Schneetreiben
Lost Angel
Kapitel 30 – Schneetreiben
Jemil’s PoV
„Vampire!“ Dieses eine geschrieene Wort ließ mich hochschrecken. Verwirt sah ich
mich zuerst nur um. Nur grob konnte ich Umrisse erkennen, dabei war meine Sicht
in der Dunkelheit sonst ziemlich gut.
Abrupt wurde ich aber hochgezogen und nach draußen gebracht. Erst als das
Mondlicht auf ihn viel erkannte ich Jesko. Der mich nur etwas besorgt ansah.
„Sieht wohl aus, als wollte sich da noch jemand einmischen“, meinte er knapp und
wollte mich schon in das Gewusel aus Hybriden und Werwölfen. Doch mir stieg ein
Geruch in die Nase. Der einer bekannten Person. Und dieses Mal war es weder Pio
noch Devin oder Joe.
Ich riss mich von Jesko los. Und lief genau in die gegen gesetzte Richtung, als
alle anderen. Mich trieb es einfach voran. Selbst die Rufe des jungen Werwolfes
ließen mich nicht umdrehen.
Erst als er mich festhielt, blieb ich stehen. „Das ist die falsche Richtung!“
Aber ich hörte ihm gar nicht zu. Wirkte fast wie taub. Dieses blonde Etwas zog
mich in seinen Bann. Ihr langes Haar wehte im Wind, der von leichten
Schneeflocken durchzogen war.
„Jemil“, konnte ich von ihren Lippen ablesen. Ich schluckte. Was machte gerade
sie hier? Wieso sie?
„Mila, was … tust du hier?“ Ich spürte es. Irgendwo in mir platzte gerade eine
Seifenblase. Die, in der meine Hoffnung, nie wieder zurück zu gehen war. Doch
gerade sie ließ das geschehen. Wieso?
„Devin und Joe haben mir erzählt, dass sie es nicht geschafft haben. Und selbst
Pio konnte dich nicht überzeugen. Und da ich ohnehin einmal raus musste, will
ich mein Glück zumindest versuchen.“
Ihr Blick jagte mir einen Schauer über den Rücken. So viel Selbstsicherheit
hatte ich noch nie bei ihr gesehen.
Ein Knurren ließ mich zusammen zucken. Und da sah ich es erst. Dieses hässliche
Tier, das sich da neben Mila durch den Schnee kämpfte.
„Dieses Vieh hat Pio mir mit geschickt. Eine seiner Fledermäuse. Ist ein
grässliches Wesen. Er ist aber wohl weiter gekommen, als dein Vater noch vor ein
paar Monaten.“
Ich schwankte einige Schritte zurück. Fühlte schon bald Jeskos Hände auf meinen
Schultern. Leicht wendete ich mich zu ihm. Sein Blick lag auf diesem etwas, das
Mila da als Fledermaus bezeichnet hatte.
„Sieht aus, wie das Vieh, dem wir begegnet sind.“ War das, das einzige, was ihm
dazu einfiel? Mehr nicht? Was sagte er denn zu Milas Kommentar? Was hielt er
davon?
„Und? Was ist Jemil?“ Die blonde Vampirin kam auf mich zu. Plötzlich war diese
Selbstsicherheit aus ihren Augen verschwunden. Was war auf einmal los mit ihr?
„Mila, auch du kannst mich nicht überzeugen!“ So sicher sagte ich es. Ich war
mir so verdammt sicher. Da zog mich aber auch schon Jesko in seine Arme und ein
Knurren durchfuhr die Stille. Dieses Mal kam es nicht von diesem Fledermaus-Vieh.
„Werwölfe“, flüsterte Mila. Die würden sie zerreißen. Ich löste mich aus Jesko
Umarmung. Atmete einmal tief durch. „Verschwinde von hier! Sonst bringen die
dich um.“
Ich blieb doch wirklich ruhig, bei dem was ich sagte. Oder zumindest versuchte
ich es. „Nein! Ich will, dass du mitkommst!“ Sie packte meine Hand und wollte
mich einfach mitschleifen. Doch das ließ ich gar nicht passieren. Zog sie zurück.
„Tut mir leid! Das geht nicht. Ich bleibe bei Jesko!“ Die Vampirin warf über
meine Schulter einen Blick auf den Werwolf. Er stand einfach nur da. Tat keinen
Zucker. Gerade so, als ob er auf etwas warten würde.
„Du willst das doch gar nicht. Er hat dich doch einfach mitgenommen!“ Tränen
stiegen ihr in die Augen. Liefen ihr schon bald über die Wangen. Tropften in den
weißen Schnee.
Langsam schüttelte ich den Kopf. „Ich bin freiwillig mit. Denn…“ Ich flüsterte
ihr noch etwas ins Ohr. War mir so ziemlich sicher, dass Jesko es nicht hören
würde. Ich würde ihm das einmal ins Gesicht sagen. Dafür brauchte ich aber noch
sehr viel Mut und den hatte ich einfach nicht.
„Aber … Jemil … du …“ Sie brachte wohl nichts dazu heraus. Brach einfach ab.
Aber schon im nächsten Moment hatte sie mich geohrfeigt. „Du bist ein
Arschloch!“, brüllte sie. Immer noch flossen die Tränen über ihre Wangen.
Glitzerten wie kleine Kristalle, wenn sie zu Boden fielen.
„Du verstehst es nur nicht“, seufzte ich. Machte auch gleich auf den Haken
kehrt. Doch wieder hielt sie mich fest. „Er macht dich doch nur traurig. Du
kannst doch gar kein Glück finden.“
Ich riss mich los. „Denk was du willst“, schnaubte ich. Blickte zu Jesko. Jedoch
war er weg. Was sollte das denn jetzt werden? Wollte er mich jetzt hier stehen
lassen. Ich wirbelte wieder zu Mila herum. Die sah sich genauso irritiert um.
Wie es aussah, war ihr kleiner Monsterwächter auch verschwunden.
Ein Aufheulen ließ meinen Blick zu der riesigen Wiese fallen, die hinter uns
lag. Einige Vögel stiegen davon auf. Die hatten aber ganz sicher nicht diesen
Laut von sich gegeben.
„Jesko. Verdammt!“ Ich lief einfach los. Irgendetwas rief Mila mir noch
hinterher. Doch ich hörte einfach nicht darauf. Mir war Jesko viel wichtiger,
als zu wissen, was sie noch von mir wollte. Ja. Jesko war mir wichtig. Verdammt
wichtig. Das wohl Wichtigste, das ich hatte. Das Einzige, was ich noch hatte,
neben meinem Leben.
Das Gras dieser verfluchten Wiese war hoch. Zu hoch. Ich lief doch nur ins
Nichts. Nach Minuten blieb ich aber erst erschöpft stehen. Stützte mich mit den
Armen an den Beinen ab. Keuchte. Völlig hilflos sah ich mich um. Ich würde ihn
nie finden. Und er mich auch nicht.
Da glitt etwas an meinem Bein entlang. Etwas Weiches. Ich versteifte völlig. Das
war sicher keine Katze oder ein Hund. Dieses Etwas verbiss sich in meiner Hose.
Zerrte daran. Erst als wieder etwas aufjaulte, ließ es mich los.
Ich schluckte, als das Gras raschelte. Spürte Arme um meine Schultern. „Mila ist
weg und dieses Vieh mit dazu.“ Er keuchte. Konnte sich kaum noch auf den Beinen
halten. Was war denn mit ihm los?
„Wir müssen zurück“, flüsterte ich. Doch da spürte ich, wie er zusammen sank.
„Jesko!“ Ich wirbelte herum. Fing ihn gerade noch auf. Aber er war mir zu
schwer. Zog mich mit hinunter. Immer wieder wiederholte ich seinen Namen. Bis
ich schon fast in ein Schreien überging. Doch er antwortete einfach nicht mehr.
Sein Atem war auch nur noch ein Röcheln. Nervös durchsuchte ich seinen Körper
nach Bisswunden. Aber davon war keine zu finden. Dann war er zumindest nicht
gebissen worden.
Erleichtert atmete ich auf. Auch wenn es mir nichts half. Ich kam alleine hier
nicht weg. Er war mir einfach zu schwer. Ich könnte ihn nie tragen. Und trotzdem
versuchte ich es. Legte seinen Arm um meine Schultern um ihn etwas zu stützen.
„Verdammt“, zischte ich. Kam nur ein paar Schritte weit. Sank dann wieder
zusammen. Was hatte dieses Vieh nur mit ihm gemacht.
Ich atmete ein paar Mal tief durch. Raffte mich dann wieder hoch. Wieso waren
eigentlich diese ganzen Werwölfe nicht da, wenn man sie brauchen könnte? Zum
Beispiel genau jetzt?
Ich würde doch nur ein paar Hundert Meter weit kommen müssen. Dann würden diese
verfluchten Werwölfe auch schon aufkreuzen. Die könnten mir dann zumindest
helfen.
Doch wieder kam ich nur ein Stück. Sank dann einfach wieder zusammen. Ich war
ein verdammter Loser. Immerhin konnte ich nicht einmal Jesko hier wegbringen.
Gerade jetzt.
Ich blickte gen Himmel. Der Schneefall wurde immer schlimmer. Wenn es so weiter
ginge, würden wir hier noch erfrieren. Mühsam versuchte ich den Werwolf an mich
zu drücken. Aber ich würde ihn nie warm halten können. Wärmen konnte ich mich
doch selbst kaum. Er war doch derjenige, der mich sonst immer aufwärmte.
Ich begann zu zittern. Der Schnee ging mir schon bis zu den Knöcheln. Und es
wollte gar nicht aufhören.
„Onkel Jemil!“ Ich schreckte hoch. Hatte gar nicht bemerkt, dass ich kurz vor
dem Einschlafen war. Verwirrt blickte ich mich um. Das war doch Felix. Unser
kleiner Werwolf. Ich versuchte wieder Jesko hochzubekommen.
„Felix!“, rief ich. Er würde mich schon finden. Nein, er würde uns finden.
„Komm schon, Jesko, hilf mich doch ein bisschen“, flüsterte ich. Doch ich bekam
einmal mehr keine Antwort. Seine Lippen waren schon blau. Ich könnte es mir
nicht verzeihen, wenn er es nicht überstehen würde.
„Onkel Jemil!“ Der kleine Werwolf kämpfte sich durch das hohe Gras und den
Schnee. Blieb dann aber wie gebannt stehen. „Ich hol die anderen“, meinte er nur
noch machte auch gleich wieder kehrt. Ich hatte mich mit Jesko wieder einige
Schritte weiter gekämpft. War wieder zusammen gesackt. Drückte Jesko jetzt an
mich. Ich hörte kaum noch seinen Atem.
„Komm jetzt bloß nicht auf blöde Gedanken“, zischte ich. Bemerkte gar nicht, wie
besorgt ich eigentlich klang. Immer enger drückte ich ihn an mich. Versuchte ihn
wirklich zu wärmen. Aber mein eigener Körper war doch schon nicht mehr richtig
warm. Wie sollte ich das dann bei ihm ändern.
Erst nach Minuten kam Felix wieder mit einigen anderen Werwölfen zurück. Einer
davon war Satôbi, den erkannte ich. Die anderen waren mir unbekannt. Viel hatte
ich aber auch nicht von den Werwölfen zu tun. Noch nicht.
Satôbi zog mich hoch, während die anderen sich um Jesko kümmerten. Erst jetzt
bemerkte ich eigentlich, wie ich selbst zitterte. Die ganze Zeit hatte ich nur
auf meinen Werwolf geachtet. Mich dabei völlig vernachlässigt.
„Was habt ihr hier überhaupt noch gemacht?“, fragte Satôbi. Ich antwortete nur
nicht. Wollte gar nicht. Wie es aussah erwartete er auch gar keine Antwort.
„Ihr zwei Idioten“, hörte ich Satôbi noch sagen. Dann brach ich wohl auch
zusammen. Lange hätte ich das wohl auch nicht mehr durchgehalten. Mein Körper
ächzte gerade zu nach etwas Ruhe. Auch wenn ich die ohne Jesko sicherlich nicht
finden könnte.
Leicht wurde ich von einer sanften Stimme geweckt. Mein Kopf sank zur Seite.
Schon spürte ich auch warme Lippen auf meiner Wange. Und wieder diesen sanften
Klang. „Na Jemil“, konnte mein Kopf die Töne endlich zu etwas wirklich
verständlichen zusammensetzen. „Jesko“, flüsterte ich. Hob das erste Mal eines
meiner Lider. Es war, als hätte ich meine Augen schon seit Jahrhunderten nicht
mehr geöffnet. Jedes bisschen Licht brannte, wie Feuer auf meiner Netzhaut.
Und erst jetzt spürte ich sie. Diese warmen Arme, die sich um mich gelegt
hatten. „Du Dummkopf.“ Langsam hob ich den Kopf. „Wer von uns ist hier ein
Dummkopf. Du bist doch einfach weg.“
Jesko biss sich auf die Unterlippe. „Ich wollte dich doch nur vor diesem
Fledermausvieh beschützen, das Mila mit angeschleppt hat!“ Nein, das wollte er
doch nicht. Nicht mich.
„Wenn du meinst“, murmelte ich.
Ein kalter Windhauch traf mich im gleichen Moment. „Onkel Jemil!“ Der kleine
Felix stürzte sich auf mich. Schlang seine dünnen Arme um meinen Hals. „Ich hab
mir um euch Sorgen gemacht“, flüsterte er mir ins Ohr.
Ein Seufzen ließ mich aufsehen. „Du erdrückst ihn noch“, meinte Venanzia. Hatte
die Arme vor der Brust verschränkt. „Aber …“, fing Felix an. Sah dann nur mich
an. Schob schmollend die Unterlippe nach vorne.
Ich drückte den kleinen etwas von mir weg. „Das macht doch nichts“, meinte ich
nur zu der Werwölfin, die den Kopf schief gelegt hatte. „Er wird euch nur
nerven.“ Felix schnaubte bei diesen Worten von Venanzia. „Bei was denn?“, fragte
er auch gleich. Blickte Venanzia fragend an. „Was eben zwei Liebende so machen“,
erwiderte sie und packte den Kleinen auch gleich am Arm.
„Das werden wir sicher nicht machen“, mischte sich da aber auf einmal Jesko ein.
„Dann kann ich hier bleiben“, freute sich Felix. Riss sich von Venanzia los und
sprang auch gleich wieder auf mich. Legte die Arme um meinen Bauch.
„Geht es dir wieder gut, Onkel Jemil?“, fragte der Kleien auf einmal. „Wieso
sollte es mir denn nicht gut gehen?“, erwiderte ich mit einer Gegenfrage. „Weil
du die ganze Nacht über hohes Fieber hattest“, antwortete die Werwölfin für den
Jüngeren. Ich senkte nur den Kopf. Spürte aber schon Jeskos Arm um meine
Schulter. „Deswegen bist du auch ein Dummkopf“, seufzte der.
„Er hat dich doch nur lieb“, zischte Felix. Blickte Jesko dabei wütend an. Der
kleine Werwolf merkte wohl alles ziemlich schnell. Alles was meinem Wölfchen
nicht auffiel. Von dem Kleinen könnte er noch etwas lernen.