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Der seltsame Fall

von

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Kommissar Eichmann warf den Radiergummi frustriert von sich. Er prallte auf dem Schreibtisch ab und plumpste in den Kaffeebecher. Unzählige kleine und ein paar größere braune Spritzer zierten nun die Akte, die er vorgab, zu studieren. Dabei waren seine Gedanken schon länger abgeschweift, er konnte sich einfach nicht konzentrieren. Dieses Verbrechen war theoretisch eben nicht möglich, so oder so. Was nützte es, ewig auf das inzwischen durchgeweichte Papier zu starren? Es verriet ihm die Antwort, die er suchte, auch nicht.

Bei seinen Kollegen war Eichmann als Chaot bekannt. Dinge wie Radiergummis in Kaffeebechern passierten ihm ständig, weshalb der Schreibtisch auch aussah wie ein Schrotthaufen. Der Kommissar liebe seine angebliche Ordnung zwar, raubte seinem Chef und seinen Kollegen allerdings den letzten Nerv. Er war unzuverlässig, unordentlich, unpünktlich und trotzdem irgendwie liebenswert. Irgendwie jedenfalls. Am liebsten löste er Fälle im Alleingang. In die streng logische Gedankenwelt seiner Kollegen konnte er sich einfach nicht so recht hineinversetzen, und von genauer Planung der Aktionen hielt er schon gar nichts. Er tat einfach, was ihm in den Sinn kam- und entweder er konnte den Täter so überführen, oder er konnte es nicht. Meistens konnte er es allerdings nicht. Die Fälle wurden dann zu den Akten gelegt oder ein anderer löste sie.

Eichmann kam mit der Logik und den Motiven der Mörder einfach nicht klar; er konnte nicht denken wie sie und sich ihre Beweggründe nicht so recht vorstellen. Warum sollte jemand eine arme alte Frau nur wegen ein paar hundert Mark abmurksen? Das war doch wirklich bestialisch! Nein, an so etwas mochte er nicht denken. Er war wohl ein sehr schlechter Kommissar.

Der Fall, an dem er jetzt arbeitete, war noch viel komischer als die anderen. Doch trotz allem hatte Eichmann einen gewissen Ehrgeiz; es war ihm unangenehm, immer derjenige zu sein, dem nur die üblichen Fälle übertragen wurden, die wenig Komplikationen versprachen. Darum hatte er sich diesmal dafür eingesetzt, mit einem schwierigen Fall betraut zu werden. Nun, es hatte geklappt: der Fall war wirklich verflucht schwer. Trotz einem nassen Radiergummi, bekleckerter Akten, angekauten Bleistiften und Kuchenkrümeln im Haar kam Eichmann einfach nicht weiter. Es war einfach zu komisch: da war das leere Haus in der Krämergasse, in der eigentlich nur so gut wie leere Häuser standen, die auf die Bewohner der Stadt einen etwas gespenstischen Eindruck machten. Schon das war völlig absurd: warum sollte jemand diese Gasse betreten, wo sie doch so gruselig war?! Jedenfalls, die Häuser, die nicht leer waren, wurden von alten Leuten bewohnt, die an ihrem Familienerbe hingen, Krämergasse hin oder her. Trotzdem wurde die Leiche eines gutaussehenden, wohlhabenden jungen Anwalts gefunden, halb erdrosselt und ganz verblutet. Es war einfach idiotisch! Irgendjemand hatte den armen Teufel aufgehängt; allerdings an einer Lampe, die schon etwa ein halbes Jahrhundert alt war. Sie riss unter der Belastung von immerhin 75 Kilogramm aus der Verankerung und der noch fast lebendige Mann stürzte auf den Boden, schlug sich den Kopf auf und verblutete. Pfui!

Eichmann hatte erstens geschlussfolgert, dass jemand etwas gegen den Anwalt gehabt haben musste, und zweitens, dass es nicht die Oma von nebenan gewesen sein konnte.

Frustriert nahm Eichmann einen Schluck des inzwischen kalten Kaffees und erstickte beinahe an dem Radiergummi, das er beinahe vergessen hätte.

Es half nichts, er musste noch einmal zu dem Haus. Vielleicht verriet es ihm ja sein finsteres Geheimnis, wenn er nett darum bat. Bei dem Gedanken daran kicherte er.

Gehüllt in seinen warmen, etwas zerknautschen Mantel, Handschuhe und Schal (es war Oktober; nicht das angenehmste Wetter also) und bewaffnet mit einem Regenschirm und einer ungeladenen Pistole machte er sich auf den Weg. Die Krämergasse sah wirklich so gruslig aus, wie man sagt. Die Häuser waren alle schief und krumm, Moos war auf ihren Dächern gewachsen und die meisten Fenster hatten keine Scheiben mehr. Nur aus wenigen Wohnungen drang der trübe Schein einer uralten Lampe; einer solchen, an der der Anwalt hatte aufgehängt werden sollen.

Krämergasse 9, der Kommissar hatte es doch noch gefunden. Gar nicht so einfach, Laternen gab es in dieser Ecke der Stadt einfach nicht. Sachte öffnete Eichmann die Tür. Das Polizeisigel war aufgebrochen. So eine Unverschämt- heit! Das macht man doch nicht! Oder war am Ende der Mörder zurückgekehrt, um letzte Spuren zu beseitigen? Eichmann fühlte sich wie in einem echten Krimi! Tatsächlich, da waren nasse, schlammige Fußspuren auf dem Boden vor ihm. Geregnet hatte es erst seit heute Nachmittag- also konnte es tatsächlich sein, dass der Eindringling noch im Haus war! Nein, das war jetzt gar nicht mehr lustig. Doch der Kommissar wollte diesen Fall endlich aufklären, um dann in sein warmes Bett zu kriechen und ein bisschen zu lesen. Gruselgeschichten vielleicht. Genau richtig für dieses Wetter.

Vorsichtig schlich er weiter. Da links war das Zimmer, in dem man den Toten gefunden hatte. Auf leisen Sohlen begab er sich in den Raum. Eichmanns Augen brauchten einen Augenblick um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Schließlich erkannte er die Umrisse der Wände, des Fensters, des Tisches... und eines Mannes. Erschrocken wich der Kommissar einen Schritt zurück. Lieber Gott, war das möglich?! Der Mann kam einen Schritt näher. Das Mondlicht fiel nun auf ihn, und Eichmann wurde schlecht. Er kannte dieses Gesicht, hatte es schon oft gesehen. Das sah nicht gut für ihn aus. Doch es gab keinen Zweifel: dieses filzige Haar, die dichten Augenbrauen, die stechenden, pechschwarzen Augen. Die mehrfach gebrochene Nase. Die dünnen, zu einem höhnischen Grinsen verzogenen Lippen. Waldhausen, der geisteskranke Mörder. Er war aus einer Irrenanstalt entflohen, das war noch gar nicht lange her. Eine seiner Kollegen hatte versucht, ihn zu finden, war jedoch gescheitert. Der Kommissar hatte offenbar mehr Glück- oder Pech, wie man es nimmt. Denn nun wurde ihm alles klar. Dieser Verrückte hatte den jungen Anwalt, der an die gute Seite Waldhausens geglaubt hatte und sich mit ihm traf, um ihn zur Rückkehr in die Anstalt zu bewegen, aufgehängt. Wahrscheinlich. Eichmann wollte ihn lieber nicht fragen, er hatte im Moment genug andere Probleme. Denn Waldhausen kam nun auf ihn zu. Ganz langsam. Ganz ruhig. Mit einem grausamen Lächeln. „Oh ja, ich war es“, hauchte er sanft. Ohne Hast zog er ein Messer aus der Tasche. „Sie wissen es nun, oder? Aber ich hänge an meiner Freiheit. Was soll ich also tun? Gehen lassen kann ich Sie nicht, das müssen Sie mir nachsehen. Sie werden es mir nicht übel nehmen, oder?“

Und ein blitzschnelles, silbernes Messer, das auf ihn zukam, war das letzte, das Eichmann in seinem kurzen Leben sah.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Tini_chan
2008-08-18T14:56:18+00:00 18.08.2008 16:56
Nun, ich wünsche nicht, dass du auch mal so endest wie dein Protagonist. Aber wenn man mal von dem bösen Ende absieht, dann könnte man doch meinen, es ist von deiner Zukunft die Rede. Genau so stelle ich mir dich als Komissarin jedenfalls vor.

Schade, dass die Geschichte scheinbar niemand liest.


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