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V. Wenn Tischtennis eskaliert

Nach dem Abendessen trommelt Alejandro das Team für eine Runde Tischtennis zusammen. Rundlauf, ganz klassisch, wie Raphael es von den ganzen Klassenfahrten seiner Schulzeit kennt. Eigentlich hat er sich lieber verdrücken wollen, doch der Killer hat ihn ganz unsubtil daraufhingewiesen, dass er nicht ewig vor der Mannschaft davonrennen kann und sich dringend dieser Herausforderung stellen sollte.

Und das tut er jetzt auch.

Steht mitten in der Runde aus Spielern, die ihn durchaus fixieren und mustern. Nur die sieben Neuen nicht, denn die haben ihn vorher nicht gekannt, die haben mit der ganzen Sache nichts zu tun. Mit dem Vertrauensbruch, wie der Killer es ihm erklärt hat.

Er muss sich seinen Respekt wirklich wieder verdienen. Nicht nur auf dem Platz, sondern auch vor allem menschlich. Hier sind zu viele Leute, die davon ausgehen, dass er sich hier nur wieder bekrabbeln will, um dann wieder wegzugehen.

„Na, wie isses denn so internationale Luft zu schnuppern, Grab?“ Chris wirft damit den ersten Stein und Raphael kapiert, dass dieses Spiel wahrscheinlich Spießrutenlaufen wird.

„Prima. Aber ist zu dünne Luft für dich, Chris“, gibt er kalt zurück und schmettert den nächsten Ball so knapp über das Netz, dass Acun keine Chance hat, ihn zu bekommen und raus ist. Der Türke flucht leise, als er zur Seite geht.

„Oho... Aber für dich war sie nicht zu dünn, was?“, steigt Stefan ein, der sowieso immer zu Chris hält. Die beiden halten zusammen wie Pech und Schwefel. Taten das schon immer. „Solltest die Klappe nicht zu weit aufzureißen, bist nämlich ganz schön auf die Schnauze geflogen.“

„Und? Ich war dabei. Etwas, was dir niemals passieren wird“, kontert er knapp und wartet auf den nächsten Ball. Paul spielt den knapp und richtig gemein, aber er kriegt ihn noch so eben. Seine blauen Augen fixieren Chris und Stefan eisig.

„Wat hat der Kicker noch geschrieben? Der größte Absturz eines Talents, den die Liga je erlebt hat?“, stichelt Chris weiter.

Scheiße, gerade von ihm hat Raphael diese verdammte Hartnäckigkeit nicht erwartet. Sie haben sich doch sonst immer so gut verstanden. Er hat ihn immer als Freund betrachtet. Aber wahrscheinlich fürchtet Christian einfach um seinen Stammplatz. Alejandro, Julian und Gabriel stehen außer Diskussion – die sind alle drei einfach top. Er ist der schwächste der vier und muss natürlich angreifen. Klar, irgendwo in seinem Kopf weiß Raphael das. Und er weiß auch, dass da verdammt viele Emotionen im Spiel sind. Das Gefühl von Verrat, von Wut und ein übler Vertrauensverlust, aber... muss sich das denn so äußern? Und vor allem sieht er es nicht ein, sich fertig machen zu lassen.

„Fällt dir nichts eigenes ein? Zitierste als nächstes noch die BLÖD?“ Raphael gelingt es, auch den nächsten Ball anzunehmen und haut Augustin raus.

„Was willst du hier, Grab?“ Christian hat den Ball und hält ihn fest, macht den nächsten Aufschlag nicht. „Was zum Teufel willst du hier? Dich wieder hocharbeiten und wieder abhauen? Sang- und klanglos, ohne vor deinem Wechsel hier mit irgendwem darüber zu sprechen? Ohne dich zu verabschieden und über deine Entscheidung irgendein Wort zu sagen? Warum zur Hölle sollte dich hier irgendjemand nett aufnehmen?“

Chris bringt auf den Punkt, was wohl die ganzen „Alten“ der Mannschaft denken.

Raphael lässt seinen Schläger langsam sinken und tickt mit dessen Kante sachte auf die Platte. „Was willst du hören?“, fragt er ruhig. „Was denn? Du willst mir doch kaum zuhören. Genauso wenig wie irgendein anderer hier.“ Mit einer simplen Handbewegung umfasst er sie alle. „Und es spielt auch keine Rolle. Wenn es mir nicht gelingt, euer Vertrauen zu gewinnen, habe ich hier eh nichts verloren. Gar nichts.“

„Na, das haste wenigstens kapiert.“ Stefan wieder. „Weißte... Du bist echt das Letzte! Die ganze letzte beschissene Saison geht eigentlich auf dein Konto. Der Verein hat mit dir geplant, war sich deiner sicher! Und dann verschwindest du einfach so! Zack, wusch, weg! Was meinst du, wie wir alle geschaut haben? Haste überhaupt ne Ahnung, was das eigentlich für uns bedeutet hat?“

Raphael beißt sich auf die Unterlippe. Er fühlt sich unwohl, will am liebsten einfach abhauen, doch das verbietet er sich. Er weiß den Killer hinter sich, neben sich. Der Verteidiger steht direkt hinter ihm, berührt ihn kaum sichtbar kurz am Arm, zeigt ihm deutlich, dass er bei ihm ist und ihm irgendwie Kraft gibt. Ein echter Freund eben.

„Es reicht, Stefan“, sagt Alejandro in dem Augenblick. Ein beinahe schon väterlicher Blick streift Raphael und macht alles noch schlimmer. Jetzt fühlt er sich nicht mehr nur angegriffen, sondern auch gedemütigt. Und bei allem berechtigten Zorn hat er das doch nicht verdient. Das nicht!

„Nein, lass ihn reden. Lass ihn sagen, was er denkt. So sind wir doch hier im Pott, oder?“ Ein wütender Blick von ihm rüber zum Kapitän, der die Augen zusammenkneift.

„Oh ja, gesteh uns auch noch unsere Gefühle zu“, macht Stefan auch schon weiter. Höhnisch ist sein Tonfall geworden. „Gib’s doch einfach zu – du bist hier, weil dich sonst keiner mehr will. Weil du weißt, dass man hier verzweifelt genug ist, dich mit Kusshand aufzunehmen. Nur hier, sonst nirgends.“

Raphael schiebt die Unterlippe vor. „Ach? Glaubst du das?“

„Klar. Warum sonst sollteste den Trainer anrufen und sagen, dass du zurückwillst? Weshalb denn?“ Jetzt ergreift Chris wieder das Wort.

Langsam legt Raphael seine Plecke auf die Platte und tritt beiseite, kommt langsam auf Christian und Stefan zu, die ihre Schläger ebenfalls weglegen. Der Rest macht Platz. Die Spannung in der Luft ist nahezu greifbar.

„Warum haste dir eigentlich nicht den Spaß gemacht, gegen uns zu spielen? Dafür warste schon nicht gut genug, was? Das hätte dir doch den echten Kick geben müssen.“ Christian baut sich vor Raphael auf. Er ist gut fünf Zentimeter größer, aber das ist nichts, wovon sich Raphael beeindrucken lässt.

„Weißt du, Chris, Stefan kann ich ja noch verstehen. Der ist so sauer, wie ihr alle hier. Und glaub mir, ich wusste ganz genau, worauf ich mich eingelassen hab, als ich zurückgekommen bin. Aber du... Du machst mich doch nur schräg an, weil du Schiss um deinen Stammplatz hast. Weil du ganz genau weißt, dass du der schwächste von euch vier bist – und ich deine Position ganz leicht spielen kann. Du hast Schiss, Morgenstern. Einfach nur Schiss vor der Konkurrenz.“ Raphael spuckt die Worte aus und sieht Christian dabei fest in die Augen. Er sieht, wie sich diese zusammenziehen, wie Wut darin aufflackert. Ihm entgeht dafür, wie sich seine Muskeln anspannen, wie der andere austickt. Der Schlag erwischt ihn unvorbereitet und wirft seinen Kopf schmerzhaft in den Nacken. Er spürt, wie seine Unterlippe aufplatzt und Blut heiß über sein Kinn rinnt.

„Scheiße, Chris! Reiß dich verdammt noch mal zusammen!“, brüllt Alejandro auch schon los und Stefan fällt seinem engsten Freund in den Arm.

Noch ehe er überhaupt reagieren kann, fühlt Raphael die Hand es Killers auf seiner Schulter. Beruhigend, zurückhaltend.

Er fährt sich mit den Fingerspitzen über die blutende Lippe und blickt Chris an. „Weißt du, das ist echt das Letzte, was ich von dir gedacht hätte.“ Damit dreht er sich um und geht. Er lässt sie alle einfach stehen und hat keinen Bock, sich das hier noch mehr anzutun.

Als er die Tür hinter sich zufallen hört, ist es aber nicht Chris’ Schlag oder dessen Gesicht, das ihm vor Augen steht, nein, es ist Julians Gesicht. Julian, der blass und angespannt an der Wand steht.



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