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Burning Sun

Die Fortsetzung zu Bis(s) in die Ewigkeit
von

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Time has come

Time has come
 

147 Jahre später
 

Über mir donnerte es, als wollte in den nächsten Minuten die Welt untergehen, oder als hätte der Gott, der Bella und Edward hoffentlich in seine Arme genommen hatte, eine Rechnung zu begleichen. Schon seit Tagen tobte dieses Unwetter und ließ die Gegend einfach nicht mehr los. Starker, tornadoartiger Wind, Hagel und Regen wechselten sich ununterbrochen und unermüdlich ab, um die Menschen in ihren Häusern festhalten.

Ich hob die Hand, strich mir das kurze Haar zurück und zog mir die Baseballkappe tiefer ins Gesicht. Mir machte der Regen nichts aus, auch der Donner ließ mich kalt.

Obwohl, ganz richtig war das nicht.

Er bereitete mir Freude, denn er gab uns das erste mal seit langem wieder die ideale Chance ein kleines Spielchen zu spielen, das länger als nur eine Stunde dauerte. Seit dem frühen Morgen waren wir auf dem Feld und inzwischen war es schon Abend.

Die Sonne war kurz davor unterzugehen und in einer knappen Stunde würde es dunkel sein. Ein Lächeln stahl sich auf mein Gesicht.

Dann würde es erst richtig spannend werden.

So viel es Spaß es machte mit den anderen unter normalen, schon recht stürmischen Bedingungen Baseball zu spielen, eine wirkliche Herausforderung würde es erst werden, wenn sich die Dunkelheit herabgesengt und die Landschaft im Griff hatte.

Wir würden mit schwarzen Bällen spielen und nicht mit weißen. Emmett hatte sich voller Vorfreude extra die Mühe gemacht, sie per Hand anzumalen, damit es noch ein wenig spannender wurde. Weiße Bälle waren für unsere Augen einfach zu auffällig, selbst im Dunkeln.

Ich grub mein Standbein ein wenig in den Boden, damit ich einen sicheren Halt hatte, dann griff ich nach dem Schläger, der neben mir auf dem Boden lag. Anschließend zwinkerte ich Carlisle zu, der sich ebenfalls fertig gemacht hatte.

Er grinste, dann nickte er.

In Sekundenschnelle hatte er den Ball geschleudert, mit so viel Kraft, wie nicht ein einziger Profispieler der Menschen hätte aufbringen können. Meine Augen verfolgten den Ball, der die Luft zerschnitt und als es schließlich so weit war, holte ich mit dem Schläger aus.

Ich traf, wie immer.

Ein lautes ‚Dong’ hallte über die Lichtung hinweg und der Ball war verschwunden. Emmett war dran mit Laufen was bedeutete, dass ich mich beeilen musste. Man sah es ihm nicht an, aber er war nicht nur stark, sondern auch schnell.

Der einzige, der es im Regelfall mit ihm aufnehmen konnte war Jasper.

Und Edward.

Den Schläger wegwerfend rannte ich los.

Unser Spielfeld war deutlich größer, als ein normales, und die Meter flogen unter meinen Füßen hinweg. Ich kniff die Augen ein wenig zusammen, so dass sie zu Schlitzen verengt waren und konzentrierte mich aufs Rennen.

Meine Mannschaft lag hinten, nur wenige Punkte, aber sie lag hinten und es galt diesen Rückstand aufzuholen, bevor wir das erste Mal mit dunklen Bällen in der Finsternis spielen würden. Schließlich konnte ich nicht vorhersehen, wie gut das ganze funktionieren würde.

Es hatte nichts mit bewussten Entscheidungen zu tun, es war lediglich ein Experiment und ich war gespannt darauf, wie es ausging. Doch ich war nicht die einzige, auch Carlisle war neugierig zu wissen, wie gut die Sinne von Vampiren wirklich waren.

Dass sie schlichtweg als unvergleichbar bezeichnet werden konnte, stand ohne Frage fest, aber würden wir einen kleinen, schwarzen Ball sehen können, der in tiefster Nacht von einem Vampir geschleudert wurde, so dass er unglaublich schnell war?

Ich machte eine Kurve, die Hälfte des Weges hatte ich zurückgelegt und ich war mir sicher, dass meine Chancen nicht schlecht standen.

Der Ball war weit geflogen, Emmett würde weit laufen müssen. Dennoch, durfte ich ihn nicht unterschätzen. Ich legte alle meine Kraftreserven in meine Beine und beschleunigte noch einmal. Ich raste durch den Wald, konnte die Bäume an mir vorbeirauschen sehen und ließ sie schließlich hinter mich, als ich wieder die Lichtung erreichte. Ich war nur noch zweihundert Meter von meinem Ziel entfernt, als ich Emmett in meinem Kopf sah, wie er gerade beschloss, gleich nach dem Ball zu greifen.

Ich beschleunigte ein weiteres Mal und schloss die Augen, ich wusste, wo ich hinmusste, ich brauchte meine Augen nicht. Ich rannte einfach nur und passierte schließlich die letzte Base nur den Bruchteil einer Sekunde, bevor ein lauter Pfiff ertönte.

Ich stoppte so gut es ging, musste aber dennoch hundert Meter zurück zu Esme gehen, die den Schiedsrichter für diese Runde gemacht hatte.

„Glückwunsch“, begrüßte sie mich, als ich bei ihr ankam und grinste.

„Du hast ihn geschlagen. Ich will nicht sagen, dass es nicht knapp war, genauer gesagt war es sogar mehr als knapp, aber du hast ihn geschlagen.“

Ich grinste und schmierte den Dreck von meinen Fingern auf meine Hose. Einer der wenigen Nachteilen dieser Sportart war, dass man sie aufgrund des Wetters, bei dem wir sie ausüben musste, einfach immerzu dreckig wurde.

„Ja, das wurde aber auch mal wieder Zeit.“

Ich zog eine Grimasse, während ich Emmett mit einer unglaublichen Geschwindigkeit aus dem Wald rennen sah. Sekunden später war er bei uns angekommen. Ich streckte ihm die Zunge raus.

„Verloren Bruderherz. Ich war schneller.“

Er streckte mir ebenfalls die Zunge raus und wandte sich dann gespielt beleidigt direkt wieder ab. Ich und Emse schauten uns an und lachten gleichzeitig los. Jasper und Carlisle, die nun zu uns herüberkamen, konnten sich ein Grinsen ebenfalls nicht verkneifen. Auch sie gönnten es Emmett einmal nicht der schnellste gewesen zu sein.

„Nächstes Mal, Schwesterlein, nächstes Mal bist du wieder fällig“, murmelte er nun, inzwischen selber lachend und ich musste kichern.

„Natürlich“, sagte ich nur. „Ganz bestimmt. Aber ich würde sagen, wir steigern das ganze mal ein bisschen. Jetzt, da sich so eindeutig auf deinem Niveau bin, können wir uns ruhig einmal mit schwierigen Dingen auseinandersetzten.“

Ich zwinkerte ihm zu und voller Vorfreude grinsend zog er einen der dunkel angemalten Bälle aus seiner Hosentasche.

„Du hast keine Chance“, sagte er und ich erwiderte:

„Nicht die geringste. Aber vorher musst du dich noch einmal beweisen, du bist zu erst dran.“ „Ich werde dir eine Vorgabe machen, der du rein gar nichts entgegen zu setzten hast“, sagte er feixend und warf Carlisle den Ball zu, dann machte er sich bereits startbereit.

Ich verdrehte in gespielter Genervtheit die Augen und brachte die anderen auf diese Art wieder zum Lachen.

Dann machte ich mich gemächlich auf den Weg zu meinem Schläger, den ich kurz zuvor so achtlos von mir geschleudert hatte. Schließlich ließ ich mir Zeit dabei, mich ebenfalls in Position zu bringen. Es schadete meinem Bruder nicht ein wenig zu warten.

Ich streckte mich ausgiebig, dann warf ich Carlisle, der ebenfalls fertig bereit stand einen fragenden Blick zu. Er bedeutete mir, Emmett nicht zu sehr zu ärgern, und ich nahm meine Stellung ein.

Dann nickte ich.

Ein Augenblinzeln später verließ der schwarze Ball Carlisle Hand und obwohl es noch immer nicht vollständig dunkel war, bewirkten die fehlenden Sonnenstrahlen, dass er schlechter zu sehen war. Ich kniff die Augen wieder ein wenig zusammen und fixierte ihn. Als er nah genug heran war, holte ich mit dem Schläger aus und zielte.

Doch mit einem Mal geschah alles gleichzeitig.

In dem Moment, in dem der Ball den harten Schläger berührte, schien mein Kopf zu explodieren.

Es wurde schwarz, die Kräfte flossen aus mir heraus, wie Wasser aus einem undichten Eimer und mein Ich schien von einer Sekunde auf die nächste an einem anderen Ort. Die Farben waren verschwommen, sie verflimmerten, wie bei einem defekten Fernseher. Um mich herum erkannte ich die unscharfen Umrisse von Bäumen und als ich meinem Geist befahl, sich umzuschauen, erblickte ich in meinem Rücken eine Klippe.

Erinnerungen überfielen mich.

Ich kannte diesen Ort, war bereits dort gewesen, vor einer Ewigkeit.

Doch dieses Mal war es anders, aus den Farben bildete sich eine Person heraus, die auf mich zutrat, die die Arme öffnete, um mich willkommen zu heißen.

Eine Stimme suchte sich ihren Weg zu, flüsterte mir ein zärtliches ‚Alice’ ins Ohr. Noch während ich mich in ihr befand, spürte ich, wie die Vision mich auslaugte, wie keine andere zuvor. Wie sie mich angriff, obwohl sie mir eigentlich nichts anhaben konnte.

Es ist soweit’, hallte es durch die seltsame Welt, die nur für mich existierte und nicht loslassen wollte. Etwas in mir wollte all das nicht sehen, aber ein anderer Teil war begierig darauf, noch mehr zu erfahren, so dass ich es einfach nicht schaffte, mich von der Vision zu befreien.

Komm’, hörte ich ihn, dann fing er an sich aufzulösen. Immer weiter verschwanden die Farben, die seine Person gezeichnet hatten und bildeten die Konturen von Bäumen und Gräsern. Dann lösten auch diese sich wieder auf, verschwammen und wurden schwarz.
 

Ich atmete tief durch und genoss die frische Luft, doch ich traute mich noch immer nicht, die Augen zu öffnen. Aber irgendwann war da dann die Erkenntnis, dass die Vision unwiederbringlich vorbei war.

Die Botschaft hatte mich erreicht, es gab keinen Grund, nach weiteren Ausschau zu halten. Eine Hand berührte mich sanft an der Wange.

„Alice“, flüstere Jasper und ich schlug schließlich doch die Lider auf. Ich sah ihn nur schweigend an, während seine Hand noch immer an meiner Wange ruhte.

„Alles in Ordnung?“, fragte er leise und ich wusste nicht, was ich antworten sollte. Dann nickte ich schließlich leicht.

Ein Seufzer entfuhr ihm, es war offensichtlich, dass er mir nicht glaubte. Ein Finger strich vorsichtig über meine Haut und ich wartete auf die Frage, die er unweigerlich stellen würde, stellen musste, doch sie kam nicht.

„Wir gehen nach Hause. Schluss für heute mit den Experimenten und keine Widerrede“, fügte er noch hinzu und legte seinen Finger auf meine Lippen. Es war zwecklos etwas anderes zu sagen. Hinzukam, dass mir nicht mehr nach Baseballspielen zu Mute war.

„Soll ich dich tragen?“, fragte er und ich kniff nur, wütend über die Frage, die Augen zusammen.

„Dann nicht“, sagte er und ich konnte das Lächeln in seiner Stimme hören.

Dennoch hielt er mir die Hand hin, um mich auf die Beine zu ziehen, und ich ergriff sie dankbar. Es bereitete mir keinerlei Probleme mich zu halten und zu den anderen zu gehen, die ein wenig Abseits besorgt warteten.

Vampire hatten nicht dieselben Probleme wie Menschen, die nach einem Zusammenbruch erst einmal eine Weile liegen mussten, schließlich war auch nicht mein Kreislauf für den kleinen Aussetzer verantwortlich.
 

Der Regen prasselte noch immer herab und lief mir nun in den Nacken und ich musste feststellen, dass ich noch dreckiger war, als zuvor, da ich genau in eine Schlammpfütze gefallen war. Dann kam mir in den Sinn, dass das Spiel, auf das alle so lange gewartet hatten, nur wegen mir abgebrochen wurde.

Ein Seufzer entfuhr mir und ich lehnte mich an Jaspers Schulter, der einen Arm um mich legte, während wie weitergingen.

„Jetzt habe ich den ganzen Tag kaputt gemacht und es dauert bestimmt noch eine ganze Weile, bis es wieder ein so schönes Gewitter gibt.“

„Red keinen Unsinn. Du kannst nichts dafür, wenn du auf einmal eine Vision hast, die dich so aus den Socken haut. Und wenn die anderen wollen können sie ja noch weiterspielen.“

Ich drehte den Kopf.

„Zu fünft? Das ist eine ungrade Zahl, das ist doch Mist.“

„Vier“, erwiderte er nur, während ich schon wieder meinen Gedanken nachhing.

Ich sah verwirrt auf.

„Was?“ „Zu viert. Du glaubst doch nicht, dass ich dich allein nach Hause laufen lassen, nachdem du mir das erste mal überhaupt so umgekippt bist.“

„Aber das Spiel-“, widersprach ich, doch er zog mich noch näher an sich heran.

„Du bist eindeutig wichtiger“, sagte er, doch die Frage danach, was ich gesehen hatte, stellte er noch immer nicht.

Wollte er es nicht wissen?

Oder wusste er es schon und wollte es einfach nicht wahrhaben? Bis wir bei den anderen waren, schwiegen wir, während ich mir in meinem Kopf eine Antwort zu Recht legte.

Nein, ganz stimmte es nicht.

Vielmehr versuchte ich mir eine Antwort zurechtzulegen. Nur für den Fall, dass ich ihm schließlich doch davon erzählen musste.

„Wir gehen nach Hause, Alice muss sich ein wenig ausruhen“, fing Jasper an, als Emmett uns einen fragenden Blick zuwarf, doch fast gleichzeitig widersprach ich, als ich sagte:

„Es ist alles in Ordnung, wir können weiterspielen.“

Ich sah Emmetts Mundwinkel nach oben schnellen, als er das hörte, doch Carlisles besorgter Blick entging mir nicht.

„Geht es dir gut?“

„Natürlich“, erwiderte ich und log noch nicht einmal. Rein körperlich betrachtet war alles in bester Ordnung, ich hatte noch nie einen Tag erlebt, an dem es mir aufgrund einer Krankheit schlecht gegangen wäre. Es lag einfach nicht in der Natur eines Vampirs krank zu werden. Doch seelisch betrachtet hatte ich schon bessere Tage erlebt.

Aber das war mein Problem und nicht das ihre.

„Wir können weiterspielen“, betonte ich wieder, doch Jasper zog nur eine Augenbraue hoch. Es war offensichtlich, dass er dagegen war, aber es war nicht unsere Art uns vor anderen zu streiten. Es war allgemein nicht unsere Art miteinander zu streiten.

„Ich bin dafür, dass wir jetzt am besten nach Hause gehen“, schlug sich Carlisle allerdings auf seine Seite und auch Emse nickte zustimmend.

„Wir spielen ja schon seit frühmorgens, bestimmt schon sechzehn Stunden. Eine Pause tut uns allen bestimmt mal ganz gut. Alice, du hast doch gesagt, dass das Gewitter noch eine Weile anhalten wird, oder nicht? Dann können wir ja in ein paar Stunden weitermachen.“

Man musste ihr lassen, dass sie es verstand Kompromisse zu schließen und ich gab mich geschlagen. Wir waren zwar alle Vampire und durchaus als Erwachsene zu bezeichnen, aber wir waren auch eine Familie, nicht weniger.

Und in der hatte Carlisle und an seine Seite Esme nun einmal in mancher Hinsicht das

Sagen. Emmett verzog das Gesicht und auch als Rose sich an ihn kuschelte und er einen Arm um sie legte, schien er noch nicht wieder versöhnt.

Ich konnte es nachvollziehen, denn ich wusste, wie sehr er sich darauf gefreut hatte, zwei Tage am Stück Baseballspielen zu können. Als wir unsere Sachen zusammensuchten und ich den Schläger aufhob und einen Ball, der herumlag in die Tasche steckte, murmelte ich ihm leise zu:

„Es tut mir Leid. Wirklich.“

Als Antwort grinste er nur schief, zog mir meine Kappe vom Kopf und strubbelte mir durch die Haare.

„Schon in Ordnung Schwesterherz. Du kannst ja nichts dafür, ich weiß, dass du weitergespielt hättest.“

Er streckte mir eine Hand entgegen und ich reichte ihm den Schläger. Dann hakte ich mich bei ihm unter und wir machten uns auf den Weg nach Hause, wobei ich froh darüber war, dass er nicht wirklich sauer zu sein schien.
 

*
 

Die schlammverschmierten Sachen, die ich auf dem Spielfeld getragen hatte, lagen im Mülleimer. Ich hatte sie direkt entsorgt, als wir nach Hause gekommen waren, denn in meinen Augen waren sie ohnehin zu nichts mehr nütze.

Inzwischen trug ich einen Jogginganzug aus Plüsch.

Eigentlich mochte ich solche Kleidung nicht und war der Meinung, dass man jederzeit das Beste aus sich herausholen sollte, aber in diesem Moment war mir einfach danach. Auch wenn ich es eigentlich nicht nötig hatte, denn auch wenn ich nackt hin und her gelaufen wäre, wäre mir nicht kalt gewesen.

Ich betrachtete mich im Spiegel und musste feststellen, dass er mir der Anzug zu groß war, wie so viele Dinge, weshalb ich die Ärmel ein wenig aufkrempelte. Die Hose ließ ich, wie sie war. Es gefiel mir, wie sie meine Füße verdeckte.

Auf meinem Weg ins Schlafzimmer nahm ich ein Buch aus dem Regel neben der Tür und besorgte mir außerdem ein paar Blatt Papier, sowie einen Füllfederhalter aus Carlisle Büro. Normalerweise betrat ich es nie ohne seine Erlaubnis, aber ich wollte mir nur einen Stift borgen und war mir sicher, dass er nichts dagegen einzuwenden hatte.

All diese Dinge waren vergleichbar einfach, denn zuvor hatte ich schon mit einer Fluggesellschaft telefoniert und mir einen Platz im Flieger reserviert. In zwei Tagen würde ich nach Italien fliegen und ich hasste mich dafür. Ich hatte diese Entscheidung so schnell und hilflos getroffen hatte, ohne die Gelegenheit gehabt zu haben, mit Jasper zu reden.

Aber auch jetzt ging ich nicht zu ihm.

Es gab noch etwas anderes, was erledigt werden musste.

Ich zog mich in das Zimmer von mir und Jasper zurück.

Vorsichtig ließ ich die Tür ins Schloss fallen. Ich verzichtete darauf abzuschließen und vertraute darauf, dass Jasper spürte, dass ich ein wenig Zeit für mich brauchte und er diesen Wunsch für ein oder zwei Stunden akzeptierte.

Dann schlurfte ich in meiner viel zu langen Hose zum Bett und ließ mich erschöpft darauf nieder. Schlafen konnte ich zwar nicht, aber ich hatte immer darauf bestanden ein Bett zu haben, denn es gab nichts schöneres, als in unzähligen Kissen zu versinken und sich vor seinen Sorgen darin zu verstecken.

Doch schnell spürte ich, dass es diesmal nicht funktionierte. Es war einfach zu viel, was auf meine Seele lastete, so dass ich es nicht ignorieren konnte. Ein Seufzen entfuhr mir, als ich zurück an die Vision dachte.

Die Person, die zwischen den Bäumen hervorgetreten war, hatte ich nicht genau erkennen können, sie war zu verschwommen gewesen. Doch ich wusste ohne Zweifel, wer es war und was er wollte.

Aro.

Er hatte nach mir gerufen.

Über hundert Jahre hatte es gedauert, bis er sich regte, über hundert Jahre hatte ich weitergelebt, als wäre nichts gewesen. Viel mehr hatte ich gelernt zu leben, hatte einen Teil meines alten Ichs wieder gefunden und jetzt war es so weit.
 

Den Ort, den ich gesehen hatte, kannte ich.

Er war nicht sehr weit entfernt von Volterra, hundert, vielleicht einhundertfünfzig Kilometer. Als ich voller Wut und Hass über Edwards Tod das erste mal dorthin geflogen war, um Aro zu stellen, hatte ich mich dort in der Nähe versteckt gehalten.

Und jetzt würde es dort zu Ende gehen, für ihn oder für mich.

Ich wälzte mich auf den Bauch und vergrub das Gesicht in den Kissen.

Ich würde gehen, es stand für mich unweigerlich fest, dass ich gehen würde. Eine Stimme in mir machte seit mehr als hundert Jahren deutlich, dass es für mich keinen anderen Weg gab. Doch jetzt, da es so weit war, wusste ich nicht, wie ich es ihnen erzählen sollte.

Wie ich es Jasper erzählen sollte.

Und wie ich von ihm verlangen sollte, mir zu verziehen, dass ich jetzt einfach ging und vielleicht nie wieder zurückkam. Das Papier neben mir knitterte, als ich mich wieder bewegte und ich setzte mich auf.

Im Schneidersitz machte ich es mir bequem, nutze das Buch als Unterlage und starrte auf das weiße Papier, während ich in der anderen Hand einen Füller hielt. Für den Fall, das ich nicht wiederkommen würde gab es so vieles, was gesagt werden musste, so vieles was in Worte gefasst und niedergeschrieben werden musste.

Doch wo sollte ich anfangen, wo sollte ich aufhören?

Wie sollte ich diese unbeschreiblichen Gefühle in mir, die ich für Jasper empfand in Worte kleiden, ohne durch ihre Schlichtheit die Liebe in mir zu ihm zu beleidigen?

Beinahe hätte ich angefangen auf meinem Stift herumzukaufen, doch mir fiel rechtzeitig ein, dass es keine gute Idee war, wenn ich ihn nicht zerstören wollte.

Schließlich, nach einer Ewigkeit, setzte ich die Spitze des Füllers auf das Blatt und begann zu schreiben.

Ich schrieb alles auf, was mich bewegte, was ich erzählen wollte, alles, was ich erklären wollte und versuchte Jasper verzweifelt deutlich zu machen, wie sehr ich ihn liebte. Außerdem gab ich mir Mühe ihm begreiflich zu machen, dass ich nicht ging, um zu sterben und dass ich auch nicht mehr gehen würde, um zu rächen.

Nach so vielen Jahren, war ich endlich in der Lage einzusehen, dass man manchmal friedlich sein sollte, auch wenn einem nicht danach war.

Manchmal konnte auch nicht rächen eine Rache sein.

Aber ich wusste, dass Aro mich niemals in Ruhe lassen würde.

Er würde mich verfolgen, weil ich ihm gedroht hatte, er würde mich verfolgen, um mich zu ärgern, um mit ihr zu spielen und er würde bis an das Ende seine Existenz alles geben, um mich zu einem Teil seiner Garde zu machen.

Er würde sich nicht ändern, er konnte sich schlichtweg nicht ändern.

Er hatte es in den letzten tausend Jahren nicht geschafft hinzuzulernen und er würde mir gewiss nicht den Gefallen tun, sich für mich anders zu verhalten, als er es seit Anbeginn der Zeiten tat.

Ich würde zu ihm gehen, um für mein Leben zu kämpfen, denn unser Naturell erlaubte es uns nicht, gleichzeitig zu existieren. Er würde mir auf Ewig das Leben zur Hölle machen und ich war nicht bereit mir das gefallen zu lassen. Ich hatte etwas Besseres verdient. Jasper hatte etwas Besseres verdient.
 

Ich konnte nicht genau sagen, wie lange ich an diesem Brief saß, aber ich weiß, dass ich noch nie so viel Zeit für ein Schriftstück aufgebracht habe.

Auch war mir noch nie zuvor eines so wichtig gewesen.

Als ich schließlich fertig war, war ich unzufrieden, hatte das Gefühl, dass der Brief nicht ansatzweise an das herankam, was in mir vorging. Aber ich entschied mich gegen die Idee noch einmal von vorne anzufangen.

Es würde auch beim zweiten oder dritten Versuch nicht besser werden.

Ich streckte mich zur Seite, öffnete eine Schublade meines Nachtschränkchens und zog einen Briefumschlag hervor. Die beschriebenen Seiten faltete ich vorsichtig und verstaute sie darin. Anschließend versiegelte ich den Brief und schrieb klein, aber ordentlich ‚Jasper’ auf die Rückseite. Ich wollte nicht, dass er den Brief las, wenn ich ginge.

Ich wollte nur, dass er ihn las, falls ich nicht wiederkam.

Ich betrachtete den Umschlag, als es leise an der Tür klopfte. Ich schaute auf und kurz darauf öffnete sie sich.

Jasper lugte durch den Spalt und als ich ihm ein schwaches Lächeln schenkte, trat er ein. Vorsichtig schloss er die Tür hinter sich und ließ den Brief, den ich geschrieben hatte, unauffällig zwischen die Seiten des Buches gleiten und legte beides auf den Nachttisch.

Dann schaute ich wieder zu ihm. Er kam nicht näher, sondern lehnte sich an die Wand.

„Alles in Ordnung?“

„Ja“, sagte ich. Er schwieg kurz, dann fuhr er fort:

„Ich habe gespürt, dass du in den letzten Stunden ziemlich durcheinander warst. Du hast viel nachgedacht und dich mit vielen Dingen auseinander gesetzt.“

Es war keine Frage.

Es kannte mich zu gut, wahrscheinlich wusste er ziemlich genau, was ich getan hatte, denn meine Gefühle waren ihm so gut vertraut, dass er sie in manchen Situationen so gut lesen konnte, wie Edward meine Gedanken.

Wieder schwiegen wir beide, dann fragte ich:

„Willst du gar nicht wissen, was ich gesehen habe?“, ich schaute ihn nicht an, während ich das fragte und hörte nur, wie er sagte:

„Wenn du es mir erzählen möchtest.“

„Du weißt es doch schon längst“, flüsterte ich erstickt und betrachtete die Kissen. Ich hörte ihn näher kommen und schließlich ließ auch er sich elegant auf dem Bett nieder.

Er fasste mein Kinn und zwang mich sanft ihn anzusehen.

„Du musst das nicht tun“, flüsterte er und schaute mich mit ernsten Augen an.

„Doch, ich muss. Das weißt du.“

Mehr konnte ich nicht sagen. Früher hatten wir ständig über dieses Thema geredet, darüber diskutiert und gestritten, denn es war das erste Mal, dass wir uns so uneinig waren. Aber irgendwann war das Thema in den Hintergrund gefallen, denn es rückte immer weiter weg. Ich hatte regelmäßig mit Emmett geübt und auch mit Jasper.

Ich war gut im Kampf geworden, viel besser, als ich es mir jemals zugetraut hätte.

Aber mit der Zeit war auch der Grund für diese Trainingskämpfe in den Hintergrund gerückt, sie waren nur noch zum Spaß veranstaltet worden. Und jetzt waren wir wieder mit dem alten Problem konfrontiert, mit dem alten Streit.

„Würdest du hier bleiben, wenn ich dich bitten würde, es mir zuliebe zu tun?“, wollte er schließlich wissen und in mir rumorte es.

Was sollte ich tun? Dieses Gefühl der Zerrissenheit, war das schrecklichste, was ich je hatte empfinden müssen. Stufte ich mein Verlangen nach einem ruhigen Leben, mein Verlangen nach Rache und mein Verlangen danach wieder vollkommen ich selbst zu sein, höher ein, als meine Liebe zu Jasper?

Wie sollte ich ihm jemals wieder in die Augen schauen können, wenn diese Frage irgendwann mit Ja beantwortet werden würde? Ich hob die Hand und ließ meinen Finger langsam an seinem Hals herabwandern.

„Würdest du mich darum bitten, wenn du wüsstest, dass ich die Entscheidung auf ewig bereuen würde, egal für welchen Weg ich mich entscheiden würde? Es würde mich viel mehr Schmerzen eine solche Bitte voll Liebe abzuschlagen, als einfach gegen deinen Willen zu gehen und für unsere Freiheit zu kämpfen.“

Mein Finger wanderte immer weiter hinab und schließlich ließ ich mich einfach gegen ihn sinken, vergrub mein Gesicht an seinem Hals, in dem Pullover, den er trug, und suchte mit meinen Händen verzweifelt nach Halt.



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  jennalynn
2011-07-26T12:25:41+00:00 26.07.2011 14:25
147 Jahre musste sie warten, nun wird es aber wirklich mal Zeit.
Aro lebt eindeutig schon viel zu lange, dass muss ein Ende haben. *grins*
Von: abgemeldet
2010-05-25T23:11:08+00:00 26.05.2010 01:11
Ich bin echt gespannt wie es ausgeht!
Bin mir mittlerweile garnicht mehr sicher, wie es konkret ausgehen wird.
Mir ist auch beides recht. Ich finde sogar ein SadEnd würde ganz gut in die Story passen, aber natürlich wär ein gutes Ende auch nicht schlecht ;)!
Freu mich aufs nächste Kap!
Von:  Dahlie
2010-04-19T17:59:11+00:00 19.04.2010 19:59
Ich hols nach!
*schäm*
gott, ich hatte das Kapitel schon gelesen, aber aus lauter egoismus vergessen feedback zu geben.
Nun meine Beste, ich bin gespant und hoffe, dass hier jeder bekommt was er verdient, wobei ich auch weiß, dass das Leben eben kein Wunschkonzert ist. [Gerade die Depri-Phase hat]
Und ganz ehrlich?
Ich habe nichts gegen ein sad End, das weißt du ja, solange es realistisch ist. Und ich will dich auch erst garnicht beeinflussen, schließlich bin ich sicher, dass du schon weißt, wie du das Kindchen hier schaukelst. Also, ich lehne mich zurück und lasse dich machen & warte gespannt auf das, was du uns hier wieder leckeres präsentierst ;]
Hau rein!

Von: abgemeldet
2010-04-06T06:42:31+00:00 06.04.2010 08:42
mach weiter so ;D
ich finds spannend :P
aber bitte lass dass ende nicht so ausfallen wie beim 1. teil ...
lg ^^
Von:  Twilight-Nicki
2010-03-27T20:50:32+00:00 27.03.2010 21:50
Es ist also soweit.
Aros Ende naht und ich bin so froh darüber!!!
ICh hoffe wirklich, das du Alice gewinnen lässt.
Es MUSS Rache für das geben, was Aro den Cullen angetan hat.
Er darf nicht wieder ungestraft davon kommmen!!

Tolles Kapitel, bin sehr auf das nächste gespannt!
Grüssle


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