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Innocent Passion

von

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Chapter 02

~*~*~*~*~*
 

Am nächsten Tag erwachte Omi erst um ein Uhr mittags. Er streckte sich und gähnte herzhaft, bevor er aufstand.
 

Er warf einen Blick in den Spiegel und befand, dass er duschen gehen sollte. Seine Haare waren total zerzaust und klebten. Er fühlte sich ziemlich schmutzig und schnappte sich sein Handtuch.
 

Omi ging ins Bad und verschloss die Tür sorgfältig, bevor er den Verband von seinem Arm abwickelte.
 

Er riss erstaunt die Augen auf, denn die Wunde war nicht mehr zu sehen.
 

Wie war das denn möglich? Aber eigentlich egal, um so besser, er konnte ja Nagi fragen.
 

Der Blondschopf ließ sich Zeit beim duschen. Als er fertig war, trocknete er sich ab und föhnte seine Haare trocken. Dann putzte er seine Zähne, zog seine bequemsten Klamotten an und verließ das Bad. Er schloss die Tür hinter sich und wandte sich um, als er plötzlich mit jemandem kollidierte.
 

Omi prallte an dem harten Körper ab und wäre mit voller Wucht auf den Boden geknallt, wenn Ken ihn nicht aufgefangen hätte.
 

Omi verhielt sich in einer Sekunde des Schrecks ganz still, dann drückte er fast panisch gegen Ken.
 

„Lass mich runter! Bitte lass mich los!“
 

Ken setzte ihn hastig auf dem Boden ab und wich einen Schritt zurück.
 

„Es tut mir Leid, ich habe dich nicht gesehen!“
 

Omi stand auf und sah Ken ins Gesicht, er war rot angelaufen. Ihm tat seine heftige Reaktion sofort ein bisschen leid.
 

„Die anderen haben mir erzählt, dass du alles nach Schuldigs Treffer vergessen hast. Stimmt das wirklich?“
 

Omi nickte stumm. Er drehte sich um und wollte in sein Zimmer zurückgehen, doch Ken hielt ihn am Handgelenk fest.
 

Omi fuhr herum und starrte Ken ängstlich an.
 

Der ließ seinen Arm sofort wieder los, als hätte er sich verbrannt.
 

„Du sagtest, wir könnten heute reden...“
 

„Du weißt doch jetzt alles, oder? Was willst du denn noch reden?“
 

Ken sah zur Seite.
 

„Das weißt du genau…“
 

Omi machte einen Schritt rückwärts, drehte sich dann blitzschnell um, rannte in sein Zimmer zurück und schlug die Tür hinter sich zu. Er sank daran hinab und legte den Kopf auf seine Knie.
 

Er war Ken gegenüber unfair gewesen, das wusste er. Er hasste es, ihm weh zu tun, aber was sollte er denn tun? Er erwiderte Kens Gefühle nicht!
 

…hoffentlich würde Ken jemand anderen finden, das wäre für sie beide besser.
 

Er wartete noch fünf Minuten, bis er sich sicher sein konnte, dass Ken gegangen war, und ging dann in die Küche. Er machte sich einen Kakao und setzte sich mit einem Brötchen an den Tisch.
 

Schnell hatte er sein Frühstück hinunter geschlungen und räumte sein Geschirr in die Spülmaschine. Dann ging er in den Laden hinunter.
 

Aya und Youji machten gerade eine Kaffeepause. Als die Tür aufging sahen sie auf.
 

„Ohayo Aya, ohayo Youji.“
 

Youji lächelte ihn an.
 

„Ohayo Omi. Ausgeschlafen? Wie geht es deiner Wunde?“
 

Omi zögerte kurz, rollte dann jedoch sein weites Hemd an dem Arm hoch, wo die Wunde gewesen war.
 

Youji keuchte und Aya sprang auf.
 

„Was soll das denn? Wo ist die Wunde?!“ Er packte Omi fest am Arm.
 

„Du tust mir weh, Aya! Lass los!“
 

Omi versuchte seinen Arm aus Ayas Griff zu befreien, doch dieser hielt ihn eisern fest.
 

„Was ist gestern passiert?! Ich bin sicher, du weißt etwas!!“
 

Omis Herz machte einen Satz und schlug dann in doppelter Geschwindigkeit weiter.
 

Er schüttelte verzweifelt den Kopf.
 

Youji stellte sich hinter Aya und legte ihm eine Hand auf die Schulter.
 

„Lass das, Aya. Wenn er sagt, dass er es nicht weiß, ist es auch so. Oder hast du Omi jemals lügen hören? Also, ich vertraue ihm.“
 

Ayas Augen wurden nach einem Augenblick, in denen Youjis Worte auf ihn wirkten, ein wenig sanfter und er ließ Omi schließlich los.
 

„Du hast schon Recht. Entschuldige, Omi.“
 

Omi sah zu Boden, dann drehte er sich um und rannte in sein Zimmer zurück.
 

Er ließ sich schluchzend auf sein Bett fallen, krallte sich in seinem Laken fest und ließ seinen Tränen freien Lauf.
 

Das war zu viel für ihn gewesen. Aya glaubte ihm nicht, und Youji vertraute ihm blind. Er log sie alle an, und Omi hatte noch nie in seinem Leben gelogen. Er fühlte sich so schlecht wie noch nie zuvor.
 

Er lag sehr lange dort, bis er den Kopf hob und auf die Uhr sah.
 

Es war bereits halb vier.
 

Omi sprang hastig auf und stürzte ins Bad, um sein Gesicht zu waschen. Dann schnappte er sich seine Jacke und raste dann die Treppe hinunter.
 

Youji saß in der Küche und trank eine Tasse Kaffee.
 

Omi rannte an ihm vorbei.
 

„Ich gehe weg, bin aber abends wieder da! Tschüss!“

Damit fegte er zur Tür raus.
 

Unten im Blumenladen wiederholte er dasselbe noch mal für Aya, dann stürmte er in Richtung Park davon.

Auf halbem Weg dorthin, hörte er Nagi.
 

>Hallo Omi. Ich bin schon im Park und habe einen guten Platz zum Üben gefunden. Kommst du zum See? Am Ufer ist man ein wenig geschützt von den Blicken der Spaziergänger.<
 

/Klar, bin gleich da!/
 

Omi bog gerade um die letzte Ecke und konnte gleich darauf den See sehen, die Mitte des Parks.

Er entdeckte Nagi nicht gleich, doch dann sah er ihn am Ufer liegen. Er hatte die Augen geschlossen und hörte leise Musik aus einem Discman, den er in der Tasche hatte.
 

Die Hände unter dem Kopf verschränkt und die Beine übereinander geschlagen, sah er aus wie ein ganz normaler Junge. Omi bemerkte Nagis zierliche dünne Finger und seinen schmalen schlanken Körper.
 

Er sah auch auf sein Gesicht. Die Gesichtszüge waren sehr fein und klar, das Gesicht selbst wohlgeformt. Alles war gut proportioniert. Die perfekt geschwungenen Augenbrauen waren ziemlich schmal, was ihm ein feminines Aussehen gab. Braune, dichte Haare rundeten das Bild ab. Nagi war richtig hübsch.
 

„Findest du?“
 

Omi schrak heftig zusammen, er hatte Nagi nicht in seinen Gedanken gespürt. Er lief knallrot an und Nagi lachte.
 

Er nahm die Kopfhörer ab, setzte sich auf und sah zu Omi hoch.
 

„Musst du gerade denken. Hast du noch nie in den Spiegel geschaut? Du bist mindestens so hübsch wie ich, eher noch mehr.“
 

Das konnte Omi gar nicht finden. Ihm wurde zwar oft gesagt, er sei süß, aber hübsch fand er sich gar nicht.
 

Er ließ sich, immer noch rot im Gesicht, neben Nagi fallen.
 

„Ich habe dich gar nicht in meinen Gedanken gespürt. Warst du noch vorsichtiger als gestern?“
 

Nagi schüttelte den Kopf.
 

„Nein, du hast dich nicht darauf konzentriert. Wenn du wachsam gewesen wärst, hättest du es sicher mitbekommen.“
 

Omi nickte beschämt.
 

Er hatte wirklich nicht darauf geachtet, er war damit beschäftigt gewesen, Nagi zu betrachten.
 

Dieser lächelte.
 

„Sollen wir anfangen?“
 

Omi reagierte zuerst gar nicht.
 

„Omi?“
 

Der Angesprochene schaute ihn jetzt an und nickte hastig.
 

“Ist irgendetwas?”
 

Omi schüttelte heftig den Kopf.
 

„Nein!“
 

Nagi sah ihn schief an.
 

„Du kannst nicht lügen…“
 

In Omis Augen trat plötzlich Traurigkeit.
 

„Das habe ich heute schon mal gehört...“
 

Nagi sah ihn fragend an.
 

„Willst du es mir erzählen? Oder kannst du nicht darüber reden?“
 

Omi sah in diese sanften braunen Augen. Es interessierte ihn wirklich, das wusste Omi als er in Nagis Gesicht sah.
 

„Wenn du willst, kannst du es lesen, ich erlaube es dir. Aber nur darüber, versprochen?“

Nagi sah ihn ernst an.
 

„Das ist klar. Du weißt doch, dass ich nur so weit gehe, wie du es erlaubst. Ich verspreche es dir.“
 

Im nächsten Moment spürte Omi Nagi schon in seinen Gedanken.
 

Er ließ ihn alles lesen, über Youjis Vertrauen ihm gegenüber, über Ayas Misstrauen, das ja nicht unbegründet war, über Ken und seine Liebe zu ihm. Auch, dass Ken ihn damals überwältigt hatte und seine panische Angst vor einem zweiten Mal.
 

Dann tat Omi plötzlich etwas, das Nagi niemals gedacht hätte. Er öffnete seine Empfindungen für ihn.
 

Er sah Omi entsetzt an.
 

„Das lässt du zu? Du willst mich wirklich dahin lassen?“
 

Omi nickte schüchtern.
 

„Ich glaube, dass du meine Gefühle verstehen könntest. Einem anderen würde ich das nicht erlauben.“
 

>Hast du dir das wirklich überlegt? Ich bin immer noch dein Feind...< bemerkte Nagi, auf Gedankensprache umschaltend.
 

Omi schüttelte den Kopf.
 

„Ich sehe dich nicht als solchen. Nicht am Tag.“
 

Nagi lächelte warm.
 

>Ich dich auch nicht. Nicht mehr…<
 

Dann betrat er die tiefere Ebene.
 

Omis Empfindungen wirbelten nur so um ihn herum. Er schien völlig durcheinander und hatte das totale Gefühlschaos. Nagi erkannte Trauer, Angst, Zweifel, Reue, Selbsthass. Aber auch Freude und Wärme, die im Moment jedoch nicht besonders stark vorhanden waren. Angst und Trauer waren die überlegenen Gefühle und Nagi erforschte zuerst die Trauer. Er schleuste sich in dieses Gefühl ein und verstand jetzt auch, warum Omi sich so schlecht fühlte. Er hätte nicht gedacht, dass es jemanden geben könnte, der so stark auf andere Menschen achtete und versuchte, es ihnen allen recht zu machen. Deshalb machte es Omi auch so viel aus, die anderen von Weiß zu belügen…
 

Nagi wandte sich von diesem Gefühl ab und beschäftigte sich dann mit der Angst. Als er dieses Gefühl anzapfte, rauschten Tausende von Bildern an ihm vorbei, alles Momentaufnahmen aus Omis Leben. Auf einigen Bildern erkannte er Ken, der... Nagi erschrak, als er erkannte, was Ken Omi auf den Bildern antat. Er hatte es zuerst nicht richtig gesehen, die Bilder wirbelten sehr schnell an ihm vorbei.
 

/Halt, Nagi! Hör auf, nicht weiter! Bitte!/
 

Auf einmal wurde Nagi sich bewusst, was er sich da ansah, und er schreckte zurück. Omi hatte natürlich alles mitbekommen und noch einmal miterlebt.
 

Nagi zog sich langsam zurück, er wollte sich nicht mit einem Ruck lösen, denn das würde Omi vielleicht erschrecken.
 

Als er wieder auf der normalen Gedankenebene war, zog er sich ganz zurück.
 

Omi saß zitternd und weinend vor ihm.
 

Nagi sah es bestürzt, schlang kurzerhand die Arme um ihn und zog ihn an sich. Omi saß jetzt in seinem Schoß und Nagi drückte ihn an seine Brust.
 

„Es tut mir Leid. Ich hätte das nicht öffnen sollen. Ich...“
 

Doch Omi schüttelte den Kopf.
 

„Ich habe dir erlaubt, dort hin zu gehen, das ist es nicht.“ Seine Stimme war tränenerstickt.
 

Nagi drückte ihn noch fester an sich und streichelte sanft seine Schultern.
 

„Was dann?“
 

Omi lehnte sich zögernd an ihn.
 

„Das ich es immer noch nicht überwunden habe.“ ,wisperte er kaum hörbar. „Ich bin schwach... so verdammt schwach. Und ich benehme mich schlimmer als ein kleines Kind. Selbst ein solches würde mit so etwas klarkommen, und ich heule dir jetzt die Ohren voll.“
 

Er wollte sich von Nagi lösen, doch dieser hielt ihn fest.
 

„Erstens: Das macht mir nichts aus und zweitens: Was du da sagst ist Quatsch. Du bist nicht schwach, ganz im Gegenteil. Dass du trotzdem ‚normal’ weiterlebst, mit dieser Erinnerung und demjenigen, der dir das angetan hat, zeigt, wie stark du bist. Und mit so was kommt niemand einfach so klar.“
 

Omi sah jetzt hoch in Nagis Gesicht, in seine schönen braunen Augen.
 

In ihnen lag die pure Ehrlichkeit, er log ihn nicht an. Er meinte jedes einzelne Wort so, wie er es sagte, das wurde Omi jetzt klar.
 

Er lächelte ihn an.
 

„Danke, Nagi.“
 

Nagi lächelte zurück.
 

>Sollen wir jetzt anfangen?<
 

Omi nickte.
 

Es war schon sieben, als sich Omi von Nagi verabschiedete.
 

Er winkte ihm noch einmal zu und lief dann schnell nach Hause.
 

Omi hatte es tatsächlich geschafft, ein paar Gedanken von Nagi zu lesen. Auch hatte er ihm antworten können, als Nagi mit ihm in Omis Kopf gesprochen hatte. Sie hatten sich gegenseitig versprochen, ihre Fähigkeiten niemals gegen den jeweils anderen zu richten, und Omi war froh darüber. Außerdem hatte er Nagi versprechen müssen, seine Kräfte so wie er einzusetzen, also nie zum Schaden anderer Leute. Außerhalb einer Mission natürlich.
 

Als er wieder im Blumenladen angekommen war, wollte Aya gerade schließen. Omi schlüpfte noch hinein, ehe Aya das Rollo herunterließ.
 

„Wo warst du?“
 

Aya sah ihn prüfend an.
 

Wieder fing Omis Herz schneller an zu schlagen.
 

„Im Park, spazieren.“
 

Das war eigentlich nicht gelogen. Jedenfalls nicht das mit dem Park.
 

Er drückte sich an Aya vorbei und lief die Treppe zur Wohnung hoch. Das Abendbrot stand schon auf dem Tisch und Ken räumte gerade die Messer aus der Schublade.
 

Na toll.
 

Omi ging schnell an ihm vorbei, setzte sich auf den Platz, der am weitesten von Ken entfernt war und senkte seinen Blick. Er wollte Ken nicht ansehen und schon gar nicht mit ihm sprechen.
 

Dieser setzte sich plötzlich neben ihn.
 

Omi bemerkte es sofort und rutschte auf seinem Stuhl so weit wie möglich von ihm weg.
 

Ken legte ihm eine Hand auf die Schulter.
 

„Bitte, Omi...“
 

Doch Omi war aufgesprungen und starrte Ken mit ängstlichem Blick an.
 

„Fass mich nicht an! Nie wieder!“
 

Ken sah ihn verzweifelt an, sprang ebenfalls auf und rannte aus dem Raum.

Er wäre auf der Treppe fast mit Youji kollidiert, wenn dieser ihm nicht im letzten Moment ausgewichen wäre.
 

„Hey, Ken! Ken! Wo willst du hin?“
 

Doch Ken rauschte ohne ein Wort an ihm vorbei, Youji meinte in seinen Augen Tränen erkannt zu haben.

Er lief die Treppe runter und traf in der Küche auf Omi.
 

Jetzt war ja alles klar.
 

Omi stand immer noch in Abwehrhaltung in der Küche, doch er hatte den Kopf gesenkt. Als Youji ihn ansprach, schreckte er hoch.
 

„Was hat er gemacht?“
 

Omi antwortete nicht, sondern warf sich Youji in die Arme. Er konnte seine Tränen jetzt nicht mehr zurückhalten.
 

„Er lässt mich einfach nicht in Ruhe! Er will ständig mit mir reden, ich will aber nicht mit ihm sprechen! Und ich liebe ihn verdammt noch mal nicht! Ich will ihn auch nicht verletzten, aber was soll ich sonst machen? Warten, bis er noch mal über mich herfällt?!“
 

Youji schlang die Arme um ihn und strich ihm langsam und beruhigend über den Rücken.
 

„Vielleicht solltest du wirklich mal mit ihm reden?“
 

Omi schüttelte panisch den Kopf.
 

„Nein! Und schon gar nicht alleine! Mit ihm allein in diesem Raum... ohne mich!“
 

„Und wenn ich mitkomme?“
 

Omi sah vorsichtig zu ihm hoch.
 

„Das würdest du tun?“
 

Youji nickte.
 

„Aber nur zum Aufpassen. Reden musst du schon selber.“
 

Omi zögerte noch einen Moment, stimmte dann aber, wenn auch widerwillig, zu.
 

„…Okay...“
 

Youji ließ ihn los und Omi wischte sich über sein Gesicht.
 

„Ich gehe ihn jetzt holen, du bleibst hier.“
 

Mit diesen Worten verließ er das Zimmer und wurde prompt durch Aya ersetzt, der soeben von der anderen Seite den Raum betrat.
 

Omi setzte sich zurück an den Tisch und Aya sich neben ihn, wo sie schweigend zu essen begannen.
 

Nach etwa fünf Minuten kam Youji, die Hände auf Kens Schultern gelegt, wieder in die Küche zurück.

Ken sah Omi nicht an und umgekehrt auch nicht. Youji drückte ihn auf den Stuhl Omi gegenüber und setzte sich neben diesen.
 

Er begann auch zu essen und verwickelte Aya dabei in ein Gespräch. Oder zumindest versuchte er es. Der Rotschopf antwortete ihm mit hm’s und hn’s, manchmal sogar mit ja und nein, doch er selbst sagte eigentlich eher weniger.
 

Ken hatte den Kopf gesenkt und machte keine Anstalten etwas zu essen.
 

Als alle anderen fertig waren, räumte Aya freiwillig den Tisch ab und die restlichen gingen nach oben, um ihr Vorhaben durchzusetzen.
 

Sie gingen in Omis Zimmer, dort war es ihm angenehmer.
 

Beide setzten sich an den kleinen Tisch gegenüber, Youji setzte sich zwischen sie. Omi sah Ken möglichst fest in Augen, doch dieser hielt seinem Blick nicht Stand und senkte den Kopf.
 

„Omi, ich kann verstehen, dass du Angst vor mir hast, aber vielleicht glaubst du mir ja trotzdem. Es tut mir Leid, was ich dir angetan habe, so Leid... Ich habe es total verbockt und dich verletzt. Dabei liebe ich dich doch! Ich weiß nicht, was damals in mich gefahren ist, bitte glaube mir!“
 

Er sah auf. Omis Miene war eine Spur weicher als zuvor.
 

„Das beruht aber nicht auf Gegenseitigkeit, Ken, und das weißt du auch. Und ich glaube das, was du sagst. Aber ich habe Angst vor dir und dem, was du mir antun könntest, du bist so viel stärker als ich. Das musst du jetzt verstehen. Und ich bitte dich, wir können Freunde sein, aber nicht mehr. Akzeptiere das bitte, ansonsten leiden wir beide darunter. Ich kann nun mal an meinen Gefühlen nichts ändern, und ich will dir nicht wehtun.“
 

Omi wartete angespannt auf Kens Reaktion und hoffte, dass er ihn endlich verstehen würde.

Nach einem kurzen Schweigen antwortete Ken endlich.
 

„Ich kann an meinen Gefühlen für dich auch nichts ändern Omi, aber ich werde deine Entscheidung akzeptieren und versuchen, dich nicht mehr zu bedrängen.“
 

Er stand mit gesenktem Kopf auf.
 

„Es ist wohl für uns beide besser, wenn ich jetzt gehe...“
 

Mühsam die Tränen zurückhaltend, verließ Ken den Raum; sein Herz fühlte sich an, als ob es jeden Moment in tausend Stücke zerspringen würde.
 

Omi saß verzweifelt immer noch am Tisch und seine Augen stierten auf den Tisch, obwohl er diesen gar nicht ansah.
 

Er hatte Ken tief verletzt, und er machte sich Vorwürfe deswegen.
 

„Omi?“
 

Omi sah hoch in Youjis Augen, tiefes blau traf auf katzengrün.
 

„Du hast es richtig gesagt, es war gut so. Ich glaube, er hat es jetzt endlich verstanden.“
 

Omi nickte schwach, das hoffte er wirklich.
 

Youji erhob sich.
 

„Ich gehe noch mal runter, vielleicht ist Aya noch da. Ich muss noch mit ihm reden. Ach ja, du bist morgen dran mit arbeiten, sei pünktlich, ja? Gute Nacht, Omi.“
 

„Ich werde da sein. Gute Nacht, Youji.“
 

Er verließ den Raum.
 

Omi ging zu seinem Bett und ließ sich darauf fallen.
 

Er brauchte jemandem, mit dem er ganz offen reden konnte. Und er hoffte, dass ihn diese Person jetzt hören würde.
 

Omi konzentrierte sich und dachte an alles, was ihm Nagi über das Kommunizieren auf gedanklicher Ebene beigebracht hatte, dann versuchte er es.
 

>Nagi? Nagi, hörst du mich? Ich bin’s, Omi!<
 

Zuerst dachte er, dass es nicht geklappt hatte, doch dann antwortete ihm Nagi.
 

>Toll, du hast es geschafft! Ist es dir schwer gefallen?<
 

Omi lächelte.
 

>Nein, eigentlich nicht. Du bist eben ein guter Lehrer. Hast du morgen wieder Zeit?<
 

Nagi schien kurz zu überlegen, dann antwortete er.
 

>Ja, gerne! Gleicher Ort, gleiche Zeit?<
 

>Kannst du auch später? So gegen halb Acht? Es ist ja bis zehn Uhr hell. Ich muss morgen bis sieben arbeiten. Okay?<
 

>Ja, geht klar! Ich werde da sein. Was arbeitest du denn?<
 

Omi druckste herum.
 

>…hm… na ja, also äh… das hat mit Weiß zu tun...<
 

>…Oh… tut mir leid, ich wollte nicht...<
 

>Schon gut, konntest du ja nicht wissen. Also dann, bis Morgen! Ich freue mich schon darauf!<
 

>Ich mich auch. Bis Morgen!<
 

Omi kappte die Verbindung und stellte fest, dass ihn dieses Gespräch irgendwie angestrengt hatte. Aber das war es wert, er würde Nagi wiedersehen.
 

Irgendwie fühlte er sich in seiner Gegenwart sehr wohl und zu Nagi hingezogen. Er fühlte mehr für ihn als für ein Mitglied von Weiß. Und das verwirrte ihn. Nagi war sehr nett zu ihm, sie waren wie Freunde. Oder waren sie Freunde?
 

Omi hatte noch nie einen echten Freund gehabt, er hatte sich auch eigentlich nie nach einem solchen gesehnt. Aber von Nagi wünschte er sich, sie wären offiziell keine Feinde, das würde alles leichter machen…
 

Nagi war so... anders als alle, die er bis jetzt kennen gelernt hatte. Er war nicht mit ihm in einer Gruppe, die ihn zwang, mit ihm zusammen zu sein. Sie waren sich gegenüber zu nichts verpflichtet.
 

Und doch wusste Nagi mehr von ihm als jeder andere. Er kannte seine Gedanken und seine Empfindungen. Und vielleicht würde er Omi irgendwann auch seine Empfindungen öffnen.
 

Omi vertraute ihm jedenfalls, was bei ihm recht selten war. Er war kein Mensch, der anderen schnell vertraute. Er vertraute allen Mitgliedern von Weiß, sogar Ken, wenn auch nicht so unerschütterlich wie Youji und Aya.
 

Aber Nagi hatte er sehr schnell vertraut, nachdem er ihn außerhalb einer Mission kennengelernt hatte. Er hatte keine Zweifel dabei gehabt, ihm erst seine Gedanken und dann seine Gefühle offen zu legen. Irgendwie hatte er gewusst, dass Nagi nicht weiter gehen würde als er es ihm erlaubt hat, und dass er ihn verstehen würde.
 

Er mochte Nagi sehr. Und er glaubte, dass das bei Nagi auch so war.
 

Doch jetzt war er ziemlich müde, und seine Gedanken konnte er ja auch noch morgen fortsetzten. Er schlief schon nach wenigen Minuten ein.
 

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