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Kaffee und Kuchen

Die Geheimnisse eines Nachbars
von

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Kaffee und Kuchen

Kaffee und Kuchen
 


 

Meine Handknöchel hoben sich langsam auf Brusthöhe und klopften sanft an der Tür. Sofort schimpfte ich mich einen Dummkopf, da es zu vorsichtig war, wegen meiner Unentschlossenheit. Ich straffte meine Schultern und wollte ein weiteres mal anklopfen, stärker als davor-

die Tür öffnete sich und ich hätte dem Öffner beinahe die Nase gebrochen. Erschrocken und verlegen, wenn man mir es auch nicht ansah - jedenfalls hoffte ich das sehr - senkte ich meine Hand und starrte die Person vor mir unentwegs an, deren Aussehen mich noch mehr aus dem Konzept brachte.

Verwildert, schoss mir der Gedanke durch den Kopf. Durch die wirren schwarzen Haaren sah ich starre Augen aufblitzen. Mir lief ein kleiner Schauer über den Rücken, als mich der seltsam leere Blick zu durchleuchten schien. Unheimlich.
 

„Guten Tag“, sagte die Person leise und trat zum Türrahmen, mehr ins Licht.
 

Einen Mann sah ich, dürr und gebrechlich, wie mein Großvater, doch ob dieser so alt war konnte ich durch die Unordnung dessen schwarzen Schopfs und krausen Barts nicht näher bestimmen.
 

„Kann ich Ihnen helfen?“ Die Stimme glich immer noch einem Flüstern und ich hätte sie fast überhört mit all den Geräuschen der Natur, die hohen Geträller der Vögel, und den des Verkehrs, die tiefen schnatternden Motoren, um uns herum.
 

„Ich heiße Kevin Edelberg“, sagte ich schnell, als mir einfiel, dass ich vergessen hatte mich vorzustellen.
 

„Sind Sie ein Bekannter meiner Frau?“, fragte der Mann, der wohl Herr Birke sein musste, mit einem verwirrten Ausdruck im Gesicht.
 

„Nein. Ich bin vor zwei Tagen erst hier her gezogen, ich wohne auf der anderen Straßenseite-“, ich deutete mit einer kurzen Bewegung meines Kopfes zu einen der Häuser links hinter mir, „Nummer 8“, endete ich.
 

„Oh“, hauchte Herr Birke, er wirkte entspannter, „Dann... Herzlich Willkommen...“, jetzt wirkte er ratlos und wir blieben für eine Weile still.
 

Es war unangenehm. Ich wünschte ich hätte auf die anderen Nachbarn gehört und hätte diesen Besuch gelassen, aber meine Neugier war ein Fluch, den ich nie brechen konnte.

„Wenn ich Sie gestört habe-“, durchbrach ich unsere Stille, „dann kann-“
 

„Wollen Sie rein kommen?“, unterbrach ihn plötzlich Herr Birke, seine Stimme etwas lauter, etwas erfreuter, „Meine Frau hat gestern Kuchen gebacken. Es ist noch was übrig.“
 

••••••••
 

„Ist Ihre Frau bei der Arbeit?“, fragte ich, als ich im Haus keine weiteren Geräusche, außer unsere eigenen und das Summen des Kühlschranks, vernahm.
 

„Nein. Sie hat Sie wahrscheinlich gehört und ist hoch gegangen“, antwortete Herr Birke und schaute zur Treppe im Eingang. Als er meinen fragenden Blick sah fügte er noch hinzu: „Sie ist sehr schüchtern, wissen Sie. Sie mag Fremde nicht wirklich.“
 

Der Kuchen stand mitten auf dem Tisch und schien völlig unberührt zu sein.
 

Ich setzte mich auf einen Stuhl, als ich dazu aufgefordert wurde, und beobachtete, wie Herr Birke eine Schublade öffnete und ein Messer herausnahm. Ich fühlte mich auf einmal angespannt, als ich ihn mit dem Metall auf mich zukommen sah, und viele Gedanken rasten durch meinen Kopf, dass ich sie nicht richtig greifen konnte - doch er wollte nur den Kuchen schneiden.

Vielleicht war es sein Aussehen, die mich auf solche Gedanken brachten, oder sein Verhalten, vielleicht auch das zu saubere stille Haus, welches im Kontrast zu Herr Birkes Aussehen stand.
 

Es könnte auch alles zusammen sein.
 

•••••••
 

„Ist seine Frau wirklich so schüchtern?“, fragte ich meine Nachbarin plötzlich. Sie sah mich verdutzt an und schien mir nicht ganz folgen zu können.

„Herr Birkes Frau“, half ich ihr weiter.
 

„Susanne Birke? Oh ja! Eine ganz schüchterne!“, bestätigte Frau Kehricht. Ihr Blick schien in die Weite zu blicken, als in meine Augen.
 

„Stimmt was mit ihr nicht?“, fragte ich weiter. Sie sah mich nun irritiert an.
 

„Nun. Sie ist tot, mein Lieber“, antwortete sie und schaute mich seltsam an, „Hat er das Ihnen nicht gesagt?“

Ich schaute sie ebenfalls an. Mein Mund wollte sich für eine Weile nicht öffnen.
 

„Sie ist tot“, flüsterte ich dann zu niemanden bestimmten, als ich diese Information verarbeitete. Ich schüttelte den Kopf.
 

„Nein. Das hat er mir nicht gesagt.“
 

••••••
 

„Was ist los? Sie sehen mitgenommen aus“, verlautete ich meine Beobachtung.
 

„Meine Tochter“, antwortete Herr Birke schlicht bevor er näher erklärte: „Ich habe sie gestern Abend dabei erwischt, wie sie ihre Haare schneiden wollte.“
 

„Ich habe mal gehört, dass Kinder so was in diesem Alter manchmal machen“, kommentierte ich dieses Verhalten. Herr Birke lächelte traurig.
 

„Ich weiß, aber sie hat sich verschnitten“, sagte er. Sein Lächeln gequält und ich fragte nichts näheres über den Ausmaß der Verletzung.
 

„Sie hat mir gesagt, sie wollte nur so aussehen, wie Kevin - mein Sohn, wissen Sie“, erzählte er weiter. Ich horchte bei meinem Namen auf und war leicht verwirrt, bevor meine Verwirrung sich wieder legte.
 

„Haben sie noch mehr Kinder?“, fragte ich. Er schüttelte den Kopf.
 

„Nein. Nur Klara... - und Kevin“, antwortete er leise, „Sie waren Zwillinge. Kevin ist nicht mehr hier.“

Er war tot, dachte ich. Ich war mir so sicher, dass ich glaubte falsch zu liegen. Wünschte.
 

„Klara macht sich Vorwürfe und macht Dinge - Dinge wie gestern Abend. Susanne kann es nicht ertragen sie so zu sehen. Ich weiß nicht- nicht-“, er brach ab. Er blinzelte und die Trauer schien wie verflogen. „Ihr geht es gut. Susanne hat ihr einen Gute-Besserungs-Kuchen gemacht“, er lächelte und ich sah ihn nur an.

„Donauwelle, ihr Lieblingskuchen. Es ist noch etwas übrig. Wollen Sie einen Stück?“
 

•••••
 

„Klara ist also auch...“
 

„Ja, mein Lieber“
 

Ich saß wieder bei Frau Kehricht im Garten für Kaffee und Kuchen. Den Kuchen rührte ich jedoch nicht an - nicht, weil er mir nicht schmeckte - nein -, ich war einfach schon von der Donauwelle satt, die die schon lang verstorbene Susanne Birke gemacht haben sollte.
 

„Seltsam, dass er Ihnen das nicht erzählt“, wunderte sich Frau Kehricht und schlürfte ihren heißen Kaffee.
 

„Er schien so, als wüsste er selbst nicht, dass sie- dass er alleine ist“, erklärte ich. Ich schaute in die dunkle Flüssigkeit in meiner Tasse und sah mich, nostalgisch gefärbt und mit düsterer Mine.
 

„Es hat ihn also so stark getroffen?“, murmelte sie. Es war keine Frage.
 

„Sie kennen ihn nicht gut, nicht wahr?“, fragte ich und abermals war es keine Frage. Frau Kehricht antwortete dennoch.
 

„Nein. Er und seine Frau und die Tochter waren hierhergezogen - nach dem Tod des Sohnes - und niemand in dieser Straße hatte je die Chance gehabt sie kennenzulernen. Ein paar Tage danach war dieser Unfall und Herr Birke blieb für sich. Solche Schicksalsschläge zu erleben... und trotzdem hätte ich nicht gedacht, dass er im Kopf - Sie wissen schon.“ Sie schlürfte weiter an ihrem Kaffee, um eine Ausrede des Schweigens zu finden.
 

••••
 

Der Kuchen, ein Marmorkuchen, schmeckte gut, wie die anderen Gebäcke davor schon, aber irgendetwas störte mich. Der Geschmack. Es war der Geschmack. Als ich die ersten Bissen nahm und nicht über diesen nachgedacht hatte, war es mir natürlich nicht aufgefallen. Doch nach einer Weile, nach weiteren Bissen, blieb ein seltsamer Geschmack an meinem Gaumen hängen. Durch die Süße des Kuchens konnte ich ihn erst nicht identifizieren. Eindeutig metallisch, dachte ich.
 

„Ich habe beim Backen mitgeholfen. Ich habe mich wohl mit dem Messer verletzt“, folgerte Herr Birke, als ich ihn darauf hinwies. Seine Stimme war schwankend.

„Soll ich ihnen etwas anderes anbieten?“
 

•••
 

„Hat ihn sonst kein Mensch besucht?“
 

„Nein- Doch! Irgendeiner von der Polizei. Er hat die Birkes einmal vor dem Autounfall besucht und danach kam er hin und wieder mal. Er hat mir gesagt, dass er Susanne von der Schule noch in Erinnerung hatte“, antwortete Frau Kehricht. „Ich glaube, er wollte Trost spenden. Sein letzter Besuch ist schon lange her. Dachte wohl, Herr Birke würde es wieder einiger maßen gut gehen“, sie schnitt eine Grimasse und ich machte es ihr gleich.

„Sie, Herr Edelberg, sind jetzt nur ein paar Wochen hier und haben so viel herausgefunden! Hier kann niemand mehr etwas über ihn sagen, als das, was Sie schon wissen.“
 

„Warum hat er das verheimlicht- wie hat er das geschafft? Er backt dauernd Kuchen, da muss er doch regelmäßig Einkaufen gehen. Sein Verhalten, er ist- oder verstellt er sich, wenn er draußen ist?“ Meine Hände krallten sich an die Lehne des Gartenstuhls. Am liebsten wollte ich mir die Haare raufen.
 

Meine Neugier war ein Fluch.
 

••
 

Die Polizei sagte, es würde ein Erdbeerkuchen auf dem Tisch liegen und eine rote Karte. Sie sagten, Herr Birke würde auf dem roten Küchenboden sitzen, in irgendeiner Raumecke, dessen zwei Wände von roten Händen bemalt sei. Ganz friedlich, als wäre er kurz eingenickt, sagten sie. Mit einem Lächeln auf dem Gesicht.
 

„Herr Edelberg? Kann ich Sie sprechen?“, sprach einer dieser unbekannten Leute, die schon mit Frau Kehricht gesprochen haben, und mit mehrere anderen.

„Ich habe gehört, dass Sie Herrn Birke oft besucht haben - als einziger -, und ich wollte Ihnen ein paar Fragen zu ihm stellen“, führte der Fremde aus.
 

„Tut mir leid, aber ich kann Ihnen nicht mehr sagen, als Frau Kehricht“, war die ehrliche Antwort.
 

Ich wollte etwas anderes behaupten, aber wie es schien, war auch Herr Birke ein Fremder.
 


 

Sehr geehrter Herr Edelberg,
 

Falls Sie wieder zu Besuch kommen wollten und ich nicht da bin,

habe ich zur Sicherheit einen Kuchen gebacken. Er ist mir nicht

gelungen, aber er ist essbar.

Meine Frau hat mich hoch gerufen, falls Sie sich fragen, wo ich

bin. Fühlen Sie sich wie zu Hause und ich wünsche Ihnen alles

Gute, Kevin.
 

Hochachtungsvoll,
 

Johannes Birke



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2008-10-31T22:59:59+00:00 31.10.2008 23:59
Hugh? ich hab ne Gänshaut bekommen.
'Meine Frau hat mich hochgerufen.'
Gut rübergebracht.
Aber auf jeden Fall ausbaufähig. Ist etwas zu sehr abghackt...
Aber ansonsten, schöne Idee, guter Stil...
LG


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