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XI. Wenn ein kleiner Funke glüht

Das erste Rückrundenspiel. Nicht zu Hause in Dortmund, nein, in der Fremde, in Wolfsburg. Dort geht es gegen diese Saison relativ zahnlose Wölfe. Sie sind gutes Mittelmaß, aber nicht mehr. Dieses Mal läuft es bei den Grün-Weißen eben auch nicht rund.

Allerdings haben sie gerade den FC unglaublich gut im Griff. Von den rot-weiß-karierten Dortmundern kommt kaum etwas. Es ist deprimierend zuzusehen, wie diese guten Spieler einfach aufgeben. Wie sie nichts versuchen, sich einfach nur der Niederlage hingeben.

Raphael presst immer wieder die Hand vor Augen, als wenn er somit das Geschehen aus dem Rasen ausblenden könnte. Am liebsten würde er das auch. Das ist einfach nur grausam.

Wenn sie wenigstens so schlecht wären – aber das sind sie nicht! Er hat doch praktisch den direkten Vergleich ziehen können – die Bremer und die Dortmunder im Training. Und wenn er ehrlich ist, dann tun sich die beiden Mannschaften von der Spielqualität sehr wenig. Und die Dortmunder sind abseits des Rasens noch mehr ein Team.

Aber warum zur Hölle kriegen die das nicht auf den gottverdammten Rasen übertragen? Warum muss da nur so eine elende Pfeife gehen und auf einmal vergessen sie alles aus dem Training? Warum sind sie gerade noch schlechter als sämtliche Regionalligaclubs, die es gibt? Wo sind Überzeugung, Feuer, Spielfreude, Kreativität und Teamgeist hin?

Das, was da auf dem Spielfeld rumgurkt und nur dank unglaublich viel Glück bisher nur 0:2 hinten liegt, das ist doch nicht der FC. Das ist doch nicht sein FC!

Raphael verbeißt sich ein schmerzerfülltes Aufstöhnen. Alejandro hat gerade den Ball wie ein Anfänger an den Wolfsburger Marcelhino verloren – und der Brasilianer bestraft so etwas natürlich sofort. Da kann sein Landsmann Gabriel auch noch so sehr mitspurten und da können der Killer, Kietz und ihr neuer türkischer Verteidiger Mustafa noch so sehr mitrennen – keine Chance.

„Argh!“ Das ist auch wirklich alles, was man zu diesem Spiel von sich geben kann. Raphael flucht ausgiebig und handelt sich dadurch einige neugierige Seitenblicke seiner Kollegen ein. So ungeduldig, so frustriert und so heftig haben ihn alle lange nicht auf der Bank erlebt. Eigentlich noch nie, denn bisher hat dieser Verein ihm keinen Grund für solche Reaktionen gegeben. Sie alle haben sich mehr oder weniger mit diesem Zustand abgefunden, wirken wie paralysiert, gleichgültig, lethargisch. Als wenn es sie nichts mehr angeht.

Nachdem jetzt auch noch der Anstoß in einer Katastrophe endet und sich der Wolfsburger Santana über einen gnadenlosen Fehlpass freuen darf, hält ihn nichts mehr auf der Bank.

„Verdammt, Chris, bleib doch mal am Mann!“, flucht er hingebungsvoll los. „Ale, beweg dich mal! Oder haste Wurzeln geschlagen?“

Die anderen, Puck, Tom, Stefan, Alex, Acun und Ersatzkeeper Toni schauen ihn nur an wie blöd. „Himmel, ist euch das so scheißegal, dass wir gerade verlieren?“, faucht er sie an.

„Na ja...“ Acun zieht die Schultern hoch.

„Ach, du bist Türke, du hast von Ehre keine Ahnung!“ Damit ist Puck auf den Beinen und beginnt, sich ebenfalls die Seele aus dem Leib zu brüllen. Natürlich lässt Acun das nicht auf sich sitzen und ist nur einen Wimpernschlag ebenfalls aufgesprungen und fängt an, ihr Team anzufeuern. Ihr Team.

Die sieben Auswechselspieler machen einen Krach, der seinesgleichen sucht. Aber er bewirkt etwas. Er springt auf die Dortmunder Fans über, die ähnlich lethargisch und gelangweilt auf der Tribüne gesessen haben, wie ihre Idole auf dem Rasen spielen.

„Raffe, du gehst rein!“ Die Anweisung des Trainers kommt jetzt. Noch vor der Halbzeitpause. Eigentlich hatten sie abgesprochen, dass er erst in der zweiten Hälfte reingeht, aber stattdessen ist es jetzt schon soweit.

Die Adleraugen von Knieschewski haben nämlich gesehen, dass sich Gabriel noch totläuft – und er sich außerdem den Fuß vertreten hat. Natürlich würde das neue Juwel der Mannschaft das nie zugeben, aber die Schritte werden schon schwer.

Zwei Minuten später steht Raphael auf dem Platz. Es ist ein unglaubliches Gefühl, auf den Rasen zu traben. Die Fans jubeln los, als wenn er der Messias höchstpersönlich wäre. Sie haben ihn nicht vergessen, auch wenn sie ihm alle seinen Wechsel nach Bremen wohl nie verziehen haben. Eine Gänsehaut rast über seinen Rücken und reicht bis in seine Zehenspitzen. Einfach der Wahnsinn!
 

Seinen ersten Ballkontakt hat er, nachdem er Laas den Ball abgenommen hat. Er lässt sich definitiv von niemandem hier ausspielen oder faszinieren. Nicht von einem Fußball, den er besser spielen kann!

„Augustin!“ Seine Stimme gellt über den Platz und der Südafrikaner startet, ohne groß darüber nachzudenken. Auf nahezu gleicher Höhe läuft Max mit, lässt sich einfach mitreißen. Zu dritt stürmen sie nach vorne, einfach auf die geballte Wolfsburger Mauer aus immerhin sieben Mann plus Torwart zu. Raphael konzentriert sich ganz auf den Ball, auf das Spiel. Er tanzt einen Wolfsburger aus, einen zweiten, einen dritten.

Er hört den Jubel der Fans in seinen Ohren dröhnen genauso die gebrüllten Worte der Wolfsburger Spieler, die überrumpelt werden und ihre Abwehr nicht organisiert bekommen.

Sein Pass schießt pfeilschnell in den Nachmittagshimmel empor und senkt sich genau richtig – Augustin ist genau da, wo er sein sollte. Der Kopfball saust auf das gegnerische Tor zu – und zappelt nur einen halben Sekundenbruchteil später im Netz.

„Ja!“ Raphael springt in die Luft und reißt die Faust in den Himmel. Beinahe noch ehe er wieder Boden unter den Füßen hat, ist Augustin da, umarmt ihn und hebt ihn lachend hoch. Max, Christian, Alejandro und Julian schließen sich dem Jubel an. Und auch hinten bei den vier Verteidigern und ihrem Torwart bricht die Freude aus ihnen raus. Sie feiern das Tor, als wen sie schon gewonnen hätten.

Weil es ein Anfang ist. Ein gottverdammter Anfang, um aus diesem beschissenen Tabellenkeller rauszukommen – und um das Tief des FC endlich zu überwinden.



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