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Caileen, die Drachenprinzessin

von

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Der Maskenball

Es war kurz vor Mitternacht, als Kazary zusammen mit Shalawyn und Lavinia das Schloss betrat. Um durch ihr etwas spätes Erscheinen nicht aufzufallen, hatte Shalawyn die Wachen zum Ballsaal das Schlosses tatkräftig getadelt, weil sie, die Tochter des Fürsten Shindar von Mor Duin, wichtige Besorgungen im Namen des Königs zu erledigen gehabt habe, und demnach nicht hatte rechtzeitig kommen können und es unerhört sei, dass man ihr nun keinen Einlass hatte verschaffen wollen, damit Lavinia und Kazary heimlich durch einen der geheimen Pfade hinter einem Wandteppich schleichen und sich zur Festgemeinde gesellen konnten. Nun versuchten die beiden ihre Gefährtin durch die Menge zu erspähen.

„Verzeiht uns, Herrin, wir sind nur einfache Wächter und wollten nur die Befehle unseres Königs befolgen. Wir wollten Euch nicht beleidigen“, hörten sie einen der Wachen reden, während sich die über mannshohe Flügeltür zum Saal öffnete und Shalawyn mit strengem, gebieterischem Blick eintrat. Ihre Aufmachung bot einen faszinierenden, zugleich aber auch zwiespältigen Anblick. Passend zu ihren schaurigen Augen hatte sie ein weit ausgeschnittenes Kleid aus schwerem tief violette- blauem Samt mit langer Schleppe und schwarzen Onyx-Schmuck gewählt. Ihre tiefschwarzen Haare trug sie heute offen, jedoch hatte Lavinia viele kleine Zöpfe hinein geflochten, damit sie weniger verschlossen wirkte. Doch mit dem schweren Duft von Lavendel und Sandelholz war der Kontrast zum Rest der Gesellschaft vollkommen. Doch so würde Kazary weniger ins Blickfeld fallen und ungestört ihrer Aufgabe nachgehen.

„Wir sollten uns aufteilen“, flüsterte Lavinia über ihre Schulter.

Ihre Freundin hatte ein vielfach gerafftes Gewand aus sonnengelben und orangen Stoffen gewählt und sich passend dazu verschiedene Sommerblumen ins Haar gesteckt. Genau wie Shalawyn hatte auch sie eine Menge von Parfüm aufgelegt, doch wirkte der Duft von Flieder, Aprikosen und wilden Rosen um einiges heiterer.

Kazary nickte und wandte sich einer Gruppe Nymphen zu, die laut kichernd Blumen verstreuten. Lavinia hingegen begann, mit einigen Männern zu schäkern. Dabei ließen sie die anderen Gäste nie aus den Augen. Eigentlich hatte sie sich die Aufgaben der Drachenreiter während der Feierlichkeiten etwas anders vorgestellt. Die Traditionellen Tuniken, Prachtharnische und Waffenrock wären ihr in den Sinn gekommen, damit alle wussten, dass die Geselligkeiten überwacht wurden, aber letztendlich fand sie, das diese Maskerade ihr doch zum Vorteil war, da sie zumal weniger aus der Menge heraus stach und daher ihrer Aufgabe besser und unbeobachtet nachgehen konnte, und zum anderen, da sie ja noch nicht in der Gilde aufgenommen war und auch kein Recht hatte, die grüne Tunika der Drachenreiter zu tragen. Und letztendlich waren die vielen neuen Gesichter überaus interessant.

Als der Mond seinen Höhepunkt fand, wurden die Lichter gedämpft, sodass es an eine Dämmerung erinnerte. Genau wie die anderen Gäste legte auch Kazary ihre Maske an, um ihr Gesicht weitgehend zu verhüllen. Nun war das Fest offiziell eröffnet. Vom anderen Ende des Saales her erklang Musik. Wahrscheinlich waren es die Nymphen aus dem Dorf an den tausend Wasserfällen, nur sie vermochten solchen Zauber mit ihren Stimmen zu weben.

Allmählich verstummte das Gelächter und die Anwesenden fanden sich in Paaren zusammen, um zu tanzen. Erst sah es aus, wie ein wildes Durcheinander, aber schnell wurde der Elfe die Ordnung in diesem seltsamen Tanz bewusst und schon bald hatte sie den Überblick über die Menge wieder gewonnen. Jemand berührte ihre Schulter. Für einen Augenblick erschrak sie, so sehr war sie auf das Geschehen fixiert. Sie blickte auf und sah in das Gesicht eines Elfen. Er trug eine rostrote Samtrobe und hatte sein langes schwarzes Haar im Nacken zu einem Zopf gebunden. Genau wie alle anderen verbarg auch er sein Antlitz mit einer Maske. Schweigend folgte sie ihm und nahm ihren Platz in den Reihen der Tanzenden ein. Etwas ungeschickt folgte sie den Schritten des Elfen und war überaus erleichtert, dass er führte. Das gab ihr die Möglichkeit, gelegentlich einen Blick auf die anderen zu werfen, ob nicht vielleicht etwas Verdächtiges an ihnen war. Doch sie fand nichts, das auch nur ansatzweise bedrohlich wirkte. Konzentriert drehte sie sich unter dem Arm ihres Tanzpartners hindurch. Der Mann lächelte sie unter seiner Maske an.

„Ich habe Euch noch nie hier gesehen.“

„Wie solltet Ihr auch“, versuchte Kazary sich herauszureden, „Ich komme von weit her und schätze das ruhige Leben fernab des höfischen Zwanges.“

„Und dennoch seid Ihr hier?“, lachte er vergnügt.

„Nun… ich wurde eingeladen, und es wäre unhöflich gewesen, dieser Einladung nicht nachzukommen.“

„Da habt Ihr wohl Recht.“

Jemand unterbrach ihr Gespräch und bat darum, mit der Elfe tanzen zu dürfen. Der Mann mit den schwarzen Haaren verneigte sich und ließ Kazary los. Der Elfe fiel auf, dass ihr neuer Tanzpartner ebenso wenig an den Festlichkeiten interessiert war wie sie. Genau wie sie wirkte er konzentriert und nachdenklich. Gelegentlich wanderte sein Blick durch die Menge.

„Der König wünscht dich zu sehen, Kazary“, erkannte sie die Stimme des Hauptmanns, der leise zu ihr flüsterte, „Ich habe ihm von dir erzählt, und er schien sehr interessiert.“

Verwundert sah Kazary ihn an: „Woher wusstet Ihr, dass ich es bin?“

„Es ist das Kleid, Lavinia hat mir erzählt, dass du das Kleid trägst.“

Obwohl der Großteil seines Gesichtes von einer Maske verdeckt wurde, war ihm deutlich seine Verlegenheit anzusehen. Kazary fühlte sogar, wie seine Augen ihr Kleid fixierten, als wäre es eine Qual für ihn zu sehen, wie jemand nach so vielen Jahren dieses Gewand wieder trug. Im Grunde fühlte sie sich selbst etwas schäbig. Hätte nicht die Notwendigkeit bestanden, so hätte sie nie in Betracht gezogen, diese Stoffe anzulegen. Wäre sie an der Stelle des Hauptmanns gewesen, so wäre es ihr sicher auch unangenehm gewesen.

Unauffällig versuchten die beiden sich aus der Menge der Tanzenden zu befreien, um sich einen Weg zum Ende des Saals zu bahnen. Gemeinsam steuerten sie auf eine Erhöhung zu, die von vielen halbdurchsichtigen Stoffvorhängen verhüllt wurde. Hinter den Lagen edlen Gazestoffes waren schemenhafte Gestalten zu erkennen; eine, sitzend auf einem Sesselthron, und mehrere, wesentlich kleinere, die davor niederzuknien schienen. Ehrfürchtig traten die beiden näher.

„…also wären die Verhandlungen damit abgeschlossen. Es tut gut, noch einige Verbündete auf seiner Seite zu wissen.“

Kaum, dass sie die Gazevorhänge beiseite geschoben hatten und sich auf die Erhöhung begeben hatten, machten sich die gedrungenen Schemen, die sich als Zwerge herausstellten, durch eine Seitentür neben dem Thron davon.

Mit freundlicher Stimme begrüßte sie Meleander, während die Kazary und Daeron niederknieten.

„Dies ist die Frau, mein Herr, von der ich Euch erzählt habe“, erklärte Daeron dem König.

Dieser blickte Kazary neugierig an und bat sie schließlich, zu ihm heranzutreten. Die Elfe gehorchte und kniete neben dem majestätischen Thron aus dunklem Ebenholz und blauem Samt nieder, sodass sie auf einer Höhe mit dem Herrscher war.

Zu ihrer Verwunderung stellte Kazary fest, das Meleander die Selben grünen Augen, dasselbe flammenrote Haar wie sie hatte, und nur wenig größer war als sie selbst.

Für den Bruchteil einer Sekunde ruhte des Königs Blick auf der Elfe und musterte sie vom Scheitel bis zur Sohle. Schließlich wandte er sich wieder an Daeron, der sich inzwischen erhoben hatte und zur Linken seines Herrn getreten war.

„Die Ähnlichkeit ist wirklich verblüffend, Ihr habt nicht übertrieben, Hauptmann… es ist, als wäre sie nie gestorben. Woher kommt sie?“

„Lavinia, eine meiner besten Reiterinnen, hat sie in einem Dorf in den Hochlanden, nahe der Narbe, gefunden.“, antwortete Daeron ruhig.

Die Augen des Königs wanderten wieder zu der Elfe.

„Sag, mein Kind, was hat dich in das Menschendorf geführt? Es ist recht ungewöhnlich, dass sich in den kleinen und abgelegenen Dörfern mehr als ein Volk ansiedelt.“

„Ich weiß nicht, mein Herr, die Bewohner haben mich gefunden, als ich ohnmächtig war…“, setzte sie an, doch Daeron unterbrach sie, „Sie hat ihr Gedächtnis verloren und weiß weder, wer sie war, woher sie kam, noch wodurch sie ihre Erinnerungen verloren hat. Den Namen Kazary erhielt sie von den Menschen, bei denen sie lebt.“

„Soso… nun, vielleicht können wir dir ja helfen, meine liebe. Wenn du möchtest, kannst du jederzeit die Bibliothek der Stadt aufsuchen. Es gibt dort eine Menge Aufzeichnungen aus den Schattenkriegen. Mögen sie dir Aufschluss geben!“

„Ich danke Euch, mein Herr“, sprach Kazary mit einer tiefen Verneigung.

Sie war überaus froh, dass sie nun einen Weg gefunden hatte, sich unter Umständen wieder zu erinnern.

Auf Wunsch des Königs blieben sie und nahmen auf extra für sie herbeigebrachten Stühlen Platz. Sogleich verfielen die beiden Elfenmänner ins Gespräch. Mit leicht gedämpfter Stimme berichtete König Meleander, dass Thorwis, der Herr von Windholme, dem großen Zwergenreich in den Grauen Bergen, bereit sei, mit Dorien zu verhandeln und das Land der grünen Drachen im Kampf gegen die Dunkelelfen zu unterstützen. Der Hauptmann sah darin eine neue Hoffnung, dem Jahrhunderte langen Krieg endlich ein Ende zu setzen. Während der Schlacht auf den Aschefeldern waren sie auf sich allein gestellt gewesen. Es war ein Wunder gewesen, dass sie die grausamen Nekromanten und Assasinen von Xu hatten zurück schlagen können. Dafür hatten sie aber auch mit vielen Leben bezahlen müssen. Ein zweites Mal durften sie nicht auf so ein Glück hoffen. Die Unterstützung der Zwerge von Windholme kam ihnen da nur gelegen, auch wenn sie mehr aus eigenen Interessen, als aus Zuneigung und Freundschaft angeboten wurde. Meleander hatte soeben von einem Boten aus der Zwergenstadt erfahren, dass die Dunkelelfen ihre Siedlungen verwüsteten und ihre Mienen plünderten, um mit den Rohstoffen Waffen und Rüstungen zu fertigen, die dem Reich Dorien den endgültigen Gnadenstoß verpassen sollten.

Besorgt rutsche Daeron auf seinem Stuhl herum, während er den Worten des Königs lauschte. Seine Befürchtungen bewahrheiteten sich nun, wie sollten sie einer weiteren Angriffswelle wie der vor über dreißig Jahren erneut standhalten? Er hoffte nur, dass die Verstärkung der Zwerge ausreichen würde.

Verwundert stellte er fest, dass Kazary sie die ganze Zeit über beobachtet hatte. Ihr Blick war dem der Prinzessin so ähnlich, ihre ganze Art, ihr Schweigen, ihr Tonfall, wenn sie sprach, alles, als wäre Caileen in der Tat nie gestorben. Und sagte sie nicht, dass sie im Bunde mit dem Drachen Arsinoe sei? Arsinoe, so lautete ebenfalls der Name von Caileens Gefährtin! Aber was bildete er sich ein, der Name Arsinoe kam häufig unter den Drachen vor, und dass sie seiner Prinzessin so ähnelte mochte ebenso nur Zufall sein.

Neben ihm erhob sich König Meleander von seinem Thron und wandte sich an die junge Elfe. Mit einem freundlichen Lächeln forderte er sie zum Tanz auf.

„Herr, denkt Ihr nicht, dass es zu gefährlich sei?“, versuchte Daeron den König zurück zu halten, „Uns ist zu Ohren gekommen, dass man einen Attentat auf Euch vor hat.“

„Und deshalb soll ich mich ängstlich wie ein kleines Kind verstecken? Ihr solltet Euch schämen, Hauptmann, mich derartig belehren zu wollen!“, tadelte Meleander den Hauptmann mit beruhigender Geste.

Dagegen wollte Daeron nichts mehr einwenden und ließ die beiden mit unwohlem Gefühl gehen.

Mit der goldbronzenen Maske vor dem Gesicht unterschied sich Meleander nur geringfügig von den anderen Gästen und so schenkte ihnen auch niemand große Aufmerksamkeit, als er und Kazary sich unters Volk mischten. Behutsam legte er einen Arm an ihre Taille und fasste ihre Hand. Es missfiel ihm ein wenig, dass die Elfe ihre gesamte Aufmerksamkeit auf das Geschehen um sie herum richtete.

„Was beunruhigt dich?“, fragte er, bemüht, freundlich zu klingen.

Die Elfe schüttelte den Kopf: „Ich dachte nur, ich hätte was gesehen.“

Forschend wanderten Kazary´ s Augen noch einmal durch die Menge. Nun war der Schatten verschwunden. Ihr Misstrauen blieb dennoch bestehen. Nur mit Mühe gelang es ihr, sich wieder zu beruhigen und sich dem König zuzuwenden.

„Wieso wollt Ihr mir helfen, mein Herr? Welchen Nutzen habt davon, wenn ich mich erinnere?“

„Weil ich sehe, dass du etwas besonderes bist. Etwas an dir erinnert mich an jemanden, der mir einmal sehr nahe stand. Außerdem hat der Hauptmann Daeron nur gut von dir gesprochen, und ich vertraue seinem Urteil“, gab er lachend zur Antwort.

Kazary nickte und schwieg. Es war zwar nicht die Antwort, die sie sich erhofft hatte, aber zumindest wusste sie nun, dass der König ihr Vorhaben guthieß. Jetzt war sie nicht mehr allein in diesem Meer aus Unwissen und Vergessen, sondern hatte einige Freunde gefunden, die ihr helfen wollten.

Plötzlich überkam sie wieder das seltsame Gefühl, beobachtet zu werden. Vorsichtig wandte sie sich zu allen Seiten um. Irgendwo in den Reihen der umstehenden und tanzenden musste wieder dieser Schatten sein.

„Gebt Acht, mein Herr, der Feind ist unter uns!“, flüsterte sie leise und verengte ihre Augen zu Schlitzen. Eindringlich fixierte sie die Stelle, wo sie glaubte, den ungeladenen Gast zu sehen. Unauffällig führte sie den König etwas fort, damit er nicht verletzt werden konnte, falls der Fremde ein Attentäter war. Meleander jedoch wirkte nicht im Geringsten beunruhigt, sondern sprach: „Wäre es nicht sicherer, wenn ich mich weiterhin in der Menge aufhalte? Deine übereifrige Fürsorge würde mich nur als Herrscher verraten.“

In diesem Punkt hatte der König Recht, und so widersprach Kazary auch nicht, während sie sich wieder den Reihen der Tanzenden anschlossen.

„Gebt aber bitte Acht, Herr, denn ich fürchte, unser Feind kennt sein Ziel genau“, bat sie jedoch eindringlich im leisen Flüsterton.

Während sie versuchten, so wenig wie möglich aufzufallen, führte die Elfe Zwiegespräch mit Arsinoe: „Der Feind ist bereits unter uns, sorg dafür, dass die anderen davon erfahren und Wachen sich an allen Türen und Toren des oberen Stadtringes postieren. Sollte ein Angriff erfolgen, wird der Täter wohl den direkten Weg aus der Stadt heraus nehmen.“

„Ich werde den anderen Meldung geben!“, hörte sie die Stimme des Drachenweibchens in ihrem Kopf, ehe sie die Verbindung unterbrach und ihre Aufmerksamkeit dem Geschehen um sie herum schenkte.

Etwas stimmte hier nicht, stellte sie zu ihrer Sorge fest. Nun hatte sie bereits zum zweiten Mal den Schatten aus den Augen verloren. Ihr Blick suchte nach ihren Gefährtinnen, auch Lavinias Gesicht verriet ihr, dass ihr die Sache nicht geheuer war, Shalawyn aber war nirgends zu finden. Dann wandte sie sich zu Daeron um, der immer noch wachsam auf seinem Stuhl neben dem Thron saß. Inzwischen musste ihre Nachricht auch ihn erreicht haben.

Die Musik verklang mit einem Schlag und ein erschrockenes Raunen ging durch die Menge. Auch Kazary und Meleander hielten inne. Für einen Augenblick dachte die Elfe bereits, es sei nur die Empörung der Gäste gewesen, da die Musiker vielleicht die Melodie wechseln wollten, doch im nächsten wurde sie schon eines bessern belehrt. Eine Gestalt im schwarzen Kapuzenumhang hatte sich bis zu ihnen vorgearbeitet und ging mit bedrohlichen Schritten auf sie zu. In seiner Rechten sah sie einen geschärften Dolch aufblitzen. Mit ihrem stetig schneller schlagenden Herzen wurden auch die Schritte des schwarz gekleideten immer schneller. Dann geschah es. Die Gestalt lief auf Meleander zu und wollte ihm die Klinge in den Hals stechen. Wie aus einer Erstarrung erwacht stellte sich die Elfe vor den König und fing die erhobene Hand des Fremden ab. Panisch stolperte die Gestalt zurück und wandte sich zum fortlaufen um, aber Kazary dachte nicht daran, ihn einfach fliehen zu lassen, sondern hastete ihm mit weiten Schritten hinterher. Wegen des langen Kleides und den engen Tanzschuhen fiel es ihr schwer, mit ihm Schritt zu halten. Mit gerafften Röcken folgte sie ihm aus dem Saal hinaus auf die endlos langen Gänge des Schlosses. In der Ferne sah sie eine große Tür, durch die der Fliehende entkommen würde, wenn sie sich jetzt nicht beeilte. So gut es ging beschleunigte sie ihren Lauf. Die Tür kam immer näher und Kazary hoffte inständig, dass die Wachen die Botschaft erhalten hatten.

Endlich, als sie schon glaubte, ihre Verfolgung aufgeben zu müssen, hörte sie Stimmen vom andern Ende des Ganges. Eine von ihnen war der Elfe vertraut, es war Shalawyn, die in ihrem gebieterischen Tonfall den Befehl gab, alle Ausgänge zu sichern. Die Gestalt im Kapuzenmantel wollte sich umwenden und einen Seitenweg nehmen, doch nun war es für ihn zu spät: Mit einem weiten Satz stürzte sich Kazary auf ihn und drückte ihn zu Boden, dass er sich nicht mehr rühren konnte. Zur selben Zeit kam ihr Shalawyn mit einigen Wachen entgegen.

„In Ordnung, wir haben ihn!“, rief sie den Männern zu, welche Kazary auf halfen und den Flüchtling festhielten.

Mit finstrem Blick beobachtete die Elfe die Gestalt im schwarzen Mantel. Sie wunderte sich, dass er oder sie keine weiteren Anstalten machte, sich zu wehren oder erneut zu fliehen.

„Ich danke dir, Shalawyn“, wandte sie sich der Dunkelelfe zu, „Einen Moment länger noch, und er wäre mir entwischt.“

„Danke nicht mir, sondern den Drachen. Ich habe eine Botschaft von Tehr erhalten, dass Arsinoe von dir den Auftrag bekommen hätte, alle zu warnen. Andernfalls wären wir wohl nie gekommen.“

Herrischen Schrittes ging Shalawyn zusammen mit Kazary zu den Wachen herüber, um den Flüchtigen zu befragen. Dieser hing schlaff und mit gesenktem Haupt in dem Griff der Wachen und Murmelte etwas in einer seltsamen Sprache.

„Rede, du Sohn eines Schlammgeistes! Was wolltest du?!“

Die Gestalt antwortete nicht.

„Ich verlange, dass du antwortest!“, rief Shalawyn noch einmal, während Kazary dafür sorgte, dass man ihm den Dolch abnahm.

Wutentbrannt packte die Schwarzhaarige den Fremden und riss ihm die Kapuze vom Kopf. Darunter kam ein aschfahles Gesicht zum Vorschein. Der Kopf War ihm kahl rasiert worden und sein gesamtes Antlitz mit seltsamen schwarzen Runen bemalt worden. Aber das unheimlichste an ihm waren seine Augen. Sie waren gelb, gelb und geformt wie die einer Katze. In ihnen lag dasselbe bedrohliche Leuchten wie in Shalawyns Augen. Er musste genau wie sie Dunkelelfenblut in sich tragen.

Er lachte: „Ihr habt so gut wie verloren, euer Ende ist nah!“

„Wovon redest du?“, wollte Kazary wissen, doch der Dunkelelf sah sie und Shalawyn nur hämisch an.

„Ihr habt euer Verderben in eure eigenen Reihen gelassen, ihr Narren!“

Die Runen auf seinem Gesicht begannen aufzuglühen wie heiße Kohlen, dann erstarrte er in der Bewegung, bis er schließlich zu Staub zerfiel.

Überrascht wichen die Wachen zurück. Eine stumme Frage lag in ihren Mienen und auch Kazary war die Sache skurril. Nur Shalawyn schien wenig beeindruckt.

„So etwas hätte ich mir denken können!“, rief sie grimmig, „Ich hätte wissen müssen, dass diese Ausgeburten von Xu einen Magier auf Meleander ansetzen würden…“

„Mach dir nichts daraus. Dem König ist nichts geschehen, das ist die Hauptsache“, entgegnete Kazary.

Doch Shalawyn schüttelte den Kopf: „Du verstehst das nicht. Dunkelelfenmagier sind weitaus gerissener, als sie manchmal aussehen mögen. Sie umgeben sich mit einem Zauber, der sie tötet, sobald sie Gefahr laufen, dass man sie überwältigt. Doch nicht nur das; ehe sie aus der Welt scheiden, fährt ihr Geist in einen andern Körper und ergreift Besitz von diesem. So bleibt das Wissen, das sie in ihren blutigen Aufträgen gesammelt haben immer erhalten.“

„Du musst es ja wissen“, erwiderte Kazary, der es immer noch nicht geheuer war, dass eine Frau, die zur Hälfte Dunkelelfe war, sich ihnen anschloss.

Schritte hallten durch die Gänge und unterbrachen die Worte der beiden Frauen. Aus jener Richtung, in welcher der Festsaal lag, kam ihnen eine Gruppe Krieger entgegengelaufen, geführt von Lavinia und dem Hauptmann. Als sie die anderen erreicht hatten, wandte sich Lavinia besorgt ihren beiden Freundinnen zu, während Daeron eher damit beschäftigt war, herauszufinden, wie der Dunkelelf hatte eindringen können.

Letztlich gab er den Befehl, die Wachen im Schloss zu verdoppeln und niemanden ohne Kontrolle in die Nähe des Throns zu lassen und dafür zu sorgen, dass die Festlichkeiten weiter gehen konnten. Seiner Meinung war es das Beste, wenn die Anwesenden glaubten, dass alles unter Kontrolle sei.



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