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Mutterleid

von

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Nebel umfing das Cedar Grove Sanatorium. Es war ein dichter Nebel, der sich kaum mit Blicken durchdringen lies. Wie eine breite weißgraue Wand kam er mir vor, als ich gedankenverloren durchs Fenster der Dining Hall blickte und dabei eine Zigarette rauchte, die mir nicht wirklich schmeckte. Der Nebel schluckte alles, lies mich nicht mal die wenigen Meter bis zum Beginn der Grünflächen blicken. Ein Anblick, der in letzter Zeit immer häufiger wurde.

„Silent Hill, das Kaff, wo sich der Nebel zuhause fühlt…“ sagte ich scherzhaft, um meiner schlechten Laune Luft zu machen.
 

„…die gute Betty sah auch schon mal besser aus.“

„Ja, seit diesem Vorfall vor zwei Monaten hat sie sich völlig verändert.“

„Dabei war sie früher so lebensfroh gewesen. Ein richtiges Partyluder…“
 

Ich blendete die Unterhaltung, die am Nebentisch geführt wurde, so gut es ging aus meiner Wahrnehmung aus. Es war mir inzwischen egal, was hinter meinem Rücken über mich getuschelt wurde. Die meisten hatten eh keine Vorstellung davon, was ich durchgemacht hab und konnten nur von meinem äußeren Erscheinungsbild urteilen. Ja, die Zeit des Partyluders Betty Rose war vorbei. Heute bin ich nur noch die liebe Schwester Betty, die sich mit ihren strähnigen schwarzen Haaren und tiefen Augenringen, welche von schlaflosen Nächten zeugten, auf die Arbeit schleppte.
 

Mühsam beendete ich meinen inneren Monolog, bevor er mich zu unliebsamen Erinnerungen führte, die ich vergessen wollte. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es Zeit war, wieder an die Arbeit zu gehen. Also drückte ich flux die halbgerauchte Zigarette aus, zupfte meine Schwesterntracht zurecht und verließ die Dining Hall.
 

- - - - -
 

„Dr. Harris?“

Ich erwischte meinen Chef zufällig im Flur, als er gerade sein Büro betreten wollte. Er hatte einen dicken Stapel Akten unterm Arm, auf denen ich beiläufig den Namen “Helen Grady“ lesen konnte – ein Fall, für den er sich schon seit Jahren sehr interessierte. Dr. Erwin Harris, der bereits mit einem Fuß den Raum betreten hatte, hielt inne und drehte sich zu mir um.

„Ja bitte?“

Seine Stimme hatte einen leicht genervten Unterton.

„Der Neuzugang ist eingetroffen. Sie wollten sich ihn doch mal anschauen.“

Der Doc brauchte einem Moment, bis er wusste, von wem ich sprach.

„Ach, Mr. Reed, der uns vom Brookhaven überstellt wurde! Ja, okay. Ich komme gleich. Gehen sie schon mal vor, Betty.“

Ohne meine Antwort abzuwarten verschwand er in seinem Büro. Das war nichts Neues. Alle Angestellten des Sanatoriums mussten sich mit dieser Marotte anfreunden und damit rechnen, von Dr. Harris einfach stehen gelassen zu werden. Als ich vor drei Jahren hier anfing, hatte ich ziemliche Probleme mit diesem Verhalten und wäre deswegen beinahe mal rausgeflogen. Mit der Zeit hatte ich aber gelernt, darüber hinweg zu sehen.
 

Ich kam Dr. Harris Bitte nach und ging zu Mr. Reeds Zimmer. Man hatte ihm Raum A-8 in der Herren-Abteilung zugeteilt. Seiner Akte nach war er ein sehr schweigsamer Kerl, der des öfteren in einen apathischen Zustand versank. Als ich sein Zimmer betrat, saß er ruhig aus dem Bett und starrte teilnahmslos auf die gegenüberliegende Wand.

„Hallo Marvin.“

Keine Reaktion.

„Ich bin Schwester Betty. Der Doktor wird gleich kommen und sich…“

Ich unterbrach meine Ansprache, als ich merkte, dass Marvin mich gar nicht wahrnahm. Seine Augen zeigten deutlich, dass er geistig nicht anwesend war. Geifer lief ihm aus dem offenen Mund. Er hatte wohl wieder einen Anfall.

„Dann eben nicht“, seufzte ich.
 

Die nächsten drei Minute tat sich nichts. Mir wurde bereits langweilig. Wo blieb nur Dr. Harris? Um mich abzulenken warf ich einen Blick auf die Aufzeichnungen, die an Marvins Bett geheftet worden waren. So erfuhr ich, dass der Gute eine Begabung dafür hatte, jeden Behandlungsversuch zu ignorieren. Die Psychologen des Brookhaven Krankenhauses kamen nicht zu ihm durch. Wenn er sprach, redete er nur selten über sich. Man stufte ihn als Härtefall ein, weshalb er hierher nach Cedar Grove verlegt wurde.

„Du riechst nach Tod.“

Erschrocken fuhr ich herum, als Marvin mich plötzlich von der Seite ansprach. Er lächelte mich an und seine Augen waren hellwach!

„Was…was hast du gesagt?“

„Du riechst nach Tod“ wiederholte er, wobei sein lächeln noch breiter wurde.

„Ich kenne den Geruch. Sehr gut sogar. Hast du auch ne Leiche gefunden?“

„Was? N..Nein…“, stammelte ich, noch immer total überrollt von der Situation.

Marvin sah, nein, stierte mir einen Moment lang an und schüttelte dann den Kopf. „Ich weiß, dass du lügst. Ich… ich rieche es ganz deutlich. Wer wars denn? Ein Fremder? Ein Freund? Vielleicht Vater oder Mutter? Oder wars dein Kind?“

„Halt den Mund!!“ fuhr ich Marvin an und verpasste ihm eine Ohrfeige, dass er vom Bett rutschte. Jetzt war er es, der mich überrascht ansah, sich am Boden seine schmerzende Wange haltend.

„Ahem…“, räusperte sich jemand hinter mir. Als ich mich umdrehte, stand Dr. Harris an der Tür und sah mich finster an. Mit einem Handzeichen deutete er mir an, mit vor die Tür zu kommen. Ich rechnete mir einer dicken Standpauke – und wurde nicht enttäuscht.
 

„Was fällt ihnen ein, einen Patienten anzugreifen?! Sie wissen doch…“

Es folgte die übliche Belehrung.

„Gewalt gegen Patienten ist nur im Notfall erlaubt, um die Unruhestifter zu zügeln oder sich selbst zu verteidigen!“ leierte Dr. Harris die Verhaltensregeln runter. Er redete sich mit seinem Vortrag selbst in Rage und lies mich gar nicht erst zu einer Erklärung oder Entschuldigung ansetzten.

„Ich verstehe ja, dass sie nach dem Tod ihres Kindes aufgebracht sind, aber…“

„Sie verstehen mich?“, fiel ich ihm aufgebracht ins Wort. „Sie verstehen mich?!! Woher wollen sie wissen, wie das ist, aufzuwachen und sein Kind tot in seinem Bett zu finden?! Wie es ist, einen leblosen Säugling von sechs Monaten in Händen zu halten! Sie verstehen gar nichts!“

Tränen waren mir in die Augen gestiegen. Alles, was ich so sehr versuchte zu vergessen, wurde wieder hochgespült. Weinend rannte ich davon und lies einen verdutzt dreinschauenden Dr. Harris zurück.
 

- - - - -
 

Ich war vollkommen aufgewühlt, wollte nur noch allein sein und in Ruhe mein Leid rauslassen. Das Leid, das ich seit zwei Monaten unterdrückte und versuchte mit der Arbeit zu vergessen. Ich bin schnurstracks zum erstbesten, stillen Ort gerannt, der mir eingefallen ist: der Raum für sanitäre Anlagen, wo sich WCs, Waschbecken und Duschen befanden. Dort saß ich nun, habe mich in eine der Toilettenkabinen eingesperrt. Das ich noch in der Männerabteilung war, war mir im Moment so was von egal. Halb gegen die Wand gelehnt hockte ich auf einer der Toiletten – natürlich mit runter geklapptem Deckel – und heulte wie ein Schlosshund. Das Gesicht meines kleinen Mikeys stand vor meinem geistigem Auge. Mal lebendig, lachend, mal tot und ausdruckslos…
 

Mikey war kein Wunschkind gewesen, sondern das Ergebnis eines Schäferstündchens mit dem Barkeeper von Annies Bar. Die Frucht eines berauschten Partyluders… Der Vater verlies Silent Hill, kurz nachdem er von meiner Schwangerschaft erfahren hatte. Gerüchten zufolge betreibt er nun eine eigene Kneipe in South Ashfield. Zunächst dachte ich daran, das Kind abzutreiben, brachte es letztendlich aber nicht übers Herz. Meine Arbeit als Schwester im Sanatorium konnte ich, dank der Unterstützung meiner guten Freundin Annette behalten, die im Greenfield Apartmenthaus direkt über mir wohnt. Doch dann, vor zwei Monaten…

Ich weiß es noch ganz genau. Ich wollte mich auf dem Sofa ausruhen und bin dabei eingenickt . Als ich erwachte, wollte ich nach Mikey sehen und fand ihn tot vor… Als Todesursache wurde plötzlicher Kindstod obduziert. Ironischer Weise wurde der Arzt, der das festgestellt hatte, kurz darauf wegen Drogenmissbrauchs verhaftet.
 

Jemand kloppte gegen die Kabinentür.

„Ist alles in Ordnung?“

Was für ein Idiot. Man musste doch hören, dass nicht alles in Ordnung war! Trotzdem sagte ich „Alles klar. Ich komm gleich raus. Einen Moment noch.“

Der Mann vor der Tür, ich glaube es war der Pfleger Clem, räusperte sich und sagte „Okay. Ähm…“

Den Rest, den er sagen wollte behielt er für sich und verlies den Raum. Ich wischte mir die Tränen ab und öffnete die Kabine. Noch leicht benommen schwankte ich zum Waschbecken, um mich frisch zu machen. Das Wasser tat gut, klärte den Geist. Als ich mir gerade den dritten Schwall ins Gesicht spritze, begann plötzlich das Licht stark zu flackern und erlosch.

„Na toll. Sowas hat echt noch gefehlt.“

Da ging das Licht auch schon wieder an. Erleichtert atmete ich auf - bis ich plötzlich eine Gestalt im Spiegel bemerkte, die vorher nicht da gewesen war! Erschrocken fuhr ich herum, konnte die Gestalt aber nirgends ausmachen. Sie war verschwunden wie ein Geist. Hatten mir meine Nerven einen Streich gespielt? Ich versuchte, mich an das Aussehen der Gestalt zu erinnern. Sie war wie ich weine Schwester gewesen, doch ihre Kleidung…war voller roter Flecken gewesen. An ihr Gesicht konnte ich seltsamerweise gar mich nicht erinnern und glaubte auch, gar keins gesehen zu haben. Also doch ein Hirngespinst?

„Ich werde in diesem Irrenhaus langsam verrückt.“
 

Endlich schaffte ich es, mich zusammenzureißen und den Sanitärraum zu verlassen. Als ich auf den Gang trat, empfing mich eine schummrige Dunkelheit. Die Deckenlampen leuchteten nur sehr spärlich, sodass ich gerade so die Hand vor Augen sah. War das vorher auch schon so gewesen? Ich denke nicht. Verwundert sah ich mich um. Boden und Wände sahen sehr feucht und dreckig aus. In der Decke waren einige große Löcher, aus denen Kabelleitungen herausragten. Die Tür zu meiner linken, die zu einem der Schlafsäle führte, war mit dicken Eisenketten verriegelt worden. Nein, normal war das sicher nicht.

Ich bekam eine Gänsehaut, die nur teilweise von der unheimlichen Kälte des Ganges herruhte und fühlte mich beobachtet. Da! Weiter hinten im Gang hatte sich etwas bewegt! An der Ecke, wo der Weg zum Treppenhaus abzweigte, hatte jemand schnell seinen Kopf eingezogen.

„Hey!“ rief ich den Unbekannten an und lief der Stelle entgegen, wo Er oder Sie verschwunden war. Doch als ich um die Ecke bog, prallte ich unvermittelt gegen die Gestalt, taumelte zurück und hatte zu kämpfen, nicht auf den Hintern zu fallen.

„Oh, entschuldigen sie. Ich wollte nicht…“, setzte ich an, doch als ich endlich erkannte, wer da vor mir stand, verschlug es mir die Sprache. Es war die Schwester, die mir im Spiegel des Sanitärraums erschienen war!
 

Es war ein makaberes Bild. Die Tracht der Schwester war fast komplett mit blutroten Flecken bedeckt. Selbst Schuhe und Haube wiesen diese Flecken auf. Und ihr Kopf… sah aus wie eine rote, ovale Blasse ohne Gesicht und Haare! Der Anblick raubte mir den Atem! Das war keine Verkleidung. Dafür wirkte es viel zu echt. Von der Monsterschwester ging ein süßlicher Gestank aus. Aus den Poren ihrer Haut sickerte zäher Schleim, der dem Kugelkopf ein nasses glänzen verlieh. Aber so etwas konnte es doch gar nicht geben!

Da machte die Gestalt einen Schritt nach vorne. Steif und ungelenk, begleitet von knackenden Geräuschen, kam sie auf mich zu und hob den rechten Arm. Erst jetzt bemerkte ich, das sie ein langes Eisenrohr in der Hand hielt – das im selben Moment vorschnellte und nur knapp an meinen Kopf vorbeirauschte.

„Aaah!“

Ich sprang zurück, stieß mit dem Rücken gegen die Wand. Die Monsterschwester hob indessen wieder das Rohr zum nächsten Schlag. Weg, ich musste weg! Meine Angst brach nun vollends durch. Ich warf mich herum, rannte zurück zum Sanitärraum, bog davor aber nach links ab. Ich flog förmlich durch die Schwingtür, die zu den Patientenräumen führte. Dr. Harris kam mir in den Sinn. Vielleicht war er noch bei Mr. Reed. Schnell eilte ich zu seinem Zimmer, fand es seltsamerweise aber verlassen vor. Ich sah in drei weiteren Zimmern nach, die sich aber ebenfalls als leer erwiesen.

„Hallo! Ist hier niemand?!“

Es konnte doch nicht sein, das plötzlich alle Angestellten und Insassen verschwanden! Normalerweise herrschte hier immer reges Treiben.
 

Ich rannte zur gegenüberliegenden Krankenstation, betrat das erstbeste Zimmer – und prallte zurück. Auf dem Krankenbett lag eine menschlichte Gestalt, die aussah, als hätte man ihr die Haut abgezogen. An einem Infusionsständer hing ein Beutel mit einer eintrig-gelben Flüssigkeit darin. Der Körper zuckte und stöhnte unter Krämpfen. Schnell warf ich die Türe wieder zu, lehnte mich mit dem Rücken dagegen und atmete tief durch. Was war das nur für ein Alptraum, in den ich da geraten bin? Der Begriff „Traum“ wolltein meinem Kopf haften bleiben, doch dafür erschien mir alles viel zu real. Übelkeit stieg mir die Kehle hoch. Ächzend kotzte ich mir mein Frühstück vor die Füße. Toll, nun ging es mir noch schlechter. Schwer atmend schritt ich weiter und wusste nicht, was ich tun sollte. Ich hatte Angst, die anderen Zimmer zu betreten, wollte nicht wissen, was dort für ein Grauen warten würde.
 

Vor dem Schwesternzimmer hielt ich inne. Ich hatte etwas gehört. Ein leises weinen. Vorsichtig näherte ich mich der entsprechenden Tür. Es war eine breite Doppeltür mit Sichtfenster. Nach kurzem zögern überwand ich mich und sah durch die Scheibe. Ich sah jemanden im Raum, eine Monsterschwester schritt gemächlich darin auf und ab und wiegte dabei ein kleines Bündel in den Armen. Erst dachte ich an ein Kind, doch dann lugten kleine, gebogene Krallen aus dem Bündel heraus. Die kleinen Krallen suchten die Brust der Schwester, schnitten problemlos durch den Stoff der Tracht. Blut rann aus der feinen Wunde, was das Bündel vergnügt aufquietschen lies. Die Monsterschwester legte den Kopf schief und drückte das Bündel an ihre blutende Brust – als wollte sie es stillen! Mein Magen zog sich zusammen. Ich war froh, ihn bereits entleert zu haben. Ansonsten hätte ich es jetzt sicher getan. Ich wollte mir das Schauspiel nicht länger ansehen. Das Bild wühlte die Erinnerung an Mikey wieder hoch. So entfernte ich mich von der Tür und überlegte, was ich nun tun konnte.
 

Das einzige, was mir einfiel, war, nach anderen Personen zu suchen. Was blieb mir anderes übrig. Irgendwo musste doch noch jemand vom Personal sein. Ob ich Dr. Harris in seinem Büro antreffen würde? Das wollte ich herausfinden und machte mich auf den Weg.. Je näher ich der Lobby kam, desto schlimmer wurde der Zustand des Gebäudes. Auf den schmutzigen Wänden zeigten sich immer wieder blutige Spuren und Zeichnungen, die aussahen, als hätte ein Kind sie gemalt. Das Blut war teilweise noch frisch, wodurch die damit gemalten Bilder langsam zerliefen. Ich beschleunigte meine Schritte und erreichte endlich die Eingangshalle. Dort schien es an einer Stelle zu regnen. Verwundert sah ich nach oben und entdeckte ein großes Loch in der Decke. Der vermeintliche Regen stammte aus einer kaputten Wasserleitung.

Dr. Harris Büro war nicht verschlossen. Vorsichtig öffnete ich die Tür. Drinnen sah es eigentlich normal aus. Auf dem Schreibtisch stapelten sich wie immer Berge von Akten, während der Rest des Raumes ordentlich aufgeräumt war. Nur von meinem Chef fehlte jede Spur. Enttäuscht setzte ich mich an den Schreibtisch, wollte den Moment zum durchatmen und Nachdenken nutzen. Als ich mich auf den Tisch stützte, kam ein Aktenberg ins rutschen und gab den Blick auf den Anrufbeantworter frei. Eine Leuchte daran blinkte, zeigte an, dass eine Nachricht auf dem Band war. Neugierig drückte ich auf “Play“, und sei es nur, um wieder eine andere Stimme zu hören.

„Du riechst nach Tod.“

Das war die Stimme von Marvin Reed! Was sollte das nun wieder?

„Hast du auch mal ne Leiche gefunden? Wer wars denn? Ein Fremder? Ein Freund? Vielleicht Vater oder Mutter? Oder wars dein Kind?“

Das waren exakt die Worte, die er zu mir gesagt hatte. War das alles vielleicht nur seine Macke gewesen? Sagte er das öfters? Ich war gespannt, was nun folgen würde.

„Halt den Mund!!“ hörte ich nun meine eigene Stimme, gefolgt von einem klatschen – und einem lauten anhaltenden Kinderkreischen! Schnell schaltete ich den Apparat wieder aus. Mein Herz und meine Gedanken rasten. Was sollte das nur bedeuten? Hatte der ganze Alptraum etwa mit mir und Mikey zu tun?

„Ma-ma“, röchelte auf einmal eine fremde Stimme.

Ich fuhr herum und sah die Tür einen Spalt breit offen stehen. Durch den Spalt schob sich ein sehr kleiner, gedrungener Körper, der sich auf dürren Krallenfindern vorwärts zog. Ich musste unwillkürlich an das Bündel denken, das die Monsterschwester vorhin gestillt hatte. War dass das Kind daraus? Seine Haut war schwarz, blutig und verschrammt, das Gesicht eine verzerrte Fratzte.

„Ma-ma“ röchelte das Monster wieder und kam schnell näher. Ich sprang auf.

„B-bleib weg von mir!“ schrie ich das Wesen an, welches darauf schrill zu schreien anfing. Das kreischen tat mir in den Ohren weh. Schnell rannte ich an dem Ding vorbei, wollte nur raus aus dem Raum, raus aus der ganzen verfluchten Anstalt. Ich rannte zur Eingangstür des Gebäudes und stellte erschrocken fest, dass sie mit dicken Brettern vernagelt war.

„Lasst mich raus!“ rief ich und trommelte und zog wie verrückt an den Brettern, die sich aber keinen Millimeter nachgaben. „Bitte, lasst mich raus! Bitte!“

Schon bald verließen mich meine Kräfte. Erschöpft sank ich an der Wand hinunter, barg meinen Kopf zwischen die Knie und weinte. Ich weiß nicht, wie lange ich da gesessen habe. Irgendwann bemerkte ich Schritte, die langsam auf mich zukamen. Ich blickte auf, sah die Monsterschwester direkt neben mir stehen, das Eisenrohr zum Schlag erhoben. Da fuhr das Rohr auch schon herab und raubte mir das Bewusstsein.
 

Mein Kopf schmerzte höllisch, als ich wieder zu mir kam. Ich lag in einem dunklen Raum, war an ein Bett gefesselt und konnte nur noch meinen Kopf bewegen. Über mir brannte eine Lampe, deren Licht sich scheinbar nur auf das Bett konzentrierte, in dem ich lag. Ansonsten war es stockfinster im Raum.

Schritte kamen näher, eine Monsterschwester trat an mein Bett. Sie hielt ein blaues Lederkissen in der linken. Ihre rechte hob sie zum Kopf, legte die Hand darauf, als würde sie bedauern, was sie nun tun würde. Tatsächlich war ein leises, ersticktes schluchzen zu hören. Als sie die Hand wieder senkte… hatte sie sich verändert. Sei hatte nun ein Gesicht! Oh mein Gott, sie hat MEIN Gesicht!

Die Schwester beugte sich nun über mich, schaute mich aus traurigen Augen an und drückte mir schließlich das Kissen aufs Gesicht. Ich strampelte verzweifelt und versuchte dem Tode zu entgehen, doch der Druck der Schwester war eisern und gab nicht nach. Kurz bevor ich das Bewusstsein verlor wurde mir klar, was das alles mit mir zu tun hatte. Die Erkenntnis stand auf einmal klar von meinen Augen, als wäre sie eine letzte Vision vor dem Ende. Mikey war kein Wunschkind gewesen. Ich war häufig mit ihm überfordert. An jenem Abend… Ich wollte nur, dass er zu schreien aufhört… Und er hörte auf, für immer… Das waren meine letzten Gedanken, bevor es schwarz um mich wurde.
 

- - - - -
 

„Ich glaube, sie kommt zu sich“ hörte ich eine Stimme, die klang, als sei sie weit entfernt. Ich fühlte mich schlaff, müde und kraftlos. Hatte ich geträumt? War ich bei er Arbeit eingeschlafen? Nein, schlagartig kam die Erinnerung zurück. Ich riss die Augen auf, fuhr aus meiner liegenden Haltung hoch und sog die Luft tief in die Lungen. Ich war am Leben! Die Monsterschwester hatte mich doch nicht getötet! Um mich herum standen mehrere Menschen. Ich erkannte Clem, Steve und Margaret, die mich besorgt anstarrten. Hinter ihnen sah Dr. Harris teilnahmslos zu mir herüber, vertiefte sich gleich darauf aber wieder in eine Patientenakte. Den Raum erkennte ich als die Schwesternstation der Frauen-Abteilung.

„Betty, was ist denn passiert? Wir fanden dich ohnmächtig vor der Eingangstür“ fragte mich Margaret. Ich hörte sie nur beiläufig. Mich plagte die Erkenntnis, was ich getan hatte. Was ich Mikey angetan hatte… Ich schlug die Hände vors Gesicht und begann bitterlich zu weinen.
 

ENDE



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  Luftpiratin
2010-06-06T17:11:12+00:00 06.06.2010 19:11
Ein Wort: Umwerfend.
Ich bin sprachlos..entsetzt..beeindruckt.. einfach nur wow.
Meine Lieblingsfanfiction. Ich hab sie gefunden.
Von:  RyuKusanagi
2009-06-19T18:33:04+00:00 19.06.2009 20:33
Ich fand diese FF wirklich sehr gut. Manche Abschnitte könnten wirklich aus einem Tagebuch von jemandem aus dem Spiel stammen, sehr schön erzählt.
Und besonders die Atmosphäre wurde gut getroffen.
Das Sanitarium und die andere Dimension an sich sind gut beschrieben, die Story baut spannung auf, die Szenen mit dem Baby waren gruselig (also genau richtig so) und die Beschreibung der "Monsterschwester" hat auch gut ins Gesamtbild gepasst.
Das Ende war natürlich wieder (wie man das von Silent Hill erwarten kann) wirklich sehr gut und hat der FF zu einem würdigen Abschluss verholfen.
Wirklich eine sehr gute Silent Hill-Horror FF.
Von:  Schattenläufer
2009-02-25T21:05:10+00:00 25.02.2009 22:05
Erstmal finde ich es toll, noch jemanden gefunden zu haben, der gute Silent Hill Fanfics hinbekommt. Sonst kennt man ja nur Alona und Blinddemon.
Du hast die Atmosphäre sehr gut hinbekommen und die Monster gut beschrieben. Der Übergang zur anderen Seite gefiel mir auch sehr.
Alles in allem gibt es ein paar kleine Fehler, die aber fast hauptsächlich die Zeitform betreffen, aber die stören den Lesefluss kaum.

Ich bin mal so frei und packe diese FF zu meinen Favos.
~Gruß
Von:  MissZombieSlayer
2009-02-02T21:01:23+00:00 02.02.2009 22:01
Wow echt ne tolle Story!
Also die Idee mag ich echt gerne! Oh die Anstalt *schauder* Ich liebe einfach alles was in Anstalten spielt ;D War das schön in origins da rum zu rennen xD
Und du hast das echt toll geschrieben….richtig schön zu schaudern oO Perfect Silent Hill einfach ;D
Hast die Nurses und die Nightmare Welt echt super beschrieben! Und das mit dem stillen von dem Baby….gott das war hammr oO *shock*
Also haste echt toll geschrieben!
Bei dem ende hab ich an The Others mit Nicole Kidman denken müssen xD
Aber echt tolle FF :D hat mir super gefallen *favo*


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