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Little By Little III

von

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Now The Time

~*~
 

„Kira?“, ließ mich eine Stimme aufschauen. Ich musste kurz eingenickt sein. Einen Moment musste ich mich orientieren, doch dann wusste ich wieder wo ich mich befand. Das stetige Piepen der Geräte machte es mir nur allzu deutlich klar.

„Gackt.“, hauchte ich, als ich ihn im dunklen Schein der Lampe erkannte. Er sah erschöpft aus. Langsam kam er einige Schritte näher.

„Du solltest mal eine Pause machen und nach Hause gehen.“, legte er mir eine Hand auf die Schulter.

Doch ich schüttelte nur den Kopf. „Ich kann nicht. Ich hab Angst.“ Warf ich einen Blick auf das Bett vor mir, in dem meine beste Freundin lag.

„Die haben wir alle. Aber Lily würde nicht wollen, dass du dich so fertig machst.“ Seine Stimme war leise und kaum zu verstehen.

„Das sagt der Richtige.“, schnaubte ich. „Hast du dich mal im Spiegel angeschaut?“

Gackt erwiderte darauf nichts.

„Ich weiß nicht, wie lange wir noch warten sollen. Seit den 6 Wochen bete ich jeden Tag, dass sich eine Besserung bemerkbar machen würde. Aber nichts geschieht.“

„Sie wird wieder aufwachen.“, nahm er Lilys Hand, hauchte ihr einen Kuss auf die blasse Stirn. Seine Worte sollten aufmunternd klingen, aber ich wusste, dass selbst er kaum noch so viel Hoffnung in sich trug. Nach dem Unfall, vor über einem Monat, war Lily, nach einem schweren Schädel-Hirn-Trauma, ins Koma gefallen. Wir beteten jeden Tag, dass dieser Albtraum endlich vorbei sein möge. Wir versuchten uns zwar alle Mut zuzusprechen, doch uns war allen klar, dass eine noch längere Wartedauer nur eine noch schlechtere Prognose bringen würde.

„Wie geht es dem Kleinen?“, versuchte ich das Thema zu wechseln.

„Ganz gut. Er schläft jetzt und Masa ist bei ihm.“ Seit dem Unfall war Lilys Sohn bei Gackt untergekommen, da Dir en grey vor einer großen Tour gestanden hatten, die sie nicht absagen konnten. Masa war damit überhaupt nicht einverstanden gewesen, weshalb es hin und wieder zwischen Gackt und ihm kriselte. Aber es gab einfach keine andere Lösung. Gackt war der Einzige, der sich eine Pause, von dem Musikbusiness, verschaffen konnte.

„Du solltest nach Hause fahren, Kira. Ruh dich aus.“, schaute Gackt mich mit einem Blick an, der keinen Widerspruch duldete. Er hatte ja Recht. Ich fühlte mich ausgelaugt und müde.

Somit nickte ich nur und stand dann auf, griff nach meiner Jacke. „Ruf an, falls sich etwas ändern sollte.“, flüsterte ich ehe ich mich zur Tür wandte und mit einem letzten Blick auf Lily das Zimmer verließ.
 

Draußen, vor dem Krankenhaus, angekommen, empfing mich der Nachthimmel Tokyos. Wie oft war ich in den letzten Wochen durch diese Tür getreten? Wie oft hatte ich darum gebeten, dass das Alles endlich aufhören mag, sich Lilys Zustand bessern würde und sie somit wieder ihre Augen aufschlagen könnte? Ich hatte aufgehört zu zählen, war es leid. All die Jahre hatten wir, Lily und ich, gekämpft, versucht endlich ein friedliches Leben zu führen. Und was ist schlussendlich dabei herausgekommen? Ein heiseres Lachen entwich meiner Kehle, während Tränen sich über mein Gesicht bahnten.

„Wir haben kläglich versagt.“, flüsterte ich ehe ich meine Hände in der Hosentasche verstaute und den gepflasterten Weg zum Auto ging. Dort schloss ich die Autotür auf und ließ mich auf den Fahrersitz sinken, die Tür hinter mir zu ziehend. Erschöpft verschränkte ich die Arme über dem Lenkrad, bettete meinen Kopf darauf und ließ alle Tränen freien Lauf.

Anfangs hatte ich mir geschworen für Lily zu kämpfen, niemals aufzugeben. Doch langsam war ich mit meiner Kraft am Ende. Ich konnte einfach nicht mehr. Jeden Tag der gleiche Weg hierher, der gleiche Anblick und die gleichen Worte des Arztes. Mir fehlte jemand, der mich auffing und mir wieder Mut gab. Aber von wem sollte ich diese erhalten? Wir waren doch alle mittlerweile ohne jegliche Hoffnung. Und obwohl ich genau wusste, dass es nicht gerecht war, hasste ich Toshiya zum ersten Mal für seinen Beruf, dafür, dass er lieber in der Welt auf Tour war, als hier zu sein – mich zu stützen. Wo war er, wenn ich ihn an dunklen Abenden brauchte? Wo war er, wenn ich das Gefühl hatte durchzudrehen und dabei war den Boden unter den Füßen zu verlieren?

„Scheiße!“, fluchte ich laut, obwohl mir eher zum Schreien zu Mute war.

Eine Weile lauschte ich meinem eigenen zittrigen Atem und spürte, wie die Tränen von meinem Kinn abperlten, bevor der Klingelton meines Handys mich erschreckt auffahren ließ.

Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht und kramte dann das Handy aus meiner Tasche. Schon auf dem Display konnte ich sehen, dass der Anrufer Toshiya war. Ohne groß nachzudenken, drückte ich den Anruf trotzig weg, schaltete darauf das Handy aus. Ich wollte ihn jetzt nicht hören und noch weniger wollte ich Fragen über Lilys Zustand beantworten. Sollten sie doch ihren Hintern endlich nach Tokyo bewegen und selber sehen was los war. Sie hatten sich damals nicht mal einen Zentimeter aus Niigata wegbewegt, als Lily plötzlich einen Herzstillstand hatte. Ihre Tour schien scheinbar wichtiger als das Leben einer Freundin.

Mit einer Menge Wut in Bauch, bei dieser Erinnerung, startete ich den Motor des Wagens und fuhr kurz darauf vom Parkplatz des Klinikgeländes. Mein Weg führte mich jedoch nicht nach Hause, sondern zu Hyde. Ich hatte die Hoffnung, dass er Daheim war, denn ich wollte mit jemanden reden.
 

Doch ich wurde enttäuscht, als ich bei Hyde ankam. Es war niemand zu Hause. Frustriert, ließ ich mich einen Moment auf den Treppenstufen am Hauseingang nieder. Und was jetzt?

Einen Blick über die Umgebung schweifen lassend, merkte ich, wie sich wieder die Einsamkeit und Trauer in mir hochkämpfte. Ich hielt dem entgegen und sprach mir Optimismus zu. Ich durfte nicht aufgeben, nicht aufhören an bessere Zeiten zu glauben. Lily würde es nicht wollen.

Also raffte ich mich auf, klopfte provisorisch meine Hose ab und schritt dann auf mein Auto zu. Kaum saß ich in diesem, war mein nächstes Ziel schon beschlossene Sache. Ich wusste nicht, wie diese Person auf mein plötzliches Auftauchen reagieren würde. Schließlich hatte ich diese wochenlang vernachlässigt und alle Anrufe ignoriert. Doch jetzt würde damit Schluss sein. Es musste sich etwas an der momentanen Situation ändern.

An meinem Ziel angekommen, fuhr ich langsam auf die Auffahrt des Grundstücks. Ich konnte schon von hier aus sehen, dass er zu Hause war. Noch ein Mal tief durchatmend, stellte ich mich.

Masa war überrascht, als er mich sah.

„Was für eine Ehre.“, schaute er enttäuscht.

Ich senkte betreten meinen Kopf, wusste nicht seinem Blick zu begegnen.

Einen Moment sagte keiner von uns etwas bis er mit einem: „Komm rein!“, die Tür weiter öffnete und dann durch den Flur verschwand.

Ich trat ein, zog mir Schuhe und Jacke aus, um Masa darauf ins Wohnzimmer zu folgen. Dieser saß auf der Couch und blickte mich abwartend an.

„Es tut mir so leid.“, murmelte ich, schaute mich schüchtern um.

„Schon gut.“, winkte Masa ab. „Wir sind alle zurzeit nicht wirklich auf der Höhe. Also ist das nicht sehr verwunderlich, wenn man mal einen Freund ignoriert.“

Die Worte waren wie Peitschenhiebe, aber ich versuchte diese einzustecken. Er hatte schließlich Recht und ich war mir auch jeglicher Schuld bewusst.

„Was führt dich zu mir?“, fragte er mich, nachdem ich mich endlich neben ihm auf die Couch gesetzt hatte.

Einen Moment überlegte ich, ob ich ihm die Sache mit Toshiya erzählen sollte, doch dann entschied ich mich vorerst dagegen. „Ich weiß nicht.“, meinte ich somit also nur und blickte ihn an.

Masa nickte, wich meinem Blick aus. „Wie geht es ihr?“

„Unverändert.“ Masa war bisher der Einzige, der noch nicht bei Lily im Krankenhaus gewesen war. Mich wunderte dies nicht. Manchmal fragte ich mich, ob er nicht derjenige war, welcher am Meisten von allen unter der jetzigen Situation litt. Schließlich war Gackt seitdem die ganze Zeit bei meiner Freundin und somit kaum zu Hause. Auf der anderen Seite durfte Masa somit auf Lilys Sohn aufpassen. Ich konnte ihm diese Last leider nicht abnehmen. War ich doch selber im sechsten Monat Schwanger und ging arbeiten.

„Kommst du klar?“, riss ich Masa aus den Gedanken.

Er schaute erst irritiert, schien dann aber zu wissen, dass ich die Situation mit dem Baby meinte.

„Es läuft.“, war alles was er mir antwortete. Dies machte mich etwas wütend. Was war das hier? Ein Frage – Antwort – Spiel ?

„Okay, was ist los, Masa? Bist du sauer auf mich? Dann sag es mir aber auch und spiel nicht den Wortkargen!“, ließ ich meinen Frust raus. Dass ich damit unterschwellig versuchte auch den ganzen anderen Frust loszuwerden, war mir nicht klar.

„Ich bin nicht sauer auf dich. Wenn, dann höchstens enttäuscht. Immerhin liefern Toshiya und du hier Lilys Kind ab und dann lässt du wochenlang kein Wort mehr von dir hören.“

„Und wieso sagst du das jetzt erst?“, schaute ich Masa verwirrt an. Dieses Problem bestand doch nicht erst seit gestern. Mein Gott.

Masa verdrehte darauf nur die Augen.

„Was?“, hakte ich also nach.

„Du verstehst gar nichts. Es ist besser du gehst wieder.“, kam es betont ruhig von ihm, was mich leicht wütend werden ließ. Dachte er denn, er wäre der Einzige von uns allen, welcher Probleme hatte?

„Du hast Recht, ich verstehe hier gar nichts. Und weißt du wieso? Weil du ja nie mal deinen Mund aufmachst. Ich muss immer so verstehen was in dir vorgeht. Aber es tut mir leid dich enttäuschen zu müssen, denn Gedanken lesen kann ich leider noch nicht!“, brüllte ich ihm entgegen. Gleich tat es mir leid, als ich erst sein geschocktes und dann sein wütendes Gesicht erblickte. „Masa, ich…“

„Geh!“, schnitt er mir das Wort ab.

„Das ist jetzt nicht dein Ernst.“ Er wollte mich doch nicht etwa wegen so etwas vor die Tür setzen.

„Es ist mein voller Ernst. Unter diesen Umständen spreche ich kein weiteres Wort mit dir. Komm wieder, wenn du dich beruhigt hast.“, waren Masas letzte Worte ehe er, ohne einen weiteren Blick, das Wohnzimmer verließ und im oberen Stockwerk verschwandt.

Darauf hörte ich nur noch eine Tür zuknallen, dann war es ruhig um mich herum.

Sprachlos und geschockt starrte ich vor mich hin. Was war da gerade eben geschehen? Mein Kopf war plötzlich wie leergefegt.

Ich weiß nicht wie, aber irgendwann hatte ich mich dann aufgerappelt und das Haus verlassen. Masa hatte sich nicht mehr blicken lassen.
 

Draußen angekommen, setzte ich mich in meine Auto und fuhr nach Hause, auch wenn mir nur allzu klar war, dass mir dort wohl die Decke auf den Kopf fallen würde.

Zu Hause warf ich einen Blick auf den blinkenden Anrufbeantworter. Ich hatte nicht die Muse auch nur annähernd den Knopf zum Abspielen des Bandes zu drücken. Also ignorierte ich es und ließ mich erschöpft im Wohnzimmer auf die Couch sinken. Mir tat alles weh und obwohl ich mich ausgelaugt fühlte, fand ich keine Ruhe. Sorgen und Probleme liefen in meinem Kopf im Kreis. Ich fühlte mich überfordert mit der jetzigen Situation. Ich fühlte mich im Stich gelassen. Im Stich gelassen von meinen Freunden und meinem Verlobten.

Ich ließ mich tiefer sinken, schloss voller Hoffnung, doch noch Schlaf zu bekommen, meine Augen und versuchte alle Gedanken aus meinem Kopf zu verbannen. Es klappte nicht ganz, aber eine gute Stunde später übermannte mich, in der Dunkelheit des Raumes, doch die Müdigkeit.

Es war nicht viel später, als mich das Klingeln des Telefons erschreckt aus dem Schlaf hochfahren ließ. Das Klingeln ignorierend, warf ich einen Blick auf die Digitalanzeige des Videorekorders. Es war gerade mal zwei Stunden her, als ich das letzte Mal dieser einen Blick gewürdigt hatte.

Genauso abrupt wie das Telefonklingeln begonnen hatte, hörte es wieder auf, noch ehe der Anrufbeantworter hätte einsetzen können.

Ich seufzte tief, schloss meine Augen wieder. Das waren die ersten zwei Stunden, die ich seit Lilys Unfall wieder einigermaßen durchgeschlafen hatte. Lily. Unweigerlich schweiften meine Gedanken wieder zu meiner Freundin.

Schädel-Hirn-Trauma mit subduralen Blutungen hatte mir der Arzt mitgeteilt, als ich nach dem Unfall im Krankenhaus ankam. Erst hatte ich kein Wort verstanden. Subdurale Blutungen? Doch der Arzt erklärte mir schnell, dass es eine Hirnblutung war, die begann Gehirngewebe zu verdrängen und damit wichtige Funktionen des Gehirns blockierte. Die Blutung wurde zwar schnell eingedämmt, doch forderten die Blutungen im Bauchraum, dass der Arzt meine beste Freundin in ein künstliches Koma versetzte. Lilys Körper hatte dies nicht verkraftet, worauf ihr Herz aussetzte. Nach der Wiederbelebung fiel ihr Körper dann von allein ins Koma. Die Ärzte konnten nicht sagen wann sie wieder aufwachen würde und ob sie es überhaupt je wieder tun würde. Doch ich war nicht gewillt sie aufzugeben. Ich würde durchhalten, egal wie viel es kosten mag.
 

Tränen liefen meine Wangen hinunter. Ich schniefte, legte meine Hände auf meinen runden Bauch. Ende sechster Monat. Meine Schwangerschaft war zurzeit eine große Belastungsprobe. Sie trieb mich, mit den ganzen Geschehnissen um mich herum, langsam ans Ende meiner Kräfte. Und, dass Toshiya in diesen Momenten nicht anwesend war, machte mich rasend. Klar, ich hatte von Anfang an gewusst mit wem ich da eine Beziehung einging und wer der Vater meiner Kinder werden würde, dennoch, denke ich heute, hatte ich mir ein Leben mit ihm zu einfach vorgestellt. Es war gar nicht so leicht immer mit Toleranz seinen Beruf gegenüber zu treten und zu akzeptieren, dass er auch mal in Situationen wie diesen nicht da sein kann.

Trotzdem machte es mich gerade jetzt wütend und ich war mir sicher, dass ich ihn ruhig ein paar Tage mal schmoren lassen konnte. Wenn er etwas wissen wollte, wenn vor allem Shinya etwas über Lilys Zustand wissen wollte, dann sollten sie sich nach über vier Wochen endlich ein eigenes Bild machen.
 

~*~
 

Ein ungewohnter Druck auf meinen Lungen, ein zwanghafter Rhythmus, der das Ein- und Ausatmen bestimmte, ließ mich unbewusst meine Luft anhalten. Wo war ich? Alles war schwarz um mich herum. Ich hatte keine Kraft mich zu bewegen oder auch nur die Augen aufzuschlagen. Ich war so unendlich müde.

Konsequent versuchte ich meinem Körper Herr zu werden, doch ein hoher Gegendruck auf meinen Lungen, zwang mich immer wieder zurück in die vorgegebene Monotonie.

Ein lauter Ton drang in mein Bewusstsein, wurde lauter. Dann eine sanfte Stimme. Sie sagte irgendetwas, aber ich verstand sie nicht. Ich versuchte mich auf diese zu konzentrieren, merkte nicht, wie ich mich dabei entspannte. Darauf war der laute Ton weg. Nun verstand ich einen Fetzen vom Gesagten: „…so ist gut…musst mit atmen.“

Mit atmen? Ich verstand nicht. Doch ich hatte auch keine Kraft weiter darüber nachzudenken, worauf ich wieder wegdriftete.
 

~*~
 

Der Geruch von Desinfektionsmittel stieg mir in die Nase, als ich die Intensivstation des Krankenhauses betrat. Es war 5 Uhr morgens. Die Intensivstation war eine der wenigen Abteilungen, welche unbegrenzte Besuchszeiten hatte.

Kurz vor Lilys Zimmer kam mir eine Schwester entgegen.

„Morgen, Galiano-san.“, verbeugte sie sich, als sie vor mir zum Stehen kam.

„Gibt es was Neues?“, fragte ich sie Standard gemäß.

„Ihre Freundin hatte sich in der Nacht etwas gegen die Beatmungsmaschine gewehrt, aber das ist nichts Außergewöhnliches. Ihr Bekannter konnte ihre Freundin recht schnell wieder beruhigen.“, versuchte sich mich ruhig zu halten.

„Hatte diese Reaktion von ihr etwas zu bedeuten? Ich meine, ist das ein gutes Zeichen?“, gab mir Lilys Reaktion wieder etwas Hoffnung.

„Ich möchte Ihnen keine falschen Hoffnungen machen. Manchmal atmen die Patienten einfach gegen die künstliche Beatmung, tun das aber unbewusst. Ich empfehle Ihnen erst einmal die Arztvisite von heute abzuwarten, um Genaueres zu erfahren.“

„In Ordnung. Vielen Dank! Ich werde dann mal reingehen.“, verabschiedete ich mich von der Krankenschwester und konnte dabei nicht verbergen, dass mir deren Antwort ein wenig missfiel.

„Tun sie das. Wenn etwas ist, dann sagen sie uns Bescheid.“, verbeugte sie sich wieder und dann zog sie, mit einen aufmunternden Lächeln, an mir vorbei.

Für mich war dies das Startzeichen endlich ins Zimmer zu gehen.

Leise schloss ich die Tür hinter mir und warf dabei einen Blick zum Bett. Gackt lag mit dem Oberkörper auf diesen und hielt Lilys bleiche Hand, während sie immer noch so dalag wie ich sie verlassen hatte.

Ich schaute weiter durchs Zimmer. Es war nur spärlich erleuchtet, obwohl es früh am Morgen war. Die zugezogenen Gardinen sperrten das morgendliche Sonnenlicht so in seine Schranken.

Das Piepen des Monitors hallte stetig durch den Raum. Es gab Tage, da raubte mir dieses Geräusch den letzten Nerv. Es klang wie eine tickende Zeitbombe. Als würde ein Schweigen dieses Tones das Ende bedeuten. Aber das war nicht das Einzige, was die Stille brach. Noch mehr, als den Monitor, konnte man das Geräusch der Beatmungsmaschine hören. Das Blubbern von Wasser, welches die Atemluft im Beatmungsschlauch anfeuchtete. Manchmal erwischte ich mich –alleine an Lilys Bett sitzend- wie ich unbewusst im gleichen Rhythmus mit atmete, wie es das Gerät vorgab. Welch schlimmes Gefühl musste es wohl sein, wenn die Technik einen sagte wie man zu atmen hatte? Eigentlich hatte ich mir von Anfang an vorgenommen gehabt mich niemals in Lilys Lage zu versetzen. Aber unbewusst tue ich dies immer wieder. Und die Vorstellung, welche dabei durch meinen Kopf geht, macht mir Angst und treibt Tränen in meine Augen.

„Hey! Du bist ja schon wieder hier.“, holte Gackts Stimme mich aus meiner Starre, die ich eingenommen hatte.

Ich lächelte erschöpft mit Mühe und schritt zu ihm hinüber. „Konnte nicht mehr schlafen.“

„Kann ich gut nachvollziehen.“, nickte er. „Man nickt zwar immer mal wieder ein, vor Müdigkeit, aber so richtig schlafen tut man doch nie.“

Ich setzte mich auf die Bettkante, zu Lily, und strich über ihre Hand. Sie war, im Gegensatz zur anderen Hand, mit blauen Flecken übersät. Verursacht durch unzählige Nadelstiche bei den Blutentnahmen. Und obwohl Lilys Anblick manchmal kalt wirkte, zeigte mir diese Berührung wieder mal allzu deutlich wie viel Leben noch in diesem Körper steckte – allein durch Wärme.

„Sie scheint aktiver als sonst.“, murmelte Gackt und schaute mich leicht von der Seite her an. Man konnte trotz spärlicher Beleuchtung deutlich sehen wie eingefallen sein Gesicht war. Diese Situation zerrte mehr als alles Andere an seinen Kräften.

„Die Schwester draußen hatte mir schon von heute Nacht berichtet.“

Ich seufzte. Wie lange kannte ich Gackt jetzt? Vier Jahre? Das war im Grunde eine lange Zeit und dennoch hatte ich das Gefühl nichts über ihn zu wissen. Ich wusste kaum etwas und dies stimmte mich immer wieder melancholisch, wenn ich daran dachte. Dieser Mann war einer meiner Musikeridole gewesen und hatte mir genauso viel bedeutet wie Masa Lily etwas bedeutete. Es war immer mein größter Wunsch gewesen diesen Mann näher kennen zu lernen. Und nun? Nun saß er neben mir und ich wusste nach all der Zeit nicht viel mehr über ihn als man auch aus Interviews lesen konnte. Aber mir war nur allzu klar wieso das so war. Sicher, ich könnte von mir aus mal etwas an dieser Situation ändern, aber ich wusste nicht wie. Nach vier Jahren hatte ich mich irgendwie mit dieser Beziehung, die ich zu Gackt hatte, abgefunden. Eigentlich sollte es nicht so sein. Ich sollte versuchen wieder einen Draht zu ihm zu bekommen oder überhaupt mal eine gute Verbindung aufzubauen. Ihn kampflos einfach jemanden zu überlassen, der seine Zuneigung nicht zu schätzen weiß, war nicht mein Wesen.
 

Gackt ging eine gute Stunde später. Nachdem er sich ausgiebig von Lily verabschiedet und ihr einen Kuss auf die Lippen gedrückt hatte. Ich nahm den Anblick dieser Zärtlichkeit immer noch mit einem flauen Gefühl im Magen wahr. Wer weiß wieso, aber ich mochte mich nicht daran gewöhnen, dass Gackt Lily so viel Aufmerksamkeit schenkte, obwohl er Masa hatte und sie mit Shinya zusammen war. Lily hatte weiß Gott schon ein genug verkorkstes Leben, um es ihr mit so etwas noch schwerer zu machen.

Nun saß ich wieder hier. Alleine neben meiner besten Freundin und beobachtete sie. Es fiel mir heute besonders schwer mit ihr zu reden. Ich wusste nicht recht, wie ich ihr erzählen sollte, was in mir vorging. Mir fielen nicht ein Mal positive Worte ein, um sie etwas zu bestärken, wieder zu uns zurück zu kommen. Sie sollte kämpfen. Ich vermisste sie so sehr. Ihre warme und realistische Art. Sie konnte die Situationen, die wir bis jetzt gemeinsam durchlebt hatten, immer mit einer gewissen objektiven Seite betrachten und mir immer einen Weg zeigen. So schien alles im Leben immer voran zu gehen. Stück um Stück, Schritt für Schritt. Sicher, für sich selber konnte Lily diese Einstellung immer schwer einsetzen und ich als Freundin besaß diese Gabe leider nicht. Alles was ich konnte, war hin und wieder die Euphorische und Optimistische zu spielen. Aber das brachte zurzeit relativ wenig. Wem sollte das jetzt etwas nützen, wenn ich selber das Gefühl hatte, dass solche Gefühlsregungen völlig unpassend erschienen?

„Galiano-san?“, kam unerwartet Besuch ins Zimmer. Es war der Chefarzt der Station und ich hatte schon unzählige Gespräche mit ihm geführt und mir Lilys Zustand ausführlich erklären lassen.

„Ohyama-san.“, stand ich von meinem Stuhl auf und verbeugte mich zur Begrüßung.

Er lächelte leicht und winkte ab. „Lassen Sie doch diese Förmlichkeiten.“

„Es tut gut Sie zu sehen.“, meinte ich erleichtert. Und das war wirklich so. Ich hatte zu diesem Mann in den letzten Wochen eine gute Beziehung aufgebaut. Und manchmal glaubte ich, dass er einer der wenigen Menschen hier war, der noch Hoffnung verbreitete und fest an der Ansicht festhielt, dass es gut ausgehen würde mit Lily.

„Wie geht es Ihnen?“, fragte er mich und ging zu Lily hinüber.

„Nicht der Rede wert.“, wollte ich hier nicht über mich reden. „Sagen Sie mir lieber wie es um meine Freundin steht.“

„Nun, ich hab mir die Vitalparameter von letzter Nacht angesehen und das EEG, also die Hirnstromuntersuchung, von gestern Nachmittag. Ich mag keine falschen Hoffnungen wecken, aber es sieht alles sehr physiologisch aus.“

„Physiologisch?“ Manchmal hasste ich dieses Arztlatein echt. Konnten die sich nicht mal ausdrücken, dass es ein Normalsterblicher verstand?

Ohyama-san lachte kurz auf, als er wohl mein dümmliches Gesicht sah. „Tut mir leid. Was ich damit sagen wollte ist, dass alles wieder von den Organfunktionen so ist wie es sein sollte. Jetzt muss Ihre Freundin nur noch aufwachen und da sind uns leider die Hände gebunden. Denn das muss Ryan-san schon alleine tun. Wir werden sie jetzt gleich von der Beatmungsmaschine nehmen und sehen wie sie darauf anspricht. Aber eigentlich dürfte sie das gut verkraften, denn sie atmet mittlerweile mit der Maschine alleine mit.“

Mir fiel ein zentnerschwerer Stein vom Herzen. Hieß das, dass es wieder bergauf ging?

„Gibt es etwas, wie ich es meiner Freundin leichter machen könnte wieder aufzuwachen?“

„Sie sollten viel mit ihr reden, aber das tun sie ja ohnehin schon. Spielen Sie ihr etwas vor, was sie gerne mag. Manchmal sind es kleine und unterbewusste Dinge, die einen Menschen aus dem Koma aufwachen lassen. Ich habe schon vieles erlebt, von Musik der Lieblingsbands, die Stimme von wichtigen Personen oder Geschichten aus dem Lieblingsbuch. Was Sie davon wählen ist letztendlich Ihnen überlassen. Doch ich muss Ihnen auch sagen, dass Sie in solche Dinge nicht alle Hoffnung setzen sollten.“

Ich nickte verstehend und gleichzeitig überlegte ich, was es sein könnte was Lily unterbewusst am meisten an diesem Leben hier bindet. In erster Linie würde ich Alex sagen, aber ihn hierher zu holen, war eine Unmöglichkeit.

„Gut, ich werde Ihre Freundin jetzt noch mal untersuchen, und wenn es noch Fragen gibt, bin ich gerne bereit Ihnen diese zu beantworten. Aber das wissen Sie ja.“, legte er kurz aufmunternd eine Hand auf meine Schulter. Dann ging er an seine Arbeit. Ich beobachtete jede Handlung von ihm und verfolgte mit einem klammen Gefühl im Magen, wie Ohyama-san zusammen mit einer Schwester den Tubus aus Lilys Hals zog und sie somit wieder der eigenen freien Atmung aussetzte.

Lange konnte ich mir dieses Schauspiel jedoch nicht antun. Bevor mich meine Emotionen zu übermannen drohten, machte ich also kehrt und rannte aus dem Zimmer. Mir den Blick der anderen beiden in meinem Rücken gewiss.
 

Vor dem Kaffeeautomaten stehend, atmete ich ein Mal tief durch. Noch ein paar Stunden, dann würde Gackt mich wieder ablösen. Ich sollte die Zeit danach wirklich nutzen, um bei Hyde vorbei zu fahren, nachdem er mich nun etliche Male versucht hatte anzurufen. Es schien wichtig zu sein.

Ich griff nach dem fertigen Kaffee und nahm einen Schluck. Dabei schaute ich mich in der großen Eingangshalle des Krankenhauses um. Es war reger Betrieb um diese Zeit. Überall sah man Patienten in ihren Betten, die auf ihre nächste Untersuchungen zu warten schienen oder darauf, dass sie wieder zurück auf ihre Station gebracht werden würden.

Für mich ein Wink, auch wieder zurück zu gehen. Also steuerte ich die Fahrstühle an, um mit ihnen in die erste Etage zu fahren. Einen Moment überlegte ich sogar, ob ich nicht mal wieder die Treppen nehmen könnte, doch mein dicker Bauch machte mich gleich wieder darauf aufmerksam, dass es eine nicht allzu gute Idee wäre.

Oben angekommen, klingelte ich, um auf die Station zu kommen. Es war Leuten von außerhalb grundsätzlich verboten, einfach so eine Intensivstation zu betreten. Die Schwester von heute morgen ließ mich rein und dann steuerte ich auf die Tür, von Lilys Zimmer zu. Ich glaube, ich könnte diesen Weg mittlerweile schon mit verbundenen Augen gehen. Doch kaum war ich einige Schritte gegangen, fiel mir die Person auf, die nun ein kleines Stück vor mir lief. Einen Moment haderte ich mit meinem Verstand. Das konnte nicht sein? War das da wirklich Masa, der in Lilys Zimmer verschwand?



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von: abgemeldet
2008-03-24T13:25:18+00:00 24.03.2008 14:25
Hei...bin so froh geht die geschichte weiter..
freu mich schon auf den nächsten teil..bin wieder mal ganz verückt nach deiner geschichte

bis dann
Von: abgemeldet
2008-03-21T21:09:07+00:00 21.03.2008 22:09
bin auch angenehm ueberrascht dass dich die schreibwut zu dieser fortsetzung getrieben hat. freue mich auf weitere folgen.

frohe ostern wuensch ich dir


Von: abgemeldet
2008-03-17T17:37:36+00:00 17.03.2008 18:37
Awww~ eine Fortsetzung *___________*
Dafür bet ich dich an XD

Hoffentlich wacht Lily bald wieder auf>_< Ihre Situation ist ja echt bedrückend~
Und auch Kira, kann einem gerade jetzt nur Leid tun>_>
*sigh*
Ist mal wieder alles so schön kompliziert~ XDDDD
Aber das ist auch gut so *lol*

Schreib schnell weiter~ :3
Von:  Sagashii
2008-03-16T15:35:18+00:00 16.03.2008 16:35
uh die fortsetzung macht mich jetzt schon neugierig..
ich bin gespannt wenn er es wirklich is was ich tglaube was masa dann sagt warum er bei lily ist^^

schreib bitte schnell weitewr und lass die diru's wieder kommen..
*die und totchi schu vermiss*
;____;


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