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michiru leben oder sterben ?

von

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Sie wischte den Staub auf dem Einband des Buches mit einem Lappen weg. Sie spürte einen Kloss im Hals als sie sah, dass es ein Photoalbum war. Sie wehrte sich dagegen, es fallen zu lassen und öffnete es vorsichtig. Als sie die Bilder auf der ersten Seite sah, kniff sie die Augen zu und schloss es schnell. Seufzend strich sie die Hand durch ihre Haare.
 

Sie fragte sich ob... sie sich an sie erinnern würde. Sie fragte sich, was sie wohl tat, ob sie mit ihrem Leben zurecht kam... Wahrscheinlich. Sie war schon immer eine sehr bestimmte Person gewesen, besonders, als sie sich getrennt hatten.
 

Sich getrennt... sie lächelte verbittert. Sie schüttelt den Kopf, legt das Buch in eine grosse Schachtel oben auf, schloss sie und befestigte den Deckel mit Klebeband. Sie stand auf, verliess den Dachboden mit der Schachtel und legte sie in den Flur.
 

Ich gehe endlich zurück, dachte sie und starrte aus dem Fenster.
 

Durchgeschnitten... langsam rannen die kleinen Tropfen nach unten, langsam, langsam, langsam...
 

Sie stand auf der Bühne, starrte in die Menge, ohne sie wirklich zu sehen. Ihr erster Auftritt in Tokyo seit vier Jahren. Sie hatte das Recht nervös zu sein. Sie war überrascht, dass, nachdem sie aus Europa wieder nach Japan zurückgekehrt war, auf ihr Angebot hin für die Wohltätigkeit zu spielen, von verschiedenen Organisationen, die von ihrem früheren Leben in Tokyo und von ihrem enormen Erfolg auf ihrer Tour in Europa und Amerika gehört hatten, sie regelrecht angesprungen wurde.
 

Ihre Musik hatte sich noch verbessert, was wirklich unglaublich war, angesichts des Talents, das sie bereits im Alter von fünfzehn, sechzehn, siebzehn, achtzehn, neunzehn Jahren an den Tag legte. Jetzt war sie dreiundzwanzig und wurde im Allgemeinen als eine der besten Violinisten - wenn nicht sogar einstimmig als die beste Violinistin des Jahrhunderts - gehandelt.
 

Sie nahm das an mit einem schüchternen, höflichen Lächeln hinter dem eine Anspannung verborgen lag, die kurz vor den zerreissen war. Den unglaubliche Druck berühmt und talentiert zu sein, kannte sie, schon seit sehr langer Zeit. An manchen Tagen wurde sie besser damit fertig, an anderen schlechter.
 

Vielleicht war es ein Fehler, nach Japan zurück zu kehren, überlegte sie. Hier war es, wo sie am meisten geschätzt wurde, und so würde es für sie schlimmer sein, aber sie vermisste ihr zu Hause, vermisste das bunte Leben, die Kultur, die Atmosphäre...

Sie vermisste auch ihre Freunde, aber sie würde ihnen nicht mehr begegnen, wenn es irgendwie möglich war. Sie hoffte, sie würden davon absehen, mit ihr in Kontakt zu treten; es wäre auf diese Weise besser für alle.
 

Das Publikum jubelte und applaudierte bereits für sie. Sie lächelte und legte die Violine - die sie hatte, seit sie fünfzehn war, und sie immer perfekt pflegte - unter ihr Kinn, wo sie schon immer hingehörte. Mit ihrem rechten Arm, dessen Finger den Bogen sanft griffen, begann sie zu spielen, nachdem sie den Bruchteil einer Sekunde schwankte.
 

Ein langsames, romantisches Stück, durchzogen mit einer melancholischen Traurigkeit. Wie ihr Leben. Sie schloss die Augen und liess ihre Gedanken von der Musik begraben werden, die für sie spielte und die reinen, rohen Gefühle von die Saiten des Instrumentes zeichnete.
 

Die Musik war eines der wenigen Dinge, die sie auf ihren Wunsch hin beruhigten. Seit einigen Jahren - seit sie Japan verlassen hatte - verschwanden die Schönheiten aus ihrem Leben, Schönheiten, über die sie sich gefreut hatte und von denen sie wusste, dass sie nie wiederkehren würden... Also besann sie sich auf die einfachsten Dinge in ihrem Leben von denen sie wusste, dass sie sie nie verlieren konnte - weil sie ihr Leben waren - Musik, Kunst, Wasser.

Die Violine, der Pinsel, das Meer.
 

Sie beendete die Musik und fühlte einen tiefen Schmerz, als sie aus ihrer eigenen, privaten Welt zurückkehren musste, wo sie alles kontrollieren konnte und sie vor allem sicher war, was sie verletzten konnte. Sie verbeugte sich leicht vor der Standing Ovation, die ihr zuteil wurde, lächelte traurig, als sie die Blumen sah, die auf die Bühne geworfen wurden. Blumen, die ihr Leben für sie gaben, die bald verwelken und sterben würden, und alles nur wegen einer einzigen Nacht, nach der sie alleingelassen und vergessen sein würden, wenn ihr Zweck erfüllt war.
 

Sie verliess die Bühne. Sie kam nur einige Meter vom Vorhang weg, als ein harter Schock durch sie hindurch floss. Sie griff nach etwas, bekam mit den Fingern den Samt zu fassen und versuchte, sich zu beruhigen. Stattdessen fiel sie zu Boden, sie biss sich auf die Lippe, um zu verhindern, dass sie vor Schmerzen aufschrie. Es geht weg, es geht weg, sagte sie sich. Das tut es immer... Nur eine qualvolle Minute und es würde verschwinden... Ihr Atmen war hart und tief, sie dachte, sie müsse ersticken, als würde sie nicht genug Luft in ihren Körper bekommen.
 

Dann wurden die Schmerzen langsam weniger und ihre Atmung wurde besser, als sie lang und tief atmete. Sie stand langsam auf, wischte über ihr Kleid und ging zu ihrem Umkleideraum, wie wenn nichts gewesen wäre.
 

Sie trat in den Raum, er hatte weisse Wände und eine angenehme Grösse. Es hatte ein Frisiertisch gegenüber der Türe. Der Violinenkasten lag auf dem Tisch, sie legte ihre Violine vorsichtig hinein, schloss den Deckel und liess das Schloss einschnappen. Sie seufzte, kreuzte ihre Arme darauf und legte ihren Kopf hin.
 

Da gab es jetzt nur noch etwas, was sie zu tun hatte...
 

Sie setzte sich in der Dunkelheit, wischte ihre Tränen gefühllos vom Gesicht. Wieder ein Alptraum, wieder ein Traum. Eine weitere schlaflose Nacht... eine weitere Folter. So lange wie sie diese Träume verfolgten, so lange würde sie nie von der Schuld freikommen, die sie fühlte, über das Grauen des Lebens.
 

Ohne das Licht anzumachen stand sie auf und ging ins Bad. Es war ein bekannter Weg, sogar in der Dunkelheit... Besonders in der Dunkelheit. Viele Male lief sie genau so, um genau diese Zeit, auf genau diese Weise. Im Bad schalteten ihre Finger das Licht an.
 

Einen Moment lang starrte sie sich im Spiegel an und fragte sich, wie sie so weit kommen konnte, aber sie achtete nicht auf eine Erklärung. Sie hatte versucht sich Dinge zu erklären; sie war sogar bei einem Psychologen. Keines brachte ihr viel, nur dass sie sich noch mehr hasste.
 

Sie griff in die Seitenschublade und nahm den gewünschten Gegenstand heraus. Sie starrte darauf und spürte, wie ihr schlecht wurde, das Grauen und die Abscheu über sich selber, die sie immer fühlte. Sie schob diese Gedanken zur Seite, hielt es unter das laufende Wasser und reinigte es mit Alkohol. Sie kniete vor die Toilette, hielt ihre linke Hand über die Schüssel, zog ihren Ärmel zurück...
 

Sie war bloss jemand in der Menge. Die Leute um sie ignorierten sie, oder erkannten sie nicht. Sie war sehr lange weg, und sie liess es nicht zu, dass Bilder von ihr in der Zeitung oder im Fernsehen gezeigt wurden. Das war die Bedingung an die Organisationen. Keine Publicity oder kein Auftritt. Sie hatten sich bereit erklärt.
 

Sie seufzte und band ihre seegrünen Haare zu einem Pferdeschwanz. Sie schnitt sie selten, ausser manchmal die Spitzen, also waren sie lang und fielen mitten über ihren Rücken. Lange Haare wären für die Jungen hatte sie gehört, und obwohl sie kaum Mitte zwanzig war, fühlte sie sich kaum mehr jung. Trotzdem half es ihr, andere davon zu überzeugen, dass es ihr gut ging.
 

Sie hob ihre Handgelenke und starrte darauf. Die Narben waren jetzt in einem hellen Weiss; in nur wenigen Tagen würden sie so verblasst sein, dass sie niemand mehr bemerken würde. Sie schnitt immer tief, aber aus einem merkwürdigen Grund weigerte sich ihr Körper die Tiefe des Schmerzes, den sie empfand, zu zeigen, und versteckte es schnell. Sie lächelte vor sich hin und dachte, dass eines Tages - vielleicht schon bald, hoffte sie - ihr Körper nicht mehr in der Lage war, etwas zu tun.
 

Sie zwang ihre morbiden Gedanken weg und konzentrierte sich auf die Geschehnisse vor ihr. Unter den Zuschauerrängen im grossen Stadium war ein Rennkurs aufgebaut. Die Leute um sie herum riefen und schrien und es schmerzte ihre Ohren, aber sie wurde damit fertig. Da waren viele Mechaniker und Rennfahrer und Autos, die für das Rennen bereit gemacht wurden.
 

Ihre Augen lagen auf einem bestimmten Rennfahrer. Von ihrem Platz aus konnte sie sehen, dass die Person kurze, blonde Haare hatte und um einiges grösser war, als der Rest der Leute um ihn. ‚Sie‘, korrigierte sie sich.

Eine Frau, kein Mann.
 

Sie lächelte leicht, und erinnerte sich sehnsüchtig an die vergangene Zeit. Sie schüttelte den Kopf und hätte sich ohrfeigen können, dafür, dass sie wieder in der Vergangenheit hing. Darüber war sie hinweg, genauso wie das andere Mädchen. Erinnere dich. Das letzte Mal, als du sie gesehen hast, habt ihr euch angeschrien. Sie hasst dich... wenn man davon ausgeht, dass sie sich überhaupt an dich erinnert.
 

Das Mädchen im Stadion sah nach oben und die andere drehte sich weg, sie vermied Augenkontakt. Sie wird mich nicht sehen... Aber wird sie meine Anwesenheit fühlen? Früher wussten wir immer, wenn die andere in der Nähe war. Sie konnten immer spüren, wenn der anderen etwas passierte... Aber das war früher, erinnerte sie sich. Bevor sie sich getrennt hatten.
 

Sich getrennt. Das war etwas, was sie nie wieder erleben wollte. Es war zu schmerzhaft, es war einer der Gründe, die sie beinahe in den Selbstmord trieben. Natürlich gab es noch schwerwiegendere Gründe. Den Tod eines geliebten Menschen.

Der Mutterinstinkt sagte einem, dass man niemals sein eigenes Kind begraben sollte... Der Mutterinstinkt diktiert nicht die Realität.
 

Gestern war sie am Grab. Es regnete, passenderweise. Sie hätte beinahe geweint, als sie den Grabstein gesehen hatte, aber sie kontrollierte die Menge an Gefühlen in ihr. Darin war sie gut. Es hatten tote Blumen da gelegen, die einen Mangel an Besuchern anzeigten. Sie hatte sie weggeschleudert. Sie hatte etwas dort lassen wollen, aber sie wusste, dass, was immer es gewesen wäre, es wäre doch niemals genug. Welches Geschenk kann den Toten gemacht werden, wenn nicht das Leben?
 

Nicht, dass das Leben wunderbar gewesen wäre. Sie wusste, dass es weh tat. Deswegen spielte sie Spiele mit dem Leben, furchtbare Spiele, gefährliche. Sich die Pulsadern aufzuschneiden war nur eines von mehreren verdrehten Dingen, die sie tun konnte, um mit dem Tod zu flirten. Bisher war sie jedoch ‚zivilisiert‘ genug, nicht weiter als das zu gehen.
 

Sie wünschte sich, ihre alten Freunde könnten sie sehen. Es war makaber, sie konnte sie sehen, wie sie sie mit Ekel und Abscheu betrachteten, sie verachteten, verabscheuten. Das wäre mir lieber, als alleine zu leben, mich selbst zu hassen, dachte sie. Dann könnte sie endlich dazu getrieben werden, sich umzubringen.
 

Sie lehnte sich nach vorne und fühlte eine merkwürdige Kälte durch sie hindurch fliessen, als ob sie jemand mit seinem Blick durchdringen würde. Sie drehte sich langsam um, sah auf und blickte auf einen schwarzhaarigen Mann, der sie anstarrte. Als sie ihn so direkt anschaute, drehte er sich weg. Attraktiv, vermutete sie, aber warum hatte er sie in dieser Weise angesehen? Sie drehte sich wieder nach vorne, aber sie konnte ihre Ängste nicht abschütteln.
 

Das Rennen begann und die Menge schrie und rief noch lauter als zuvor. Sie blieb sitzen und starrte auf die Rennbahn mit einem leeren Ausdruck auf ihrem hübschen Gesicht. Als sie den Wagen beobachtete - Wagen 910 - erinnerte sie sich an den Tag, an dem sie das erste Mal mit dem Fahrer auf einem Motorrad gesessen hatte.
 

Sie hatte ihre Arme um deren Hüfte geschlungen und hielt sich fest, wie sie es ihr gesagt hatte. Sie waren so schnell... Es war eine wundervolle Erfahrung, genau so wie sie wusste, dass es sein würde. Die Aufregung hatte sie mitgetragen, die Gefahr streifte sie... Und es war sogar noch besser, weil sie zusammen waren.
 

Und als der Wagen 910 als erstes durch das Ziel fuhr, war der Stuhl in den Zuschauerrängen, auf dem das ruhige seegrünhaarige Mädchen gesessen hatte, leer.
 

Sie rannte die Treppe hinunter, hielt im dunklen Flur, der zu einem unteren Ausgang führte. Sie lehnte sich gegen die Wand und versuchte, nicht zu weinen. Verdammt, sie dachte, sie wäre darüber hinweg. Sie hatte sich gesagt, dass sie nichts mehr für das andere Mädchen empfand, dass sie Rennen fahren zu sehen nur eines der letzten Dinge war, die sie zu tun hatte um sich zu überzeugen, dass sie alles Mögliche getan hatte, um das, was in der Vergangenheit geschehen war, aufzuholen.
 

Sie hielt ihren Kopf im Arm, der gegen die Wand gelehnt war und seufzte furchtbar. Du versuchst immer dich zu linken, du versuchst immer dich zu betrügen, damit es niemals klappt...
 

Sie beschloss, dass sie es beenden würde, endlich. Sie hatte alles getan, um es zu vollenden; es gab einfach nichts mehr, für das sie zu leben hatte.
 

Eine Hand berührte ihre Schulter. Sie drehte sich defensiv und sah denselben schwarzhaarigen Mann von vorhin.
 

„Es tut mir leid“, entschuldigte er sich. „Ich dachte, Ihnen fehlt etwas. Ich habe mich gefragt, ob sie krank sind, oder so.“
 

Sie atmete auf und lächelte müde. „Nein, danke. Es geht mir gut.“
 

„Sie sind eine sehr hübsche Frau“, sagte der Mann und blieb genau vor ihr stehen.
 

Sie lächelte ihn an, war beunruhigt über seine Stimme und seine Augen. „Danke...“, sie versuchte, an ihm vorbei zu kommen, aber er stand ihr im Weg. „Es tut mir leid. Ich muss an Ihnen vorbei. Können Sie bitte zur Seite gehen?“
 

Er packte sie am Arm und sagte: „Ich möchte mit Ihnen Essen gehen.“
 

„Ich hab’s eilig“, sagte sie kühl und versuchte, ihren Arm zu befreien. Er liess sie nicht los. Sie geriet in Panik.

Warum zum Teufel lässt er mich nicht in Ruhe? „Bitte lassen Sie los.“
 

„Vielleicht haben Sie mich nicht gehört“, sagte er, seine dunklen schwarzen Augen waren beängstigend, er zog sie zu sich.
 

Sie kickte ihm in die Rippen und als er aufschrie und ihren Arm losliess, rannte sie so schnell sie konnte zum Ausgang, aber sie erkannte zu spät, dass sie in die andere Richtung hätte laufen sollen.
 

Sie fiel auf den Steinboden als er nach ihr griff. Sie schrie: „Lass mich los!“, und trat seine Hand mit ihrem Schuh, Blut floss, aber er achtete nicht auf die Schmerzen und hielt ihren Mund mit seiner Hand zu. Sie biss ihn und er heulte wieder vor Schmerzen. Sie schrie erneut.
 

„Halt die Klappe!“, platzte er heraus, schlug ihr ins Gesicht, der Ring an seinem Finger schnitt in ihre Wange.
 

Plötzlich rissen Hände ihn von ihr weg. Sie hörte den Mann schreien als er mehrmals geschlagen wurde. Dann war es ruhig und sein Körper fiel reglos zu Boden. Sie setzte sich langsam und als sie ihn betrachtete, sah sie das Blut sein Gesicht hinunter laufen, die miese Situation in der er war.
 

„Geht es Ihnen gut?“, fragte die Stimme ihres Retters durch einen Helm hindurch. Also war er einer der Rennfahrer.
 

„Ja, danke“, sagte sie sanft und stand auf um ihn an zu sehen.
 

Er nahm langsam seinen Helm ab, kurzes, blondes Haar kam zum Vorschein.
 

Sie trat einen Schritt zurück. „Ha-Haruka?“, flüsterte sie, ihre Hände formten sich zu Fäusten. Sie wollte sie nur fahren sehen, nicht sie treffen...
 

„Michiru?“, fragte die andere, ebenso unsicher, was sie tun sollte.
 

„Es tut mir leid“, murmelte sie und drehte sich weg.
 

„Michiru, bist du sicher, dass es dir gut geht?“, fragte Haruka freundlich, ihre Stimme war weder kalt, wie sie es erwartet hatte, noch warm, wie sie es nicht tat.
 

„Ja, mir geht’s gut“, antwortete die grünhaarige Frau. „Ich wäre beinahe vergewaltigt worden. Mir geht’s so gut, wie es einem nur gehen kann...“
 

„Ich werde dir nicht irgendwie weh tun oder so“, sagte die Blonde vorsichtig, ihr gefiel der Sarkasmus in der Antwort nicht die sie erhielt.
 

„Es geht mir gut“, wiederholte sie und lief schnell weg. Sie kam nur ein paar Schritte weit, bis ihr Knöchel anfing zu schmerzen und sie hinfiel. Sie biss sich auf die Lippe und versuchte aufzustehen, aber die Schmerzen waren zu unerträglich.
 

Harukas Arme waren um sie gelegt und halfen ihr auf. Michiru lehnte sich an sie um sich helfen zu lassen. Sie blickte in Harukas besorgte Augen und das erwies sich als zu viel, sie begann gegen ihre Brust zu weinen. Haruka legte sanft ihre Arme um ihre Hüften, hielt sie fest, sie sagte nichts.
 

Sie zuckte zurück, als der Alkohol auf ihrer Wunde brannte. Haruka hielt inne und fuhr fort, indem sie die Wunde mit dem in Flüssigkeit getauchten Wattebausch reinigte. Als sie das ganze Blut weggewaschen hatte, warf sie den Wattebausch weg und stellte den Alkohol zurück in das Schränkchen.
 

Michiru rutschte vorsichtig vom Bett und musste sich auffangen, um nicht hinzufallen. Sie schüttelte den Kopf und trat vorsichtig auf.
 

„Eine Sehne ist gedehnt“, sagte Haruka, nachdem sie sich gebückt hatte um es sich anzusehen. „Es ist nicht so schlimm, du kannst immer noch gehen.“
 

Die Blonde betrachtete sie einige Momente lang. Sie war immer noch unglaublich schön nach vier Jahren, wahrscheinlich noch mehr, als sie es mit neunzehn war. Sie hatte nach einer Weile aufgehört zu weinen und murmelte, dass ihr dieser Ausbruch leid täte.
 

Es tat ihr leid. Es tat ihr immer leid. Es hatte ihr leid getan an dem Tag, als sie sich gestritten hatten, an dem Tag, als sie sich getrennt hatten. Es hatte ihr leid getan, als Hotaru starb, es tat ihr leid, als sie Haruka sagte, sie könne sie nicht heiraten, es tat ihr leid, als sie ging...
 

Das Mädchen wanderte in der Wohnung auf und ab, obwohl es ihr schwer fiel, sie hielt vor einer Vitrine mit Bilderrahmen. Sie sah all die Preise, die Haruka gewonnen hatte, all die Ehrenauszeichnungen, die sie sich verdiente. Sie nahm ein Bild mit einem hübschen blauhaarigen Mädchen und Haruka darauf in die Hand. Sie stellte es wieder hin, drehte sich zu Haruka und lächelte leicht. „Sie ist hübsch... Deine Freundin?“, fragte sie höflich.
 

„War.“ Harukas Antwort war kurz und ihr unangenehm. Sie mochte es nicht über ihre vergangenen Geliebten mit diesem Mädchen zu reden, das für sie mehr als das war.
 

Michiru nickte. „Sie sieht nett aus... Du hättest wahrscheinlich nicht Schluss machen sollen, aber andererseits... du wirst jemand anderen finden...“
 

Sie trat zum Fenster und öffnete einen der Rollos um hinaus zu sehen. Von hier aus hatte sie einen schönen Blick über die Stadt, ziemlich hübsch. Nach einem Moment liess sie es los und warf einen Blick auf Haruka, von der sie wusste, dass sie ihr Unbehagen bereitete. Darüber hätte sie froh sein müssen, wäre sie nicht selbst nervös gewesen.
 

„Ich muss gehen... danke, dass du mir geholfen hast.“
 

Die andere ignorierte ihren Dank. „Warum bist du hier?“, fragte Haruka kühl.
 

Michirus Lächeln schwand. „Ich wollte dich nicht sehen“, sagte sie und blickte ihr direkt in die Augen. „Es war nur Pech, dass gerade du mich retten musstest.“
 

„Hätte ich es nicht getan, dann kein anderer.“
 

„Ich weiss.“ Sie schien den Zufall jetzt akzeptiert zu haben, dass Haruka sie vor der Vergewaltigung bewahrt hatte. „Wenn du nicht gekommen wärst, weiss ich, was mit mir passiert wäre... Aber ich wäre darüber hinweg gekommen.“
 

Haruka erwiderte den Blick schockiert. „Du wärst darüber hinweggekommen? Was ist los mit dir?“, fragte sie. „Ist es dir egal, ob er es geschafft hätte?“
 

„Ehrlich? Ja.“ Sie lächelte. „Ich muss jetzt wirklich gehen.“
 

Das blonde Mädchen bewegte sich nicht. „Es ist dir egal?“, wiederholte sie.
 

„Egal? Ein merkwürdiges Wort. Ich bin allen egal, besonders mir selbst, Haruka. Du scheinst das nicht zu verstehen.“ Sie schwieg.
 

Die andere starrte sie ungläubig an, dann erinnerte sie sich daran, dass wenn es Michiru jetzt schlecht ging, es nichts mehr mit ihr zu tun hatte. „In welchem Hotel bist du? Ich bring dich hin.“
 

„Ich bin in keinem Hotel“, sagte Michiru ruhig. „Ich lebe jetzt hier.“
 

„Was? Du meinst, du bleibst hier?“
 

„Das bedeutet es meistens, wenn man sagt, man wohnt an einem Ort“, antwortete sie trocken. „Keine Angst, es ist nicht hier in der Nähe, wir werden uns also nicht mehr über den Weg laufen.“
 

„Du wolltest mich nicht sehen, und trotzdem bist du zu meinem Rennen gekommen?“
 

„Dir zu schmeicheln ist keine gute Sache“, murmelte sie, „aber ja, das war’s was ich vor hatte.“
 

„Warum?“, fragte Haruka.
 

„Warum, warum, warum... das ist etwas, was ich mich jeden Tag frage“, flüsterte Michiru in sich hinein. „Warum dies, warum das, warum tut mir das Schicksal all diese Dinge an...“
 

„Was aus dir geworden ist, hast du dir selbst angetan“, sagte die Blonde, in ihrer Stimme schwingte eine Spur von nicht Vergebens mit.
 

„Wahr.“ Sie lachte knapp. „Ich hab wirklich mein ganzes Leben zerstört. Du solltest froh sein, dass ich dich verlassen habe. Wenn man bedenkt, wie ich immer alles versaue.“
 

Haruka war gleichzeitig wütend auf sie und ihr zugetan. Etwas war offensichtlich nicht mehr in Ordnung mit ihr, aber zu sagen, dass sie froh sein sollte, dass das Mädchen sie verlassen hatte... „Das war der schlimmste Tag in meinem Leben“, sagte sie bitter, „als du sagtest, dass du mich nicht mehr liebst.“
 

„Der schlimmste Tag in meinem war, als Hotaru beerdigt wurde“, sagte Michiru ruhig. „Ich werde mich selbst raus lassen.“
 

Das andere Mädchen hielt sie am Arm zurück. „Ich sagte dass ich dich hin bringe.“
 

„Meinetwegen, tu was immer du willst.“ Sie fühlte sich müde und bekam Kopfschmerzen. Sie trat an dem Mädchen vorbei aber bevor sie zur Tür kam, traf sie dieser furchtbare Schmerz wieder, weswegen sie beinahe ohnmächtig geworden wäre.

Sie schnappte nach Luft, kauerte am Boden und versuchte, ruhig zu atmen. Nicht jetzt, sagte sie sich. Mein Gott, nicht jetzt.
 

Haruka versuchte, ihr irgendwie zu helfen, aber sie stiess ihren Arm weg und flüsterte: „Es geht bald wieder weg. Es geht immer weg.“ Es schüttelte sie und sie schlang ihre Arme um sich, sie schnappte immer noch nach Luft.

Schliesslich liess sie der Schmerz in Ruhe und sie seufzte erschöpft.
 

Dieses Mal liess sie Haruka ihr beim Aufstehen helfen. Sie war zu schwach, sich dagegen zu wehren. Das Mädchen half ihr, sich auf das Bett zu legen. Michiru protestierte und sagte, sie müsse nach Hause, aber Haruka hörte nicht hin.
 

„Du wirst nicht gehen“, sagte Haruka entschlossen, aber ihre Stimme war sanft. Sie berührte die Narbe auf ihrer Wange.

„Du sagtest, es geht immer weg... hast du diese Anfälle oft...?“
 

Sie nickte langsam und schloss die Augen. Sie flüsterte: „Nur einmal alle paar Tage, manchmal auch zweimal...“
 

„Wann hat es angefangen? Warst du bei einem Arzt?“, hakte Haruka nach.
 

„Es hat angefangen... nachdem... ich nach Europa gegangen war“, murmelte sie kurz vor dem Einschlafen. „Ich wollte nicht zu einem Arzt gehen... es ist nichts...“
 

„Was meinst du damit, es ist nichts? Das ist ernst, wenn es dich seit vier Jahren plagt!“, platzte Haruka wütend heraus.
 

Michiru lächelte und sagte: „Ich hab dir gesagt, es ist mir egal, was mit mir passiert...“
 

„Geh schlafen“, sagte Haruka schliesslich und stand auf. Sie trat zurück, schaltete das Licht aus und schloss die Türe leise hinter sich.
 

Das grünhaarige Mädchen seufzte und schlief ein.
 

„Michiru-Mama...“, flüsterte eine Stimme.
 

Sie drehte sich um, es war ihr eiskalt und feuerheiss gleichzeitig. Nicht schon wieder...
 

„Hotaru-chan?“ Sie lächelte müde und drückte sanft die Hand des Mädchens.
 

„Was passiert hier...?“, flüsterte das violetthaarige Mädchen, ihr Gesicht war blass, sie atmete langsam. Ihre dunklen Haare legten sich um ihr Gesicht auf das Kissen, ihre Augen waren viel zu dunkel für die beinahe weisse Haut.

„Werde ich... sterben?“
 

„Nein, natürlich nicht“, antwortete sie und wischte sich schnell das Gesicht mit ihrer Hand ab. Sie lächelte noch etwas mehr, sie zwang sich gut auszusehen. „Du wirst im Null Komma Nichts hier wieder raus ein... Es geht dir bald besser, ich versprech‘s.“
 

„Du... lügst wieder“, murmelte das Mädchen müde. Sie versuchte zu lachen, aber es klang nur wie in müdes Röcheln. „Haruka-Papa... hat mir gesagt, wie man es dir ansieht...“
 

Sie griff mit beiden Händen nach der der anderen. „Ich werde dich nicht sterben lassen, Hotaru-chan. Du kannst nicht gehen.“
 

Hotaru schüttelte den Kopf und stöhnte vor Schmerzen auf. „Nein...“, brachte sie langsam heraus. „Ich habe keine Angst, Michiru-Mama...

Ich werde... dann bei meiner richtigen Mutter sein, nicht wahr?“
 

Michiru schloss die Augen und hielt ihre Tränen zurück. „Sie wird da sein...“ Ihre Stimme brach. Aber ich nicht...
 

Die Hand des Kindes fiel zurück. „Ich bin so müde... Ich wünschte, Gott würde mich jetzt einfach wegholen... es tut so weh, Mama.“
 

Die grünhaarige Frau strich sanft über die Stirn des kleinen Mädchens. Sie küsste sie auf die Wange und umarmte sie vorsichtig. „Ich würde dir die Schmerzen wegnehmen, Hotaru-chan... Ich wünschte, ich könnte es...“
 

„Ich liebe dich, Michiru-Mama...“, flüsterte Hotaru, bevor sie die Augen schloss und erschöpft einschlief.
 

„Hotaru-chan...“
 

„NEIN!“, schrie sie die Schwestern und Ärzte an und hielt sich die Ohren zu. Sie sank auf ihren Stuhl zurück und weigerte sich zu sprechen, jemanden anzusehen oder jemandem im Raum zuzuhören.
 

„Kaioh-san-„
 

„Halten Sie verdammt noch mal die Klappe!“, schrie sie. „Sie lügen!“ Sie verdeckte ihr Gesicht mit ihren Händen und versuchte, alle um sie herum zu ignorieren. Lügen, lügen, lügen...
 

„Michiru!“ Haruka drückte ihre Arme hinunter, hielt ihre Hände fest und betrachtete sie intensiv.
 

„Haruka... Sie kann nicht... Sie haben unrecht“, flüsterte sie sanft, der Schmerz in ihren Augen war so stark, dass die Blonde für einen Moment wegsehen musste.
 

„Michiru...“ Sie legte die Arme um das Mädchen und umarmte sie.
 

„Lass mich los!“ Michiru stiess sie rauh weg, was ihre Freunde sehr erschreckte. Sie rannte aus dem Warteraum zu Hotarus. Sie hielt vor dem Fenster an und starrte hinein. Um das Mädchen standen Leute, zu viele Leute, alle waren weiss angezogen, eine Farbe die sie in den nächsten drei Jahren nie mehr tragen würde. Sie öffnete die Türe und wollte zu Hotaru, aber sie wurde sanft vom Personal nach draussen gebracht, man sagte ihr, es gäbe nichts, was sie tun könne, und der Tod ihrer geliebten Tochter täte ihnen leid.
 

Sie schlug mit der Faust gegen die Scheibe und weinte nun zum ersten Mal. Tiefe, reissende Schluchzer schmerzten sie in der Brust, in der Kehle. Immer wieder schlug sie mit der Faust gegen das Fenster. Haruka kam zu ihr, als das Personal sie wegzog, sie sah das Blut ihre Hand hinunter laufen, sie wusste ohne zu fragen, dass die Hand gebrochen war, genau so wie das Glas.
 

Die Szene veränderte sich wieder, diesmal in eine Vorstellung ihrer Fantasie. Es war dunkel, stockdunkel, so sehr, dass sie ihre eigenen Hände nicht sehen konnte. Sie strauchelte umher, spürte scharfe Steine unter ihren Schuhen, fühlte ihre stechende Warnung, als sie darüber tappte. Um sie herum musste es überall Bäume haben, denn sie lief immer in deren Äste, die heftig an ihrem Haar zerrten und ihr Gesicht zerschnitten. Ihr Kleid wurde von Dingen am Wegrand zerfetzt, sie waren wie Dornbüsche...
 

Sie wusste, dass sie blutete, als sie die warme Flüssigkeit langsam ihre Beine, ihre Arme und ihr Gesicht laufen fühlte. Sie stolperte schliesslich über etwas und fiel auf die spitzen Steine und schrie auf, als sie sich in ihre Haut bohrten.
 

Dann wandelte sich der Himmel in ein helles Rot, alles um sie herum war in diese Farbe getaucht, wie Blut.

Sie zitterte, als sie versuchte, aufzustehen, aber eine unsichtbare Kraft riss sie zurück.
 

Aus keiner bestimmten Richtung hörte sie ein Kichern. Sie hasste dieses Geräusch; sie bekam eine Gänsehaut davon, es wurde ihr schlecht davon, es ängstigte sie.
 

„Hattest du genug, Michiru?“, fragte eine süsse Stimme.
 

Das Mädchen sah auf, und starrte entsetzt auf die Umrisse von Hotaru, die vor ihr erschienen. Sie hatte ein unschuldiges Lächeln auf ihrem Gesicht, schien absolut gesund und hübsch. Sie trug ein lavendelfarbenes Kleid, das sie ihr mit Setsuna zu ihrem zehnten Geburtstag geschenkt hatte, ihr Haar war hübsch gekämmt und ihre Schuhe glänzend poliert. Die einzige Farbquelle in der starren, roten Welt...
 

„Ho- Hotaru-chan?“, sie schrie fast, als sie sie sah.
 

Ein bösartiges Lächeln umspielte Hotarus Lippen. „Sieh, was du mir angetan hast, Michiru. Du hast mir versprochen, du hast mir geschworen, dass ich leben würde... Und siehst du? Du hast mich angelogen!“
 

Ihre Haut wurde langsam blasser und schliesslich weiss, als sie die Hand nach dem Mädchen auf dem Boden ausstreckte. Michiru versuchte, wegzusehen, aber dieselbe Kraft, die sie am Boden hielt, zwang sie, das Kind weiter anzusehen. Die Haut schmolz bald weg, tropfte auf den Boden und ihr Skelett zeigte sich. Ihre Augen wurden dunkelschwarz und schmolzen ebenfalls weg. Ihre hübschen Kleider wurden verschlissen und voller Löcher.
 

„Warum hast du mich angelogen?!“, schrie Hotaru als ihre knochige Hand an Michirus Hals griff und zudrückte.
 

Sie wachte auf, schwitzte, ihr war heiss und ihr Puls raste. Sie schloss die Augen fest, und versuchte sich zu zwingen, weiter zu schlafen, aber der Impuls war zu stark. Sie stolperte aus dem Bett und verliess leise den Raum.
 

Sie strauchelte durch den Flur und dachte, dass, wenn sie Harukas Bad benutzen würde, diese herausfinden würde, was sie tat und sie wahrscheinlich zu Rede stellte. Sie wollte nicht, dass das Mädchen noch mehr in ihr Leben eindrang.
 

Sie fand das Bad im Gang und schloss schnell die Türe hinter sich. Beinahe am Rande des Wahnsinns öffnete sie eine Schublade nach der anderen und suchte nach einer Klinge. Sie musste diese Bilder aus ihrem Kopf bekommen.

Offensichtlich war ihr nicht bewusst, welchen Lärm sie verursachte. Sie war überrascht, als Haruka an die Türe klopfte.
 

„Michiru?“
 

„Mir geht’s gut“, rief sie zurück und suchte weiter. Sie fand schliesslich eine in einer Schublade. Sie nahm sie heraus und knallte die Schublade zu.
 

„Warum hast du nicht das andere Bad benutzt?“
 

„Lass mich in Ruhe“, fauchte Michiru. Sie hielt ihre Hand über dem Waschbecken, starrte kurz auf ihr Spiegelbild bevor sie die Augen schloss und sich schnell die Pulsadern durchschnitt.
 

Sie konnte nicht vermeiden zu schreien. Sie sah hinunter und bemerkte, dass der letzte Schnitt ziemlich tief war. Aber war auch tief genug, fragte sie sich.
 

„Was machst du?!“ Warum fühlte sie sich so angsterfüllt?
 

„Nichts!“, rief Michiru zurück. „Geh einfach weg!“
 

Sie schnitt sich durch die andere Pulsader. Heute... dachte sie, will ich wirklich... sterben. Sie beobachtete das Blut langsam von ihrer Hand in das Waschbecken laufen. Sie sank auf die Knie, sie fühlte sich schwach.
 

„Michiru? Michiru!“ Haruka schlug gegen die Türe. Sie trat sie schliesslich ein, als sie keine Antwort erhielt.
 

Tenoh Haruka hatte sich in ihrem ganzen Leben nie so erschlagen gefühlt. Sie hatte noch nie etwas gesehen, dass ihr ernsthaft schlecht geworden war. Sie war noch nie, auch nur im Ansatz, jemandem nahe, der aus eigenem Willen so kurz davor war zu sterben.
 

Sie sah das alles vor sich, und mehr, und es war das einzige das sie tun konnte, um nicht hier und jetzt zusammenzubrechen. Sie schaffte es, die Welle der Übelkeit zu unterdrücken, die aufkam, als sie das ganze Blut überall sah.
 

Sie kniete sich neben Michiru, hob sie hoch, hielt sie fest, sie wollte sie nur berühren, um sicher zu sein, dass sie nicht träumte. „Michiru, was zum Teufel tust du?“, flüsterte sie.
 

Das andere Mädchen schloss die Augen und murmelte: „Ich weiss es nicht... Lass mich einfach sterben, bitte lass mich sterben...“
 

Haruka sass im Stuhl neben ihrem Bett und beobachtete sie beim Schlafen. Sie hatte einen zufriedenen Ausdruck auf ihrem Gesicht, was im krassen Gegensatz zu dem stand, was sie letzte Nacht getan hatte... Sie hatte ihre Handgelenke gewaschen, sie fest bandagiert, um die Blutung zu stoppen. Während sie das tat, hatte sie schwache, blasse Narben an beiden Seiten entdeckt, ein klares Zeichen, dass Michiru dies schon einmal getan hatte, mehrere Male. Nachdem sie sie zu Bett gebracht hatte, ging Haruka ins Bad und hatte erbrochen.
 

Jetzt sass sie einfach nur verwirrt da und beobachtete das Mädchen, das sie früher so sehr geliebt hatte. Sie dachte darüber nach, wie sehr sie sie immer noch liebte. Sie hatte solche Angst, als sie Michiru gefunden hatte, sie bat jeden erdenklichen Gott, sie nicht sterben zu lassen.
 

Liebe war beängstigend. Bis zu diesem Zeitpunkt war sie nie zuvor in ihrem Leben so angsterfüllt. Gott, was zum Teufel war mit Michiru los? Warum sollte sie so etwas Verrücktes tun, wie mit dem Tod auf diese Art zu spielen?
 

Sie kannte die Antwort... Seit Hotaru starb war sie nicht mehr dieselbe. Zuerst hatte sie alles verleugnet, sie tat als wäre nichts passiert, fröhlich und glücklich. Nach dieser Phase fiel sie in eine Depression, sie schloss sich tagelang in ihrem Zimmer ein. Später, nachdem sie Hotarus Tod akzeptiert hatte, beschloss sie, alle Kontakte abzubrechen. Zuerst mit Setsuna, dann die jüngeren Mädchen und schliesslich Haruka.
 

Bevor Hotaru krank wurde hatten sie darüber geredet zu heiraten. Es wurde nicht von jedem gut geheissen, aber es war machbar. Nicht, dass heiraten etwas absolut Wichtiges gewesen wäre, denn sie liebten sich auch so und das allein war genug, aber sie beide wollten vollständig miteinander verbunden sein. Nachdem Hotaru gestorben war, ein paar Monate später, hatte Michiru ihr ruhig gesagt, dass sie sie nicht mehr lieben würde und sie sie nicht heiraten könne. Haruka erinnerte sich an den furchtbaren Schmerz, den sie bei diesen Worten empfand und in diesem Schmerz schrie sie Michiru an, sie versuchte sie zur Vernunft zu bringen.

Michiru sagte ebenfalls einige verletzende Dinge, dann drehte sie sich um und ging. Haruka hatte sie nicht mehr gesehen, bis zu diesem Tag, als sie vor der Vergewaltigung bewahrte.
 

Michiru erwachte plötzlich und öffnete ihre Augen. Sie versuchte, sich zu setzen, aber Haruka drückte sie sanft zurück.
 

„Du brauchst Ruhe, Michiru.“
 

„Haruka...“, flüsterte sie. Sie hob ihre Hände, sah die verbundenen Handgelenke und seufzte. Sie murmelte: „Ich hätte mich letzte Nacht endlich getötet.“
 

Haruka wurde blass auf diese Gleichgültigkeit.
 

„Du hättest mich sterben lassen sollen... Nach allem, was ich dir angetan habe.“
 

„Ich würde dich nicht lassen“, sagte Haruka deutlich. „Du verdienst es nicht, zu sterben.“
 

„Ich verdiene nicht einmal den Tod?“, fragte Michiru und lachte. Sie drehte ihr das Wort im Mund um. „Ich bin es nicht wert zu sterben...“
 

„Das hab ich nicht gesagt!“
 

Michiru lächelte in ihr Kissen. „Ich verdiene weder zu leben noch zu sterben...“, sagte sie. „Leben, um die Sinnlosigkeit meines Lebens zu vollenden, Sterben um diese Welt von meiner Gegenwart zu befreien... Aber zu leben bedeutet, dass ich etwas bedeutsames vollbringen muss, zu sterben bedeutet, dass ich frei von all meinen Schmerzen bin...“
 

„Michiru... was ist los mit dir?“ Haruka zwang sich, ihr die Frage zu stellen. „Warum folterst du dich auf diese Weise?“
 

Das Mädchen drehte ihren blauen, starren Blick an die Decke. „Leben und Tod, sie sind ein und dasselbe. Beide geben keine Antwort, keinen Trost, beide sind die einzigen Wege, die man einschlagen kann...“
 

„Du bist noch immer nicht über Hotarus Tod hinweg gekommen...“ schloss Haruka ruhig. Sie berührte Michirus Hand, deren Blick nun wieder auf ihren grünen Augen lag. „Es gab nichts was du hättest tun können... Warum gibst du dir die Schuld daran?“
 

„Du verstehst nicht...“, murmelte die grünhaarige Frau. „Hotaru war mir das Wichtigste... ich konnte nie ein eigenes Kind haben... ich liebte sie so sehr... Und sie war ein Teil von uns, von dir, mir und auch Setsuna... Als sie starb wusste ich, dass wie nie wieder jemanden wie sie haben würden...“
 

„Du wolltest Kinder?“ Sie war erschrocken. Natürlich, sie alle hatten Hotaru über alles geliebt und sie hörte Michiru manchmal leise Antönungen machen, was wäre, wenn Hotaru Geschwister hätte mit denen sie spielen könnte. Aber nie hatte sie daran gedacht, dass die andere tatsächlich mehr Kinder wollte.
 

Michiru lachte. „Ja, wollte ich...“ Der Verband an ihrem Handgelenk berührte ihr Herz. „Aber ich wusste, dass ich nie welche haben würde, weil ich mit dir zusammen war... Liebe ist stark, aber sie vollbringt keine Wunder...“
 

Haruka schwieg, sie fühlte sich merkwürdig verantwortlich für Michirus Leben.
 

„Aber... ich hab ihr auch versprochen... dass ich sie nicht sterben lassen würde“, flüsterte sie. „Aber sie starb... und ich hab gelogen, als ich sagte, dass es besser werden würde... Aber das wurde es nicht!“
 

„Sie war krank, Michiru, das weißt du... Eine Million Versprechen hätten nichts daran geändert, egal wie sehr wir es uns gewünscht haben...“, erklärte sie sanft und versuchte, sie zur Vernunft zu bringen.
 

„Ich erinnere mich...“, flüsterte das Mädchen auf dem Bett, ihre Augen waren abwesend, sie zeigten nicht, ob sie die blonde Frau überhaupt gehört hatte, „wie wir immer zusammen zum Park gegangen sind... Setsuna und ich haben die Decke auf das dunkle, grüne Gras gelegt und es war ein helles rot-kariertes Muster... Hotaru hatte uns geholfen, sie für diesen Zweck zu machen... Und du und sie, ihr seid umher gerannt und habt euch gejagt, und ich erinnere mich, wie glücklich ich war, euch drei bei mir zu haben...

Ich spürte, wie viel Glück ich hatte, all das erleben zu dürfen, wo doch andere nicht so viel Glück haben..."
 

Sie ballte ihre Hand zu einer Faust, sie stöhnte vor Schmerzen aber sie fuhr in ihrem Monolog fort, Haruka hörte ihr einfach zu. „Und einmal waren wir im Vergnügungspark mit all den anderen jüngeren Mädchen... Und Chibi-Usa und Hotaru waren immer zusammen unterwegs und kicherten, zwangen Usagi mit auf all die Bahnen zu gehen, besonders auf die Achterbahn... Und sie war so glücklich mit Chibi-Usa, ihrer ersten Freundin...
 

Dann wurde Hotaru krank... Wir bezahlten die besten Ärzte der Welt und sie konnten überhaupt nichts für sie tun, oder?... Eine seltene Krankheit, die nur einmal auf 1 Millionen oder alle 100 Millionen Menschen trifft, oder was weiss ich was für eine Zahl sie nannten, um ihr Versagen zu erklären... Und sie wurde so zerbrechlich, so blass, so klein... Es fast wie bevor sie zu Mistress9 wurde, nur noch schlimmer, denn sie konnte sich kaum bewegen, kaum sprechen... Und sie flüsterte immer, wie sehr es weh tat, und warum die Schmerzen nie weggingen...“
 

Ihre Stimme driftete ab und sie lächelte wieder, aber gefühllos. „Und ich hab sie angelogen, als ich ihr immer wieder sagte, dass es besser würde... und als sie am Ende endlich starb, war ich so froh und traurig gleichzeitig...

Traurig, weil sie uns verlassen hatte, weil ich so egoistisch war, und sie nicht gehen lassen wollte... aber ich war froh, weil sie keine Schmerzen mehr haben würde...“
 

„Michiru...“, Haruka wünschte sich so sehr, ihr die Qualen zu erleichtern, als sie sah, wie sehr es sie durcheinander brachte...

Sie war so... nicht verrückt... auch wenn sie offensichtlich geistig nicht mehr ganz hier zu sein schien... vielleicht unausgeglichen.

Selbstmord um Gottes Willen... und so eine verdrehte Methode, die Haruka bisher nur mit Teenagern in Verbindung brachte, die ihr Leben lang missbraucht oder geschlagen wurden...
 

„Ich werd’s weiter versuchen.“ Die Augen des grünhaarigen Mädchens schlossen sich. Deutliche Worte, deren Bedeutung Haruka erschreckte. „Du wirst nicht immer da sein um mich aufzuhalten... Und eines Tages, ob es nun morgen oder nächste Woche oder nächstes Jahr ist, werde ich Erfolg haben... Und dann wird meine wertlose Existenz endlich enden...“
 

„Warum sagst du mir das? Weißt du nicht, dass ich dich jetzt nie mehr alleine lassen werde?“ flüsterte Haruka.
 

Wollte sie wirklich sterben? Ihre Brust und ihr Kopf taten weh, ihre Gedanken wehrten sich immer noch gegen die Tatsache, dass diese Person, die ihr plötzlich wieder so viel bedeutete, was sie immer hatte, ihre Gedanken an den Tod einfach wegwischen konnte.
 

„Ich sage dir das, damit du nicht überrascht sein wirst...“ Michiru lächelte. „Und es bringt nichts, wenn du mich ständig überwachst... Ich habe über Hotaru gewacht, als sie schlief... aber ich muss meine Wache für eine Sekunde fallengelassen haben und in dieser Sekunde riss sie sich aus meiner Umarmung, rannte vor mir weg in die offenen Arme des Todes...“ Ihr Lachen war bitter und unangenehm. „Gott, Selbstmord macht mich poetisch.“
 

Ihre Stimme sank wieder nach einer Pause. „Ich bin so müde... Ich frage mich, ob eine Person an Erschöpfung sterben kann...“
 

Haruka strich über Michirus Stirn und fühlte, wie warm sie war. Sie liess ihre Hand für einen Moment dort. „Michiru... Bitte tu nichts Gefährliches.“
 

„Ich kann nicht versprechen, dass ich das nie werde...“
 

„Dann wenigstens für ein paar Tage?“, fragte die andere die versuchte, nicht mit ihr zu streiten.
 

Ein Teil dieser beinahe bittenden Angst und Sorge kam zu Michiru durch, ihr Gesicht war verwirrt, als sie Haruka anstarrte. Es schien, als ob ihr plötzlich klar wurde, welch eine Bürde sie für das Mädchen war, obwohl sie sich eben erst getroffen hatten. Es war merkwürdig das zu sagen, aber es war wahr.

Michiru war nicht dieselbe, wie sie früher gewesen war und das hatte sie nie bestritten, nicht einmal gegenüber sich selbst. Aber Haruka... Sie konnte nicht sagen, ob sich die Blonde stark verändert hatte oder nicht; sie kannte sie nicht mehr so gut, also vielleicht...
 

Die grünhaarige Frau nickte langsam. Immerhin, auch wenn sie es nicht wollte, Haruka hatte ihr geholfen.

Sie schuldete ihr also mindestens ein klein wenig Sicherheit. „Einverstanden... nicht die nächsten Tage...“
 

„Danke.“ Die andere küsste sie leicht auf die Lippen, bevor sie sich wieder auf ihren Stuhl fallen liess, um sie zu beobachten.
 

Das Mädchen auf dem Bett kontrollierte ihren Schock, was für sie ein Leichtes war. Sie hatte ihre Gefühle kontrolliert - oder was von ihnen übrig geblieben war - seit ihre Tochter gestorben war. Sie hatte sie kontrolliert, als sie Setsuna sagte, sie brauche keine Mutter mehr, die sich um sie kümmert, als sie den Inner Senshi klar mitteilte, dass sie nicht mehr dazu bereit war, Sailor Neptun zu sein, als sie Haruka den Ring zurückgab, den sie von ihr hatte, als sie ihr in einer kühlen, distanzierten Stimme sagte, sie würde sie nicht mehr lieben, sie kontrollierte ihre Tränen, als sie von Haruka wegging, die sie anschrie. Sie kontrollierte...
 

Sie konnte nichts kontrollieren.
 

Während sie Gedanken dachte, die vor fünf Jahren schon hätte sterben sollen, sie sich fragte, wie die Dinge hätten sein können - sein sollen, und sie sich überlegte, was Haruka fühlte, schlief sie ein.
 

Das Erste, woran Haruka dachte, als sie aufwachte, war Michiru. Sie sah das leere Bett, das neu bezogen war (woher wusste Michiru, wo sie die saubere Bettwäsche aufbewahrte?), geriet beinahe in Panik, verliess sie den Raum, kurz davor wahnsinnig zu werden. Eine Million Gedanken gingen ihr durch den Kopf, aber was sie sah, war unerwartet.
 

Das andere Mädchen war in der Küche und machte Frühstück. Wie fand sie Harukas Pfannen und Dinge vor ihr...? Aber Haruka erinnerte sich, dass Michiru schon immer alles gefunden hatte; sie war schon immer sehr gut im Haushalt.
 

Ihre seegrünen Haare waren nass und deuteten an, dass sie geduscht hatte und sie trug Shorts mit einem Gürtel und ein kurzes Kragen-Shirt. Beides kam Haruka bekannt vor, bis sie erkannte, dass es ihre Kleider waren. Die Verbände an ihren Handgelenken waren weg und kaum noch etwas deutete auf die Geschehnisse der letzten Nacht, ausser weissen Narben an ihren Pulsadern. Sie waren unglaublich schnell geheilt und die einzige Person, die Haruka kannte und die soetwas tun konnte, war Hotaru...
 

Merkwürdig, aber Michiru zeigte ähnliche Symptome wie früher das junge Mädchen. Die Brust-Schmerzen und die Erschöpfung - Hotaru hatte sie bevor sie zu Sailor Saturn wurde. Die schnelle Heilung ebenso. Die ruhige, zurückgezogene Persönlichkeit war auch wie die von Hotaru früher.
 

Das Mädchen blickte auf und sah Haruka neben dem Esstisch stehen, dann drehte sie sich zum Kochen zurück, ohne etwas zu sagen. Was sie machte sah aus, wie ein typisches, amerikanisches Frühstück - Eier, Speck, Würstchen, Toast usw. Schnell nahm sie das Essen mit einem Bratenwender aus der Pfanne, richtete es auf verschiedene Teller mit Papiertüchern darauf an, um das überschüssige Fett aufzusaugen, dann stellte sie sie auf den Tisch vor die Blonde, die sich bereits gesetzt hatte und sie beobachtete.

Michiru holte Teller, Servietten und weitere Dinge, brachte sie zum Tisch und verteilte sie vorsichtig bevor sie sich gegenüber von Haruka setzte. Saft, Tee und Gläser waren bereits da.
 

„Du hast geschlafen, also hab ich dich ausruhen lassen“, murmelte sie. „Und ich dachte, du hast vielleicht Hunger. Da hab ich dir etwas gemacht.“
 

Haruka starrte sie einen Moment lang an und verstand sie überhaupt nicht. Aber sie hatte Hunger, also begann sie langsam zu essen, mit ihren üblichen guten Manieren und ihrer eleganten Klasse.
 

„Ich hab auch geduscht... ich hatte keine Kleider, also hab ich mir welche von dir geborgt.“ Sie sah auf.

„Das macht dir doch nichts aus. Oder? Ich schicke sie dir zurück, wenn ich zu Hause bin, sauber natürlich.“
 

„Nein, es macht mir nichts aus...“ Haruka wusste immer noch nicht, was sagen. Michiru schien es besser zu gehen, aber warum so plötzlich...?

Sie hätte vielleicht auf Zuneigung getippt, aber das bezweifelte sie. Dankbarkeit vielleicht? Sie mochte den Gedanken nicht, dass Michiru das Gefühl haben könnte, ihr etwas schuldig zu sein. „Isst du nichts? Es ist sehr gut.“
 

„Danke“, antwortete Michiru. Es schüttelte sie, dann griff sie nach einen Teller, nahm mit einer Gabel ein Ei und liess es in ihren Teller fallen, dann halbierte sie es abwesend. Sie begann langsam zu essen.
 

Sie assen schweigend zusammen ohne etwas zu sagen, es war unangenehm, aber es schien ein Waffenstillstand geschlossen zu sein, der beiden mehr oder weniger behagte.
 

Danach hatte Haruka sie nach Hause gefahren, und die Stille wurde von beiden während der Fahrt beibehalten.

Michiru bemerkte, dass Haruka zehn Meilen oder so über dem Limit fuhr und das schien ihr zu bestätigen, dass sich die andere nicht drastisch verändert hatte.
 

Während dem Frühstück fühlte sich Michiru extrem unwohl mit dem blonden Mädchen. Sie hatte ihr nicht gesagt, dass sie wieder einen Alptraum gehabt hatte, um sieben aufgewacht war und nicht mehr einschlafen konnte. Zuerst hatte sie die Verbände von ihren Handgelenken abgenommen und studierte den Heilungsprozess, der in der Nacht vor sich gegangen war. Danach hatte sie geduscht und sich erinnert, dass sie nichts zum Anziehen dabei hatte, also ging sie zurück in das Zimmer, um etwas zu finden, mit einem Handtuch um sich gewickelt. Bemüht, Haruka nicht aufzuwecken, hatte sie halbwegs passende Kleider gefunden, auch wenn das Shirt viel zu gross war und die Shorts ständig hinunterrutschten. Ein Gurt hatte dieses Problem gelöst.
 

Da sie ein uneingeladener Gast in diesem Apartment war, hatte sie nach Bettzeug gesucht. Sie hasste es zuzugeben, dass Haruka leicht zu durchschauen war, wo sie ihre Dinge verstaute. Oder vielleicht hatte die Tatsache, dass sie vier Jahre mit ihr zusammen gelebt hatte, sie hellhörig auf Harukas Art der Organisation gemacht, die, nach nochmaliger Überlegung, gar nicht so leicht zu durchschauen war, wenn sie sie nicht gekannt hätte. Durchschaubar in ihrer Undurchschaubarkeit? Sie musste lächeln bei diesem Gedanken.
 

Nachdem sie fand, wonach sie gesucht hatte, wechselte sie das Bettzeug schnell und leicht und fragte sich, wozu Haruka ein so grosses Bett brauchte, dann lächelte sie verzerrt, als sie das Bild mit ihr und dem blauhaarigen Mädchen auf dem Schreibtisch sah. Sie hatten sich wahrscheinlich erst kürzlich getrennt, sonst hätte sie wohl das Bild nicht mehr auf ihrem Schreibtisch stehen.

Sie hob es wieder hoch und studierte es, sie dachte wie hübsch das Mädchen war. Michiru selbst war vermutlich nicht mehr als hübsch anzusehen, wo sie in einem so schlechten mentalen Zustand war.
 

Als sie den Rahmen herumdrehte, fiel ihr aus Versehen das Bild heraus. Sie bückte sich, um es aufzuheben und bemerkte eine Schachtel unter dem Schreibtisch, ganz hinten an der Wand. Neugierig, und obwohl sie wusste, dass sie die Privatsphäre de Mädchens respektieren sollte, nahm sie die Schachtel leise hervor. Als sie den Deckel öffnete sah sie Alben, Foto-Alben, jedes mit Harukas schneller, hübscher Schrift gekennzeichnet.
 

Freunde, Schule, Familie. Michiru erinnerte sich, dass sie nie Harukas Eltern gesehen hatte, ausser einmal ein Bild, das sie ihr gezeigt hatte, als sie sechzehn waren. Sie war neugierig, ob es noch mehr gab, nahm dieses spezielle Buch heraus und öffnete es.
 

Sie hätte es beinahe fallen lassen. Die Bilder waren von ihnen vier - Haruka, sie selbst, Setsuna und Hotaru - und nicht von ihren Eltern, wie sie dachte. Sie sagte sich, sie sei dumm aber sie blätterte die Seiten trotzdem, betrachtete jedes der Bilder genau, und überlegte sich den Ort und die Zeit, als sie aufgenommen wurden.
 

Die vier im Park... vor sechs Jahren, Juni, früh. Hotaru war in einem Halloween-Kostüm als Sailor Mars verkleidet, vor sieben Jahren, im Oktober. Setsuna, Haruka und Hotaru am Strand, vor sechs Jahren, im Juli. Und so ging es weiter, sie erinnerte sich bei jedem Bild.
 

Schliess das Buch, schliess es jetzt, sagte sie sich. Schliess das verdammt Ding!
 

Sei still.
 

Sie hätte auf sich hören sollen, als sie dem Ende des Buches näher kam. Tränen standen ihr in den Augen, aber ihre Selbstbeherrschung hielt sie zurück. Dann veränderten sich die Bilder plötzlich, veränderten sich in solche, nur von sich und Haruka. Auf einem Kreuzfahrtschiff, bei Harukas Rennen, an Michirus Konzerten, bei ihren gemeinsamen Auftritten, im Park, am Strand, in Europa, in der Schule, die ganzen fünf Jahre waren sie zusammen gewesen... Sie umarmten sich, hielten sich bei der Hand, hatten die Arme um sich gelegt, küssten sich.
 

„Scheisse...“ Sie strich sich durch die Haare und versuchte sich davon abzuhalten, komplett zusammenzubrechen.
 

Aber es war noch nicht zu Ende. Dann kamen Bilder nur von ihr. Manche hatte Haruka gemacht, an andere konnte sich Michiru nicht erinnern. Auf vielen lachte sie, oder spielte Violine, oder pflückte Blumen, malte, oder irgendetwas mit ihr.
 

Sie schloss es schliesslich still, legte es zurück in die Schachtel und schob es vorsichtig zurück an seinen schattigen Platz unter dem Schreibtisch. Als sie auf das Bild von Haruka und ihrer alten Freundin starrte, wurde sie ohne ersichtlichen Grund plötzlich unglaublich eifersüchtig auf das andere Mädchen. In dem Moment hätte sie ihr gerne etwas Schreckliches angetan... sie erstechen, sie erwürgen, ihr jeden einzigen Knochen in ihrem hübschen Gesicht brechen...
 

BERUHIGE DICH. Sie seufzte, ihr Kopf fiel auf ihre Hand und blieb so. Warum bist du so eifersüchtig? Ihr zwei habt euch getrennt; sie haben sich getrennt. Aber trotzdem, wie konnte Haruka diese Bilder von allen so nahe bei sich aufbewahren, in ihrem Zimmer, und dann das Bild ihrer alten Freundin direkt auf ihrem Schreibtisch?
 

Sie schüttelte den Kopf und unterbrach ihre Gedanken, dann legte sie das Bild zurück in den Rahmen, bevor sie es an seinen Platz stellte. Sie hob das Bettzeug auf und verliess leise das Zimmer, aber nicht ohne vor Haruka für den Bruchteil einer Sekunde stehenzubleiben, und sich an den Kuss zu erinnern, den sie ihr letzte Nacht gegeben hatte.
 

„Michiru?“
 

Michiru sah plötzlich auf und betrachtete Haruka. Sie sah, dass sie langsamer wurden und sich dem Wohnhaus, in dem ihre Wohnung war, näherten. Der weisse, europäische Sportwagen hielt an und Michiru löste ihren Sicherheitsgurt. Sie wusste nicht, was sie Haruka sagen konnte und murmelte schliesslich: „Danke, Haruka. Ich werde dir die Kleider bald zurückschicken.“
 

„Wirst du wohl mit den Kleidern aufhören?“, platzte Haruka wütend heraus, als sie den Motor abstellte und sich gegen das Steuerrad lehnte.
 

„Was?“, fragte sie verwirrt. Sie hatte sich doch nur bedankt, und sagte ihr pflichtbewusst, was mit ihren Kleidern vor hatte. Sie wollte nicht, dass Haruka dachte, sie würde sie ausnutzen.
 

„Du tust so, als wäre das das einzige, was du sagen willst, bevor du gehst“, brummelte die Blonde sauer. „Hast du nichts weiter hinzuzufügen?“
 

„Was willst du denn, das ich sage?“, fragte das grünhaarige Mädchen, sie war durcheinander wegen der Reaktion der anderen. „Dass es mir leid tut, dass wir uns nicht mehr sehen werden?“
 

„Doch, werden wir“, warf Haruka ein, worüber Michiru erschrak, all die Gehässigkeit. Haruka packte die Gelegenheit beim Schopf, worin sie am besten war, und sagte schnell: „Ich gehe mit dir zum Abendessen, nachdem wir einkaufen gegangen sind.“
 

Michiru betrachtete sie in einem Schock. Schliesslich brachte sie es fertig etwas zu sagen: “Bist du verrückt? Ich will dich nicht wieder sehen, das wollte ich nie! Verstehst du das nicht?“ Eine starke Emotion kam in ihr hoch, aber sie wusste nicht, ob es ein Weinen war, oder Wut oder was auch immer.
 

Haruka lehnte sich zu ihr, küsste sie auf den Mund und brachte sie so zum Schweigen. Als sie sich zurückzog waren ihre Augen dunkelgrün und sie drehte sich um als sie murmelte: „Willst du dich ändern?“
 

Das andere Mädchen nickte, öffnete die Wagentür und knallte sie zu, bevor sie ins Gebäude rannte.
 

Das Mädchen im Wagen seufzte und lehnte sich gegen ihren Arm, der noch immer auf dem Steuerrad lag. Haruka, Haruka, Haruka, sagte sie sich spöttisch. Was tust du eigentlich?
 

Versuchst du, sie zurück zu bekommen...?
 

Sie blickte auf, als sie hörte, wie die Türe sich schloss und sah Michiru, die auf den Wagen zu kam. Sie trug eine leichte, weisse Bluse, einen weissen Rock und weisse Sandalen. Sie öffnete die Türe und stieg wortlos ein.
 

„Du siehst nett aus“, platzte Haruka heraus. Nett? Versuchs doch mal mit verdammt nochmal umwerfend!
 

Michiru sagte nichts, sie lächelte nur leicht, wodurch sich Haruka dumm vorkam, dass sie überhaupt etwas gesagt hatte.

Sie startete den Motor wieder, drehte herum und fuhr in die andere Richtung, in die Innenstadt.
 

„Warum nimmst du mich mit zum Einkaufen?“, fragte Michiru sanft. „Ich habe mehr als genug Kleider.“
 

„Du hast es immer gerne getan und ich dachte, du möchtest dich vielleicht besser fühlen“, antwortete Haruka und liess den ‚nach letzter Nacht‘-Teil weg, da Michiru es ohnehin heraushören konnte.
 

„Ich habe in letzter Zeit nicht so viel Make-Up benutzt“, murmelte Michiru, als versuchte sie dem Vorhaben der anderen einen Sinn zu geben. „Ich denke, ich sollte mir welches kaufen.“
 

Haruka betrachtete sie und war überrascht, aber sie blickte zurück auf die Strasse. Zunächst mal, trug sie überhaupt kein Make-Up, ausser vielleicht einem blassen Lippenstift, was schon immer ihr liebster Kosmetikartikel gewesen war. Noch dazu schien sie widerstrebend mitzukommen, nicht erfreut, aber es konnte auch daran liegen, dass Haruka mit ihr ging und es ihr deswegen nicht behagte.
 

„Du siehst auch ohne Make-Up toll aus.“ DUMMKOPF. Warum hast du das jetzt gesagt? Jetzt hat sie keinen Grund mehr, mit dir irgendwo hinzugehen.
 

„Ich hab ganz vergessen, wie süss du sein kannst, Haruka“, bemerkte die andere und lächelte leicht. Sie starrte auf ihre Hände, dann berührte sie den Ringfinger an ihrer linken Hand. Sie drehte sie mit den Handflächen nach oben um und betrachtete ihre Handgelenke. Der Schnitt war beinahe vollständig verheilt, der linke war noch leicht rot-weiss. Sie seufzte sanft, verdeckte es mit der rechten Hand und drehte sie wieder um.
 

Michiru lehnte ihren Kopf gegen die Kopflehne ihres Sitzes und schloss die Augen. Sie fühlte sich plötzlich wieder müde, es war ungewöhnlich. Die Depression hatte die Kontrolle über sie verdeutlicht, und das ohne ersichtlichen Grund ausser purer Boshaftigkeit. Sie hatte Haruka versprochen, dass sie die nächsten paar Tage nichts versuchen würde...
 

Versprechungen werden gemacht, um sie zu brechen. Das hatte sie sich gesagt, als sie im Bad war, überdachte es aber und legte die Klinge wieder weg. Und das war’s was sie sich jetzt sagte. Haruka wollte vielleicht, dass sie sich besser fühlte - vielleicht auch dass sie sich selber besser fühlte, damit sie sich später sagen konnte, dass sie etwas versucht hatte - aber nach heute, versicherte sie sich, würden sie sich nie wieder treffen.
 

Ihre Finger berührten ihren Mund, sie dachte daran, dass Haruka sie zweimal geküsst hatte, beide bedeutungslos, flüchtige, ganz andere als sie sie früher geteilt hatten. Aber waren sie wirklich bedeutungslos, fragte sie sich. Ziemlich sicher. Haruka hatte nie etwas ausser einer wagen Freundschaft zwischen ihnen angedeutet.
 

Freunde haben sich geküsst. [Aber nicht auf die Lippen.] Halt die Klappe. [Du wolltest, dass es mehr ist, als der Kuss eines Freundes.] Ja, klar, genau das ist es: Ich will Haruka wieder nahe kommen, damit ich ihr hinterher sagen kann, sie soll sich verziehen. [Nein, beim letzten Mal hast du es anders ausgedrückt: Fu-] Halt die Klappe!
 

Sie rieb sich die Schläfen. Sie spürte Harukas Hand auf ihrer und sah vorsichtig auf.
 

„Hast du Kopfschmerzen?“, fragte sie mitfühlend.
 

„Ist schon gut“, log sie ruhig. „Es ist wieder weg.“
 

Haruka brachte Michirus Hand zu ihren Lippen und küsste sie sanft. Michiru zog ihre Hand zurück, unweigerlich erschrocken und unsicher. Sie beschloss, dass jetzt nicht der Augenblick war, wiederaufkeimende Gefühle zu analysieren, konzentrierte sie sich auf das, was um sie herum geschah. Sie erkannte, dass sie im Hauptteil von Juuban ankamen, wo all die teuren Geschäfte waren.
 

Juuban... Usagi-chan war bestimmt schon vor Jahren weggezogen. Zweiundzwanzig. Sie hatte bestimmt inzwischen Mamoru geheiratet... Sie begannen vielleicht ein neues Leben zusammen. Sie spürte, wie sie Eifersucht überkam. Sie hatten immer die Sicherheit, eines Tages Chibi-Usa zu bekommen. Ein Kind... Während sie... Hotaru... Sie...
 

„Usagi und Mamoru leben jetzt auf der anderen Seite der Stadt“, beantwortete die Blonde ihre unausgesprochene Frage, die oben auf ihren Gedanken lag. „Mamoru ist ein Anwalt... Wir wussten immer, dass aus ihm mal was Grossen wird... Usagi ist Lehrerin. Ist schon ironisch...“
 

„Ironisch“, gab Michiru als Echo zurück, ihre dunklen blauen Augen starrten leer in Harukas grüne. „Das Leben... ist voller kleiner Ironien...“
 

Die andere wollte sie unterstützen, wollte ihr etwas Positives sagen, etwas, was sie wieder dazu brachte zu leben. Aber jetzt... sie hätte nichts sagen könne, was Hotaru zurückgebracht hätte. Die merkwürdige mütterliche Bindung zu einem Kind... War sie stärker als die Liebe für ihre Partnerin? Offensichtlich ja... merkwürdig.
 

Haruka selbst fühlte sich nie annähernd so mütterlich wie Michiru oder sogar Setsuna. Vielleicht war väterlich gegenüber Hotaru eine bessere Umschreibung. „Haruka-Papa“ allerdings... War es so, dass eine Mutter eine tiefer Bindung zu ihrem Kind hatte als ein Vater? Liebten Mütter ihre Kinder mehr als ihre Geliebten?
 

Die grünhaarige Frau lächelte schwach, ihr Lächeln war nur andeutungsweise und sanft, ihre Augen waren in einem dunklen, teilnahmslosen blau. Trübe Augen, manchmal schwingend wie die Tiefen des Ozeans, sorglos wie die platschenden Wellen, oder tief, dunkelblau, eine plagende Farbe. Ihre Augen fielen schliesslich auf Harukas linke Hand, sie war verwirrt, als sie endlich die Bedeutung des Ringes erkannte.
 

Ihr Versprechens-Ring - ihrer, Harukas, Setsunas. Für Hotaru. Haruka trug ihn noch immer... nach all diesen Jahren?

Vielleicht... Vielleicht litt sie genauso unter dem Tod ihres Kindes. Sie wurde merkwürdig nachdenklich und fragte sich, warum sie nie darüber nachgedacht hatte, wie Haruka sich wirklich fühlte...
 

Aber Haruka war immer die Starke für sie, die mit weniger Emotionen. Während Michirus Depression war sie immer da gewesen, und hatte versucht, es ihr leichter zu machen, ihr die Schmerzen zu nehmen. Selbstlos zeigte sie Michiru kein Stück eines Gefühls ausser zärtlicher Liebe.
 

Das Auto fand eine Parklücke an der Seite des Gehsteigs ziemlich leicht, schnell. Glücklicherweise, denn normalerweise war es ein Tortur einen Platz zu finden; man parkierte besser in einer Garage oder nahm gar nicht erst das Auto mit, sondern benutzte ein Taxi.

Michiru stieg aus und schloss die Türe hinter sich. Sie schützte ihre Augen vor der Sonne und blickte der Strasse entlang auf die Seite. Leute liefen herum, lachten, redeten. Juuban war schon immer eine ziemlich friedliche Gegend.
 

Haruka berührte ihren Ellbogen und sie starrte auf sie. Die Blonde lächelte und legte ihren Arm über ihre Schulter. Beiläufig, leicht, wie ein Freund. Wie es eine Schwester tun würde. Die andere brachte die innere Unruhe zum Schweigen, die in ihr aufwallte und sie folgte Haruka, die sie zu einigen Läden führte.
 

Vor dem Fenster eines bestimmten Geschäfts spürte Michiru eine fremde Emotion in sich hochkommen. Nein, nicht fremd... nur... ungewohnt. Ein kleiner Anflug von Aufregung, Vorfreude. Sie biss sich auf die Lippe und ihre Augen wanderten über die hübschen ausgestellten Kleider. Ein elegantes Ballkleid in weiss; ein luftiges Sommerkleid in seegrün; ein sanfter violetter Rock und ein crèmefarbenes Top. Sehr hübsch.
 

Das letzte Mal, dass sie ernsthaft einkaufen ging war... zu lange her. Einkaufen wurde ihr zur Last und sie suchte sich immer schnell Kleider aus, die einfach, nett, passend und nicht teuer waren. Aber wirklich nach Garderobe suchen...
 

„Willst du eines anprobieren?“, murmelte Haruka in ihr Ohr.
 

Sie schob sich vom Schaufenster weg und sagte sich, dass es dumm war. „Nein... Nein, ich... brauche keine Kleider...“
 

„Gefallen sie dir nicht?“ Sie klopfte mit dem Finger leicht gegen die Scheibe. „Sie sind sehr hübsch.“
 

„Ja, sie sind recht schön“, bestätigte Michiru bereitwillig. Sie schüttelte den Kopf. „Aber...“
 

Haruka nahm ihren Arm entschlossen in die Hand und führte sie zum Eingang. Michiru war weise genug, sich nicht zu wehren, ihr jetzt eine Szene zu machen würde nicht helfen. Die andere Frau war um einiges stärker als sie, besonders jetzt. Trotzdem, sie errötete leicht, als sie eintrat.
 

Haruka fragte bei der Kasse nach den zwei Kleidern, die im Schaufenster ausgestellt waren. Eine junge Frau mit rotem, gelocktem Haar und hellen orangenen Augen nickte eifrig und höflich. Sie holte einige Kleider der gleichen Art in der Grösse, die Michiru geflüstert hatte. Haruka schien bei der Zahl überrascht; sie hatte eine Menge Gewicht verloren, ihre Kleidergrösse war um zwei tiefer, als sie es war, als sie sie das letzte Mal gesehen hatte.
 

„Es war ein Fehler“, sagte Michiru und hob den Kopf, um die andere anzusehen. „Ich brauche keine Kleider mehr.“
 

„Das hast du schon ein paarmal gesagt.“ Sie schien amüsiert. Ihre Finger strichen über die seidene Bluse und fühlte sanft das Material zwischen ihren Fingern. „Das ist ziemlich alt... Das Material ist recht dünn. Du hast seit über einem Jahr nichts anderes mehr getragen.“
 

„Ich mag es“, verteidigte sich Michiru und drehte sich weg. Sie starrte auf die Glasvitrine und bemerkte plötzlich den Schmuck darin. Sie beugte sich vor und betrachtete einige der Stücke. Gold, Silber, Bronze. Ihre Augen blieben bei einem goldenen Kettchen hängen, leicht, dünn mit einem ovalen Aquamarin am Ende. Sie lächelte.

„Es ist hübsch“, meinte sie.
 

„Willst du es kaufen?“, fragte Haruka.
 

Verwirrt sah sie auf. Sie lächelte knapp. „Es ist hübsch“, wiederholte sie, „aber nein... ich wüsste nicht, was damit anfangen. Es ist sinnlos sich eine Kette zu kaufen, die man nie tragen wird.“

“Es ist merkwürdig zu sehen, wie du dich wehrst, etwas zu kaufen.“ Die Blonde gab ihr einen messenden Blick. „Ich weiss noch, wie du mich durch jeden Laden geschleppt, sie praktisch leergekauft hast und ich dann alle deine Schachteln tragen musste.“
 

Die andere Frau drehte sich zum Fenster und sah hinaus, sie beobachtete die Leute herumhetzen. „Das ist lange her, Haruka. Ich bin nicht dieselbe Person.“ Ich weiss nichtmal wer sie ist, oder ob ich sie zurückbringen kann.
 

Haruka seufzte sanft und änderte ihr Auftreten, als die Kassiererin mit den zwei Kleidern zurückkam.

Sie hatte sie vorsichtig über beide Arme gelegt und deutete mit ihrem Kopf zu einer Türe an der Seite. „Das ist die Umkleidekabine.“
 

Die Blonde nickte, legte ihren Arm um Michiru und folgte mit ihr der anderen Frau. Sie waren still als sie der Frau schwatzen zuhörten und an Reihen von Kleidern und Schaufenstern vorbei gingen. Michiru fühlte sich benommen, sie hatte ganz vergessen, wie viele und schöne Kleider es gab.
 

„Meine Güte, die sind wirklich ziemlich hübsch“, sagte die Verkäuferin fröhlich. „Und Sie sind auch sehr schön, Fräulein, sie werden bestimmt wundervoll an Ihnen aussehen.“ Sie seufzte, aber ihr Seufzer war ein romantischer, langer Seufzer, so ganz anders, als ihn Haruka vor wenigen Minuten benutzt hatte.
 

Diese kleinen Dinge konnten so viele Gefühle verraten.
 

Die Verkäuferin streichelte verträumt über die Kleider und bemerkte: „Ich wünschte, ich könnte das tragen, oder dass ich das Geld dafür hätte.“ Sie lachte. „Aber ich liebe es Leute darin zu sehen, für die sie einfach wie gemacht sind, das reicht mir.“
 

Sie öffnete die Türe und hängte die Kleider an den Haken. Sie lächelte, trat heraus und stellte sich neben die Türe. „Ich hoffe, sie werden ihnen gefallen, Fräulein.“
 

„Danke“, lächelte Michiru sanft. Sie ging hinein und schloss die Türe hinter sich.
 

Haruka setzte sich auf einen Sessel, der neben den Spiegeln an der Wand stand. Die andere Frau blieb stehen und summte vergnügt. Sie wandte sich an Haruka.
 

„Sind Sie ihr Freund?“
 

Die Blonde hatte einen merkwürdigen Ausdruck auf dem Gesicht, schüttelte dann den Kopf. „Nein, wir sind nur Freunde“, sagte sie, aber ihre Stimme zitterte.
 

Die Kassiererin bemerkte es nicht und lächelte. „Wie schade, wie schade. Sie zwei sehen so nett zusammen aus. Als ich sie sah, wie sie gemeinsam herein kamen dachte ich, meine Güte, die beiden müssen für einander geschaffen sein, sie sind das perfekte Paar!“
 

Haruka schwitzte und lächelte schwach. Sie wurde komischerweise oft genug von schwatzhaften Frauen eingeschüchtert. Sie wusste nie, was sie hätte erwidern sollen auf eine solche... nun... Schwatzhaftigkeit. Diese Frau könnte stundenlang ohne Ende weiterreden... Muss verdammt schwer für ihren Freund sein, etwas anderes zu tun. Die Blonde betete kurz, dass Michiru sich beeilen würde.
 

Gerade rechtzeitig öffnete sich die Türe der Umkleidekabine und Michiru trat unsicher heraus. Sie trug das seegrüne Kleid und Haruka konnte einige Sekunden nichts sagen. Sie stand auf und versuchte ihre Gedanken zu ordnen, die so plötzlich in ihren Kopf strömten. Die Verkäuferin aber hatte viel zu sagen.
 

„Fräulein, Sie sehen absolut wunderschön aus!“, rief sie aus und klatschte mit kindlicher Leichtigkeit in die Hände. Sie führte Michiru zu einem Spiegel, damit sie sich selber betrachten konnte. „Sehen Sie? Dieses Kleid ist einfach wie für Sie gemacht worden.“
 

Die grünhaarige Frau lächelte ihr Spiegelbild kurz an und drehte sich zu Haruka. „Es ist nett“, sagte sie ruhig. „Was denkst du?“ Sie trat zu ihr und hielt ihren Kopf schief in einer Weise mit der sie andeutete, dass sie eine ernste, ehrliche Meinung hören wollte.
 

„Sieht sie nicht aus wie ein Model?“, schwärmte die rothaarige Frau. Haruka hätte sie beinahe geküsst, dafür, dass sie etwas gesagt hatte, denn sie konnte es einfach nicht.
 

„Hm, ja, sie sieht toll aus“, murmelte Haruka und steckte ihre Hände in die Hosentaschen, sie fühlte sich wie ein Teenager. Michiru sagte nichts, sie nickte nur und ging wieder in die Kabine.

Als sich die Tür schloss, seufzte Haruka und sank wieder auf ihren Stuhl. Michiru dachte wahrscheinlich, sie wäre gefühllos gewesen. Die Verkäuferin betrachtete sie verwirrt, schüttelte den Kopf und schnalzte mit der Zunge. Kein Paar... wirklich.

Es war offensichtlich - ja ziemlich offensichtlich, dass der blonde Mann starke Gefühle für die junge Frau hatte.
 

Sie blinzelte, als der blonde Mann aufstand und an ihr vorbei zurück zur Kasse ging. „Warten Sie! Wollen Sie nicht auf sie warten?“, fragte sie und beeilte sich, der anderen nachzukommen.
 

„Doch, ich wollte mir nur nochmal die Kette ansehen, die ihr gefallen hat“, antwortete Haruka und wurde nicht langsamer. „Kann ich sie sehen?“
 

Die Frau nickte, hastete umher und öffnete die Glastruhe mit einem Schlüssel. Sie nahm die Kette heraus, auf die Haruka zeigte und legte es vorsichtig auf ihre Hand.
 

Haruka betrachtete es genau. Sie warf einen Blick auf die Frau und sagte selbstverständlich: „Es ist echt.“
 

„Oh, ja, natürlich“, bestätigte die Verkäuferin und ihre roten Haare hüpften auf und ab. „Wir haben keine billigen Imitationen hier! Aber es ist ziemlich teuer, bisher hat es auch keiner gekauft, und ich fürchte, dass niemand...“
 

„Ich nehm es.“
 

Sie gaffte sie regelrecht an, dann erinnerte sie sich an ihre Manieren und schloss den Mund. „Sie müssen sie lieben, mein Herr!“ sagte sie, als sie an der Kasse beschäftigt war.
 

Haruka bezahlte schnell mit der Kreditkarte und ging zurück zu ihrem Stuhl. Sie packte die Kette, die jetzt in einer Schachtel war, in ihre Tasche und setzte sich. Nicht einen Moment zu früh, denn die Türe öffnete sich wieder.
 

„Michiru?“, rief Haruka nach einer Weile, als niemand heraus kam.
 

„Ich komme mir dumm vor... Das ist so eine Zeitverschwendung.“ Michiru klang aufgebracht und schloss die Türe plötzlich wieder. Sie lehnte ihren Kopf dagegen und sagte: „Ich kaufe einfach das andere Kleid, wenn dich das glücklich macht.“
 

„Was ist denn los?“ Die andere stand auf trat zur Türe und legte ihre Hand darauf. „Ich bin sicher, dass du gut aussiehst.“
 

„Ich... erinnere mich an das letzte Mal... als ich auf einem Ball war...“, flüsterte Michiru auf der anderen Seite. „Wir waren alle vier zusammen feiern gegangen, an Usagis achtzehntem Geburtstag... Und wir waren glücklich. Hotaru war so hübsch, kaum mehr wie ein kleines Kind, sondern wie die Zwölfjährige, die sie war. Ich war stolz auf sie... Und du und ich, wir tanzten nur mit einander ausser das eine Mal, als ich mit diesem Freund von Mamoru getanzt habe... Motoki, glaube ich... Du warst eifersüchtig, also habe ich dir versprochen, dass ich den Rest des Abends nur noch mit dir tanzen würde...“
 

Haruka wurde rot, sie erinnerte sich, was danach passierte, obwohl sie wusste, dass Michiru wahrscheinlich nicht so weit dachte. „Komm raus, Michiru“, sagte sie sanft.
 

Die Türe öffnete sich leise und Michiru trat schnell heraus, sah Haruka einen Moment lang an und drehte sich wieder um. Haruka nahm ihren Arm und hielt sie fest. Die weisse Seide stand Michiru perfekt, es passte ihr gut. Das Kleid war lang und irgendwie schwer aber an dem Mädchen elegant. Ihr seegrünes Haar zeichnete sich um ihre Schultern und allein das war eine wunderschöne Dekoration.
 

„Du... siehst... wundervoll aus“, sagte Haruka nach einer Zeit, die ihr wie Stunden vor kam und sie wusste dass sie wie verrückt rot wurde. „Du solltest es kaufen.“
 

„Ich werde es nie tragen“, widersprach Michiru. Sie lächelte und strich über das seidene Kleid. „Aber es ist wirklich hübsch, nicht?“
 

Haruka berührte ihr Gesicht und sagte: „Na, komm, ich hole die Kassiererin, um es für dich einzupacken.“
 

Das andere Mädchen schüttelte erst den Kopf und nickte dann, als sie Harukas Gesichtsausdruck sah. Sie fühlte sich überraschend besser aus irgendeinem unklaren Grund. Es war wegen Haruka, das wusste sie und es liess ihre Gefühle treiben.
 

Michiru...
 

Sie sah verwirrt zu Haruka auf. „Hast du etwas gesagt?“, fragte sie.
 

„Nein.“ Haruka sah von der Rechnung auf, die sie unterzeichnete. „Warum?“
 

„Nichts...“ Michiru rieb sich abgelenkt das Kinn und murmelte: „Ich dachte, ich hätte jemanden etwas zu mir sagen hören.“
 

Michiru... Michiru-Mama... Michiru-Mama! Wo bist du?
 

Sie schnappte nach Luft und stand auf, als wieder diese Bilder in ihrem Kopf auftauchten. Sie rannte auf die Toilette, gefolgt von einer besorgten Haruka. Sie ging in eine der Kabinen und schlug die Türe schnell zu.
 

Haruka wartete vor der Kabine, starrte auf die Türe. Ihr Gesicht war blass, als sie die Geräusche von drinnen hörte. Die Toilette wurde gespült und Michiru kam heraus, sie achtete nicht auf sie. Sie trat zu einem Waschbecken und drehte einen Wasserhahn auf. Sie liess das Wasser über ihre Hände laufen und spritzte sich das kalte Nass in das Gesicht. Sie nahm sich ein Tuch aus dem Spender, trocknete sich Gesicht und Hände, warf es weg, und drehte sich zum Ausgang.
 

Sie sagte kein Wort und trat an Haruka vorbei. Das andere Mädchen liess sie nicht, sie hielt sie am Arm. Michiru drehte sich weg, sie wollte sie nicht ansehen.
 

„Michiru?“ Ihre Stimme war sanft, ängstlich und sorgsam.
 

Michiru erlaubte sich, umarmt zu werden und drückte ihr Gesicht in Harukas Hemd, ohne zu weinen oder zu sprechen.

Haruka fühlte ein zerreissendes Gefühl in sich. Ihre Arme hielten Michiru noch sicherer an sich und sie flüsterte wieder ihren Namen.
 

„Es war ein langer Tag, Michiru... Ich werde dich nach Hause bringen.“
 

Die grünhaarige Frau nickte, ihre Augen waren verschleiert aber trocken. „Danke.“
 

Haruka parkierte, obwohl Michiru heftig protestierte, es sei nicht nötig, dass sie mit ihr kam, sie könne es auch alleine. Aber nachdem sie aus dem Auto gestiegen war, brach sie wieder beinahe zusammen, wieder überkam sie einer ihrer Anfälle.
 

In dem Moment verfluchte sie ihren Körper, dass er sie verraten hatte. Denn jetzt war Haruka unerbittlich ihr „Beschützer“. Sie wollte Harukas Hilfe nicht, sie wollte nur von ihr in Ruhe gelassen werden. Sie wollte alleine sein.

Sie ging in ihr Apartment im dritten Stock.
 

Sie trat aus dem Fahrstuhl zu ihrer Wohnung. Sie beschäftigte sich damit, die Türe aufzuschliessen und achtete nicht darauf, dass Haruka bei ihr war. Die Türe sprang auf, nachdem sie den Knauf gedreht hatte, sie trat ein und betätigte einen Lichtschalter an der Wand.
 

Sie wusste wohl, dass sie Haruka nicht draussen stehen lassen konnte, so liess sie sie hinein, zeigte ihr, wo sie ihre Schuhe ausziehen konnte und Hausschuhe finden würde. Nachdem sie dies getan hatte gab Haruka Michiru die Kleider und wanderte in der Wohnung umher, als das andere Mädchen die Kleider in ihr Zimmer brachte.
 

Das Apartment war befremdlich leer. Möbel waren spärlich, einfach und spartanisch. Eine weisse Couch, zwei Sessel, ein Glastisch und ein paar Bilder, die aufgehängt waren. Die Küche hatte einen kleinen Tisch und zwei Stühle dabei. Es hatte einen Stuhl und eine Stereoanlage neben dem grossen Fenster und eine Staffelei einige Meter weiter.

Der Violinenkasten lag abgeschlossen auf dem Stuhl.
 

Michiru kam wieder aus ihrem Zimmer. Sie sah Haruka einen Moment lang an, drehte sich um und ging in die Küche. „Ich mache dir etwas Tee, bevor du gehst.“
 

Haruka setzte sich auf die Couch und wartete still, bis die andere zurückkehrte. Michiru setzte sich neben sie und stellte das Tablett mit zwei Tassen darauf hin.
 

„Warum bist du aus dem Restaurant gelaufen?“, fragte Haruka schliesslich, als Michiru ihnen beiden einschenkte.
 

„Nur Träume... Visionen von Dingen...“ Michiru lehnte sich zu ihr und stellte ihr eine Tasse hin, die sie für sie gefüllt hatte und murmelte: „Es tut mir leid, dass ich dir in den zwei Tagen so viele Umstände gemacht habe. Ich verspreche, dass ich dir nicht mehr über den Weg laufen werde.“
 

„Was redest du denn da?“, Haruka war irritiert. Sie ignorierte die Tasse und drehte sich zu ihr. „Du machst mir keine Umstände, besonders nicht, wenn du Hilfe brauchst.“
 

Michiru lächelte, ihre blauen Augen hellten etwas auf, als sie eine Woge der Erleichterung in sich aufkeimen spürte.

Haruka betrachtete sie einen Moment lang, bevor sie ihre Wange mit ihrer Hand berührte. Das andere Mädchen sagte nichts, sie legte nur ihre Hand über die der anderen.
 

„Michiru“, flüsterte die Blonde. Die grünhaarige Frau hob schweigend ihren Kopf, aber ihre Augen sagten eine Million Dinge mehr. Haruka senkte ihren Kopf und küsste sie. Die andere legte ihre Arme um ihren Hals, sie wehrte sich nicht.
 

Michiru wachte auf, sie erkannte schnell, wo sie war. Sie fühlte, wie ihr Gesicht brannte und versuchte aus dem Bett zu kommen, bis sie merkte, dass Harukas Arm um sich gelegt war. Sie drehte sich und sah das blonde Mädchen an, das friedlich schlief. Sie studierte ihr Gesicht, und fragte sich, wie jemand nur so hübsch sein konnte. Sie strich mit ihren Fingern über Harukas Gesicht, sie hob ihren Kopf und drehte ihn, damit ihr Gesicht genau gegenüber dem der anderen war. Ihr Mund war trocken aber sie schluckte, dann küsste sie die schlafende Frau sanft.
 

Haruka gab ein leises Geräusch von sich, ihre Arme legten sich automatisch fester um Michiru und zogen sie näher an ihren Körper. Sie öffnete die Augen ein wenig und lächelte zwischen den Lippen des Mädchens. „Morgen“, grüsste sie sanft.
 

Das seegrünhaarige Mädchen legte ihren Kopf an Harukas Schulter und flüsterte: „Du hast mich so verwirrt, Haruka...“
 

„Michiru?“, fragte die andere ruhig.
 

„Ich hatte letzte Nacht keine Alpträume...“ Sie klang überrascht aber auch neugierig.
 

„Ich bin froh“, antwortete Haruka in einer sanften Untertreibung. „Du solltest sie nicht jede Nacht haben, mein Liebling.“
 

„So hast du mich schon lange nicht mehr genannt.“ Sie seufzte und schloss die Augen. „Du bist so warm...“
 

Haruka strich ihr durch die Haare, bis sie einschlief, auch noch nachdem sie eingeschlafen war. Sie küsste ihren Kopf, hielt sie fest, als sie selber wieder in den Schlaf fiel.
 

In dieser Nacht, am nächsten Morgen hatte sich alles geändert. Michiru kam zu dem Schluss, dass, nachdem was passiert war, sie niemals Haruka nie wieder sehen könnte. Es war unmöglich sie zu ignorieren, sie realisierte manches.
 

Erstens. Sie liebte Haruka immer noch. Zweitens. Harukas Gefühle für sie waren tief, wenn sie sie nicht sogar liebte. Drittens. Sie wollte, dass es wieder so wurde, wie es war, bevor Hotaru starb. Sie konnte auch in allen Punkten Unrecht haben, aber sie war fest von der Wichtigkeit jedes Grundes überzeugt.
 

Michiru verstand nicht, wie es Haruka nach all dieser Zeit noch immer schaffte, dass sie so für sie glühte, aber Liebe war unbeschreiblich, merkwürdig. Ihre Liebe war schon immer erschreckend stark gewesen.
 

Haruka duschte; Michiru hatte bereits. Sie war dabei, sich anzuziehen und beschloss, das Sommerkleid zu tragen, das sie gestern gekauft hatte. Sie blickte zufällig auf ihr Handgelenk. Es war beinahe verheilt. Sie strich mit dem Finger über die blasse Linie und dachte, dass es wirklich komisch war, dass sie zum ersten Mal seit Europa nicht geträumt hatte, wie Hotaru starb. Die Träume trieben sie immer dazu, sich die Pulsadern aufzuschneiden... Sie hatte solche Angst vor ihnen, sie wurde so traurig und ihr war so schlecht, dass sie sterben wollte.
 

Sie seufzte, trat zu dem grossen Fenster im Zimmer, sah hinaus und wartete auf Haruka. Sie lehnte mit dem Kopf gegen die Scheibe und beobachtete die Stadt, aber nicht wirklich. Sie spürte, wie ihr Tränen übers Gesicht liefen, sie wusste nicht weshalb, sie konnte es nicht erklären. Auch in ihren glücklichsten Zeiten tauchte die Depression auf und kontrollierte sie, benutzte sie.
 

Sie fühlte Arme um sich gelegt, sah mit leerem Blick auf und erkannte Haruka die sie mit ihren hübschen grünen Augen ansah. Haruka küsste ihren Hals und sie fühlte eine Wärme durch sich hindurch fliessen, als sie sich in deren Arme zurück lehnte.
 

„Es ist ein schöner Tag“, meinte Haruka, als sie nach draussen sah. Die Sonne stand hoch und der Himmel war klar blau, während die Menschen in der Stadt durch die Strassen eilten. Ihre Stimme wurde zu einem heiseren Flüstern, als sie ihn ihr Ohr sage: „Aber die Nächte gefallen mir besser...“
 

Michiru errötete und erinnerte sich, dass Haruka schon immer sinnlich und verliebt war, vielleicht zu sehr, und dass sie oft zärtliche Liebeleien ausgetauscht haben.
 

„Du bist noch nass“, erkannte Michiru, als kleine Wassertropfen vom Haar der Blonden in ihr Gesicht fielen.
 

„Hmm“, stimmte Haruka ihr zu. Sie lächelte das Mädchen an und sagte: „Entschuldige, ich hatte es eilig... Ich könnte dich für immer so festhalten.“
 

„Ich wünschte... Ich könnte für immer so bleiben...“, flüsterte die grünhaarige Frau langsam, sanft. Ihr starrer Blick verschwand.

Mit dir, für immer. Nur wir beide, weit weg vom Rest der Welt... Kannst du mich nicht von allem weg holen?

Warum können mich nicht einfach alle Ängste verlassen, warum hören meine Erinnerungen nicht einfach auf, mich zu verfolgen? Dann könnten wir glücklich sein... Aber wir werden es nicht sein, wir können nicht. Nicht bis mir vergeben wurde... Und das wird nie geschehen. Warum nicht? Welches grausame Schicksal hält uns voneinander ab... oder bin das nur ich...
 

Ich liebe sie... aber es soll nicht sein...
 

„Michiru...“, sagte Haruka, die aufgeschreckt war, durch die plötzliche Ruhe der anderen. Sie zog sich wieder in sich zurück. Depressiv, kalt, verschlossen gegenüber allem ausser Schmerz.
 

„Haruka... Du liebst mich... oder?“ Ihre Frage war unerwartet und sie sagte es mit solcher Ruhe und Gleichgültigkeit, dass sie Haruka am liebsten geschüttelt hätte. Aber unter dieser Oberfläche sah sie die leise Verzweiflung, das Verlangen nach Sicherheit.
 

„Ja, mehr als alles andere“, antwortete sie, ihre Stimme war bestimmt und ehrlich.
 

„Ich könnte dich wieder wegstossen.“ Sie klang merkwürdig und löste sich aus der Umarmung. „Würdest du mich hassen, wenn ich das täte? Das würdest du, nicht wahr? Du würdest mich verlassen. Du würdest von vorne anfangen und hättest ein anderes Leben als ich...

Du würdest mich vergessen, ausser du denkst an mich, um mich zu hassen.“
 

„Was sagst du da?“ Sie war erschrocken. Michiru... verlor es wieder... Sie wollte sie umarmen aber Michiru schob ihre Arme weg und lief im Zimmer hin und her. Sie setzte sich aufs Bett.
 

„Ich könnte dich niemals hassen.“
 

„Du hast mich schon einmal gehasst. Das hast du, an diesem Tag“, murmelte Michiru, ihre Hand berührte ihr Gesicht betrachtend. „Ich habe es in deinen Augen gesehen, ich habe es in deiner Stimme gehört. Du hast mich gehasst... Und wenn wir einander einmal gehasst haben, könnte es wieder passieren...“
 

„Michiru, das ergibt keinen Sinn“, sagte Haruka knapp und trat auf sie zu. „Es wird nicht wieder passieren.“
 

„Wo Hass ist, kann keine Liebe sein.“ Sie blickte zu Boden. „Wenn wir einmal gehasst haben... können wir wieder hassen...“
 

„Warum versteifst du dich darauf?“ Die andere wollte sie schlagen, sie halten, sie küssen, sie die Dinge in ihrem Kopf vergessen lassen. „Wir sind jetzt zusammen, wir lieben uns jetzt, das ist alles was zählt.“
 

Es soll nicht sein... Es ist komisch das zu sagen. Ihr Kopf wollte diesen Gedanken wegstossen. Trotzdem...

Wenn sie sich nicht vergeben konnte, würde es darauf hinaus laufen, dass sie Haruka ebenso zerstörte... Das konnte sie nicht zulassen. Sie konnten nicht zusammen sein, unter keinen Umständen. Allein auf dem beschrittenen Weg weiterzugehen würde Harukas Zeit verschwenden, ihr Leben... Es war besser, sie jetzt gehen zu lassen... Und ihr etwas zu lassen, womit sie ihr Leben verbringen konnte...
 

Es soll nicht sein.
 

Michiru sah auf und sagte ziemlich kühl: „Ich liebe dich nicht, Haruka.“
 

Das blonde Mädchen erstarrte und sagte dann sanft: „Michiru, was ist los?“
 

Sie stand auf, lächelte eisig. Ihre Augen schienen plötzlich selbstsicher und ruhig. „Es hat Spass gemacht das alles vorzutäuschen. Ich habe mich schon immer gefragt wie dumm du bist... Und als ich für kurze Zeit hierher kam, dachte ich, es wäre interessant zu sehen, ob ich dich reinlegen könnte. Das hab ich. Und jetzt weiss ich es. Du würdest mir alles abkaufen.“
 

„Was?“ Haruka war erschrocken. Ihre grünen Augen zeigte, dass sie das alles nicht glauben konnte. „Michiru, du fühlst dich wieder schlecht... Das ergibt keinen Sinn.“
 

Das grünhaarige Mädchen warf ihre Haare arrogant über die Schultern. Sie lächelte und küsste Haruka grausam auf die Lippen. Haruka zog sich weg. „Du bist toll im Bett, Haruka. Das warst du schon immer. Aber du warst auch bereit den verzweifelten Helden zu spielen. Hast du ernsthaft all diesen Müll geschluckt, den ich dir aufgetischt habe? Mann, ich muss eine bessere Schauspielerin sein, als ich dachte.“
 

Haruka schloss die Augen und drehte sich weg. Sie zitterte. Michirus Augen schienen es ebenfalls einen Moment lang zu verlieren, und sie versuchte, sich davon abzuhalten, zurückzuweichen.. Sie tat Haruka so weh... Und das verbrauchte so viel Energie... Sie fühlte sich so müde... Aber es war für Haruka.
 

„Siehst du?“, Michiru streckte ihre Handgelenke aus. „Ich habe immer gewusst, wie ich schneiden muss, damit genug Blut herauskommt, aber nicht genug, um mich zu töten... Ich musste es nur hier...“
 

„Halt die Klappe!“, schrie Haruka sie plötzlich an. „Halt einfach deine verdammte Klappe!“
 

Michiru trat einen Schritt zurück, aber sie liess ihr Lachen spöttisch leicht. „Was? Hältst du es nicht aus zu sehen, was für ein Idiot du warst?“
 

„Ich hoffe, du hattest viel Spass mit deiner kleinen Aufführung, Michiru“, fauchte das Mädchen, sie musste sich zusammenreissen, um nicht gewalttätig zu werden. „Ich bete zu Gott, dass ich dich nie mehr wieder sehe, denn dann würde ich dich wahrscheinlich töten.“
 

Haruka stürmte aus dem Zimmer, durch die Eingangshalle und Michiru hörte, wie sie die Türe zuknallte.

Darauf sank sie auf ihr Bett, drehte sich um und weinte. Ihr Schluchzen war so tief und schmerzhaft, dass sie ihr Herz buchstäblich zerreissen fühlte. Sie schlug mit ihrer Faust gegen den Bettpfosten, wieder und wieder, während sie in ihr Kissen weinte und versuchte, genug zu atmen, um durchzuhalten.
 

Heute Nacht... Leb wohl, Haruka...
 

„Sie hat was?“, Setsuna war unbestreitbar schockiert, genauso wie Usagi, Mamoru und Rei.
 

Die vier waren zusammen etwas essen gegangen und trafen auf eine deprimierte Haruka, die damit beschäftigt war, sich bewusstlos zu trinken. Das überraschte alle, denn Haruka war nie betrunken. Sie trank nie mehr als drei Gläser von irgend etwas Alkoholischem und hatte sich mit Sicherheit noch nie so gehen lassen.
 

Haruka lachte bitter in ihr Weinglas. Sie schüttelte ihre Hand und meinte gelassen: „Oh, es sei toll gewesen mich zu ficken, aber es war alles nur ein Spiel, um zu sehen, wie dumm ich bin.“
 

Das jüngere blonde Mädchen schüttelte langsam den Kopf. „Nein... Michiru ist nicht so... sie würde soetwas nie tun.“
 

„Tut mir leid, Usagi“, antwortete Haruka und stellte ihr Glas hin, „aber so war es.“
 

„Ich... kann es auch kaum glauben“, sagte Rei schliesslich, ihre violetten Augen waren besorgt. „Du sagst, sie hätte dir vorgespielt, dass sie noch immer nicht über Hotarus Tod hinweggekommen sei? Und so tat als sei sie selbstmordgefährdet und schwach?
 

„Und machte einen Riesenidioten aus mir“, stimmte die ältere Frau ihr zu. „Sie ist eine wirklich gute Schauspielerin... ich frage mich, warum ich das verdammt nochmal nie bemerkt habe.“
 

„Vielleicht ist sie eine bessere Schauspielerin als du denkst“, sagte Setsuna ruhig. Sie warf Haruka einen durchdringenden Blick mit ihren roten Augen zu. Haruka erwiderte den Blick und sah dann zur Seite. „Ich bezweifle, dass Michiru sich so benehmen würde... es sei denn, sie wollte dich beschützen.“
 

Haruka schnaubte sarkastisch. „Mich beschützen? Mann, sie hätte mich doch beinahe reingelegt.“
 

Mamoru wollte etwas sagen, als Minako durch das Restaurant an die Bar stürmte. Ihre langen Haare und ihr blaues Kleid waren tropfnass und Haruka bemerkte, als sie schliesslich nach draussen sah, dass es regnete. Das jüngere blonde Mädchen hatte einen verzweifelten Gesichtsausdruck, halb weinend, halb hysterisch, und sie erschien beinahe wie verrückt, als sie auf Haruka zu rannte und sie an den Schultern packte.
 

„Minako, was zum Teufel ist los mit dir?“, platzte Haruka wütend heraus und schüttelte sie leicht. Sie hatte keine Lust auf einen dramatischen Auftritt.
 

„Haruka“, brachte Minako schliesslich heraus. „Ami hat mich aus dem Krankenhaus angerufen...“
 

Das ältere Mädchen erstarrte für einen Moment, sie fühlte eine furchtbare Angst in sich aufkommen.
 

„Michiru hat versucht sich umzubringen!“ Minako brach fast zusammen. Rei und Setsuna wurden leichenblass und Usagi wäre beinahe gegen ihren Mann in Ohnmacht gefallen. „Ami versucht... sie zu retten... aber sie... es klappt nicht!“
 

„Haruka!“, schrie Setsuna das Mädchen erschrocken an, die das Glas mit ihrer Hand zerbrochen hatte. Ihre Augen waren fest zugedrückt und Tränen bildeten sich an deren Enden. Sie warf die blutigen Stücke weg und ignorierte die Proteste der anderen als sie aufstand und zur Türe lief.
 

Die Stille machte die blauhaarige Ärztin nervös. Es war nicht Harukas Art... Dinge einfach zu akzeptieren. Haruka wurde von den anderen hergebracht, die, wie man ihr eben erzählt hatte, sie einholten, als sie ziellos zum Krankenhaus gelaufen war. Im Regen. Setsuna hatte versucht, Haruka zu beruhigen, aber die Blonde war in einer merkwürdigen Art panischer Raserei. Vielleicht nicht so merkwürdig.
 

Ami selbst verstand die Beziehung zwischen Haruka und Michiru kaum, vielleicht hatte sie das nie. Manchmal fragte sie sich, ob sie sich weniger auf das Lernen hätte konzentrieren sollen, als darauf Beziehungen aufzubauen, aber...
 

Rei und Usagi waren dabei, Minako zu beruhigen. Usagi war überraschend stark, fähig.

Hätte Ami sich nicht unter Kontrolle halten müssen, war sie sicher, dass das andere Mädchen um einiges stabiler gewesen wäre.
 

„Wie... haben sie sie gefunden?“, flüsterte Haruka auf einem der Sofas im Wartebereich neben Setsuna und Mamoru. Sie klang sehr ruhig, aber nach Amis Erfahrung, riss es sie wahrscheinlich innerlich auseinander. Haruka lehnte sich auf ihre Knie, ihre Hände, eine bandagiert, klammerten sich aneinander unter ihrem gesenkten Kopf. Die junge Ärztin räusperte sich. „Nun... Offenbar hatte Michiru jemanden in dem Wohnhaus Kleider für sie reinigen lassen und er wollte sie ihr heute Abend zurückbringen... Er klopfte an die Türe, aber niemand antwortete, er dachte, dass Michiru ihn vielleicht nicht hören konnte und versuchte, die Türe zu öffnen. Sie war nicht abgeschlossen, das war ungewöhnlich und er trat ein... Er fand sie im Bad und rief sofort um Hilfe.“
 

Haruka nickte und murmelte: „Wie viel... Blut hat sie verloren...?“
 

Ami warf einen Blick auf Setsuna, die langsam nickte. Die ältere Frau hatte ihre Hand auf Harukas Schulter.

„Viel... Wir glauben, dass sie eine halbe Stunde später bereits tot gewesen wäre, wenn man sie nicht gefunden hätte... Und eigentlich, wissen wir nicht, ob sie’s schafft... Ihre Lebenszeichen fallen schnell.“
 

„Du wirst alles tun, was du kannst, Ami.“ Die Stimme der Blonden war sanft, aber Ami erkannte die unterschwellige Botschaft, die mitschwang.
 

„Das werde ich.“ Mehr konnte sie nicht sagen.
 

Eine weiss gekleidete Schwester erschien und versuchte, nicht ängstlich zu klingen. „Doktor Mizuno, bitte kommen Sie schnell! Kaioh-san in Zimmer Nummer 136 ist in ein Koma gefallen...“
 

Sie trieb dahin. Sie öffnete langsam die Augen und fragte sich, wo sie war. Sie konnte nur den hellen, blauen Himmel über sich sehen... Sie setzte sich und sah sich um. Der Boden um sie war weiss... Boden? Nein, Wolken.
 

Sie stand auf und erkannte, dass sie ein weisses Kleid trug, das bis zu ihren Füssen reichte. Sie war verwirrt und starrte auf ihre Hände. Sie warf einen Blick auf ihre Handgelenke. Keinerlei Narben.
 

„Bin ich tot?“, flüsterte sich vor sich hin.
 

„Nein.“
 

Sie hatte keine Antwort erwartet, drehte sich erschrocken herum und sah ein Mädchen, etwa zwölf, das hinter ihr stand.

Sie hatte kurzes violettes Haar, grosse violette Augen und ein weisses Kleid... Flügel auch.
 

Ihre Augen weiteten sich. „Hot... Hotaru-chan?“
 

Das Mädchen nickte, sie lächelte und warf sich in die Arme der älteren Frau. „Michiru-Mama“, sagte sie glücklich und küsste sie aufs Gesicht.

„Hotaru-chan.“ Sie weinte, als sie das Mädchen umarmte, sie hielt sie fest und versuchte sich an dieses Gefühl zu erinnern.
 

„Michiru-Mama.“ Hotaru schob sich weg, sie war plötzlich ernst. „Du bist nicht tot... noch nicht.“
 

„Aber... du“, sagte das grünhaarige Mädchen leise.
 

„Ja, bin ich...“ Die Stimme des Kindes war akzeptierend, direkt und voller Wahrheit. „Ich möchte dir jemanden vorstellen, Michiru-Mama.“
 

Hotaru nahm ihre Hand und drückte sie leicht, bevor sie sie wegführte. Sie gingen nicht weit, als zwei weitere Personen vor ihnen auftauchten. Hotaru grinste und winkte ihnen zu.
 

Die andere konnte eine wunderschöne Frau sehen, weiss angezogen, mit langem violett-schwarzem Haar und violetten Augen.

Neben ihr stand ein Mann mit kurzen, schwarzen Haaren und freundlichen, dunklen Augen, er trug einen weissen Anzug.
 

„Souichi-san?“ Michiru war sprachlos, sie erkannte ihn sofort. Er nickte. Ihr Blick fiel auf die Frau und sie sagte langsam: „Dann müssen Sie... Keiko-san sein... Hotaru-chans Mutter.“
 

„Siehst du, Michiru-Mama? Ich hab dir gesagt, dass ich sie wiedersehe... Ich bin jetzt bei ihnen.“ Hotaru lächelte zufrieden. „Ich bin glücklich.“
 

„Michiru“, begann Keiko sanft, ihre Stimme war melodisch, wunderhübsch, wie Michiru wusste, dass sie sein würde. „Souichi und ich wollen dir, Setsuna und Haruka danken, dass ihr für unser Kind gesorgt habt, als sie lebte. Ihr habt sie zu einem Mädchen werden lassen, von dem ich immer wusste, dass sie es sein würde.“
 

„Wir... hatten nie die Möglichkeit zu tun, was ihr drei für sie getan habt“, fügte Souichi hinzu. Er lächelte, aber es war ein verlegenes Lächeln. „Ich war zu besessen davon, Dämonen zu erschaffen... Nachdem Keiko starb, war ich nicht einmal mehr menschlich. Ich machte Hotaru zu einer Maschine, aber was sie brauchte war Liebe, nicht was ich ihr gab.“
 

Hotaru rannte zu ihrem Vater und umarmte ihn. „Ich liebe dich, Papa.“ Er lächelte.
 

„Aber... ich liess sie sterben...“ Michiru war verwirrt. „Ihr könnt mir dafür nicht danken... Ihr solltet mich hassen.“
 

„Allein du hasst dich“, deutete Keiko. Sie berührte Michirus Hand. „Was du getan hast, war, was jede gute Mutter tun würde. Beim Kind bleiben, sie lieben, sie beschützen, ihr Sicherheit geben. Du hast keine Macht über Leben und Tod. Niemand beschuldigt dich, niemand hat das je getan.“
 

„Ausser du selbst“, nickte Hotaru. Sie nahm Michirus Hand in ihre eigene, stellte sich auf ihre Zehenspitzen und flüsterte in ihr Ohr: „Ich liebe dich, Michiru-Mama.“
 

„Du hasst mich nicht...“
 

„Das könnte ich nie!“, lachte sie. Sie gab ihrer Mutter ein warmes Küsschen auf die Wange. „Und wie ich sagte, du bist nicht tot... Du kannst nicht sterben. Nicht wenn Haruka-Papa dich so sehr liebt. Du musst über diese Schuld hinweg kommen, die ich dir nie aufgeladen habe. Bitte lebe wieder... Ich möchte nicht, dass du unglücklich bist.“
 

Michiru errötete leicht und nickte. Sie legte die Arme um das Mädchen und umarmte sie. „Ich liebe dich, Hotaru-chan... Ich vermisse dich so sehr...“
 

Hotaru lächelte ihre Mutter erneut an, in ihren Augen glimmte ein teuflisches - unmöglich an einem Ort wie diesem - Licht und sie flüsterte: „Ein Leben genommen, ein Leben gegeben.“
 

Das grünhaarige Mädchen blinzelte verwirrt. „Hotaru-chan?“
 

Hotaru schüttelte den Kopf, löste sich aus der Umarmung und rannte zurück zu ihren Eltern. „Bitte vergiss nicht, Michiru-Mama, sei glücklich...“
 

Dann wurde es schwarz.
 

Haruka sass neben Michirus Bett und hielt ihre kalte Hand; sie hob sie zu ihren Lippen und küsste sie sanft. Die Tränen folgten einige Momente später, als sie sie nicht mehr kontrollieren konnte.
 

Sie wollte mit Michiru allein sein, also hatte sie Ami und den anderen gesagt, sie sollen das Zimmer verlassen.
 

Die Ärztin hatte sich zuerst geweigert aber Haruka platzte wütend heraus, dass es ja keinen Unterschied machen würde, sie könnten ja doch nichts mehr für sie tun. Dann plötzlich begann sie zu betteln.
 

Erschrocken darüber, hatte Ami schliesslich zugestimmt. Nun sass Haruka also in der Dunkelheit des Zimmers. Sie wollte nicht alle Lichter an lassen. Das Weiss schmerzte ihren Augen, es war alles zu grell.
 

Die Geräusche der Maschinen hielten den Rhythmus mit ihrem Schluchzen, das automatisch aus ihr strömte.
 

„Michiru, stirb nicht... Bitte stirb nicht. Ich glaube nicht, dass ich dich nocheinmal verlieren könnte...“
 

Sie erinnerte sich an ihr erstes Treffen mit dem Mädchen. Mit Elza Grey. Elza-san hatte sie nach einem Rennen, das Haruka mit Abstand gewonnen hatte, einander vorgestellt. Als ihre Augen zum ersten Mal auf Michiru fielen, war sie fast erschrocken. Sie war so wunderhübsch, dass Haruka die vielen Gefühle peinlich waren, die so plötzlich in ihr hochkamen.
 

Zwei Wochen später hatten sie ihre erste Verabredung. Sie gingen in ein Restaurant zum Essen und danach ins Kino. Haruka hatte sie vor ihrer Wohnungstüre geküsst, einen langen, wunderschönen Kuss, den sie nicht beenden wollte, aber sie musste, denn fünf Minuten waren ein Bisschen lang. Sie erinnerte sich, wie Michiru sie schüchtern anlächelte, sie auch küsste, kürzer aber süsser und dann in ihre Wohnung ging und Haruka im Flur zurückblieb. Das waren ihre ersten beiden Küsse zusammen... Für beide der erste.
 

Die Tränen liefen auf Michirus Hand. Warum war sie so kalt? Sie sollte warm sein und voller Leben.
 

Sie erinnerte sich an so viele Dinge... Michiru war ein so grosser Teil ihres Lebens... wenn sie sie wieder verliess... wenn sie stürbe... würde Haruka auch...? ... Ja...
 

Sie war so in ihren Gedanken verloren, dass sie erst gar nicht bemerkte, wie sich die Hand in ihrer anspannte. Überrascht blickte sie nach unten, um sich zu überzeugen, dass, ja, sie bewegte sich! Sie lehnte sich vor und berührte Michirus Gesicht mit der anderen Hand.
 

„Michiru?“, murmelte sie.
 

Michirus Augen kniffen sich sichtbar zusammen, als versuche sie, starke Kopfschmerzen abzuschütteln. Ihre Augen öffneten sich schliesslich langsam, sie zitterten und blinzelten. Dann sah sie nach einem Moment Haruka.

Sie starrte auf sie und sagte, ihre Stimme nicht viel mehr als ein Flüstern: „Haruka?“
 

Die Blonde sagte nichts, sie begann nur zu weinen und verbarg ihr Gesicht an Michirus Hals.
 

„Du... weinst...“ Michiru klang verblüfft, verwirrt und überrascht. „Du... weinst nie, Haruka.“
 

Haruka lachte leicht in ihre Schulter. Sie hob ihren Kopf und sah Michiru direkt ins Gesicht. „Jag mir nie wieder so einen Schrecken ein.“ Ihre Stimme war todernst, aber mild, und ihre Augen eine Mischung aus Schmerz, Liebe und Güte.
 

„Haruka, ich...“ Sie wollte ihr sagen, wie leid es ihr tat. Sie wollte ihr sagen, wie sehr sie sie liebte.

Sie wollte...
 

Das andere Mädchen beugte sich nach unten und küsste sie, und sie erkannte, dass es gar nichts zu sagen gab.
 

Michiru ging es wieder besser, unglaublich besser sogar. Sie war glücklicher als sie es seit Monaten, seit Jahren gewesen war. Sie wurde nie mehr traurig, wenn sie über Hotaru redeten. Stattdessen schien sie zufrieden und zeigte ihre Liebe für das Mädchen in ihren Erinnerungen an sie.
 

Haruka war immer für sie da. Sie gab ihr die Kette aus dem Bekleidungsgeschäft an dem Tag, als sie aus dem Krankenhaus entlassen wurde. Michiru liebte es und zeigte der anderen ihre Liebe in dieser Nacht. Sie trug die Kette von da an immer.
 

Die Depression und die Selbstmordgedanken der grünhaarigen Frau waren wie von ihrer Seele weggewaschen, nach dieser schicksalshaften Begegnung mit Hotaru. Ein Traum? Nein. Keiner ihrer Freunde hatte je gesagt, dass es nur eine Einbildung, ein Traum eine Hoffnung gewesen war, weil sie es genauso wussten.
 

Deren Glaube, Michirus Glaube wurde noch gestärkt, als die mysteriösen Worte von Hotaru wahr wurden.

„Ein Leben genommen, ein Leben gegeben.“ Dieses tiefe Verlangen von Michiru ein Kind zu haben - Hotaru erfüllte es ihr, auf eine gewisse Weise.
 

Haruka war völlig ausser sich, als sie es erfuhr und sie wusste instinktiv, dass es Hotarus Art war, ihr Versprechen zu erfüllen. Das Baby war ein Mädchen mit seegrünen Haaren, die sich bereits so schwangen wie Harukas, und blauen Augen. Ein perfektes Kind. Sie nannten sie Kanpeki, was ‚perfekt‘ heisst.
 

„Liebling?“, flüsterte Haruka und sah auf, mit ihrem Kopf auf dem Schoss ihrer Geliebten.
 

Das andere Mädchen lachte sanft und kitzelte ihr Gesicht mit einer Blume. Es war Spätfrühling und sie sassen in ihrem Garten unter einem Kirschbaum. Die Blüten schwebten um sie herum und landeten langsam auf dem Boden.
 

Setsuna war im Haus mit Kanpeki. Michiru konnte die Frau sehen, wie sie das Kind auf dem Arm hielt und ihr etwas vorsummte, neben der Türe zum Innenhof, der nicht weit entfernt war.
 

„Sie ist eine wundervolle Patentante...“, murmelte Michiru verträumt.
 

Haruka setzte sich und zog Michiru an ihre Seite. Michiru lehnte sich gegen ihre Schulter und lächelte.

Die Blonde küsste sie auf den Kopf und drückte sie fester an sich.
 

„Ich wünschte... Hotaru-chan hätte Kanpeki noch gekannt“, sagte das Mädchen sanft und versonnen. Ihre Finger strichen über Harukas Brust.
 

„Sie kennt sie jetzt... Sie ist bei uns.“ Haruka hob ihr Kinn leicht, küsste sie und legte sie langsam ins Gras.
 

„Was ist Liebe, Haruka?“, fragte Michiru und lächelte, als Haruka sich zu ihr beugte.
 

Sie wartete einen kurzen Moment bevor sie die Frage beantwortete. „Du.“
 

ENDE



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von:  Yuna20
2008-04-20T17:23:10+00:00 20.04.2008 19:23
Wow
eine wunderschöne Story.
Wirklich toll
Von: abgemeldet
2008-03-16T08:58:19+00:00 16.03.2008 09:58
Wow! Echt Hammergeilo geschrieben! Die Gefühle kommen echt sehr gut rüber, auch kann man sich in alles sehr gut hineinversetzen. Wie Kino, nur als Geschriebenes. ^__^ Weiter so!!
Von:  GoldenTenshi
2008-03-14T21:04:44+00:00 14.03.2008 22:04
So endlich komm ich dazu zu deinem FF ein Kommi zu schreibe, bin gestern gerade noch so fertig geworden, bevor ich in Arbeit musste XD

Also erstmal.
Das is einer der besten H&M FFs sie ich nach sehr langer Zeit mal wieder gelesen hatte. Besonders mag ich die Depressivität als auch die Hoffnung in dieser Story.
Aber wohl eher das depressive, das mich mom so beruhigt XD"

Auf jeden fall will ich sagen, du hast ein großes Talent und ich hoffe du schöpfst dieses weiter aus ^^b

Top und in meiner Favo is es sowieso schon XD
Von:  fregn88
2008-03-12T07:02:19+00:00 12.03.2008 08:02
wow, ich liebe diese geschichte, du hast wirklich talent zum schreiben!!!
Von:  Miami
2008-03-12T02:25:30+00:00 12.03.2008 03:25
*snief*
*trännenwegwsch* man war das schön und trauig in einem *snieff*


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