Tatsache hätte ich in diesem Augenblick wirklich gerne verzichtet.

Einfach die Augen schließen und schlafen.

Bist du wahnsinnig?, schrie es in meinem Inneren. Wenn du jetzt einschläfst gibst du auf! Du wirst sie jetzt ganz sicher nicht siegen lassen! Wehe du gibst einfach den Löffel ab! Mach die Augen wieder auf! Sonst war alles um Sonst. Kain hat dann sein Leben um sonst weggeschmissen. Du hast dich dann vollkommen um Sonst durch dein Leben gekämpft! Du hast noch nie aufgegeben und es ist der schlechteste Zeitpunkt um damit anzufangen. MACH DIE AUGEN WIEDER AUF!

Ich öffnete wieder die Augen.

Und war immer noch so müde.
 

Kain wachte im selben Moment wie Celia auf. Sein Kopf tat höllisch weh und er stand sofort etwas schwankend auf und stützte sich an die Wand.

Was für eine Wand?

Kain schaute sich verwirrt in dem Raum um. Die Wände waren in einem grauweiß gestrichen und außer dem schmalen Bett, in dem er aufgewacht war und einem metallenen Gefängnisklo in der gegenüber liegenden Ecke war das ganze Zimmer vollkommen leer. Es gab kein einziges Fenster, aber Kain konnte in der Decke ein Gitter erkennen, durch das frische Luft zu strömen schien. Es gab eine große, glatte, weiße Tür ohne Türklinke in der die Umrisse eines Rechtecks eingelassen waren. Kain schätzte, dass man ihn auf diese Art beobachten könnte.

Er stieß sich von der Wand ab und schwankte zittrig zu der Tür. Er begann mit den Fäusten auf die feste Fläche zu schlagen bis seine Hände zu bluten anfingen.

Lasst mich hier raus! Macht auf! Ich will hier raus!“, schrie er immer wieder so laut er konnte, doch schon bald hatte er seine Stimme verloren und krächzte nur noch lautlos vor sich hin.

Nach ein paar Stunden fiel er schwach auf den Boden und rollte sich zusammen während seine eigenen Worte immer wieder in seinem Kopf widerhallten.

Lasst mich hier raus!
 

Ich hatte es geschafft. Ich war wach geblieben und nun fiel es mir kaum noch schwer die Augen offen zu halten.

Ich lag noch immer in dem weichen, breiten Bett. Das Zimmer, in dem ich mich befand war hübsch und gemütlich und hatte einen mädchenhaften Omastil. Die Vorhänge an den beiden Fenstern und mein Bettüberzug waren mit Blumenmustern verziert. Direkt geradeaus konnte ich die schöne, alte Holztür sehen, doch allein der Gedanke dorthin zu gehen schien mir unmöglich. Rechts neben der Tür stand eine Kommode aus dem gleichen Holz, wie die Tür und über ihr hang ein breiter Spiegel, der einen verschnörkelten Rahmen hatte, der ihn sehr alt wirken ließ. Höchstwahrscheinlich ist er es auch, dachte ich.

Ich hatte keine Ahnung, wo ich hier war und hatte mich auch noch keinen Millimeter bewegt seit dem ich wach war. Ich konnte spüren, dass mein ganzer Oberkörper und mein Hals verbunden waren. Und ich konnte die Schmerzen spüren.

Ich hatte keine Ahnung, was geschehen war. Das Letzte, an das ich mich erinnern konnte, war dieser Typ, der mich bedroht hatte. Vor meinem inneren Auge konnte ich ihn noch immer am Boden wimmern sehen. Es war alles vollkommen klar, doch was war danach geschehen?

Egal, was es war, es musste schrecklich gewesen sein. Soweit mein Zeitgefühl mich nicht betrog, musste ich hier schon einige Zeit liegen, ganz abgesehen von den Stunden, die ich verschlafen hatte. Das wirklich seltsame daran war, dass die Schmerzen währenddessen nicht nachgelassen hatten. Eigentlich hätte von den Wunden kaum noch etwas übrig sein dürfen, doch sie waren noch immer mindestens genauso präsent wie zu Anfang. Wenn ich in der Lage dazu gewesen wäre, hätte ich jetzt die Stirn gerunzelt.

Meine Mutter hatte mir einmal erzählt, dass das schnelle Heilen von Verletzungen schon seit Generationen in meiner Familie lag. Ich hatte außer meiner Mutter nie einen anderen Verwandten kennen gelernt, aber so weit ich wusste hatte mein Vater mir diese Gabe vererbt. Angeblich hatte meine Familie einmal zu den 7 Gründerfamilien des Ordens gehört. Ich hatte zwar bis auf Kain noch nie von den Pendlern gehört, aber auch wenn mir der Name nicht bekannt gewesen war, so hatte ich trotzdem schon von dem Orden an sich gehört.

Die Sage, so weit ich sie kannte, besagte, dass der Orden entstanden war nachdem Gott mit der Sintflut all das Böse aus der Welt merzen wollte. Danach war das Gleichgewicht so gestört gewesen, dass die Welt untergehen zu drohen schien. Ab da waren die Pendler das erste Mal auf der Bildfläche erschienen. Ihre Aufgabe war es, dafür zu sorgen, dass das Gleichgewicht nie wieder überkippte. Alle 7 Gründer stammten aus der Verbindung des Guten und des Bösen, so hieß es. Natürlich war es trotzdem schon oft zu Problemzeiten gekommen, das letzte Mal in Europa während des 2. Weltkrieges. Dies war die schwarze Zeit in der Geschichte des Ordens gewesen. Das alles kam der Wahrheit höchst wahrscheinlich nur sehr vage nahe, aber irgendwo musste doch etwas dran sein, denn in meiner Familie war die Gabe auch über die vielen Jahrtausende nicht verloren gegangen.

Schon komisch über was man nachdachte, wenn man nichts zu tun hatte. Innerlich konnte ich mich noch an den Nachmittag in meiner Kindheit erinnern, an dem ich meine Mutter das erste Mal gefragt hatte, warum meine Verletzungen so schnell verheilten.

An dem Tag war es besonders schön gewesen und unsere Lehrerin in der ersten Klasse hatte beschlossen ein paar Stunden draußen zu spielen. Ich war vom Klettergerüst gefallen und hatte mir dabei den Fuß gebrochen. Die Lehrerin war total außer sich gewesen und die Rettung war mit Blaulicht angefahren. Mir war im Krankenhaus das ganze Bein eingegipst worden, aber am Abend war das ganze Bein wieder heil gewesen. 2 ganze Monate lang hatte ich mit dem Gips in die Schule gehen müssen um keine Blick auf mich zu ziehen. Das würde ich nie vergessen. Daran hatte ich schon seit Jahren nicht mehr gedacht. Ich vermisste meine Mum wirklich sehr.

Wenigstens hatte mich das jetzt eine Weile von meinen Schmerzen abgelenkt, aber nun starrte ich wieder wie gebannt an die Decke und dachte eine Zeit lang gar nichts. Innerlich wusste ich, dass ich mir die eine Frage nicht stellen durfte.

Wo bin ich hier?

Mein Unterbewusstsein war sich klar, dass mir diese Frage den Rest geben würde, also hielt ich es für besser nichts zu denken. Das hatte ich schon immer gut gekonnt. Nichts denken…

Die weiße Tür öffnete sich beinahe lautlos und ein Schatten glitt in das, inzwischen dunkle Zimmer. Ich schreckte auf und folgte dem unbekannten Eindringling durch den Raum. Er ging auf die rechte Seite meines Bettes zu und setzte sich dort auf einen Hocker, den ich noch nicht entdeckt hatte. Dann schaltete er eine Lampe direkt über meinem Kopf an. Das Licht blendete meine überempfindlichen Augen und ich drehte mein Gesicht ganz nach rechts um den Unbekannten bei Licht zu sehen. Ich konnte spüren wie meine Halswunde aufzuplatzen drohte und schnappte erschocken nach Luft. Der junge Mann neben mir hatte lange, blonde Haare und ein engelhaftes Gesicht. Er grinste mich breit an und machte einen überraschend sympathischen Eindruck. „Tut es immer noch sehr weh? Ach, was sag ich denn da. Natürlich wirst du dich elend fühlen.“ Er machte eine theatralische Geste. Als ich den Mund aufmachen wollte schüttelte er entgeistert den Kopf. „Ach Kindchen! Nicht reden, bitte nicht reden! Du willst sicher wissen was passiert ist?“ Er machte einen seltsam seriösen Gesichtsausdruck der zu dieser Person nicht zu passen schien. Er gab mir eigentlich keine Gelegenheit zu antworten und plapperte sofort weiter. „Aber sicher willst du das! Also, lass mich nur kurz sehen…An was erinnerst du dich denn noch? Ach, was frag ich denn da! Nun, wo soll ich nur anfangen? Ach ja, genau. Du hast 48 Stunden lang durchgeschlafen. Ich hab dir ein paar Schmerzmittel gegeben, damit du es etwas besser erträgst. Du armes, armes Kind…

Also…Ich bin Harry! Und du darfst mich Harry nennen!“ Er streckte mir die Hand entgegen und blickte dann ein bisschen hilflos umher, als sein Arm nutzlos in der Luft hängen blieb. Als er ihn wieder zurück zog fing er zu lachen an.

„Wenn du dir den Namen nicht merken kannst, denk einfach an Harry Potter! Nicht an Prinz Harry, bitte! Den hab ich einmal getroffen und ich musste leider feststellen, dass sein Modegeschmack einfach nicht existiert!“ Er machte eine verächtliche Geste und brachte mich mit seinem Gesichtsausdruck beinahe zum Lachen.

„Nun jedenfalls…wo war ich? Ist ja auch nicht so wichtig! Jedenfalls…was tust du denn da?“

Ich hatte gerade versuchen wollen zu reden, aber irgendwie brachte ich nur ein erbärmliches Röcheln zustande. „Nein, nein! Nicht reden!“

„Was ist…passiert?“ Ich klang schrecklich, das musste selbst ich zugeben. Und hätte ich es selbst nicht gehört, so hätte ich es spätestens an dem Gesichtsausdruck von Harry abgelesen. Er sah vollkommen aufgelöst vor Mitleid aus. „Bist du dir wirklich sicher, dass du es wissen willst? Es ist wirklich schlimm.“, fragte Harry mich leise.

Ich nickte mühsam. „Also gut.“, setzte er langsam an. Jegliche Fröhlichkeit war aus seinen Zügen gewichen. „Vor etwas mehr als zwei Tagen wurdest du in einer Seitengasse am Rand von St. Albans überfallen. Dieser Mistkerl hat dich förmlich ausgeweidet.“ Hass spiegelte sich in seinem Gesicht wider. „Insgesamt wurde 15-mal auf dich eingestochen.“ Er schluckte laut. „Als er damit fertig war hat er dir den Hals aufgeschlitzt.“ Er deutete viel sagend auf meine verbundenen Hände. „Du hast dich wohl gewehrt. Es gleicht einem Wunder, dass er dabei die Aorta verfehlt hat. Sonst wäre dir nicht mehr zu helfen gewesen.“ Er stockte einen kurzen Moment. „Ich habe dich schreien hören und bin daraufhin sofort in deine Richtung gelaufen. Als ich dich endlich entdeckt habe hat sich dieses Arschloch gerade über dich gebeugt. Hätte ich ihn nicht unterbrochen, hätte er es mit Sicherheit zu Ende gebracht. Von ihm fehlt noch immer jegliche Spur.“ Er blickte mich entschuldigend an.

„Ich hab mich dann um dich gekümmert und dich dann hier her gebracht. Das war, wie gesagt vor zwei Tagen.“ Harry wandte sich ab. „Wenn ich ehrlich bin, bis zu dem Augenblick in dem ich durch die Tür hier gekommen bin und gesehen habe, dass du wach bist, hätte ich keinen einzigen Moment auch nur die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass du überleben wirst.“ Er lachte traurig. „So etwas hab ich noch nie erlebt.

Jetzt sah er mich wieder an. Sein Gesicht war wie ausgewechselt. „Weißt du was? Ich habe keine Ahnung wie du heißt. Hmmm, lass mich überlegen… Du siehst aus wie…eine Susanna, richtig?“ Meine Mundwinkel zogen sich automatisch nach oben.

„Ach? Liege ich also so falsch? Vielleicht Melissa? Corinne? Sarah? Nein, nicht?“

„Mein Name ist…“ Ich hatte automatisch zu reden begonnen. „Mein Name ist Miranda Schiller.“, sagte ich mit rauer Stimme.

„Miranda? Ein hübscher Name, Miranda. Und er passt wie angegossen! Dass ich da nicht von selbst drauf gekommen bin.“ Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse. „Nun gut Miranda…Als dein Retter fühle ich mich verpflichtet, dass du dich grässlich anhörst. Du bist sicherlich müde! Also, ich lass dich dann in Ruhe schlafen.“ Er stand auf, schaltete das Licht wieder aus und ging durch das jetzt dunkle Zimmer auf die Tür zu.

„Harry?“, würgte ich hervor.

Mit der Hand schon auf der Klinke drehte er sich noch einmal um.

„Ja Liebes?“

„Ich…Kann ich was zu essen haben?“

Harry schlug sich mit der Handfläche auf die Stirn. „Essen! Aber natürlich!“ Er schüttelte den Kopf. „Du musst am Verhungern sein! Lass mir ein wenig Zeit, ich sehe mal nach, was ich finden kann.“ Dann öffnete er die Tür, verschwand durch den Spalt und machte hinter sich wieder zu.

Das Zimmer war jetzt vollkommen dunkel. Ich schaute noch ein paar Minuten lang zur Tür, doch dann wurden meine Augenlider unerträglich schwer und ich schlief ein.
 

Kain saß erschöpft in einer Ecke in seiner Zelle und starrte auf den Boden wo er Kreise mit seinem Zeigefinger malte. Er hatte jegliches Zeitgefühl verloren, das grelle Neonlicht richtete sich nicht nach den Tageszeiten. Sein Magen knurrte und er war wie in Trance. Einen Kreis nach dem anderen. Seine Hände waren blutverkrustet und schmerzten schon allein vom Hinsehen. Er lehnte sich zurück und schloss einen Moment die Augen.

Ach, tut das gut!

Der Boden war zwar hart, aber das Bett wäre nicht besser und auf diese Weise müsste er wenigstens nicht der Schwerkraft trotzen. Also blieb er einfach liegen.

Sein Magen knurrte schon wieder und bei dem Geräusch verkrampfte er sich verspannt. Mühsam rappelte er sich auf und schwankte einen Moment bis er das Gleichgewicht gefunden hatte. Dann ging er ungeschickt auf die Tür zu.

„Ich hab Hunger! HEY! Ich sagte, ich hab Hunger!“, brüllte er so laut er konnte. „Hallo? Ist da jemand?“ Er trat so fest er konnte gegen die Tür. „Ich hab Hunger, ihr Arschlöcher! Ich will was zu essen haben!“, schrie er weiter. „Hallo?“ Er trat noch einmal heftig gegen die Tür. „Hey!“

Plötzlich machten die Neonlampen ein beunruhigendes Summen und Kain stand von einem Moment in den anderen in schwärzester Dunkelheit. Kain trat noch einmal so fest er konnte gegen die harte Oberfläche. Er war sich sicher, dass sein Fuß früher Schaden von dieser Methode erleiden würde als die Tür, aber seine pochenden Knochen waren ihm dabei herzlich egal. „Ihr Wichser!“

Kain streckte instinktiv die Arme aus während er das Zimmer durchquerte, aber schon nach einem Meter knickten ihm die Beine weg und er landete auf dem steinharten Bett. Er stöhnte einmal laut, rollte sich zusammen und schloss dann die Augen.
 

Ich wachte am nächsten Morgen auf und fühlte mich wie ausgewechselt. Natürlich waren die Schmerzen noch da, aber inzwischen konnte ich schon einen immensen Unterschied zu gestern feststellen. Immerhin etwas…

Ich sah mich im Zimmer um. Es war jetzt hell und dadurch automatisch gemütlicher. Auf der weißen Kommode stand ein Tablett wie aus einem Film. Aus der Entfernung konnte ich nur ein Glas, einen großen Teller und, alle Achtung, eine Minivase mit dazupassendem Miniblumenstrauß erkennen. Mir hatte noch nie jemand Blumen geschenkt. Ich konnte spüren, wie ich zu grinsen anfangen musste.

Vorsichtig bewegte ich meine Arme und setzte mich auf. Im ersten Moment sog ich erschrocken die Luft ein, dann gewöhnte ich mich schnell an das komische Schmerzgefühl. Ich blieb noch ein paar Minuten reglos mit geschlossenen Augen sitzen und konzentrierte mich ausschließlich auf das Atmen. Als ich meine Augen zögerlich wieder öffnete, entdeckte ich einen faustdicken Verband auf meinen Händen. Ich runzelte die Stirn und begann an dem weißen Stoff herumzuzupfen, bis er endlich nachgab. Ich wickelte und zog schon beinahe panisch an dem Leinen herum, bis meine rechte Hand frei war. Die Handfläche war mit weiß glänzenden Narbenlinien überzogen, aber ich fühlte keinen Schmerz wenn ich sie bewegte. Ich war mir sicher, dass dies die Überbleibsel meines Scherbenunfalls waren und machte mich daran auch die andere Hand zu befreien. Sie sah im Grunde genauso aus wie ihre Schwester, aber mitten in meiner Handfläche prangerte noch immer ein blutunterlaufener 3 Zentimeter langer Schnitt. So, wie es aussah musste diese Wunde bis auf den Knochen gegangen sein, aber ich war mir sicher, dass dies noch nicht der Fall gewesen war, nachdem ich aus dem Fenster gesprungen war. Das hier musste danach passiert sein.

Langsam rutschte ich mit den Beinen über die Bettkante und kam vorsichtig zu stehen. Meine Bauchgegend fühlte sich auf eine gewisse Art wie abgestorben an. An manchen Stellen kam es mir so vor als wäre meine Haut zu eng für meinen Körper. Ich dachte jeden Moment mir würden die Wunden von neuem aufplatzen. Ich trug ein breites, blaues Omanachthemd, das um meine Beine schlabberte.

Vorsichtig, einen Schritt nach dem anderen, trippelte ich auf die Kommode zu wie ein alter Mensch mit Gehschwäche. Endlich angekommen, stand mir der Schweiß schon im Gesicht.

Oh mein Gott!

Ich schlug mir die Hände vor den Mund und fing im selben Moment zu wimmern an. Ich blickte meinem Spiegelbild direkt in die Augen und konnte spüren wie mir schlecht wurde.

Ich sah schrecklich aus.

Einfach fürchterlich.

Über meine linke Wange zog sich ein dicker, mindestens 5 Zentimeter langer Schnitt, der sich ungesund rötlich-gelb verfärbt hatte. Mein rechtes Auge war blau angelaufen und geschwollen und meine Unterlippe war blutig aufgeplatzt. Im großen Ganzen sah ich so aus, als hätte ich mir eine intensive Barschlägerei geliefert. Wäre ja wohl nicht das erste Mal gewesen, aber bis jetzt hatte ich noch nicht mal ansatzweise so ausgesehen.

Der weiße Verband rund um meinen Hals hatte vereinzelte gelblich-rote Flecken, die an die Oberfläche schimmerten.

Der Anblick schaffte mich wirklich. Ich starrte gebannt auf mein Gesicht und war nicht in der Lage weg zu sehen.

Es war wahrscheinlich schon eine halbe Stunde vergangen, als ich von draußen Schritte hören konnte. Ich schreckte auf und stolperte so schnell ich konnte zum Bett. Dort hatte ich mich gerade ein paar Sekundenbruchteile unter der weichen Daunenbettdecke verkrochen, als Harry zur Tür rein kam. Er hatte eine schwarz-weiß karierte Seidenbluse und eine schwarze Hose an. „Und, wie geht’s dir heute Miranda?“, fragte er mich nett. Ich lächelte ihn so erbärmlich wie möglich an und zuckte unscheinbar mit den Schultern.

„Hast du Hunger?“ Ich nickte schwach, in der Hoffnung, dass er mir meine Rolle abnehmen würde.

Tat er.

Harry runzelte die Stirn und holte mir das Tablett ans Bett. „Schaffst du’s alleine?“, fragte er mich besorgt. Ich nickte wieder, während er mir die Platte auf den Schoß stellte. Ich langte mit der Hand nach dem Croissant auf dem Teller, verharrte aber dann plötzlich, als Harry meine Hand verwirrt ansah. „Du hast ja den Verband runter gegeben.“, sagte er verwundert, als er nach meiner rechten Hand griff. Er strich mit dem Daumen immer wieder über die Innenfläche und blickte mich verwirrt an. „Als ich den Verband vor zwei Tagen gewechselt habe, war deine Hand doch völlig zerschnitten. Wie hast du das gemacht?“ Er sah mich misstrauisch an. Ich konnte spüren wie mir langsam immer heißer wurde. „Ich habe keine Ahnung.“, sagte ich mit rauer Stimme.

„Na dann. Du bist also etwas beständiger als die meisten anderen Menschen, nicht wahr?“ Er lächelte mich nett an. „Seien wir froh, sonst könnte ich dich jetzt nicht mehr mit meiner störenden Anwesenheit nerven. Aber da ich es gerade sage, ich muss jetzt wieder gehen. Lass es dir schmecken.“, meinte er noch bevor er durch die Tür verschwand.

Das war seltsam gewesen. Ich bezweifelte, dass er das so hinnehmen würde, auch wenn es den Anschein hatte. Außerdem hatte er zuerst so gewirkt, als hätte er sich auf einen längeren Besuch eingestellt. Hatte sein plötzliches Verschwinden mit den verheilten Schnittwunden zu tun? Natürlich konnte ich es nicht wissen, aber meine Theorie machte mich misstrauisch. Was hatte Harry in dieser Seitengasse zu suchen gehabt? War es nur ein Zufall, dass er mich gefunden hatte? Und warum hatte er mich nicht ins Krankenhaus gebracht?

Wieso fiel mir das Alles eigentlich erst jetzt auf? Irgendetwas stimmte hier überhaupt nicht und ich hatte keinen blassen Schimmer, was nun zu tun sei. Weglaufen konnte ich nicht, das ließen meine Verletzungen mir noch nicht zu. Allerdings konnte sich das bald ändern. Von einem Moment auf den anderen fühlte ich mich nicht mehr wohl in dem gemütlichen Zimmer.

Ich blickte freudlos auf das Essenstablett hinab. Wann hatte ich das letzte Mal keinen Appetit gehabt? Vielleicht lag es aber auch daran, dass ich plötzlich Angst hatte, vergiftet zu werden.

Ach, Blödsinn Celia! Weshalb sollte er dich zuerst retten, nur um dich dann zu vergiften? Das ergibt keinen Sinn!, klärte mich mein Hirn freundlicherweise auf. Also iss! Du wirst es die nächsten Tage noch brauchen können.

Gesagt, getan.

Alles, was ich jetzt sonst noch machen konnte, war warten.

Gesagt, getan.
 

Kain wachte auf und fing zu schnaufen an, als ein Krampf seine Wirbelsäule und die Schulterblätter zu traktieren begann. Diese Matratze war die Hölle. Verspannt setzte er sich auf und rieb sich kurz die Augen. Als sein Blick auf den Boden traf, erstarrte er. Auf einem Plastiktablett, zentral im Zimmer, standen ein Teller mit ein paar Broten und ein Glas Wasser.

Während er geschlafen hatte, war jemand hier gewesen! Er fing zu fluchen an. Es war wirklich jemand hier gewesen, keinen Meter neben ihm!

Schnell kniete er sich vor das Tablett und nahm sich ungeduldig eine Scheibe Brot. Was für ein Klischee! Gefangen bei Brot und Wasser! Kain fing zu kauen an und verschlang beinahe alles ohne zu kauen, dann wollte er nach dem Glas greifen um die Brocken runter zu spülen. Sein Blick landete auf der Stelle, auf der das Glas gestanden hatte. Dort lag ein weißer Zettel auf dem mit dickem, schwarzen Filzstift:
 

An das Arschloch!

Liebes Arschloch,

Hör mal zu du Wichser! Du hast mich gestern aufgeweckt!

Weißt du, wie lange ich gebraucht habe um wieder einzuschlafen?

Kannst du dir das vorstellen?

Wenn du das noch einmal tust, wirst du in Zukunft im Dunkeln verrecken dürfen!

Du hast doch ‚Kill Bill’ gesehen? Nein, du bist nicht Bill!

Du bist Buck!

Kapiert Arschloch?

Kain starrte böse auf den Zettel und las ihn sich immer und immer wieder durch. Irgendwann zerdrückte er das Papier in seiner Hand und zerriss es dann in kleine Fetzen.

Er war in den Fängen eines Psychopathen gelandet!

War ja klar!

Resigniert widmete Kain sich wieder seinem Magen zu, aber die Worte hatten sich in seine Netzhaut eingebrannt, so dass es ihm unmöglich schien, sie aus seinen Gedanken zu verbannen. Plötzlich stieg ein Glucksen seine Kehle hoch, und während er seinen Hinterkopf gegen die Wand in seinem Rücken knallte, rannen ihm vor Lachen die Tränen übers Gesicht.

Er hatte eine Wahnsinnige vorm Einsperren gerettet und war jetzt selbst das Spielzeug für einen. Hier würde er wohl nicht mehr so schnell heraus kommen.

Etwas schwankend stand er auf und ging auf die Tür zu.

„Hey! Ich weiß, dass du da bist! Wach auf! Ich – will – hier – RAUS!“ Er hämmerte in einem gleichmäßigen Pochen gegen die Tür, während seine aufgesprungenen Wunden zu bluten anfingen und die weiße Oberfläche beschmierten. „MACH – DIE – VERDAMMTE – TÜR – AUF!!!“, hallte es durch den Raum. Jetzt trat er auch mit seinem Knie los. „Hallo, hier bin ich! Zeig dich doch wenigstens du Feigling! Was ist denn schon dabei? Oder bist du etwa zu schwach um dich mir zu zeigen? Hast du Angst vor mir? Bist du deswegen erst rein gekommen, als ich geschlafen habe? ZEIG DICH MIR!!!“, schrie er gegen die Tür.

Dunkelheit umhüllte ihn, wie ein Überfall von hinten. Ganz plötzlich.

„DU HAST ES SO GEWOLLT! GUTE NACHT BUCK!“ Die Stimme klang sehr, sehr jähzornig und passte zu dem Bild, das Kain sich schon von seinem Psychopathen gemacht hatte. Er setzte sich wieder auf den Boden und starrte mit offenen Augen ins Nichts.

Apropos ‚sein Psychopath’. Wo Celia wohl gerade war? Ob sie es geschafft hatte?

Oder hatten sie sie gefunden?

Kain konnte spüren, wie Sorge seine Brust umfing. Er hätte sie nie verlassen dürfen, niemals. Was hatte ihn dazu geritten, sie einfach zu verlassen? Er stöhnte leise, als sein Kopf wieder zu pochen begann.

Das konnte doch alles nicht wahr sein. Es durfte einfach nicht wahr sein. Seine Gedanken rasten im Kreis. Er kam nur immer wieder zu dem einen Gedanken.

Ob es jetzt aus ist?
 

Mitten in der Nacht wachte Kain auf. Warum? Nein, nicht weil der Boden zu hart war und auch nicht weil es ziemlich kalt war. Der Grund war, dass sein Psycho gerade dabei war ihn und seine Innereien in Mus zu treten. „ICH – HAB – DICH – GEWARNT – ABER – DU – HAST – ES – JA – SO – GEWOLLT“ brüllte Mr. Psycho-Dad während Kain zusammengekrümmt zu seinen Füßen lag und leise vor sich hin stöhnte.

Ja, so wie es aussieht ist es vorbei.
 

Es vergingen noch fünf lange Tage, bis ich wieder heil war.

Harry kam ein paar Mal vorbei um mir Essen und Verbände vorbei zu bringen, aber die Ausstrahlung, die ihn seit unserem ersten Treffen ausgemacht hatte, war verschwunden und er war immer bald wieder weg. Das brachte mich nur dazu, mich noch mehr hier weg zu sehnen.

In den fünf Tagen erkundete ich das Zimmer. Die Fenster verrieten mir, dass ich mich mindestens sechs Stockwerke über einer breiten, viel befahrenen Straße befand. Gegenüber war ein, wahrscheinlich ebenso hohes Gebäude im Romantikstil. Keine Ahnung warum ich das wusste, aber die Wahrscheinlichkeit war sehr groß, dass ich mich irrte. Mit ziemlicher Sicherheit war das der Fall.

Über so was, und noch mehr Unsinn machte ich mir in der Zeit Gedanken.

Das ganze Zimmer gab nicht viel her. Keine versteckten Laden, keine Geheimgänge, nichts, was mir helfen würde.

Mein Plan war…Ich hatte keinen Plan. Ich hatte eigentlich vorgehabt mich aus der Tür zu schleichen, aber ich war noch immer in diesem Zimmer, auf diesem Bett floh immer noch nur im Gedanken aus diesem niedlichen Zimmer mit den Blumen überall. Ich fühlte mich nicht gut, bei dem Gedanken so lange an einem Ort zu bleiben. Schließlich war ich auf der Flucht gewesen, bevor ich hier gelandet war. Da war es ja wohl kein Wunder, dass ich so schnell wie möglich weiter flüchten wollte, oder etwa doch? Ich war mir nicht ganz sicher, aber ich wusste, dass ich hier weg wollte.

Die Tür öffnete sich leise und Harry kam mit einem Tablett voller Essen in den Händen herein. Er trug ein schreiend pinkes Hemd und sehr enge Jeans.

„Hallo Süße! Wie geht es uns heute?“

„Ich weiß nicht, wie geht es uns denn?“, fragte ich zurück.

„Also mir geht es blendend.“, sagte er während er mir das Tablett in die Arme drückte und sich mit überschlagenen Beinen neben das Bett setzte.

Ich musste schon sagen, irgendwie hatte ich Harry gern. Es war nur so, dass, und ich konnte eigentlich nicht wirklich begründen weshalb, ich fühlte mich unwohl. Mein Unterbewusstsein brüllte mir zu, dass ich hier weg musste. Mein Fluchtinstinkt trampelte gefühllos auf meinem Verstand herum und dieser sagte mir, wenn er mal gerade funktionierte, dass die anderen beiden wohl irgendwo Recht haben würden. Ich durfte niemandem vertrauen. Das war für mich, und auch den anderen, zu gefährlich. Ich musste hier weg.

Ich musste Kain finden.

Wow, im Grunde musste ich wohl sagen, dass es mir ziemlich gut gelungen war das zu verdrängen. Tatsache war, dass ich ihn finden musste. Das war wohl wieder so ein Unterbewusstsseinsding…

„Miranda?“ Ich blickte auf und bemerkte, dass Harry mich verwirrt anstarrte. „Hast du keinen Hunger?“ Ich runzelte die Stirn und sah auf das Tablett. Heute gab es Joghurt mit Müsli. Ich nickte langsam und streckte träge meine Hand nach dem Glas Orangensaft aus.

„Weißt du?“, fing Harry neben mir wieder zu reden an, „Ich hab dich jetzt schon lang nicht mehr gefragt, aber wie geht es deinen Wunden? Ehrlich gesagt siehst du nicht gerade so aus als wärst du noch vor einer Woche dabei gewesen zu verbluten, weil dich irgendwer versucht hatte dich in der Mitte durch zu schnippeln.“ Er sah mich prüfend an und ich kam mir unter seinem Blick unwohl vor. Ich mochte es nicht, wie er mich ansah, als warte er auf eine bestimmte Reaktion.

Als hätte er es gemerkt, stand er auf, grinste mich noch schnell an und meinte: „Lass es dir schmecken, Liebes.“, bevor er lautlos das Zimmer verließ.

Ich stopfte mir das Müsli runter und spülte dann mit dem Saft nach. Rekordzeit. Im Essen war ich immer schon schnell gewesen. Bei dem Gedanken daran fing ich zu grinsen an. Vorsichtig stellte ich das Tablett auf den Hocker neben dem Bett und stand auf. Grübelnd zupfte ich an meinem Nachthemd. Wenn ich hier abhauen wollte, brauchte ich etwas Unauffälligeres. Fragend suchte ich das Zimmer mit meinen Augen ab. Wo sollte ich hier was zum Anziehen auftreiben? Ich tappelte auf die Kommode zu und kniete mich vor ihr hin. In der ersten Lade waren nur weiße Bettlaken. Laden Nummer zwei und drei waren oll mit Bettwäsche. Und Lade Nummer vier? Voller Hoffnung öffnete ich sie. Zuerst klemmte sie etwas und ich musste stärker an dem Metallgriff ziehen, aber plötzlich gab das Holz nach und ich landete mit einem Ruck auf dem Hintern. Ich mühte mich wieder auf und linste in die Holzlade, in diese leere, leere Holzlade.

Na toll, jetzt hatte ich endlich die Möglichkeit von hier abzuhauen und musste dabei müffeln wie was weiß ich, weil ich schon seit über einer Woche nicht mehr gebadet hatte und trug ein übergroßes Omanachthemd in dem ich aussah wie vor zweihundert Jahren.

Ich seufzte, raufte mir die Haare und ging zur Tür. Irgendwie würde ich schon einen Weg finden um zu Klamotten zu kommen. Sanft drückte ich die vergoldete Türklinke runter und das Schloss sprang lautlos auf. Ich streckte den Kopf vorsichtig durch den Spalt und prüfte ob wer zu sehen war, aber der schmale Gang war vollkommen leer. Meine nackten Sohlen machten leise Geräusche, als ich die ockerfarbene Wand entlang schlich, aber schon bald stand ich vor einer Wand. Ich drehte um und ging in die andere Richtung. Nach ein paar Metern musste ich um eine Ecke biegen und erreichte eine Treppe. Die Stufen knarrten unangenehm, als ich hinunter schlich und ich versuchte mein Gewicht besser zu verlagern. Es funktionierte, jedoch wurde ich auf diese Art so langsam, dass ich mein Tempo wieder etwas ankurbelte. Ich fühlte mich unwohl bei dem Gedanken daran solchen Lärm zu verursachen, wusste allerdings keine andere Möglichkeit.

Als ich am Fuß der Treppe angelangt war führte eine Stiege weiter nach unten und so ging es weiter. Jeder Gang, jede Treppe sah gleich aus und nach einigen Stockwerken kam es mir so vor als wäre ich in einer Endlosschleife gelandet, darauf verflucht hier ewig herum zu irren. Ich begann zu verzweifeln und als ich gerade von einer Stiege zur anderen weiter wollte rannte ich stattdessen beinahe gegen die Wand. Hier ging es nicht weiter. Ich drehte mich um und ging den Gang links von mir entlang. An den Seiten reihten sich schlichte Holztüren, aber Fenster gab es keine. Der Raum wurde schwach von Deckenlampen beleuchtet, wirkte allerdings trotzdem eher trist und deprimierend.

Als der Gang zu Ende war, stand ich vor einer Tür. Auch wenn sie nicht gerade anders aussah, als alle Türen in diesem Haus, hatte ich doch das Gefühl, dass ich hier auf dem richtigen Weg war. Ich öffnete sie vorsichtig einen Spalt breit und versuchte zu erkennen, ob jemand im Zimmer dahinter zu sehen sei, aber ich konnte nichts hören und sowieso nichts sehen und so schlich ich mich in den Raum. Niemand in Sicht.

Ich stand in dem leeren Zimmer und sah mich um. Die Wände waren weiß gestrichen und viele Fenster fluteten den Raum in hellem Licht. Es gab zwei Türen. Kurz stand ich unentschlossen da, dann wagte ich mich an die linke.

Im Raum dahinter befand sich niemand. Das Zimmer war von allen Seiten voll gestopft mit Bücherregalen, nur an einer Seite war Platz für ein Fenster geblieben, das Ausblick auf einen kleinen, schönen Hof gewährte. Davor stand ein gemütlich aussehender, roter Ohrensessel und ich bekam mit einem Mal das starke Bedürfnis mich in die weichen Kissen zu kuscheln. Einen kurzen schmerzhaften Moment dachte ich an Anja und ihr schreckliches Ende, als Kain sie ermordet hatte. Dann musste ich an Kain denken und mir kam wieder in den Sinn, dass ich von hier verschwinden musste.

Mein Blick fiel plötzlich auf einen Kleiderständer in der rechten Ecke. Ich nahm mir schnell den langen, schwarzen Mantel darauf und schlüpfte hinein. Er war mit Fell gefüttert und musste ein Vermögen gekostet haben. Der Stoff endete unter meinen Knien und meine Hände schauten aus den überlangen Ärmeln beinahe nicht mehr heraus.

Auf einmal streifte etwas warmes, seidiges mein rechtes Bein. Ich schreckte auf und konnte ein Kreischen noch so weit verhindern, dass nur noch ein krächzendes Quietschen seinen Weg aus meinem Mund fand. Verstört entdeckte ich eine vollkommen schwarze Katze, die sich zutraulich an mein Bein schmirgelte. Mein rasendes Herz beruhigte sich bei dem Anblick langsam wieder und ich versuchte wieder langsamer zu atmen. „Na, wer bist denn du?“, fragte ich das Tier leise.

Die Katze maunzte mich jetzt laut an und ging, als sie sich meiner Aufmerksamkeit sicher war, auf die Tür, durch die ich gekommen war, zu. Sie versuchte mir zu verstehen zu geben, dass sie raus wollte und ich öffnete ihr brav die Tür. Sie blitzte anmutig hindurch und ich folgte ihr langsam.

Als ich mich wieder in dem großen, leeren Raum von vorhin befand wartete das schwarze Tier schon vor der noch verbliebenen Tür auf meiner Entdeckungstour. Ich öffnete sie und gelangte so in einen eher kleinen Raum. Der Boden bestand aus schwarzen und weißen Fliesen und direkt gegenüber von mir befand sich eine weitere Tür, diesmal allerdings breiter und mit einem kunstvollen Metallrahmen verziert, der sich immer wieder verschnörkelte. Davor saß die Katze schon geduldig wartend und beobachtete aufmerksam alle meine Bewegungen, als ich den Raum durchquerte.

Ich öffnete die Tür und atmete frische Luft. Ich hatte den Ausgang gefunden. Euphorie stieg in mir hoch und ich wagte wieder zu hoffen. Dumm eigentlich, ich wusste schließlich nicht mal so genau auf was den nun eigentlich. Langsam machte ich einen Schritt nach draußen. Der Betonboden war kalt unter meinen nackten Füßen und ich drehte mich noch ein letztes Mal dem Haus zu. Die Tür stand noch immer sperrangelweit offen, aber von der Katze war nichts zu sehen. Ich machte noch schnell die Eingangstür zu um keine Aufmerksamkeit auf das Haus zu ziehen und machte mich auf der Straße nach rechts vom Acker.

Meine Füße waren schon nach kürzester Zeit zu Eisblöcken geworden, aber wenigstens der Mantel wärmte mich schön. Grundsätzlich hielt ich herzlich wenig von Mänteln aus Tierfell, aber dieses Ding schützte mich auf jeden Fall besser vor diesem eisigen Wind, als es so ziemlich jede Plastikjacke drauf gehabt hätte. Kurz gesagt, wenn man nichts als ein Nachthemd an hat ist man nicht mehr wählerisch.

Fröstelnd schob ich meine Hände in die Manteltaschen und erstarrte überrascht. Ich zog meine linke Hand wieder heraus und begutachtete die Ledergeldtasche, die meine Finger umgriffen. Sie war dunkelbraun und abgenützt und fühlte sich rau an. Vorsichtig öffnete ich sie und durchsuchte alle Fächer. Ausweis oder sonst irgendwas konnte ich nicht finden, aber…WOW! Da waren allen Ernstes Geldscheine im Wert von, von…sehr, sehr viel Geld drin. Zählen hätte zu lange gedauert, aber das war mit Sicherheit ein mehrstelliger Wert. Innerlich fing ich bei dem Anblick zu sabbern an.

Inzwischen hatte ich den Weg in die Zivilisation gefunden. Immer mehr Menschen begegneten mir auf meinem Weg und warfen einen kurzen abwertenden Blick auf meine blau-braunen Füße. Viele flüsterten sich dabei gegenseitig irgendwelches Kauderwelsch zu. Zu meinem Bestürzen konnte ich kein Wort verstehen, sie sprachen eine vollkommen andere Sprache. Ich hatte zwar keine Ahnung um welche es sich dabei wohl handeln mochte, aber für französisch näselte und quiekte es zu selten und italienisch konnte ich auch mit Bestimmtheit ausschließen, dafür war es hier viel zu kalt. Was den Rest anging, die Welt war groß.

Das, was ich wirklich wissen wollte war im Grunde ganz einfach.

Wo, verdammt noch mal, war ich hier?

Auf meinem Weg kam ich in ein Geschäftsviertel und ich besorgte mir Gewand und Schuhe, die ich mir in der ersten öffentlichen Toilette, die ich finden würde, anziehen wollte. Diesmal hatte ich mehr Glück und ich kam (ganz ohne gemeinem Fettsack) auf einem Bahnhof zu meiner geliebten, wenn auch unhygienischen Kloschüssel. Hatte ich erwähnt, dass ich in der letzten Woche in eine Bettpfanne gemacht hatte? Igitt! Da tat es schon ganz schön gut wieder sitzen zu können. Die Trefferquote stieg dadurch ungemein.

Nun fing ich an mich auszuziehen, gaaanz langsam…Hey stopp! Das hier ist kein Porno, verdammt noch mal! Wenn ihr einen Porno wollt müsst ihr euch ein Vampirkitschbuch kaufen. Das ist die weibliche Antwort auf den Playboy…

So, wo war ich? Ich zog mich also gerade aus. In der Klokabine war es eiskalt und ich bekam gleich eine Gänsehaut. Der Versuch, meine Oberarme warm zu rubbeln, scheiterte und ich begann leise zu bibbern. Als ich das Nachthemd losgeworden war, sah ich mit meinen Verbänden wie jemand aus, der sich voll laufen lassen hat, dann versucht hat sich als Mumie zu verkleiden und schließlich auf dem Weg zur Party von einem Bus angefahren worden ist und sich dann auf dem Bahnhofsklo verkrochen hat. Genau so hätte es mir unter anderen Umständen passieren können…war es passiert? Konnte sein, genauer genommen konnte alles passiert sein während ich besoffen war. Danach erinnerte ich mich meistens an gar nichts.

Nun begann ich jedenfalls meine Besoffene Mumie wird von Bus überfahren-Bandagen abzuwickeln. Schon nach kürzester Zeit kamen unter dem Verband rote Striemen, blaue Riesenflecken und dunkelrot verfärbte Narben zu sehen. Mein ganzer Bauch war davon übersäht und am Rücken konnte ich die Vernarbungen auch spüren. Mir wurde schwindlig und ich musste mich auf den verdreckten Klodeckel sinken lassen.

Insgesamt wurde 15-mal auf dich eingestochen.

Oh Gott…das musste ich jetzt erst mal verdauen. Nein, musste ich nicht! Ich beugte mich ruckartig vor und kotzte mit dem Kopf zwischen den Füßen auf den sowieso dreckigen Boden. Nach ein paar Minuten hörte der Raum auf sich um mich zu drehen und plötzlich fing ich auch an zu registrieren, dass ich splitterfasernackt in einer eiskalten Klokabine saß. Ohne dass ich es mit gekriegt hätte, hatten meine Zähne zu klappern begonnen. Mit aller Kraft, die mir verblieben war, sammelte ich mich wieder und stand auf. Langsam und schon beinahe zärtlich zog ich mir den weichen Rollkragenpulli und die Jeans über die empfindliche Haut.

Fertig angezogen kam ich aus der Kabine und sah mich seit ich geflohen war zum ersten Mal wieder in einem Spiegel. Der Schnitt auf der Wange war inzwischen schon verblasst und schimmerte nur noch rosa und mein blaues Auge war auch kaum noch zu erkennen. Beinahe hätte ich ganz normal aussehen können, wäre da nicht diese ungesund blasse Gesichtsfarbe gewesen. Meine Augen waren von dem ganzen Stress dunkel unterlaufen und so sah ich aus, als wäre ich gerade aus einer Gruft ausgebrochen. Mein Halsverband, der eigentlich unter dem Rolli verschwunden war, gab der Sache noch das gewisse Etwas, also begann ich ihn langsam abzunehmen. Die Haut darunter war gelblich verfärbt und die Wunde zog sich von der einen Seite auf die andere. Der Schnitt sah so aus, als würde er jederzeit wieder zu bluten anfangen können. Schockiert betastete ich die dünne Haut, die sich bereits über das offene Fleisch gezogen hatte.

In diesem Moment platzte eine aufgetakelte Blondine in den Waschraum und erstarrte bei meinem Anblick. Sie redete mit einer, mir fremden Sprache, auf mich ein. Schnell und etwas hysterisch. Ich zischte ihr ein „Verpiss dich, Schlampe!“ zu und sie verschwand wie auf Befehl sofort wieder aus dem Raum.

Ich verdeckte den Schnitt mit dem Rollkragen, knöpfte dem Mantel zu und verließ etwas ruhiger als die Blondine von vorhin den Waschraum.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  P-Chi
2009-02-21T00:13:05+00:00 21.02.2009 01:13
So. ich hab's gelesen. Hurray^^
Alsooo, du hast ziemlich gut geschrieben (trotz Schreibfehler und Wortwiederholungen). Es war gleichzeitig spannend und komisch. Das kriegen nur wenige hin, alsoo...freu dich.^^
Harry kommt mir Schwuler vor, als du ihn beschrieben hast. x33
Aber ich find's gut. So wirkt er ... harmlos. *grins*
Was mich ja interessiert, ist ja wo zum Teufel Celia da eigentlich ist??
Und es wäre auch gut wenn du erklärst warum sie einen falschen Namen angegeben hat.
Armer Kain...der hat's auch nicht gut getroffen. Es ist aber etwas doof, das da auf einmal sein Auto weggesprengt wurde und er noch nicht einmal einen Gedanken daran verschwendet, während er in der 'Zelle' verrottet.
Und könntest du BITTE aufhörn über meine Vampirkitschbücher herzuziehen??? Nicht nett! -.-"
Jaa...Buck...mit seinem PussyMobil xDD *lach* Das war witzig *grins* Aber ich glaube den Film kennt nicht jeder, Kafka...
Hoffentlich klärt sich das im nächsten Kapi etwas auf.

Lg Liti-pa x33
Von:  Schneesturm
2009-02-18T22:31:46+00:00 18.02.2009 23:31
also ich muss sagen O.O, dass ich es überhaupt nicht langweilig finde (nicht so wie du geschriebn hast xDD)
ich find den harry auch sehr sympatisch...(ist der eigentlich schwul?) *schwule tollfindz*
der könnte doch fast kain von seinem platz kicken xD
ich fand auch wieder sehr toll, wie du alles beschrieben hast, besonder in der mitte vom kapitel war ich gespannt, einmal, wer dieser harry ist und wo kain ist umd was mit ihm ist, wer ihn gefangen hält. so viele fragen und ich hoffe, dass das nächste kapitel nicht so lange auf sich warten lässt, denn ich will wissen wies weiter geht! und wo celia ist^^
schenkst du mir den harry? ♥
lg mel^^


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