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Regina

von

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Darf ich vorstellen...

Ihre Namen sind Diego Cernuda und Regina Sommer, er ein Nachkomme spanischerer Einwanderer in der dritten Generation, sie eine Deutsche aus dem Ruhrgebiet. Seit fast fünfzehn Jahren schon sind sie beste Freunde, haben zusammen das Gymnasium in Gelsenkirchen besucht und leben nun gemeinsam in einer recht ansehnlichen Wohnung in Köln, wo sie studieren: Diego im dritten Semester Maschinenbau und Regina Geographie und Deutsch auf Lehramt an Gymnasien, ebenfalls im dritten Semester.

Um hier gleich jeglicher Spekulation vorzubeugen: Dies ist keine Liebesgeschichte und wird auch nie eine sein. Manche Freundschaften sind zu gut um sie durch Liebe zu komplizieren.
 

Diego wachte auf, als er ein gedämpftes Schluchzen aus dem Nebenraum hörte. Sie weinte, wieder einmal. Müde stand er auf und schleppte sich zu ihr hinüber. Auf dem Nachttisch neben ihrem Bett stand ein großes Glas mit den eingetrockneten weißlichen Resten einer ehemals schaumig geschlagenen Flüssigkeit an der Innenseite: warme Milch, gut. Das war ungefährlich. Schlimmer wurde es, wenn sie sich den Wein aufwärmte.

„Gina? Was ist?“

Sie hatte das Gesicht im Kissen vergraben und erst schien es, als wolle sie ihm nicht antworten. Dann aber hob sie den Kopf. „Es ist alles so sinnlos.“

„Oh, Gina, komm schon.“ Er wusste genau, was er in solchen Situationen sagen musste. „Werd deutlicher! Wenn du nur mit Floskeln um dich wirfst, kann ich dir nicht helfen.“

Sie schluchzte noch immer, aber wenigstens hatte sie sich jetzt aufgesetzt, die Arme um die Knie geschlungen, und redete mit ihm. „Ich schaffe das nie, Diego. Ich habe schon mein Abitur nur mit Mühe bestanden und jetzt läuft mein Studium so kläglich. Warum tun wir das überhaupt?“

„Was, warum wir studieren?“

„Nein! Warum hetzen die Menschen sich ab und wollen immer nur Erfolg vorweisen können? Was hat das für einen Sinn? Wir können nichts von dem, was wir auf dieser Welt erreicht haben, mit ins Grab nehmen, oder? Kann man denn da nicht einfach nur für sein Vergnügen leben? Wäre das nicht viel schöner? Ich will nur einmal nicht rennen müssen, damit ich es zu meinen Vorlesungen schaffe! Ich kann nicht mehr!“ Sie steigerte sich immer mehr in das Gesagte hinein. „Meine Eltern haben mir nur ständig gesagt, ich soll mich nicht gehen lassen, ich soll mich zusammennehmen, ich soll stark sein, aber ich will das nicht! Ich bin nicht stark. Ich brauche einfach von Zeit zu Zeit jemanden, der mich einfach festhält und mir sagt, dass Alles gut wird. Ich schaffe es einfach nicht mehr allein…“ Völlig fertig sackte sie zusammen und presste verzweifelt die Hände auf den Mund, als wolle sie die beängstigenden und in ihren Augen jämmerlichen Worte unausgesprochen machen. Aber das war nun nicht mehr möglich.

Diego nickte langsam. Das überraschte ihn nicht. In den letzten Wochen war sie immer stiller geworden. Er hatte spüren können, dass etwas ihr keine Ruhe ließ. Aber dass es so weit gediehen war, hatte er nicht geahnt. Einige Augenblicke sah er auf sie hinunter, dann hatte er eine Entscheidung getroffen. Sie war ihm nicht schwer gefallen. „Komm, steh auf! Wir fahren in den Urlaub.“

„Bitte?“

„Wir fahren in den Urlaub – an die Ostsee. Ich ordere im Internet ein Hotelzimmer und fahre tanken. Du packst die Koffer. Vergiss nicht, warme Jacken mitzunehmen.“

„Aber wir können doch nicht so einfach gehen! Was ist mit der Uni?“

„Wir haben schließlich Ferien, Regina! Und lernen kannst du auch noch später.“ Er ging wieder in sein eigenes Zimmer um sich an den Computer zu setzen. Sie folgte ihm.

„Und was ist mit dem Geld?“

„Was soll damit sein?“

„Wir haben keines, das ist damit!“

„Natürlich haben wir welches. Du willst es nur nicht ausgeben. Du hast gerade davon gesprochen, wie sehr du dir wünschst, einmal etwas für dich selbst zu tun. Bitte schön! Tu es und geh packen, ja?“
 

Sie fuhren nach Binz, in ein kleines, aber gemütliches Strandhotel.

Jeden Tag unternahmen sie etwas, das sie von ihren doch recht trüben Gedanken abbrachte. Jeden Abend gingen sie am Strand spazieren und sprachen darüber, was sie bewegte und beschäftigte, über Wichtiges und über solche Dinge, die auf den ersten Blick unwichtig schienen. Und jede Nacht hielt er sie fest im Arm und sagte ihr immer wieder, dass alles gut werden würde. Am letzten Tag schlief sie ohne Tränen ein.
 

Fünfundzwanzig Jahre später starb Diego bei einem Autounfall und ließ eine wundervolle Ehefrau und zwei erwachsene Kinder zurück. Auf seiner Beerdigung erzählte seine einst beste Freundin, Regina Butler, geborene Sommer, wohnhaft in New Haven, Connecticut, verheiratet mit Professor Butler der Yale University, eine Geschichte, die sich viele Jahre zuvor zugetragen hatte und die davon handelte, wie sie ihren Lebenswillen wieder gefunden hatte… damals, auf einer berühmten Insel in der Ostsee, vor mehr als zwanzig Jahren.

Die Gäste lächelten und nickten, weil es das war, was man von ihnen erwartete. Aber keiner verstand. Keiner begriff.

Regina stieg vom Rednerpodest und ihr geliebter Ehemann legte ihr eine Hand auf die Schulter. „I’m so proud of you, darling! You know you have to be strong now to honour your friend.”

Sie starrte ihn nur an. Dann sah sie hinunter auf den weißen Sarg, in dem der einzige Mensch für immer eingeschlossen war, der sie jetzt verstanden hätte. Wie panisch floh sie aus dem teuer gemieteten Saal, hinaus in den Garten.
 

...you have to be strong...
 

Und sie weinte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Dark777
2008-03-01T13:13:00+00:00 01.03.2008 14:13
Hm, noch keine Kommentare? Dann mach ich mal den Anfang. Äußerst beklemmende Vorstellung, dass selbst ihr Ehemann sie nicht wirklich versteht. Der Einzige der das konnte, war ihr verstorbener bester Freund...Hm, regt zum Nachdenken an, aber ich glaube dies möchtest du wohl auch erreichen. Sehr schön, hat mir mal wieder gefallen ^-^.


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