Gedanken, Gefühle und ein Geheimnis
Jonouchi und Yuugi waren in einem heiteren Gespräch vertieft, lachten und scherzten den ganzen Abend lang. Anzu jedoch konnte darüber nicht lachen. Das einzige, das ihr momentan durch den Kopf ging war Yuugi! Damals, als sie klein waren, hatte sie sich gesagt, dass sie sich nie in ihren besten Freund verlieben würde, aber es sah so aus, als wäre eben genau das eingetreten. Zumindest glaubte sie, dass sie Gefühle für ihn entwickelt hatte. Oft dachte sie an den Pharao. Er suchte sie sogar in ihren Träumen heim und sie war nicht in der Lage ihn zu vergessen. Er war der erste Mann, den sie wirklich geliebt hatte. Für ihn hätte sie alles getan. Warum nur hatte sie nie den Mut gefasst ihm zu sagen, was sie für ihn empfand? Wahrscheinlich, weil sie in dieser Hinsicht ein ängstliches Mädchen war. Nicht anders als andere Mädchen. Sie war zwar selbstbewusst und sagte immer ihre Meinung, aber es gab auch Momente, in denen sie schwach war. Und die Liebe gehörte leider dazu. Auch wenn sie versuchte Gedanken wie diese zu verdrängen, so konnte sie nicht verhindern, dass sie immer wieder darüber grübelte. Yuugi und der Pharao hatten sich einige Jahre den Körper geteilt. Anfangs hatte sie gedacht, dass die beiden ein und dieselbe Person waren und hatte geglaubt, Yuugi zu lieben. Als es sich herausstellte, dass ein Geist in dem Milleniumspuzzle eingeschlossen war, wusste sie, dass ihre Gefühle nicht Yuugi galten. Aber dennoch waren die beiden sich so ähnlich. Und ihr langjähriger Kindheitsfreund wurde auch langsam erwachsen und nahm immer mehr Züge des Pharaos an.
Verträumt sah sie zu den beiden, ihr Blick und ihre Gedanken galten einzig und allein Yuugi. >Yuugi...< dachte sie traurig, schon schwer geknickt. Die beiden bemerkten sie aber nicht, ja, sie fühlte sich etwas ausgeschlossen. Aber sie wollte auch nicht auf sich aufmerksam machen. Immer noch hing sie ihren Gedanken hinterher. Überlegte was in der Vergangenheit geschehen war und wann sie angefangen hatte Yuugi auf diese Weise zu sehen. Eigentlich war er für einen Jungen sehr unattraktiv und es gab nichts, das ein Mädchen wie sie, an ihm anziehend finden konnte. Aber er war eben unheimlich lieb und verständnisvoll. Vielleicht sehnte sie sich einfach nach Zuneigung? Nach jemanden, der sie verstand, ohne sie großartig auszufragen. Aber auch wünschte sie sich Aufregung und Spannung in ihrem Leben. Das war es auch was sie von ihrem Traumberuf Tänzerin erhoffte. Abwechslung, Bewegung und Bewunderung. Menschenmassen, die sie bejubelten. Bildlich stellte sie sich vor wie sie auf der großen Bühne stand, wie die Menschen applaudierten und wie sie sich Tränen der Freude aus den Augenwinkeln wischte. Das war das Leben, das sie erträumte. Ruhm gehörte da nun mal dazu. Das Tanzen machte sie immer etwas euphorisch und oft hatte sie Yuugi und den anderen von ihren Tanzstunden erzählt. Sie seufzte und sank den Kopf. Bisher schienen ihre Freunde nicht sehr an ihrer Karriere interessiert. Yuugi hatte sich nicht mal getraut sie zur Tanzstunde zu begleiten, er hatte es vorgezogen mit Jonouchi eine Pizza essen zu gehen.
Vorsichtig und auch zärtlich berührte Yuugi Jonouchis Hand, es war schon beinahe ein seichtes Streicheln, aber dies entging Anzu, viel zu sehr war sie in ihre Gedanken vertieft. Jonouchi grinste Yuugi nur an, sah dann zu Anzu und erkundigte sich nach ihr. Es machte ihm Sorgen, dass sie so bedrückt und wortlos den Boden anstarrte. Vielleicht ging es ihr ja schlecht? Eventuell hatte sie Kopf- oder Bauchschmerzen? „Hey Anzu, was ist los?“ Er musterte sie, schon ihre Haltung war ungewohnt. Sie wirkte geknickt und niedergeschlagen und wenn sie tatsächlich körperliche Beschwerden hatte, wäre es das beste sie zurück in die Stadt zu fahren. Ein Arzt konnte sicherlich helfen. Aber er wusste nun einmal nicht, was sie so bedrückte. Da sie nicht richtig reagierte und ihn nur perplex ansah, hakte er weiter nach, in der Hoffnung eine Antwort zu erhalten. „Du guckst so komisch, lach doch mal! Ich meine wir haben Ferien, genießen wir die Zeit, die wir zusammen verbringen können!“ lachte er sie dann an, wollte sie etwas aufheitern.
Anzu war geistig nicht ganz anwesend und bemerkte erst jetzt, dass Jonouchi mit ihr gesprochen hatte. Kurz zuckte sie zusammen, schüttelte dann den Kopf und musterte ihn. Irritiert sah sie ihn an, überlegte was sie antworten sollte, um nicht zu viel zu verraten. Yuugi war ihr Freund und es wäre am besten, wenn sie mit ihm unter vier Augen darüber sprach. „Es ist nichts, mach dir keine Sorgen.“ Murmelnd fügte sie noch etwas bei, das keiner von den beiden verstanden hatte.. „Ich muss mit ihm reden...“ hatte sie gesagt, leise, unverständlich, allein für sie selbst bestimmt. Yuugi spürte, dass etwas nicht stimmte und kam auf sie zu, sah ihr tief in die Augen, sie errötete leicht.
„Wir sind Freunde, richtig? Wenn etwas ist kannst du es mir ruhig sagen! Du kannst mir vertrauen, wir gehen durch dick und dünn! Okay?“ mit fragenden Blick sah er sie an.
„Yeah, genau. Wir stehen alles gemeinsam durch!“ meinte Jonouchi und grinste wie gewohnt.
Wieder winkte sie ab, zwang sich dazu zu lächeln und sagte dann: „Es ist wirklich nichts...
macht euch keine Sorgen um mich! Ich bin nur etwas müde, nichts weiter.“
„Gut... dann ist ja in Ordnung.“ erwiderte Yuugi, sah sie noch einmal musternd an. So ganz konnte er ihr nicht glauben, irgendetwas versuchte sie zu verheimlichen.
„Wenn du müde bist, solltest du dich lieber hinlegen! Ich werde gleich noch ein bisschen rausgehen...“ mit diesen Worten drehte er sich von Anzu weg, drehte den Kopf zu Jonouchi. Den letzten Satz hatte er geflüstert, doch Jonouchi hörte ihn, nickte dazu und lächelte wieder. „Leg dich lieber hin!“ kurz war er weg und kam mit einer Decke wieder, die er nach Anzu warf, sie schrie erschrocken auf, zog die Decke etwas runter und sah die beiden an. „Ich ruhe mich etwas aus...“ sagte sie dann, für wahr, sie wäre jetzt gerne alleine. Sie musste nachdenken, sich sammeln, sich Worte zu Recht legen, falls sie es Yuugi denn sagen würde, aber das war ungewiss. Würde sie, wenn es soweit war, den Mut aufbringen und ihm ihre Bedenken und Sorgen mitteilen können? Unsicher kaute sie auf ihrer Unterlippe herum. Panik machte sich in ihr breit. So nervös zu sein war ungewohnt für sie. Als die beiden raus waren, legte sie die Decke zur Seite, erhob sich und stand etwas verträumt in der Gegend herum, starrte die geschlossene Wohnwagentür an. „Nichts ist in Ordnung... wann bemerkst du endlich meine Gefühle?“ sie war wütend, konnte aber nicht erklären warum.
Grob packte der Blonde Yuugi am Arm, zog ihn mit sich, dieser quiekte erst erschrocken auf.
„Gut, dann lassen wir dich jetzt etwas allein!“ kam es von ihm, Yuugi schaffte es nicht mehr noch etwas zu sagen. Zu hektisch zog Jonouchi ihn aus den Wohnwagen, ungeachtet seiner Abwehr. Es war ohnehin nicht so, dass Yuugi Kräfte mäßig auch nur ansatzweise eine Chance gegen den Großgewachsenen hatte. Seit der Pharao gegangen war, war dieser sogar noch ein Stückchen mehr gewachsen. Ein klein wenig beneidete er seinen Freund. Er war kaum merklich gewachsen und sah beinahe genauso aus wie früher. Nachdem sie den Wohnwagen verlassen hatten, riss Yuugi sich dennoch mit größter Mühe los. Beleidigt rieb er sein Handgelenk und verengte seine Augen zu Schlitzen, meckerte dann seinen Kumpel an. Er sollte sich wirklich Mal so etwas Rücksicht angewöhnen! Schon damals war er so grob und das nicht nur von seinen Bewegungen, sondern auch von seinem Verhalten. Zwar konnte er auch zärtlich und ruhig sein, doch meist war er hastig und handelte oft unüberlegt. Die Folgen sprachen für sich. Auf einmal lächelte der Blonde und rieb sich verlegen den Hinterkopf. Es war keiner draußen, zumindest konnte er niemanden entdecken. Auf einmal lockerte die Atmosphäre zwischen den beiden auf. Vergeben und vergessen war alles von vorhin.
„Los, lass uns etwas spazieren gehen! Hier in der Nähe ist ein kleiner See...“
„Oh ja! Und der Himmel ist so klar, das wird bestimmt total schön...“ säuselte Yuugi verliebt und fasste vorsichtig nach Jonouchis Hand, doch dieser schüttelte ihn ab. Stur ging er geradeaus, so als würde er anweisen wollen, ihm schnell zu folgen.
Rebecca saß ungeachtet von den anderen am Lagerfeuer. Mit einem Ast piekste sie in das Feuer, dieser verkohlte langsam und wurde immer schwärzer. Als dieser immer brüchiger und kleiner wurde, warf sie ihn letztendlich hinein. Erst jetzt hob sie den Kopf und sah Yuugi, der tiefer in den Wald hinein zugehen schien. Das war ihre Chance! Eventuell konnte sie ihm sogar heute ihren ersten Kuss rauben? Bei den Gedanken errötete sie etwas. Sie durfte Yuugi nicht all zu sehr überfordern, bisher hatte er nie gezeigt, dass er ihre Gefühle erwiderte. Also musste sie die Sache langsam angehen. Er war ja ein schüchterner Kerl und vielleicht konnte sie die ersehnten Worte aus ihm heraus kitzeln, wenn sie nur geduldig war? Sie rief ihn. Er reagierte nicht und ging seelenruhig weiter. Hatte er sie nicht gehört? Leicht zornig trottete sie in dieselbe Richtung. Sie musste nachdenken. Sie wollte es nicht zu schnell angehen, ansonsten versaute sie es am Ende noch. Und das wollte sie nicht riskieren. Yuugi war ein ruhiger Mensch und sie wollte nicht, dass er aus Mitgefühl mit ihr zusammen kam. Natürlich wäre sie ihm gerne nahe, aber nur wenn er es auch wollte! Immerhin war dieser Duellant der erste, der sie behandelte wie eine Freundin, wie eine Gleichgestellte. Von den meisten anderen wurde sie unterschätzt. Sie war hochbegabt und war es Leid wie ein kleines Kind behandelt zu werden. Um es genau zu sagen, hatte sie weitaus mehr auf dem Kasten als der Großteil ihrer gleichaltrigen Kollegen. Aber sie hielt sich nicht für überlegen, so ein Urteil würde sie niemals fällen.
Anzu überlegte, sie konnte es nicht mehr ertragen. Yuugi. Atemu. Ihr gingen so viele Dinge durch den Kopf! All die Ereignisse aus der Vergangenheit hatten sich so sehr in ihr Herz gebrannt. Verzweiflung machte sich in ihr breit. Immer wieder sah sie Szenen von damals, in denen sich auf einmal Yuugis Anblick verfestigte. Wer war wer? Wen liebte sie wirklich? Sie hatte doch niemals Interesse an Yuugi gehabt, warum also fing sie an die beiden immer wieder zu vergleichen und beinahe zwanghaft nach Ähnlichkeiten zu suchen? Nein. Das wollte sie nicht mehr. Sie musste sich ihren Gefühlen Yuugi und dem Pharao gegenüber im Klaren werden. Ohnehin konnte sie nicht mehr schlafen. Diese Gedanken schleppte sie schon viel zu lange mit sich herum. >Nein, ich kann nicht noch länger warten! Ich muss es ihm sagen!< die Gedanken in ihren Kopf überschlugen sich und sie verließ schnellen Schrittes den Wohnwagen. Wahrscheinlich war er zum See gegangen, um etwas Zeit für sich alleine zu haben. Das wäre die perfekte Gelegenheit mit ihm zu reden. Den Kopf hebend, blickte sie in den Himmel. Eine sternenklare Nacht. Erneut dachte sie über den Pharao nach. Dann an Yuugi. Überzeugt schüttelte sie den Kopf und ging bewusst ihrem Ziel entgegen. Sie wollte es beenden. Sie musste es beenden, ansonsten würde sie nie wieder richtig schlafen können. Plötzlich ging sie wieder langsamer, was sollte sie ihm denn sagen? Besser sie legte sich erst ein paar Worte zusammen, immerhin wollte sie sich nicht blamieren und hinterher stotternd vor ihm stehen, das wäre ihr peinlich. Außerdem war es ihr auch so schon unangenehm ihm ihre schwache Seite zeigen zu müssen.
Ein leises Kichern war zu vernehmen. „Wow!“ Yuugi wusste nicht wie er seine Begeisterung in Worte fassen sollte. Dieser Ort war wunderschön und der Mond spiegelte sich im klaren Wasser wider, nur ab und zu bildeten sich einige Wellen, durch kleine Tiere, die übers Wasser liefen. Ein ruhiger Ort und es schien so, als hätten sie endlich Zeit für sich. Nach all der Zeit, die sie zusammen verbracht hatten, hatte Yuugi Gefühle für den Blonden entwickelt. Erst war er sich nicht sicher, ob er seinen Gefühlen Glauben schenken konnte, aber als er dieses hiesige Verlangen in sich spürte, ihn zu berühren und ihn zu küssen, wusste er, dass sie mehr als nur einfache Freundschaft verband. Und wenn er es recht überlegte, war er nie der Typ gewesen, der gut mit Frauen umgehen konnte. Vielleicht weil er selbst so schüchtern und ja, man konnte es so beschreiben, beinahe devot gegenüber anderen war. Er ordnete sich selbst etwas unter und hatte nicht den Mut den ersten Schritt zu gehen. Das war schon immer so gewesen. Es fiel ihm schwer offen zu sagen, was er dachte, da er nur ungern jemanden verletzen wollte. Nicht ohne Grund wurde er Jahrelang von seinen Klassenkameraden übergangen und gedemütigt. Er war eben sehr ruhig und öffnete sich nur dann, wenn er es für nötig hielt. Daher hatte er auch Rebecca bisher nicht gesagt, dass er keine Gefühle für sie hatte. Ihm war klar, dass die Blonde ihn liebte, aber genau aus dem Grund fiel es ihm so unsagbar schwer sie abzulehnen. Vermutlich wäre sie sehr enttäuscht. Und was würde aus ihrer Freundschaft werden? Er wollte nie wieder jemanden verlieren. Den Verlust des Pharaos hatte er bis heute nicht wirklich überwunden. Der Pharao war viel mehr für ihn als ein einfacher Freund gewesen. Ein Leben ohne ihn fühlte sich gänzlich anders an.
„Wie wäre es mit nackt baden?“ grinste der Blonde ihn dann an, erst ein kurzes Schweigen. Das Gesicht des Kleineren hatte eine unnatürliche Röte angenommen, obwohl Jonouchi die Farbe durch das fahle Licht nicht ganz erkennen konnte, wusste er dass er rot geworden war. Leicht verschämt blickte Yuugi zum Boden, suchte dann die Umgebung mit Blicken ab. Es war niemand hier. Sie waren weit gelaufen und die anderen waren vermutlich noch beim Wohnwagen. Also warum sollte er nicht mal aus sich herausbrechen und sich dem Blonden von einer anderen Seite zeigen? Ruckartig drehte er sich zu seinem Gegenüber, legte seine Hände auf dessen Brust. „Hm... wer weiß?“ flüsterte er und streckte seinen Kopf etwas in die Höhe, sah ihm tief in die Augen. Zögerlich legte Jonouchi seine Hände auf die Hüfte des Kleineren, strich sanft über diese, drückte ihn dann ohne Vorwarnung näher an sich heran. Den Kopf senkend, legte er seine Lippen auf die von Yuugi. Erst nur federleicht, dann verstärkte er den Druck. Yuugis Hände, die bis eben auf seiner Brust geruht hatten, bahnten sich nun ihren Weg zu seinem Nacken. Er drückte ihn sanft, legte seine Arme um ihn und wollte mehr von diesem Jungen haben. Den Jungen, den er einst gehasst und dann gemocht hatte. Den er heute liebte. Mehr als alles andere. Mit dem er so viele Abenteuer erlebt hatte, die sie näher einander brachten als sie es je für möglich gehalten hatten. Der Einzige, der ihn immer so annahm wie er war. Ungeachtet dessen, was er tat oder was er sagte.
Gerade als er den Kuss vertiefen wollte und seine Zunge in die Mundhöhle des Kleineren wandern lassen wollte, vernahm er ein abnormes Knacken. Sofort fuhr er zusammen und hob den Kopf. Beleidigt sah Yuugi ihn an, wollte etwas sagen. Dann folgte er dem Blick seines Freundes. Sie waren nicht mehr alleine. Jemand war ihnen gefolgt und hatte ihr wohlbehütetes Geheimnis gelüftet. „Anzu...“ wisperte er nur und er fühlte sich immer unwohler in seiner Haut.
Bearbeitet am: 20.03.2011