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The Legend Of The Pianist On The Ocean

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Music is moonlight in the gloomy night of life

https://www.youtube.com/watch?v=3N8a7zmUM-I Song From A Secret Garden - Violin & Piano
 

Die Sonne geht gerade erst über dem blauen Wellenteppich auf und taucht das Meer in warmes, friedliches Licht. Die ersten Strahlen tanzen durch die hohen Fenster und meine Hand berührt das kühle Glas, streicht wehmütig am weißen Holzrahmen entlang und die Lasur bröckelt wieder ein wenig mehr ab. Kleine Lacksplitter sammeln sich auf dem Fensterbrett und machen mir deutlich wie viel Zeit vergangen ist, seitdem wir hier gemeinsam standen.
 

Damals war alles frisch gestrichen und es roch noch ein wenig nach Farbe, während wir das kleine Haus am Meer, als unser neues Heim in Besitz nahmen, um unser Leben offiziell zu teilen.

Ich sehe noch heute vor mir, wie wir, gerade mal Ende 20, und voller Tatendrang, die letzten Umzugskisten in die neue Bleibe schleppten. Leo wischte sich die kleinen Schweißtropfen von der Stirn, schob missmutig einen Karton mit dem Fuß in eine Ecke und schnaufte. Körperliche Arbeit war ihm eigentlich zuwider und so zog er eine Schmolllippe, bei der sogar kokette Französinnen neidisch werden konnten. Ein Anblick, der mich jedes Mal aufs Neue erschauern ließ. Mit dieser Geste konnte er mich zu allem überreden und das wusste er und zu meinem Bedauern, nutzte er es auch häufig zu seinem Vorteil. Wenn er etwas nicht wollte. Wenn er etwas wollte. Wenn er etwas nicht wollte, was ich wollte…für Leo gab es immer einen Grund mich mit seiner Schnute in die Abhängigkeit und die totale Selbstaufgabe zu schmollen.

Eigentlich war er ein fürchterliches Biest, mit dem Gesicht eines Engels und dem Feingefühl einer Planierwalze.

Aber in allererster Linie war Leo Künstler. Pianist um genau zu sein und wenn ich nicht gerade zu seinem Schoßhündchen umfunktioniert wurde, war ich in erster Linie Violinist, oder Saitenzupfer, wie Leo es nannte.
 

Wir lernten uns auf einem seiner Konzerte kennen, bei dem ich sozusagen die erste Geige spielte, während er das Publikum mit Beethovens “Geistertrio“ in Erstaunen versetzte. Seine Finger tanzten über die Klaviatur. Er schien in einer ganz anderen Welt zu sein und spielte mit den Noten, hauchte ihnen Leben ein und riss mich unweigerlich mit. Es kam mir vor, als hätte ich noch nie in meinem Leben so gut gespielt, wie an diesem Abend.

Nach dem Ende der Aufführung war ich so erledigt, als hätte ich einen Marathon hinter mir und zog mich erschöpft, aber zufrieden in meine Garderobe zurück.

Ich war gerade dabei meine Violine in ihrem Kasten zu verstauen, als es klopfte, Leo ohne eine Antwort abzuwarten, hereinschwebte und mich unverhohlen musterte. „Gut gespielt. Nicht perfekt, aber ausbaufähig.“, meinte er knapp und ich bekam den unbändigen Drang ihn mit einer seiner Klavierseiten erdrosseln zu wollen.

Was bildete sich der Kerl eigentlich ein? Ich hatte mich halb besinnungslos gespielt und er nannte mich ausbaufähig?

Wäre dieser Mistkerl nicht so perfekt in seinem Spiel gewesen, hätte ich wenigstens noch eine Angriffsfläche gehabt, aber nein, der Typ war ja mal kurzerhand ein musikalisches Genie und ich nur eine Untermalung seines Könnens.

Aber nur weil er genial war, musste ich ihn ja noch lange nicht als Mensch mögen. Und genau das nahm ich mir in diesem Moment auch vor: Respekt vor seinem Können, aber ihn persönlich mal arschig finden.

„Danke.“, gab ich also emotionslos zurück und verstaute mein Instrument. „Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden, ich habe es eilig.“

Kurz hatte ich das Gefühl Unsicherheit in seinen Augen aufblitzen zu sehen, doch im nächsten Moment reichte er mir einfach die Hand und nickte. „Es würde mich freuen, wenn wir mal wieder zusammen arbeiten könnten. Auf Wiedersehen.“

Mit dieser Verabschiedung hatte ich ja nun überhaupt nicht gerechnet, reichte ihm daher verwirrt die Hand und er verschwand so plötzlich, wie er gekommen war.

Eindeutig ein sehr seltsamer Zeitgenosse.

Welcher großartige Musiker wollte denn bitte mit Leuten zusammen arbeiten, die er nur für ausbaufähig hielt? Verständnislos packte ich meine sieben Sachen und machte mich auf den Weg ins Hotel. Am nächsten Morgen musste ich früh aufstehen, um meinen Flieger zu erwischen, denn schon in zwei Tagen hatte ich wieder einen Auftritt mit meinen Orchesterkollegen.

Meine Arbeitgeber hatten mich nur an Meister Piano ausgeliehen, weil sie meinten das wäre eine gute Publicity für sie, wenn einer aus ihrem Haus mit dem jungen Talent Leopold Zuiker zusammen auftreten durfte. Mein Name stand sogar ganz klein unter seinem, auf dem Veranstaltungsplakat.

Was für eine Ehre…
 

Die nächsten Monate verliefen eigentlich wie immer, obwohl ich zugeben muss, dass wir schon ein paar mehr Besucher verbuchen konnten. Bei unseren Veranstaltungen, stand mein Name jetzt sogar ganz oben.

Ich fühlte mich mal kurz als Held und meine Kollegen machten mit. Sie lobten mich für mein Spiel und auch meine persönlichen Chancen auf ein nettes Tête-à-tête waren plötzlich gestiegen.

Ich war ja jetzt ein kleines bisschen berühmt und da darf man dann auch mal den privaten Kapellmeisterstab das ein oder andere Mal öfter schwingen.
 

Ich hatte Leo und sein Angebot schon wieder völlig vergessen und widmete mich den musikalischen und physischen Erquickungen des Lebens, als ich ihn doch unerwartet wieder traf.

Leider zu einem sehr ungünstigen Zeitpunkt.

Unsere Proben waren schon beendet, die Kollegen alle nach Hause gegangen und ich gerade dabei den neuen Flötisten zu vögeln, nachdem er mir ein sehr viel versprechendes Solostück vorgeblasen hatte. In meinem jugendlichen Übermut hatte ich diese private Session jedoch auf den Konzertflügel unseres Hauses verlegt und zwischen die freudigen „Ich komme. Ich komme“-Laute, meiner neuesten Eroberung, mischte sich plötzlich ein fremdes Räuspern.

Erschrocken drehte ich mich um und starrte genau in ein paar blaue Augen, die mich schon wieder so unverhohlen musterten. Die nächste halbe Minute verbrachte ich damit panisch meine Hose hoch zu zerren und im Boden zu versinken, während der Flötist eilends das Weite suchte.

Verräter!

Der war ja schon gekommen und ging dann mal eben und ich durfte mit stramm gespannter Hose nach einer Ausrede suchen, was völlig unmöglich war, da sich mein Blut ja immer noch weigerte wieder in mein Hirn zu wandern.

„Ich gebe demnächst hier in der Stadt ein Konzert und wollte Sie wieder, als Begleitung anheuern.“, informierte er mich so geschäftlich, als würden wir ohne meinen Ständer hier herumstehen.

Da stimmte ich lieber gleich verstört zu, bevor er noch beschloss meine Karriere, mit dem eben Gesehenen, zum Einknicken zu bringen.

Er nickte zufrieden und überreichte mir seine Visitenkarte. „Rufen Sie mich morgen Vormittag an, dann besprechen wir die Details.“
 

Ich tat wie mir befohlen und erfuhr beiläufig, dass ich bis zu unserem Auftritt jeden Abend in seiner Hotelsuite aufzukreuzen hatte. Er musste mich ja schließlich noch musikalisch ausbauen, bevor ich neben ihm zupfen durfte.

Ich schwor mir nie wieder den Flötisten zu poppen und ergab mich in mein Schicksal.

In seiner Suite befand sich ein weißer Flügel, auf dem er jeden Abend mit meiner Begleitung probte und mich nebenbei mit seinen Anweisungen in den Wahnsinn trieb. Leo hatte das, was man “absolutes Gehör“ nannte und machte mich auf jede Tondiskrepanz akribisch aufmerksam. Ich war also in der Notenhölle gelandet und versuchte neben all dem Üben, meiner Mordlust nicht nachzugeben. Dabei war diese Vorstellung zeitweise mehr als verlockend.
 

Irgendwann kam endlich der Abend des Konzertes. Es war ein voller Erfolg, Leo wurde gefeiert und ich bekam von meinem Arbeitgeber die Kündigung überreicht.

Ohne mich darüber in Kenntnis zu setzen, hatte Leo mich sozusagen abgekauft und mein neues Leben bestand darin, seines angenehmer zu gestallten. Ich war Dienstbote, Fußabtreter und zeitweise sogar mal wieder Musiker, wenn es Euer hochwohlgeboren Musikgenie für angebracht hielt.

Zugegeben, verdiente ich soviel wie noch nie und sah eine Menge von der Welt, je bekannter Leo wurde, doch privat verkümmerte meine junge Schaffenskraft leider allmählich. Neben der Rundumbetreuung für Leo, blieb keine Zeit für ausschweifende Fleischeslust, da ich nie jemanden solange sah, als dass ich ihn hätte abschleppen können.

Aber dann kam endlich meine Stunde.
 

Nach einem wieder erfolgreich absolvierten Auftritt, war noch eine kleine Aftershowparty angesetzt und während Leo sich bejubeln ließ, streifte ich wie ein hungriges Raubtier durch den Saal. Überall diskutierten die Kenner und welche, die glaubten Kenner zu sein, aßen, tranken und interessierten mich überhaupt nicht. Ich hatte Beute gewittert. Irgendwo hier im Raum war ein junger, knackiger Kellner unterwegs, der mir zwei Minuten zuvor mit einem süffisanten Lächeln einen Champagner in die Hand gedrückt hatte und somit ganz oben auf meiner Zu-erledigen-Liste gelandet war. - Ich hatte schon immer ein kleines Faible für Kellner, die wussten wenigstens, wie man jemanden richtig bediente.-

Nachdem ich schon zehn Minuten vergebens nach meinem Nachtisch gesucht hatte und fast aufgeben wollte, tippte mir jemand auf die Schulter und zog mich sogleich in eine etwas abgelegene Ecke. Genauer gesagt landete ich hinter einem Stapel Flaschenkästen und fand mich unter dem gesuchten Kellner wieder. „Ich hab ne viertel Stunde Pause.“, keuchte er mir ins Ohr und augenblicklich raste meine Blutzufuhr im Senkflug Richtung vernachlässigtes Genital.

Sprich: Ich hätte ihn mit meiner Latte bewusstlos prügeln können, oder ein paar Nägel in die Wand schlagen, oder…in dem Moment hätte ich mir sogar zugetraut die Berliner Mauer einzureißen, wäre die nicht schon längst dem Erdboden gleich gemacht gewesen.

Mir stiegen vor Vorfreude sogar fast Tränen in die Augen, als mir wirklich bewusst wurde, dass mein Leiden nun ein Ende hatte und sich endlich mal jemand um mich und meinen kleinen, besten Freund kümmern würde.

Vielleicht hätte ich mich sogar bei ihm bedankt, wäre ich nicht so beschäftigt damit gewesen, ihm die Hose wegzuzerren und dabei animalische Brunftlaute von mir zu geben.

Ich gestehe: Beim Sex war ich nie so kunstvoll und feinfühlig, wie es meine musikalische Tätigkeit vielleicht vermuten ließe.

Das war aber kurz darauf auch gar nicht mehr wichtig.
 

Die Hose war noch nicht ganz unten, da räusperte es neben mir.

Wie aus dem Nichts.

Diese wandelnde Sexualprävention mit den blauen Augen stand tatsächlich da, lässig an die Kästen gelehnt und verstörte mir meinen blonden Schuss, der dann auch leider sofort seine Zuckerstange wieder in die Hose packte und sich verdrückte.

Ich bin mir nicht mehr ganz sicher, aber ich glaube in diesem Augenblick fing ich wirklich an zu weinen.

Leo hatte mich um mindestens drei, wundervolle Minuten gebracht. Länger hätte ich in meinem Zustand wohl eh nicht durchgehalten, aber erstens, wusste das der Kellner nicht, zweitens, wäre es mir auch scheißegal gewesen und drittens, wollte ich doch einfach mal wieder ein bisschen Spaß haben. Oh, wie gern hätte ich ihn in diesem Moment qualvoll um die Ecke gebracht, aus der er mich gerade zerrte.

Er drückte mir sein Sakko in die Hand und schleifte mich unauffällig an der mondänen Menge vorbei, während ich mit seiner Jacke geistesgegenwärtig meinen Ständer verdeckte.

Als nächstes weiß ich wieder, dass wir plötzlich in seinem Hotelzimmer standen und er mich kopfschüttelnd musterte. „So geht das nicht weiter.“

Ganz meine Meinung! Wieso standen wir dann eigentlich hier? Ich war doch gerade dabei gewesen diesen Umstand zu ändern.

Ihm musste doch bewusst sein, dass er keinen Eunuchen vor sich hatte und ein Mann war nun mal ein Mann und ich war nun mal ein Mann…

Keine Ahnung wie er das regelte, aber mit kalten Duschen kam ich langsam nicht mehr weiter.

„Lass uns ein wenig üben, damit du wieder runter kommst.“, eröffnete er meinem fassungslosen Gesicht und dem Rest von mir und setzte sich an den, wie immer vorhandenen Flügel.

In diesem Augenblick legte sich bei mir irgendwo ein Schalter um und ich brodelte, wie noch nie in meinem Leben.

„Ich will nicht üben!“, schrie ich völlig kopflos und zerdepperte irgendetwas Gläsernes, das sich in meine Nähe getraut hatte – es war eine scheißteure Kristallvase gewesen-

„Ich will Sex! Ja richtig gehört, Don Piano. Ich bin ein menschliches Wesen mit Bedürfnissen und ich weigere mich, wegen dir ein Klosterdasein zu führen. Entweder du lässt mich jetzt endlich wieder ein humanes Sexualleben führen, oder ich springe auf der Stelle freiwillig aus dem Fenster!“

Ich lag da wie ein kleines Kind vor dem Süßigkeitenregal, wenn es seinen Willen nicht bekam und hämmerte mit den Fäusten auf den Teppich ein, aber das war mir so was von egal. Der Kerl hatte mich schon mehrmals in ziemlich peinlichen Situationen gesehen, dann durfte er jetzt auch mal das Ausmaß seiner Foltermethoden in aller Gänze bewundern. Ich war zu allem bereit.

Auch zum Springen.
 

„Aufstehen. Herkommen. Hinsetzen.“, kam es trocken von meinem persönlichen Alptraum und ich folgte wie ein reuiges Balg seinen Anweisungen und hockte keine fünf Sekunden später auf dem mir zugewiesenen Platz auf dem Klavierhocker.

Ich durfte also nicht mal springen wollen…schöne Scheiße.
 

„Spiel!“, sagte er in einem befehlshaberischen Ton und meine Miene verzog sich zu einem formschönen Fragezeichen. Ich hatte in meinem ganzen Leben noch nie mehr an einem Klavier zustande gebracht, als ein paar billige Kinderlieder, aber da mein Stolz eh schon irgendwo unter den Teppich gekrochen war, gab ich, nach einem lang gezogenen Seufzer, “Izzy Bizzy Spider“ zum Besten und ihm entglitten tatsächlich ein wenig die Gesichtszüge. „Spiel was Richtiges.“, kam es dann schon ein wenig freundlicher, aber er hatte gerade das Brauchbarste gehört, was ich am Flügel zu bieten hatte.

Als ich ihm das sagte, stand er pikiert auf und machte mir durch seine neue Positionswahl direkt in meinem totem Winkel -sprich hinter mir- klar, wer hier gerade die Hosen anhatte.

Bevor ich mich fragen konnte, was das nun wieder sollte, fühlte ich seinen Brustkorb, der sich gegen meine Rückfront drückte und seine schmalen Hände legten sich auf meine – verdammt waren die weich-

Unter seiner Anleitung strichen meine Finger über die Klaviatur und spielten etwas unbeholfen die ersten Takte von Beethovens “Für Elise“. Ich hatte das Gefühl, dass mir jeder Ton eine Gänsehaut über den Körper jagte, bis mir bewusst wurde, dass es sein warmer Atem war, der meinen Nacken stetig streifte.

„Entspann dich.“, hauchte es plötzlich hinter mir und alles in mir zog sich zusammen. Ich verkrampfte, wie bei einer spastischen Lähmung und er seufzte mir ins Ohr. Seine Hände fuhren federleicht an meinen Armen nach oben und ich tippte immer wieder auf die eine Taste, bei der mich seine Finger verlassen hatten.
 

Zum Klang der Note f begann er meine Schultern zu massieren. Pure Folter für einen Mann in meinem Zustand. „Du bist ja ganz steif.“, bemerkte er leise. Oh, wenn der gewusst hätte, wie steif ich wirklich war. Gut, gleich darauf wusste er es, denn mir entfuhr ein erregtes Raunen, das ich einfach nicht mehr unterdrücken konnte. Erschrocken kniff ich die Augen zusammen und wartete darauf, dass er mich aus seinem Zimmer schmiss. Doch entgegen meiner Vermutungen spürte ich unerwartet seine warmen Hände, die unter mein Hemd krochen und über meinen Brustkorb streichelten.

Spätestens jetzt war der Typ so was von fällig.

Man reizte einfach keinen verwundeten Hund, ohne gebissen zu werden. Diesen Punkt setzte ich dann auch sofort in die Tat um. Ich griff beherzt nach hinten, zog ihn auf meinen Schoß und knabberte an seinem Ohrläppchen, fuhr mit der Zunge die zarte Halspartie entlang und entlockte ihm damit ein anregendes Seufzen.

Das war Musik in meinen Ohren!

Ich war wie berauscht.

Völlig von Sinnen.

Benebelt von diesem betörenden Aroma aus Sandelholz und Mandarine.

Leo roch nach mehr, schmeckte nach mehr, einfach lecker.

Und was dann folgte, jagt mir bis heute, beim Gedanken daran, einen Schauer über den Rücken.

Was für eine Nummer!

Ich auf der Klavierbank, Leo oben auf und fröhlich am Klimpern.

Seltsam, aber geil. Und wieso eigentlich nicht?

Hatte ja auch irgendwie was reizvoll Dekadentes, wenn man´s im Takt zu “Für Elise“ trieb.

Immer wieder surrten seine Finger über die Tasten, meine fummelten fröhlich vor sich hin und gemeinsam stöhnten wir uns zum großen Finale.

Wirklich mal ein sehr eindringliches Musikerlebnis, möchte ich meinen.

Nach dieser privaten Übungsstunde verbrachten wir immer häufiger die Zeit so miteinander und ohne es wirklich zu merken, steckte ich irgendwann mitten in einer festen Beziehung.
 

Es fiel mir das erste Mal wirklich auf, als mir ein knackiger Cellist eindeutige Avancen machte und ich höflich, aber bestimmt ablehnte. Danach ging ich zu Leo und erkundigte mich mal genauer nach unserem Beziehungsstand, und dann tat er es das erste Mal:

Er zog eine Schmolllippe, die ihres Gleichen suchte und setzte sich beleidigt auf seinen Klavierhocker. Zu den energischen Klängen der Mondscheinsonate, durfte ich dann reumütig zu Kreuze kriechen, weil ich ja ein ignoranter Esel war und nicht geschnallt hatte, dass ich schon längst zu seinem Eigentum gehörte.

Demzufolge war ich nun hochamtlich vergeben.

Als Leo merkte, dass ich das begriffen hatte, begann er “Für Elise“ anzustimmen, ich packte meinen Taktstock aus und wir besiegelten unser Bündnis auf künstlerische Art und Weise.
 

Kurz darauf war ich damit beschäftigt Unmengen von Kisten und Gepäck in das kleine Haus am Strand zu schleifen, während er für sich feststellte, mir die körperliche Arbeit gern zu überlassen. Den Karton, der von ihm so liebevoll in die Ecke getreten wurde, schleppte ich dann, unter seiner Interpretation von “Ode an die Freude“, in den ersten Stock. Das Klavier, war nämlich das erste gewesen, was in die neuen vier Wände gebracht wurde, und so ließ er es sich nicht nehmen, mir auch sofort etwas zum Besten zu geben.

Manchmal hatte er wirklich einen ekelhaften Hang zu wortlosem Sarkasmus.

Und das war nicht das einzig Schreckliche an ihm. Er war eine manipulative Diva, herrisch, selbstgefällig, egozentrisch, manchmal fast unnahbar in seiner Art. Mehr als einmal war ich kurz vorm Verzweifeln und fragte mich wieso ich mich auf ihn eingelassen hatte und dann gab es wieder diese Momente in denen mir bewusst wurde, was für eine faszinierende Persönlichkeit er war.
 

Die härtesten Anforderungen stellte er immer noch an sich selbst, erlaubte sich keine vermeidbaren Schnitzer. Er war ehrgeizig und strebsam, und wenn er am Klavier saß, die Augen schloss und anfing zu Spielen, trat ein Stück seiner Seele ins Freie, erhellte den Raum und wenn man sich darauf einließ, brachte er einen für einen Augenblick in eine andere Welt.

Wenn es mir nicht gut ging, legte er Chopins Nocturne Op.9 No.2 in den CD-Player und setzte sich mit mir auf die Couch. Dann bettete ich meinen Kopf in seinem Schoß und er kraulte mir durch die Haare. Er konnte das stundenlang mit einer Engelsgeduld und ich fühlte mich einfach nur geborgen. Wir gingen oft am Strand spazieren, genossen die einträchtige Stille und ließen die Künstlerseele baumeln. Zwar traten wir immer noch auf, aber konnten auch mit einer geringeren Anzahl an Vorstellungen, sehr gut leben.

Leo ließ es sich dennoch nicht nehmen, jeden Morgen zu einer mehr als unchristlichen Zeit aufzustehen, um eine Runde schwimmen zu gehen. Er meinte das wäre ein guter Ausgleich für seinen Körper, um in Form zu bleiben. Ich blieb lieber liegen, rollte mich in die warme Decke und wartete bis er zurückkam, sich nach einer Dusche noch einmal zu mir legte und an mich kuschelte.

Ich hatte mein persönliches Paradies gefunden.
 

Doch dann kam der Tag, an dem ich wieder aus Eden vertrieben wurde, ganz ohne Schlange und vorsätzlichem Sündenfall.

Es war ein grauer Herbstmorgen, kein Regen, aber trotzdem ungemütlich. Ich öffnete kurz die Augen, als Leo wie immer zum Schwimmen ging und schüttelte, angesichts des trüben Wetters, nur den Kopf. Mich hätte nichts und niemand da raus gebracht, aber es wäre vergebens gewesen meinen kleinen Sturkopf zurück zu halten.

Irgendwann wachte ich dann auf, es war schon kurz vor Mittag, doch ich lag allein im Bett. Schläfrig tapste ich durchs Haus, nirgends eine Spur von Leo und keine Antwort auf meine Rufe. Ich zog mich an und lief nach draußen, rannte am Strand entlang und rief immer wieder seinen Namen. Aus der Ferne sah ich plötzlich etwas Dunkles im Sand liegen und hastete los. Es war Leos Handtuch, das unbenutzt an Land lag.
 

Eine Woche lang suchte man nach ihm, doch er blieb verschwunden. Mir wurde mitgeteilt, dass es wohl leider keine Hoffnung mehr gab Leo zu finden. Das Meer hatte ihn einfach verschluckt und bis heute habe ich keine Ahnung, was genau an diesem Tag passiert sein mag.

Leo war ein sehr guter Schwimmer, aber der Gedanke, dass er vielleicht hilflos im Wasser trieb, während ich geschlafen habe…

Vielleicht hatte er nach mir gerufen und ich habe es nicht gehört.

Vielleicht hätte ich ihn retten können.

Vielleicht könnten wir heute noch glücklich sein.

Oder ich hätte mich wenigstens von ihm verabschieden können.

So blieb mir nur die Erinnerung an Leo und das kleine Haus am Strand, in dem ich nun seit über zehn Jahren alleine lebe.

Viele meiner Bekannten meinten ich solle es doch verkaufen.

Wegziehen, neu anfangen, vergessen…

Aber das will ich doch überhaupt nicht.

Wieso sollte ich ihn vergessen wollen? Oder ihn loslassen?
 

Es ist das Leben, das uns fasziniert und uns gleichzeitig fassungslos zurücklässt, wenn es, ohne uns zu fragen, seinen Lauf nimmt. Dem ungeachtet lebt auch die Vergangenheit durch unsere Erinnerungen mit uns fort. Sie ist ein Teil von uns, der nicht mit ein paar Umzugskisten ausgelöscht werden kann.

Außerdem liegt es mir fern, die schönste Zeit meines Lebens unter einem Schmerz zu begraben, der nie so schlimm sein könnte, als dass er mich zur Aufgabe bringen würde.

Und wenn ich die Augen schließe, sehe ich Leo vor mir und höre wieder das wohl vertraute Geräusch seiner schmalen Finger, wie sie hingebungsvoll über die Klaviertasten gleiten.



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Kommentare zu diesem Kapitel (9)

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Von:  PrismCat
2013-03-31T21:57:12+00:00 31.03.2013 23:57
Gefällt mir sehr. Du hast ein gutes Gespür für Sprache, Wortgruppen und Stimmung. Die Beobachtungen der Charaktere sind sehr gut, leo scheitn eine Art Narzisst zu sein (Mentale Disfunktion. Sie ist sehr gut beschrieben in Deiner Geschichte).Und ich mag das Ende. Wunderschön!!!
Antwort von:  kanashimi
02.04.2013 14:31
Auch dir danke für den netten Kommentar und natürlich das Lob.
Lob ist eine gute Erfindung ^.~
Ich weiß leider auch nicht ob Leo Narzisst, Soziophob oder einfach nur schwierig war. Man soll ja nur Gutes über Verblichene sagen.

Und für den nächsten Gedankensprung entschuldige ich mich schon mal ganz gewaltig, aber mir viel leider gerade ein "passendes"? Zitat dazu ein:

Eines Tages schwimmt die Wahrheit doch nach oben.
Als Wasserleiche.
-Wieslaw Brudzinski-

Jetzt habe ich jegliche Melancholie eigenhändig durch die Toilette getippt. v_v"

Ich hoffe es kam trotzdem zum Ausdruck, dass ich mich über den Kommentar gefreut habe.
mfg kana chan^^

Antwort von:  PrismCat
03.04.2013 23:26
Hast Du nicht,. ;) das Zitat fand ich sehr passend, da es ja sich auch wieder um Wasser dreht. Allegmein spiegelt dieses Element die Stimmung gut wieder. Ich fands beim ersten Lesen so krass, dass nicht nur ich Piano mit Wasser verbinde (kannst ja mal bei meinem doujinshi reingucken; ganz am Ende - beim Lesen hatte ich genau dieses Bild im Kopf).
Was Leo anbelangt, tendiere ich zu Narzist, obwohl die anderen Typen auch passen würden. Soziophobie ist ja auch ein wenig im Narzisten drin, er sieht ja nur sich selber. ;)
Wie gesagt, schöne Satzkonstruktionen und Wortgruppen (ich bin angehende Linguistin). Schöne Erzählkunst bei Dir!!! Ich wollte gar nicht mehr aufhören zu lesen.
Von:  Suvi
2013-03-30T21:49:22+00:00 30.03.2013 22:49
T.T das ist so schööön.... Ich könnte heulen-.-
Du schreibst so gut und nachvollziehbar, das ist echt unglaublich. Spielst du auch ein Instrument? Das geniale ist nämlich, dass sich Klavierspielen für mich genauso anfühlt, wie du es hier beschrieben hast. Das macht das ganze noch glaubwürdiger.
Mach weiter so^^
Antwort von:  kanashimi
02.04.2013 14:19
Jetzt bin ich baff.
Solltest du Klavier spielen, wovon ich durch deinen Kommentar ausgehe, dann freue ich mich jetzt schnitzelig!
Ich finde Musik ist eine der besten Möglichkeiten um Gefühle auszudrücken, aber ich kann nicht mal Blockflöte <_<"
Darum schreibe ich (habe geschrieben)
Es ist schöner fürs Schreiben gelobt zu werden, als höflich gebeten das Singen zu lassen XD

MfG kana chan^^
Von: abgemeldet
2013-03-30T18:37:52+00:00 30.03.2013 19:37
So, ich hab mir die Story vor ein paar Tagen durchgelesen und.. agh..
Zwar war mir eigentlich durch denn Anfang schon irgendwie bewusst, dass das nicht gut enden wird, aber ich hab weitergelesen, weil mir einfach dein Stil gefallen hat und hey, wer hört denn schon einfach so mit dem lesen auf? (ich zumindest nicht lol)
Und dann kam eben das Ende und es war so schliiimm.. und traurig..
Wahrscheinlich eben dadurch blieb/bleibt es mir auch im Kopf~

Was ich damit sagen will, ich mag deinen Stil total und es hat mich gefesselt und.. yay
(Man bin ich schlecht in Kommentare geben)

Es ist toll, ich liebe es qwq (obwohl es mich fast zum weinen gebracht hat orz)

Antwort von:  kanashimi
02.04.2013 14:13
Auch dir merci
für den Kommi.
Ich ich les auch oft einfach weiter
und dann war es das mit heiter.
Ich hoffe es bleibt nicht nur das traurige zurück,
denn durch die Tragik erkennen wir doch erst das Glück.
Leben
eben.

mfg kana chan^^
Von:  MoonFlower
2013-03-18T18:02:02+00:00 18.03.2013 19:02
Wirklich eine sehr schöne, aber auch sehr traurige Geschichte.
Ich fand vorallem schön, dass du aus keinem von Beiden einen "perfekten Mensch" gemacht hast, sondern auch die Macken und Eigenheiten herausgearbeitet hast, das gibt den Charaktern an sich mehr Tiefe und Lebendigkeit.

LG MoonFlower
Antwort von:  kanashimi
02.04.2013 14:07
Ich hab keine Ahnung, ob ihr Kommentarschreiber die Anworten des Schreiberlings überhaupt lest, aber ich antworte einfach mal frei ins Blaue:
Vielen lieben Dank für den angenehmen Kommentar. Die Geschichte ist zwar schon älter, aber ich freue mich immer, wenn sie noch gelesen und sogar nett kommentiert werden. Merci ^^
Von:  CookieKiller
2008-10-15T15:58:29+00:00 15.10.2008 17:58
Erst 3 Kommis? *seufzt* Banausen.
Die Geschichte ist auch wieder sehr berührend und so wunderschön tragisch, hat mich vom ersten bis zum letzten Satz gefesselt. Besonders schön fand ich auch wieder den letzten Absatz.
Und im Hinterkopf war immer dieser Gedanke "oh nein, nur noch 2 Seiten... nur noch 1 Seite.. was ihm wohl passieren wird". Und dann stand es auch schon da -.-
Leos Ende kam unerwartet... einfach ein dummer Unfall, etwas das jedem passieren kann. Das macht es irgendwo noch umso trauriger. Nichts wo es Chancen gibt es aufzuhalten. Plötzlich steht man vor vollendeten Tatsachen ohne zu wissen was überhaupt los ist. Deine Wortwahl hat mich öfters von einer auf die andere Sekunde auflachen lassen, so kenn ich dich *schmunzel*
Ayssa hat mit dem Video tolle Arbeit geleistet.. ich würde es ihr ja sagen aber hey.. ich traue mich ja nicht, mit fremden zu reden lol
Die Fanfic wandet in meine Favos und das Video auch, ich werde mir wohl beides noch einige Male reinziehen.
Von:  Nyn
2008-10-07T19:33:27+00:00 07.10.2008 21:33
Es ist seltsam, einmal keine FF von Dir zu lesen, seltsam und sehr interessant. Ich glaube, ich habe noch nie etwas einfühlsameres von Dir gelesen und das Schöne ist, es bist immer noch Du. Da sind gewissen Formulierungen, die sagen ganz klar 'kanashimi'.
Vielleicht hat haffgirl Recht und das wirkt auf jemanden, der Dich nicht so gut kennt, störend; für mich war's das i-Tüpfelchen.

Das war rührend und traurig und ehrlich. Ich mag's wenn der Liebende auch die Fehler des anderen ganz deutlich sieht. Und dann freundet man sich als Leser langsam mit diesem Sklaventreiber an und dann ist er einfach weg.

Auch wenn's mich betroffen hinterläßt: Ich würde derlei gerne mehr von Dir lesen :)

Liebe Grüße

Nyn
Von: abgemeldet
2008-09-28T23:36:37+00:00 29.09.2008 01:36
WOW
Das trifft es wohl ganz gut. Dein Stil ist sehr einheitlich und der Aufbau gut durchdacht. Die Geschichte ist sehr gefühlvoll und zum Ende trotzdem nicht schnulzig. Die Beschreibung der sexuellen Eskapaden bilden einen starken Kontrast, doch ich finde, dass sie die Geschichte nicht unterbrechen. Eher sorgt die raue Art für den Schwung und den Weitergang der Geschichte. Manchmal denkt man, jetzt reicht´s aber bald und als ob du es wüsstest, gehst du meistens früh genug weiter. Ich glaube aber, dass eine weniger offensive Sprache bei den sexuellen Stellen, die Geschichte runder machen würde, aber das bist halt du.
LG
Haffgirl
Von: abgemeldet
2008-09-28T09:46:57+00:00 28.09.2008 11:46
>Danke für deinen Sprung in der Schüssel. Er fasziniert mich immer wieder ^x^

Dazu läßt sich nur folgendes sagen: "Dito, Honey!"

Dennoch sitz ich nun leicht in der Bredouille, um den gehobenen Standard dieses Werkes zu halten. Du hast mich am Telefon, während des Lesens entzückt meine Freude zum Ausdruck bringen hören. Hast meine ausführliche Meinung schriftlich zugesandt bekommen und mich inspiriert der Dekadenz zu fröhnen und einen visuellen Kommentar hierzu zu verfassen. Daraus erschließt sich folgendes Problem für mich und meinen jetzigen Kommentar: Was bleibt also zu sagen?

Um es auf den Punkt zu bringen: Ich weiß nichts weiter anzuführen, als dass ich immernoch vollkommen entzückt von diesem Werk bin.
Ich danke also vielmals für die Widmung und entschuldige meinen geistlosen Kommentar zu diesem Stück.

In diesem Sinne hör ich nun auf mich verbal zu erniedrigen, lasse das Video und die Story für sich sprechen und werde in freudiger Erwartung auf zukünftige Werke nun deine Nerven weiter am Telefon strapazieren (verzeih die Schweigeminute) und dich gern immer wieder aufs neue mit meinen geistigen Ausfällen faszinieren, sowie du auch meine Faszination stets mit deinem Wesen erhellst. XD

Love ya, Honey


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