Der Auftrag
Der neue Tag war schon einige Stunden alt, doch das Land wurde immer noch nur von einem gewissen Feuerschein erhellt, als eine verhüllte Gestalt vor dem größten Gebäude auf dem Platz erschien. Entnervt schielte sie unter der Kapuze des grauen Umhangs an dem Rathaus hinauf. Schließlich drückte sie auf den kleinen Knopf mit der Aufschrift „Sekretariat“ und bekam nach einem kurzen Moment ein knappes Surren zur Antwort und ging hinein.
Am Schreibtisch des Vorzimmers saß ein junges, hübsches, blondes Mädchen mit roten Augen und war scheinbar völlig auf ihre Fingernägel konzentriert, die sie mit gekonnter Hand lackierte. Als es klingelte, streckte sie die Hand nach dem Summer aus. „Hach, wie anstrengend“, sagte sie mit einem Seufzer und widmete sich wieder ihren Fingernägeln.
Langsam betrat die unauffällig gekleidete Person den Raum und schmiss die Kapuze ab. Das weiß silbrige Haar fiel der Frau bis auf die Schultern und ihre Augen schienen aus dem Metall frisch geschmiedeter Schwerter zu sein. „Name und Anliegen?“, fragte die Jüngere. Die Große widmetet sich dem Schreibtisch und musterte die Sekretärin mit einem skeptischen Blick. „Mein Name ist Syrin. Ich soll einen Auftrag vom Boss entgegennehmen.“, meinte sie tonlos.
Das Mädchen beugte sich vor und drückte den Knopf der Sprechanlage. „Schatzi, hier ist eine Syrin für dich.“. Die Größere horchte bei dem Wort „Schatzi“ auf und hob eine Augenbraue als eine technische Stimme sie mit einem genervten Ton herein bat. Die Sekretärin kicherte. „Lass dich nicht ärgern, Luzi.“, sagte sie mit süßer Stimme, dann drehte sie sich zu Syrin um. „Er ist so süß. Geh schon mal rein.“. So schritt die Große auf die schwarz beschlagene Tür zu und betrat mit einem breiten Grinsen den Raum des Chefs. Dieser saß wie üblich in einer königlichen Stellung auf seinem Thron und schaute herablassend auf sie hinab. Ohne jeglichen Respekt zu zeigen schritt Syrin auf den größten aller Dämonen zu.
„Hallo Schatzi,... oder Luzi?“, sagte sie immer noch mit dem Grinsen. „Hast du was mit deiner Sekretärin?“ Er lächelte wissend. „Shadow ist meine Verlobte.“ „Glückwunsch.“, meinte Syrin und fragte sich dabei, wie er sie wohl rumbekommen hatte. Aber wollte sie das wirklich wissen? „Danke.“, sagte er mit seiner typischen Tonlage.
„Warum ich dich her gebeten habe... Du bist die brutalste, zuverlässigste und dabei zu meinem Bedauern auch stolzeste Dämonin, die ich kenne. Ich will, dass du auf die Erde gehst, die Schwächen der Menschen heraus bekommst und mir dann Bericht erstattest.“ Über das Kompliment war sie fast geschmeichelt, doch sie schaute ihn trotzdem angeekelt an. „Ich bin Auftragskillerin. Ich geh beim Tod, meinem Ziehvater in die Lehre. Ich werde mit Sicherheit nicht für dich Spionin spielen. Also, was ist, wenn ich mich weigere?“ Sie grinsten einander an. Jede ihrer Begegnungen endete früher oder später an genau diesem Punkt.
Schließlich sagte er: „Dann bekommst du ernsthafte Probleme.“ Satan drückte auf einen kleinen Knopf der Sprechanlage und rief so Shadow zu sich. Als diese hereinkam, wendete er sich seiner niedlichen Verlobten zu. „Shadow, ich möchte, dass du diese Dämonin auf die Erde begleitest.“ Syrin starrte von der Sekretärin zu Satan. Sie musste sich verhört haben. Dieses Mädchen würde ihr nur dabei helfen können, die richtige Maniküre hinzubekommen. „Nein.“, sagte sie also mit einem sehr überzeugenden Ton und drehte sich wieder zu Shadow. „Nichts gegen dich.“ „Die Erde...“, sagte diese mit dem Blick voller Vorfreude aus dem Fenster gerichtet. „Oh ja, ich will.“ Die Größere schien sie bereits vergessen zu haben, als sie mit einer beeindruckenden Geschwindigkeit aus dem Zimmer flitzte.
Hinter Syrin erklang nun die nicht mehr ganz so himmlisch klingende Stimme Satans. „Du wirst auf die Erde gehen. Du wirst meinen Befehl ausführen und du wirst sie mitnehmen. Wenn nicht, dann...“ Er unterbrach seinen Satz, damit sie sich die Folgen selbst ausmalen konnte. Normalerweise sorgte diese Methode für eine Gesichtsentgleisung. Doch bei Syrin, der Ziehtochter des Todes, verfehlte sie etwas die Wirkung. Sie hob das Kinn und schaute herausfordernder denn je. „Du weißt, dass ich keine Angst vor dir habe. Also, was dann? Ich blase dich aus, du Flammenwerfer.“, sagte sie mit einem typisch dämonisch, aber auf eine Weise unverschämt frechen Grinsen. Er wurde wütend. War ja auch nicht anders zu erwarten. „SYRIN!!! RAUS!!! ICH WILL DICH NICHT MEHR SEHEN, BEVOR DU INFOS HAST!!!“, brüllte er und deutete auf die Tür. Doch auch davon ließ sie sich nicht beeindrucken. Mit einer Kopfbewegung Richtung Tür meinte sie nur :“Dann ohne die.“
Plötzlich schneite Shadow mit einem riesigen Haufen von gepackten Koffern in den Saal, nahm Syrin am Arm und meinte mit der Naivität eines Kindes „Also, lass uns gehen Syri.“ Syrin schaute die Kleinere mit vor Hass tötenden Augen an. „Syri?“ Sie schüttelte Shadow ab und zischte „Fass mich nicht an!“, bevor sie ihre breiten Schwingen offenbarte und aus einem der geöffneten Fenster hinaus flog. Sobald sie das Gebäude verlassen hatte, drehte sie sich ein letztes Mal in der Luft um. „Ciau, ihr Süßen.“ Sie winkte keck und machte sich erneut auf den Weg. Syrin jedoch sollte auch Shadow lieber nicht unterschätzen.
Kurz nachdem die Große verschwunden war, erhob auch sie sich vom Boden. Mit einem süßen Lächeln verabschiedete sie sich von Satan und folgte Syrin durch das offene Fenster.
Satan stieg von seinem Thron und ging zum Fenster. Gedankenverloren schaute er seiner Verlobten hinterher. „Ob das gut geht!?“
