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bokura no niji

von

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deafness, even in my heart

01.1 ~ deafness, even in my heart
 

9. September 2000
 

So viele Stimmen um ihn herum...was war passiert? War das...die Sirene eines Krankenwagen? Warum konnte er es nicht sicher sagen? Alles um ihn herum drang irgendwie nur noch gedämpft zu ihm durch, als hätte jemand versucht, ein Kissen in seine Ohren zu stopfen. Er konnte regelrecht den Druck spüren, der auf seinem rechten Ohr lastete, während er sein linkes Ohr fast gar nicht mehr spürte. Panik machte sich in ihm breit, kämpfte gegen das watteartige Gefühl eines Schwindelanfalls an. Der Kampf wurde haushoch verloren.

Doch noch in dem Augenblick, in dem er bewusstlos wurde, erkannte Kyo, was dies alles zu bedeuten hatte. Es war erst ihr erstes Konzert dieser Tour gewesen. Eigentlich hätte er nun nach Hause fahren und schlafen gehen können. Aber seine Erschöpfung war zu groß gewesen, er hatte es nicht bis dahin ausgehalten. Und nun würde es mal wieder Schwierigkeiten wegen ihm geben und Kaoru wäre der Leidtragende. Mit diesem wehmütigen Gedanken versank er in einen traumlosen Schlaf. Hoffend, dass er wenigstens während dieser Zeit das Chaos in seinen Gedanken verdrängen konnte.
 

Es war bereits lange nach Mitternacht, als in einer der Tokyoter Vorstadtvierteln die Leuchtanzeige des Telefons abrupt die Dunkelheit im Wohnzimmer einer kleinen Mietwohnung durchbrach. Ein monotones Klingeln hallte durch die Räume, erreichte auch die in der Küche sitzende Person. Er zuckte lediglich leicht zusammen, entschied sich jedoch schnell dagegen, seinen erst vor kurzem am Tisch eingenommen Sitzplatz wieder zu verlassen. Gedankenverloren starrte er an die Pinnwand ihm gegenüber, gefüllt mit Erledigungen, die er teilweise schon längst hätte tun sollen. Der überquillende Metallmülleimer darunter verkündete ebenfalls traurig von seiner Nachlässigkeit und die wenigen Topfpflanzen seiner Wohnung hatten sich wider ihre Natur genauso herbstlich verfärbt wie die Bäume in den von seiner Wohngegend weit entfernten Parkanlagen Tokios. Im nächsten Augenblick war sein Telefon verstummt, überließ somit den jungen Mann der gewohnten Stille und dem leisen Ticken der Küchenuhr. Sie gab genau jenem Wettlauf den Takt an, den er immer mehr verlor.

Etwa eine Viertelstunde zuvor war er nach Hause gekommen, hatte sich die Schuhe achtlos im Flur ausgezogen und sie zusammen mit seiner Tragetasche in irgendeine Ecke geworfen. Er wusste nicht einmal mehr in welche. Aber das war auch gar nicht so wichtig, denn wenn er am nächsten Morgen wieder aufstand, fand er sie bestimmt schnell wieder. So wie an jedem Tag in den vergangenen zwei Wochen, kam er nur noch nach Hause, um kurz zu schlafen.

Es war gerade generelle Krisenzeit, da war er sich sicher. Nicht nur hatte er zurzeit alle Hände voll damit zutun, seine langsam auseinander fallende Band zusammenzuhalten, nein, seine zwei besten Freunde hatten ebenfalls keine Zeit mehr für ihn. Der eine war mit Dir en grey, seiner Band, auf Tour durch ganz Japan, der andere genauso wie er Tag und Nacht im Proberaum. Nur dessen Band, der er vor kurzem den Namen „Kagerou“ gegeben hatte, war im Gegensatz zu seiner eigenen noch in ihren Anfängen.

Er seufzte, zerzauste frustriert seine blond gebleichten Haare, besah sich dann kritisch seine Hände. Ein Kopfschütteln folgte. Er hatte schon wieder abgenommen, seine Handknochen waren deutlicher sichtbar als noch vor einer Woche. Fluchend über seine schlechten Essgewohnheiten griff er in die Obstschale neben sich, nahm einen Apfel heraus. Vermutlich war dies das noch einzige essbare Lebensmittel in seiner Wohnung, da er lediglich Äpfel regelmäßig frisch einkaufte.

Erneut klang ein Klingelton penetrant durch die Wohnung, diesmal der seines Handys.

Anscheinend war der Anruf wichtig. Oder der Anrufer war einfach nur beharrlich. Und Beharrlichkeit war etwas, das Gara durchaus würdigte.

Ein kurzes Hadern mit sich selbst, seiner eigenen Faulheit, bevor er schließlich aufstand und im Flur nach seiner Tasche sah, in der sein Handy weiterhin klingelte. Die Suche im Dunkeln war dadurch um einiges leichter, sodass er schneller als erwartet den Anruf entgegen nehmen konnte. Kein vorheriger Blick auf das Display – er wusste auch so, dass es nur eine von zwei Personen sein konnte.

"Moshi moshi", meldete er sich seufzend, lehnte sich abwartend gegen die Flurwand.

Lange Zeit Stille am anderen Ende der Leitung. Als sich schließlich doch jemand meldete, hielt Gara unwillkürlich die Luft an, um mit keinem einzigen Geräusch die leise Stimme am anderen Ende der Leitung zu überdecken..

"Entschuldige Makoto, ich hoffe, ich habe dich nicht geweckt..." Ein Schniefen, abgedämpft vermutlich durch den Hemdärmel seines Freundes.

"Du hast mich nicht geweckt, Daisuke-kun," erklärte Gara in einem neutralen Ton, ließ kein Anzeichen von Sorge sich in seiner Stimme bemerkbar machen. Wieder musste er längere Zeit auf eine Weiterführung des Gesprächs warten, dann bekam er die Erklärung für den nächtlichen Anruf.

"Ich...ich bin im Zama Krankenhaus. Kyo-san ist nach dem Konzert zusammengebrochen, niemand weiß genau, wie es ihm geht, wir erfahren nichts, und er schläft anscheinend noch immer..."

Der leicht zweifelhafte Unterton am Schluss entging Gara nur deshalb nicht, weil er selbst ein empörtes Schnauben unterdrücken musste. Er, genauso wie Daisuke, wusste ganz genau, dass Kyo niemals in so einer Situation hätte schlafen können...

„Daisuke,“ sprach er schließlich nach einigem Überlegen seinen Freund ruhig an, wobei er unbewusst in den gleichen leisen Tonfall verfiel. „Ihm geht es schon länger nicht gut, das wissen wir beide. Dass er so nicht lange weitermachen konnte, war klar. Er ist schon öfter zusammengebrochen. Es wird auch diesmal bestimmt nichts Ernstes sein. Beruhige dich also, ja?“

Undeutlich konnte er ein tiefes Durchatmen vernehmen, es schien, als hätte er bewirkt, was er beabsichtigt hatte. Und als Daisuke nun weitersprach, klang er plötzlich wie ein anderer Mensch.

„Kaoru-san wartet mit mir zusammen, ich werde dann wohl wieder zu ihm gehen...“, erklärte er mit dieser ruhigen Stimme, die jedoch um einiges lauter in Garas Ohren widerhallte als die zuvor.

„Tu das,“ meinte er schmunzelnd, bevor sie sich jeweils voneinander verabschiedeten. Lange noch lauschte er dem einsamen Piepton der abgebrochenen Verbindung, während er in Gedanken den anderen vor sich sah. Klein und zierlich. Die langen, dunkelbraunen Haare und das blasse Gesicht mit diesen traurigen, dunklen Augen, die meistens jedoch begeistert strahlten. So sehr, dass man beinahe vergaß, wie zerbrechlich die dazugehörige Person eigentlich war. Es waren Momente wie diese, in denen es Gara erst wieder bewusst wurde. Wenn er Daisuke so leise reden hörte, lief es ihm eiskalt den Rücken runter, denn dies war ebenso eine übliche Seite seines Freundes, wie seine fröhliche Alltagsseite. Trotzdem waren solche Momente selten.

Er wusste, Daisuke war nicht die Art Mensch, der gerne offen um Hilfe bat und somit seine Freunde beunruhigte. Doch genau dies machte Gara manchmal umso größere Sorgen.
 

Als er zurück in den Wartebereich für Besucher der Krankenhausstation kam, erhob sich der einzige Anwesende außer ihm sogleich und erwartete ihn mit einem müden Lächeln. Die langen, dunkelvioletten Haare waren lose zusammengebunden, unter der dicken Herbstjacke trug er bereits Freizeitklamotten. Sicherlich hatte sich Kaoru seinen Abend nach dem Konzert erholender vorgestellt. Daisuke erreichte seinen langjährigen Bekannten und den gleichzeitigen Bandkollegen seines besten Freundes mit einem zurückhaltenden Lächeln. Trotz des selten in der Öffentlichkeit gesehenen, bequemen und für seine Verhältnisse vielleicht fast schon zu unachtsamen Outfits verlor Kaoru kein bisschen seines autoritären Auftretens.

Er stellte keinerlei Fragen, wen Daisuke angerufen hatte, stattdessen versuchte er sich an einem aufmunternden Lächeln, legte dem Jüngeren eine Hand auf die Schulter.

"Die Schwester hat Kyos Eltern endlich erreicht. Sie werden nicht extra kommen, haben aber bewirkt, dass wir wie Familienangehörige behandelt werden." Er machte eine kurze Pause, ließ dem anderen Zeit, sich auf die Erklärung vorzubereiten und seine Sorge etwas zu beruhigen. "Er ist in Ordnung, Daisuke-kun. Er hat lediglich das Bewusstsein verloren, keine innerlichen oder äußerlichen Erkrankungen waren bisher feststellbar. Aber ganz ausschließen kann man es nicht, dafür muss man noch abwarten, bis er wieder aufgewacht ist."

Erleichtert atmete der Braunhaarige aus, befreite sich von den größten Sorgen und ließ sich in einen der Sitze fallen, deutete gleichzeitig dem anderen, seinem Beispiel zu folgen, doch Kaoru hob abwehrend die Hand.

"Du kannst, wenn du möchtest, zu ihm, ich muss zurück zum Hotel und dort nach dem Rechten sehen..."

"Warum kommst du nicht mit zu ihm?" Skepsis machte sich in seiner Stimme bemerkbar, seine Erleichterung über die vorherige Erkenntnis hielt jedoch seine negativen Gefühle weitestgehend zurück.

"Ich muss mich als Bandleader auch um andere Dinge kümmern...", erklärte er ruhig, "Zu wissen, dass er soweit in Ordnung ist, war das wichtigste, was zunächst Vorrang hatte. Wenn du ihn nun als Freund sehen willst, ist das etwas anderes..."

Daisukes Mimik verhärtete sich, aber er beherrschte seine aufkommende Wut. Gerade war ein äußert unpassender Moment, einen Streit zu beginnen. Wenn er sich jetzt noch zusätzlich mit einem Streit belastete, könnte er sich nicht ausschließlich um seinen Freund kümmern. Kyos Wohlbefinden ging vor, das stand für ihn fest. Seine Antipathie gegenüber Kaorus Einstellung müsste sich gedulden. Langsam zur Ruhe kommend schloss er die Augen. Als er sie wieder öffnete, war Kaoru bereits auf den Gang getreten und wartete auf ihn, um sich zu verabschieden. Kurz zuckten Daisukes Mundwinkel, dann erhob er sich langsam, schritt mit bedächtigen Schritten auf den anderen Musiker zu, nicht bereit ihn völlig ohne Kommentar gehen zu lassen. Er nickte ihm zum Abschied zu, beobachtete, wie Kaoru sich wortlos umdrehte und zum Gehen ansetzte, bevor er ruhig und möglichst beherrscht das Wort ergriff.

"Kaoru-san," Angesprochener hielt in der Bewegung inne, wandte sich jedoch nicht mehr um, "Denk einmal darüber nach, warum du die letzten Stunden über hier gesessen bist. Wenn es nicht aus Sorge, sondern nur aufgrund deiner Pflicht als Bandleader war, dann solltest du dich schämen!"

Damit wandte er dem Gehenden ebenfalls den Rücken zu und ging den Gang in die andere Richtung entlang, immer nach der Zimmernummer seines besten Freundes Ausschau haltend.
 

Die Tür öffnete sich geräuschlos, ließ einen schmalen Streifen Licht vom Korridor ins Zimmer fallen. Als Daisuke sie jedoch hinter sich wieder zuzog, blieb in der Dunkelheit nichts als das schwache Display mehrerer medizinischer Apparaturen zurück, wodurch das Zimmer von einem schwachen, leicht grünlichen Dimmlicht erfüllt war.

Er bewegte sich beinahe lautlos auf das Bett zu, blieb unschlüssig daneben stehen und betrachtete zunächst nachdenklich die darin befindliche Person. Die kurzen, blonden Haare waren wie immer völlig verstrubbelt, auf seinem Gesicht zeichneten sich trotz geschlossener Augen nachdenkliche Falten ab und die bleiche Gesichtshaut wirkte unheimlich in dem schwachen Lichtschein, während sich unter der Bettdecke die Umrisse des kleinen Körpers abzeichneten. Sein langjähriger Freund sah erschöpft aus, abgespannt und voll Sorgen, von denen Daisuke bei den meisten sagen konnte, dass sie eigentlich nicht nötig wären. Seufzend ließ er sich schließlich auf der Bettkante nieder.

„Ich weiß, dass du wach bist, Kyo-kun...“

Als Antwort bekam er einzig ein leichtes Grummeln, während der Blonde sich keinen Zentimeter rührte. Doch innerlich arbeitete es in ihm. Normalerweise erkannte er Daisuke schon allein an seinen Schritten, diesmal jedoch war es anders gewesen. Und seine Stimme...er wusste, dass er ihn richtig erkannt hatte, aber sie klang nicht wie sonst...er konnte die einzelnen Wörter kaum voneinander trennen...

Frustriert hob er langsam seinen Kopf an, öffnete widerwillig seine Augen und blickte den anderen besorgt an.

„Was ist?“, wollte dieser sofort durch diese Reaktion verunsichert wissen.

Der Ältere schüttelte lediglich kurz den Kopf, bevor er bemerkte, dass er dadurch leichtes Schwindelgefühl auslöste, und zeigte auffordernd auf einen Kugelschreiber auf dem kleinen Nachttisch. Ohne lange zu überlegen zog Daisuke seine Eintrittskarte vom Abend aus der Hosentasche und gab sie zusammen mit dem Kugelschreiber an den anderen weiter.

Die leere Rückseite verwendend schrieb er in krakeliger Schrift langsam einige Wörter, reichte die Nachricht zögerlich seinem Freund.

Daisuke verstand den Sinn dahinter relativ schnell. Mit einem traurigem Blick aber einem Lächeln auf den Lippen wandte er sich an Kyo, strich ihm kurz beruhigend durch die Haare. Seine Hand zitterte. Stumm formte er mit den Lippen das Wort „Schlaf“, woraufhin Kyo sich mit einem bedrückten Lächeln wieder zurücksinken ließ und ruhig die Augen schloss. Er wusste, dass der Jüngere nun keinen Augenblick in dieser Nacht Ruhe finden könnte. Dass er sich vermutlich schreckliche Sorgen machen würde, egal wie sorglos er versuchte zu erscheinen. Und dass er selbst nun diese Sorge und Hilfe benötigen würde...

Es dauerte nicht lange, da wurden Kyos Atemzüge ruhiger, entspannter. Der Schlaf, den er seit Nachlassen der Wirkung der Beruhigungsmittel nur noch vorgetäuscht hatte, hatte ihn nun übermannt, den sorgenvollen Blick aus seinen Gesichtszügen verschwinden lassen.

Leise erhob sich Daisuke, zog sich einen Stuhl neben das Bett und setzte sich erschöpft nieder, um über den Schlaf seines besten Freundes zu wachen. In Gedanken hörte er klar und schmerzhaft deutlich die unausgesprochenen Worte.
 

Meine Ohren funktionieren nicht mehr richtig...
 

„Eine vorübergehende Beeinträchtigung des Gehörsinnes“. So umschrieben es die ihn behandelnden Ärzte am nächsten Tag, als er sich ihren Untersuchungen stellte. Kyo selbst wäre es lieber gewesen, diesen Zustand erst gar nicht zu benennen. Jedem möglichen Gespräch mit Ärzten, Schwestern oder Kaoru, der auch am nächsten Tag kurz im Krankenhaus erschien, wich er mit einem gleichgültigen Verhalten aus. Selbst Daisuke, zwar der einzige, dessen Gesellschaft Kyo noch duldete, wurde von ihm ungewohnt schroff behandelt und musste immer mehr damit kämpfen, nicht die Geduld zu verlieren.

„Du weißt, was es bedeutet, wenn ich nun nicht mehr singen kann,“ meinte Kyo eines Morgens, als der Jüngere wissen wollte, warum er trotz Kyos Verhalten überhaupt noch weiterhin bei ihm bleiben sollte. Nach diesen Worten forderte Daisuke nie wieder eine Rechtfertigung.

Zwei Tage später wurde Kyo ins Krankenhaus nach Osaka überliefert. Wie lange er dort bleiben müsste und ob sich seine gesundheitliche Lage überhaupt bessern würde, konnte keiner der Ärzte vorhersagen. Doch egal wie sehr ihm diese Diagnose zusetzte, Kyo hatte immer noch genug Sarkasmus, um es amüsant zu finden, dass Kaoru nun die ganze Tour absagen musste und nicht wie sonst ihm vorschreiben konnte, bis wann er wieder auf den Beinen sein musste. Natürlich war diese Maßnahme ein herber Schlag für ihre Fans. Aber gleichzeitig war sich der Sänger bewusst, dass es innerhalb ihres Managements, ja vielleicht sogar Kaoru einbegriffen, niemandem um ihre Fans ging, wenn sie über solche Entscheidungen fluchten. Und diese Einstellung war etwas, das er schon vor Jahren zu hassen gelernt hatte. Tatsächlich kam es wegen und vor dieser Entscheidung zu vielen bösen Worten zwischen den verbliebenen vier Bandmitgliedern, größtenteils zwischen Shinya und Kaoru, jedoch sollte Kyo erst Jahre später von alldem erfahren.
 

„Er hat sich mit Shinya-san zerstritten? Ausgerechnet mit ihm?“ Ungläubig musterte Gara sein Gegenüber, wollte und konnte das eben gesagte nicht ganz verstehen. „Aber die beiden waren doch sonst immer gerade diejenigen, die nie ein schlechtes Wort über den jeweils anderen sagen würden!“

„Das haben sie auch jetzt nicht,“ erklärte Daisuke ruhig, seine Hände umschlossen dabei die Tasse Kaffee auf dem kleinen Tisch vor ihnen. Sie saßen zusammen in der Cafeteria des Krankenhauses, hatten Kyo kurz allein auf seinem Zimmer gelassen.

Es war mehrere Tage her, dass sie nach Osaka zurückgekehrt waren, und inzwischen hatte sich der Zustand des Älteren um einiges gebessert. So hatte er sich auch sichtlich gefreut, als Gara sich an diesem Tag Zeit nahm und ihn im Krankenhaus besuchen kam. Doch als Daisuke am Tag zuvor Shinya erwähnt hatte, der ebenfalls Kyo besuchen wollte, hatte dieser sofort abgeblockt und erst nach vielem unnachgiebigem Fragen hatte er widerwillig zugegeben, dass er mit dem Schlagzeuger eine Art Auseinandersetzung hatte.

„Shinya war immer noch enttäuscht darüber, dass sie die Zusammenarbeit mit Yoshiki-san beenden mussten. Größtenteils gibt er dafür Kyo die Schuld. Und da Kyo zurzeit nichts mehr hasst als dieses Thema, sind die beiden schnell aneinandergeraten. Angeblich ist das ganze aber neutral geblieben.“

„Und warum will er Shinya dann nicht sehen?“

„Nun,“ ein belustigtes Lächeln erschien kurzzeitig auf Daisukes Zügen, „ich vermute mal, er ärgert sich einfach nur darüber, dass dieses Thema überhaupt wieder aufkam.“

Kopfschüttelnd sah Gara in Richtung Treppe, dachte an den älteren Sänger, der ihn damals als Roadie unter seinen Schutz gestellt hatte und ihm über die Jahre hinweg vieles beigebracht hatte. Er respektierte Kyo allein schon deswegen sehr, doch manchmal wusste er nicht genau, was er von seinen Gedankengängen halten sollte.

„Wie steht es um „after effect“? Könnt ihr als Band noch weitermachen?“, wechselte Daisuke das Thema nach ein paar Minuten Schweigen. Garas Stimmung sank augenblicklich noch weiter.

„Es ist unmöglich. Ich hab versucht, was ich konnte, es geht nicht mehr. Vielleicht sollte ich einfach aufhören, Musik zu machen, denn ich scheine jedes Mal alles falsch zu machen“ gab er resignierend zu, sank dabei völlig in sich zusammen.

„Spinnst du?!“, brauste der andere sofort auf, woraufhin er ihn verwundert ansah, „Okay, es ist wieder eine Band von dir gescheitert und du konntest es nicht verhindern. Aber es ist doch nicht deine Schuld! Schließlich wolltest du es verhindern, oder?“

„Natürlich,“ lenkte Gara widerwillig ein, „Aber-“

„Kein „aber“! Solange dein Wille weiterzumachen noch da ist, solltest du nicht darüber nachdenken aufzuhören, nur weil du dafür eine neue Band gründen musst.“ Langsam wurde Daisuke wieder ruhig und steckte sich stumm eine Zigarette an, bevor er weitersprach. „Ich weiß manchmal auch nicht weiter zurzeit. Ruki will aussteigen, aber wir finden so schnell keinen anderen Drummer und haben bereits die Studioräume für die Aufnahme unseres Demotapes im Voraus gemietet. Masaya wird auch von Woche zu Woche komischer. Inzwischen muss ich richtig froh sein, dass Yuana da ist.“

„Yuana?“, zweifelnd betrachtete Gara den Dunkelhaarigen und musste unwillkürlich lächeln, als der andere mit einem hilflosen Lächeln die Achseln zuckte.

„Er ist vielleicht etwas seltsam, aber wenigstens lässt er mich nicht so einfach hängen und zeigt Verständnis – auch wenn ich oft nicht weiß, was er wirklich denkt. Aber ich glaube, wenn wir uns einmal näher kennen gelernt haben, könnten wir gut miteinander auskommen.“

„Wenn du meinst,“ erklärte Gara beinahe lachend. „Mist, jetzt hast du mich aus meinem Loch gezogen!“

„Das war ja auch meine Absicht!“ Zwinkernd gab Daisuke dem anderen einen leichten Schubs und stand auf. „Los, du fährst jetzt zurück nach Tokyo und stellst eine neue Band auf die Beine. Und ich, ach mir wird auch was einfallen. Aber zuerst ruf ich Shinya an, dass er kommen kann.“

„Hältst du das für eine gute Entscheidung?“, meinte der Blonde unsicher, während er langsam der Aufforderung folgte und seinen Platz verließ.

„Nein,“ gab Daisuke nachdenklich zu, „aber für die richtige.“
 

Aufrecht und mit überschlagenen Beinen saß er auf dem einzigen Stuhl im Zimmer, direkt neben dem Krankenbett. Die darin liegende Person hatte ihm den Rücken zugekehrt. Draußen auf dem Gang hörte man immer wieder Personen eilig vorübergehen, ein paar Worte einer aufgeregten Unterhaltung schwappten durch die nur angelehnte Zimmertür herein. Im Raum selbst herrschte Ruhe. Bis Shinya unsicher eine seiner langen Haarsträhnen zwischen den Fingern zwirbelte und zu reden begann.

„Wir haben uns zwar gestern noch gestritten Kyo-kun, aber du sollst wissen, dass ich trotz allem, was ich im Streit gesagt habe, mir Sorgen um dich gemacht hab und noch immer mache.“ Er seufzte, senkte verkrampft seine unruhigen Finger und faltete seine Hände in seinem Schoß. „Es ist schön, dass es dir scheinbar besser geht. Du wirkst ruhig.“ Eine weitere Pause, noch immer keine Reaktion. „Ich weiß, dass du nicht wirklich so ruhig bist. Versuch aber bitte, nicht zu pessimistisch zu sein. Es wird bestimmt irgendwie wieder in Ordnung kommen. Das soll ich dir übrigens auch von Totchi ausrichten. Die lässt dich ebenfalls grüßen und Kaoru, auch wenn er natürlich nichts derartiges geäußert hat, würde es bestimmt auch, wenn er nicht der Auffassung wäre, ein bestimmtes Bild von sich aufrecht erhalten zu müssen. Doch wir wissen ja beide genau, wie er ist.“

Mit einem kleinen Lächeln stand er daraufhin auf, verbeugte sich leicht zum Abschied, obwohl diese Geste weiterhin unbeachtet blieb.

„Gute Besserung, Kyo-kun!“ waren seine Abschiedsworte, bevor er mit ruhigen Schritten das Zimmer verließ, wobei er im Türrahmen zum Gruß Daisuke zunickte, der soeben das Zimmer hatte betreten wollen. Er schloss die Tür hinter sich, ließ damit Shinyas Schritte, die sich kurz mit denen der anderen auf dem Gang vermischt hatten, verstummen.

Langsam drehte sich Kyo im Bett zur Seite, blickte Daisuke stumm an. Sein Blick nachdenklich, die Mimik verschlossen und abweisend.

„Du wolltest ihn wirklich nicht sehen, oder?“, meinte Daisuke seufzend, ließ sich dabei ohne zu fragen auf die Bettkante neben seinen Freund sinken. „Sieh es so: Wenigstens ist er gekommen. Das ist, denke ich, das Wichtigste.“

„Ja, er ist gekommen,“ stimmte ihm Kyo mit einiger Verspätung zu, den Blick auf die verschlossene Tür gerichtet.
 

Die U-Bahn fuhr scheinbar rasend schnell in den Bahnhof ein und war doch bald zum Stillstand gebracht. Mit sich brachte sie den typischen Luftzug mit einem Geruch, den man nur in U-Bahnschächten vorfinden konnte. Ein unbeschreibliches Gefühl ergriff Shinya jedes Mal, wenn er diesen Geruch begleitet von der Geräuschkulisse der Haltestelle wahrnahm. Irgendwie roch es nach Ewigkeit, aber andererseits erschien es ihm kalt und unpersönlich. Diese Massen, die sich tag für tag in den schmalen Abteilen schoben und drängten. Manchmal juckte es ihn direkt in den Fingern, die Notbremse zu ziehen und alle Leute nach dem Grund ihrer Fahrt zu fragen. Nur, damit er nicht länger das Gefühl haben musste, inmitten einer Schar von Puppen zu sein.

Dieses Mal war das Abteil zum Glück verhältnismäßig frei. Dennoch blieb Shinya an einer der Haltestangen stehen anstatt sich wie die anderen Passagiere zu setzen.

Plötzlich ein begeisterter Aufschrei im Abteil. Erschrocken fuhr der Blondhaarige herum, wollte noch schnell die Flucht ergreifen, doch in diesem Moment schlossen sich die Türen des Zuges. Ein Rucken ging durch das Fahrgestell, während Shinya unsicher in Richtung der Mädchen blickte, die geschrieen hatten. Hoffentlich waren es keine Fans, alles, nur bitte keine hysterischen Fans. Das war das letzte, was er an diesem Tag hätte ertragen können.

Doch die befürchtete weitere Reaktion der Mädchen blieb aus. Niemand hatte ihn erkannt. Sie hatten sich lediglich gemeinsam über ein Handy gebeugt und lasen lachend die SMS irgendeines anderen Girlies mit zu viel Geld. Aufgebracht fuchtelte eine von ihnen mit ihren Armen durch die Luft, als würde sie sich ausschließlich durch Pantomime verständlich machen, obwohl ihre Stimme genauso aufgebracht von irgendwelchen Begebenheiten letztes Wochenende berichtete. Ob es die anderen Fahrgäste interessierte oder nicht, sie waren gezwungen zuzuhören.

Genervt drehte sich Shinya weg, er hatte genug gesehen. Mädchen, die ihrem Aussehen und Verhalten nach kaum älter als 16 sein konnten, dabei jedoch lauter als jedes kleine Kind waren. Keinerlei Manieren. Ein genervtes Schnauben entkam ihm.

„Haben Sie ein Problem mit uns?“ wandte sich auf einmal eines der Mädchen unmissverständlich an ihn. Es war jenes, das zuvor so ausdrucksstark gesprochen hatte, und Shinya hatte sofort noch weniger Lust ihr zu antworten.

Gekonnt ignorierte er sie, und zu seinem Glück fuhr der Zug gerade in seiner Haltestelle ein. Aufatmend verließ er kurz darauf das U-Bahngebäude. Nur noch der kurze Fußweg zu seinem Apartmentblock dann konnte er sich endlich wieder mit einem interessanten Buch auf dem Sofa entspannen und der Realität entfliehen, die in letzter Zeit für ihn immer schwieriger zu tolerieren wurde.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  sayonarakagerou
2008-06-11T19:46:26+00:00 11.06.2008 21:46
sehr schön^^
hoffe die fortsetzung kommt bald^^
Von:  Replica
2008-05-30T18:28:05+00:00 30.05.2008 20:28
Deine Fanfiction erinnert mich zwar sehr stark an eine eurydikes (mit Sicherheit weißt du, welche ich meine), dennoch bin ich zuversichtlich, was den Verlauf dieser Geschichte angeht.

Dein Schreibstil ist angenehm zu lesen, du beherrschst ganz offensichtlich die deutsche Sprache und auch der Ablauf, der eigene Perspektivenwechsel ist eine willkommene Abwechslung.

Ich hoffe nur, dass du zwischen die Abhandlung all der Fakten auch noch etwas mehr eigene Handlung und Geschichte bringst. Bisher (und noch ist es nicht viel, anhand dessen ich urteilen könnte) habe ich eher das Gefühl, von verpackten und umhüllten Bandgeschichten zu lesen.

Es würde mich jedenfalls interessieren, wie es weitergeht. Solltest du also vorhaben, bei Fortsetzung eine ENS an deine Leser zu schicken, wäre mir das nur recht.


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