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The Exam Called Life

von

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Nach ein paar Blocks verlangsamte Eleanor ihren Spurt und warf einen zaghaften Blick über die Schulter. Anthony folgte ihr nicht mehr, aber sie lief trotzdem weiter. Sie hatte Seitenstiche und atmete stoßweise ein und aus, doch die Angst trieb sie voran.

Nach weiteren endlosen Minuten hatte sie ihre Straße erreicht, und da sie sich hier in Sicherheit wähnte, blieb Eleanor stehen. Sie stützte sich auf den Knien ab, die vom Rennen zuckten, und schnappte nach Luft. Sie hätte es ahnen müssen, bereits als sie den ersten Schluck von der Cola genommen hatte. Wie hatte sie nur so dumm sein können zu glauben, Anthony interessiere sich für sie? Für ihn zählten keine Gefühle. Er war genau so ein durchtriebener Macho, ein geltungssüchtiger Dreckskerl wie die meisten anderen Jungs in ihrem Jahrgang. Alles war Teil eines perfiden Plans gewesen, eine Falle, in die das Rattenmädchen blauäugig hineingetappt war. Zu den physischen Schmerzen in ihrem Körper gesellte sich nun ein heißer Stich in ihrer Seele. Vertrauen war so ein wichtiges Gut, aber es wurde so häufig schamlos ausgenutzt, um andere Menschen zu verletzen.

Eleanor wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und verrieb damit ihr Make-up, das durch seine scharfen Ingredienzen weitere Tränen hervorrief. Erschöpft schleppte sie sich die letzten Meter die Straße hinauf bis zu ihrem Haus. Wahrscheinlich machte sich ihr Vater schon riesige Sorgen, und wenn er sah, dass sie allein nach Hause gekommen war, würde er ihr womöglich auch noch eine Standpauke halten - ganz egal, wie verheult sie war.

Die unteren Räumen waren allesamt erleuchtet. Zögernd stand Eleanor vor der Tür. Da sie keinen Schlüssel dabei hatte, musste sie wohl oder übel klingeln. Doch die Tür sprang von allein auf, und wie erwartet hörte sie eine laute Stimme. Aber der Besitzer war nicht ihr Vater, sonder ihre Mutter.

„Wie kannst du es wagen?!?“, zeterte sie. „Hältst mich tage- und wochenlang hin – und jetzt so was!“

Es passierte blitzschnell. Eleanors Mutter, die beim Öffnen der Tür ihre Anschuldigung in Richtung Küche gekräht hatte, drehte sich blitzschnell zu ihrer Tochter um, schlug ihr mit der flachen Hand heftig ins Gesicht und schubste sie dann in die Küche, wo ihr kreidebleicher Vater zusammengekauert auf einem Stuhl saß. Doch ehe Eleanor kapierte, was überhaupt los war, mussten sich beide ducken. Ein Teller kam geflogen und verfehlte sie und ihren Vater nur knapp. Er krachte gegen die Fensterbank und zerplatzte laut in Scherben. Unter dem Küchentisch lagen ebenfalls Scherben, der Farbe nach zu urteilen von einer Weinflasche. Na super, ein Rückfall.

„Dad, was ... ?“, begann sie, doch ihr Vater winkte nur ab und hielt sich die Ohren zu, als hoffte er, sich so aus der Küche teleportieren zu können. Eleanor biss sich auf die Unterlippe und tauchte unter dem Tisch hervor. Ihre Mutter hatte sich mit noch mehr Tellern bewaffnet, doch bevor sie einen weiteren nach ihrer Tochter oder ihrem Mann schleudern konnte, war das Rattenmädchen schon auf sie zu gesprungen und hielt sie an beiden Handgelenken fest.

„MOM!“, schrie sie wutentbrannt. „Was um alles in der Welt ist hier los?!!“ Sie erschrak selbst vor der Lautstärke, die ihre Stimme angenommen hatte, und so erging es auch ihrer Mutter: für einen Moment schien sie zusammenzuzucken.

„Dein Vater ist arbeitslos, Eleanor!“, antwortete sie gehässig, fast schon ein bisschen triumphierend - als ob sie endlich einen Grund gefunden hätte, sich von ihm trennen zu können. Da sie aber keine Spur der Verwunderung oder des Schreckens im Gesicht ihrer Tochter sah, kniff sie die Augen zusammen und fragte mit eisiger Stimme: „Seit wann weißt du das?“

„Lange genug. Ich hoffe, du warst wenigstens so ehrlich und hast ihm dein kleines Geheimnis auch erzählt!“ Erwartungsvoll schaute Eleanor erst ihre Mutter und schließlich ihren Vater an, der inzwischen – immer noch kreidebleich – aus seinem Versteck gekrochen war.

„W-wovon sprichst du?“, stammelte er. Es war ein Trauerspiel. Machte die Liebe ihn wirklich so blind oder wollte er es nicht wahrhaben? Eleanor liebte ihren Vater und tat alles, um ihn nicht enttäuschen oder verletzen zu müssen, aber es konnte einfach nicht mehr so weitergehen. Wie lange wollte ihre eh schon arg zerrüttete Familie denn noch in einer einzigen Lüge leben? Also ließ Eleanor die Bombe platzen und sagte: „Sie geht fremd.“

„Was?“, keuchte ihr Vater und schlug sich die Hände vor den Mund. Wenn es auch nur irgendwie möglich war, wich noch mehr Blut aus seinem Gesicht. Er glich einem Geist.

„Pah, du Trottel hast doch nicht etwa geglaubt, dass ich noch irgendwas für dich übrig hätte? Du warst doch immer nur in deine Arbeit versunken! Das war alles, was für dich zählte: deine Arbeit und deine verklemmte kleine Tochter!“ Es überraschte Eleanor nicht, dass ihre Mutter so reagierte – und schon gar nicht, dass sie sie allein als „seine“ Tochter bezeichnete. Eleanors Vater schlug die Augen nieder und blickte betreten zu Boden wie ein gescholtenes Kind.

„Warum bist du noch bei mir geblieben?“, fragte er so leise, dass er kaum zu verstehen war.

„Warum? Du fragst dich allen Ernstes noch warum?“ Nun war es Eleanor, die die Fassung verlor. „Sie wollte dein Geld! Das war alles, was sie brauchte! Dein Geld und die Freiheit zu tun und zu lassen, was sie wollte!“

Wie vom Donner gerührt hörte ihr Vater zu. Er legte den Kopf in die Hände – und lachte. Es war kein lautes Lachen, eher ein unterdrücktes Kichern. Er hob den Kopf wieder und offenbarte ein ungläubiges Grinsen.

„Du hast mich all die Jahre nur ausgenutzt ...“, sagte er, an seine Frau gewandt. „Und ich war so kleingeistig, dir zu vertrauen. Wie gut, dass wenigstens Eleanor den Durchblick hat.“

„Bist du jetzt fertig?“, fragte Eleanors Mutter gelangweilt. Sie täuschte ein Gähnen vor und sah ihn mit herablassendem Blick an. Er erhob sich langsam von seinem Stuhl, ging auf seine Frau zu und nahm ihre Hand. Er legte sie in seine und betrachtete sie mit einem verträumten Blick. Dann nahm er seine andere Hand zu Hilfe und streifte ihr den Ehering ab. Dasselbe tat er an seiner Hand.

„Ab heute sind wir geschiedene Leute“, sagte er trocken und knallte beide Ringe auf die Arbeitsplatte.

In Eleanor regte sich nichts. Ihr Vater wollte die Ehe auflösen. Aber sollte sie das nicht eigentlich glücklich stimmen? Sollte sie nicht froh sein, dass sie ihre Furie von Mutter endlich los sein würde?

Nein, im Gegenteil. Entgegen ihrer Erwartung rissen die Worte ihres Vaters ein tiefes Loch in ihre Seele. Auch wenn sie sich gewünscht hatte, dass die unglückliche Dreierkonstellation, die sich einst zu unerinnerbaren Zeiten „Familie“ genannt hatte, zerbrechen würde: es war schwer zu glauben, dass es nun soweit war. Alle Erinnerungen, die sich besonders einprägsam in ihr Gedächtnis eingebrannt hatten, spulten sich vor Eleanors Augen ab wie ein Film.

Ihre Einschulung in die Grundschule, als beide Eltern noch gleichermaßen stolz auf ihre Tochter gewesen waren. Die Geburtstagskuchen, die ihre Mutter ihr früher gebacken hatte. Ihre erste Menstruation, bei der ihre Mutter sie getröstet hatte. Und dann: ihre genervte Mutter, die sich die Sorgen ihres Kindes nicht anhören wollte. Ihre desinteressierte Mutter, die den lieben langen Tag mit ihren Freundinnen am Telefon quatschte, anstatt sich um ihr Kind zu kümmern. Ihre Schlampe von Mutter, die innig küssend mit einem anderen Mann an der Straßenecke vor Eleanors Schule stand. Ihre neidische Mutter, die die Verwandlung ihrer Tochter zur Frau mit ansehen musste. Die neidisch auf den schulischen Erfolg ihrer Tochter war. Neidisch ...

„DU IDIOT!!“ Das Rattenmädchen erschrak. Ihre Mutter stand dicht vor ihrem Vater, zitterte und – waren das Tränen in ihren Augen? „Du ignoranter, kurzsichtiger Idiot ... “, sagte sie mit tonloser Stimme.

„Mach, dass du hier raus kommst“, entgegnete Eleanors Vater unglaublich ruhig. Sein Augenausdruck war unergründlich.

„MARTIN! Bist du wirklich so blind?“ Sie begann zu schluchzen. „Weißt du eigentlich, was du mir all die Jahre angetan hast?“ Das Rattenmädchen meinte zu wissen, was sie meinte: sie fühlte sich vernachlässigt. Nicht genug beachtet. Es erging Mutter und Tochter ähnlich.

„Ich kann machen, was ich will! Du beachtest mich nicht! Du hast nur Augen für deine Arbeit und den verklemmten Spießer, zu dem du unsere kleine Tochter gemacht hast!!“ Mehr Tränen rollten über ihr Gesicht. Etwas in Eleanor krampfte sich zusammen. Nicht die Bezeichnung „verklemmter Spießer“ tat ihr weh, sondern die Tatsache, dass ihre Mutter offenbar um sie weinte. Und dass sie ihren Vater beschuldigte, ihr geringes Selbstwertgefühl forciert zu haben.

„Warum hast du mich dann nie unterstützt?“, platzte es nun aus Eleanor heraus. „Warum warst du so-“ Sie stockte. Moment ... ihre Mutter wollte mehr Aufmerksamkeit und rächte sich, indem sie selbst die ihr nahe stehenden Personen verletzte ...

„Spiel nicht länger die Unschuldige. Ich habe mich viel zu lange von dir auf den Arm nehmen lassen, Carolyn“, begann Eleanors Vater wieder. „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht. Kennst du das Sprichwort?“ In seinem Gesicht zeichnete sich immer noch nichts ab, keine Emotion. Keine Enttäuschung, kein Entsetzen, nicht einmal Wut. Es machte dem Rattenmädchen Angst. „Und jetzt verschwinde endlich.“

„Martin, hör mir zu“, schluckte Eleanors Mutter.

„Verschwinde ...“

„Aber-“

„VERSCHWINDE!!!“

Sie verstummte wie ein Fernseher, bei dem man den Ton abgestellt hatte, rührte sich aber nicht. Was dann passierte, konnte keine der beiden Frauen ahnen: Eleanors Vater sprang auf seine Ehegattin los, drückte sie zu Boden und verpasste ihr eine schallende Ohrfeige. Eleanor stieß einen Schreckensschrei aus und schlug sich die Hände vor den Mund.

„MUSS – ICH – ETWA – NOCH – DEUTLICHER – WERDEN?!“, brüllte ihr Vater und verpasste seiner Frau bei jedem Wort einen weiteren Schlag. Ihr Kopf flog hin und her wie der einer leblosen Puppe. Sie brachte kaum einen Laut hervor.

„DAD, HÖR AUF!“ Die Stimme des Rattenmädchens überschlug sich. Sie hastete auf den tobenden Mann zu und versuchte, ihn von ihrer Mutter herunterzuzerren, deren Nase bereits blutete.

„LASS MICH! SIE HAT ES VERDIENT!“, schnauzte er. Seine Augen hatte jegliche Wärme verloren. Aus ihnen sprach nur noch der pure Hass. Eleanor wich von ihm zurück. Das war nicht er, der da sprach, das war nicht ihr Vater. Sie stolperte rückwärts zur Tür. Sie musste hier raus. Dringend.

„Wo willst du hin?“, krächzte er. Sie schwieg, machte noch ein paar Schritte zurück, ohne ihn aus den Augen zu lassen.

„Eleanor ...“ Ihre Mutter nutzte die Pause, die ihr Mann eingelegt hatte, und sah ihre Tochter an. Ihr Gesicht war mit Blut besprenkelt und feucht von den Tränen, die ihr unentwegt die Wangen hinabliefen. Sie schnappte nach Luft und ihre Lippen zitterten, als sie sagte: „Es tut mir so Leid ...“

Es zerschnitt dem Rattenmädchen das Herz. Was sollte sie tun?

„Lauf ...“ hustete ihre Mutter. Nein, das war nicht richtig. Sie musste helfen.

„LAUF!“, krächzte sie erneut, und Eleanor gehorchte, lief aus dem Haus und in die Nacht hinein. Sie lief, so schnell ihre wunden Füße sie tragen konnten. Sie hatte kein Ziel, sie wollte nur weg. Weg von diesem Haus, das sich in die Hölle verwandelt hatte, weg von ihren Eltern, die zu Dämonen geworden waren.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Kameko-san
2009-11-20T20:29:38+00:00 20.11.2009 21:29
Die arme Eleanor muss völlig am Ende sein! ;_; Ich kann mir das soo gut vorstellen! Da will man einfach nurnoch duschen, die Klamotten loswerden und sich ausheulen!
Oh nein, und dann ist auch noch ihr Vater entlassen! Ein Unglück folgt dem nächsten... die Arme! *sich trösten möchte*
Und der arme Vater ;_; Aber muss wircklich wahnsinnig naiv sein! Ja, SEINE Tochter ist sie, sie als ihr zu bezeichnen wäre auch eine Beleidigung!
Es ist total gut in Szene gesetzt, dass Eleanor das mit dem Warum sie noch da geblieben ist, beantwortet! So passend!
Das der Vater da noch lachen kann... er sollte lieber Heulen...
Sowas trumatisches für Eleanor, ihr Eltern trennen sich! Ohjeh... . Das sie doch irgendwie an ihrer Mutter oder an ihren Eltern an sich hängt, ist irgendwie verständlich, tief im Inntersten liebt man seine Eltern, egal was sie tun.
Ach, so hat Eleanor von der Tatsache erfahren, dass ihre Mutter fremd geht! Schockierend O_O
Huch, jetzt gibt die Mutter mal ein Statement ab, ich hätte irgendwie erwartet, dass sie froh ist, dass sie gehen kann, jetzt wo er eh arbeitslos ist.
Ö_Ö jetzt habe ich irgendwie Mitleid mit der Mutter, vielleicht ist sie ja garnicht so doof, sondern nur missverstanden!
Der Vater ist total agressiv! Bisher habe ich ihn immer sehr gemocht, aber so ist er mir unheimlich und ich will, dass er der Mutter zuhört!
Ich bin so hin und her gerissen, aber eins ist sicher, Eleanor darf jetzt nicht gehen, sie muss helfen! Uaaah, wieso rennt sie denn jetzt weg, sie muss ihrer Mutter helfen!!
Von:  TigorA
2009-02-18T16:25:57+00:00 18.02.2009 17:25
du solltest einen roman schreiben, ganz ehrlich oo.
das war ja mal wieder vom feinsten. ich hätte echt nicht damit gerechnet das martin plötzlich auf carolyn einprügelt... das war echt überraschend oo. ich frage mich was da jetzt noch passiert während elli nicht mehr im haus ist... das wirkt irgendwie so als würden die beiden sich jetzt gegenseitig umbringen und das ellis mom sie deswegen weggeschickt hat Oo. seeehr dramatisch, ich sitz jetzt echt auf heißen kohlen. schreib ja schnell weiter >.<.
Von: abgemeldet
2009-02-12T17:57:33+00:00 12.02.2009 18:57
O__O
ich bin fassunglos
damit hab ich ja nun mal gar nicht gerechnet
ich bewundere es wie du es geschafft hast die situation so super in worte zufassen
ich hab so was von mitgefiebert und gefühlt



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