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Tell me the best way I could kill you & Back to reality

~ Yu Kanda x Tyki Mikk~
von

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~1~

Lange und durchaus etwas schweigsam gingen die Beiden nebeneinander. Suchende Blicke in alle Richtungen waren eine akzeptable Entschuldigung für die Stille und beileibe dauerte es nicht lange, bis sie die beiden Exorzisten fanden und mit den Befehlen vertraut machten. Es ging schnell… sofortiges Einverständnis und ebenso einfach war es, sieben der Finder abzuziehen und mitzuschicken.

So war zumindest die Sicherheit eines Menschen garantiert und bald standen sie voreinander. Abermals in ein Gespräch vertieft, blieben die beiden Exorzisten unter sich, umgeben von den Findern, genossen sie den Schatten eines Baumes und Allen seufzte annähernd lautlos, hielt kurz nach Timcanpy Ausschau und erkannte dasselbe aufbauende Lächeln auf Lavis Lippen, als er den Golem fand.

„Wir sehen uns bald wieder.“

„Ja.“ Das Gesicht gesenkt, rückte Allen an dem Kragen der Uniform und blähte die Wangen auf, wurde unterdessen aufmerksam im Auge behalten. Es war kein Geheimnis, woran der Junge dachte, zu offensichtlich, was in ihm vorging und bevor er sich in alle die Sorgen vertiefen konnte, traf ihn ein kameradschaftlicher Schlag auf der Schulter, ließ ihn inne halten und aufblicken.

„In spätestens drei Tagen nerve ich dich wieder.“ Lavis Grinsen vertiefte sich, kurz regten sich seine Finger auf der Schulter des Jüngeren. „Und in spätestens drei Tagen wirst du auch wieder Yu’s sonnige Miene genießen können.“

„Oh.“ Ein unsicheres Grinsen zog an Allens Lippen, doch letztendlich war dieses Versprechen wirklich verlockend. „In Ordnung… was freue ich mich drauf.“

„Kannst du ruhig.“ Somit rüttelte Lavi kurz an ihm, löste die Hand von seiner Schulter und schob ihn gleichsam von sich und in die Richtung, in die ihr Weg sie führte. „Jetzt beeil dich. Euer Zug kommt bald.“

Somit setzte sich die Gruppe in Bewegung, machte sich auf den Weg und wurde eine lange Zeit beobachtet. Lavi war stehen geblieben. Die Arme vor dem Bauch verschränkt, rollte er einen Stein unter der Sohle, bearbeitete die Lippen mit den Zähnen und wartete dort, bis die Gruppe hinter den wenigen Bäumen verschwand, die die Stadt von einer trockenen Einöde trennte. Durch diese Steppe würde sich der Zug schlängeln, die Haltestelle war nicht sehr weit entfernt und Lavi war zuversichtlich, als er sich abwandte, die Pupille zu Boden senkte und dem Stadtrand den Rücken kehrte.

Stets um sich blickend, machte er sich so auf einen ziellosen Weg. Durch Gassen und all die Menschen, die sich auf den Plätzen tummelten. Doch auf die Umgebung der Gruppen achtete er weniger, eher noch suchte er verlassene Orte auf. Orte, bei denen die völlige Zerstörung vorherrschend war, bei denen es nichts mehr zu tun, nichts mehr zu retten galt. Zerstörte Fundamente und vergangene Brände, die die Häuser bis auf die Grundmauern zerfressen hatten… sie waren seine Gefährten und einige Zeit stieg er durch zertrümmertes Gestein, tastete sich an porösen Mauern vorbei und blickte aufmerksam um sich.

Er suchte und wurde fündig. Seine Fingerkuppen glitten an einer rauen Fassade entlang, einen letzten Schritt tat er um eine Ecke und blieb stehen. Zielstrebig richteten sich seine Augen auf einen Punkt und er verharrte reglos, die Hand noch immer erhoben, die Andere reglos gesenkt. Für einige Momente musterte er schweigsam und seine Lippen pressten sich aufeinander, als er sich einmal mehr der Tatsache bewusst wurde, dass er… ja, dass er einen solchen Anblick nicht mochte.

An einem Fleck, an welchem er sich sicher vor etwaiger Aufmerksamkeit zu fühlen schien, hatte sich Kanda auf dem Boden niedergelassen. Er kauerte dort und nicht weit entfernt an einer Mauer. Die Beine zu sich gezogen, die Ellbogen auf die Knie und das Gesicht auf die Arme gebettet, schien er zu schlafen und doch nicht von der geringsten Last befreit. Reglos schlängelte sich das lange Haar über den Arm… nur nachlässig war es erneut zum Zopf gebunden worden. Die Hände, kraftlos gesenkt, wiesen noch immer Spuren des fremden Blutes auf. Kanda schien nicht viel Wert darauf gelegt zu haben, sich achtsam zu säubern. Der zerschlissene Stoff der Uniform war von einer dünnen Staubschicht bedeckt, nicht weniger die Klinge Mugens, welches neben ihm am Gestein lehnte. Es hatte seine Aufgabe getan.

Er musste sich zurückgezogen haben, sobald sie in die Stadt zurückgekehrt waren. Lavi hatte ihn einfach aus den Augen verloren und doch war es ihm kein Mysterium gewesen, wohin er gegangen war. Fort von etwaigem Trubel, weit entfernt von den lauten Stimmen der Finder und all dem, was ihn mit der Realität konfrontierte und mit allem, was sich in dieser abgespielt hatte.

Und doch… musste es nun weitergehen. Für ihn, für sie beide und Lavi löste die Hand vom Gestein der Fassade, verschränkte die Arme vor dem Bauch und starrte zu Boden.

Man hatte ihnen also Zeit gegeben und ein letztes Mal sinnierte er darüber, wie sich diese am besten nutzen ließ. Auf welche Art und Weise man sie wertvoll machen konnte. Wertvoll und nützlich für diesen jungen Mann, dessen Haltung mehr als symbolisch war, mehr als offensichtlich verräterisch und so anders, als die Gewohnte, mit der er einem stets begegnete. Wie sah die Erschöpfung aus, wenn nicht so?

Zu Boden gegangen, in sich zusammengesunken und müde…

Es gab wohl nur eines, was nun wichtig war und nach einem tiefen Durchatmen setzte sich Lavi in Bewegung. Das Gestein knirschte unter seinen Stiefeln und er legte keinen Wert darauf, sich unauffällig zu nähern, verriet sich früh und erblickte dennoch keine Reaktion. Er schien wirklich zu schlafen und wie ernüchternd war allein das Faktum, dass seine Sinne und seine vorsichtige Aufmerksamkeit ihn nicht sofort in die Höhe fahren ließen.

Wie gepeinigt konnte ein Körper sein, dass selbst die Instinkte erstarben?

Vor der Gestalt kam Lavi zum Stehen, betrachtete sich die Schultern, die sich unter tiefen Atemzügen hoben und senkten und ließ die Arme sinken. Er hatte einen Entschluss gefasst, einen Plan ausgearbeitet, der keine Ausweichmöglichkeiten bot.

„Yu?“ Ruhig sprach er ihn an, hob die Augenbraue und rümpfte die Nase, als sich der Angesprochene noch immer nicht regte. Annähernd erschütternd und er stieß ein leises Seufzen aus, als er in die Knie ging, vor ihm hockte. „Yu, wach auf.“

Und endlich schien man ihn zu bemerken. Kanda begann sich zu regen. Seine Finger spreizten sich, das Gesicht wendete sich zur anderen Seite und er benötigte einige Momente, um die Benommenheit des Schlafes von sich zu streifen. Schweigsam verfolgte Lavi, wie er sich etwas aufrichtete, sich die Augen rieb und in derselben Bewegung noch eine störende Strähne zurückstreifte. Irgendwann blickte er dann auch auf, starrte mit trüben Augen an Lavi vorbei und kratzte sich innig im Hals.

Verriet ihm nicht das Bewusstsein, dass Lavi ihn abermals in einer solchen Lage vorgefunden hatte?

Und rügte ihn sein Stolz nicht der offensichtlichen Schwäche?

Keine Rechtfertigung, keine Ablenkung… nicht einmal der Hauch einer Aggression; in allen Facetten schien er ein Anderer zu sein und Lavi machte die Stille nicht überstürzt zunichte, blieb dort kauern, stemmte die Ellbogen auf die Oberschenkel und betrachtete sich das Gesicht, das durch den Schlaf nicht den geringsten Teil seiner gesunden Farbe zurückerlangt hatte. So fahl war es lange nicht mehr gewesen und es fiel Lavi schwer, zielstrebig zu bleiben, sich nicht mitreißen lassen von diesem Anblick, der bestenfalls einen Alptraum kleidete. Es ging ihm leichter von der Hand, indem er den Blick abwandte. Also schaute er zur Seite und hinüber zu einem Berg aus Schutt und Asche.

„Wir sollten aufbrechen“, murmelte er nebenbei. „Die Station ist nicht weit entfernt und der Zug dürfte nicht mehr lange auf sich warten lassen.“

Und Kanda begann sich zu regen. Unter einem annähernd gleichgültigen Nicken löste er die Arme von den Knien, stemmte die Hände träge hinab zu Boden und machte sich daran, auf die Beine zu kommen. Lavi war bereits aufgestanden mit jeder schwerfälligen Bewegung, die er sah, wuchs seine Sicherheit, sich für das Richtige entschieden zu haben. Von der Wendigkeit des Schwertkämpfers schien kaum etwas zurückgeblieben zu sein, als er sich erhob, sich an dem Mauerwerk hinauf tastete und träge zum Stehen kam.

Kein Widerwort, nicht einmal eine Frage…?

Selbst die Lust Gebrauch von seiner Stimme zu machen, hatte sich davongestohlen und es kam recht gelegen in einem Moment, in welchem Lavi so oder so nicht mit sich hätte diskutieren lassen. Zufrieden und doch aufmerksam trat er zur Seite, ließ Kanda in aller Ruhe nach Mugen greifen und wandte sich ab. Wenige Kräfte schienen doch zurückgekehrt zu sein, wie er feststellte, als er sich in Bewegung setzte und man ihm wortlos folgte. Die Schritte seines Gefährten wirkten halbwegs sicher, wenn auch schleppend… er schien sich problemlos auf den Beinen halten zu können und Lavi vermied es bedacht, zu oft zu ihm zu blicken, ihn zu mustern, zu kontrollieren. Die Schweigsamkeit fand gegenüber einer zynischen Bemerkung seine Bevorzugung. Es war der falsche Moment, um ungewollt zu provozieren und so ging er neben ihm, als hätte sich nichts zugetragen. Die Augen auf den Weg gerichtet, bahnte er sich seinen Weg durch die Finder und die Stadt. Das Gebirge lag auf der anderen Seite der Mauern und zumindest auf dem Rückweg sollte ihnen das Glück zuteil werden, ohne unnötige Anstrengungen zu reisen. Kein Zeitdruck… nichts, das es ihnen erschwerte und bald gab es nur noch ihre Schritte auf dem steinigen Weg, der sie durch eine Einöde zur Bahnstation führte. Und der Schatten, der behäbig vor ihnen lag.

Starr verfolgte Kanda, wie sich das Gestein unter ihm verfinsterte. Auch an einem verdorrten Strauch blieb er hängen und seine Lippen versiegelt. Das Mugen schwankte neben ihm und an seiner Hand, während das wirre Haar sein Gesicht kitzelte und er es kaum spürte. Auch der sandige Wind, der ihre Haut wie Schleifpapier bearbeitete, drang nicht in sein Bewusstsein und er schluckte unter der Trockenheit in seinem Hals. Schluckte schwer und oft, blinzelte, wenn seine Augen zu brennen begannen.

Würde er sich mit dem auseinandersetzen, was ihn beherrschte… was unter der Oberfläche lag, so würde er keine Worte finden. Keine Gedanken, mit denen er sich selbst damit in Verbindung setzen könnte.

Es war… dumpf.

Es war kalt und reglos. Eine Empfindung, als läge unter seiner Haut ein Stahl, der sich nicht biegen ließ, der sich nur den automatischen und gedankenlosen Bewegungen hingab und nicht seinem Willen. Eine Lunge, die einen jeden Ton für sich behielt. Seine Lippen, die ein jedes Wort hinter sich versiegelten und eine stoische Apathie, in der es ihm nicht danach verlangte, es dennoch zu versuchen. Eine Betäubung… er fühlte sich gelähmt, wie durch ein Gift und in sich keine Kräfte, keinen Willen, dagegen anzukämpfen. Eine gähnende Leere, die ihm jedes Sinnieren verwehrte, keinen Gedanken in ihm aufleben ließ.

Die Lider senkten sich, kurz verbargen sie die glasigen Pupillen und schwer fiel es ihm, tief Luft zu holen. Die Sonne brannte auf sie nieder und neben ihr ein Gewicht, das schwerer war, als eine jede Hitze. Auf seinen Schultern, dumpf und fortwährend. Abermals gierte er nach dem Sauerstoff, reckte den Hals und schluckte abermals. Dort in seiner Kehle spürte er einen Druck, der sich bis in seine Brust erstreckte. Eine schiere Enge, die ihm das Atmen erschwerte.

Bleib stehen, baten seine Knie, die sich bei jedem Schritt behaupten mussten.

Finde zur Ruhe, flehte seine Stirn, hinter der sich kontinuierliches Pochen erhob.

Finde zur Ruhe… und er regte die Lippen, schürzte sie, presste sie aufeinander, sowie die Hand um das Heft des Mugen. Ein Zucken durchfuhr seine Mimik.

Würde er in diesen Augenblicken zu Grunde gehen, würde er es kaum spüren.

Und doch… immer weiter und geradeaus und trübe blickte er auf, starrte zu der kleinen hölzernen Station, die sich weit vor ihnen erhob. Ein kleines Häuschen, das die Wartezeit angenehmer gestaltete. Ein hölzerner Steig, der sich nicht weit erstreckte. Kein großer Blickfang und doch lösten sich die dunklen Augen des jungen Mannes keinen Augenblick von dem unbedeutsamen Punkt.
 

„Mm.“ Sich das Kinn kratzend, lehnte sich Lavi zu dem etwas mitgenommenen Fahrplan, studierte ihn flüchtig und lugte zu der kleinen verstaubten Uhr, die die Station zu bieten hatte. Und es würden nur Minuten sein. Ein Luxus, der ihm sehr gelegen kam. Damit war er wirklich zufrieden und er beschattete das Auge mit der Hand, als er dem Plan den Rücken kehrte, zu dem Gleis trottete und in beide Richtungen spähte. Lieber im Schatten des kleinen Wartehäuschens verharrte Kanda. Das Mugen neben sich gelehnt, die Arme vor dem Bauch verschränkt, verschonte er sich vor dem gleißenden Licht, vertiefte sich vielmehr in den Kampf, die Augen offen zu halten, wenn sie derzeit auch nicht existente Punkte bevorzugten.

Die Hitze… der Staub, der sich in seine Atemwege setzte… die Müdigkeit seiner Glieder. Es war die Realität, die er spürte, in die er sich benommen zu vertiefen versuchte. Er war hier und jetzt und am Leben. Er lebte und der Kampf war fernab und somit etwas, das ihn nicht mehr zu beschäftigen hatte. Mit dem Einen abschließen, um sich dem Nächsten hinzugeben und er runzelte die Stirn, als er sich in der Konzentration versuchte und damit, seine Gedankenwelt am Leben teilhaben zu lassen. Doch dieser Sog, der ihn mit erschreckender Kraft in die Teilnahmslosigkeit zog, ihn abschottete, wollte es ihm verwehren, es einfach nicht gestatten.

Lavis Seufzen drang an seine Ohren und mit gesenktem Kopf blickte er auf, spähte zu seinem Gefährten, der die Hände in die Hüften stemmte, sich die Beine auf den hölzernen Dielen vertrat. Apathisch verfolgte er die Bewegungen des jungen Mannes. Regungslos verharrte seine Mimik, allein seine Pupillen folgten.

Diese Beobachtung, der er starr nachging…

Sie führte ihm vor Augen, dass Lavi hier war und in derselben Welt. Entgegen seinem Empfinden stand er nicht alleine hier.

Kandas Lider erbebten, müde kapitulierte er, beendete die Musterung des Anderen und verbittert starrte er zur Seite. Flüchtig schenkte er seinen Augen Entspannung, behielt sie geschlossen und regte sich an der rauen hölzernen Stütze.

Er wollte nicht hier sein…

Hier?

Nur leicht kamen seine Pupillen zum Vorschein, drifteten zur Seite und richteten sich auf die scheinbare Unendlichkeit dieser trostlosen Steppe. Der durch den staubigen Wind verhangene Horizont… die flimmernde Hitze…

Das Gestein gab etwas nach, als Lavi von dem Steig trat, hinab zu den Gleisen und sich diese kurz betrachtete. Die Hände in die Hüften gestemmt, blieb er stehen, tippte den Stahl mit dem Fuß an und stieß ein laues Seufzen aus, bevor er die Schultern regte, zurücktrat und sich einfach hinsetzte. Auf dem Holz des Steiges hatte er es bequem, die festen Sohlen setzte er gegen die Gleisen und seine Arme fanden ihren Platz auf seinen Oberschenkeln, als er sich wenige dürre Sträucher betrachtete, die zwischen den hölzernen Gleisblanken wucherten.

Lange konnte es nicht mehr dauern… lange sollte es auch nicht mehr dauern und er schöpfte tiefen Atem, regte die Füße an dem Gleis und starrte dieses kurz darauf wieder an, lauschte aufmerksam. Hier würde er den Zug zuerst hören und er lehnte sich nach vorn, verengte das Auge und nahm dennoch nichts wahr, was von einem schnellen Herannahen zeugte. Doch etwas anderes und er blickte auf, richtete sich auf und drehte sich. Eine Bewegung drang in seine Wahrnehmung. Kanda beugte sich hinab, gleichsam ließ er sich sinken, sich an dem Holz hinabrutschen, bis er dort hockte, die Arme abermals auf den Knien bettete und den Kopf zu ihnen sinken ließ. Eine flüchtige Regung, auf die wiederholte Stille folgte und Lavi vertiefte sich in diese Betrachtung, drehte sich weiter und kauerte bequem auf der Kante des Steiges. Ruhig streckte er ein Bein von sich, winkelte das Andere an und umschloss es mit den Armen. Einen tiefen Atem ausstoßend, stützte er die Wange gegen das Knie und schloss sich Kandas Stille an.
 

Nicht lange hatten sie zu warten, bis die Gleise den Zug ankündigten, unter seinen Rädern surrten und summten. Auch die undeutlichen Umrisse ließen sich erkennen, als sich Lavi in die Höhe reckte und Ausschau hielt. Dort hinten war er und gemächlich kam er auf die Beine. Und er brauchte kein Wort darüber zu verlieren. Erneut schien Kanda dem Schlaf nicht verfallen zu sein, denn er reagierte ebenso, spähte auf und machte sich daran, auf die Beine zu kommen.

Es passte ihm, dass ihre Reise nun begann. Es kam ihm sehr gelegen, sich all den Havarien, die ihn im Hauptquartier erwarteten, die ihn… Zuhause erwarteten, stellen zu müssen.

Nicht zu flüchten, keine Zeit zu schinden… und so früh wie irgend möglich das Zimmer betreten zu können, in welchem er alleine war. In welchem ihn niemand erreichte.

Jedes strafende Wort würde er über sich ergehen lassen, jeder Verwarnung lauschen, sich einer jeden Strafe beugen, ohne zu widersprechen, ohne sich zur Wehr zu setzen. Eine verlockende Möglichkeit, sich all dem ohne weiteres auszusetzen. Nun, da ihm der Wille für Widersinn fehlte, die Kraft, sich aufzulehnen. Es würde an ihm vorbeiziehen, wie einer dieser Alpträume und was auch immer ihn erwartete, es wäre harmlos, würde man Vergleiche aufstellen.

Kurz darauf ratterte der Zug unter ihm. Das Polster in seinem Rücken war weich und er lehnte sich dagegen, streckte die Beine von sich, verharrte nachdenklich und still, während seine Fingerkuppen abwesend über das Heft des Mugen glitten.

Dem Rothaarigen, der ihm gegenüber saß, schenkte er keine Aufmerksamkeit. Des Öfteren streiften ihn seine Augen, aber stets mit demselben stoischen Ausdruck, mit welchem er sich auch den Boden besah.

Vielmehr als ihn, sah er die Reise vor sich, die ruhig verlaufen würde. Und das Ziel, das er auf sich nehmen würde. Begegnungen, Worte, Konsequenzen…

Wunderbar, diese Stille… Lavi bewegte die Füße, kreuzte die Beine und zupfte am Reißverschluss seiner Uniform. Sie war erdrückend… so furchtbar und angepasst an das Befinden, das ihm gegenüber herrschte. Er wagte es kaum, laut zu atmen, sich zu bewegen. All das schien zu stören und Kanda spielte die Rolle des Erstarrten perfekt. Ja, annähernd so erschreckend, dass Lavis Bewegungen bald häufiger vorkamen.

Ein lautes Gähnen, ein inniges Strecken, wirres Regen auf der Bank, Herumgerutsche… all die Dinge, die die angespannte Atmosphäre zerstörten und auf die Kanda dennoch keine Reaktion zeigte.

Kein zielstrebiger, warnender Blick, kein Wort. Nichts, womit er sich sofort beschwert hätte. Vor wenigen Tagen hätte er ihn zumindest noch innerlich verflucht und Lavi wünschte sich, er täte jetzt dasselbe. Zielstrebige Provokation, die an den Nerven zehrte und alles, was er wollte, war eine Bewegung, ein Lebenszeichen, ein Deut auf vorhandene Aufmerksamkeit und möglicherweise ein Hauch des gewohnten Verhaltens, in welchem er auf charmante Art und Weise darum bat, endlich still zu sein. Doch der ausbleibende Erfolg trieb ihn bald ohnehin dazu und unter einem stillen Naserümpfen, rieb er sich das Kinn.

Es hatte wohl keinen Zweck, jetzt auf Erfolge zu hoffen. Die ließen sich heute nicht mehr erzielen und nach einigen Augenblicken kam er auf die Beine, trat unbeachtet zum Fenster und spähte hinaus. Die trostlose Wüstengegend war einer annähernd idyllischen Landschaft gewichen. Wenige Häuser verrieten die Nähe einer Stadt und Lavi versuchte sich eine bessere Übersicht zu verschaffen. Sie konnten nicht mehr weit entfernt sein und er suchte überlegt nach Worten, bevor er dem Fenster den Rücken kehrte, sich unvermittelt an Kanda wandte.

„Etwas dagegen, wenn wir hier aussteigen?“, erhob er die Stimme und wies auf das Fenster hinter sich. Schweigsam blickte Kanda auf, sah ihn an und tat nichts, was einer Reaktion ähnelte. Doch mit einem großen Widerstand wurde auch nicht gerechnet. Beinahe schon praktisch, dass er die letzten Kräfte und Nerven nicht für so etwas hergeben wollte. Lavi hatte ein leichtes Spiel und war sich dessen sehr bewusst. „Komui hat uns nicht unter Druck gesetzt und ich habe auch eher Lust, mich irgendwo auszuruhen, als die Zeit einer langen Reise totzuschlagen.“ Er hob die Augenbrauen, griente. „Und die erwartet uns.“

„Mm.“ Naserümpfend starrte Kanda zu Boden.

Etwas Derartiges hatte er nicht erwartet. Es widersprach seinen Plänen völlig.

Sich den Konsequenzen zu stellen… alles hinter sich zu bringen, anstatt es vor sich herzuschieben. Und darauf lief es doch hinaus.

Geduldig wartete Lavi und auf der anderen Seite des Fensters tauchten immer mehr Häuser auf.

Andererseits… ein Bett käme ihm jetzt auch gelegen und die Konsequenzen würden ihn so oder so erreichen, wobei es keine Frage spielte, wann sie es taten.

„Meinetwegen“, murrte er letztendlich nur und Lavi wirkte nicht sehr überrascht. Er nickte lediglich, lugte erneut zum Fenster und spürte, wie der Zug bereits an Geschwindigkeit verlor.

Die Stimme hatte er also nicht verloren… wie überaus beruhigend.

„Dann komm.“ Er winkte, löste sich vom Fenster und machte sich auf den Weg zu den Türen, während die Bremsen des Zuges leise zu quietschen begannen und sich der Zug in eine kleine Bahnstation schlängelte. „Die Stadt ist zwar nicht groß aber wir finden schon was.“

Ohne auf den Anderen zu achten, erreichte er die Tür. Ein Ruck erfasste den Zug, die Kabinen kamen zum Stillstand und flink war ein Hebel umgestellt und die Tür geöffnet. Eine angenehme Wärme zog Lavi entgegen, als er sich nach draußen lehnte, die Nase in den leichten Wind hielt und unter der Helligkeit blinzelte. Viele Menschen waren hier wirklich nicht unterwegs und mit einem Satz stand er auf dem steinernen Steig, entfernte sich um einen Schritt vom Zug und verschaffte sich eine knappe Orientierung. Kanda war weniger nach Springen zumute. Träge stieg er die einzelnen Stufen hinab. Das Mugen nahe bei sich haltend, suchte er sogar den Halt des Türhebels und nur desinteressiert schloss er sich Lavis Beobachtungen an, als er wieder festen Boden unter den Füßen hatte.

„Warst du hier schon mal?“ Nachdenklich kratzte sich der Rothaarige am Kopf, lugte zu ihm und bekam ein stoisches Kopfschütteln geboten. „Wo lang gehen wir?“, wandte er sich wieder ab. „Nach links oder nach re…“

Kanda übernahm die Antwort. Lustlos setze er sich in Bewegung, steuerte nach links und machte sich auf den Weg ins Ungewisse. Kurz wurde ihm nachgeschaut, bevor man ihm folgte. Nun, es schien wirklich nichts zu nützen und Lavi entschied sich für das Schweigen, während er neben ihm durch die vielbegangenen Straßen zog. Es war nicht gerade wenig Aufmerksamkeit, die ihnen zuteil wurde. Das blanke Mugen bewegte sich über dem Boden, als wären sie zu einem Kampf unterwegs und auf ihrer Suche gerieten sie in kein Gedränge. Stets einen freien Umkreis konnten sie genießen und niemand von ihnen hatte wohl die Muse, sich daran zu stören. Bald präsentierte sich ihnen auch ein Haus, das einer Herberge ähnelte. Die Schriftzeichen auf dem hübschen Schild ließen sich leider nicht entschlüsseln aber als Lavi auf gut Glück die Tür öffnete und ins Innere des Hauses spähte, erhellte sich sein Gesicht. Hier schienen sie richtig zu sein. Ein mit Holz verkleidetes Zimmer tat sich vor ihnen auf und dort hinter der dem Rezeptionstisch werkelte ein Mann, der den Gästen sofort Aufmerksamkeit schenkte.

Erleichtert trat Lavi ein, ließ von der Klinke ab und tastete nach dem Schal, der kurz davor war, sich aus dem Staub zu machen. Hinter ihm folgte Kanda und sein Interesse ließ zu wünschen übrig.

„Guten Tag.“ Grüßend hob Lavi die Hand und der Mann begegnete ihm mit einem breiten Grinsen, welches etwas verblasste, als er den zweiten Gast und sein Mitbringsel erspähte. Nicht darauf achtend, drehte sich Kanda zur anderen Seite, erkannte eine hölzerne Treppe, die in die erste Etage führte. „Ähm…“, bedacht lenkte Lavi die Aufmerksamkeit zurück auf sich, stemmte sich auf die Theke und legte den Kopf schief. „Sprechen Sie Englisch?“

„Eh… natürlich, mein Herr.“ Endlich gelang es dem Mann, die Augen von Kanda zu lösen und Lavi konnte seine Erleichterung nicht verstecken. „Was wünschen Sie? Ein Zimmer?“ Und er konnte es nicht verhindern, musterte die Kleidung der Beiden, sowie das schimmernde Rosenkreuz.

„Genau“, erwiderte Lavi. „Lieber wären uns sogar zwei. Haben Sie noch etwas frei?“

„Ja, natürlich.“

„Wunderbar.“ Daraufhin sah sich Lavi etwas auf der Theke um. Hinter ihm herrschte Stille, als er sich einen der dort liegenden Zettel und Stifte schnappte. „Wir wissen nicht genau, wie lange wir bleiben aber schicken Sie die Rechnung…“, flink machte er Gebrauch von dem Kugelschreiber, schob dem Mann den Zettel zu, „… einfach dahin. Sie wird umgehend beglichen.“

Ein ungewohntes Verfahren, doch der Mann nickte, als er nach dem Zettel griff, ihn anhob… und inne hielt. Wortlos öffnete sich sein Mund, ebenso still starrte er auf die beiden Gäste und unter einem weiteren Nicken ließ er den Zettel in der Hosentasche verschwinden.

„Selbstverständlich“, ertönte noch seine Stimme, als er kurz hinter der Theke verschwand.
 

Kurz darauf ließen die beiden die Treppe hinter sich und fanden sich in einem schmalen Flur wieder, an denen sich so einige Türen reihten. Nur flüchtig mussten sie sich umschauen, um fündig zu werden und entspannt wendete Lavi den Schlüssel in der Hand, als er vor seiner Tür stehen blieb. Ihm gegenüber erreichte auch Kanda sein Ziel, kehrte ihm dem Rücken und hob die Hand zur Klinke.

„Yu?“

Lavis Stimme ließ ihn inne halten. Auf der Klinke verharrte die Hand kurz reglos, bevor er sie hinabdrückte, die Tür öffnete. Der Ältere ließ sich mehr Zeit, drehte den Schlüssel zwischen den Fingern und wurde sich einmal mehr der Tatsache bewusst, dass es wieder keine Reaktion auf seine für Kanda unangenehme Angewohnheit gab.

„Wir haben Zeit, also schlaf solange du willst und wenn du die Müdigkeit los bist, stellen wir uns ganz entspannt dem Rest der Reise.“

Eine Antwort wurde nicht erwartet, hinzukommend ihm noch immer der Rücken präsentiert und so wandte auch er sich seiner Tür zu, öffnete sie und warf einen neugierigen Blick in sein Zimmer.

Gar nicht so übel und er tat den ersten Schritt.

„Hey“, wurde er unvermittelt angesprochen und blieb stehen. Im Rahmen drehte er sich um, hob erwartungsvoll die Augenbraue und begegnete einem scharfen Blick, der ihn annähernd drohend durchbohren zu wollen schien. Über die Schulter starrte Kanda zu ihm und sein Gesicht entspannte sich. Starr und unablässig blieben die dunklen Pupillen auf ihn gerichtet und er konnte sich beileibe nicht erklären, weshalb er so etwas verdient hatte. „Egal, was du gesehen hast und was du zu wissen glaubst“, annäherungsweise feindselig verengten sich die Augen und der Rothaarige schöpfte tiefen Atem, „vergiss es und verlier kein Wort darüber!“

Als wäre auf der Lichtung nichts geschehen…

Lavi stemmte die Hand in die Hüfte, ließ den Schlüssel von den Fingern baumeln.

„Darüber solltest du dir jetzt keine Gedanken machen“, erwiderte er und bewahrte sich den ruhigen entspannten Tonfall. Letztendlich kamen diese Worte nicht überraschend. „Lass uns erst einmal schlafen und vielleicht später darüber sprech…“

„Genau darum geht es…!“ Kandas Stimme senkte sich zu einem scharfen Fauchen, als er sich zu ihm wandte, ihn finster taxierte. „Einen Dreck werde ich tun und du hast still zu sein und deine Nase nicht in Angelegenheiten zu stecken, die dich nicht das Geringste angehen!“

„Ah.“ Lavi entrann ein leises Seufzen und der Schlüssel klimperte an seiner Hand, als er sie hob, sich am Kinn juckte.

Wie könnte es auch anders sein?

Wie könnte Kanda sich freiwillig an die eigenen Tränen erinnern, wenn er sich nun in einer Lage befand, in der es nur sie beide gab?

Und ehrlich gesagt hatte Lavi keine Lust, sich auf eine Diskussion einzulassen, die von Müdigkeit und geschundenen Nerven in eine rabiate Richtung gelenkt wurde. Flüchtig grübelte er, juckte sich weiter und hob die Hand zu einer beruhigenden, jedoch abweisenden Geste. Lauernd verfolgte Kanda die Bewegung.

„Wir werden sehen“, erhielt er daraufhin die ausgeglichene Reaktion. „Wir sollten jetzt wirklich erst einmal…“

„Du sollst antworten!“ Kanda unterbrach ihn verbittert, seine Hand fand den Türrahmen und mit einem Schritt näherte er sich Lavi. „Wir werden einen Teufel tun, bevor du mir nicht versichert hast, dein ungezügeltes loses Mundwerk in Zaum zu halten!“

„Wie bi…?“, Lavi versagten die Worte. Beinahe irritiert starrte er sein Gegenüber an und rang sich letztendlich doch nur zu einem zermürbten Stöhnen durch. Er verdrehte die Augen, schüttelte den Kopf und tastete unterdessen bereits nach der Tür. „Weißt du, ich werde gar nichts machen, bis sich ordentlich mit dir reden lässt. Was du jetzt brauchst, ist keine Antwort, sondern gehörig viel Schlaf.“ Er nahm das Zucken im Gesicht des Anderen wahr, trat jedoch zurück und machte sich schon daran, die Tür zu schließen. „Also, schlaf gut.“ Kurz die Hand gehoben und schon wurde die Tür geschlossen und Kanda stehen gelassen.

Und eine Stille des Entsetzens folgte…

Kein anderes Geräusch drang an Lavis Ohren, als er den Schlüssel im Schlüsselloch versenkte und abschloss. Bildlich konnte er sich vorstellen, wie Kanda dort stand und seinen Augen nicht traute. Und doch war es das Beste und er kehrte der Tür den Rücken. Es blieb ihm nun genug Zeit, sich umzuschauen und er stemmte die Hände in die Hüften, blähte die Wangen auf und betrachtete sich das Bett. Es sah wirklich gemütlich aus und doch hatte er es nicht so nötig, wie ein anderer… der außerdem wieder zu sich zu finden schien. Es dauerte nicht lange, bis Lavi unter dem Donnern einer anderen Tür zusammenzuckte, das Gesicht verzog und doch nicht um ein knappes Schmunzeln kam.

„Man, man, man.“ Kopfschüttelnd rieb er sich die Stirn, erfasste auch das Stirnband und zog es sich aus dem Haar. Er kam schnell darüber hinweg, warf es auf eine nahe Kommode und schlenderte zum Fenster, um hinauszuspähen. Da unten auf der Straße war noch großer Betrieb und trotzdem würde er hier seine Ruhe haben. Auch er hatte sie nötig… würde sie jedoch nicht ausschließlich damit verbringen, zu schlafen. Bald zog er die Gardine vor das Fenster, ließ sich auf das Bett sinken und testete die Bequemlichkeit der Matratze. Er wippte, war zufrieden und machte sich daran, sich von den Stiefeln zu befreien. Und kurz driftete sein Auge zur Tür.

Hoffentlich entschied sich Kanda wirklich für den Schlaf und nicht dazu, lieber noch etwas zu wüten, bevor er sich etwas Gutes tat. Immerhin kam es wohl nicht oft vor, dass man ihn einfach stehen ließ, die Tür vor seiner Nase zuschlug. Aber als er konzentriert lauschte, gab es keine Anzeichen für Randale und kurz darauf ließ er die Stiefel liegen, schob sich auf dem Bett zurück und lehnte sich am Kopfende gegen die Tapete. Die Beine streckte er von sich, die Hände faltete er auf dem Bauch und nach einem tiefen Luftholen starrte er auf die gegenüberliegende Wand.

Er blieb vor etwaiger Erschöpfung verschont… sein Kopf war klar genug, um sich Grübeleien hinzugeben und er tat es mit aller Ruhe, die ihm hier gegeben war. Auf zielloser Wanderschaft durch den Raum, offenbarten seine Augen das rasch auflebende Auseinandersetzen mit den vergangenen Erlebnissen.

Mit all den Dingen, die er gesehen hatte…

Die ihn erschreckten, schockierten, bekümmerten…

Zuviel Wahrheit auf einmal. Zuviel plötzliche Antworten auf die unzähligen Fragen, die er sich vor kurzem noch stellte.

Was war das nur für eine Lage…?

Eigene Vergleiche brachten ihm nur umso mehr Beunruhigung, umso mehr Zweifel, was es nun zu tun galt.

Ja, was war das nur für eine Situation…?

Lautlos traf sein Hinterkopf auf die Wand, sowie er auch die Knie zu sich zog und seine Zähne abwesend den Daumen zu bearbeiten begannen. Seine Pupille schweifte zum Fenster, zur Gardine, durch die die Helligkeit des Tages drang.

Er selbst, der sich in gewissem Sinne als Unbeteiligter bezeichnen konnte… er, der die Empfindung nicht mit Kanda teilen… all das ebenso wenig nachvollziehen konnte und es auch nicht wagte.

Wie sehr versuchte er sich davor zu schützen, zu sehr vor den tragischen Einflüssen des Umfeldes eingenommen zu werden… und wie oft er in diesen Versuchen versagte. Vor allem in diesem Fall, an den er sich kaum heranwagte. Es war unrealistisch, unvorstellbar und er versuchte sich sicher zu sein, die Fakten realisiert und für sich angenommen zu haben. Anders würde es ihm nicht gelingen, etwas zu tun, zu handeln.

Und das musste er.

Diese Vorstellung…

Ein flüchtiges ungläubiges Grinsen zeichnete sich auf seinen Lippen ab, bevor die Zähne wieder den Fingernagel zu fassen bekamen.

Ein solcher Vorfall… in den eigenen Reihen?

Und dann noch Kanda.

Hatte er nicht seine Mauern errichtet?

War nicht gerade er das Synonym für Unantastbarkeit?

Für Stolz, den nichts zu erschüttern imstande war?

Man gelangte schwerlich zu ihm.

Kameradschaft, Zusammenhalt, Vertrauen, selbst ein gewisses Gefühl der Verbundenheit. All das ließ er zu in der Arbeit, der sie gemeinsam folgten. Selbst die Sympathie anderen gegenüber konnte man in seinem Verhalten erkennen, sobald man lange genug mit ihm zu tun gehabt hatte.

Respekt und Akzeptanz Gleichgestellten gegenüber.

Und Allen… dessen Anwesenheit er nur zu gerne für Streitigkeiten ausnutzte. Eine Aufmerksamkeit, die bedeutungsvoll war… ebenso ein seltsames Bestandteil seiner Vorlieben, zu sticheln und Kontra zu erhalten, könnte er ihm doch ebenso gut den Rücken kehren, ihn nicht beachten. Seine Art, Antipathie zum Ausdruck zu bringen… kein Wort an jemanden zu verschwenden, den er nicht ertrug. Ganz einfach, doch war er es selbst, der den anderen herausforderte. Er war durchschaubar. Wenn auch nur in wenigen Fällen.

Und ansonsten? Loyalität sowie striktes Vorgehen. Mit ihm aufzubrechen, stellte stets eine weitere Sicherheit dar, das Möglichste zu tun, um erfolgreich zu sein. Bis an die Grenzen des Machbaren zu gehen.

War er nicht alles, was man sich unter einem tatkräftigen Kollegen vorstellen konnte?

War er das nicht gewesen…?

Lavi fand keine Erklärung dafür, wie es ein Außenstehender bewerkstelligt hatte, all die Mauern zu durchbrechen, alles niederzumetzeln, das Kandas stille jedoch sichere Verteidigung darstellte. Zu ihm vorzudringen… die Gegenwehr niederzuschlagen…

Dass man Kanda so nahe kommen könnte, wäre nicht einmal ein Bestandteil seines realitätsfernsten Traumes gewesen.

Doch es war passiert. Strikt führte er sich diese Tatsache vor Augen. Es stand nicht zur Debatte, wie es dazu gekommen war. Wie es möglich und wie Kanda in diese Lage geraten war. Es war passiert und Lavi ließ von der Hand ab, richtete sich auf und schlang die Arme um die Knie, um auch das Kinn auf diesen zu betten.

Was sollte er tun?

Ihn in diesem Zustand zu erleben, fiel ihm schwer. Richtig mit ihm umzugehen, ebenso. Vorausgesetzt, es war derzeit überhaupt möglich, etwas Richtiges zu sagen. Dass Kanda etwas eigen war, stellte kein Geheimnis dar. Für niemanden. Dass er sich viele Abneigungen geschaffen hatte und äußerlich nie wirklich zufrieden wirkte… dass er in manchen Fällen auch zu rücksichtsloser Boshaftigkeit neigte. Doch das war er und selbst wenn einige seiner Charakterzüge fragwürdig waren, selbst das Fehlen eines einzigen dieser Fragmente würde eine Lücke ergeben, die sich spüren ließ. So, wie er es nun auch wahrnahm.

Wo war die kontrollierte Ruhe?

Wo war die Normalität, das, was er dachte, etwas rücksichtslos loszuwerden?

Wo war seine Bereitschaft, offen auf Dinge zu reagieren, die ihm nicht gefielen?

Wo war die Festigkeit seines Körpers? Seine Gesundheit?

Zurückgeblieben waren unkontrollierte Wut, teilnahmslose Schweigsamkeit und diese Verbitterung, die man zu spüren bekam, sobald man sich ihm näherte. So war er nicht und Lavi sah einen Handlungsbedarf, der sich auf ihn bezog. Eine Bitte, die man an ihn stellte, an seine Menschlichkeit, seine Sympathie Kanda gegenüber.

Er wollte ihn nicht so sehen.

Doch welches Handeln lag in seinen Möglichkeiten? Seinen Fähigkeiten?

Lange verharrte er reglos, ließ das Auge schweifen und das weit über diesen Raum hinaus. Er sinnierte, grübelte, schätzte ein und nicht selten erwischte er sich dabei, wie er Ideen verwarf, sich selbst in Unruhe versetzte. Und doch gab er nicht auf, setzte sich damit auseinander und als das Tageslicht vor dem Fenster bereits an Intensität verlor, wurde er sich der allmählich unbequemen Haltung bewusst, ließ sich sinken und legte sich hin. Dieses Bett war wirklich bequem und er streckte sich aus, rollte sich zur Seite und bettete den Kopf auf dem Arm, um sich die kleine Kommode zu betrachten.

Es war schwierig. Er konnte nicht über Köpfe hinweg entscheiden, befand sich nicht in der Position, sich so etwas leisten zu dürfen. Er war keine Größe. Er war ein Mensch, der unter anderen arbeitete, fremde Befehle befolgte und über eine nicht sehr beeindruckende Freizeit verfügte. Er war an andere gebunden und auch, wenn ihm die Stunden irgendwann eine gewisse Planung erlaubten, war diese nicht endgültig. Ja, es gab Ideen, die sich einnisteten und gegen die er keine Widersprüche fand, solange und selbstkritisch er auch nach ihnen suchte.

Er würde Gespräche führen, sich Genehmigungen besorgen müssen… er musste sich an Komui wenden und das mit dem möglichst kleinsten Teil der nötigen Informationen, um dessen Einverständnis zu erwirken. Er rückte sich zurecht, spürte ein Gähnen, das in ihm aufstieg.

Er kannte Komui… es gab Grund zum Optimismus. Komui ließ mit sich reden, war offen für Ideen und bereit, sie zu akzeptieren, wenn er das nötige Vertrauen in sie setzte.

Lavi ließ dem Gähnen freien Lauf, rückte den Kopf zurecht und schmatzte genügsam. Allmählich wurde auch er müde. Dieses Nachdenken war nicht zu unterschätzen und träge entschloss er sich dazu, sich nicht weiterhin zu fordern. Lange genug hatte er nun hier gesessen und gelegen, ohne ein Auge zuzumachen und über den zu sinnieren, der es ihm hoffentlich nicht gleich tat. Wenn das Glück auf ihrer Seite war, dann schlief er seit nunmehr fünf Stunden und langsam sollte Lavi diesem möglichen Beispiel folgen. Er schloss das Auge, schöpfte tiefen Atem und kümmerte sich noch um eine störende Strähne, die seine Nase neckte.

>Mehr kann ich jetzt nicht tun<, sagte er sich und dieser Gedanke war wirklich beruhigend. >Und wenn ich nicht langsam schlafe, bin ich derjenige, der der Reise nicht gewachsen ist.<
 

~*tbc*~



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von: abgemeldet
2011-03-05T19:43:11+00:00 05.03.2011 20:43
O_O
Es steht echt nicht grad gut um Kanda.
Ich hoff ja das Lavi sich seiner annimmt.
*____*
Ich find das pairing auch cool.
ich weiß es wird kein pairing
aber ich seh Kanda und Lavi zusammen voll gern!
XD
Von: abgemeldet
2011-03-01T16:55:32+00:00 01.03.2011 17:55
Ich verstehe total das Kanda Angst hat und ich hab mich nicht gewundert als er Lavi so angegangen ist.Er will eben dass es keiner weiß aber er hat sich vor Lavi ja schon voll doe blöße gegeben als er Tiky besiegt hat.Da hat er ja richtig geweint und das wird Lavi nimmer vergessen!!
Ich find es grad interessant wie du Kandas Zustand beschreibst,also wie er sich fühlt und wie er die Umwelt wahrnimmt,das klingt als wüsstest du das ganz genau weil das einfach schlüssig ist! Ich find es jedenfalls gut das Kanda erst einmal in den Orden zurückgeht.Da ist es bestimmt viel einfacher ihm zu helfen.
Von:  Saturnmieze
2011-02-27T17:47:56+00:00 27.02.2011 18:47
Armer Kanda hoffentlich gibt Lavi sein bestes Kanda wieder auf die beine zu helfen.

Bis jetzt die beste story die ich in dieses pairing gelesen. Du hast einen sehr guten Schreibstill weiter so
Von: abgemeldet
2011-02-27T11:45:22+00:00 27.02.2011 12:45
Hey!

Und noch ein neues Kapitel. Du verwöhnst deine Leser wirklich und noch dazu so lange. Hach, wie gesagt du rettest damit meinen Tag.

Es war sehr interessant, dass es in diesem Kapitel ermöglicht wurde, auch wieder ein wenig in Yu-kuns Gedankenwelt einzutauchen. yu-kun erinnert mich irgendwie an diese zerstörten Gebäude durch jene Lavi wandert. Sein Fundament, welches im Sichherheit gibt wurde auch weggerissen und er konnte nichts dagegen ausrichten. Wie man sich wohl in so einer Situation fühlt. Wie gesagt, für Kanda-kun muss es noch schwieriger sein, er als so stolzer und eigensinniger Charakter. Hmm..aber man merkt wirklich, dass ihm die Erreignisse der letzten Wochen wirklich verändert haben, seine nun auftretende Gleichgültigkeit und Apathie.. irgendwie wirkt er wie eine hübsche, fragile Puppe auf mich, deren Fäden durchgeschnitten wurden und die nun völlig hilflos zu sein scheint. Dies spiegelt sich nicht nur in seiner Teilnahmslosigkeit wieder, sondern auch in seinem Auftreten, jener der sonst so drauf bedacht war sein äußeres zu wahren und nun es zulässt seine Uniform voller staub zu lassen ohne sie zu reinigen oder auch sein langes, schwarzes Haar nicht zu pflegen, auf welches er sehr stolz ist. Du konntest uns wirklich äußerst gut diese Gleichgültigkeit und Hilflosigkeit, in der sich Kanda nun befindet, übermitteln. Der Leser kann sich so richtig in den Charakter rein versetzen.

Aber nicht nur in Yu-chan, sondern auch in Lavi. Ich denke oft wie schwierig es sein muss sich der Aufgabe zu widmen einer solch verzweifelten Person zu helfen wie Yu-chan es zurzeit ist. Für Lavi, wie man es in diesem Kapitel merkt, ist es nicht leicht Kanda so zu sehen – die einst so stolze und schöne Gestalt, nun am Boden und zersprungen wie fragiles Glas. Obwohl Kanda-kun mit seinem hübschen femininen, delikaten Aussehen immer eine gewisse Fragilität vermittelte, glich dies sein aufbrausender Charakter meistens aus. (Ich hab in zuerst im Manga, als ich ihn auf englisch las für ein mädel gehalten – ja yu-chan würde dies ja gar nicht gefallen, wenn er dies wüsste hehe.) Nun jedoch ist diese Fragilität an die Oberfläche gekommen. Aber Lavi geht mit der ganzen Sache zurzeit erstaunlicher Weise gut um. Er weiß wann er Kanda in Frieden lassen muss, man worte fehl am Platz sind, oder wenn er seinen Toben einfach ein Ende setzen muss, so wie als Lavi-kun Yu-chan einfach die Tür vor der Nase zu knallt.

Zu diesem Kapitel muss ich sagen, du konntest uns wirklich eine gute Einsicht in die Gedankenwelt von beiden Charakteren geben. Ich hoffe und weiß, dass die nächsten Kapitel auch so gut werden ( du bist ja äußerst talentiert mit worten) und dass das Sequel ein sehr langes sein wird. 

deine sarah-sama

ps: Ich liebe diese story echt. Und sie ist Gen – außer halt der noah-Kanda part. Yuhuu. Im D. Grayman Fandom gibt es wirklich wenig gute Geschichten und deine ist mitunter die einzige die von solch einer ausgezeichneten Qualität ist. Die meisten Stories in diesem Fandom, welches ich gelesen habe handeln von super-seme kanda und weinenden uke allen (irgendwie ist dies schon so zu genügend behandelt worden, ich kann es nicht mehr sehen)… was leider überhaupt nicht meinen Geschmack betrifft. (ist wirklich nur mein persönlicher Geschmack) Ich meine wenn schon ein Paar in der story vor kommt – zurzeit lese ich ja lieber gen mit einigen ausnahmen – dann bin ich eher der Verteter jetzt in d. grayman fandom, dass kanda-kun die rolle des uke übernimmt…irgendwie ist dies interessanter. hmm ist immer faszinierend wie ein kontrollierter Mensch seine Kontrolle abegeben muss. Außerdem habe ich ja eine große Liebe für komplexe Charaktere wie Kanda-kun, oder auch Sasuke-kun im Naruto fandom. Vielen Dank noch mal für deine Perle unter den Geschichten :-)


Von: abgemeldet
2011-02-27T10:31:10+00:00 27.02.2011 11:31
Armer armer kanda. Er ist ja total fertig mit der welt.Hoffentlich kriegt Rabi das wider hin ich hoffe es sehr. Übrigens mag ich das cover.Das ist eine schöne idee. <3


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