Zum Inhalt der Seite

90 Minuten

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

XX. Wenn die Wolken tief hängen

So richtig weiß er nicht, wie er heute das Training durchstehen soll. Gestern zuviel getrunken, heute die böse Überraschung mit Chantal, die ungeklärte Sache mit Paolo – zu viele Fronten, zu viele Gedanken und jetzt soll er Fußball spielen? Das kann ja nur auf eine Katastrophe hinaus laufen.

Paolo ist mitgekommen und steht bei Knie und Rudolf, hat offenbar Spaß an allem, aber Raphael weiß ganz genau, dass der beobachtende Blick aus den braunen Augen auf ihm ruht. Dass Paolo ihn sehr genau im Auge behält. Ob das die ganze Sache gerade noch besser macht, ist so eine Frage. Wohl eher nicht.

Vor allem, wo ihn langsam die Panik einholt, was Chantal mit ihrem Wissen anfängt. Nur ein Anruf von ihr bei der BLÖD, dass sie einen nackten Kerl in seiner Wohnung gesehen hat und er ist erledigt.

Panik breitet sich in ihm aus, die nur noch umfassender und übelkeitserregender wird, wenn er daran denkt, dass Chantal wirklich schwanger sein könnte...

Der Ball landet vor seinen Füßen, aber er bemerkt ihn gar nicht, erst als Stefan ihn mit einem sauberen Tackling unsanft von den Beinen holt.

Raphael sitzt im Gras und braucht wirklich einen Augenblick, um zu begreifen, was hier gerade eigentlich passiert. Dass die Welt nicht nur aus seinen düsteren Gedanken besteht, sondern dass er gerade auf dem Trainingsplatz steht und eigentlich ein vernünftiges Trainingsspiel abliefern sollte. Eigentlich.

„Mann, wo bist du denn heut mit deinem Kopf, ey?“ Alejandro streckt die Hand aus und zieht ihn auf die Beine. „So viel getrunken gestern?“

„Mhm.“ Raphael hebt die Schultern, nickt erst und schüttelt dann den Kopf.

„Boah, du bist ja voll daneben.“ Der Spanier legt ihm den Arm um die Schulter und drückt ihn liebevoll an sich. „Willste drüber reden?“

„Danke, aber eher nicht“, wehrt er ab und lehnt die Stirn für einen Augenblick gegen Alejandros Schläfe. Er ist so müde. Am liebsten würde er sich einfach verkriechen und abwarten, was diese beschissene Welt am Ende austüftelt, wie es mit ihm weitergehen soll.

„Hey, du kannst mit allem zu mir kommen, okay?“ Das Schulterklopfen des Kapitäns ist freundschaftlich und am liebsten würde Raphael sein Angebot ja einfach annehmen. Dann könnte er so nebenbei vielleicht auch das Problem klären, dass es mit Paolo gibt. Denn irgendwie ist nach dieser Nacht gar nichts mehr so wirklich klar. Vor allem, weil das Trösten am heutigen Morgen auch noch mal in eine Runde Sex ausgeartet ist. Er weiß gar nicht mehr, was er denken soll. Was er fühlen soll.

Oh, doch, das weiß er schon. Dass ihm schlecht vor Angst und Panik ist. Und dass er es nicht fertig bringt, einen längeren Blick in Julians Richtung zu schicken. Dass er dann so ein komisches Gefühl im Bauch hat, das eine komische Mischung aus herumtobenden Schmetterlingen, Sehnsucht und Schuld ist. Und gerade die Schuldgefühle kann er sich nicht so recht erklären. Klar, die hatte er ja eh schon, aber nicht so extrem. Und die können doch eigentlich weder an Paolo noch dem Chantal-Desaster liegen – oder doch?

Er weiß es nicht. Er weiß gar nichts mehr.

„Okay, denkst du, dass du es schaffst, dich für diesen Freistoß auf Fußball zu konzentrieren?“ Alejandro ist es erneut, der ihn aus den Gedanken reißt.

Automatisch nickt er.

„Gut, dann hau ihn rein. Um die Mauer, direkt ins Tor. Du kannst das.“

„Was?“ Verwirrt sieht Raphael dem Kapitän nach, wie er weggeht, dann blickt er zu der Mauer aus Julian – der sich einfach nicht schonen will und dem der Arzt schließlich grünes Licht gegeben hat –, dem Killer, dem Greif, Mürre, Stefan und Kopp. Alejandro gesellt sich dazu. Lässig, es soll ja ein direkter Schuss werden.

Den Ball reinhauen? Die Mauer steht erstklassig und Reine ist bekanntlich auch kein schlechter Keeper...

Aber gut, er ist auch kein schlechter Schütze. Und vielleicht kann er damit ja doch wieder ein wenig zu dem Sport zurückfinden und sich von seinen Gedanken befreien. Wenigstens für eine Weile.

Er tritt zurück und nimmt Maß. Seine Augen schätzen die Entfernung zum Tor ab, zur Mauer. Er weiß, dass er es im Gefühl hat, den Ball richtig anzuschneiden, dass er sich genau richtig senken wird. Er weiß, dass er das kann. Er weiß es.

Mit dem Gedanken läuft er los, blickt auf die Mauer – und sieht in Julians grüne Augen. Der Blick geht ihm durch und durch. Er trifft den Ball, aber in genau dem gleichen Augenblick weiß er auch, dass er den Schuss total verzogen hat. Er gerät in Rücklage und verliert das Gleichgewicht. Unsanft landet er auf dem Rasen und schlägt sich frustriert die Hände vors Gesicht.

Er hat die Schnauze voll. Für heute hat er die Schnauze wirklich absolut und total gestrichen vor. Langsam fährt er sich durch die Haare. Er sieht Alejandro auf sich zukommen und hat auf einmal keinen Bock mehr auf irgendeine Art von Gespräch. Schnell steht er auf und winkt ab. Seine Geste ist eindeutig. Er will nicht reden, über nichts. Selbst wenn der Kapitän das anders sehen sollte.

Mit einem Ruck wendet er sich ab und lässt die Mannschaft hinter sich. Einfach so.

Alejandro akzeptiert das, die anderen auch, selbst wenn Knie die Stirn runzelt. Nur einer. Einer tut das nicht.

„Was zur Hölle ist los mit dir?“ Julian reißt ihn unsanft an der Schulter herum und funkelt ihn mit diesen herrlichen grünen Augen an. „Weil dein italienischer Liebling zusieht? Oder hast du dir zuviel hinter die Binde gekippt? Was ist los?“

Fassungslos sieht Raphael ihn an. Er versteht diesen Ausbruch nicht. Er kann Julian doch egal sein. Der blonde Mittelfeldspieler hat doch oft genug mehr als deutlich gemacht, dass er ihm egal ist, dass da Distanz zwischen ihnen herrscht, und so weiter, und so fort. Und jetzt fährt er ihn auf einmal so an? Was soll das denn?

Und dann erkennt er da etwas in diesen grünen Augen, dass er dort niemals – wieder? – zu sehen erwartet hätte. Nie.

„Wenn du eifersüchtig bist, dann wenigstens auf meine Freundin“ – das Wort betont er so, dass es einen rein höhnischen Beiklang bekommt – „denn die ist möglicherweise schwanger. Danke. Darf ich mich jetzt meinen Katastrophen alleine herumschlagen?“ Seine Worte sind eisig und genauso kalt wendet er sich ab.

Das war’s dann mit Julian. Jetzt kann er ihn sich garantiert vollkommen abschreiben. Scheiße. Dabei ist da ein Teil von ihm, der sich über diese Eifersucht mehr als nur freut, der jubelt und tanzt und wieder Hoffnung hegt. Der Teil von ihm, der diesen Kerl wie verrückt liebt.

Die Wolken hängen tief heute. Es sieht nach Gewitter aus.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Hekate4444
2008-06-16T19:40:26+00:00 16.06.2008 21:40
Nyaaaaaaaaaa...ich wiederhole mich, aber: Gemein,gemein,gemein.
Raphael hat da wohl ein klitzkleines Entscheidungsproblem...das kommt davon, wenn man immer alles aufschiebt...ich weiß, wovon ich rede...
Aaaber, heute, habe ich etwas zum kritisieren gefunden *fanfarenstoß* du hast ein "mit" vergessen. -.- okay, ich weiß, dass war schwach, aber mich motiviert, dass ich was gefunden habe^^
Ich geh jetzt das nächste Kapitel lesen^^


Zurück