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Dating Seto Kaiba

Wettschulden sind Ehrenschulden
von

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Tag 2 - Videospiel des Schreckens - Tea_Kaiba

Endlich, endlich, endlich ist es fertig, mein Kapitel. War eine schwere Geburt.

Wenn moonlily nicht gewesen wäre, läge diese Datei immer noch im Datengrab meiner Festplatte... Also gebührt ihr aller Dank dafür, mich immer mal wieder anzustupsen ("Wie weit bist du denn?"), Ideen für den Schluss zu geben und meine schrecklichen Fehler auszubessern ("Irritiert hob er der Blick."). Und ich dachte, ich wäre eigentlich recht gut darin, grammatikalisch und orthographisch korrekte Sätze aufzustellen!

Iiiiek - ERROR - ERROR - ERROR. :D

Hoffe, es gefällt euch, was ich fabriziert habe!
 

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
 

Sie ließ sich grinsend auf ein quietschgrünes, seltsam aufgeplustert wirkendes Etwas von einem Sofa sinken und machte eine einladende Geste, die wohl heißen sollte, er solle sich setzen.

„Fühl dich wie Zuhause.“

Wie Zuhause? Das würde schwierig werden. Es wäre Seto nicht einmal im Traum eingefallen, dieses luftkissenbootartige Ufo-Möbel auch nur auf einhundert Meter an sein Grundstück heran zu lassen. Es sei denn... Mokuba würde es sich unbedingt zu Weihnachten wünschen und versprechen, es so dezent in seinem Zimmer aufzustellen, dass Seto sich nie, niemals die Augen daran zu verätzen brauchte. Aber nicht einmal sein kleiner Bruder hatte einen so knalligen Geschmack.

Skeptisch befühlte Seto kurz die für seinen Geschmack viel zu weiche Sitzfläche und ließ sich schließlich darauf nieder... oder eher darin, denn sofort hatte er das Gefühl, zwanzig Zentimeter tiefer zu sitzen. Nicht gerade gut fürs Selbstbewusstsein, dieser Zustand.
 

„Ich dachte, wir probieren mal mein neues Projekt aus, es ist noch nicht so ganz ausgereift, aber vielleicht kannst du mir ja hinterher ein paar Tipps geben, was noch fehlt.“

Unter ihren blonden Pferdeschwänzen hervorgrinsend reichte Rebecca ihm etwas, das auf den ersten Blick wirkte wie ein Motorradhelm. Seto sah etwas genauer hin und musste feststellen, dass das, was er in der Hand hielt... tatsächlich ein Motorradhelm war.

„Bist du nicht noch viel zu jung für einen Führerschein? Oder bastelst du nur an den Dingern herum und erwartest jetzt von mir, dass ich fahre? Wenn ja, muss ich dich leider enttäuschen, ich habe nicht vor, mich auf eine Höllenmaschine zu setzen, die sicher den TÜV noch nicht einmal von weitem gesehen hat.“

Sein Blind Date kicherte nervös.

„Basteln? Nur virtuell. Ich dachte, du wüsstest das. In ein paar Jahren mache ich dir und der KC Konkurrenz, wirst schon sehen.“ Ein letztes Augenzwinkern und zwei geübte Bewegungen, die die Gummis aus ihren Haaren streiften, dann fiel die blonde Mähne über ihre Schultern und verschwand gleich darauf unter einem zweiten Helm. „Die Dinger habe ich von einem Bekannten bekommen, es war einfacher, sie umzubauen, als komplett neue Helme zu konstruieren. Aber sie funktionieren einwandfrei, probier es ruhig aus!“

Funktionieren?

„Danke, ich verzichte. Ich habe eigentlich nicht vor, mir von dir eine Gehirnwäsche verpassen zu lassen oder was es auch immer ist, was du mit diesen Helmen bezweckst.“
 

Das Visier ihres Helms klappte nach oben und gab den Blick auf zwei vorwurfsvolle blaue Augen frei. Hatte er nicht immer gehört, sie wäre so ein Sonderling und würde kaum jemals mitziehen, wenn es darum ging, auszugehen oder sich sonst einer „normalen“ Beschäftigung für ein Mädchen ihres Alters zu widmen? Dafür beherrschte sie die Körpersprache dieser Altersgruppe erstaunlich gut, oder hatte sie sich dieses spöttisch-kokette Augenrollen selber beigebracht? Doch wohl hoffentlich nicht im Hinblick auf dieses Date.

„Also wirklich Seto. Ich kann dich doch so nennen, wenn dein Bruder uns schon zu einem Date verdonnert hat? Jedenfalls, glaubst du wirklich, ich locke dich hier her, um dich einer Gehirnwäsche zu unterziehen? Da fällt mir doch weitaus Besseres ein.“

So langsam wurde Seto unbehaglich, vor allem, da Rebecca ihre Worte mit einem Kichern abrundete, das erschreckend vielsagend klang für eine Fünfzehnjährige. Eigentlich war er bisher immer davon ausgegangen, seine „Blind Dates“ wären genauso wenig an einem „richtigen“ Date interessiert wie er selbst.

„Also gut, was hast du dann vor?“, fragte er rasch, in der Hoffnung, sie vielleicht auf andere Gedanken zu bringen. „Wir probieren mein neues Virtual Reality Game aus, du Genie. Wirklich, da hättest du auch ein bisschen schneller drauf kommen können. Deine Firma stellt doch dieses Zeug selber her. Klar, das Equipment sieht ein bisschen anders aus, aber Helme gehören doch auch dazu.“

Überrascht ruckten seine Augenbrauen nach oben. Damit hatte er zugegebenermaßen nicht gerechnet. Gut, sie hatte sich als Hackerin einen Ruf gemacht, aber Spiele programmieren und dann auch noch die dazugehörigen Bedienelemente selbst konstruieren? Das war eine ganz andere Liga.

Er musste feststellen, dass er neugierig wurde.
 

Sie wäre froh gewesen, endlich ihr Visier wieder herunterklappen zu können, um diesem Blick nicht mehr ausgesetzt zu sein. Klar, dass das nicht seine Absicht war, aber es machte Rebecca dennoch nervös, Kaibas – nein, Setos! Er hatte ihr schließlich nicht widersprochen! – durchdringende blaue Augen auf sich zu spüren. Sie spürte ihren eigenen Herzschlag sogar in den Fingerspitzen.

„Also gut, ich erkläre dir, wie es funktioniert. Aber bild dir bloß nicht ein, du kannst meine Technik einfach so kopieren.“

Das klang selbstbewusster, als sie war, denn ganz abgesehen davon, dass seine Anwesenheit als Person sie kribbelig machte ohne Ende, war die Gefahr, der CEO der Kaiba Corporation könnte einige ihrer Tricks durchschauen und ganz ohne entsprechenden Vertrag auf seine eigenen Produkte übertragen, auch nicht zu unterschätzen. Sie nahm ihren Helm wieder ab und nahm flüchtig zur Kenntnis, dass ihre Finger leicht feuchte Spuren auf dem glatten Lack hinterließen. Verdammt pubertäre Reaktion! Wie sollte sie denn so irgendjemand ernstnehmen?

„Hier, die Polsterungen zum Beispiel habe ich ausgetauscht. In dem neuen Schaum sind entsprechende Sensoren eingebaut, die Impulse aus deiner Kopfhaut, deinen Augenbewegungen und so weiter auffangen und in Bewegungen im Spiel umsetzen, das erspart uns das lästige Rumfuhrwerken mit Handschuhen oder sogar irgendwelchen klobigen Ganzkörperkabinen. Nun kuck nicht gleich so! Keine Sorge, Gedanken lesen kann damit keiner.“
 

Aber das war es gar nicht, was Seto gedacht hatte. Eher war der Ruck, der ihn kurz durchfahren hatte, die widerwillige Erkenntnis gewesen, dass er diesem halbwüchsigen Gör Respekt zollen musste. An einer solchen Technik arbeiteten seine Techniker seit Jahren, aber bisher hatten sie es nicht geschafft, etwas Marktfertiges zu präsentieren. Und diese blonde Kichererbse bastelte mal eben so aus zwei Motorradhelmen eine komplette Ausrüstung? Er konnte nur hoffen, dass sie sich niemals mit seiner Konkurrenz einlassen würde. Nun, abwarten. Noch hatte er nicht gesehen, wie gut das Ganze funktionierte.

„Klingt interessant. Wie sieht es mit visuellen Effekten aus? Werden die auch per Impuls übetragen oder hast du einen Bildschirm eingebaut?“ Sein Gegenüber nickte.

„Die sind hier“, antwortete sie und tippte mit einem tief orangerot lackierten Fingernagel vorsichtig von außen auf das Visier. Bei näherem Hinsehen stellte Seto fest, dass tatsächlich das gesamte Visier von innen mit einer Art Bildschirm überzogen war.

„Allerdings wollte ich heute ein Experiment wagen. Ich habe tatsächlich eine Möglichkeit gefunden, über Impulse das Spielgeschehen direkt ins Gehirn zu übertragen, aber bisher habe ich das nur ein einfachen Simulationen ausprobiert, nie mit meinem Spiel zusammen. Wenn es allerdings funktioniert, sollte das das Spielgeschehen um einiges realistischer machen. Geht das in Ordnung?“

Seto überlegte kurz. Warum nicht? Er konnte der Erste sein, der diese Technologie ausprobierte, außerdem konnte es durchaus sein, dass er ein paar Kniffe für seine Firma übernehmen konnte. Gefährlich würde es schon nicht sein, sie behauptete ja, es schon getestet zu haben.

„Von mir aus. Wie starte ich das Teil?“

Unschlüssig drehte er den Helm in seiner Hand, aber Rebecca wehrte ab.

„Alles schon passiert. Du musst es nur noch überziehen.“
 

Choose your style. Seto blinzelte, um genauer sehen zu können, und die Schrift verschwand vor seinen Augen. Stattdessen stellte er verblüfft fest, dass die Gestalt, die sich auf dem Bildschirm vor seinen Augen drehte, ein genaues Ebenbild seiner selbst war, eine Tatsache, die ihn für den Moment davon ablenkte, dass ganz offenbar die versprochene Simulation entweder doch nicht funktionierte oder noch nicht aktiviert war, denn was er vor sich hatte, war nichts weiter als ein gewöhnlicher Bildschirm, wenn auch ein überraschend fortschrittlicher.

„Ich habe mir erlaubt, dich am Eingang mit meinen Kameras zu registrieren, damit dein Charakter realistischer wirkt“, klang ihm Rebeccas Stimme in den Ohren, und es dauerte eine Sekunde, bis er merkte, dass er sie nicht gedämpft durch den Helm hörte, sondern glockenklar aus einem Lautsprecher. Offenbar hatte sie auch an Mikrophone gedacht. Und das war nicht alles, dieses Bild war eindeutig mehr, als man mit einer normalen Kamera erfassen konnte, schließlich war es dreidimensional und äußerst detailliert. Vermutlich hatte sie mit Wärmekameras und wer weiß welchen Schnickschnäckchen sonst noch gearbeitet.

„Ich hoffe für dich, dass du dir nicht noch mehr ‚erlaubt’ hast, ansonsten müsste ich mir wirklich überlegen, meine Anwälte auf dich loszulassen!“, gab er kalt, aber nicht ganz so schneidend wie beabsichtigt zurück und merkte im selben Moment, dass er zu laut gesprochen hatte, offenbar waren diese Mikrophone höchst sensibel. Verflucht. Wie er es hasste, sich auf unbekanntem Terrain zu bewegen und dabei von jemandem beobachtet zu werden, der sich besser auskannte.

„Bist du fertig?“, erkundigte sich Rebecca, seinen unhöflichen Kommentar einfach übergehend.

Fertig? Oh, richtig.

Wie war das noch gleich gewesen? Choose your style. Erst jetzt fiel ihm auf, dass sein virtuelles Ebenbild ihm zwar körperlich bis aufs Haar glich, aber äußerst seltsame Kleidung trug. Farmer, verkündete die Schrift unterhalb der sich immer noch langsam drehenden Gestalt überflüssigerweise, denn die braune, ausgefranste Hose und das beigefarbene Hemd passten genau ins Schema eines auf Mittelalter getrimmten Videospiels. Nein danke, er hatte kein Interesse daran, sich durch seine Aufmachung zum absoluten Unterschichtler machen zu lassen. Schlimm genug, dass er vermutlich auf Rebeccas Führung angewiesen war.

„Einen Moment noch.“

Versuchsweise fixierte er den Pfeil neben seinem Charakter und stellte fest, dass das Programm reagierte. Das nächste Outfit erschien auf dem Bildschirm. Magician. Blacksmith. Witch. Offenbar wirklich eines von diesen unsäglichen Mittelalterspielen. Aber Moment mal. Hexe? Da hatte sich wohl ein Set aus der weiblichen Version eingeschlichen. Schaudernd stellte Seto fest, dass sein virtuelles Ebenbild tatsächlich in einen seltsamen Rock gekleidet war und einen Besen in der Hand hielt. Schnell weiter. Joker. Genauso schlimm, als Hofnarr konnte sich vielleicht Wheeler verkleiden, aber er doch nicht. King. Outlaw. Bishop. Prince. Knight. Na gut, besser würde es wohl nicht werden. Seto erwägte kurz, sich als Prinz auszugeben, aber der Gedanke, mit einem affigen Goldreifen auf dem Kopf durch die Gegend zu laufen, widerstrebte ihm. Also der Ritter. Nicht gerade die Rolle, die er sich ansonsten zugedacht hätte, aber Seto musste sich im Stillen eingestehen, dass seine Gestalt in enganliegendem, silbrigem Rüstungshemd und mit einem Schwert an der Seite äußerst imposant wirkte. Zufrieden aktivierte er die Schaltfläche am unteren Rand des Bildschirms. Finished.
 

„Na endlich. Du bist ja eitler als eine Frau.“

Er konnte das Grinsen in Rebeccas Stimme geradezu hören.

„Dann aktiviere ich jetzt die Video-Sensoren. Schließ die Augen, sonst kriegst du nichts davon mit.“

Kurzzeitig wurde es schwarz um Seto, dann überkam ihn ein leichtes Schwindelgefühl, als die neue Sichtweise um ihn herum aufflackerte. Der erste Eindruck, der sich ihm bot, war äußerst... eintönig, im wahrsten Sinne des Wortes. Grünes Gras, grüne Bäume, sogar der Weg, auf dem er offenbar stand, war irgendwie moosig-grün überwachsen.

„Hast du ein Problem mit der Graphik oder hat deine Phantasie nicht für mehr Farben gereicht?“

Wo war sie überhaupt? Suchend sah sich Seto um, den Blick instinktiv auf Rebeccas Augenhöhe ausgerichtet... und blickte direkt in einen verdächtig prall gefüllten Ausschnitt. Irritiert hob er den Blick. Sie grinste nur.

„Gefällts dir? Mein Avatar. Ist ein bisschen unpraktisch, als Sechzehnjährige eine Bande von Gesetzlosen anzuführen, die nehmen einen nicht so ernst, weißt du. Um auf deine Frage zurückzukommen, wäre es dir lieber, ich hätte pinkfarbige Bäume aufgestellt?“

Seto antwortete nicht, die Antwort auf diese Frage erübrigte sich wohl ohnehin, und das konnte ihm gerade recht sein, denn sehr zu seinem Widerwillen stellte er fest, dass er sein Gleichgewicht erst wieder finden musste nach der Überraschung, statt einem halb ausgereiften Teenager auf einmal einer erwachsenen Frau gegenüber zu stehen. Nicht, dass das irgendetwas an der Art änderte, wie er sie ansah. Vermutlich war sie hübsch, aber in solchen Kategorien dachte Seto nur äußerst selten, wenn es um Frauen ging, schon gar nicht, wenn selbige ihm von seinem kleinen Bruder aufgezwungen wurden.
 

Mit einem Kick beförderte Rebecca eine flauschige, übergroße Raupe ins Gebüsch, die sich um ihre Beine geschlängelt hatte. „Lästige Viecher“, grummelte sie, während das Tier sich unter erstaunlich beleidigt klingendem Pfeifen ins Unterholz zurückzog.

„Plüschspanner. Hätte ich nicht erfinden sollen, inzwischen bevölkern sie die ganze digitale Welt hier. Allerdings ist es im Menü am Schlimmsten.“ Na toll.

Plüschspanner? Was kam als nächstes, sprechende Teddybären? Ach nein, die Phase hatte sie ja angeblich hinter sich.

„Und nun? Stehen wir hier weiter rum und beschäftigen uns damit, pfeifende Raupen in der Gegend herumzukicken, oder bietet dein Spiel noch andere Möglichkeiten, einen Nachmittag rumzubringen?“

Vorzugsweise eine, die mehrere Kannen Kaffee und einen Laptop beinhaltete, aber das brauchte er in diesem Mittelalterverschnitt von einer Welt wohl gar nicht zu hoffen. Ein verächtliches Nasekräuseln unter blinkenden Brillengläsern war die einzige Antwort, die er bekam, jedenfalls zunächst. Im nächsten Augenblick drehte sich Rebecca um und ging zielstrebig auf einen Baum zu, der sich direkt in der Mitte einer Weggabelung befand. Seto hatte ihn bisher nicht einmal bemerkt.
 

Kaum war Rebecca auf den Grünstreifen vor dem Gehölz getreten, als sich der Baum auch schon merkwürdig auszustülpen begann – Sekunden später befand sich in bequemer Lesehöhe ein Aststumpf, dessen Vorderseite aus einem einzigen, runden Bildschirm bestand.

„Wenn du allein hergekommen wärst, hätte dich ein Spielkommentar auf den Menübaum hingewiesen“, erklärte Rebecca lässig, während Seto neben sie trat und nicht umhin konnte, die tadellose Graphik zu bewundern. Obwohl sowohl Baum als auch Display absolut lebensecht wirkten, waren sie so miteinander verschmolzen, als sei das Ganze kein Zusammenschnitt von eigentlich unvereinbaren Gegenständen, sondern vielmehr eine Lebensform, die er einfach nie zu vor gesehen hatte. „Aber nachdem ich dabei bin, habe ich die Hilfestellungen von vornherein ausgeschaltet, die brauchen wir ja jetzt nicht. Also, wo willst du hin?“

Auf dem Bildschirm war eine Landkarte erschienen, auf der verschiedene Fenster eine Vergrößerung der jeweils an diesem Ort zu findenden Landschaft zeigten.
 

Während Seto noch damit beschäftigt war, die diversen Namen und Erklärungen zu lesen und zu entscheiden, welche dieser Möglichkeiten sein Nervenkostüm am wenigsten beanspruchen würde, brach ein Stück weit den Weg hinab ein runder, kleiner Mann aus dem Gebüsch, dessen Aufmachung der von Rebecca auffallend ähnelte, und stolperte keuchend auf sie beide zu.

„Rebecca! Zum Glück, da bist du ja! Saltimbocca ist verschwunden!“

Kaum hatte der seltsame Bote ausgesprochen, schon brach um Seto herum die Hölle los. Rebecca brauchte keine zwei Sekunden, um ihre übliche, spielerisch-spöttisch-süßliche Art abzulegen und eine perfekte Befehlshaltung einzunehmen. Seto hatte ja keine Ahnung, wer oder was dieses Saltimbocca sein sollte – er ging einfach davon aus, dass es NICHT das war, wonach es klang, nicht einmal in einem Videospiel würde sich irgendjemand so über das Verschwinden seines Abendessens aufregen –, aber so entsetzt, wie der Kugelzwerg geklungen hatte, hätte er doch erwartet, dass auch Rebecca eine gewisse Bestürzung zeigen würde. Weit gefehlt.
 

„Habt ihr Spuren?“, fragte sie knapp, und ohne eine Pause einzulegen, um dem Kopfschütteln ihres Gegenübers noch eine Erklärung folgen zu lassen, feuerte sie auch schon die nächste Frage hinterher: „Wo stecken die Anderen?“

Statt einer Antwort brachen überall um sie her aus dem Unterholz weitere Gestalten in grünen Kitteln hervor. Sie schienen allesamt erwachsen zu sein, in der Mehrzahl Männer, aber, obwohl kräftig, äußerst kleinwüchsig. Also hatte sie offenbar nicht nur sich selbst erwachen gemacht, sondern obendrein auch noch die Menschen dieser Welt so gestaltet, dass keiner von ihnen sie überragen würde.

Was für eine kleine Diktatorin. Schlimmer als Mokuba.

Der fiel wenigstens nur seinem Bruder mit seinem Wunsch auf die Nerven, sich die Wirklickeit nach seinen Wünschen zurecht zu biegen.

Während er das dachte, bekam Seto am Rande mit, dass Rebecca mit grimmiger Miene ihrer seltsamen Bande von Anhängern Befehle gab, die offenbar darauf abzielten, sie in verschiedene Richtungen auf die Suche zu schicken, Wachen für „das Lager“ aufzustellen und andere Aufgaben zu erfüllen, die genauso gut einem Robin-Hood-Roman entsprungen sein könnten.

Vielleicht zu viel gelesen?
 

„So, das hätten wir. Man muss ihnen das Gefühl geben, gebraucht zu werden, das hält sie ruhig, weißt du.“

Rebecca wandte sich wieder ihm zu, jetzt ein strahlendes Lächeln auf dem Gesicht.

„Hier entlang, bitte.“

Zielstrebig steuerte sie eine der Weggabelungen an und merkte erst nach mehreren Metern, dass ihr Seto nicht folgte. Mit über der Brust verschränkten Armen stand er wie angewurzelt an seinem ursprünglichen Platz und warf seinem Blind Date einen Blick zu, der irgendwo im Niemandsland zwischen Trotz und Verachtung angesiedelt war.

„Wie wäre es mit einer kleinen Erklärung? Ich habe nämlich eigentlich überhaupt keine Lust, in diesem seltsamen Kostüm durch einen Wald zu stapfen, der wahrscheinlich nicht nur voll von seltsamem Phantasiegetier ist, sondern obendrein auch noch Zecken und sonstige Pestviecher beherbergt. Nenn mir einen vernünftigen Grund, warum ich mir das antun sollte.“

Befriedigt stellte er fest, dass Rebeccas Gute-Laune-Grinsen in sich zusammenfiel. Sollte sie doch ruhig auch zu spüren bekommen, dass dieses „Date“ keine Spaßveranstaltung für ihn war, und ganz bestimmt nicht freiwillig zustande gekommen war.

„Naja, wo wir sowieso schon mal hier sind... ich dachte einfach, es schadet doch nichts, das Spiel mal ein bisschen auszuprobieren. Und zu zweit ist es sicher lustiger als allein, diese Computerfiguren sind immerhin ziemlich vorhersehbar, wenn man sie selbst programmiert hat.“

Lustig gehörte eindeutig nicht zu den Adjektiven, mit denen Seto einen Nachmittag beschreiben würde, den er als gelungen bezeichnen konnte. Gut für Rebecca, dass sie wenigstens das schnell zu kapieren schien und ihn nicht dazu zwang, seine eigene Laune mit langatmigen Antworten weiter in den Keller zu treiben.

„Also gut, ich seh schon, du hast keine Lust auf sowas. Aber was willst du dann machen? Mokuba hat mir gesagt, ihr habt eine Wette am Laufen, und dass du die sicherlich nicht sausen lassen wirst, du hättest gute Gründe dafür. Willst du also den ganzen Nachmittag in meinem Wohnzimmer sitzen und mich anschweigen?“

An dem Argument war leider nur allzu viel Wahres.
 

„Schön.“ Seto ließ sich auf einen Baumstamm am Wegesrand fallen.

„Schön, suchen wir dieses... Saltimbocca. Aber erst, wenn du mir erklärt hast, wer oder was das sein soll.“

Er konnte der vollbusigen Blondine, in die sich Rebecca verwandelt hatte (das Gesicht war immer noch das Alte, was sie bei näherem Hinsehen zu einer leicht verwirrenden Erscheinung machte), nur allzu deutlich ansehen, dass sie diese Verzögerung nur unwillig annahm, aber das war ihr Problem. Sie pustete sich eine Haarsträne aus dem Gesicht und setzte sich ebenfalls, wenn auch nicht, ohne weiter ungeduldig mit dem Fuß zu wippen.

„Saltimbocca ist... sowas wie das Maskottchen unserer Truppe. Eine der Plüschspinner-Raupen, wie du sie vorhin gesehen hast.“

„Du hast eine Raupe nach einem italienschen Kalbsfleischgericht benannt?“

Vielleicht sollte er sein Urteil, das ihr überraschend weit entwickelte geistige Fähigkeiten für ihr Alter bescheinigte, noch mal überdenken.

„Naja... ich fand, es ist ein hübsches Wort. Spontaner Einfall. Das ist alles. Wie auch immer... sie ist sicher entführt worden, ich hab einen Gegenspieler ins Programm eingebaut, der jetzt bald in Erscheinung treten dürfte.“

Na toll. Gestern hatte er sich durch seinen eigenen Vergnügungspark schleifen lassen, inklusive einer Fahrt durch den Liebestunnel, die er lieber aus seinem Gedächtnis streichen würde, und heute würde er sich mit einer Sechzehnjährigen durch den Urwald schlagen, um einem vorprogrammierten mittelalterlichen Bösewicht eine pelzige Riesenraupe abzujagen?

Ich bezweifle, dass es das war, was Mokuba im Kopf hatte, als er von Dates sprach.
 

„Gut, wenn das alles war, das du wissen wolltest, können wir ja jetzt gehen“, meinte Rebecca gelassen, die sein Schweigen wohl für Zustimmung zu halten schien.

Zwecklos.

Wenn er sich weigerte, würde er wohl den Rest des Tages damit verbringen, auf diesem modrigen Baumstamm zu sitzen.

Wobei der Rest des Tages nicht mehr so lang zu sein scheint.

Der Wald um ihn her färbte sich bereits verdächtig grau, entweder, die Tageszeiten verliefen hier anders als in der Realität draußen, oder die Zeit war schneller vergangen, als es ihm vorgekommen war. Seto befürchtete Ersteres.

Und er war zwar nicht gerade jemand, der sich im Dunklen fürchtete, aber er war auch nicht unbedingt erpicht darauf, sich nachts in einer unbekannten grünen Hölle voller seltsamer Ausgeburten der Phantasie einer Sechzehnjährigen wiederzufinden. Wer wusste schon, was ihr außer knuffigen Maskottchen noch so alles eingefallen war.

Da war es ihm doch lieber, mit jemandem unterwegs zu sein, der die Eigenheiten dieser Welt kannte, auch wenn es ihm widerstrebte, sich quasi in den Schutz einer Frau begeben zu müssen, noch dazu einer, die nicht viel älter war als sein kleiner Bruder.

„Dann mal los.“
 

Im Grunde war es genau so, wie er es befürchtet hatte. Nicht nur der Teil von Rebeccas Welt, in der sie sich zu Anfang befunden hatten, der gesamte Planet, falls dieses Spiel in solchen Kategorien funktionierte, war anscheinend hoffnungslos unterentwickelt. Ab und zu blitzte es seltsam auf und ihre Umgebung schien für eine Sekunde zu verschwinden, sodass Rebecca und Seto in einem nichtssagenden weiß-grauen Raum schwebten, aber das war das Einzige, was darauf hinwies, dass sie sich nicht in einer Wirklichkeit befanden, die ganz genauso mühsam war, wie sie schien.

„Die Grenzen zu den benachbarten Leveln“, erklärte Rebecca mit einem Seitenblick, als die seltsame Unregelmäßigkeit sie das erste Mal heimsuchte. „Normalerweise sollte es möglich sein, an jeden dieser Orte per Menübaum zu springen, aber ich habe die einzelnen Teile der Welt noch nicht genügend vernetzt, um das schon überall gewährleisten zu können. Also müssen wir laufen.“

Seto biss die Zähne zusammen und ließ seine unterdrückte Wut an einem Moskito aus, der so dumm gewesen war, sich auf seinem Arm niederzulassen. Vermutlich würde Mokuba es nicht allzu gut aufnehmen, wenn er einem seiner Dates gegenüber handgreiflich wurde, selbst wenn das nur virtuell geschah.

Erschreckend, wie befriedigend so ein kleiner Blutfleck auf dem Ärmel sein konnte.

“Wie nennst du dieses vorsintflutliche Fegefeuer von einer Welt überhaupt? Greentopia?“

“Sie hat noch keinen Namen. Aber das ist gar keine schlechte Idee, weißt du.“

Das Mädchen sollte dringendst seine Sarkasmus-Sensoren neu justieren lassen.
 

Zuerst war er sich nicht sicher, ob seine Augen vielleicht verrückt spielten – es war bestimmt ungesund, so lange nichts als grün zu sehen –, als sich vor ihnen im Gehölz eine Lücke auftat, durch die tatsächlich ein paar andere Spektren der Farbpalette sichtbar wurden: ein Stück Himmel in einem Blauton, den man nur als mitternachtsblau bezeichnen konnte, der aber dennoch immer noch eingefasst wurde von einem fast obszön knalligen Streifen himbeerrosa, das alles gesprenkelt mit ein paar Flecken dunkelstem, schmutzigstem Kompost-Braun, die offenbar Häuser darstellen sollten. Je näher sie dem Waldrand jedoch kamen, desto klarer wurde, dass Seto sich nicht getäuscht hatte, und bald kam er neben Rebecca unter den Zweigen der letzten Bäume zum Stehen. Sie sah geradezu aufreizend entspannt aus, so als hätte sie gerade nur einen kleinen Spaziergang gemacht, während Seto deutlich merkte, wie ihm unter der Rüstung der Schweiß an der Haut hinabrann, und ein unangenehmes Drücken spürte, wo sein Schwertgürtel auf der Hüfte lag. Wenigstens sein Atem ging noch gleichmäßig, schließlich war er alles andere als erpicht darauf, zu zeigen, wie ihn dieser Marsch mitgenommen hatte.

Sie hat an die realistischen kleinen Details gedacht, das lässt sich nicht leugnen.

„Ich denke, wir müssen da hoch“, verkündete Rebecca gelassen und zog einen Stoffstreifen aus ihrer Tasche, mit dem sie sich das wild um ihr Gesicht hängende Haar zurückband. Ein Nicken ihrerseits ließ Seto ein Stückchen nach links schauen, wo sich eine Art Trampelpfad einen Hügel hinaufschlängelte, der gekrönt wurde von einem Gebäude, das ganz und gar nicht in diese Welt zu passen schien.

„Eine Sternwarte? Was zum Henker bringt dich auf die Idee, wir könnten dort dein Schoßvieh finden, sagtest du nicht, es wäre entführt worden?“

Offensichtlich dachte Rebecca einen Augenblick lang darüber nach, ihm für diese Bezeichnung ihres überdimensionalen Kriechtiers einmal kräftig die Meinung zu sagen, entschied dann aber – richtigerweise – dass das nichts bringen würde.

„Nun ja, ich dachte einfach, ein Schloss oder eine Höhle wären ein bisschen langweilig, oder? Das ist doch genau das, was man von dem Bösewicht eines Mittelalterspiels erwartet. Also hab ich das hier erfunden: Das Observatorium von Othello dem Obskuren.“
 

Alliterationen.

Knirschend biss Seto die Zähne aufeinander.

Nicht aufregen. Es kann schließlich nicht mehr lange dauern, bis dieses wahrgewordene Klischee der Verangenheit angehört. Wir müssen doch inzwischen schon bestimmt zwei Stunden hier sein.

„Also gut, dann bringen wir´s hinter uns.“ In Gedanken setzte er hinzu: Je schneller, desto besser.

Sie stapften den Trampelpfad nach oben, allerdings schien der kurze Anstieg nach dem Marsch zuvor geradezu lächerlich wenig anstrengend. Es dauerte nicht lange und Seto fand sich mit seiner ungewohnten Begleitung vor dem Eingangsportal der Sternwarte wieder. Er fand es nach wie vor irritierend, mit einer Sechzehnjährigen unterwegs zu sein, die so abrupt um gut zehn Jahre gealtert war, aber vermutlich, ging ihm auf einmal auf, war das gar nicht so schlecht. Obwohl sie ja niemals übergewichtig gewesen war, wirkte Rebecca in ihrem digitalen Körper doch wesentlich sportlicher als im realen Leben – und das konnte schließlich nicht schlecht sein, wenn es hier zu einem Kampf kommen sollte. Nicht, dass er sich in wirklicher Gefahr wähnte, aber so, wie er Rebeccas Simulation bisher kennen gelernt hatte, würde er es durchaus vorziehen, diese Geschichte schnell über die Bühne zu bringen, um sich schmerzhafte Kampfsituationen zu ersparen.
 

“Das hier solltest du lieber bereithalten“, meinte Rebecca mit Blick auf das protzige Schwert, das nach wie vor an Setos Seite hing.

Insgeheim bezweifelte er, dass diese Strategie irgendwelche Wirkung zeigen würde, denn obwohl er zu Zeiten des verstorbenen Gozaburo Kaiba einige Fechtstunden gehabt hatte, mit dieser sehr viel schwereren Waffe würde er wohl kaum umgehen können. Allerdings beabsichtigte er nicht, Rebecca dieses Defizit unter die Nase zu reiben, zog also wortlos das Schwert aus der Scheide und hielt es in einer Position, die für ihn halbwegs kampfbereit wirkte, und betrat hinter Rebecca das Gebäude, nachdem sie die Tür aufgestoßen hatte.

Drinnen war es still wie in einer Kirche, schwer zu glauben, dass dies der Ort einer Entführung sein sollte. Staubiges Mondlicht fiel durch viele kleine, bunte Scheiben knapp drei Meter über dem Boden, und in so großer Höhe, dass sie nicht größer wirkte als ein Handteller, wölbte sich eine gläserne Kuppel über ihnen. Ansonsten gab es hier keine Fenster, was dem Innenraum des Observatoriums eine äußerst düstere Atmosphäre gab. Von der Mitte des Raumes aus schlängelte sich eine enge Wendeltreppe aus kunstvoll geformten Metallstäben kuppelwärts, und als Seto den Kopf in den Nacken legte, entdeckte er, dass es etwa auf halber Höhe des Raumes noch einmal eine Art Stockwerk gab, oder besser, eine breite Galerie aus Stein, die einmal im Kreis herumführte.

Rebecca bewegte sich auf die Treppe zu, offenbar mit dem Ziel, sie hinaufzusteigen. War sie wirklich so naiv, einem potentiellen Feind auf diesem schmalen Grat entgegenzulaufen?
 

WUSCH!

Seto zuckte jäh zusammen und vergaß für einen Moment all seine Überlegungen, wie sich dieser Raum taktisch günstig oder ungünstig ausnutzen ließe, als zwischen ihm und Rebecca eine hochaufgerichtete Gestalt so geschmeidig landete, als sei sie eine Katze, die gerade vom Tisch gesprungen war.

Alles, was diesen Eindruck störte, war die Tatsache, dass der Tisch – die Galerie – sich in etwa fünfundzwanzig Metern Höhe befand und das Wesen, das da soeben gelandet war, einer Katze nicht im Mindesten glich. Sie war ganz eindeutig menschlich, wirkte aber seltsam unausgereift, steif in ihren Bewegungen und unnatürlich im Körperbau, auch wenn dieser von einem weiten Umhang und einer Kaputze weitgehend verborgen wurde.

Endlich. Ich dachte schon, ihr elenden Feiglinge würdet überhaupt nicht mehr hier auftauchen.

Verwirrt blinzelte Seto, als die Worte giftgrün in seinem Sichtfeld aufflammten, und die Schrift verschwand. Im selben Augenblick wurde ihm klar, dass er offenbar für einen Augenblick vergessen hatte, dass er sich in einem Spiel befand, und diese Situation tatsächlich für real gehalten hatte.

„Mist! Ich hatte ganz vergessen, dass das hier alles noch so unausgereift ist... Anscheinend habe ich noch keine Sprachfunktion für ihn angelegt!“, hörte er Rebecca zu ihm hinüberrufen. „Na, das sollte uns die Arbeit erleichtern...“

Stellt euch meiner Übermacht und kämpft, wenn ihr nicht als wimmernde Würmer sterben wollt!

„Die Stimme ist eindeutig nicht das Einzige, woran du bei diesem Typen gespart hast“, gab Seto verächtlich zurück. „Als ob es nicht reichen würde, dass er sich ausdrückt wie der reinste Stereotypen-Bösewicht, er merkt ja noch nicht mal, wenn man von ihm spri- WOHA!“
 

Völlig ohne Vorwarnung peitschte ihm aus der ausgestreckten Fingerspitze des Magiers ein grün-pink flammender Strahl entgegen, dem Seto nur um Haaresbreite entkam, weil er sich instinktiv duckte und die Klinge über den Kopf riss, sodass der Zauber an seinem Schwert abprallte und stattdessen in Rebeccas Richtung davonsauste. Die allerdings hatte die Sekunden, in denen ihr Gegner abgelenkt gewesen war, bereits genutzt, und war mit geübten Sprüngen die Wendeltreppe nach oben geeilt. Beinahe jedoch wäre sie rückwärts wieder hinabgefallen, als kurz darauf das Gestänge von einer geballten Ladung Magie getroffen und aus seinen unteren Halterungen gerissen wurde. Im Stillen musste sich Seto wundern, dass sie es nicht nur geschafft hatte, sich weiter festzuhalten, sondern außerdem kaum eine Sekunde brauchte, um sich wieder zu erholen und weiterzulaufen, jetzt auf gefährlich schwankendem Untergrund.

„Saltimbocca! Bist du da oben? Warte, ich komm dich holen.“ Offensichtlich dachte sie überhaupt nicht mehr daran, dass sie ihrem selbstkreierten Antagonisten als Zielscheibe dienen könnte.
 

Dieser stieß sich jetzt vom Boden ab und katapultierte sich so aus dem Stand wesentlich schneller zurück auf die Galerie, als irgendjemand hoffen konnte, dasselbe Ergebnis durch Treppensteigen zu erzielen.

Na Klasse. Schon wieder rennen.

Seufzend ließ Seto das Schwert sinken, das sich in seinen Händen inzwischen unangenehm heiß anfühlte, und kletterte Rebecca widerstrebend nach.
 

Sehr zu seiner Überraschung wurde keiner von ihnen angegriffen, während sie sich auf der instabilen Konstruktion, die einmal eine Treppe gewesen war, nach oben vorarbeiteten, und als er oben ankam, standen sowohl Rebecca als auch Othello nur abwartend da. Erst als Seto die Galerie betrat, auf der seltsamer, glitzernder Staub seine Schritte dämpfte, kam schlagartig wieder Leben in die Szene.
 

Wie ich sehe, habt ihr es geschafft, meinen geheimen Unterschlupf zu infiltrieren, ihr Bastarde.

Aha.

Ganz offenbar die unvermeidliche Sequenz „Bösewicht unterhält seine Feinde mit seitenlangen Monologen“.

Laut schnaubte Seto: „Geheim? Dieses Ding hier könnte nicht einmal eine Neunzigjährige ohne Sehhilfe aus zehn Kilometern Entfernung übersehen!“

Leider war seine bildhafte Ausdrucksweise an den wenig komplex generierten Magier völlig verschwendet, er drehte nicht einmal den Kopf, um Seto wirklich anzusehen, sondern starrte weiterhin auf den leeren Platz zwischen ihm und Rebecca, weil er sich offenbar nicht entscheiden konnte, welchen seiner Gegenspieler er ansehen sollte. Stattdessen hob der Zauberer jetzt die Hände und streifte die Kaputze zurück. Obwohl er sich für abgehärtet gehalten hatte, zuckte Seto beim Anblick des rohen Fleischklumpens, der darunter zum Vorschein kam, unwillkürlich zusammen, bevor ihm klar wurde, dass er es nicht mit einer schrecklichen genetischen Deformation zu tun hatte, sondern mit einem leeren menschlichen Schädel, überzogen mit farbloser Haut, aber weder mit Haaren noch sonst einem Organ ausgestattet, einfach, weil er noch nicht zu Ende programmiert war.

Das erklärt zumindest, warum er nicht sprechen kann.

Macht euch bereit, eurem Ende entgegenzugehen!“
 

Ein weiterer Lichtstrahl schoss aus einem seiner Finger hervor, doch diesmal schien es Othello nicht auf einen von ihnen abgesehen zu haben, denn der Zauber zischte an ihnen vorbei, wirbelte einiges von dem herumliegenden Staub auf und schlängelte sich darum, woraufhin sich in Sekundenschnelle eine funkelnde, grauschwarze Mauer dort aufbaute, wo bisher der Durchgang zur Treppe gewesen war.

Abrupt wandte sich der Magier ab und begann, die Fingerspitzen aneinandergelegt, die Galerie abzuschreiten. Seto vermutete, er hätte auch noch gemurmelt, wäre er dazu in der Lage gewesen. Das war es allerdings nicht, was seine Aufmerksamkeit jetzt auf sich lenkte.
 

Mit durchdringendem Sirren schoss aus einer Mauerniesche ein türkisfarbiges, plüschiges Etwas hervor, über dessen fliegendem Körper silbrige Flügel glitzerten, drehte eine pfeilschnelle Runde durch den Raum und umkreiste dann Rebecca wie ein Hündchen, das sich über die Heimkehr seines Herrchens freut. Ein sehr buntes, fliegendes Hündchen, um genau zu sein. Zu allem Überfluss stupste die geflügelte Raupe – denn nichts anderes war das Tier bei näherem Hinsehen – der Blondine jetzt auch noch liebevoll ins Gesicht, als wollte sie sie mit einer nicht vorhandenen Zunge ablecken.

„Schon gut, Saltimbocca, ich freu mich ja auch, dich zu sehen“, lachte Setos Blind Date, und schien für einen Moment ganz vergessen zu haben, dass sie sich noch immer in einer Kampfsituation befanden.

Kaum hatte er dies allerdings missbilligend bemerkt, als auch aus Setos Gedächtnis diese Tatsache für den Augenblick verdränkt wurde. Das Tier hatte angefangen, zu sprechen! Zugegeben, seine Stimme klang immer noch sehr nach dem Pfeifen, das Seto Stunden zuvor bei seinem entfernten Verwandten gehört hatte, aber sie bildete eindeutig Worte.

„Wurde auch Zeit, glaubst du, ich habe Lust, hier zu vermodern? Im übertragenen Sinn gesprochen, natürlich. He du, was kuckst du so blöd? Noch nie ein Videospiel mit ungewöhnlichen Geschöpfen gespielt? Nach allem, was Rebecca so über dich abspeichert, hätte ich dich wirklich für intelligenter gehalten.“

Seto war zu verdutzt über diese plötzliche Ansprache, um irgendetwas zu erwiedern.

“Was sie über dich abspeichert?“

Was zum Teufel sollte denn das nun wieder bedeuten? Sammelte Rebecca etwa irgendwelche geheimen Daten über ihn? Es wäre ihr zuzutrauen, schließlich wäre das nicht das erste Mal, dass sie sich in sein System hackte.

Verdammtes frühreifes Wunderkind.

Allerdings erklärte das immer noch nicht, warum dieses Vieh davon wusste. Schließlich konnte es wohl kaum sein Spiel verlassen und anderswo in Rebeccas System zu einem Spaziergang aufbrechen.
 

„Was ist, hat´s dir die Sprache verschlagen? Na so ein Unglück. Dabei wäre das doch hier beinah die Erfüllung all ihrer Träume.“

Jetzt schien es nicht mehr nur Seto die Worte genommen zu haben, sondern auch Rebecca. Allerdings wirkte sie nicht verblüfft, sondern vielmehr peinlich berührt, ja, sie schien sogar rot angelaufen zu sein. Hastig streckte sie die Hände nach ihrem Maskottchen aus und versuchte, es einzufangen, aber Saltimbocca wich ihr geschickt aus.

Rebecca lief ihr nach...

„Vorsicht!“

Doch Setos Ruf kam zu spät, in den paar Sekunden, die er gebraucht hatte, um Rebecca zu warnen, war der Fußboden unter ihr bereits zerbröckelt und sie stürzte in die schwarzen Tiefen hinab.

Seto starrte noch immer auf den so plötzlich auf einem Streifen eingebrochenen Fußboden (offenbar war überall dort, wo Othello zuvor geschritten war, der Stein brüchig und spröde geworden), als von unten ein magenumdrehendes Hybridgeräusch aus dumpfem Knall und feuchtem Flatschen ertönte.

Das war das Letzte, was Seto wahrnahm, bevor seine Sicht von unglaublich vielen giftgrünen Buchstaben versperrt wurde.
 

Ahahahahahahahaa.... hihihihihi.................... Ahahahahahahahaa.... hihihihihi.................... Ahahahahahahahaa.... hihihihihi.................... Ahahahahahahahaa.... hihihihihi.................... Ahahahahahahahaa.... hihihihihi.................... Ahahahahahahahaa.... hihihihihi.................... Ahahahahahahahaa.... hihihihihi.................... Ahahahahahahahaa.... hihihihihi.................... Ahahahahahahahaa.... hihihihihi....................

Ahahahahahahahaa.... hihihihihi.................... Ahahahahahahahaa.... hihihihihi.................... Ahahahahahahahaa.... hihihihihi....................
 

„Ja, schon gut, ich hab´s verstanden, du ekelhafter Saftsack!“, fuhr Seto den Zauberer an, der nun wieder hinter ihm stand und offenbar das Gefühl genoss, einen seiner Gegner ausgeschaltet – Seto musste sich zwingen, nicht „ausradiert“ zu denken – zu haben. Noch immer kämpfte er gegen die Übelkeit an, die ihn bei Rebeccas Aufprall überfallen hatte. Was es wohl für eine Auswirkung hatte, wenn man in diesem Spiel starb? Sicherlich war sie körperlich noch unversehrt, aber angenehm konnte das nicht gewesen sein... und wie sollte er ohne Rebecca hier wieder rauskommen? Noch immer war die schlecht generierte Figur vor ihm damit beschäftigt, zu lachen, und Seto musste heftig blinzeln, um seine Sicht buchstabenfrei zu halten. Das Schwert in seiner Hand zitterte und schien zu glühen, aber Seto war nicht sicher, ob es sich selbstständig gemacht hatte oder er seine nächste Handlung einem weiteren Reflex zu verdanken hatte...

Einen Moment später steckte es bis zum Heft im Körper von Othello dem Obskuren, der dankenswerterweise nicht anfing zu bluten, sondern nach einem Moment der ungläubigen Starre in viele, schimmernde Einzelteile zerstob und eine Sekunde darauf völlig verschwunden war.
 


 

Als er wieder am Fuß der Treppe ankam, umschwirrte Saltimbocca den seltsam verrenkt daliegenden Körper ihrer Herrin, allerdings wirkte sie auf Seto nicht unbedingt aufgeregt, eher gelassen oder vielleicht sogar fast gelangweilt, obwohl er beim besten Willen nicht sagen konnte, woran er das bei einer Raupe festmachte.

„Ist sie…?“

Seine Stimme klang seltsam belegt und er wagte nicht, die Frage zu Ende zu führen. So kannte er sich ja gar nicht! Aber schließlich sah er auch nicht jeden Tag alte Bekannte aus fünfundzwanzig Metern Höhe in den Tod stürzen… und dass sich ihm jetzt unwillkürlich die Frage aufdrängte, ob es wohl ähnlich geklungen hatte, als Gozaburo Kaiba sich mit einem Sprung aus dem Fenster seiner eigenen Firma das Leben genommen hatte, tat auch nichts dazu, seinen aufgewühlten Magen wieder zu beruhigen.
 

„Ach was!“, pfiff ihn die knallig türkise Raupe halb genervt, halb fröhlich an und ließ sich auf seiner Schulter nieder. Es wäre Seto lieber gewesen, sie hätte das gelassen, aber er wusste auch nicht so recht, wie er das Geschöpf wieder abschütteln sollte, ohne ihm irgendwie Schaden zuzufügen. Im Moment jedenfalls, so kam es ihm vor, gab es schon genug Zerstörung in dieser Welt, da musste er nicht noch weiter dazu beitragen.

„Aber sie wird sich natürlich freuen, zu hören, dass du dich um sie sorgst… überhaupt, bemerkenswerte Ähnlichkeit hat das alles hier mit dem Traum, mit dem sie mich vor ein paar Tagen zugetextet hat. Jetzt schau nicht so, sie wacht gleich wieder auf, ist ja nicht so, als wäre sie an die Welt hier gebunden.“

Nun, das war zumindest schon mal eine halbwegs gute Neuigkeit. Schließlich hatte er kein Interesse daran, hier noch länger festzustecken. Und irgendwie, sagte ihm das nagende Gefühl in seinem Hinterkopf, war es auch schwer, sich einzureden, dass das alles hier nur ein Videospiel war, wenn man einen so zerschmetterten Körper vor sich hatte. Mühsam riss er sich von Rebeccas Anblick los und versuchte, sich von dem flauen Gefühl in seiner Magengrube abzulenken.
 

„Was heißt, sie hat dich mit einem Traum zugetextet? Ich dachte, sie käme hier her, um irgendwelche seltsamen Abenteuer mit ihrer Truppe zu bestehen… und du bist ihr Maskottchen?“ Dafür, dass es nur ein Pfeifen war, klang Saltimboccas Lachen erschreckend amüsiert.

„Das hat sie dir erzählt, ja? Ach was, ich bin so was wie ihr virtuelles Tagebuch. Sie erzählt mir alles Mögliche, was sie sonst niemandem sagen will… Und meistens geht’s dabei um dich. Hier zum Beispiel, vorgestern.“

„Ach, Saltimbocca…“ Erstaunt wandte sich Seto zu Rebecca um, als er plötzlich ihre Stimme erklingen hörte, aber sie hatte sich noch immer nicht gerührt und wenn er es sich genau überlegte, klang das, was er da hörte, auch verdächtig mitgeschnitten, wie etwa auf einem Anrufbeantworter. Weiterhin bewegte die Raupe den Mund, so als wäre sie es, die die Worte formte. „Wenn ich nur wüsste, was er über mich denkt! Aber bestimmt macht er sich überhaupt keine Gedanken über mich… ist ja auch nicht so, als ob ich viel dafür tue, ihm aufzufallen. Ich träume nur ständig von ihm. Gestern Nacht habe ich geträumt, wir wären zusammen hierher gekommen, er war als Ritter verkleidet und hat mich vor Othello gerettet… und am Ende haben wir uns gek-“

„Saltimbocca, halt die Klappe!“ Diesmal klang die Stimme deutlich echter, wütender und heiserer, tatsächlich war sie außerdem so laut, dass Seto das Ende des Satzes nicht mehr mitbekam, aber er konnte sich ja ohnehin denken, wie er ausgegangen wäre.
 

Er hatte das Gefühl, den Halt zu verlieren, als mit einem Mal die Umgebung verschwand und von einem Farbengemisch aus Rot, Schwarz und Grellweiß ersetzt wurde, das einige Sekunden andauerte, bevor er seinen ganzen Körper ein paar Zentimeter absacken spürte und sich auf einmal bewusst wurde, dass er einen Helm trug. Einen Motorradhelm, um genau zu sein, dafür hatten sich Rüstung und Schwert buchstäblich in Luft aufgelöst.
 

„Ich denke, du gehst jetzt besser“, klang ihm eine sehr verlegene Stimme über die Kopfhörer seines Helms entgegen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von:  neona
2010-03-05T19:11:00+00:00 05.03.2010 20:11
Besser späht als nie XD

Witzig Witzig ^^
Rebecca und Seto, zwei unterschidlich Altrige Genies, treffen aufeinander und einer von denen, was der knüller war, sich in den anderen verliebt.
Das ist ne interesante Idee ^^

Du hast rebecca gut dargeschtällt man erkante sie wider und diese typische virtuelle weit passte wirklich klasse zu ihr wie es Seto zitiert hatte xD Seto hattest du auch gut dargestellt sprich seinen sarkgasmus.

Ein tolles kapitel : )
neona
Von:  Shizuka_chan
2009-08-29T12:50:04+00:00 29.08.2009 14:50
Hey!

Endlich komme ich dazu, das Kapitel zu lesen, sry, lag die Woche mit Fieber flach ...und das im Sommer! -.-

Ich fand das Kapitel toll, besonders die Dialoge von Seto und Rebecca am Anfang. Seto's Art ist super beschrieben, dieser Sarkasmus, herrlich! Auch die Idee mit dem Videospiel ist klasse.

Das Ende ist süß, wo rauskommt, dass Rebecca in Seto verliebt ist. Toll gemacht. =)

Schätze, ich bin jetzt als Nächste dran. Puh, da muss ich mir aber was Gutes einfallen lassen, die Messlatte liegt ganz schön hoch, nachdem was ihr Beiden bisher geschrieben habt.

Liebe Grüße
Shizuka-chan

Von:  Manganime
2009-08-26T19:37:16+00:00 26.08.2009 21:37
LOL, des war ja echt mal zum ablachen! ich hätte nicht gedacht, dass es mal so kommen würde,wenn die beiden sich treffen.. is ja genial ey, vor allem die raupe.. und setos sarkasmus,wirklich gut.. bin froh dass du es doch noch upgeloaded hast.. is wirklich ein glanzstück geworden..
lg
manganime
Von:  Mona-Kaiba
2009-08-26T18:58:34+00:00 26.08.2009 20:58
Hehe...
Böse, böse.
Armer Seto, da wird er erst in die Virtuelle Welt eines Frühreifen Genies gesteckt und muss dann auch noch erfahren, dass selbige von ihm träumt.
Tja, so ist das halt, mit den Blinddates XD

Schönes Kapitel.
Wer ist denn nun als nächster dran?
Von:  corva-chan
2009-08-26T17:40:47+00:00 26.08.2009 19:40
Tja~ha, wenn zwei Freaks aufeinader treffen sag ich da nur. ^.~
Es ist auf jeden Fall toll, dass du weiter geschrieben hast, ich hab die Fanfiction nämlich innerlich schon fast abgeschrieben. Das Kapitel hat mir übrigens auch gut gefallen. Ich denke, du hast die beiden Charaktere ziemlich gut dargestellt hast, obwohl das erste Kapitel ein Bisschen witziger war als dieses. Die Idee mit dem Videospiel war übrigens super. ^^ Ich freu mich auf jeden Fall schon auf das nächste Date.
lG
Corva


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