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Ruhe Sanft

Drama in Zwei Akten
von

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One Shot

Goldener Glanz erhellte die Wiener Oper, im Widerschein der kristallenen Lüster und Spiegel flanierten die Damen und Herren in eleganter Garderobe und grüßten Bekannte. Etwas verloren drückte ich mich in die Nische neben der Sektbar. Nachdem mich der Ober geflissentlich übersehen hatte, wollte ich mich nur noch unsichtbar machen. Das cremefarbene, perlenbestickte Empirekleid mit passender Clutch und Highheels fühlte sich ungewohnt teuer und dekadent an. Die nächtliche Welt des Glanz und Glamour gehörte nicht zu meinem Leben, obwohl ich mir sehr wohl bewusst war, dass mir ein Konto mit circa acht Millionen Euro gehörte, dazu ein französischer Weinkeller und ein Wiener Palais, für das andere gemordet hätten. Doch es interessierte mich nicht.

Als der Kellner ein weiteres Mal mit dem Sekttablett an mir vorbeihastete, wurde der Blick frei auf die enorme Galatreppe. Ein recht korpulenter Mann in den Fünfzigern, am Arm eine schmallippige, schwarzhaarige Dame, bahnte seinen Weg durch die Menge. Er grüßte an allen Ecken und Enden, verbeugte sich und zerrte das Klappergestell an seiner Seite hinter sich her.

Franz Pöschel, Wiens reichster Mann und genialer Unternehmer mit Gattin, steuerte geradewegs auf mich zu. Die herzliche Umarmung und das obligatorische Bussi gehörten seit meiner Kindheit zum festen Begrüßungsritual, ebenso die kühlen Blicke seiner dritten Gattin Monika (die sich seit der Heirat Monique nennen ließ).

„Prinzessin, was für ein wunderschöner Abend!“ Dröhnte er mit seinem sonoren Bass. „Toll dass du kommen konntest.“ Ich lächelte.

„Ich danke dir für die Einladung, Onkel Franz.“ Unruhig strich ich mir die Locken aus der Stirn, während ich die taxierenden Blicke von Monique über meinen Körper wandern spürte. Das Weib war schrecklich, aber wenn sich Franz von ihr trennen würde, fiele ihr eine enorme Abfindung zu, und egal wie reich ihr Gatte war, sein Geld war ihm heilig.

Er war nicht mein richtiger Onkel, aber der beste Freund meines viel zu früh verstorbenen Vaters. Franz, der Junge aus der Arbeiterschicht mit der Geschäftsidee, und mein Vater, der Aristokrat mit dem nötigen Startkapital. Zusammen hatten sie eine mächtige Firma gegründet, die nun Franz und mir zu gleichen Teilen gehörte.

„Franz, lass uns gehen. Ich will in die Loge.“ Näselte Monique. Ihre neue Nase war wirklich kein Glücksgriff und den derben Dialekt samt den schlechten Zähnen konnte sie kaum hinter den aufgespritzten Lippen verstecken.

Während wir lautlos auf dem hochflorigen Teppich dahin glitten hing ich meinen eigenen Gedanken nach. Man sagte sich, er würde hier sein. Der große Unbekannte, das fehlende Stück in meinem Puzzle. Zu der Pöschel’schen Loge drang das Stimmen der Orchestermusiker im schummrigen Halbdunkel weit unter uns. Stimmengewirr und leises Lachen mischte sich unter die zaghaften Akkorde.

Die Lichter erloschen, und bei den ersten Takten von Beethovens ‚Egmont’ vergaß ich für einen wunderschönen, kurzen Augenblick meine Sorgen.

Gewaltig und stürmisch schwebten die Klänge durch den Saal, hallten von den goldenen Stuckdecken und hafteten an rotsamtenen Vorhängen und den schimmernden Tapeten. Meine Hände umklammerten das winzige Handtäschchen, das ich immer fürchtete zu verlieren. Behutsam öffnete ich den silbernen Verschluss, hoffte, dass das leise Klicken niemanden gestört hatte und tastete nach der Waffe. Kühl und schwer lag sie in meiner Hand, ein Miniaturrevolver aus Silber, von unschätzbarem Wert. Seine Trommel hielt nur eine einzige Kugel, ich hatte nur einen Schuss. Monique neben mir ächzte und versuchte vergeblich das Opernglas so aufzuklappen, dass es im rechten Winkel stehen blieb, stattdessen hielt sie einfach die ganze Zeit den Kopf schief. Franz hatte die Augen geschlossen und war tief in seinen Sessel gerutscht. Der perfekte Augenblick.

Ich spannte den Revolver bedächtig, legte den Sicherungshahn zurück und überprüfte noch einmal den Lauf. Dann ließ ich die Waffe wieder in ihre cremefarbene Hülle rutschen. Möge der erste Akt beginnen.
 

Die letzten Akkorde klangen mir noch im Ohr, als sich die Türen der Logen öffneten. Franz verharrte noch immer in seiner Position, anscheinend war er eingeschlafen. Monique ließ mit einem Schnurren das Opernglas in sich zusammenfallen und erhob sich (wie sie meinte) grazil vom roten Polster. Gerade noch rechtzeitig schlüpfte ich durch die Tür ins Halbdunkel der Loge.

„Schön, nicht wahr?“ Fragte ich leise ins Nichts.
 

„Hilfe! Zu Hilfe!“ Plötzlich wurde es totenstill im belebten Foyer. Aufgeregte Schreie und ein herzzerreißendes Schluchzen drangen aus Richtung der Männetoiletten zu den Operngästen. Hastig hakte ich mich bei Franz unter und zog ihn zum Ausgang. Man hatte ihn also gefunden.

„Was ist denn passiert?“ Wollte er wissen, und drehte sich wieder um.

„Ach, da ist nur eine Dame ohnmächtig geworden. Wahrscheinlich ein bisserl zu viel Schampus getrunken und dann in der stickigen Luft da drinnen ohnmächtig geworden. So was passiert schon mal.“

Mit einem letzten Blick auf die Menge stieg er die Stufen auf den Opernplatz hinunter, wo auch schon sein Fahrer wartete. Anscheinend hatte er meine Lüge geschluckt.

„Ach, ich möchte, dass du noch jemanden kennen lernst.“ Mit seiner fleischigen Pranke winkte er einen jungen Mann heran.

Mir gefror das Blut in den Adern. Dieses Gesicht, diese Haare, das süffisante Lächeln - hatten nicht diese stahlblauen Augen mich im Todeskampf angestarrt?

„Nannerl, das ist András Gyula Esterházy. Aus der Familie der berühmten Esterházy.“

„Erfreut.“ Murmelte die samtweiche Stimme und eine eiskalte Hand führte die meine zu eiskalten, aber wunderschönen Lippen. Hatte er mich nicht erkannt? Keine Witterung aufgenommen?

Franz klopfte dem jungen Aristokraten auf die Schulter und lachte. „Darf ich vorstellen? Das ist…“

„Charlotte, eine Freundin aus Paris. Ich bin für ein paar Tage hier in Wien.“ Verdutzt starrte mich der alte Pöschel an. Und dann versank ich in diesen Augen.
 

„Mama! Papa!“ Ich weine. Der furchtbare Schmerz durchflutet meinen Körper, ich stehe in Flammen. Blut, es riecht nach Blut, überall ist Blut. Die blassen Leichen meiner Familie liegen wie Puppen achtlos hingeworfen in unserem Palais. „Mamaaaa!“ Sie soll machen, dass die Schmerzen aufhören… aber sie ist tot. Der Mann mit den wunderschönen Augen sieht mich an, ich werde immer schwächer, er soll mir helfen! Dann lacht er und verschwindet.
 

Wie ein Raubtier hypnotisierte András seine Beute. Aber heute Abend würde ich der Sieger sein, endlich meinen großartigen Plan vollenden. Es fehlte nur noch ein winziger Schritt.

„Graf Esterházy, ich würde diese Nacht so gerne noch genießen. Warum begleiten Sie uns nicht?

Immer noch völlig verwirrt nickte Franz. Monique lächelte András aufreizend zu und verzog ihre kirschroten Lippen zu einem Schmollmund.

„Sehr gern.“ Seine Stimme – flüssiges Gold.

Im Wagen ließ Monique ihr Kleid hoch und höher rutschen, doch András hatte nur Augen für mich, seine schwarzen Haare schimmerten im Dunkeln und das weiße Gesicht mit den schönsten Lippen der Welt wandte sich nicht mehr von mir ab, bis der Rolls Royce lautlos die Auffahrt zum Pöschel’schen Anwesen hoch kroch.
 

„Wie schön Sie es hier haben…“ murmelte András Franz zu. Der Millionär schaltete das Licht im Salon ein und ließ sich in seinen Lieblingssessel fallen. „Ich liebe dieses Haus. Ein Juwel.“ Die Whiskeyflasche griffbereit sah er versonnen aus dem Fenster in die glitzernde Wiener Nacht hinunter.

Monique schnurrte wie ein Kätzchen und konnte ihre Finger kaum von dem Grafen nehmen. Wie ich sie hasste! Doch vielmehr als der Hass auf Monique kochte in mir die Angst. Ich hatte den falschen getroffen, irgendein Unbekannter lag jetzt tot in der Oper. Konnte ich es mit András aufnehmen? Er war so viel stärker als ich. Und wenn er mich bis jetzt noch nicht gewittert hatte, irgendwann würde er es tun.

Schmollend drehte Monique die Musik auf. „Tanzen Sie?“ krächzte sie verführerisch in seine Richtung.

„Aber ja…“ Flüsterte András, und bevor ich mich wehren konnte, hatte er mir den Arm um die Taille gelegt und wirbelte mich einem jungen Gott gleich durch den Salon. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Monique beleidigt ihre Pumps in die Ecke stieß und den Salon verließ. Schließlich knallte oben die Schlafzimmertür. Sie machte es mir leichter als ich gedacht hatte.

Franz erhob sich. „Ich gehe kurz telefonieren.“ Er verließ den Salon Richtung Arbeitszimmer.
 

„Wie lange sind Sie schon in Wien?“

Ich beschloss meine Rolle als Charlotte weiter zu spielen. „Seit ein paar Tagen erst. Diese Stadt ist so wunderbar melancholisch, finden Sie nicht auch?“

„Man sagt, sie sei die Stadt des Todes.“ Fügte er lächelnd an. Wie wahr, dachte ich.

„Ich hoffe nicht, dass ich hier sterbe.“ Hatte er plötzlich Witterung aufgenommen? Er versteifte sich, rückte ein Stück ab von mir. Doch dann war mir klar, dass er sich gerade entschieden hatte, mich nicht zu töten, solange Franz noch im Erdgeschoss war. Er würde warten.

„Entschuldigen Sie mich einen Augenblick?“ Ich schlug kokett die Augen auf und ging Richtung Tür. Er wurde nervös, ich konnte seine Anspannung spüren.
 

Während ich den menschenleeren Flur entlangging fuhr ich mit der Fingerspitze immer wieder über die Sichelförmige Narbe am linken Handgelenk. Die Bewegung wirkte beruhigend.

Beruhigend war auch, dass ich mir um meine Zukunft keine Sorgen mehr machen musste. Franz, das hatte ich erfahren, bedachte mich in seinem Testament so großzügig, dass ich nie mehr würde arbeiten müssen, er hinterließ mir sein Geld, den Schmuck, den er seiner Frau geschenkt hatte, und das Stadtpalais.

Meine einzige Sorge galt András. Die lächerlich einfache Antwort kam mir, als ich den Whiskey umrührte, aus dem Monique vorhin getrunken hatte. Ich wischte vorsichtig ihren Lippenstift vom Glas und hörte das leise Zischen und Sprudeln, als sich das Pulver in der bernsteinfarbenen Flüssigkeit auflöste. Wohl bekomm’s, Onkel Franz…
 

András widerstand den Waffen einer Frau nicht. Längst waren mir seine Absichten klar geworden, ich war sein Opfer für diese Nacht, sein Spielzeug. Und ich fügte mich in meine Rolle. Gab mich nichts ahnend und unschuldig, was seinen Jagdtrieb anfachte. Dreihundert Jahre alt, und doch so leicht zu täuschen, dachte ich bei mir.

Schließlich spürte ich seinen Mund an meinem Hals. Immer noch ahnungslos küsste er die weiche Stelle über meinem Schlüsselbein.

„Du wirst mich töten…“ Seufzte ich und genoss die letzten Sekunden dieses Spiels. „Nein…“ hauchte er. „Ich schenke dir ein neues, ewiges Leben.“

„Das hast du schon getan.“ Eine Träne rollte über meine Wange, und bevor er reagieren konnte, hatte ich meine Zähne bereits tief in seinem Hals vergraben. Panisch schlug er um sich, doch mein Hunger war stärker als seine Wut.
 

Gegen Morgengrauen verließ ich den Salon. Ein silbernes Häuflein Asche zeugte noch von dem einst so mächtigen András Gyula Esterházy, dem Mörder meiner Familie. Jene Nacht, in der er mich gebissen und leider nicht getötet hatte, war ihm nun selbst zum Verhängnis geworden.

Leise schlich ich mich aus dem Salon zum Arbeitszimmer. Franz lag da wie ich ihn verlassen hatte – bleich und wächsern über seinen schweren Schreibtisch gebeugt, eine fleischige Pranke nach dem Whiskeyglas ausgestreckt, auf dem zweifelsohne Moniques Fingerabdrücke waren, die andere schlaff und leblos auf dem Schoß. Du hattest den Mörder meines Vaters bestellt, um auch noch an sein Geld zu kommen. Ruhe sanft, Verräter…

Ruhig und gelassen verließ ich das prächtige Palais als reichste Frau Wiens. Die frische, kühle Morgenluft verdrängte den säuerlichen Gestank der Verwesung, der sich hinter mir ausbreitete. Eine Amsel sang. Ich leckte mir den letzten Blutstropfen von den Zähnen und schritt gemächlich die Auffahrt hinunter. Ruhe sanft.



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