Dear Diary
Tokyo, Mittwoch 29. Dezember 1999
Dear Diary,
Heute Morgen bin ich in einen Schreibwarenladen gegangen und habe dich gekauft. Ich glaube, ich habe noch nie ein Tagebuch geführt, doch in den letzten eineinhalb Jahren hat sich in meinem Leben so vieles verändert, dass ich heute beschlossen habe, all dies aufzuschreiben. Vielleicht kann ich es dann besser verstehen und mich so möglicherweise auch damit abfinden. Hinata sagt auch, dass es mir helfen könnte. Am besten sollte ich von vorne beginnen, bei dem Tag an dem alles begann. Ich weiß noch, dass es am 19. Juni 1998 war...
Damals führte ich noch eine Beziehung mit Sakura Haruno. An diesem Tag hatten wir uns verlobt, ich war der glücklichste Mann auf Erden, schließlich hatte ich lange darum gekämpft, mit ihr zusammen zu kommen. Ich habe sie geliebt und konnte mir nichts Schöneres vorstellen, als den Rest meines Lebens an ihrer Seite zu verbringen. Heute muss ich, wenn ich daran denke, lachen. Denn da wusste ich auch noch nicht, was nur einige Stunden später passieren würde. Etwas, das alles geändert hat, auch wenn ich es mir da noch nicht eingestehen wollte. Aber soweit bin ich hier ja noch nicht. Auf jeden Fall haben Sakura und ich an diesem Morgen ein schönes, langes gemeinsames Frühstück im Bett eingenommen. Wir haben uns lange unterhalten, haben Pläne für die Zukunft gemacht. Kinder wollten wir beide, viele Kinder. Wir wollten unser gemeinsames Haus mit Lachen erfüllen.
Nach dem Frühstück haben wir auch gleich begonnen, diesen Wunsch in die Tat umzusetzen. Mann, war ich verliebt! Es war bereits nach dem Mittag als wir endlich wieder aus dem Bett kamen und ich mich unter die Dusche gestellt habe. Schließlich hatte ich (und habe ihn auch immer noch) einen wirklich guten Job, den ich gerne mache. Jedenfalls habe ich nach meiner langen, heißen Dusche wieder meine Arbeitssachen angezogen. Sakura schaute mich manchmal dann so seltsam an und meinte, wir sollten wirklich andere Sachen tragen. Ich glaubte damals, dass sie Angst hatte mich zu verlieren. Irgendwann sagte sie es sogar, fällt mir gerade ein. Sie meinte, ich sei ein selbstbewusster, gut aussehender, junger Mann und dass die Frauen mir hinterher schauen würden, wenn ich diese Sachen trug. Mir war das bis dahin nicht einmal aufgefallen. Diese enge, schwarze Hose und das weinrote Hemd, waren für mich alltäglich. Und ich hatte sowieso nur Augen für meine Süße. Wieso sollte ich mich auch für andere Frauen interessieren, wenn ich Sakura hatte?
Wie an jedem Abend wenn ich arbeiten musste, verließ ich um kurz vor sieben das Haus. Ich verabschiedete mich von meiner süßen Verlobten und machte mich auf den Weg zum „Blue Moon“. Das Blue Moon ist eine der angesagtesten Bars in Tokyo und ich arbeitete dort schon seit 3 Jahren. Gleich nach meinem 21. Geburtstag hatte ich dort angefangen und habe es keinen Augenblick bereut. Auf jeden Fall war alles wie immer. Ich kam dort an, ging zu meinen Kollegen und gemeinsam besprachen wir den anstehenden Abend. An dem Tag hatten wir eine Band im Haus und erwarteten dementsprechend viel Kundschaft. Also machten wir uns bereit und ich nahm mit meinem Team den Platz hinter der Bar ein. Ich liebte den Ort, ich fühlte mich dort wohl und manchmal witzelten meine Kollegen, dass ich mit der Theke eine Beziehung führen würde und das nur, weil ich immer wieder das dunkle und glänzende Holz polierte wenn dort ein Glas gestanden hatte. Heute muss ich darüber schmunzeln...
Aber ich schweife ab. Der Abend verlief recht ruhig. Das Haus war voll und wir hatten kaum Zeit ein wenig Luft zu schnappen. Ich mixte einen Cocktail nach dem anderen, hielt meinen Bereich sauber und genoss die wirklich gute Musik. Ich hatte bereits da gewusst, dass aus der Band mehr werden würde. Die Kunden liebten sie, tanzen und sangen auch teilweise mit. Aber es gab keine Ausschweifungen, keinen Streit unter den Gästen der hätte geschlichtet werden müssen.
Da es ein Freitagabend gewesen war, schlossen wir um zwei. Wie jede Nacht räumten wir noch auf. Der Chef legt viel Wert auf Sauberkeit. Hätte er es nicht getan, wäre sein Club wohl nie so groß geworden. Meine Kollegen verschwanden nach und nach und zum Schluss war nur noch ich dort. Entschuldige, ich musste gerade lachen, denn auch dass war irgendwie Tradition. Ich blieb länger, polierte noch die Theke, obwohl früh am Morgen das Putzteam kam und es wiederholte. Es war bereits fast drei, als ich endlich das Blue Moon verließ und mich in dieser lauen Sommernacht auf den Weg nach Hause machte. Ich freute mich bereits, denn Sakura wartete jede Nacht auf mich. Oft schlief sie dabei in ihrem Sessel ein, mit einem Buch auf dem Schoß und ich musste sie hoch tragen, in unser Bett.
Ich ließ mir Zeit, genoss den Heimweg, schaute immer wieder in den Sternenverhangenen, klaren Himmel hinauf. Der größte Teil meines Heimwegs führte am Park entlang. Dort gab es kaum Häuser und es war ruhig. Man konnte die Grillen hören und an dem nahen Teich quakten die Frösche. Es erstaunte mich immer wieder wie die Natur klingen konnte und das in einer Metropole wie Tokyo, in der es kaum noch solche großen, freien Flächen gab. Den restlichen Weg musste ich durch einige Gassen gehen. Es war der kürzeste Weg. Ich lief dort also wie immer entlang, doch mit einem Mal sah ich in einer Seitengasse etwas was mich stehen blieben ließ. Ich ging wieder ein Stückchen zurück und tatsächlich: Ich hatte mich nicht getäuscht. Hätte ich zu diesem Zeitpunkt schon gewusst was sich durch meine folgende Reaktion alles ändern würde, ich glaube ich wäre damals sofort weiter gegangen, ohne mich darum zu kümmern. Heute würde ich genauso reagieren ... denke ich.
Ich ging also wieder ein Stückchen zurück, bog in die angrenzende Gasse ein und lief einige Schritte weiter. Als ich das was meine Aufmerksamkeit erregt hatte erreichte, hockte ich mich nieder, berührte es und da konnte ich es im Schein des Mondes auch endlich richtig erkennen. Ich muss ziemlich dämlich ausgesehen haben, denn ich war wirklich erstaunt. Ich kannte es... nein, nicht es! Ich kannte IHN, ihn der dort an der Wand lehnte, schlief und scheinbar verdammt betrunken war. Doch ich konnte und wollte ihn nicht dort zurück lassen. Wer wusste schon was dann geschehen würde? Ich hatte eine Entscheidung getroffen. Eine die mein ganzes Leben verändern sollte...