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Trauriger Regentag

Im Regen Blühen Rosen
von

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Im Regen Blühen Rosen

“Du wirst nass.”

Ich stand an der Bushaltestelle, der Regen trommelte stetig und hämmernd auf die Überdachung.

Ich stand mit meinem Schirm im Regen, weil die Überdachung überfüllt von Schutz suchenden Menschen waren und obwohl einige einen Schirm hatten, bequemte sich niemand einem Regenschirmwaisen Platz zu machen.

Er stand, nur mit einer Jeans und einem T-Shirt bekleidet, im Regen. Und er stand wohl schon ziemlich lange da so herum, er tropfte und triefte nur so.
 

Ich kannte ihn von der Schule her, er war gerade neu hinzugezogen, war aber schon drei Monate an der Schule. Trotzdem habe ich ihn noch nie mit anderen Menschen gesehen, vielleicht konnte ihn keiner leiden.

Ich konnte es jedenfalls nicht.

Seine Art zu stehen, viel zu weit mit den Schultern nach vorne, ständig schief, als müsse er sich gegen Wind stemmen, die einzige Jacke, die er anscheinend besaß, war eine Jeansjacke, die er vielleicht mal im Winter anziehen würde, aber nicht im Regen. Wie er sprach brachte mich auf die Palme. Als ob ihm alles egal wäre. Schläfrig und nuschelnd, unverständlich, da fragt man sich, wie er auf die Schule kam.
 

Er sah mich durch einen Vorhang nasser schwarzer Haare erstaunt an. Als erstes fielen mir seine seltsamen Augen auf, die untere Hälfte war blau, die obere Hälfte grün-grau. Seltsam, wie eine Welt, die Kopf steht, mit dem Himmel zuunterst.
 

Ich klammerte meinen Schirm fester. Sein Blick machte mich langsam unruhig, er bewegte seine Augen nicht und sah mir starr in die Augen, bis ich selbst hastig meinen Blick stur nach Vorne richtete.

Ohne ihn anzusehen sagte ich: “Komm mit unter meinen Schirm. Der ist groß genug.” Ich wüsste gerne, wieso ich ihm das anbot, vielleicht, weil mir sein Anblick Mitleid den Rücken herunterrieseln ließ, vielleicht, weil ich das Verhalten der Leute unter dem Überdach insgeheim verfluchte, vielleicht, weil mir sein Blick im Stillem zuflüsterte, dass ich nicht besser sei, als sie.
 


 

Sie verkrampfte ihre Finger weiterhin um die schmale Stahlröhre des Schirms, schlanke, blasse Finger, manikürte Fingernägel, unauffällig mit Lack bepinselt. Wie so viele Finger an dieser Schule, von welcher ich sie kenne.
 

Selbst wenn sie den Schirm gegen den Wind halten würde, damit ihr keine Regentropfen ins Gesicht pitschten, wäre sie nass geworden. Das Wasser stand schon knöcheltief und ließ Hosen bis zu den Knien dunkler erscheinen.
 

Paradoxerweise lief ihr das Wasser die Beine hinab und nicht in die Hose hinein. Sie trug bloß einen weiten, mit mehreren Unterröcken gerüschten Rock, der knapp über den Knien endete und High-Heels. So konnte jedenfalls keines ihrer ach so kostbaren Kleidungsstücke nass und damit zerstört werden, teure Sachen waren doch so empfindlich, wenn sie im Regen getragen wurden.

Der grell pinke Schirm in ihrer Hand hatte auch an den Rändern rosa Rüschchen, womit sie eher einer Puppenkiste entsprungenen geflohenen Puppe ähnelte, als einer Siebzehnjährigen.
 

Sie schaute noch immer verkrampft nach vorne und bereute es wohl schon mir einen Platz unter dem Schirm angeboten zu haben. Zumal schien sie mich sowieso nicht leiden zu können. Vielleicht wollte sie nicht wie die anderen sein und mit ihrer verletzenden Freundlichkeit aus der Menge hervorstechen.
 

Aber vielleicht kümmerte es sie, dass andere Menschen im Regen nass werden,

sonst hätte sie mir das wohl kaum gesagt.
 

Normalerweise kann nur ein Dialog entstehen, sobald beide Partner kommunizieren, daher wäre ich jetzt an der Reihe etwas zu sagen. Sollte ich diese Chance nutzen? Oder sie genau wie alle anderen zuvor mit Schweigen bestrafen?

Mir fiel kein Grund ein, weswegen ich sie bestrafen sollte: “Danke, aber wie du siehst, bin ich so oder so schon nass.”, ich schaute noch mal zu ihr herüber, ob sie sich angesprochen fühlt und tatsächlich, sie hatte den Kopf schief gelegt und schien über meinen Satz nachzudenken. Ich wüsste zwar nicht, was es da zum Nachdenken gäbe, aber sie antwortete auch schon: “Heißt das, du willst dich berieseln lassen? Einfach reinwaschen lassen?”, sie schloss die Augen und hob den Kopf. Sie lauschte wohl.

Ich sah wieder weg, sagte nichts, aber sie zog meinen Blick wieder auf sich, sie öffnete die Augen, zog den Schirm nach vorne und faltete die Rose wie zur Nacht zusammen. Ihre Haltung war wie immer perfekt, kam wohl vom Salsa oder vom Ballett.

Nun ließ sie sich ebenso berieseln, mit geschlossenen Augen. Dann wisperte sie : “Ich glaube, ich kann dich verstehen.”
 

Das hatten schon so viele Menschen zu mir gesagt, mittlerweile glaubte ich es nicht mehr. Sie hatte es jedenfalls versucht.
 

Gleich würde sie sich erschrecken, die Rose wieder wecken, obwohl die Nacht noch nicht vorbei war und ihre teure Kleidung retten, sonst würden sie womöglich noch ihre Farbe verlieren. Vermutlich würde sie auch noch ein Handy zücken, mit baumelnden Sternchen und Herzchen und jemanden bitten sie abzuholen.
 

Sie tat nichts. Tatsächlich aber verlief die Farbe ihres Rockes, man sah die Farbe förmlich verblassen, tröpfelnd den Abfluss hinunterfließen, immer schneller, bis nur noch ein sanftes Rosa übrig blieb.

Sie öffnete ihre Augen wieder und erblickte das Desaster. Wie erwartet verzog sie das Gesicht und fing an in ihrer Handtasche nach dem Handy zu kramen, ich hörte schön das Aufklappen, als sie sich besann.
 

Sie klappte es zu und hielt es weiterhin in der Hand umschlossen. Sie schaute mich erstaunt an und ich konnte die Frage in ihrem Gesicht förmlich lesen. Das Problem war, dass ich ihre Sprache nicht verstand.

Plötzlich patschte sie unbeholfen mit ihrem Fuß in eine tiefe Pfütze und drohte umzukippen, aber bevor ich reagieren konnte, hatte sie sich mit einem gekonntem Dreh wieder ins Gleichgewicht gebracht. Eindeutig Ballett.
 

Sie sah mich grinsend an und trat mit voller Absicht und Enthusiasmus in die Pfütze, mir spritze das Dreckwasser bis ins Gesicht.

Sie lachte schallend auf, wahrscheinlich wegen meines dummen Gesichtsausdruckes, aber als sie selbst Dreckspritzer an sich entdeckte, blitzten ihre Augen gefährlich auf und eine Wasserschlacht begann.
 


 

Ich hätte es nie für möglich gehalten, aber der Kerl hatte doch tatsächlich Humor! Dass er es gewagt hat meinen eh schon zerstörten Rock noch weiter zu beschmutzen musste er büßen.

Unerwartet hat es sogar Spaß gemacht. Wie gesagt, er ist ein seltsamer Kerl. In der Schule habe ich ihm gegrüßt und ich war erstaunt, dass er darüber erstaunt war.
 

So ein Regentag ist etwas ganz Besonderes, was man nie vergessen sollte. Wenn man ihm lauscht, kann er einem so allerlei zuflüstern. Zum Beispiel, dass Wasser das Natürlichste auf der Welt ist. Aber auch, dass es Menschen gibt, die so etwas schon viel früher herausgefunden haben, wie er eben.
 

Ich glaube in seiner Nähe kann ich vieles besser verstehen. Auch seinen Tod. Immer wenn ich ihn am Grab besuchen komme, verschwinden alle Fragen wie “Wieso?”, oder, “Warum?”.
 

Der Tod ist das Natürlichste auf der Welt, so wie er das Natürlichste auf der Welt war. Ich beneide ihn darum, dass er es so früh erfahren hatte, ich hätte es gerne noch vor seinem Selbstmord herausgefunden, um ihm ein wenig Gesellschaft leisten zu können.
 

Als er gefunden worden ist, hatte er viele Rosen um sich herum, einige knallig Pink, andere ein hübsches blasses Rosa. Und er saß dort, inmitten von Rosenduft, sein eigenes Blut war wie Rosen auf dem Wasser, er brachte so viele Rosen zum Erblühen.
 

Ich besuche ihn immer an seinem Geburtstag. Den Tag hatte er sich nämlich ausgesucht, als das Natürlichste auf dieser Welt.
 

Jedes Jahr erblüht auf seinem Grab auf einem kleinen Rosenbusch eine einzelne rote Rose, die die Regenzeit ankündigt.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2009-08-13T19:42:25+00:00 13.08.2009 21:42
Gott, war das schön.
Da bis zum Ende war schon sehr lustig, aber die letzte Seite hat mich einfach nur umgehauen. Wow!
Von:  -Moonshine-
2008-03-01T02:05:29+00:00 01.03.2008 03:05
T____T Traurig... also echt schön, aber wirklich traurig, das Ende...


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