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Assoziatives Schreiben

von

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Satz 12: Großer weißer Jäger

Er packte sie mit beiden Händen um die Kehle und schüttelte sie wie ein tollwütiger Hund. Es war naheliegend es so zu tun, denn der Unterschied von einem wild gewordenen Hund zu einem Wolf war nur minimal, wenn ein Mensch ein Tier mit bloßen Händen erwürgte.

Er war früher schon ein Bär von einem Mann gewesen und nun viele Winter der weiße Jäger des Stammes, was im Bezug auf Menschlichkeit langsam die Grenzen verschwimmen ließ.

Weißes Reh stand nur ungerührt daneben, während die große Wölfin zwischen seinen Pranken von Händen in der Luft zappelte, mit den Läufen ausschlug und japsend um sich biss, doch allein dass sie zusah und sich nicht abwendete rechnete er seiner Schülerin hoch an. Auch wenn er sie in den Wintern ernährte, kam er vielen Bewohnern des Dorfes wie ein bestialisches Ungetüm vor; ein unabdingbares Übel, mit dem sie leben mussten. Er nahm es nach unzähligen Jahren nicht mehr sonderlich schwer, doch als er seine Bestimmung als junger Mann angetreten hatte – so wie Weißes Reh sie in wenigen Jahren als junge Frau antreten würde – war die Ablehnung und damit verbundene Vereinsamung prägend gewesen. Er würde, nachdem er die Aufgabe an sie abgetreten hatte, noch viele Jahre bei ihr sein, doch dann würde es auch ihn irgendwann in die Wildnis hinaustreiben.

Der Kiefer der Wölfin könnte problemlos den Arm eines Menschen durchtrennen, wenn sie ihn zu fassen bekam, und selbst ihre Krallen unangenehme Wunden reißen, doch auch wenn es ihm deutlich weniger zu schaffen machen würde, ließ er es so weit nicht kommen. Sie hing in seinen ausgestreckten Händen wie in einem Galgen und er und Weißes Reh warteten auf das Knacken der Wirbelsäule oder das Ersticken. Eins von beidem trat früher oder später ein. Er war damals von seinem Mentor, dem vorherigen weißen Jäger, angewidert gewesen, wenn dieser sich den Gefahren der Natur mit reiner unbändiger Gewalt seines Körpers gestellt hatte, doch mit dem Wandel der Jahre hatte er den Alten verstanden. Anfangs hatte er selbst noch mit dem Bogen und Fallen gejagt, später mit Speeren und irgendwann mit Messern, ebenso wie es Weißes Reh auch tun würde. Doch mit der Bestimmung kam die Veränderung und auch wenn der Wandel nicht bei jedem Weißen gleich ablief, so konnte er jetzt schon an Weißes Reh die Spuren erkennen, die ihr selbst vermutlich nicht bewusst waren.

Er riss den Wolfskörper in einem weiteren kräftigen Ruck umher und nach einem schmatzenden Brechen hing dieser so unmittelbar regungslos in seinem Griff, wie er sich eben noch nach Leibeskräften gewehrt hatte. Er ging in die Knie und ließ ihn in den Schnee fallen. Ein leichtes Knistern der überfrorenen Schneedecke. Dampf stieg auf vom durch Anstrengung erhitzten Körper.

„Zerleg' es.“ Weißes Reh passierte ihn ohne Zögern oder Augenkontakt, machte sich an ihre Aufgabe. Er stand nur da und sah den Hügel hinab in die Ferne, während die schneidenden und glitschigen Geräusche ihres Handwerks die ruhige Landschaft erfüllten. Ein warmer Dunst stieg auf.

„Muss es so sein?“ Ihre schmalen Hände arbeiteten weiter und ihr Blick wandte sich nicht ab, während sie in der Bauchhöhle der Wölfin herumwühlte.

„Das Jagen?“ Er betrachtete wie das Blut den Schnee und ihre Hände durchtränkte, jedoch ohne auf ihre Handgriffe zu achten. Sie verstand sich bereits bestens darauf und er hatte ihr nichts mehr beizubringen.

„Ja. Hätte sie nicht einfacher sterben können?“ Sie hat gemerkt, dass es eine Wölfin war. Gute Schülerin.

„Schneller, nicht einfacher.“

„Einfacher für dich?“ Sie ging zum Schlitten herüber und holte Lederbeutel und Utensilien heraus, um die verwertbaren Teile für den Transport bereit zu machen. Alles Übrige ließen sie für die anderen Tiere hier und fanden bei der nächsten Jagd nie mehr ein Anzeichen davon.

„Natürlich. Es gibt einfache Arten zu töten. Nie eine einfache Art zu sterben.“ Weißes Reh sah ihn an, die hellen Augen vernebelt und getrübt von Nachdenklichkeit, die ihm aus verblassender Erinnerung nur allzu bekannt war. Diese Gespräche waren wichtig. Das einzige, was er ihr wirklich geben konnte. Die Kunst des Jagens lag ihr wie ihm ebenso im Blut wie Atmen und Schlafen und sie würde es auch alles ohne seine Anleitung mit spielerischer Leichtigkeit meistern, doch die Bedeutung und das Schicksal war niemals zu verstehen; erst recht nicht allein.

„Ist es schnell denn nicht auch einfacher? Und leichter für das Tier?“

Er bleckte grinsend das Gebiss, das massiven Fangzähnen immer ähnlicher wurde.

„Es dem Tier leicht zu machen wird am Anfang dein Gemüt beruhigen, aber irgendwann wird es dir wie mir gehen und dem vor mir und der vor ihm ...“

„Und vielen unzähligen davor“, ergänzte sie wie in einem Gebet.

„... und du wirst einfach empfinden, was dir dein Instinkt sagt. Wir weißen Jäger gehen alle mit dem Instinkt. Wir müssen ihn annehmen, wenn wir uns nicht selbst zerfleischen wollen.“

„Wörtlich gesprochen?“ Eine helle Neugier schimmerte im trüben Klar auf.

„Der Alte, Weißes Karibou, hat mir erzählt von einem vor vielen unzähligen Wintern, dem seine Natur so zuwider war und der sie nicht akzeptieren konnte, dass der Wandel seine Gestalt schmerzhaft und zu seiner höchsten Qual veränderte.“

„Mh.“ Sie erhob sich und warf sich einen der ledernen Säcke über die Schulter, um ihn zum Schlitten zu tragen. Während er die restlichen Teile der Jagdbeute verstaute, wusch sie sich die Hände und das Gesicht im Schnee.

„Bringen wir die Gaben ins Dorf und gehen wir dann nach Hause. Es war ein anstrengender Tag.“ Er warf sich die Zugleinen des Schlittens um und Weißes Reh lief mit leichtfüßiger Schnelligkeit hinter ihm her, um mit seinem weiten Stapfen Schritt zu halten.

„Ja, das war es.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Dels
2009-02-16T15:44:51+00:00 16.02.2009 16:44
So, tsche packt ihre Meinung aus. Selber schuld.

Erstmal: Ich war wirklich überrascht, mal sowas von dir zu lesen. So ganz ohne Maschinen.. mehr noch, ohne den kleinsten Hauch an Zivilisation :P Und zudem fehlen noch die ganzen typischen Fantasyelemente.
Eine Szene also, wie sie irgendwo in der tiefsten russischen Taiga stattfinden könnte (hat Russland ne Taiga..? Du weißt, was ich meine, dude.) und das sogar noch heutzutage.
Man muss schon sehr fremddenken, um sich da reinfühlen zu können und ich konnte es leider nicht so richtig. War zwar an sich sehr flüssig zu lesen und angenehm noch dazu, aber die Thematik war mir schon fast wieder zu naturphilosophisch angehaucht. Jetzt nicht wegen der beiläufigen Metzelei (ich weiß ist ja nur Jagen um zu überleben), das war schon gut dargestellt, diese.. uhm.. Selbstverständlichkeit der Sache des Tötens an sich.
Eher, weil die Aussage des Weißen Jägers zum Thema einfaches Sterben mir garnicht gefallen hat, bzw. nicht wirklich nachvollziehbar. Zumindest nicht die Argumentation.
Hätte es ja noch verstanden, wenn er gesagt hätte, dass er dem Tier nicht die Möglichkeit nehmen wollte, sich angemessen seines Lebens zu wehren und nicht sofort mit einer Niederlage konfrontiert zu werden - aber das mi dem Instinkt und nach dem Instinkt gehen.. das klang so: "Yeah, ich find's einfach geil, ein Tier zu Tode zu quälen" o_O;
Vielleicht interpretier ich auch inne ganz falsche Richtung, aber das fand ich dann doch nicht so logisch xD Kannst mich aber gerne berichtigen.

Aber hej, für ne Assoziation ist das wirklich tolles Material, weil es mal in eine ganz andere Richtung geht, quasi die entgegengesetzte Shu-Richtung, wenn man so will xD Und vom Stil her hab ich dieses Mal auch nichts zu meckern - ist nicht so unbewusst tragisch, was ich dir öfter schon vorgeworfen habe, also yay xD
...
Kann es sein, dass du ne leichte Vorliebe für jungen Frauen hast, die etwas besonderes sind..? Das fällt mir grad irgendwie auf, kann mich aber auch täuschen. Ist für Männer jedenfalls nicht sehr bezeichnend, sich in solcherlei "Wesen" auszusuchen als Hauptbestandteile ihrer Geschichten. *piek* na? Hab ich dich? xP

Bi später und so,
tsche

Von: abgemeldet
2009-02-16T14:51:32+00:00 16.02.2009 15:51
Hallo^^

Wow, das ist doch mal eine sehr interessante Assoziation ;) Ich glaube, daran, dass "er" ein wildes Tier mit bloßen Händen erlegt, hätte ich beim besten Willen nicht gedacht bei diesem Satz.
Sehr kreative Umsetzung :D
Stilistisch haben mich am Anfang ein paar Wiederholungen marginal gestört, Schreibfehler sind mir keine aufgefallen, abgesehen von dem fehlenden Komma hier:
> Es war naheliegend[,] es so zu tun
(Obwohl - neue RS, muss da überhaupt noch eins hin? Mit jedem Tag merke ich mehr, dass ich mir langsam echt die neuen Kommaregeln mal reinziehen sollte D:)

Was mich irritiert hat, war das "weiß", aber das führe ich auf meinen europäischen Bildungsstandard zurück - "weiß", da denke ich eben immer an Europäer und bei dieser Geschichte geht es ja um sog. "Naturvölker", also gerade keine Weißen.
Die vielen offenen Fragen finde ich gut, die Andeutungen, was jetzt eigentlich los mit ihnen ist, ohne es wirklich endgültig zu klären.

Die Geschichte war wirklich sehr faszinierend, doch zu meinem Bedauern muss ich gestehen, dass sie mich nicht so sehr angesprochen hat wie die anderen beiden. Ich weiß auch nicht warum, ist wohl einfach nicht so mein Ding. Schade eigentlich :'(

Liebe Grüße,
schattenwolf
Von:  Ito-chan
2009-02-15T20:52:09+00:00 15.02.2009 21:52
Hi ^^

Tja... wo fange ich an: Vielleicht beim Thema...
Ich muss gestehen, dass ich mich nie besonders mit etwas in der Richtung befasst habe. Es war also eine Premiere und sehr interessant ^^
Also... im Generellen mag ich deinen Stil sehr und auch die Idee ist nicht schlecht, wobei ich doch einen Moment an Werwölfe und Twilight denken musste. Nimm es mir nicht übel, aber wenn man neben einem aufgeschlagenen Buch am Bildschirm liest geschieht so etwas.
Nun ja... Ich muss gestehen deine Beschreibungen waren mir, als absolutem gewaltverachtenden Menschen etwas zu plastisch. Mir ist leicht übel geworden (aber nur sehr leicht...), was aber von einer sehr guten Fähigkeit zu beschreiben zeugt.
Ich bin auch sehr fasziniert, von der baldigen Isolation die "weißes Reh" erwarten wird.
Es erscheint mir an dieser Stelle etwas von "Hüter der Erinnerung" zu haben. Nachdem der Meister seine Geheimnisse weiter gegeben hat, geht er und stirbt (jedenfalls war so der Plan in dem Roman soweit ich mich erinnere).
Im Grunde genommen hast du wieder einmal etwas sehr Geniales zu stande gebracht ^^

Alles Liebe
Ito


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