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Hoffnung zu Asche

Schatten und Licht, Band 2
von

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Erinnerung

Wann immer Hitomi und Van in trauter Zweisamkeit zusammen waren, sprudelte die Freude über das gemeinsame Glück förmlich aus ihnen heraus und überflutete die ganze Herrschervilla in Farnelia. Selig sind die, die nur ihre eigenen Gedanken kennen, dachte Merle säuerlich, denn sie müssen nicht ertragen, was ich gerade wahrnehme.

Da ihr selbst ernannter Bruder und ihre beste Freundin nicht oft gemeinsam allein waren, hatte Merle ihnen dieses Vergnügen bisher gegönnt, doch nun war sie definitiv in der Stimmung das Paar zu stören. Ganz nebenbei war es kurz vor Sonnenaufgang, was bedeutete, dass die Katzenpranke mitsamt der Gefangen und Hitomi in wenigen Stunden nach Pallas, der Hauptstadt von Astoria, aufbrechen sollte. Allen sollte in seinem Guymelef dem Schiff als Eskorte dienen und würde wohl nicht mehr sobald nach Farnelia zurückkehren, was der Grund für ihre Missstimmung war. Merle selbst hatte alle Brücken abgebrochen, doch dieser Schritt nagte auch nach ein fast schlaflosen Nacht noch immer an ihr.

Für diesen Tag hatte sie die alte Uniform aus ihrer Zeit in der königlichen Leibwache ausgewählt. Der schwarze Ganzkörperanzug war genau die richtige Kleidung um sich allen Männern zu präsentieren, ihre Blicke einzufangen und ihnen gleichzeitig von Vornherein eine Absage zu erteilen. Ihr Gang war der Kleidung entsprechend aufreizend. Mit eleganten, energischen Schritten ging sie auf Vans Gemächer zu.

Er und Hitomi verbrachten die Nächte innerhalb der Kuppel über seinem Arbeitszimmer, deren Wand eine Imitation des nächtlichen Himmels über Gaia schmückte. Zweifellos der beste Ort um zu verdrängen, wo man eigentlich war. Anders konnte sich Merle nicht erklären, wie die beiden angesichts des anstehenden Abschieds sorglos und...freizügig miteinander umgehen konnten. Doch sie würde die beiden schon noch an ihre Pflichten erinnern. Ohne anzuklopfen betrat Merle Vans Arbeitszimmer, das einen imposanten Blick auf die erwachende Stadt ermöglichte.

„Van! Hitomi! Seid ihr wach?“, rief sie in die Räumlichkeiten hinein, obwohl sie die Antwort längst wusste. Sofort wandelten sich die Gedanken der beiden von einem genüsslichen Plätschern in ein unruhiges Pulsieren. Merle Ohren vernahmen geflüsterte Fluche und das Rascheln von Kleidung. Als wüsste sie nicht, was oberhalb der Wendeltreppe geschah, ging sie bedächtig durch das Zimmer auf den Aufgang zu. „Ich komme nach oben.“

Bevor sie ihre unschuldig geäußerte Drohung wahr machen konnte, erschien Hitomi, bekleidet mit einem Nachthemd, oberhalb der Treppe. Sie trippelte eilig wenige Stufen hinunter und beugte sich unter die Decke. Mit einen aufgesetzten Lächeln begrüßte sie das Katzenmädchen, das in ihrer Uniform sehr viel älter wirkte, als sie war.

„Guten Morgen, Merle, was machst du jetzt schon hier?“, erkundigte sie sich.

„Ich sorge dafür, dass du in die Puschen kommst. Wir wollen doch beide nicht, dass die Katzenpranke zu spät startet.“, antwortete Merle spitzbübisch.

„Natürlich nicht.“, stimmte Hitomi leicht ironisch zu. Als Merle die ersten Stufen nahm, um zu ihr zu kommen, kam sie dem Mädchen schnell entgegen. Während Merle sich von der Treppe wegführen ließ, spekulierte sie, wie es dort oben aussah. Außerdem zweifelte an dem Sinn von Hitomis Vorsicht. Das Katzenmädchen gestand ein unerfahren zu sein, hielt sich aber keinesfalls für unwissend. Mit dem Willen diese Groteske auf die Spitze zu treiben, brachte sie ihrer Freundin Widerstand entgehen.

„Warum gehst du dann zum Schreibtisch?“, fragte sie neugierig. „Wir müssen nach oben. Ich helfe dir beim Ankleiden“

„Lass uns warten, bis Van sich angezogen hat. Ein König hat stets den Vortritt.“, widersprach Hitomi.

„Unsinn, ich hab schon alles von ihm gesehen, wahrscheinlich mehr als du.“, konterte Merle und stürmte auf die Treppe zu. Hitomi stellte sich ihr den Weg.

„Ich brauch deine Hilfe nicht. Du wartest hier, während ich mich fertig mache. Ich schick ihn herunter, damit er dir Gesellschaft leistet.“, schlug Hitomi versöhnlich vor, doch Merle ließ sie nicht vom Haken.

„Quatsch, wenn ich dich allein nach oben gehen lasse und er ist noch dort, knutscht ihr beiden nur wieder ewig und du kommst zu spät.“

Während Hitomi verlegen lachte, schob sich Merle an ihr vorbei und ließ sich diesen Mal nicht aufhalten. Als sie oben ankam, zog Van gerade die Bettdecke glatt und setzte sich darauf. Bekleidet war er, wie es seine Schwester erwartet hatte, mit einem einfachen Hemd und einer Hose.

„Guten Morgen, Merle. Was gibt es?“, begrüßte er sie.

Etwas zu scheinheilig, wie Merle fand. Das Zimmer sah zur ihrer Enttäuschung vollkommen normal aus, weswegen Hitomi wohl gerade so erleichtert aufatmete. Die Prinzessin wunderte sich schon über den ganzen Aufstand, doch dann fielen ihr ein paar kleine Ausbuchtungen auf dem Bett auf. Eiskalt schlug sie weiche Decke vom Fußende aus zurück und enthüllte mehrere Häufchen an Kleidung, die verdächtig nach den Sachen aussahen, die Van und Hitomi am Vorabend getragen hatten. Plötzlich war sie todernst.

„Hitomi hat behauptet, du würdest mich als eine Erwachsene ansehen, Van.“, begann sie ihre Standpauke. „Leider muss ich feststellen, dass nicht nur sie sondern auch du mich für ein kleines Kind hältst. Angesichts dessen, was ich alles bisher getan habe, kann ich es kaum glauben.“

Ihr Vorwurf war kurz, aber scharf. Hitomi konnte diesen so nicht stehen lassen.

„Wie kommst du darauf, Merle? Nur weil wir Teile unserer Beziehung für uns behalten wollen...“

„Ihr verheimlicht mir etwas.“, begründete Merle ihre Anklage. „Jedenfalls hat das die Wächterin in Allens Schwert das behauptet. Etwas, dass mit mir zu tun hat.“ Hitomi wandte ihren Blick ab, Vans Schultern sackte merklich ab. „Ihr wisst, wovon ich spreche.“

„Ich weiß es doch auch erst seit wenigen Wochen.“, verteidigte sich Hitomi. „Und mir ist nicht einmal klar, was ich weiß.“

„Das musst du mir erklären.“

Besorgt führte Hitomi Merle zum Bett und beide setzten sich auf die weiche Kante. Van, der schon zuvor auf der anderen Seite Platz genommen hatte, spitzte die Ohren, gesellte sich aber nicht zu ihnen.

„Als du mir deine Erinnerungen gezeigt hast, ist mir etwas beunruhigendes aufgefallen. Dazu musst du wissen, dass ich die gesamten Erinnerungen eines Menschen als eine Art Stofftuch visualisiere, dessen Länge für die Zeit steht, die die Ereignisse zurückliegen. Ein einzelner Faden stellt dabei eine Erinnerung dar. Je ein Zeitpunkt zurück liegt, desto ausgefranster ist dieses Tuch, da die Erinnerungen schlechter werden. Spätestens in den ersten Lebensjahren ist kein Faden mehr übrig. Deine Erinnerungen sehen jedoch anders aus.“

„Wie?“, fragte Merle nach.

„Als hätte jemand sie abgeschnitten. Auch dein Tuch ist in einem schlechteren Zustand, je weiter die Zeit reicht, aber die letzten Fäden hören alle an einem Punkt auf. Und ich kann die Erinnerungen dieser Fäden nicht einsehen.“, erklärte Hitomi.

„Jemand hat sich an meinem Gedächtnis zu schaffen gemacht?“

„Das kann ich nur vermuten, einen Beleg hab ich nicht. Wenn, dann ist es in deiner frühen Kindheit passiert.“

„Könnte es damit zu tun haben, dass ich eine Waise bin?“, hakte Merle aufgekratzt nach.

„Ich hab keine Ahnung. Bei all deinen Erinnerungen, die ich sehen konnte, warst du bereits in der Obhut der Königsfamilie.“

„Die Antwort, warum ich ohne Eltern aufgewachsen bin, könnte noch in mir drin sein, aber ich komm nicht ran?“

„Wenn du deine Eltern bei einem traumatischen Ereignis verloren hast, ist die Chance groß, dass die Erinnerung geblieben ist.“, meinte Hitomi. „Aber ich kann auch nur spekulieren.“

„Wie kann ich die Erinnerungen zurückholen?“

„Ich weiß nicht einmal, was die Erinnerungen blockiert.“, versuchte sie es Merle noch einmal verständlich zu machen. Dann aber zuckten ihre Augen kurz in Vans Richtung.

„Was ist?“, hakte Merle nach.

„Es könnte eine Möglichkeit geben.“, erwiderte Hitomi bedächtig. „Es gibt keine Skala, an der ich sehen kann, wie weit eine Erinnerung zurückreicht. Doch sind die Fäden von Antigonos sehr viel länger als deine oder Vans. Wenn das Maß der Länge bei allen Wesen für mich gleich ist, kann ich eure Fäden miteinander vergleichen und eine Erinnerung von Van finden, die kurz vor deinem Gedächtnisverlust stattgefunden hat.“

„Du weißt es aber nicht mit Sicherheit.“, stellte das Katzenmädchen fest.

„Nein, ich hatte bisher keine Gelegenheit, es nachzuprüfen, da ich meine Fähigkeit vor dem Drachenvolk geheim gehalten habe. Nur Antigonos weiß davon.“

„Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass Van eine solche Erinnerung hat?“

„Er hat sie garantiert.“, versicherte Hitomi. „In den Flügeln eines Nachfahren dieses Volkes stecken seine gesamten Erinnerungen mitsamt den Erinnerungen seiner Vorfahren bis zu dem Augenblick, in dem das erste Paar Flügel der Ahnenreihe entstand.“

„Und du hast Zugriff darauf?“, staunte Merle.

„Ja. Ich muss nur ein Feder aus dem Flügel berühren.“

„Warum hast du ihnen nichts erzählt? Ahnst du, welchen Wert...“

„Ich weiß, welche Gefahr meine Fähigkeit darstellt.“, unterbrach Hitomi ungeduldig. „Sie hätten mich kaum am Leben gelassen, hätten sie davon gewusst. Und im Übrigen erkenne ich keinen Sinn darin, dass du mich weiter ausfragst. Wie du schon sagtest, ich hab nicht viel Zeit.“

„Vielleicht möchte ich sicher gehen, dass es auch funktioniert, bevor ich dich ein weiteres Mal in meinen Kopf lasse.“, antworte Merle pikiert.

„Es gibt nur einen Weg das raus zu finden.“, seufzte Hitomi und rutschte in die Mitte des Bettes. „Legt euch nebeneinander und entspannt euch.“

Van und Merle gehorchten zögerlich. Sobald Hitomi anhand der Gesichter sicher war, dass man ihr keinen Widerstand entgegen bringen würde, berührte sie mit ihren Handflächen die Köpfe der beiden. Wortlos bat sie Van um eine Feder, woraufhin er schelmisch lächelte. Überrascht spürte Hitomi das sanfte Kitzeln in ihrem Genick. Sie sandte einen stummen Dank für den aufheiternden Scherz. Wie sie es angekündigt hatte, verglich sie die Erinnerungen der Geschwister und das perfekte Tuch der Feder miteinander und wählte dementsprechend einen Augenblick aus, der direkt vor Merles Gedächtnisverlust lag. Nachdem sie Bilder aus der Vergangenheit gesehen hatte, runzelte sie die Stirn, befand den Inhalt jedoch für unbedenklich und zeigte ihn den beiden.

Die Leere wurde zu Farben. Zu dritt schwebten sie geborgen in einer grünen Aura in einem hohen Raum mit einer riesigen Wandmalerei und mit bunt geschmückten Kreisen auf den Boden, deren Lamellen Hitomi an die Turbine eines Flugzeugs erinnerten. Umrahmt wurde das Innere von einem niedrigeren Gang, der durch schmale Säulen vom Hauptraum abgetrennt war. Der Eingang war ein großes, mit Ornamenten gekröntes Holztor, das mit Eisenleisten verstärkt worden war. An der Decke schwebte ein Ei förmiger Fels, in dem locker ein Kleinbus Platz hatte.

„Der Tempel?!“, wunderte sich Merle.

Das Tor öffnete sich einen Kopf breit und ein kleines Kind mit wildem, schwarzen Haar lugte hindurch. Ehe sich Merle fragen konnte, wie der junge Van allein das massive Holz bewegen konnte, erschien über ihn ein weiteres Gesicht, das sich ebenso vorsichtig umsah. Van lächelte, als er seinen älteren Bruder wiedererkannte, dessen silbergraues Haar ein totaler Kontrast zu seinem eigene war. Zweifellos war Folkens Haarfarbe ein Zeugnis seiner Abstammung vom Volk des Drachengottes.

„Ich halte Wache.“, sagte Folken verdächtig leise. „Mach schnell!“

Das Kind sah zu ihm auf und nickte. Eifrig zwängte er sich in den Tempel und zog dabei ein kleines Katzenmädchen hinter sich her. Sowohl Van als auch Merle mussten schmunzeln. Hitomi machte indes keinen Hehl daraus, dass sie die Szene genoss. Der Junge führte das Mädchen in die Mitte des Raumes und zeigte aufgeregt auf den Stein an der Decke.

„Siehst du, Merle? Da drin ist Escaflowne!“, schrillte seine Stimme durch das heilige Gemäuer.

„Prinz Van, man hat uns doch verboten, hier zu sein.“, erwiderte das Mädchen flehend. „Was, wenn man uns sieht?“

„Nun mach dir nicht die Hosen!“, nörgelte Van, woraufhin das Mädchen ihn missbilligend ansah. „Du wolltest den Stein doch sehen. Geglaubt hast du mir jedenfalls nicht.“

„Jetzt tu ich es! Können wir gehen?“

Wie zur Bestätigung ihrer Befürchtungen fiel das Tor zu. Vor lauter Schreck schmiegte sich die kleine Merle an ihren Prinzen.

„Bruder, spinnst du?“, rief Van ein wenig ängstlich. „Mach auf! Das ist nicht witzig!“

Das Katzenmädchen presste sich stärker an seinen Rücken, eine Hand packte seine Stirn, die andere sein Kinn. Ehe er auf die Klette reagieren konnte, flog das Tor krachend auf und seine Mutter stand mit ernstem Blick zwischen den Pfosten. Die Augen des Mädchens weiteten sich, woraufhin sie ohnmächtig zu Boden fiel.

„Merle!“, schrie Van panisch auf, doch ehe er sich zu ihr runter beugen konnte, war sein Bruder an seine Seite und hielt ihn fest. Seine Mutter indes nahm Merle in ihre Arme und trug sie raus. „Nein! Mama! Es ist meine Schuld! Bitte, schmeiß sie nicht raus!“

Hitomi entschied sich an dieser Stelle abzubrechen und versetzte sich selbst mitsamt ihrer Gefährten in einen mit Holz und Stein ausgekleideten Flur des alten Palastes. Dort kniete Varie vor ihrem Sohn und redete leise auf ihn ein. Trotz der reichen Verzierungen trat ihr Kleid in keiner Weise in Konkurrenz mit ihrem langen, schwarzen Haar.

„Ihr ging es nicht gut, Van! Ich musste sie möglichst schnell wegbringen.“, erklärte sie ihm.

„Aber es geht ihr doch besser, oder?“, fragte der Junge ängstlich.

„Ja, es geht ihr wieder gut.“, beruhigte seine Mutter ihn. „Aber ich fürchte sie wird sich an vieles nicht mehr erinnern. Sie weiß nicht mehr, wer du bist.“

„Was? Sie hat mich vergessen? Nach allem was wir erlebt haben!“

„Es ist nicht ihre Schuld. Bitte sieh es ihr nach und freunde dich noch mal mit ihr an!“, erklärte sie eindringlich. „Sie wird deine Hilfe brauchen, wenn sie sich wieder hier einleben soll. Kann ich auf dich zählen?“

Van nickte eifrig.

„Natürlich, Mama!“

„Das ist mein Sohn!“, lächelte Varie. „Ich bring dich jetzt zu ihr.“

Die Szene löste sich auf und Hitomi, Merle und Van fanden sich auf dem Bett wieder. Das Katzenmädchen setzte sich auf und zog verstört ihre Knie an sich heran. Mit Sorge betrachteten Hitomi und Van ihr vor Wut verzehrtes Gesicht.

„Dieses Mädchen!“, zischte Merle aufgebracht. „Dieses Mädchen hatte die Antworten, die ich heute suche. Und sie wurden ihr genommen! Einfach so!“ Ohne ihrer Freundin und ihren Bruder eines Blickes zu würdigen verließ sie stürmisch das Zimmer. Hitomi atmete langsam aus und grübelte.

„Warum hat deine Mutter das gemacht?“, fragte sie ohne den geringsten Vorwurf.

„Keine Ahnung.“, meinte Van. „Aber ich hoffe, es wird wieder Zeiten geben, in denen Merle mich wieder so innig umarmt wie im Tempel.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  fahnm
2009-04-29T01:26:06+00:00 29.04.2009 03:26
Mal sehen was dabei rauskommen wird.
Freue mich schon auf das nächte kapi.

mfg
fahnm


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