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Tell me the best way I could kill you & Back to reality

~ Yu Kanda x Tyki Mikk~
von

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~3~

Langsam und geschmeidig glitt der Zug über die matt schimmernden Gleisen, die grauen Räder gaben ein leises Quietschen von sich, als er über ein Verzweigungssystem rollte und die Richtung änderte, direkten Kurs auf die Einfahrt eines Bahnhofes nahm. Schwache Lichter schienen aus den einzelnen Kabinen hinaus in die tiefe Dunkelheit der Nacht, gurrend erhoben sich Tauben von dem Gleis, als er das Ziel erreichte. Ihre lauten Flügelschläge hallten in der kleinen Halle wider und wider und erst als das laute Quietschen erneut ertönte, verstummten sie. In diesem Lärm bewegten sich die Tauben lautlos und ließen sich auf den schweren Stahlträgern des Daches nieder. Allmählich verlor der Zug an Geschwindigkeit, gemächlich fuhr er den Bahnsteig entlang und kam unter einem weiteren Quietschen zum Stillstand. Zischend schoss Rauch aus den Kurbeln der Räder und kroch über den kühlen Steinboden. Erst mit diesem Eintreffen kehrte etwas Leben in die verlassene Halle zurück. Nur wenige waren hier. Ein älterer Herr saß auf einer der hölzernen Bänke, die wachen Augen auf eine Zeitung gerichtet. Zwei Finder lehnten gegenüber der Gleisen an einer Wand, waren in ein Gespräch vertieft. In der Informationskabine saß eine ältere Frau, hielt eine Tasse Kaffee in der Hand und starrte in eine Zeitschrift.

Einige der Zugtüren öffneten sich nun und eilig stieg eine Frau die etwas rostigen Stufen hinab. Aufmerksam umging sie die Löcher mit ihren Absätzen, schulterte eine Reisetasche und trat auf den steinernen Boden hinab. Sofort machte sie sich über den Weg und laut hallten ihre Schritte durch die Halle. Weitere folgten ihr und das unverständliche Murmeln der Stimmen überschnitt sich, während die Menschen ihrer Wege gingen, auf den Ausgang zusteuerten. Der Rauch der Kurbeln verzog sich und kurz darauf kehrte die Stille zurück, nur die Tauben eilten gurrend von einer Seite zur anderen und die Drehtür quietschte durch die Hast des letzten Reisenden. Das Lachen der Finder erhob sich, die Frau in der Kabine nippte an ihrer Tasse und das Rascheln der Zeitung schreckte eine Taube auf, die nahe der Bank ihrer Wege ging. Langsam tastete sich eine bleiche Hand um die Kante der Zugtür und Kanda beugte sich ins Freie. Sein Haar schien etwas gebändigt worden zu sein, war ein wenig zurückgeknotet und wirkte somit säuberlicher. Ebenso sein Gesicht. Gesäubert und unversehen machte es lediglich auf die Erschöpfung aufmerksam. Müde erkannten seine Augen das Ziel und konzentriert stieg er aus. Auf jeden Schritt musste er achten, um die Knie durchzudrücken, bevor sie nachlassen konnten und er unterdrückte ein angestrengtes Ächzen, als er auf dem steinernen Boden aufsetzte und seine Hände zum Mantel zurückfanden, um ihn zu richten. Die Tatsache, dass er beschädigt war, fiel durch den robusten Kragen nicht auf. Lediglich dunkle Verfärbungen machten darauf aufmerksam, dass es Komplikationen gegeben hatte. Dennoch offenbarte seine Mimik die gewohnte Missstimmung, mit der er jeden unerwünschten Menschen fernhielt. Mit einem tiefen Atemzug richtete er sich auf, straffte seine zusammengesunkene Haltung und zwang sich, die, durch die kurzen und durchaus unruhigen Minuten des Schlafes erworbene Kraft, für das äußerliche Erscheinungsbild herzugeben. Seine Schritte wirkten bis auf ein leichtes Hinken gefestigt, während ein jeder Muskel seines Körpers zitterte und bebte. Sein Atem fiel ruhig, während das Herz in seiner Brust raste und seine Miene verharrte steinern in ihrem Ausdruck, während die Brauen vor Schmerz zuckten. Es war nicht besser geworden und der zurückgelegte Weg erschien ihm wie ein Teil eines gnadenlosen Alptraumes, der noch immer nicht überstanden war. Das Hauptquartier war noch weit entfernt und seine Hände ballten sich zu Fäusten, als er den Bahnsteig verließ und auf den Ausgang zusteuerte. Als sich erneutes Lachen erhob, wurde er auf die Finder aufmerksam. Amüsiert gestikulierten sie mit den Händen und schienen sich bester Laune zu erfreuen. Kandas Augenwinkel zuckten und verbittert wandte er sich wieder seinem Weg zu.

Er musste es schaffen… bald konnte er sich ausruhen und dennoch gab es davor noch viel zu tun, wenn er sein Ziel erreichte.

„Und das fing er natürlich wieder Streit an!“, rief einer der Finder und der andere verdrehte die Augen.

„Konnte es wohl wieder nicht auf sich sitzen lassen, was?“

„Mit dem arbeitet niemand gern zusammen.“

„Ich musste es trotzdem einmal. Du weißt doch, das war in…“

Wieder raschelte die Zeitung hinter Kanda und nach wenigen weiteren Schritten, verlangsamte er das Tempo. Seine Mimik gab knappe Grübeleien preis und ohne zu zögern, bog er zur Seite und steuerte auf die Finder zu, die fluchten und lachten und ihn schnell bemerkten. Entschlossen näherte er sich ihnen und sofort senkten sie die Stimmen, um dem Vorgesetzten diszipliniert zu begegnen. Desinteressiert und knapp musterte Kanda die Beiden, achtete nicht auf die flüchtigen Blicke, die seinen Mantel streiften.

„Seid ihr hier eingeteilt?“, erhob sich seine Stimme in gewohnten Tonfall und die beiden Finder hoben die Augenbrauen. „Seid ihr im Dienst, meine ich!“

Seine schroffen Worte hallten wider und die Finder schüttelten die Köpfe.

„Nein, Kanda-san“, antwortete einer von ihnen und Kanda blieb bei ihnen stehen. „Wir haben keine Schicht.“

„Seid ihr zu Fuß hier?“

„Nein, mit dem Auto“, antwortete der Andere unbeholfen. „Wir wollten gleich…“

„Ab jetzt seid ihr wieder im Dienst“, unterbrach Kanda ihn und lugte finster zur Seite. „Ich muss ins Hauptquartier und ihr fahrt mich sofort hin.“

Mit diesen Worten wandte er sich bereits ab und die Finder wechselten irritierte Blicke, bis sie dem jungen Exorzisten ergeben folgten.
 

Die Fassade seiner unbewegten Miene drohte zu bröckeln, als er sich durch eine große stählerne Tür schob und einen steinernen Zugangsflur betrat. Er war an seinem Ziel und der Weg, den er sonst mit Geduld und Ruhe hinter sich ließ, ein Höllentrip gewesen. In der unbeobachteten Umgebung ergab sich seine Miene den Schmerzen und seine Hand stützte den Steiß, während der verletzte Arm jeglicher Beanspruchung entzogen und gesenkt wurde. Der Boden zu seinen Füßen vibrierte bei jedem Schritt vor seinen Augen. Der vorsichtige Druck des Auftretens erinnerte ihn an die Kopfschmerzen und seine Hüfte bannte seine gesamte Aufmerksamkeit.

Er wusste nicht, wie schwer man sich bei dem Erlebten verletzen konnte, kannte nicht die genauen Auswirkungen auf den Körper, spürte sie lediglich. Und es fühlte sich verheerend an. Seit Stunden trug er nun diese Wunden und es beunruhigte ihn, dass der Prozess der Selbstheilung noch nicht so recht eingesetzt zu haben schien. Es hatte sich nichts gebessert. Er hinkte beinahe so, als wäre sein Knie gebrochen und jeder Schritt verlangte ihm so einiges ab.

Er musste sich hinlegen… er brauchte Ruhe, sonst wüsste er nicht, wie es weitergehen sollte. Seine Nerven waren keiner Arbeit mehr gewachsen und seine Fiktionen stoben in die verworrensten Gefilde aus. Er konnte nicht klar denken und tat es einfach nicht. Die nächste Tür rückte näher und bevor er sie erreichte, konzentrierte er sich wieder auf seine Fassung.

Die Hand löste sich vom Steiß, seine Haltung suchte nach Festigkeit und die Hand des verletzen Armes bettete sich auf dem Knauf des Katanas. Und nach einem tiefen Atemzug verbannte er jede Qual aus seiner Miene, passte sie dem Alltag an und öffnete die Tür. Er trat in das runde Treppenhaus hinaus, ließ die Tür hinter sich zufallen und bog, ohne auf seine Umgebung zu achten, nach links. Eilige Schritte ertönten in einem der oberen Geschosse, Stimmen erhoben sich in naher Ferne. Es war längst nach Mitternacht und dennoch schlief hier kaum jemand. Er ließ einen abzweigenden Weg hinter sich, ebenso weitere Türen, bis er einen Fahrstuhl erreichte und träge die Taste drückte. In diesem Moment öffnete sich nicht weit entfernt eine Tür und Kandas Pupillen schweiften zur Seite, um dort zwei Finder zu erkennen, die einen der Räume verließen. Nur kurz beobachtete er sie, bevor er angespannt auf die Anzeige des Fahrstuhles starrte. Unterdessen waren die Beiden schon auf dem Weg und dieser führte an ihm vorbei.

Ihm war nicht danach, Gespräche zu führen, doch das war nichts Außergewöhnliches und nichts, was man nicht von ihm gewohnt war. Er rümpfte die Nase, schluckte und verfluchte innerlich die Kabine, die zu lange brauchte. Indessen hatten die Finder ihn erreicht und deutlich spürte er ihre Blicke, als sie an ihm vorbeizogen. Was möglich und wozu er imstande gewesen war, um äußerliche Beweise des Erlebten zu verbergen, hatte er getan und dennoch waren ihm die Strapazen und die Erschöpfung deutlich anzusehen. Er blinzelte müde, als sich endlich die Türen öffneten und trat in die Kabine, in welcher er sich aufgerichtet in der Mitte hielt, nicht auf die Kamera achten, die auf ihn gerichtet war. Diese Wände luden wirklich dazu ein, sich anzulehnen und er starrte vor sich hin, bis er das gewünschte Obergeschoss erreichte.

Nur noch die Meldung stand ihm bevor… er musste sich nur noch blicken lassen, bevor er die dringend notwendige Ruhe bekam. Er biss sich auf die zusammengepressten Lippen, vor ihm öffneten sich die Türen und er trat hinaus. Wieder drangen Schritte an seine Ohren und er bog nach rechts, um die Schritte kurz darauf zu verlangsamen. Seine Augen richteten sich auf einen Punkt und es verlangte ihm nicht viel ab, die bekannte Mimik aufzusetzen. Das erste Gespräch kam schneller auf ihn zu, als ihm lieb war.

Einen kleinen Zettel in den Händen wendend und das Gesicht zu diesem gesenkt, schlenderte Allen aus einem breiten Flur. Er vertiefte sich sehr in das Papier und dennoch bemerkte er Kanda sofort und blickte auf. Der junge Mann hatte sich wieder zum alten Tempo gezwungen, ebenso dazu, das Hinken zu unterbinden, was ihm völlig misslang. Der Junge hob unterdessen die Augenbrauen und ließ den Zettel sinken. Beinahe wirkte er überrascht.

„Kanda.“ Er ließ den Zettel in seiner Hosentasche verschwinden und starrte auf den blutverschmierten Mantel des jungen Mannes. Seine Mimik offenbarte Sorgen und sofort sprach er es aus. „Ist mir dir alles in Ordnung?“

Erwartungsvoll sah er ihn näherkommen, dennoch traf ihn lediglich ein knapper Blick, bevor Kanda an ihm vorbeizog. Eine Antwort erhielt er nicht und es überraschte ihn nicht, da Kanda bekanntlich vor allem nach anstrengenden Missionen keine Muse für Unterhaltungen hatte. Er drehte sich ihm nach.

„Ähm… Komui hat sich nach dir erkundigt“, rief er, bevor Kanda in dem Flur verschwand, aus welchem er soeben gekommen war.

„Ich weiß“, hörte er ihn nur murmeln und stieß ein beinahe lautloses Seufzen aus. Verschwiegen, wie eh und je. Vermutlich würde sich nie etwas daran ändern. Der Junge rieb sich die Nase, wandte sich ab und schlenderte weiter.

Kanda erreichte unterdessen eine recht große Tür. Ohne zu zögern griff er nach der Klinke, öffnete sie und lehnte sich in den dahinterliegenden Raum. Ein zermartertes Ächzen schlug ihm entgegen und müde klammerten sich die Forscher um ihre Kaffeetassen, während sich Berge von Arbeit auf ihren Schreibtischen stapelten und die Schicht einfach kein Ende nehmen wollte. Flüchtig sah sich Kanda um, seine Hand klammerte sich unscheinbar um die Klinke.

„Ah, Kanda.“ River rappelte sich auf und ließ die Tasse sinken. Auch die anderen wurden spätestens jetzt auf den Neuankömmling aufmerksam und River stellte seine Tasse auf einer freien Fläche des Schreibtisches ab. „Komui hat…“

„Wo ist er“, wurde er knapp unterbrochen.

„In seinem Büro“, kam die Antwort und bevor man fortfahren konnte, wurde die Tür wieder geschlossen. Kandas Haltung schwankte, als er sich von der Klinke löste und kurzen Halt an der Tür suchte. Er konnte kaum noch laufen und seine Lippen zischten einen leisen Fluch, bevor er die Hand vom Gestein löste und weiterhinkte. Der Weg zu jenem Büro war nicht weit und doch hatte sich sein Zustand immens verschlechtert, als er die Tür erreichte und anklopfte. Er hielt nicht mehr lange durch und hoffentlich stellte Komui nicht zu viele Fragen. Auch, wenn man es kaum glaubte, doch der Mann war nicht zu unterschätzen.

„Ja!“, kam sofort die Reaktion und er schöpfte tiefen Atem, bevor er auch diese Tür öffnete. Die am Boden liegenden Unterlagen raschelten, als sich Komui auf seinem Stuhl zurechtrückte und seinen Gast erkannte. „Komm rein“, winkte er ihn näher, rückte wieder zur Seite und lehnte sich zurück, um ein Blatt anzustarren, das sich in dem hinteren Bein seines Stuhles verfangen hatte. Er hörte, wie die Tür geschlossen wurde, wie Kanda näher trat und richtete sich wieder auf. Vor ihm stapelten sich alle möglichen Arbeiten und er nahm sich die Brille von der Nase, griff nach seiner Tasse und runzelte die Stirn, als diese leer war. Unterdessen blieb Kanda auf der anderen Seite des Schreibtisches stehen und Komui fand weitere Ablenkung in den vor sich liegenden Unterlagen, die er flüchtig musterte und zur Seite schob.

„Wenn ich mich nicht irre, habe ich vor mehr als zwanzig Stunden mit dir telefoniert und dich zurückbeordert. Also dachte ich, du wärst schon gestern Abend da“, murmelte er unterdessen und wirkte dabei dennoch in keiner Weise missgelaunt. Er war entspannt, so wie meistens.

Ja…

Kanda biss sich die Unterlippe und straffte die Schultern. Seine Mimik verharrte unbeteiligt.

„Auf dem Rückweg wurde ich in weitere Kämpfe verwickelt“, antwortete er und erschauderte, als sich seine Stimme unbeabsichtigt gedämpft und leise erhob. Sofort räusperte er sich und Komui schickte ihm einen knappen Blick, bevor er sich wieder den Unterlagen zuwandte, jedoch in jeglichen Bewegungen inne hielt. Er runzelte die Stirn, blickte abermals auf und schenkte Kanda seine vollendete Aufmerksamkeit. Seine Brauen verzogen sich, als er den blutverschmierten Mantel, das wirre Haar und die leichenblasse Miene musterte. Anschließend lehnte er sich zurück und registrierte die Haltung des jungen Mannes, die von wirklich gewaltigen Gefechten zeugte.

„Kämpfe welcher Art?“, erkundigte er sich.

„Lediglich Akuma des 1. Levels.“ Kanda umfasste das Handgelenk vor dem Steiß und starrte an Komui vorbei; der direkte Blickkontakt war ihm unangenehm. Komui nickte in sich hinein, schürzte die Lippen und streckte die Beine von sich.

„Ich frage nur, weil sich die Kämpfe in letzter Zeit vermehrt haben. Und nicht selten waren Angehörige des Noah-Clans involviert.“

Darauf antwortete Kanda nicht. Abwesend starrte er auf den Rücken eines dicken Buches, während er noch immer gemustert wurde. Ein Schweigen brach über sie herein und Komui beendete dieses mit einem leisen Seufzen, mit welchem er sich wieder aufrichtete und an den Zetteln zu rücken begann.

„Jeder Exorzist sollte imstande sein, sie zu erkennen und jede Begegnung sollte sofort gemeldet werden.“

„Verstanden.“ Als Kandas Augen zu brennen begannen, blinzelte er müde, riss sich von dem Buch los und zog die Nase hoch. Es verlangte ihm viel ab, sich auf den Beinen zu halten und er hoffte, schnell entlassen zu werden. Doch Komui machte keine Anstalten, ihn gehen zu lassen. Die Unterlagen waren nicht mehr dazu imstande, ihn abzulenken und kurz darauf wies er mit einem Nicken auf den Mantel.

„Bist du verletzt?“ Eine gewisse Besorgnis sprach aus seiner Stimme und Kanda wurde auf die Geste aufmerksam. Langsam senkte er den Kopf und betrachtete sich das trockene Blut, welches sich in den Stoff gesogen hatte.

„Nicht meins“, log er und achtete diesmal auf seine Stimme. Er musste glaubwürdig klingen und zwang sich anschließend zu einem festen Augenkontakt. Komui wirkte erwartungsvoll und er räusperte sich wieder. „Der Rest ist nicht schlimm.“

Ein Zögern vonseiten Komui beunruhigte ihn, doch nach wenigen Augenblicken nickte der Ältere erleichtert.

„Das ist gut. Ähm…“, wieder griff er nach der leeren Tasse, „… der Bericht?“

„Nachher.“

„Mm.“ Die Tasse war immer noch leer und Komui brummte verdrießlich. „Ja, das ist in Ordnung. Ruh dich erst einmal aus.“

Somit hob er die Hand und gab endlich das Zeichen, dass er gehen konnte. Kanda brachte lediglich ein undeutliches Nicken hervor, Komui starrte wieder auf die Zettelwirtschaft und ein fieberhaftes Blinzeln kehrte Kandas inneren Kampf nach außen, als er sich zu bewegen begann. Seine Hände lösten sich voneinander und er wandte sich ab… als ein Schwindel das Bild der Umgebung vor seinen Augen verzerrte und seinen Beinen kurz die Orientierung nahm. Komui hatte abermals aufgeblickt und beobachtete das ungelenke Straucheln, wie sich der Körper zur Seite neigte und die blasse Hand rasch Halt auf der Lehne des Sofas suchte. Langsam griff er nach einem Füller und kratzte sich mit diesem am Kinn. Unterdessen hatte Kanda das Gleichgewicht wiedererlangt und ohne zurückzublicken humpelte er zur Tür. Komui studierte jeden einzelnen Schritt und der junge Mann kam nicht weit, bevor er es nicht mehr ertrug.

„Kanda?“

Die Befürchtung bewahrheitete sich und das Gesicht des Angesprochenen verzog sich verbissen, bevor er sich langsam umdrehte. Den Füller zwischen den Fingern bewegend, starrte Komui ihn an, starrte in die glasigen Augen.

„Soll ich dir nicht vielleicht doch Bookman vorbeischicken?“

„Nicht nötig.“

„Ah…“ Von wirklicher Überzeugung konnte nicht die Rede sein, doch es blieb ihm nichts anderes übrig. „Dann ruh dich aber wirklich aus.“

„Ja.“ Kandas Stimme durchbrach kaum die Stille des Raumes und Komui ließ den Stift sinken, als er sein Büro verließ. Der schmale Körper schob sich durch den Spalt, die blasse Hand zog die Klinke mit sich und klackend schloss sich die Tür. Die Mimik des Abteilungsleiters wurde von Nachdenklichkeit befallen und mit einem tiefen Atemzug wandte er sich wieder seiner Arbeit zu.
 

Als sich die Tür zu dem steinernen Zimmer öffnete, wurde dieses in die Helligkeit des Flurs getaucht und ein Schatten ließ das Licht an den Wänden zittern, als sich Kanda in seinen Raum schob. Seine Hand suchte Halt auf der Türklinke, seine Füße ertasteten ungelenk den Boden und er lehnte sich gegen die Tür, um diese schließen zu können. Nun war er an dem Ort, nach dem er sich Stunde um Stunde gesehnt hatte und ein gedrungenes Ächzen drang aus seinem Hals, als er einen Schritt auf das Bett zuging, währenddessen das Katana ergriff und es unter dem Gürtel hervorzog. Noch ein schleppender Schritt, bis er es seinen Knien endlich erlauben konnte, nachzulassen und zu Boden ging. Er sank in sich zusammen, seine Augen schlossen sich verkrampft und mit vor Schmerz zusammengebissenen Zähnen beugte er sich nach vorn, stemmte sich auf die Ellbogen und räkelte sich benommen unter der Pein seiner Verletzungen. Laut brach sich sein röchelnder Atem an den steinernen Wänden, während er die kostbare Waffe behutsam neben sich auf dem Boden ablegte und das Kinn auf die Unterarme sinken ließ. Sein schmaler Leib hob und senkte sich unter heftigen Atemzügen und zischend entließ er einen Teil der Schmerzen. Die Kälte des Bodens zog ihm entgegen und er schmiegte sich an ihn, ließ seinen Körper kraftlos zur Seite fallen, wälzte sich auf den Rücken und streckte die Beine aus, als er lag. Betäubt regte er sich, blinzelte unter dem Licht des durch das Fenster herein scheinenden Mondlichtes und verdeckte kurz darauf die Augen mit der Hand. Hier endete alles… der dumpfe Gedanke rumorte in seinem Kopf und er fühlte sich dem Tod so nahe, wie noch nie zuvor.

So abscheulich…

Keuchend blieb er liegen und sein Kopf, der sich nun nicht mehr auf die Schritte und die heuchlerisch gefestigte Haltung konzentrieren musste, widmete sich allmählich dem Durchlebten. Er hatte es verdrängt, um nicht den Verstand zu verlieren. Den gesamten Weg über hatte er sich nach seinem Zimmer gesehnt und hier alles angestaut, um sich den Tatsachen nun zu ergeben. Seine Zähne verharrten verkrampft aufeinander, gehetzter Atem stieß durch sie hindurch und als er stockend die Beine anwinkelte, signalisierter sein Körper, dass er diese Haltung nicht ertrug. Stockend kämpfte er damit, sich zur Seite zu drehen, bettete das Ohr auf dem Arm und starrte auf das geschliffene Gestein der dunklen Wand.

Noch nie hatte er hier gelegen…

Diesen Teil des Bodens hatten stets nur seine Füße berührt und nun tat er es mit allen quälenden Gliedern. Blinzelnd schloss er die Augen, seine Hand ertastete das bleiche Gesicht und rieb es. Er spürte kalten Schweiß auf seiner Haut und die Fingerkuppen glitten zurück zum Ohr. Es schmerzte noch etwas, ertrug keinen Druck und er betastete sein Ohrläppchen, nur, um zusammenzuzucken und die Hand zurückzuziehen. Die Lippen hatten es gestreichelt, umspielt, die Zähne neckend nach ihm gebissen und er verzog die Miene, um das rasch aufkeimende Gefühl der Übelkeit zu unterdrücken. Doch bei jedem Luftholen spürte er die Bewegung seiner Brust, die vergangenen Berührungen, denen die Haut brennend nachweinte. Seine Knie, seine Oberschenkel… warm hatte sich die Hand auf diesem gebettet, bevor…

Ein dumpfes Zischen stieß zwischen seinen Zähnen hindurch und dumpf ging die geballte Faust auf den Boden nieder. Er spürte den Schmerz nicht, nur seine zitternden Knie und die Kälte des Gesteins, welches allmählich auf seine Glieder überging. Sollte es ihn lähmen und frieren lassen! Zitternd öffnete er die Faust, zog die Hand zurück und presste sie auf die Uniform, auf seinen Bauch.

>Wie!!<, schrie es gellend in ihm, wie es seine Stimme nicht mehr vollbracht hätte. >Wie konnte das passieren?!!<

Kämpfe um Kämpfe hatte er geschlagen, schwere Wunden davongetragen, sich dennoch behauptet und sich stets wieder erhoben!

… und er blieb liegen und verzerrte die Miene.

Die Schmerzen waren nebensächlich… ja, er war sie gewohnt und würde sich auch an diese Neuartigen gewöhnen. Es war etwas anderes, das ihn zerstörte!

Weshalb war dieser Kampf so anders gewesen?!

Weshalb der Gegner so berechnend?!

Er fühlte sich einem Spiel ausgeliefert, dessen Regeln er nicht kannte!

Und wie blind hatte er sich auf den Feind gestürzt, ohne seine Absicht zu erkennen!!

Ein kraftloser Fluch kam über seine Lippen und er drehte sich auf den Bauch, stemmte die Brust auf die angewinkelten Arme und bettete die Stirn zurück auf den Boden.

Weshalb war er nicht tot?!

Eine Niederlage wusste er in manchen Fällen zu verkraften, doch…

… nicht so eine!!

Er stoppte den Atem und seine Zähne knirschten, während sich die wirren Strähnen seines Haares über den Boden schlängelten, seine Wangen kitzelten.

Die Existenz einer solchen Demütigung hatte er für sich selbst nie angenommen. Seine Gedankenwelt umfasste nicht diese Gebiete und umso erschreckender war die Tatsache, dass man ihn wie eine Frau…

Ihn!!

Dass Berührungen fremder Lippen… fremder Hände… eine solche Folter darstellen konnten…

Er hatte es nicht gewusst. Nicht einmal in den tiefsten Gefilden seiner Alpträume.

Sein Gesicht entspannte sich, als die Muskeln die Kraft verließ und ermattet blieb er liegen.

Er wollte schreien… er wollte toben, wüten, die unbeschreibliche Wut dieser Entwürdigung aus sich herausbrüllen! Doch seine Stimme versiegte in einem gebrechlichen Murmeln, als er sie erhob. So hilflos… dass er nicht einmal auf seinem Weg versuchen konnte, all das zu verarbeiten…? Damit umzugehen, um möglicherweise darüber hinwegzukommen…?

Der Schock saß noch in all seinen Gliedern, die Angst, dass Erinnerungen die Einzelheiten zurückbringen könnten.

Warum lebte er noch…?

Matt ballten sich die Hände unter seinen Schultern zu Fäusten und er versuchte den Kopf zu heben, nur, um sich selbst in diesem Vorhaben scheitern zu sehen. Er konnte sich nicht mehr bewegen, alles in ihm war erstarrt und als er die Augen öffnete, verschwamm die Struktur des steinernen Bodens.

Seine Zähne lösten sich voneinander, seine Lippen öffneten sich einen Spalt weit. Zitternder Atem strich über sie. Nun leise und kränklich.

Er… für ihn hatte körperliche Nähe nie existiert. Nie ein Gedanke daran seinen Kopf durchstreift. Nie die Absicht, nie das Verlangen. Nicht einmal für diese Vorstellung hatte er sich Zeit genommen. Sie war nichtig und unbedeutend. Nichts, das ihn beschäftigen musste.

Sein Leben bestand aus anderen Faktoren… aus Gefahren, Herausforderungen, Pflichten… er nahm sie alle ernst und bezeichnete sie als seine Existenz. Sein Dasein auf dieser Welt.

Und nun hatte man seine Grenzen überschritten und alles, was ihn ausmachte. Nicht umsonst suchte er Distanz zu anderen Menschen, nicht umsonst war er gern auf sich selbst angewiesen und folgte eigenen Plänen.

Er würgte ein trockenes Schlucken hinunter… spürte den unersättlichen Durst, den er bislang mit Nichtbeachtung aus seinem Empfinden verstoßen hatte.

Wie sollte es nun weitergehen…?

Wie sollte er mit etwas umgehen, worauf er nie vorbereitet worden war?

Für alles gab es Richtlinien, Notlösungen… aus jeder Situation führte ein vorgeschriebener Weg.

Was führte ihn aus dieser…?

Seine Brauen zuckten und hilflos richteten sich seine Pupillen zurück zur Wand. Sein Kopf sank zur Seite und abermals starrte er auf das Gestein.

Was sollte er tun…?

Welchen Weg konnte er gehen, ohne auch den letzten Stolz zu verlieren, indem er sich jemandem anvertraute? Welchen Weg konnte er… alleine gehen? Auf seinem Pfad gab es keinen Platz für einen zweiten und von dieser Position aus, wollte er nicht noch tiefer fallen.

„Mmm…“, er blinzelte schläfrig, seine Zähne bekamen die Unterlippe zu fassen, begannen sie zu bearbeiten.

>Tyki…<

Wie ein Schreckgespenst kam ihm dieser Name in den Sinn. Wie eine ihn verfolgende Plage und seine Augen weiteten sich starr.

Der Noah-Clan also…

Ein Gegner, der nicht alleine kam.

Allein gegen einen von ihnen war er kläglich gescheitert!

Er verfluchte sich und sein Pflichtbewusstsein und stellte sich die Frage, ob er das Schwert nicht vor dem ersten Angriff hätte sinken lassen, hätte er gewusst, wie dieses Treffen enden würde. Es wäre zu keinem Kampf gekommen, eher noch zu einer Verabschiedung und Schritte, die in unterschiedliche Richtungen fortführten. Nichts hätte bewiesen, dass sie sich gesehen hatten… nichts hätte ihn verraten…

Er befeuchtete die trockenen Lippen mit der Zunge, blinzelte unter einer Strähne, die von seiner Stirn glitt.

Er hätte nun hier gesessen… ja, er sah sich dort auf dem Bett. Unbeschadet und dennoch mit finsterer Miene, unter Schuldgefühlen und vermutlich auch Reue leidend und doch wohl auf. Ein Leid, von dem er sich mit weitaus geringerem Wert freikaufen könnte.

Er hatte einen Fehler begangen…

Ein Fehler…

Ein verfluchter Fehler!

Der bittere Geschmack der Einsicht legte sich auf seine Zunge und nicht einmal die feige Art dieser Gedanken ließ ihn zurückschrecken.

Er hätte es anders gemacht… ganz anders… anders gehandelt und nun auch anders gedacht. Nicht sein Gegner hatte es herausgefordert… er hatte ihm selbst die Freiheit übergeben, zu tun und zu lassen, wonach es ihm beliebte.

Und er hatte es getan.

Sein Magen meldete sich rumorend und er öffnete die Augen. Sein Zustand war erbärmlich und jedem ersichtlich. Unter dem mitgenommenen Stoff des Mantels verbarg sich widerwärtiger Schmutz und er spürte, wie die Galle in ihm höher stieg, bei auch nur einem Gedanken daran. Er konnte nicht mehr denken, nichts anderes mehr bezwecken, als sein beschädigtes Selbstbild zu zerstören und somit das Letzte, was ihm geblieben war. Das Sinnieren schweifte unbändig in die Richtung des Wutausbruches und es würde ihn wahnsinnig machen, auch nur einen weiteren Moment hier liegen zu bleiben.

Aufstehen… er musste wieder laufen… weitergehen…

Und doch verharrte er reglos und zog die Nase hoch. Er war nicht mehr in der Verfassung, große Wege zu bewältigen, doch zu einem musste er sich noch zwingen.

Reinigung… wenn sie auch nur äußerlich war…

Seine Haut lechzte nach ihr und der Gedanke an heißes Wasser, das sich versengend auf seine Haut legte, alles Schändliche fort wusch, zwang ihn zu weiteren Bewegungen.

Nicht nachdenken… kein Gedanke!

Er presste die Lippen aufeinander und seine Schulter begehrte schmerzhaft auf, als er sie gnadenlos beanspruchte, sich mit beiden Armen in die Höhe stemmte und kniete. Die Wut, die nicht über die schwache Hülle Herr werden konnte, ließ dennoch seinen Atem rasen und er rang nach Beruhigung, als er sich zu seinem Bett neigte, mit zittrigen Händen ein breites Schubfach ergriff und dieses hervorzog. Er tat sich schwer, rutschte etwas näher und tastete zwischen den wenigen persönlichen Habseligkeiten nach sauberer Kleidung, die er schnell fand, ergriff und hervorzog. Somit schob er das Schubfach zurück, tastete sich über die Kante der Matratze und fand eine Hilfe in ihr, um auf die Beine zu kommen. Keine weitere Stunde ertrug er es, diese Kleidung auf der Haut zu tragen, keine weitere Stunde auch den Zustand seiner Haut… es war widerwärtig und er gönnte sich keine Zeit, um mögliche Kraft zu schöpfen, suchte strauchelnd das Gleichgewicht und verließ das Zimmer.

Die Duschen…

Er erreichte sie nach einem kurzen und ereignislosen Weg und fand sie verlassen vor. Es war seltsam, da die Männer der Wissenschaftsabteilung stets in soviel Arbeit steckten, dass sie fast in jeder kleinsten Pause hier anzutreffen waren. Sich mit der einen Hand an den weißen Fliesen entlang tastend, in der anderen Hand die Kleidung, näherte er sich einer der Kabinen. Vermutlich hatten sich die Forscher heute auf den Onsen fixiert. Prüfend blickte er sich ein weiteres Mal um, bevor er die Kleider auf eine nahe Bank warf und sogleich nach dem Gürtel tastete. Eine Dusche würde sicher gut tun und der anschließende Schlaf ebenso. Er würde sich die nötige Ruhe nehmen, neue Kräfte schöpfen und sich sofort um einen neuen Auftrag bemühen, um notwendige Ablenkung zu genießen.

Vermutlich würde der Alltag ihm in der Problembewältigung eine Hilfe sein…

Er betete, dass dem so war, setzte seine Hoffnung in diese Sache und wüsste nicht, was er tun würde, würde er keinen Erfolg darin haben.

Er schonte seine Arme, ließ den Mantel an ihnen hinabrutschen und versuchte die Stiefel loszuwerden, ohne sich zu bücken. Abermals suchte seine Hand den Halt der Wand und ungelenk versuchte er die Beine zu bewegen, aus den Stiefeln zu schlüpfen, um nach wenigen Augenblicken stöhnend den Kopf sinken zu lassen. Natürlich ging es nicht und er schöpfte mit einem tiefen Atemzug Kraft, bevor er sich tief hinabbeugte und nach den Schnallen tastete. Selbst sein Rücken schmerzte unter dieser Bewegung er biss sich auf die Unterlippe, als er die Riemen ertastete und öffnete. Endlich gelang es ihm dann, die Füße zu befreien und seine Augen fixierten sich starr auf den Sichtschutz der Kabine, als er die Hose öffnete. Er nagelte seine Aufmerksamkeit auf das dunkle Holz und streifte den Stoff hinab. Er wollte sich nicht vorstellen, wie es aussah und stieg aus der Hose und den Shorts, um sie unbeachtet liegen zu lassen. Ungeschickt tasteten sich seine nackten Füße über den kalten Boden und träge schob er sich in die Kabine, um sofort nach dem Ventil zu tasten. Seine Lider senkten sich, ein leises Quietschen ertönte und wie ein Schlag prasselte eiskaltes Wasser auf ihn herab, unter dem er genießerisch aufkeuchte. Ein angenehmer Schock durchstob seinen Körper und stockend betteten sich seine Hände an den Fliesen, als er näher unter den Strahl trat, den Kopf zurücklegte und in dem lauten Rauschen des Wassers versank.

Schnell wurde dieses warm, heiß und sein Atem schallte in dem weißen Dunst, der kurz darauf aufstieg. Nass schlängelte sich das lange Haar über seine Schultern, haftete auf seiner Stirn und glitt zur Seite, als er das Wasser auf diese prasseln ließ. Und es tat gut. Die Existenz der Umwelt schwand aus seinem Bewusstsein und nach wenigen Momenten beugte er sich weiter, setzte die Stirn zwischen den Händen gegen die Fliesen und ließ seinem Rücken die angenehme Massage zukommen. Er spürte es förmlich… wie sich blutige Rinnsäle seine Beine hinabschlängelten und im Abfluss versiegten. Seine Schultern hoben und senkten sich unter einem genüsslichen Atemzug und schwelgend blieben seine Augen geschlossen, um sich in diesen Augenblick zu vertiefen, in dem er wieder genoss und all die Gründe, weshalb er nun hier war, in die Vergessenheit drängen konnte.

Vorsichtig streckte er die Beine durch, widerstand dem Brennen, als das Wasser einen jeden Zentimeter seines Körpers umspülte. Er rollte mit den Schultern, schürzte die Lippen und konzentrierte sich darauf, nicht einzuschlafen. Die Wärme und das damit folgende Gefühl der Geborgenheit drohten ihn in diesen Zustand zu versetzen und als er die Schwere seiner Lider spürte und wie sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnten, da öffnete er sie, blinzelte müde und löste sich von der Wand. Ebenso tat dies eine Hand, die sich daraufhin nach der Seife ausstreckte und sie ergriff. Zuerst abwesend, dann zielstrebig fuhr er mit dem Stück über seine Schultern, seine Arme, seinen Hals und das Gesicht, nahm sich trotz der Erschöpfung Zeit und vernachlässigte keine Stelle. Apathisch fixierten seine Augen eine dunkle Fuge zwischen den Fliesen, als er sich zwischen den Beinen wusch und die Zähne zusammenbiss. Selbst die eigenen Berührungen schmerzten…

Dennoch tat er es immer und immer wieder, verbrachte viel Zeit unter dem rauschenden Wasserstrahl und wurde sich bald der Tatsache bewusst, dass er nie zufrieden sein würde, soviel er sich auch wusch. Etwas würde zurückbleiben und keine Seife konnte etwas daran ändern. Er wusste nicht, wie lange er sein Körper dem Wasser ausgesetzt hatte, als er wieder das Ventil ergriff und es zudrehte. Die Müdigkeit hatte rapide zugenommen und er hielt sich fest, als er die Hand an dem hölzernen Sichtschutz vorbeistreckte und nach einem der Handtücher tastete.
 

Die Stiefel an der Hand baumeln lassend, die anderen Kleider unter den Arm geklemmt, machte er sich auf den Rückweg zu seinem Zimmer. Das frische weiße Hemd und die saubere Hose waren angenehm auf der gereizten Haut und er hielt sich nahe an der Wand, als er barfuss die Gänge hinter sich ließ, apathisch seinem Ziel folgend und auf niemanden achtend. Vermutlich kamen ihm Menschen entgegen, vermutlich starrten sie… Kanda wusste es nicht, als er endlich seine Tür öffnete, strauchelnd das Zimmer betrat und die Kleider an Ort und Stelle fallen ließ, um abwesend zum Bett zu gelangen. Seine Augen wirkten abgestumpft, eines jeden Ausdruckes beraubt und absent, als seine Hand die Decke ergriff und sie anhob. Stockend und lahm schob er sich unter sie, schloss bereits die Augen und drehte sich auf die Seite, sofort in dieser Haltung verharrend. Nur die Beine winkelte er etwas an, zog die Decke bis zum Kinn und spürte das weiche Kissen unter seinem schmerzenden Ohr. Somit blieb er liegen, atmete ruhig und schwach durch die leicht geöffneten Lippen und zog die Arme nahe zu sich an den Körper, presste sie an die Brust und kroch in sich zusammen, während er aller Erschöpfung nachgab.

Später, wenn die Sonne aufging und sich das volle Leben im Hauptquartier zeigte, würde er sich unter die Menschen mischen, in ihrer Menge untergehen… und einer von ihnen sein. Nicht mehr und vor allem nicht weniger. Es sollte sein wie immer und seine rauen Lippen formten stumme Worte, als sein Bewusstsein sich gegen die letzte Beanspruchung wehrte und er binnen weniger Momente dem tiefen Schlaf verfiel.

Er driftete hinab in eine angenehme Finsternis, die milde Wärme für ihn bereit hielt, ihn umfing und in sich einschloss wie in einen Kokon, der vor den Grausamkeiten der Außenwelt Schutz bot. Nichts konnte ihn erreichen, nichts ihm Schmerz zufügen und reglos verbarg sich der junge Körper unter der Decke. Die Schulter hob und senkte sich ruhig und eine herab gerutschte Haarsträhne bewegte sich unter den warmen Atemzügen, die über die blassen Lippen hinweg strichen. Entspannt war die Miene des jungen Mannes, gelöst gesenkt die Lider und erst nach einigen Augenblicken begann er sich etwas zu regen. Das Ohr suchte eine weichere Stelle des Kissens, die Lippen bewegten sich flüchtig und ein ungewisses Murmeln drang aus seinem Hals.

Kalt und hell warf das Mondlicht Schatten auf den steinernen Boden, matt schimmerten die blassrosanen Blätter der Lotusblüte, die sauberes Glas umgab und die goldenen Stützen der kunstvollen Sanduhr verdunkelten sich, als eine Wolke den Mond hinter sich verbarg. Ein leises Keuchen erhob sich in dem Raum, ein langer Atemzug folgte und die Schulter regte sich ziellos unter der Decke, bevor sie wieder bewegungslos verblieb. Glitzernd hatte sich neuer Schweiß auf der blassen Stirn des jungen Mannes gebildet und fröstelnd schob sich sein Körper tiefer unter die Decke. Eine plötzliche Unruhe schien ihn zu befallen, selbst nach den wenigen Augenblicken offenbarte sie sich in einer Intensität, die etwaige Entspannung gar nicht erst aufkommen ließ. Die Decke regte sich unter den ziellosen Bewegungen der Glieder. Unerwartet suchte die Anspannung einen jeden Muskel heim, fahrig spreizten sich die Finger, ballten sich die Hände zu Fäusten und verharrten. Auch der Atem des jungen Mannes verschnellerte sich Besorgnis erregend, wandelte sich alsbald in ein fortwährendes Keuchen, unter dem sich der Oberkörper bebend wand. Und als würden die Augen alles andere vor sich sehen, als die Dunkelheit und die Finsternis des Schlafes, wechselten sie von einer Seite zur anderen, ließen die geschlossenen Lider zucken… sich regen.

Ein ersticktes Ächzen drang aus seinem Hals und unter einem gequälten Stöhnen stemmte er den Rücken durch, tastete nach der Decke und schloss diese in verkrampftem Griff ein. Heftig zerrten seine Hände an dem Stoff, weit öffnete sich sein Mund und unverständliche Wortfetzen entrannen ihm, als er das Gesicht zur Seite warf, es fahrig gegen das Kissen schmiegte und nach Atem rang. Seiner Lunge schien es schwer zu fallen, an diesen zu gelangen, zitternd verstärkte sich sein Griff in den Stoff und orientierungslos bewegten sich seine Beine unter ihm. Der gesamte Körper des jungen Mannes wurde von Keuchen und Schrecken erschüttert und laut durchschnitt ein rasselnder Schrei die Stille des Raumes, als sich seine Augen aufrissen. Geweitet kamen seine Pupillen zum Vorschein und heftig fuhr er in die Höhe, saß aufrecht im Bett und stöhnte verstört in der Dunkelheit. Heiß glühte der Schweiß auf seiner bleichen Stirn und das Entsetzen ließ ihn nach dieser Bewegung erstarren. Beißend hatte sich der Schmerz in seiner Hüfte aufgebäumt und nach einem erstickten Ringen nach Luft, lösten sich die Hände aus der Decke, fanden zum Unterleib und pressten sich auf diesen. Wirr schlängelten sich die Strähnen des Haares über seine Schultern und nur stockend schien er die Realität wahrzunehmen. Er war wieder hier… in seinem Zimmer… der Traum endete abrupt und ließ ihn hier fassungslos zurück. Seine Augen begannen zu brennen und benommen blinzelte er sich frei von den Hirngespinsten, schüttelte den Kopf und presste die Lippen aufeinander, um den rasselnden Atem zu unterbinden. Es schmerzte… der Druck seiner Hände auf den Unterleib verstärkte sich und kraftlos neigte er sich nach vorn.

Was war das…?

Träume erreichten ihn nur selten… Erlebtes verarbeitete er schnell und war an einen ruhigen Schlaf gewöhnt. Doch es war nicht verwunderlich und verkrampft versuchte er sich davon zu überzeugen, dass Träume falsch waren… und wenn, nur die Vergangenheit offenbarten.

Verzweifelt schüttelte er den Kopf, löste eine Hand von seinem Unterleib und verbarg das Gesicht unter ihr.

Die Vergangenheit…

Ein heftiger Atemzug ließ ihn erbeben und er kannte keine Antwort, keine Erklärung…

Orientierungslos pendelte er von Erinnerungen zurück zur Realität und keine nahm der anderen etwas an Grausamkeit. Er würgte ein trockenes Schlucken hinab, kämpfte gegen den Druck an, der sich in seinem Hals ausbreitete, sich bis hinab in seine Brust drängte. Matt löste sich seine Hand unterdessen etwas vom Unterleib, begann diesen beruhigend zu reiben. Pochend stach der bittere Nachgeschmack an den Traum in seinem Kopf und gepeinigt neigte er sich etwas zur Seite, löste die Hand vom Gesicht und starrte hinab auf die Decke, die seine Beine wärmte.

Er fühlte sich so ausgelaugt, wie zuvor… wenn nicht sogar schlimmer.

Weshalb…?

Es konnte nicht einmal eine halbe Stunde gewesen sein und die Reaktion seines Körpers auf das Wahrgenommene brachte beinahe scharfe Ironie zustande. Ein guter Wille, die Kapitulation seiner Glieder und sarkastisch setzte man ihm ein Resultat vor, mit welchem er nicht gerechnet hatte.

Weshalb gönnte man ihm keine Ruhe…?

Verbissen schloss er die Augen, legte die Faust gegen die Stirn und versuchte sich in einem tiefen Durchatmen zu sammeln. Gut… weiter…

Nicht stehen bleiben.

Das Mögliche hatte er versucht, dem Dringenden nachgegeben und nun war er an dem Punkt angelangt, an welchem er nicht vielmehr ausrichten konnte. Er war hilflos, selbst dem eigenen Körper gegenüber, dem ihm stets treue zu Diensten gewesen war. Verbittert zerrte er die Decke zur Seite, spürte die Kälte auf seinen Beinen und setzte sich auf. Die Pein seiner Hüften ließ nicht nach, als er zur Bettkante rutschte und nach dem Schlussstrich suchte, den er unter all das setzen konnte. Der Traum war vorbei. Es war vorbei und er war hier in der Wirklichkeit. Benommen fuhr er sich mit dem Unterarm über die Stirn, wischte den Schweiß fort und rieb sich die Augen. Wenn man ihm diesen Schlaf versagte, dann wandte er sich eben anderen Dingen zu. Ungelenk tasteten seine Hände nach dem langen Haar. Er spürte es kaum auf der Haut, als er es zurückstreifte und gleichsam in die Stiefel stieg. Noch immer lag die tiefe Nacht vor seinem Fenster und seine geröteten Augen durchschweiften ziellos den Raum, als er den straffen Zopf band, annähernd fieberhaft nach dem oberen Knopf des Hemdes tastete und diesen einhakte.

Das Hemd war etwas zerknittert, das Haar hing strähnig vor seinem Nacken und seine Schultern knackten, als er sich vorsichtig hinabkniete und die Riemen der Stiefel straffte. Er musste raus aus diesem Zimmer, das Scheitern des Schlafes in Tätigkeiten ertränken, die hier nicht lange auf sich warten ließen. Bald würde es zum Tag dämmern… ewig konnte die Nacht nicht andauern und er verzog das Gesicht, als er wieder auf die Beine kam, sofort die Tür öffnete und unter dem hellen Licht des Treppenhauses blinzelte. Seine Augen widersetzten sich den Lampen stechend und er beschattete sie mit der Hand, als er die Tür hinter sich schloss und seiner Wege ging.

Seinem Körper war keine erhebliche Entspannung zugekommen und doch hatte er bei jedem Schritt das Gefühl, die unerträglichsten Schmerzen hätten sich gemildert. Zumindest solange, wie er aufrecht stand und ging. Ein leichtes Humpeln gestaltete es umso erträglicher und er versuchte nicht dagegen anzukämpfen. Verletzungen gab es hier oft und es würde nicht sehr viel Zeit in Anspruch nehmen, bis sich sein Leib ausreichend regeneriert hatte, um sich auch um diese Verletzungen zu sorgen. Ein leichter Kopfschmerz begleitete ihn, als er um eine Ecke bog und er rieb sich die Schläfen. Trotz dem Wunsch nach Ablenkung und Taten, setzte er sich keiner anstrengenden Hast aus. Monoton schallten seine Schritte in den Gängen und verlangsamten sich erst, als er sein Ziel erreichte. Blinzelnd bekämpften seine Augen die verschwommene Sicht und die Müdigkeit. Er rieb sie, ließ beide Hände sogleich über die Stirn gleiten und strich sich die letzten verirrten Haarsträhnen zurück. Nach dieser Bewegung verlangte seine verletzte Schulter bereits wieder nach Erholung und er ließ den Arm sinken, während er die große Tür öffnete. Das Rascheln vieler Zettel drang ihm abermals entgegen und Geräusche, die von wahrlich großem Tatendrang zeugen mussten. Langsam schob er sich in das dahinterliegende Zimmer und die Wissenschaftler unterbrachen ihre impulsive Diskussion, als sie den erneuten Gast bemerkten. Ohne die Aufmerksamkeit zu erwidern, schloss Kanda die Tür hinter sich und River lehnte sich aus seinem Stuhl, unterdrückte sichtlich ein Gähnen. Ein Tablett auf den Unterarm gestützt, lehnte auch Linali an einem der Schreibtische und gierig schnappte sich Johnny den Kaffee, den sie ihm soeben gereicht hatte.

„Willkommen zurück“, wurde Kanda vom Leiter der Wissenschaftler begrüßt und antwortete mit einem knappen Nicken. „Komui ist immer noch in seinem Büro, falls du ihn wieder suchst.“

Doch Kanda hatte bereits eines der Regale erreicht, neigte sich zu einem Schubfach und begann zwischen dicken Mappen zu tasten.

„Mm-mm“, brummte er nur und Linali setzte das Tablett auf dem Schreibtisch ab, um die annähernd erschrockene Musterung fortzusetzen. Auf welche Art und Weise sich Müdigkeit in Kandas Gesicht offenbarte, wusste sie zu deuten, doch eine solche krankhafte Blässe hatte sie lange nicht mehr gesehen. Hinter Kandas Rücken tauschte sie einen flüchtigen Blick mit Johnny, der sich jedoch lieber der Tasse zuwandte. In diesem Augenblick zog Kanda einen Block hervor und River rückte sich auf seinem Stuhl zurecht.

„Ich will nur meinen Bericht schreiben.“ Träge ließ er den Block sinken und sah sich nach passenden Schreibutensilien um, die hier überall zu finden waren. Seine Augen erfassten das Zittern der eigenen Hand, als er nach einem kunstvollen Füller tastete, diesen jedoch flink ergriff. In diesem Moment erwachte Tapp Topp unter einem lauten Gähnen und rappelte sich von seiner Arbeitsfläche auf, auf der er es sich bequem gemacht hatte. Auch River wandte sich seinen Unterlagen zu und ein knappes Grinsen zog an seinen Lippen.

„Und das morgens um 5. Das nenne ich Pflichtbewusstsein.“ Schmunzelnd griff er nach einer Kopie und die Augen der jungen Frau folgten Kanda, der sich mit gesenkten Schultern zu einigen freien Arbeitplätzen aufmachte.

„Kanda?“, erhob sich ihre Stimme, noch ehe sie es beabsichtigte und der Angesprochene warf den Block auf eine freie Stelle des Tisches, lugte zu ihr. „Magst du auch einen Kaffee?“

„Mm-mm.“ Nur ein Kopfschütteln und schon zog die blasse Hand den Stuhl zurück.

„Oh… gut.“ Die junge Frau hob die Augenbrauen, räusperte sich leise und wandte sich dem Tablett zu, auf dem nur noch eine Tasse übrig geblieben war. Heiter grinste ein rosa Hase sie an und nach einem weiteren besorgten Blick zu Kanda, ergriff sie das Tablett und machte sich auf den Rückweg zur Tür. Unterdessen hatte sich Kanda auf das weiche Polster des Stuhles sinken gelassen. Bedacht hatte er einen gewählt, der es ihm leichter machte und dennoch verzerrte sich seine Miene unauffällig, als er saß, die müden Beine von sich streckte und die Finger bewegte, um dem Zittern Einhalt zu gebieten. In seinem Rücken wurde die Diskussion nun fortgesetzt und das Rascheln vieler Blätter drang an seine Ohren, als er sich selbst an die Arbeit machte. Nun, wo er sich mit dem vergangenen Auftrag zu beschäftigen hatte, wurde er sich der verschwommenen Erinnerung bewusst. Einzelne Tatsachen schienen ihm sogar gänzlich entfallen zu sein und lange bearbeiteten seine Zähne die Unterlippe, bevor er sich stockend über den Block beugte und zu schreiben begann. Die Lärmkulisse, die hier herrschte, tat ihm gut. Selbstverständlich stellte sie auch eine Belastung dar, doch jede andere war ihm bei weitem lieber und nicht umsonst hatte er sich diesen Ort ausgesucht, hätte er auch an jedem anderen schreiben können, wo ihm Ruhe zuteil wurde.

Ruhe, auf die er unbedingt verzichten wollte.

Er brauchte sich nicht für sein Hier sein zu rechtfertigen. Er wollte nicht alleine sein und anstrengende Gesellschaft zu finden, war hier nicht schwer.

Bald darauf leistete auch Rokujugo den Wissenschaftlern Gesellschaft und Kanda zuckte zusammen, als in der Hektik eine Tasse zu Bruch ging. Nur ein unerwartetes Klirren und doch… annähernd entglitt seiner Hand der Füller und von der eigenen Schreckhaftigkeit erschüttert, starrte er kurze Zeit nur auf das Blatt.

„Johnny!“

„Es tut mir leid, es tut mir leid!“

Lautes Rascheln ertönte, ein Stuhl quietschte und Tapp Topp stöhnte genervt auf, bevor River schrie.

„Das sind nicht DIE Unterlagen, oder?!“

„Oh, Mist!“

„Mach das sauber, Mensch, worauf wartest du?! Komm schon, hilf mir!“

Schnelle Schritte trabten quer durch das Zimmer und Kanda presste die Lippen aufeinander, schöpfte tiefen Atem und schloss kurz die Augen.

Gut, wo war er?

Er griff den Füller wieder sicherer, rückte sich auf dem Polster zurecht und vertiefte sich wieder in seinen Text. Die Schrift verschwamm vor seinen Augen, rumorend wehrte sich sein Kopf gegen die Beanspruchung und doch fühlte er sich mit dieser selbstquälerischen Abwechslung gut. Verbissen klammerte er sich auch an die Geduld, als die Spitze des Füllers zitternd das Blatt antippte und eine unschöne Spur hinterließ. Er schürzte lediglich die Lippen, stemmte das Kinn in die freie Hand und lugte zu einer der Uhren. Die Zeit wollte nicht vergehen und sein brummender Magen machte ihn darauf aufmerksam, dass er in diesen Momenten lieber woanders wäre. Im Essenssaal zum Beispiel, um etwas zu tun, das knapp zwei Tage zurücklag. Er zwinkerte zermürbt, unterdrückte ein Gähnen und starrte auf den weiteren Tintenfleck, den der bebende Füller hinterlassen hatte. Er gab sich wenige Sekunden der Erstarrung hin, bevor er einfach mit dem nächsten Wort weitermachte, nach Beendigung inne hielt und sich den gesamten Satz noch einmal zu Gemüte führte. Nicht vorhandene Grammatik… er selbst zweifelte daran, den Sinn zu verstehen und nach einem angestrengten Grübeln strich er die letzten beiden Worte durch. So setzte er seine Arbeit fort, während in seinem Rücken der Krieg tobte und sich fahrige Stimmen erhoben. Irgendwann gelang es ihm, sich von diesen Geräuschen abzuschotten und nicht einmal die Zeit zu überwachen. Jedenfalls beendete er seinen Bericht nach drei Seiten, schürzte die Lippen und legte den Füller ab, sich sein fragwürdiges Werk betrachtend.

Mm…

Er rümpfte die Nase und rieb sich stockend das Gesicht. In diesem Moment öffnete sich die Tür ein weiteres Mal und kurz verstummten die Stimmen der Wissenschaftler.

„Einen wunderschönen guten Morgen, meine Herren!“ Es war Komui, der die Fleißigen mit annähernd unheimlicher Lebensfreude begrüßte. Auch er hatte die Nacht durchgearbeitet und ein laues Stöhnen folgte.

„Zeig ihm bloß nicht die Unterlagen…!“, hörte man Tapp Topp leise fauchen und Kanda schob sich mitsamt Stuhl zurück. Beiläufig tastete seine Hand nach den Zetteln und er musste mehrfach zugreifen, bevor er sie zu fassen bekam und sich erhob. Die Umwelt drehte sich vor seinen Augen, als er aufrecht stand, verzog sich zu seltsamen Gebilden und er täuschte vor, sich umzudrehen, um nach dem Füller zu greifen. Die Hand erwischte ihn auch, doch gleichsam schloss er die Augen, blinzelte sich von dem Schwindel frei und war längst erspäht worden. Die bunte Tasse in der Hand, war Komui neben River stehen geblieben, hatte auch das Interesse an den Kopien verloren, die ihm dieser beinahe unter die Nase hielt. Stattdessen schien er seinen Augen nicht zu trauen, als er den jungen Mann, den er im Bett geglaubt, nein, gehofft hatte, auf sich zukommen sah. Seine Brauen hoben sich, die Tasse sank tiefer und River gab es auf und zog ächzend die Blätter zurück.

Irritiert registrierten die wachen Augen des Abteilungsleiters das offensichtliche Humpeln der Schritte, die kraftlos gesenkten Schultern und die geröteten glasigen Augen, die scheinbar nur mit viel Konzentration offen gehalten wurden. Seine Nase rümpfte sich und er gab sich nicht sehr begeistert, als Kanda vor ihm zum Stehen kam. Raschelnd hob der junge Mann die Blätter, begegnete Komuis Blick trübe und hielt selbst inne, als er den Zustand seines Werkes bemerkte. Wie der Abteilungsleiter auch, starrte er auf die Eselsohren, die verschmierte Tinte und die durchgestrichenen Worte, von denen in jeder Zeile mindestens eines auftauchte. Es schien ihn selbst zu überraschen und stockend ließ er die Blätter sinken.

„Ich schreibe es noch mal.“

Mit einem Nicken wies Komui auf die Blätter und neben ihm ließ sich River auf den Tisch sinken.

„Ist das dein Bericht?“

„Mm.“ Mit einer abwesenden Bewegung rieb sich Kanda das Kinn, seine Augen durchschweiften ziellos die Umgebung und Komuis Miene verlor auch den letzten Teil der heiteren Stimmung. Beinahe offenbarte sie Missbehagen und mit einem undefinierbaren Brummen griff er nach den Blättern und nahm sie an sich.

„Ich versuche, es zu lesen“, murmelte er und Kanda nickte dankbar, wurde weiterhin und streng in Augenschein genommen. „Weißt du“, flink nippte Komui an der Tasse, „als du ‚nachher’ gesagt hast, dachte ich eigentlich, dass du dir etwas mehr Zeit lässt. Habe ich dich nicht ins Bett geschickt?“

„Mm.“ Wieder brachte Kanda nur ein ungewisses Murmeln hervor, wirkte kaum noch ansprechbar und wurde förmlich von Komuis Augen durchbohrt. „Ich habe mich ausgeruht.“

„Sieht man.“ Die Blätter raschelten, als Komui kurz mit ihnen fuchtelte, sie nur noch mehr zerknitterte. „Dann tu mir den Gefallen und geh frühstücken. Das hast du sicher auch noch nicht getan?“

Daraufhin presste Kanda nur die Lippen aufeinander und es kam nicht sehr überraschend.

„Iss was Ordentliches.“ Entspannt traf Komuis Hand auf Kandas Schulter, wurde jedoch sinken gelassen, als das Gesicht des jungen Mannes selbst unter dieser Berührung zuckte. Erschöpft seufzend, schüttelte Komui den Kopf. „Vitamine, Mineralien… Jerry soll dir etwas zusammenstellen, was dich wieder auf die Beine bringt.“

Spätestens jetzt reagierte Kanda bewusst auf seine Worte. Eine knappe Irritation verlieh seinem Gesicht Ausdruck und verständnislos starrte er Komui an, der ihm noch immer seine vollendete Aufmerksamkeit schenkte. Die trockenen Lippen bewegten sich unentschlossen und nach einem ungewissen Murmeln, legte er den Kopf schief.

„Mir geht es gut“, nuschelte er, als hätte er erst jetzt bemerkt, dass sein Vorgesetzter daran zweifelte. Und dieser fand selbst keine Worte mehr. Mit einem strikten Nicken wies er zur Tür, streckte auch die Tasse in die Richtung.

„Jetzt geh einfach.“

Kanda setzte an, um fortzufahren, sich möglicherweise zu verteidigen, unterließ es jedoch, als er Komuis Miene musterte. Ein Widerspruch war nicht erlaubt und so wandte er sich unter einem stummen Nicken ab und machte sich auf den Weg. Düster sah Komui ihm nach, schüttelte abermals den Kopf und legte den Bericht auf dem Schreibtisch ab, um sich den Kopien zuzuwenden, doch…

Rivers schwerer Oberkörper lag auf diesen und empört begann er an ihm zu rütteln.
 

Allmählich wurde der Hunger selbst zu einem Gefühl der Übelkeit und so ließ sich Kanda keine Zeit, nahm keine Umwege, um den Speisesaal zu erreichen. Der frühen Uhrzeit war es zu verdanken, dass es noch recht leer war. Als Kanda den Saal betrat, sah er nur wenige, die auf den Holzbänken saßen und es sich schmecken ließen. Zwei Exorzisten, auch ein paar Finder…

Absent schweiften seine Augen zur hohen steinernen Decke, folgten auch flüchtig den Arkaden. Hinter ihm fiel die Tür zu und er holte tief Luft, als der Geruch des Essens in seine Nase stieg. Nun, da er hier war… es war seltsam. Der Geruch sagte ihm herzlich wenig zu, ebenso glaubte er nicht, Appetit zu verspüren, nur einen brennenden Hunger, der sich nicht definieren ließ. Langsam hob sich seine Hand zum Bauch und kratzte diesen. Und gerade setzte er sich unentschlossen in Bewegung, da öffnete sich hinter ihm die Tür erneut und zwei weitere Frühaufsteher betraten den Speisesaal. Mit gemischten Gefühlen streiften Kandas Augen das delikate Frühstück eines Exorzisten, an dem er vorbeizog, da erreichte ihn der Klang einer bekannten Stimme und ebenso eine kühle Brise, als sich jemand neben ihm einfand.

„Einen schönen guten Morgen dir, Yu.“ Entspannt hob Lavi die Hand, hinter ihnen schlenderte Allen. Nur knapp lugte Kanda zu seinem unerwarteten Weggefährten, bevor er sich wieder auf die Arbeit seiner Beine konzentrierte und etwas Undefinierbares zurücknuschelte. Lavis Hand blieb unterdessen erhoben und der junge Mann schien zu zögern, als er sich den Anderen näher betrachtete. Seine Brauen verzogen sich unauffällig, die Hand stützte sich leger in die Hüfte und seine Augen studierten Kandas Haltung nur flüchtig, jedoch intensiv. Und somit wandte er sich auch schon wieder nach vorn, schien der alten Heiterkeit zu verfallen. Hinter ihnen seufzte Allen und rieb sich den knurrenden Bauch.

„Seit wann bist du wieder da?“, erhob Lavi vor ihm die Stimme, ohne seinen Nebenmann erneut in Augenschein zu nehmen. Lässig schlenderte er neben Kanda und dieser schien es mit der Antwort nicht eilig zu haben. Nur kurz lauschte Lavi seinem Schweigen, bevor er fortfuhr. „Komui hat einen ziemlichen Aufstand gemacht, weil du sonst immer pünktlich bist.“

„Mja…“

„Na ja.“ Lavi schien die Absenz seines Gesprächspartners nicht zu beachten. Genüsslich atmete er ein und somit erreichten sie die Ausgabe. „Jetzt hauen wir erst einmal ordentlich rein, nicht?“

„Worauf du dich verlassen kannst.“ Allen war der Einzige, der ihm antwortete. Auch seine Augen blieben des Öfteren an Kanda hängen. Jedoch nur, bis Jerry auf der anderen Seite der Theke erschien und sich galant präsentierte. Mit starrem Blick fixierte Kanda das Holz der Theke, schien abzudriften. Schweigend harrte Lavi neben ihm aus, während Allen den fleißigen Koch begrüßte und selbst herzlich empfangen wurde.

„Jerry!“ Mit großen Augen lehnte er sich über die Theke, seinem Gesicht entsprang pure Freude. „Was hast du heute für uns?“

„Für euch alles!“, kam die euphorische Antwort und Lavis Augen richteten sich versteckt auf Kanda, als dieser das Gesicht in die entgegengesetzte Richtung wandte. „Salate, gesundes Obst und Gemüse…“

„Ahh.“ Allen wirkte nicht sehr überzeugt. Knauserig zog er eine Grimasse und Jerry schnappte erschrocken nach Luft.

„Etwas Herzhaftes für den Herren?!“, machte er sofort einen weiteren Vorschlag und sofort erstrahlte Allens Gesicht in einem Licht, um das die Sonne ihn beneiden würde.

„Kuchen?“

„Aber natürlich!“, keuchte Jerry sofort.

„Ramen?!“

„Selbstverständlich!“

„Ohh!“ In gespielter Ohnmacht fuhr sich Allen über die Stirn. „Yakitori?!

„Alles da!“, juchzte Jerry und konnte sich bislang nur auf diesen einen Gast konzentrieren, der ihn aber auch immer vollends in Beschlag nahm.

„Gyôza?!“

„Sicher, sicher!“

„Sushi?!“

„Siiiicher!“

„Dann mal her damit!“ Lachend schlug Allen auf den Tresen und Jerry wollte sich gerade aus dem Staub machen, da bemerkte er die anderen beiden Gäste und einen von ihnen ganz besonders. Sein Gesicht erblich und er lehnte sich zur Seite, um erschrocken Luft zu holen.

„Mein Gott, Kanda!“, ächzte er und erst jetzt starrte dieser ihn an. „Geht es dir nicht gut??“

Auch Allen wandte sich zu dem jungen Mann um, musterte ihn jedoch nur flüchtig, während Lavi sich heraushielt. Wieder schien Kanda keine Antwort einzufallen. Seine Miene offenbarte lustlose Grübeleien, bevor er die Wangen aufblähte und die Luft ausstieß. Und Jerry wirkte wirklich, als hätte ihn der Blitz getroffen.

„Hast du schlecht geschlafen?“, keuchte er, hielt dann jedoch kurz den Atem an. „Ich weiß, was wir machen!“, keuchte er weiter und Kandas Miene zeigte noch immer keine Regung. „Ich mache dir eine heiße Brühe… oder doch etwas richtig Gesundes? Ich habe einen wundervollen Obstsalat gemacht! Oder hast du Appetit auf Soba-Nudeln?!“

Er war wirklich bestrebt, doch Kanda schüttelte den Kopf, suchte nach Worten.

„Gib mir…“, er rümpfte die Nase und sah Jerry zerstreut an, „… Reis.“

Der Koch schien enttäuscht.

„Nur Reis?“, wunderte er sich. „Hast du Magenverstimmungen? Von Reis alleine wirst du doch nicht sa…!“

„Würdest du mir… bitte… Reis bringen.“ Nur leise erhob sich Kandas Stimme, brachte jedoch deutlich zum Ausdruck, dass er kein weiteres Wort daran verschwenden wollte. Und Jerry gab sich geschlagen. Mit offener Besorgnis betrachtete er sich sein Gegenüber, bevor er sich seufzend an Lavi wandte.

„Und was darf es für dich sein?“

„Ich koste den Obstsalat“, antwortete der junge Mann verträglich und Jerry schien überaus erfreut.

„Wird alles erledigt!“, verkündete er, bevor er sich umdrehte und davoneilte. „Aaach ne!“, hörten ihn die drei noch stöhnen.

„Wie zur Hölle bekommst du das alles immer runter?“, wandte sich Lavi grinsend an Allen und lehnte sich an die Theke. „Du frisst dem Orden noch die letzten Haare vom Kopf.“

Während Allen lachte, verschränkte Kanda die Arme vor der Brust, schürzte die Lippen und verfolgte durch die halboffene Tür Jerrys Treiben.

„Da gibt’s bestimmt genug Haare“, erwiderte Allen in diesem Moment und Lavi schloss sich seinem Lachen erheitert an. Und in diesem Moment öffnete sich die Tür bereits wieder und mit einer dampfenden Schüssel Reis kehrte Jerry zu ihnen zurück. Und doch… Kanda wirkte nicht sehr begeistert, als die Schale vor ihm abgestellt und auch die Stäbchen sauber in den Vertiefungen des Randes abgelegt wurden.

Die Schale war riesig. Netter Versuch.

Dennoch griff Kanda mit einem stummen Nicken danach und wandte sich ab, um sich einen ruhigen Platz zu suchen. Allen sah dem kargen Frühstück kritisch nach, während sich Lavi abermals desinteressiert gab. Ganz im Gegensatz zu Jerry, der sich in einem Anflug von Heimlichkeit zu ihnen lehnte und den Mund mit der Hand abschirmte.

„Was ist denn mit ihm los?“ Wieder eine besorgte Frage und während Allen nur mit den Schultern zuckte, jedoch selbst zu grübeln schien, winkte Lavi nur ab.

„Jeder hat mal einen schlechten Tag.“

„So sieht ein schlechter Tag bei ihm aus?“, hauchte Allen ergriffen und Jerry seufzte erneut, bevor er in die Küche zurückkehrte. Die Augen des jungen Mannes folgten ihm dabei ungeduldig und Lavi kehrte dem Tresen den Rücken, lehnte sich bequem gegen ihn und sah Kanda mit heuchlerischer Beiläufigkeit nach. Aus dem Augenwinkel schien er sich mit einem jeden Schritt zu beschäftigen, die gesamte Körperhaltung zu studieren und verfolgte die Beobachtung umso auffälliger, als Kanda einen passenden Platz gefunden hatte, sich ihnen zuwandte und die Schale abstellte.

„Wie lange dauert das denn?“ Jammernd ließ sich Allen neben ihm auf das Holz sinken und Lavi schenkte ihm kein Gehör, verfolgte vielmehr die Bewegungen, in denen sich Kanda auf der harten Bank niederließ. Stockend und vorsichtig. Er stützte sich sogar auf die Lehne und die Haltung, in der er letztendlich verharrte, wirkte alles andere, als entspannt. Vielmehr schien jeder Muskeln in sich verzerrt und zögernd starrte er auf die Schale, ohne sie anzurühren. Lavi schürzte die Lippen und als er hinter sich eine Bewegung sah, löste er seine Aufmerksamkeit von Kanda, um freudig seinen Obstsalat entgegenzunehmen.

„Sieht wirklich lecker aus“, lobte er den fleißigen Koch, als er die Schale nahm und sich die vielen Leckerbissen betrachtete. Allen zog unterdessen die Nase hoch und erhielt einen tröstenden Klaps auf die Schulter.

„Ich gehe dann schon mal.“

„Ja.“ Deprimiert nickte Allen. „Lass mich hier ruhig zurück.“

Und das tat Lavi auch. Gnadenlos trödelte er davon und ließ sich zufällig an einem Tisch nieder, von welchem aus er Kanda von der Seite sah. Sie saßen nicht weit voneinander entfernt und der junge Mann hatte den Reis noch immer nicht angerührt, als Lavi es sich bereits schmecken ließ.

Bei dem verlockenden Dunst, der Kanda in die Nase stieg, als er sich nach vorn lehnte, meldete sich sein Magen knurrend und doch runzelte er nur die Stirn. Unentschlossen tasteten sich die Finger neben der Schale über den Tisch und seine Schultern hoben und senkten sich unter einem tiefen Atemzug.

Er hatte einen solchen Hunger, dass er allmählich glaubte, verrückt zu werden! Nun hatte er Reis vor sich, der ihm nicht viel abverlangte und doch… er begriff es nicht. Dieses Gefühl der Abscheu, wenn er den Reis auch nur ansah. Das nächste Knurren seines Magens konnte ebenso gut von Übelkeit wie von Hunger zeugen und er befeuchtete die Lippen mit der Zunge, bevor seine zitternden Hände nach den Stäbchen tasteten und sich schwer taten, sie richtig zu erfassen.

Er musste essen…

Soviel wie er auch selbst erdulden konnte… sein Körper würde eher scheitern und alles war ihm lieber, als vor aller Augen zu Boden zu gehen und im Krankenflügel wieder zu sich zu kommen. Und er fühlte sich, als wäre er diesem Dilemma sehr nahe. Er zog die Nase hoch, wendete die Stäbchen zwischen den Fingern und presste die Lippen aufeinander. Der Appetit fehlte und er vermisste die Freude seines Gaumens an gewohnte Speisen. Soba-Nudeln… allein der Gedanke an die Gewürze… nein.

Er verbannte diese Vorstellung aus seinem Kopf, lehnte sich zurück, beugte sich nach vorn und holte erneut tief Luft, bevor er die Stäbchen im Reis versenkte. In diesem Moment kämpfte sich Allen mit so einigen Tellern zu Lavi durch, lud sein schweres Gepäck ab und schenkte dessen Unaufmerksamkeit keine Beachtung. Viel zu sehr zogen ihn die Düfte in ihren Bann und mit der gewohnten Ruhe ließ er es sich schmecken, während sein Gegenüber etwas verloren in dem Obst stocherte und das Auge auf einen bestimmten Punkt hinter Allen fixierte. Die Mimik des jungen Mannes zeigte keine Regung, doch umso akribischer war seine Beobachtung, in welcher er verfolgte, wie Kanda sich regelrecht dazu zwang, den ersten Reis zu essen. Als wäre dieser eine unerträgliche Mahlzeit, zu der man ihn auf Leben und Tod verpflichtete. Sein Gesicht zuckte vor Widerwille und an seinem Gesicht war zu erkennen, wie er den Reis lange im Mund wendete.

„If daf lecka!“ Schwärmerisch verdrehte Allen die Augen, zog sich die Stäbchen aus dem Mund und starrte Lavi mit aufgeblähten Wangen an. „Deinf auch?“

„Yupp.“ Lavi ließ ihn nicht lange warten. Grinsend stocherte er wieder nach den kleinen Stückchen und gegenüber ging das Gestopfe sofort weiter. Weitere Aufmerksamkeit wurde von ihm nicht erwartet und er ließ es sich selbst schmecken, während er bemerkte, dass Kanda den Reis noch immer nicht hinuntergeschluckt hatte. Na? Er kaute genügsam und endlich schluckte Kanda. Er würgte es regelrecht hinab und beileibe konnte es nicht daran liegen, dass Jerry in der Küche nicht talentiert war. Das Grinsen verblasste auf Lavis Lippen und seine Hände verharrten still, als Kanda ebenso in etwaigen Bewegungen versteinerte. Mit erneut zusammen gepressten Lippen starrte er auf den Reis, starrte bald an ihm vorbei und senkte das Kinn zur Brust. Das Haar fiel über seine Schultern und diese hoben sich stockend, erbebten kurz darauf und somit erwachte er zum Leben. Als würde ihn plötzliche Eile antreiben, stemmte er sich nach oben, kam auf die Beine und schob sich am Tisch vorbei. Seine Schritte verschnellerten sich rasch und bevor er den Ausgang des Saals erreichte, presste sich seine Hand auf den Mund. Hastig schob er sich durch die Tür und Lavi fixierte sich wieder auf das eigene Essen, als er aus seinem Blickfeld verschwunden war.

„Mm!“ Flink schnappte sich Allen das nächste Sushi und kurz darauf fanden auch noch ein Zweites und ein Drittes in seinem Mund Platz. Genießerisch seufzend, gab er sich der Mahlzeit hin, während seinem Gegenüber der Appetit vergangen zu sein schien. Ein leises Murmeln ausstoßend, stemmte Lavi den Ellbogen auf den Tisch und das Kinn in die Handfläche, blinzelte der steinernen Wand entgegen und rümpfte die Nase.

Wie sollte er sich mit aller Ruhe dem Essen hingeben, wenn es in seinem Kopf rumorte und seine Gedanken mit einer Sorge zu ringen hatten? Der Appetit hatte wirklich keine Spuren hinterlassen und er spürte die Unruhe, die sein Körper plötzlich heimsuchte. Er regte sich auf der Bank, streckte die Beine durch, kreuzte sie, winkelte sie wieder an und blähte die Wangen auf. Irgendetwas musste es doch geben, das er tun konnte. Er hatte es gesehen, es eingeschätzt, sich damit beschäftigt und nun fehlte ihm das Recht, sich herauszuhalten. Sein Auge durchschweifte in ernsthafte Grübeleien vertieft, den Saal und nach wenigen Momenten des Schweigens, schien er einen Entschluss gefasst zu haben. Er rappelte sich auf, kam auf die Beine und wurde überrascht gemustert.

„Wo willft du hin?“ Hastig schluckte Allen hinter und erkannte ein legeres Grinsen auf den Lippen des Älteren.

„Nur etwas regeln, geht schnell.“ Somit hob er schon die Hand, schnappte sich seine Schale und brach auf. Wieder ließ er Allen im Stich. Diesmal jedoch in einer Situation, in der es dem Jungen weitaus weniger ausmachte. Den leckeren Salat musste er schweren Herzens zurückgeben und nachdem er Jerry mit gewählten Worten beschwichtigt hatte, verließ auch er den Speisesaal und ging seiner zielstrebigen Wege. Die Hände entspannt in den Hosentaschen verstaut, durchquerte er die steinernen Gänge und schien währenddessen in tiefe Grübeleien verstrickt. Seine Zähne bearbeiteten abwesend die Unterlippe und sein Ziel schien er schon nach einem kurzen Weg zu erreichen. Vor einer großen Tür blieb er stehen, klopfte ohne zu Zögern an und tastete nach der Klinke.

„Hab ich das gesagt?“ Verwirrt blickte Komui von einer Mappe auf, starrte zu River, der zermürbt den Kopf sinken ließ. „Habe ich das wirklich so gesagt?“

„Sie haben es mir sogar aufgeschrieben!“, verteidigte sich der Leiter der Forschungsabteilung mit schwindenden Nerven und fuchtelte aufgebracht mit den Händen. „Genau so!“ Und er wies auf die Mappe, über die Komui einen Kugelschreiber kreisen ließ. Leise schloss Lavi die Tür hinter sich und bahnte sich einen Weg zum Schreibtisch des Abteilungsleiters. Und da dieser soeben noch beschäftigt war, machte er es sich vorerst auf dem Sofa bequem, streckte die Beine aus und lehnte sich zurück, das Geschehen unbeteiligt verfolgend.

„Das sieht aber komisch aus.“ Ningelnd rückte Komui an dem aufgesetzten Schreiben.

„Was ist denn daran komisch?!“ River raufte sich die Haare und Lavi begann an seinen Fingernägeln zu piepeln. „Anders kann man es nicht machen! Was stört Sie überhaupt? Der Ausdruck? Die Länge?“

„Na, alles.“ Komui rückte an seiner Brille und verbittert wurde ihm die Mappe wieder entrissen. „H-hey…!“

„Ich schreibe es noch einmal, in Ordnung?“ Schnaufend fuchtelte River mit den Unterlagen und Komui schmiss den Kugelschreiber trotzig auf den Schreibtisch zurück. „Und dann unterschreiben Sie!“

Somit stürmte er davon und Komui schnitt ihm eine Grimasse, bevor die Tür donnerte und sich draußen im Flur laute Flüche erhoben. Und dann wurde Komui auf den weiteren Gast aufmerksam. Ein gebrochenes Seufzen ausstoßend, lehnte er sich nach vorn, stützte die Ellbogen auf den Tisch und faltete die Hände ineinander. Sein Gesicht erhellt sich flink.

„Lavi, was kann ich denn für dich tun?“, erkundigte er sich bester Laune und der junge Mann richtete sich auf, rutschte zur Kante des Polsters und kreuzte die Beine. Ein Zögern schien ihn zu packen und in kurzem Schweigen durchschweifte sein Auge das Zimmer, bevor er seinen Vorgesetzten offen ansah.

„Es geht um Yu.“

„Ah.“ Komui wackelte mit dem Kopf und es hatte den Anschein, als müsste Lavi nichts Weiteres sagen. Dieser blinzelte perplex und folgte Komuis Blick, der sich wissend auf drei Blätter richtete, die in einem üblen Zustand waren. Er reckte den Kopf und Komuis Mimik fand zur Ernsthaftigkeit zurück. Seufzend lehnte er sich zurück und begann den Kugelschreiber zwischen den Fingern zu bewegen. „Hat er sich im Speisesaal blicken lassen?“

„Ähm… ja.“ Lavi schnalzte mit der Zunge, seine Hand hob sich zum Stirnband und kratzte kurz. „Nur leider ohne Erfolg.“

„Oh.“ Selbst das schien Komui nicht zu verwundern. Erfreut war er jedoch auch nicht, denn er verdrehte etwas die Augen. Es schien ihn selbst nicht minder zu beschäftigen und wieder wies er mit dem Kugelschreiber auf die liederlichen Blätter. „Seinem Bericht, soweit ich ihn dechiffriert hab, konnte ich keine Erklärungen entnehmen aber ich kann nicht vielmehr tun, als ihm Ruhe zu verordnen.“ Hilflos zuckte er mit den Schultern und Lavi grübelte. „Daran hält er sich nicht und zum Reden zwingen kann ich ihn auch schlecht. Also, irgendwelche Vorschläge?“

„Yu wird seinen Zustand schon einschätzen können“, gab Lavi seine Meinung zum Besten und Komui lauschte dem angehenden Bookman aufmerksam. „Und wenn er wirklich Hilfe braucht, dann wird er sich die schon holen. Nur vielleicht könntest du ihn etwas schonen?“

„Hm?“ Komui hob die Augenbrauen und Lavi räusperte sich, suchte nach Worten.

„Vielleicht und wenn überhaupt ein Auftrag, der ihm nicht viel abverlangt?“

„Ah, so meinst du das.“ Komui nickte, drehte an der Hülle des Kulis und ließ die dünne Spitze auf einen verschmierten Notizzettel niedergehen. „Die Angelegenheiten, um die wir uns zu kümmern haben, nehmen gerade etwas überhand aber wo bliebe mein Verantwortungsbewusstsein, wenn ich ihn an die Front versetze, obwohl er schon an einer schriftlichen Aufgabe scheitert?“ Und wieder wies er auf den Bericht. „Ich denke, das lässt sich einrichten.“

Lavi nickte besänftigt und Komuis Hand gab den Kuli frei. Plumb kippte dieser um und der Abteilungsleiter rutschte auf seinem Stuhl herum.

„Ach, hast du Crowley gesehen? Ist er schon wieder da?“ Und er starrte zu einer kleinen Wanduhr. „Müsste eigentlich… wieso lassen sich alle plötzlich soviel Zeit?“

„Ähm… ich habe ihn nicht gesehen.“

„Ach, Mensch.“ Komui griff nach seiner Tasse und ließ sich tiefer rutschen. Murrend nahm er einen Schluck. „Um die andere Angelegenheit kümmere ich mich schon“, versprach er, als er die Tasse wieder sinken ließ. „Da mach dir keine Sorgen.“

Nickend kam Lavi auf die Beine und Komui gab sich wieder seinem Kaffee hin.

„Hoffentlich bringt das etwas“, äußerte er seine Zweifel und der Ältere sah ihn über den Rand der Tasse an.

„Das werden wir sehen“, meinte er. „Behalte ihn einfach etwas im Auge und wenn es sich verschlechtert, werde ich härter durchgreifen müssen. Auf jeden Fall“, er atmete tief ein, „lasse ich es nicht weit kommen.“
 

Röchelnd ließ sich Kanda von der Toilettenschüssel rutschen und lehnte sich gegen die naheliegende Wand. Dumpf traf sein Rücken auf das Gestein und er streckte die Beine aus, um seinem Bauch auch die geringste Belastung zu ersparen. Als wäre es erst jetzt in seine Wahrnehmung gedrungen, spürte er das Fieber, welches in ihm brannte und schwer atmend verbarg er das Gesicht unter der Hand. Es konnte nicht sein und er wollte sich nicht damit abfinden, dass sein Körper ihm selbst das Essen verweigerte!

Er saugte an seinen Zähnen, keuchte unter dem widerwärtigen Geschmack und rieb sich die Augen. Kein Schlaf, keine Nahrung… und er wusste beim besten Willen nicht, wie die nächsten Stunden verlaufen sollten. Nicht freiwillig würde er sich abermals hinlegen, um sich den erschütternden Traumgebilden auszuliefern! Nicht freiwillig würde er wieder das Essen anrühren, nur, um nun das Krampfen seines Magens zu spüren und all die verlassenen Kräfte. Angespannt tauchte sein Gesicht hinter der Hand auf und diese strich das Haar zurück, glitt an dem Zopf vorbei und in den Nacken, auf welchem sie verharrte. Vielleicht waren Medikamente das Einzige, das ihn aus dieser Notlage retten konnte, doch der Tiefpunkt, an welchem er Bookman aufsuchte und die Wahrheit sagte, war noch nicht erreicht. Und Fragen würde es geben. Mehr, als er verkraften könnte. Nein, an diesen Tiefpunkt würde er nicht gelangen.

Es musste andere… bessere Möglichkeiten geben!

Endlich schien sich sein Atem zu beruhigen und mit geschlossenen Augen blieb er noch etwas sitzen. Wie würde es ihm nur gehen, wenn er zumindest zwei Stunden und halbwegs ruhig geschlafen hätte…? Die Frage und die ungewisse Antwort rumorten in seinem Kopf, wie Plagegeister, die er nicht zu fassen bekam.

Doch was brachte es letzten Endes, sich mit solchen Fragen zu quälen? Er würde es nicht herausfinden und allmählich drängten sich die Stunden in sein Gedächtnis, die er bei den Wissenschaftlern verbracht hatte. Er hatte den Bericht geschrieben und er meinte, es wäre lange her, bis er konzentrierte Grübeleien zustande brachte. Erst vor einer Stunde hatte er sich auf den Weg zum Essensaal gemacht und zuvor eine gewisse Ablenkung durch die Schreibarbeit gefunden, auch, wenn deren Resultat fragwürdig war.

Er öffnete die Augen.

Ja, Ablenkung.

Er brauchte nicht zu essen, wenn er keinen Gedanken daran verschwendete. Und er brauchte keinen Schlaf, wenn ihm keine Zeit dazu blieb. Er brauchte neue Arbeit, in die er sich vertiefen konnte. Bestenfalls außerhalb des Hauptquartiers. Mit etwas Glück könnte er seinen Körper zum Durchhalten zwingen und dadurch einen kleinen Hoffnungsschimmer für sich beanspruchen.

Er nickte still in sich hinein, seine Hand glitt über die Fliesen und gemartert zwang er sich zurück auf die Beine.

Weiter… immer weiter und den Blick allein auf das Kommende richten. Nicht umdrehen zum Vergangenen, das man nicht ertrug. Die Augen auf den Boden gerichtet, streifte er sich das Haar zurück, rieb sich den Nacken und stemmte sich auf das Waschbecken. Unsicher bekamen die Finger das Ventil zu fassen, schraubten es auf und glitten sofort unter das kalte Wasser. Somit beugte er sich tiefer, stützte den Ellbogen auf die Keramik und bewegte abwesend die Finger unter dem Wasserstrahl.

>Es geht weiter<, sagte er sich und schloss kurz die Augen, um sich das eindeutige Gefühl der Kälte einzuverleiben. >Es geht immer weiter… ich muss mich nur treiben lassen.<

Er schöpfte tiefen Atem, hob die Hand zum Mund und begann diesen auszuspülen. Gemächlich bewegte er das Wasser im Mund, spuckte es aus und benetzte auch den Nacken mit dem kühlen Nass.

Es ging bestimmt weiter… wenn sein Weg mit keinen einschneidenden Erlebnissen gepflastert war, nahm er den Fluss der Zeit in einer Deutlichkeit wahr, die annähernd schockierend war. Doch nun…

Die Hand sank in das Waschbecken zurück und sein Keuchen vermischte sich mit dem Rauschen.

Es schien still zu stehen.

Stunden um Stunden trennten ihn von jenen Momenten und doch schienen sie noch immer bei ihm zu sein. Die Hand ballte sich zu einer Faust und seine nassen Lippen bewegten sich zu stummen Worten.

Keine Reinigung, keine Zeit, kein Verdrängen…

>Ich werde es nicht los!<, pochte die Angst in ihm und hastig schnellte die Hand zum Ventil und das Rauschen des Wassers verstummte. Sofort wurde das Sinnieren unterdrückt und er griff nach einem der Tücher, trocknete seinen Mund und schleuderte es in den nahen Papierkorb, bevor er sich auf den Weg zur Tür machte und somit auf den Weg zu seinem nächsten Ziel.
 

„Ja!“

Als Komui ein energisches Klopfen vernahm, antwortete er und blickte dennoch nicht von der Arbeit auf. Heute schien wieder einmal ein Tag zu sein, an dem er sehr gefragt war und dabei hatte er selbst genug zu tun. Er setzte seine Unterschrift, lauschte nebenbei den Schritten und drehte am Kuli, als er zumindest diese Arbeit als beendet ansehen konnte. Die Tür schloss sich und als er kurz auflugte, hoben sich seine Augenbrauen in einem Anflug von Verwunderung.

Mehr oder weniger… er hatte es erwartet, vermutlich nur nicht so schnell.

Unachtsam trat Kanda über die am Boden liegenden Unterlagen hinweg, erreichte das Sofa und blieb neben ihm stehen, erwartungsvolle Augen auf sich gerichtet. Konzentriert hielt er seine Hand davon ab, sich auf der Rückenlehne des Sofas abzustützen, festige seine Haltung und sah, wie sich Komui zurücklehnte und wieder mit dem Kuli zu spielen begann.

„Hast du schön gefrühstückt?“, erkundigte er sich nebenbei gelöst und erkannte nach kurzer Zeit ein Nicken. „Ah, und? Da geht es einem doch sofort viel besser, nicht wahr?“ Er grinste keck und erhielt erneute Zustimmung.

„Ja.“ Pure Ernsthaftigkeit glühte in Kandas Augen, als er die Hände in den Hosentaschen verstaute. Die Bewegung wirkte entspannt und lässig, jedoch vielmehr dazu gedacht, das Zittern vor den Augen des Vorgesetzten zu verbergen.

Es hörte nicht auf…

Und versteckt ballten sie sich zu verspannten Fäusten.

„Ich will den nächsten Auftrag“, erhob sich seine Stimme daraufhin erneut und ein Funkeln durchzuckte die dunklen Pupillen.

Keine Absage, kein Herauszögern!

Er benötigte diesen Auftrag, wie die Luft zum atmen und eindringlich studierte er die Reaktion des Vorgesetzten.

„Auftrag“, wiederholte Komui mit einem Hauch von Irritation und sinnierend wandte er den Blick ab, rieb sich auch das Kinn und ließ Kanda eine kurze Zeit warten. „Mm.“ Ein undefinierbares Raunen entrann ihm und er lugte zu seiner Tasse, die wieder einmal leer war. Kanda verfolgte sein Verhalten angespannt und erkannte kurz darauf eine seltsame Handgeste. „Die sind gerade etwas rar.“

„Bitte was?“ Er traute seinen Ohren nicht. Die Fassung bröckelte aus seinem Gesicht, doch Komui präsentierte sich mit derselben heuchlerischen Überzeugung. Er gab sich verständnislos, zuckte mit den Schultern.

„Nicht rar, nur schwierig aufzuteilen, verstehst du?“

„Wovon redest du“, wurde er beinahe und durchaus etwas schroff unterbrochen.

„Aach.“ Seufzend warf er den Kuli auf den Tisch und faltete die Hände auf dem Bauch. „Ich mache dir einen Vorschlag.“

Starr blieben Kandas Augen auf ihn gerichtet und er machte keinen Hehl um seine kurzen Überlegungen. Je länger er den jungen Mann vor sich hatte, desto absurder wurde der Gedanke, ihn auf eine Außenmission zu schicken.

„Ich werde sehen, was ich habe und du kommst heute nach dem Mittagessen noch einmal zu mir.“

Die schmalen Augenbrauen des jungen Mannes zuckten erzürnt, doch Komui ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Er hob den Zeigefinger.

„Das heißt, dass du auch Mittag essen solltest.“

Es fiel Kanda schwer, die Antwort hinter den Lippen zu versiegeln und so blieb es dabei, dass er verbittert den Blick abwandte. Wie lästig es war, solche Banalitäten vorgeschrieben zu bekommen! Eine Rolle, in der er noch nie gesteckt hatte und in die er auch nicht passte. Es drückte ihn nieder und er starrte düster auf den Boden, während Komui berechnend den Kopf schief legte.

„Denkst du denn, dass du in der Verfassung wärst, wieder aufzubrechen?“

Eine Frage, die sich eigentlich nicht stellte und mit der er dennoch den Schein wahrte. Unwissend gab er sich und abwartend, doch Kanda antwortete nicht sofort. Und so zermürbt und erschöpft er auch wirkte, nicht alles schien ihm zu entgehen und sein Blick offenbarte puren Argwohn, als er ihn zurück auf seinen Vorgesetzten lenkte.

„Kommt diese Frage nicht, bevor man einen Auftrag verspricht?“, erkundigte er sich mürrisch und Komuis Miene entspannte sich empört.

„Was…“, hauchte er. „Du glaubst mir nicht?“

„Nein“, schlug ihm sofort die harte Antwort entgegen und drängte ihn gegen die Rückenlehne. Nun, um Kandas Gutgläubigkeit hatte es noch nie allzu gut gestanden und dieses Misstrauen allem und jeden gegenüber, zeigte dennoch, dass er noch er selbst war. Eine gewisse Erleichterung also, der Komui trotzdem nicht ohne Bedenken nachgeben wollte.

„Die Jugend und ihre Ehrlichkeit“, seufzte er, als ihm nichts Weiteres dazu einfiel und er wieder nach dem Kuli griff. Kanda verharrte reglos und abwartend. „Wir bleiben trotzdem dabei. Heute nach dem Mittagessen bekommst du deinen Auftrag.“

Zufriedenzustellen schien Kanda diese Antwort nicht einmal im Entferntesten. Er blähte die Wangen auf, seine Pupillen wechselten bitter von einer Seite zur anderen und nach einem stummen Kopfschütteln, kehrte er Komui den Rücken, schien keine Lust auf weitere Worte zu haben. Das Ziel hatte er hier nicht erreicht. All das roch nach dem befürchteten Zeitschinden und die notwendige Ablenkung rückte in weite Ferne, als er die Tür öffnete und das Büro verließ. Die Mine des Kugelschreibers klackerte gegen das Gehäuse, als Komui ihn zwischen den Fingern wippen ließ und geduldig abwartete, bis sich die Tür schloss. In diesem Zustand war es schon eine Höchstleistung, den Weg vom Speisesaal zu seinem Büro zu bewältigen und doch konnte er Ruhe bewahren. Ideen kamen ihm stets sehr schnell und sobald er wieder völlig ungestört war, zog er das Telefon zu sich und lehnte sich zurück. Nur eine Kurzwahltaste betätigt und schon lauschte er dem Rufsignal. Einige Methoden, um ein Ziel zu erreichen, mochten wohl etwas heimtückisch sein. Aber gerade diese Dinge waren es, die er beherrschte und die zumeist das gewünschte Resultat erzielten. Er kratzte sich an der Nase und kurz darauf wurde der Anruf entgegengenommen.

„Hier Komui“, antwortete er der Stimme des älteren Mannes, die sich meldete. „Bookman, Sie müssten mir mal was mixen.“
 

Kandas Miene war von purem Missbehagen gezeichnet, als er abermals die steinernen Gänge durchquerte. Das Treffen mit Komui lag ihm schwer im Magen und er grämte sich selbst, da sich all die Bemühungen, sich wacker zu zeigen, scheinbar im Nichts verliefen! Seine Miene konnte Festigkeit offenbaren, seine Haltung geheuchelte Kraft und seine Worte Entschlossenheit beinhalten… dennoch wurde er zurückgewiesen, vertröstet, und das mehr als offensichtlich! Er bog um eine Ecke, suchte sich neue Ziele, neue Beschäftigungen, in die er sich vertiefen konnte.

Und doch… er wagte es nicht, es in Worte zu fassen, Komuis legere Lässigkeit als Intrige aufzudecken und ihm erneut begreiflich zu machen, dass es ihm gut ging… dass es ihm… an nichts fehlte. Seine Brauen verzogen sich sinnierend und orientiert ging er seinen Weg, erreichte kurz darauf das Treppenhaus. Untätig blieb hier niemand. Immerfort galt es, Arbeiten zu verrichten und ihrer gab es viel. Beschäftigungen wären schnell gefunden und doch verlangte es ihm unweigerlich danach, dieses Gebäude zu verlassen, einen Auftrag anzunehmen und das sofort und nicht erst später!

Später!

Er stieß einen geräuschvollen Atem aus, öffnete ruppig die nächste Tür und betrat sein Zimmer. In seine Gedanken verstrickt, griff er lediglich nach dem beschädigten Mantel und nahm auch das Katana an sich, bevor er in das Treppenhaus zurückkehrte, den Mantel über den Arm warf und auf den Fahrstuhl zusteuerte.

Wenn man all die Vernunft verwarf und sich die Tatsachen kritisch und empfindlich betrachtete, kam es einer Verletzung seines Stolzes gleich, dass man ihn von Dringendem abhielt… selbst an seinem Können zweifelte… an seinem Willen, einen jeden Auftrag mit Ernsthaftigkeit und Präzision auszuführen. Sein Körper bewegte sich von allein und seine Finger tasteten nach dem Schalter des Aufzuges, ohne, dass er es ihnen befahl. Somit blieb er stehen, senkte den Kopf und schloss die Augen. Nebenbei raffte er den Mantel höher, umfasste die Scheide des Katanas sicher und lauschte dem Klicken der Anzeige.

Rar…

Er rümpfte die Nase und funkelnd kamen seine Pupillen zum Vorschein.

Etwas Lächerlicheres hatte er noch nie von Komui gehört! Auftrage waren noch nie ‚rar’ gewesen und ihre derzeitige Lage mit dem neu erwachten Feind würde es auch nie soweit kommen lassen!

Die Türen des Fahrstuhles öffneten sich und er trat ein.

Höchstwahrscheinlich warf Komui in diesen Momenten nur so mit Aufträgen um sich und dass er seine Dienste ablehnte, bestätigte all die Befürchtungen, die Kanda hegte. Er war durchschaut und fühlte sich kleiner, denn je. Nutzlos…

Seine Hoffnung richtete sich auf den Mittag. Erneut vertrösten würde er sich nicht lassen und sein Kopf schien unter all den Grübeleien bereits zu schmerzen, als er sein Ziel im Erdgeschoss erreichte, die Hand um den kalten Griff einer Schiebetür legte und sich gegen sie stemmte. Sie ließ sich schwer öffnen… er spürte ihr Gewicht, wie noch nie zuvor. Er betrat einen großen Raum, in dem einige Weißkittel tätig waren. Stoffe wurden gewendet, Kleidungsstücke sortiert und Regale gefüllt. Es war die Wäscherei… ebenso die Abteilung, die für sämtliche Uniformen zuständig war und während man bereits auf ihn aufmerksam wurde, warf er den untauglichen Mantel auf einen hohen Tresen. Einer der jungen Männer war kurz darauf schon bei ihm und selbst der üble Zustand der Uniform ließ ihn nicht erschrecken. Beinahe täglich kam ihm etwas Derartiges unter die Augen und so traf ihn lediglich ein fragender Blick.

„Kanda war der Name?“

Er antwortete mit einem stummen Nicken und sein Ellbogen stemmte sich auf die Theke, während der Mann mit dem Mantel seiner Wege eilte. Er mochte den Innendienst nicht, zu dem man ihn wortlos verurteilt hatte. Seine Stimmung senkte sich gefährlich gen Tiefpunkt und abwesend starrte er auf die schimmernde schwarze Schwertscheide. Ein unauffälliger Widerstand war das Einzige, was ihm blieb und soweit es ihm möglich war, würde er die Zeit für sich selbst nutzen. Er ließ die Scheide sinken, umschloss sie fester und erfasste den Mann, der zu ihm zurückkehrte, ihm eine neue Uniform vorlegte. Und wortlos griff er nach ihr, nickte knapp und verließ den Raum. Anschließend führte ihn der Weg weiterhin durch das Erdgeschoss. Ein schmaler Weg war es, den er einschlug und innehalten tat er vor einer kleinen Blechtür. Als er sie öffnete, tat sich eine große steinerne Halle vor ihm auf. Erhellt wurde sie durch das Tageslicht, welches durch hohe, arkadenförmige Fenster drang und die Dunkelheit, die in den verborgenen Winkeln lag, sagte ihm sehr zu. Ein leises Dröhnen durchzog die Halle, als er die Tür hinter sich schloss und laut schallten die harten Absätze seiner Stiefel, als er an einer hölzernen Bank vorbeizog, den Mantel zu dieser warf und zielstrebig in die Mitte der weiten Ebene trat. Den Blick fest auf die gegenüberliegende Wand fixiert, umfasste er die Scheide sicherer, legte die andere Hand um den ledernen Griff und verdrängte den Schmerz seiner Schulter, als er die blanke Klinge hervorzog. Kurz erhob sich das Zischen des kalten Stahles in der Stille und matt schimmerte er unter dem Tageslicht, als das Katana erhoben wurde.

Merklich rang die Miene des jungen Mannes um Konzentration, kontrolliert füllte er seine Lunge mit Sauerstoff und regte die Finger an dem Griff, um die mögliche Belastung seiner Schulter zu testen. Weit streckte er den Arm nach vorn, stemmte ihn durch und ließ das Mugen nach wenigen Momenten sinken. Seine Haltung verlor augenblicklich an Festigkeit, als er in die Knie ging, die Scheide behutsam ablegte und sich wieder erhob. Seine Knie erbebten, als er sie belastete und der gesenkte Arm zuckte knapp unter einem flüchtigen Stechen der Schulter. Die Zeichen wurden nicht beachtet und erneut nahm er Haltung an. Eisern bewegte er den Körper, schob das linke Bein zurück, verlagerte das Gewicht auf dieses und straffte den Rücken. Eine simple Grundstellung, die ihm viel abverlangte. Fest schlossen sich die Finger um den Griff und abermals begegnete die Klinge dem warmen Tageslicht. Auch mit der zweiten Hand umfasste er das Heft, platzierte den Griff konzentriert und schloss die Augen. Sein Körper begehrte auf… mit jedem Augenblick, in dem er so verharrte, umso mehr. Das belastete Bein zitterte, die Schulter pochte und ein dumpfer Schmerz zog sich seine Wirbelsäule hinab, bis hin zum Steiß, auf welchem er verharrte. Stunden um Stunden hatte er diese Stellung eingehalten, sie mit keiner Anstrengung auf sich genommen… und nun versagte er nach weniger als einer Minute. Ein unauffälliges Zucken formte seine Miene und so gab er die Haltung auf. Das lange Haar tanzte unter einer geschwinden Bewegung, surrend durchschnitt die Klinge die Luft und er fuhr herum, führte einen sauberen Seitenhieb aus. Ohne innezuhalten, setzte sich das andere Bein nach vorn, fand sicheren Halt und die Klinge surrte weiter, wurde gerade nach vorn gestoßen und verharrte reglos. Bebend umklammerten die Hände das Leder, geplagt pressten sich seine Lippen aufeinander und stramm verblieb er in der neuen Haltung. Doch nicht lange… bevor der Schmerz ihn übermannen und zum vorzeitigen Abbrechen zwingen konnte, setzte er sich abermals in Bewegung.

Singend löste die Klinge die Stille der Halle ab, zischend bewegte sie sich im Licht, tauchte ein in den Schatten und blieb in permanenter Bewegung. Es war schwer… und schmerzhaft und doch wurde der Körper an seine Grenzen getrieben. Mit übertriebener Strenge achtete Kanda auf eine jede Bewegung, konzentrierte sich auf einen jeden Muskel seines Körpers und führte das Training unbarmherzig fort. Er tat es oft und nichts stellte eine Ausnahme dar. Seine Fähigkeiten konnten nicht beibehalten und weiterhin geschult werden, wenn er sich durch nichtige Gründe eine Auszeit nahm und viele Augenblicke vergingen, bis sich sein Keuchen erhob. Das Leder des Schwertheftes knackte unter dem verbissenen Griff und Zorn schlich sich in den sicheren Bewegungen ein, als die Füße sich schwer damit taten, den Halt zu finden und sein Körper oft das Gleichgewicht verlor. Strauchelnd löste er sich aus impulsiven Techniken, stieß leise Flüche aus und blinzelte unter dem marternden Schwindel, jedoch stets die alte Haltung wieder einnehmend.

Was brachte ihm die Selbstheilung, wenn sie auf sich warten ließ?

Die Verletzungen der Rippen, der Lunge… sie hatten nicht mehr auf sich aufmerksam gemacht, waren behoben worden. Weshalb ging die Milderung der anderen Wunden so stockend vonstatten!

Er forderte sich, trieb sich an die Grenzen und erst, als seine Beine sein Gewicht nicht mehr hielten, versagten und er sich auf dem Boden wiederfand, zwang er sich dazu, es dabei zu belassen. Das Möglichste hatte er nun getan, seinen Körper darauf vorbereitet, dass es keine Ruhepause geben würde. Und er blieb noch etwas sitzen, stemmte sich zurück und streckte die Beine von sich, bis er diesen wieder vertrauen konnte. Aufzustehen stellte eine weitere Schwierigkeit dar, doch irgendwann verließ er die Halle wieder und wurde sich der Tatsache bewusst, dass er es nur zwei Stunden ertragen hatte. Es blieb ihm noch Zeit… Zeit, die er nutzen musste und er gab sich nur dem kurzen Umweg zu seinem Zimmer hin, bevor er sich auf die Suche nach anderweitigen Aufgaben machte und jene Menschen aufsuchte, die gerne und immer welche abgaben. So kam es dazu, dass er bald wieder dem müden Stöhnen lauschte, Tapp Topp’s Schnarchen vernahm und unter Rivers temperamentvoller Stimme das Gesicht verzog. Ja, er war den Wissenschaftlern eine Hilfe und vertiefte sich zermürbt in unzählige Unterlagen und Mappen, die sich vor ihm stapelten. Die Beine von sich gestreckt, harrte er auf einem bequemen Stuhl aus, stemmte den Ellbogen auf den Tisch und das Kinn in die Handfläche, während er ein Schreiben überflog, sich vorsichtig zur Seite neigte und das Blatt auf einem kleinen Stapel ablegte. Diese Arbeit… war perfekt, nämlich von einer solchen Eintönigkeit, dass die Gedankenwelt automatisch erstarb. Ermüdend… und oft blinzelte er gegen die Schläfrigkeit, musste darauf achten, dass ihm keine Zettel aus der Hand rutschten und seine Finger die dünnen Mappen richtig zu fassen bekamen. Doch er folgte der Arbeit fließend, schottete sich rasch von dem anstrengenden Treiben der Wissenschaftler ab und bemerkte, wie die Zeit vergangen war, als er zur Uhr lugte. Weitere zwei Stunden hatte er nun hier gesessen und das Mittagessen rief. Weniger begeisternd, als das, was ihn im Anschluss erwartete. Träge ließ er die Mappe auf den Tisch zurückfallen, rieb sich mit beiden Händen das bleiche Gesicht und gab sich einem kurzen Gähnen hin, bevor er sich schwerfällig vom Stuhl erhob, die restliche Arbeit liegen ließ und sich auf den Weg zum Speisesaal machte.

Nach einem kurzen und durchaus etwas trägen Marsch erreichte er sein Ziel und gähnend stemmte er sich gegen die Tür, trat in den Speisesaal und machte sich daran, den linken Ärmel umzuschlagen, während er durch die Tischreihen zog. Die Bänke waren zu dieser Zeit etwas besetzter. Viele Stimmen erhoben sich zu einem einzigen Geraune, überall klackerten Stäbchen und klirrte Geschirr und all das schien für Kanda an Lautstärke zuzunehmen, je länger er zu der Theke brauchte. Nur beiläufig sah er sich um, setzte sich mit den Gerüchen auseinander und versuchte sich bestmöglich auf das Essen vorzubereiten. Diesmal musste es ihm gelingen. Wenigstens etwas… und der Sieg war erlangt, sobald das Essen auch im Magen blieb. Herabgeschraubte Ansprüche, wie er feststellte. Selbst eine Normalität wurde für ihn zur Herausforderung und er stemmte sich auf der Theke ab. Als würde Jerry seine Anwesenheit spüren, wurde er im Gemenge der Küche auf ihn aufmerksam und er musste ihm keine Fragen stellen, um zu wissen, was der junge Exorzist zum Mittag aß. Flink war alles vorbereitet und Kanda löste sich vom Tresen, als sich Jerry aus der Küche kämpfte und ihm grinsend ein Tablett hinstellte. In einer hölzernen Schale dufteten die gewohnten Nudeln und säuberlich lagen die Stäbchen neben einem Schälchen Wasabi. Wenn sein Magen an etwas gewöhnt war, dann war es wohl das und wenn auch zögerlich, Kanda griff nach dem Tablett, setzte zu einem Nicken an und hielt inne, als das Tablett plötzlich weiterhin belastet wurde. Da wurde eine dampfende Tasse abgestellt und Stirnrunzelnd sah er Jerry an, der grinsend die Hände in die Hüften stemmte, recht zufrieden wirkte.

„Was ist das?“

„Ein Kräutertee“, kam die heitere Antwort und er legte den Kopf schief. „Ja!“ Mit großen Augen neigte sich Jerry zu ihm. „Den habe ich extra für dich zubereitet! Er beruhigt den Magen und sorgt für das Gleichgewicht zwischen Körper und Seele.“ Er spitzte die Lippen, als die Begeisterung ausblieb und richtete sich auf. „Der wird dir gut tun.“

„In Ordnung.“ Der junge Mann gab sich geschlagen, nickte und hob das Tablett an. „Danke.“

„Aber immer doch!“ Jerry winkte ihm grinsend, ließ die Hand jedoch sinken, als Kanda ihm den Rücken zuwandte und sich zu einem freien Platz aufmachte. Irgendwie… er fühlte sich wie ein kleiner Schurke. Glucksend drehte er sich um und kehrte in die Küche zurück.

Nachdem sich Kanda niedergelassen hatte, galt seine Aufmerksamkeit weniger den Nudeln. Seine Augen richteten sich auf den Tee und er war von Jerrys Mitdenken überrascht, annähernd auch zufrieden und er beschloss, sich zuerst dem Tee zuzuwenden. Gegen ihn konnte sein Magen nichts einwenden und er rückte sich zurecht, bevor er nach der Tasse griff und an ihr roch. Und dann, wenn er diese Tasse geleert hatte und sich immer noch gut fühlte, soweit es sein Zustand eben zuließ, dann würde er sich auch um die Nudeln kümmern. Er unterdrückte ein weiteres Gähnen, blinzelte müde und nippte an dem Tee. Er hatte lange keinen mehr getrunken und er schmeckte wirklich gut. So gut, dass er sich zurücklehnte, die Beine unter dem Tisch ausstreckte und kühlen Atem über das Getränk blies. Sofort stieg weiterer Dunst auf und er nippte wieder, nahm einen größeren Schluck und genoss die Wärme, die sich sogleich in seinem Körper ausbreitete. Er spürte, wie der Tee in seinen Bauch floss und dort auf keinerlei Widerstand traf. Und welche Wohltat war es, dem Magen endlich wieder etwas zu gönnen. Er fühlte sich sofort etwas besser und die nächsten Schlücke ließen nicht lange auf sich warten. Danach könnte es ihm nur besser gehen und der versprochene Auftrag würde das Seine dazu beitragen. Kanda schürzte die Lippen, schloss die Augen und nahm abermals den würzigen Geruch in sich auf. Der Tee hinterließ sogar einen sehr angenehmen Geschmack auf der Zunge… es musste Salbei sein und die Nudeln waren längst in Vergessenheit geraten. Die Hände wärmend um die Tasse gelegt, blieb er entspannt sitzen und es dauerte nicht lange, da musste er die Tasse immer höher heben. Der Tee leerte sich schneller, als er dachte und nach wenigen Minuten nahm er den letzten Schluck, bewegte den Tee im Mund und stieß ein stummes Seufzen aus, nachdem er hinter geschluckt hatte. Bedächtig ließ er auch den Kopf sinken, stellte die Tasse unterdessen auf den Tisch zurück und schöpfte tiefen Atem. Jetzt hatte er eigentlich wirklich keine Lust mehr auf die Nudeln, doch der Moment musste genutzt werden. Es war eine gewisse Überwindung, die bequeme Haltung aufzugeben und nach den Stäbchen zu tasten, doch er setzte sich durch, atmete erneut tief ein und saugte an seinen Zähnen. Wieder fiel es ihm schwer, die Stäbchen zu greifen und er blinzelte schläfrig, als er sie endlich unter den Fingerkuppen spürte und mit ihnen etwas absent ihrem Verlauf folgte. Die Ruhe und die Haltung, in der er keine Schmerzen hatte, waren überaus entspannend und er fühlte die rasch zurückkehrende Müdigkeit, der er sich jedoch widersetzte. Er musste essen und wieder ein Gähnen unterdrücken, als er die Nudeln etwas unentschlossen durchmengte, mit den Stäbchen in ihnen rührte und wenige zu fassen bekam.

„Mm.“ Ein wirres Murren entrann ihm, als er die Stäbchen zum Mund hob, jedoch inne hielt, da sich dieser unter einem widerborstigen Gähnen weit öffnete. Na gut, dann gähnte er eben. Ein dumpfes Rauschen durchflutete seine Ohren, als er sich so etwas nach vorn lehnte, dem Gähnen freien Lauf ließ und sich wieder aufrichtete. Da rutschte schon eine Nudel auf den Tisch zurück und er schmatzte etwas benommen, als er sie anstarrte. Er spürte eine leichte Feuchtigkeit in seinen Augenwinkeln und blinzelte, bevor er die Nudeln endlich im Mund verschwinden ließ. Ah ja, diesen Geschmack kannte und mochte er und er kaute träge, starrte vor sich auf den Tisch und verzog das Gesicht, als sein Gaumen ein weiteres Gähnen ankündigte. Was war nur plötzlich los?

Er wendete die Nudeln im Mund, lugte zu der leeren Tasse und schluckte hinter. Er hätte lieber noch etwas von dem Tee, wollte die bequeme Haltung jedoch nicht dafür aufgeben und blieb also sitzen, um vor sich hinzustarren.

In nicht allzu weiter Entfernung machte es sich auch Lavi bequem und selbstverständlich hatte er den Träger seiner derzeitigen Sorgen längst erspäht. Gemächlich zückte er die Stäbchen, versenkte sie in der Suppe und rührte erst einmal um. Die Tatsache, dass Kanda noch an seinem Platz verharrte, obgleich es ihm hin und wieder gelang, eine Nudel im Mund verschwinden zu lassen, beruhigte ihn. Auch seine Haltung wirkte vielleicht etwas entspannter. Er konnte es nicht verhindern. Das Studieren des äußeren Erscheinungsbildes war ihm beigebracht worden und es war ähnlich der Schrift, die man sich nicht betrachten konnte, ohne das Wort zu lesen. Es steckte in ihm und da er diesmal keine Begleitung hatte, war ihm alle Zeit gegeben, um seinen Beobachtungen nachzugehen. So neigte er sich nach vorn, schnappte sich die Nudeln und begann zu schlürfen.

Erneut wurde Kanda von einem Gähnen unterbrochen und er senkte das Kinn zum Schlüsselbein, um kurz die Augen zu schließen. Es war so seltsam. Der Arm wurde immer schwerer und selbst die Hand, die die Stäbchen hielt, stellte sich schwerfällig an. Seine Schultern hoben und senkten sich unter einem tiefen Atemzug und er bewegte die Lippen aufeinander. Seine Gedankenwelt erwachte stockend und er wunderte sich über die plötzliche Schläfrigkeit. Sie nahm mit jedem Augenblick zu und als er die Augen länger geschlossen hielt, meinte er beinahe, eine warme Decke zu spüren, die sich um ihn legte. Ebenso die Geräusche, die an Lautstärke… an Existenz verloren und irritiert hob er die Lider und richtete sich auf, um in die Gegenwart zurückzukehren. Die Stimmen und Laute drangen wieder an seine Ohren und er blinzelte sich frei vom verschwommenen Umfeld, sah sich perplex um und regte die Beine. Es wäre verständlich, würde sein Körper nun vollständig kapitulieren, doch an einem solchen Ort, an dem nichts, aber auch gar nichts zum schlafen einlud? Gerade hier erwartete er doch permanente Ablenkung? Seine Nase rümpfte sich und begann sich wieder mit den Nudeln zu befassen. Träge begannen sich die Stäbchen wieder zu bewegen und er fischte nach den neuen. Seit wann war die Handhabung dieses Besteckes so kompliziert? Er räusperte sich leise, richtete sich etwas auf und nahm noch mehr Konzentration dafür in Anspruch. Ah, endlich. Die nächsten Nudeln verschwanden in seinem Mund und während er kaute, spürte er die seltsame Schwere seiner Lider. Matt beugte er sich etwas nach vorn, schwankte gen Tisch und kämpfte sich in die aufrechte Haltung zurück. Als gäbe es ein Strick, der ihn nach vorne zog, sobald er das Gleichgewicht dem Zufall überließ. Deshalb suchte sein Rücken den Halt an der Lehne und er kreuzte die Beine, fuhr sich mit der freien Hand über den Bauch und kratzte sich. So etwas hatte er noch nicht erlebt und doch erstarb der feste Wille zum Widerstand, bevor er sich richtig erheben konnte. Es war zu angenehm… dieses warme geborgene Hinwegdämmern. Wieder fischten die Stäbchen nach den Nudeln und die Schale kippelte gefährlich, als seine Hand schwerer wurde, sich auf den Rand stützte und sich von diesem löste, bevor sich die Nudeln auf dem Tablett verteilen konnten. Er rollte mit der Schulter, räusperte sich abermals und ließ das nächste Gähnen gewähren. Sein Unterkiefer schmerzte, so intensiv war es und er hob die Hand vor den Mund, abwesend gen Tisch blinzelnd. Tief atmete er ein, verdrehte die Augen unter dem sanften Schwindel und lehnte den Kopf zurück. Dumpf traf dieser auf die Rückenlehne und die Hand senkte sich zum Bauch zurück, auf dem sie entspannt verweilte. Wieder diese Wärme… er starrte auf die hoch liegende Decke des Speisesaals, spürte jedoch, wie seinen Fingern ein Stäbchen entglitt. Schaffte er es denn nicht, sie festzuhalten, ohne sich darauf zu konzentrieren? Seine Mimik zuckte verdrießlich und es gestaltete sich als äußerst schwer, sich erneut aufzurichten. Gefährlich neigte sich sein Körper zur Seite, seine Hand klammerte sich um die Tischkante und auch das zweite Stäbchen rutschte auf das Tablett hinab, als er vorn über sank und seine Lider unter der Schwere nachließen. Kitzelnd streifte das Haar seinen Nacken, als er den Kopf senkte und ihm kein Sinnieren mehr gelingen wollte. Warm… schwer… und die Umwelt verblasste in all ihren anstrengenden Einzelheiten. Selbst die kühle Brise nahm er kaum wahr, die ihn plötzlich erfasste.

„Yu?“ Besorgt hatte sich Lavi zu ihm gesellt. Vorsichtig bettete sich seine Hand auf der Schulter des jungen Mannes und er neigte sich hinab, um dessen Gesicht zu erkennen. „Hey, was ist los?“

Verschwommen erreichten Kanda diese Wortfetzen und er bewegte sich nur etwas, ohne die Augen zu öffnen. Seine Lippen nuschelten etwas Unverständliches und Lavis Hand musste mehr Druck auf seine Schulter ausüben, um ihn davor zu bewahren, mit dem Gesicht in die Nudeln zu fallen. Aufgeregt fasste er ihn sicherer, hockte sich neben ihm auf die Bank und rüttelte etwas an dem schlaffen Körper.

„Kannst du mich hören? Yu? Kanda?“

„Mm.“ Schlaftrunken kamen dessen Pupillen kurz zum Vorschein und eine fleißige Hand streifte sein Haar zurück, um direkte Sicht auf ihn zu haben.

„Hast du Schmerzen?“ Die nächste fürsorgliche Frage ließ nicht lange auf sich warten und endlich reagierte Kanda. Sein Kopf schüttelte sich etwas und Lavi verstärkte den Griff, da der gesamte Oberkörper sich den trägen Bewegungen anschloss und beinahe zur Seite kippte. Somit spürte Lavi schon einmal eine gewisse Erleichterung und nachdem er ihn kurz gemustert hatte, entspannte sich auch sein Gesicht. „Schläfst du etwa gerade ein?“, fragte er verdutzt und runzelte die Stirn, als ein kaum erkennbares Nicken die Antwort brachte.

Gut… das war weniger schlimm, als das, was er befürchtet hatte.

Mit geschlossenen Augen und ruhigem Atem verharrte Kanda in der bequemen Position und Lavi sah sich etwas beirrt um.

„Oh man… hey“, wandte er sich wieder an den Jüngeren. „Soll ich dich in dein Zimmer bringen?“

„Mmm…?“

„Ich bringe dich in dein Zimmer, ja?“

„Mmm…“

„Gut.“ Er holte tief Luft, hob Kandas Hand vom Tablett und schüttelte eine verirrte Nudel von seinem Daumen. Er ging zielstrebig vor, drängte Kanda sanft zurück gegen die Lehne und umfasste ebenso vorsichtig sein Handgelenk, das er sich über die Schulter zog. Hoffentlich war er schnell genug auf den Beinen, bevor Kanda gänzlich einschlief. Alleine brachte er ihn nirgendwohin. Er fixierte den Arm auf seiner Schulter, beugte sich etwas nach vorn und hielt inne. Voller Befürchtung richtete sich sein Auge auf das gesenkte Gesicht des jungen Mannes und er zog eine kurze Grimasse. „Yu? Hey?“

Dessen Lider waren entspannt gesenkt, tiefer und hörbarer Atem strich über seine leicht geöffneten Lippen und kein Muskel seines Körpers wurde auch nur der geringsten Beanspruchung unterzogen. Er schlief tief und fest und Lavi ließ ächzend den Kopf sinken. Na herrlich, ohne Mithilfe konnte er es vergessen.

„Ich glaube das nicht“, flüsterte er leise bei sich, als er Kandas Arm von seinen Schultern hob und sinken ließ. Ungläubig starrte er ihn an, rümpfte die Nase und ließ sich träge auf die Bank sinken. So etwas hatte er noch nie erlebt und er verschränkte die Arme vor dem Bauch, um verwirrt auf den Tisch zu starren. Und dann noch Kanda… dass er so etwas erlebte, hätte er sich nicht träumen lassen. Und doch war es nur ein weiterer Beweis, wie nötig er es gehabt hatte. Unentschlossen blieb er sitzen, tat es Kanda gleich und streckte die Beine aus. Einige Minuten vergingen und seine Mimik offenbarte Grübeleien, als er sich wieder zu regen begann. Er richtete sich auf, wandte sich Kanda zu und hob die Hand, um sie auf dessen Stirn zu betten. Und wie er es sich gedacht hatte… die Haut glühte vor Fieber und der Schlaf schien so tief zu sein, dass ihn nicht einmal diese Berührung weckte. Abermals runzelte der junge Mann die Stirn und zog die Hand zurück, als er eine Bewegung neben sich wahrnahm. Überrascht wandte er sich um und erkannte ein vertrautes Gesicht, dem es verräterisch an Verwunderung mangelte. Komui hatte sich mit seiner Tasse hierher verirrt, hatte vermutlich seine Etage verlassen, um ausnahmsweise auch einmal etwas zu sich zu nehmen. Und nun stand er da und starrte auf Kanda.

„Eingeschlafen“, kommentierte Lavi und hob hilflos die Hände. „Einfach so.“

„Nein!“ Die Augen des Vorgesetzten weiteten sich in endlosem Entsetzen und verwirrt verfolgte Lavi, wie er auch schon nach zwei Findern rief, die nicht weit entfernt saßen und soeben im Begriff gewesen waren, aufzustehen. „Hier…“, er fuchtelte in Kandas Richtung und hob die Tasse zum Mund, „… der getraut sich was! Bringt ihr ihn mal schnell…“ und er fuchtelte in Richtung des Ausganges und die Finder nickten seufzend. Was blieb ihnen auch anderes übrig? Somit schien Komui äußerst zufrieden und als er wieder zu Lavi wandte, wurde er argwöhnisch angestarrt.

„Was denn?“ Mit großen Augen nippte er an der Tasse und Lavi kam langsam auf die Beine.

„Du hast doch nicht etwas damit zu tun, oder?“

Die Antwort lag bereits klar vor ihm und doch wollte er den Tatsachen keinen Glauben schenken, wenn sie ihm immer wieder vor Augen führten, dass Komui keine Grenzen kannte. Dieser wendete den Kaffee im Mund, schluckte hinter und trat zurück, als sich die Finder bei ihnen einfanden. Und während sich die Beiden kurz von Kandas Zustand überzeugten, ließ er unter einem Seufzen den Kopf sinken.

„Was seht ihr nur alle in mir?“, erhob sich seine Stimme gebrochen und wehleidig. Lavi verfolgte unterdessen, wie sich die Finder des jungen Mannes annahmen. Flink zogen sie sich seine Arme über die Schultern, hielten seine Handgelenke und stützten seinen Rücken, bevor sie ihn auf die Beine zogen. Leblos sackte Kandas Gesicht nach vorn und seine Beine waren den Findern keine Hilfe, als sie sich mit ihm auf den Weg machten, anhand ihrer Größe jedoch keine Probleme hatten. Lavi drehte sich ihnen nach und wieder seufzte es neben ihm.

„Keiner glaubt mir und sogar die Finder stöhnen, wenn ich sie lieb um etwas bitte!“ Theatralisch fuhr er sich über das Gesicht und mürrisch lugte Lavi zu ihm.

„Als ich dich bat, ihn zu schonen, meinte ich damit nicht, dass du ihn einschläfern sollst.“

„Öh?“ Komui gab sich verwundert. Kurz sahen sie sich an, bis er trotzig den Kopf schief legte. „Hab ich nicht.“

„Aah.“ Ächzend rieb sich Lavi das Gesicht und sein Vorgesetzter gab sich wieder dem Kaffee hin. „Nein, mal ehrlich.“ Lavi ließ die Hand sinken, hakte den Daumen in den Gürtel und wandte sich ihm zu. „Yu’s Selbstheilungskräfte sind zu immens, als dass er fast einen Tag nach der Verletzung noch solche Beschwerden haben dürfte.“ Komuis Gesicht entspannte sich und nachdenklich sah er sein Gegenüber an, hob erneut die Tasse. Lavi gestikulierte mit der Hand, die Umstände schienen ihn sehr zu beschäftigen. „Aber er hinkt, fiebert, übergibt sich…“, flüchtig lugte er zur Seite, verfolgte, wie die Finder mit Kanda den Saal verließen, „… ist apathisch, sterbensbleich und… ich verstehe das nicht. Äußere Verletzungen sehe ich ihm nicht an.“ Hilfesuchend sah er seinen Vorgesetzten an. „Vielleicht mache ich mir auch zu viele Sorgen aber könntest du ihn nicht zu Bookman schicken?“

„Vor kurzem sagte noch jemand, dass er sich die Hilfe selber holen würde“, erinnerte Komui ihn und er verdrehte die Augen. „Solange er keinen Schaden anrichtet, kann ich ihn nicht zwingen, sich untersuchen zu lassen und wenn ich ihn darum bitte und so, wie ich ihn kenne, erreicht das nicht einmal annähernd seine Ohren.“

Da musste Lavi ihm leider Recht geben und doch gefiel es ihm nicht. Er murmelte etwas Undeutliches und erhielt einen Klaps auf die Schulter.

„Jetzt lassen wir ihn erst einmal schlafen und dann sehen wir weiter.“ Da war Komui optimistisch und während Lavi abermals zur Tür lugte, wurde er auch etwas anderes aufmerksam. Neugierig lehnte er sich zur Seite, fixierte sich auf etwas. „Was gibt’s denn heute Feines? Das schau ich mir mal an. Also dann.“ Verabschiedend hob er die Tasse und bevor sich Lavi versah, war er auch schon fort.
 

„Vorsichtig.“ Behutsam gingen die Finder in die Knie, ihre Beine fixierten die des Schlafenden und mit einer fließenden Bewegung ließen sie diesen auf das Bett sinken. Weich betteten sie Kanda auf der Decke, zogen seine Arme von den Schultern und während der eine seinen Rücken stemmte und ihn aufrecht hielt, ging der andere in die Knie, kauerte sich vor seine Beine und tastete nach den Schnallen der Stiefel. Geschwind streifte er das Hosenbein höher, wurde fündig und machte sich daran, seine Füße zu befreien. Regelmäßig hoben sich die Schultern des jungen Mannes unter tiefen Atemzügen und die erstarrte Regung seiner Mimik bewies seine völlige Abwesenheit. Keine Umwelteinflüsse vermochten in sein Bewusstsein zu dringen und nur seine Lippen bewegten sich stumm, als er in einer fließenden Bewegung niedergelegt wurde. Gleichzeitig hob man seine Beine nach oben, bettete seinen Kopf auf dem Kissen und zufrieden betrachteten sich die Finder ihre Arbeit, sahen sich knapp an und nickten. So dürfte es reichen. Noch kurz die Stiefel neben das Bett gerückt und somit verließen sie das Zimmer. Leise schloss sich die Tür hinter ihnen und die alte Stille kehrte zurück. Bewegungslos blieb Kanda liegen, mit entspannt geschlossenen Lidern schlief er und sein Körper labte sich an der durch Schlafmitteln verstärkten Ruhe, in die kein Traum, keine Erinnerung drang… die ihn tief und dunkel, warm und geborgen in Bann hielt.

Kein Zittern plagte seine Glieder, keine Augenbewegung war unter den Lidern auszumachen und Stunde um Stunde rauschte sein leiser Atem in dem Zimmer, während geschäftige Schritte an seiner Tür vorbeizogen, Wortfetzen zu ihm drangen und den Schlafenden dennoch nicht erreichten. Entspannt hob und senkte sich der flache Bauch unter einem tiefen Luftholen und träge begannen sich die Arme zu bewegen. Stockend drehte er sich auf die Seite, bewegte den Kopf auf dem Kissen und verharrte sofort wieder still. Der gesamte Nachmittag zog so an ihm vorbei und erst, als es vor seinem Fenster zum Abend dämmerte und die Sonne gen Horizont sank, kehrte etwas Leben in den schlaffen Körper zurück. Ziellose Bewegungen erfassten ihn, ließen ihn sich von einer Seite zur anderen wälzen, geräuschvoll ausatmen und die Lippen bewegen. Allmählich und schleppend erwachte sein Bewusstsein aus dem betäubten Ruhezustand und er ließ sich auf den Rücken sinken, streckte die Beine aus und regte die Finger auf der warmen Decke. Tastend glitten seine Fingerkuppen über den Stoff, die Lider zuckten unter einer Augenbewegung und sein Mund öffnete sich zu einem tiefen Gähnen, während die eine Hand zu den Rippen fand und diese kratzte. Leise klackten daraufhin die Zähne aufeinander und die Nase rümpfte sich. Die Wirkung des Schlafmittels verlor an Wirkung und dennoch blieb er lange liegen, dämmerte vor sich hin und nahm nur schleppend die Geräusche im Treppenhaus wahr, ohne sich vorerst an ihnen zu stören. Begierig versuchte sein Körper einen jeden Augenblick dieser Möglichkeit zu nutzen und ein wirres Murmeln kam über seine Lippen, als sich im Treppenhaus ein lauter Ruf erhob. Wieder folgten Schritte und Kanda runzelte die Stirn, als eine Haarsträhne diese zu kitzeln begann. Zum Gesicht zu finden, fiel der Hand schon schwerer und nachdem seine Finger das geschlossene Auge getroffen hatten, wurden sie fündig, strichen das Haar zurück und versenkten sich in diesem. Mit erhobenem Arm blieb er liegen, sein Bauch hob sich unter einem befreiten tiefen Atemzug und nach wenigen weiteren Minuten kamen seine Pupillen zum Vorschein. Zwinkernd öffnete er die Augen, starrte trübe in die Dämmernis seines Zimmers und schien diese als uninteressant zu empfinden, denn kurz darauf bewegte sich sein Körper wieder zur Seite, die Lider sanken hinab und bequem winkelte er die Beine an und schob die Hände unter die weiche Decke. Es nahm wirklich eine lange Zeit in Anspruch, bis er die Augen abermals öffnete und sich aufmerksam das Gestein der Wand betrachtete. Rasch drang auch seine Position in sein Bewusstsein und matt bewegte er die Beine, um sich zu vergewissern, dass er wirklich in seinem Bett lag. Auch die Schulter bewegte er, um die Matratze unter sich zu spüren und nach einem weiteren Gähnen verzogen sich seine Brauen misstrauisch.

Wenn er langsam wieder Gebrauch von seinen Gedanken machte… konnte er sich nicht daran erinnern, hierher gefunden zu haben. Nur das verschwommene Bild des Speisesaals kam ihm ins Gedächtnis und perplex rieb er sich die Augen, stieß ein leises Stöhnen aus und machte sich daran, sich aufzurichten. Noch immer fühlte er eine gewisse Benommenheit und der Schlaf saß in jeder Pore seines Körpers. Als wäre er noch nicht richtig wach…

Stockend schob er die Beine über die Bettkante, zog sich auch an dieser in die aufrechte Haltung und blieb erst einmal so sitzen, um abwesend und gedankenlos auf den gegenüberliegenden Tisch zu starren. Lange verharrte sein Gesicht reglos, bis ihm genauere Erinnerungen gelangen. Nur undeutlich streiften sie durch seinen Kopf und die erste Tatsache, der er sich sicher war, war ein geplanter Besuch bei dem Vorgesetzten.

Der Auftrag!

Seine Miene erhellte sich und sofort suchten seine Augen nach der Tür. Er setzte dort an, wo er aufgehört hatte. Aufgehört… er legte den Kopf schief, beirrt versenkten sich seine Fingerkuppen im wirren und lockeren Haar, kratzten und zogen einige Strähnen mit sich, als sie sinken gelassen wurden. Das Denken fiel ihm immer leichter und es war nicht schwer, sich an diesen Tee zu erinnern.

Er hatte also geschlafen… lange und intensiv und der Zustand seines Körpers wurde von einer finsteren Einsicht überschattet. Ihm entrann ein dumpfes Murren und träge stemmte er den Ellbogen auf den Oberschenkel und ließ die Stirn in die Handfläche sinken.

Natürlich… nun, da er in die Falle getappt war, wurde er sich ihrer bewusst. Vermutlich kam es Komui äußerst gelegen, dass er den gesamten Nachmittag verhindert und ans Bett gebunden war. Sprachlos schüttelte er den Kopf, schöpfte tiefen Atem und richtete sich auf. Weshalb seine Stiefel säuberlich neben dem Bett standen, war kein Teil seiner Neugierde und beiläufig griff er nach ihnen. Nun gut, Komui hatte wohl gesiegt und er würde dem Sieg ein Teil seiner Würze nehmen, in dem er den Besuch sofort nachholte. Seine Miene wirkte finster, als er in den ersten Stiefel stieg und nach den Schnallen tastete. Sein Ziel stand fest und doch hielt er in den Bewegungen inne, als sich sein Magen meldete. Ein verlangendes Knurren drang an seine Ohren, ließ sich deutlich spüren und er runzelte die Stirn. Gegessen hatte er an diesem Morgen nicht wirklich… die Gelegenheit des Mittagessens war ihm auch genommen wurden und der belastende Hunger zwang seine Planung, einen Umweg zu machen. Es würde nicht schaden, wenn er seinem Appetit eine zweite Chance gab und Komui noch wenige Minuten der Ruhe. Er gab nach, gab sich geschlagen und schlüpfte in den zweiten Stiefel. Anschließend legten sich seine Hände um die Kante der Matratze und es versetzte ihm einen überraschten Stich, als die ungezwungene und fast fließende Bewegung seine Beachtung fand und er sich kurz zum Bett umdrehte. Er war recht schnell auf die Beine gekommen und sie hielten sein Gewicht nur mit geringem Widerstand. Abermals rümpfte er die Nase, tastete nach dem Band und zog es aus dem Haar, um dieses zu zähmen und neu zu binden.

Natürlich… er konnte nicht leugnen, dass dieser unverhoffte Schlaf einen positiven Effekt hatte, unter anderen Umständen vielleicht noch länger auf sich hätte warten lassen. Er spürte wirklich eine Besserung, doch die Methoden, die dazu geführt hatten, waren es, die das Bild des wohlwollenden Vorgesetzten zerstörten. Beiläufig löste er die Hände vom straff gebundenen Zopf, fuhr mit ihnen über das Hemd und glättete es, soweit es möglich war. Dann und unter einem erneuten Kopfschütteln, machte er sich auf den Weg zur Tür und zurück zum Speisesaal.
 

„Einen schönen guten Abend!“ Als hätte Jerry einen geheimnisvollen Triumph gefeiert, präsentierte er sich mit einer Stimmung, die die Normale etwas überstieg. Er grinste breit und Kanda runzelte die Stirn. „Gut siehst du aus! Besser, als heute morgen!“ Er erwartete keine Antwort und erhielt sie auch nicht. Nur Kandas Augen, die ihn misstrauisch musterten. „Was kann ich dir denn bringen? Das Gewohnte? Oder wieder Reis?“

„Wie immer.“

„Ah!“ Jerrys Gesicht erhellte sich weiterhin. „Das höre ich gerne!“

Und lachend machte er kehrt und verschwand wieder in der Küche. Kanda gelang daraufhin nur ein stummes Kopfschütteln und seine Augen schweiften zur Seite, drifteten durch den Saal und richteten sich auf Lavi, der sich mit Allen und Crowley eine Bank teilte, heitere Gespräche führte und es sich schmecken ließ. Er beobachtete sie nur kurz, seine Hand tastete sich über den Tresen und abwesend begannen seine Finger einen langsamen Takt auf dem Holz zu trommeln, bevor er dem Saal wieder den Rücken kehrte. Es dauerte nicht lange und nachdenklich erfassten seine Augen die zügigen Bewegungen in der Küche, bevor Jerry mit dem gewünschten Tablett zu ihm zurückkehrte. Doch nicht nur die Soba-Nudeln waren dort zu sehen. Auch eine Tasse, aus der frischer Dampf aufstieg.

„Bitteschön!“ Grinsend setzte Jerry das Tablett ab, folgte Kandas Blick und wies stolz auf die Tasse. „Den habe ich dir noch mal gemacht“, erklärte er heiter und der Jüngere rümpfte die Nase. „Er scheint dir geschmeckt zu haben.“

„Mm.“ Kanda hielt sich nicht lange bei der Beobachtung auf, griff nach dem Tablett und wandte sich unter den glänzenden Augen des Kochs ab. Auch ein Seufzen drang an seine Ohren, als er sich bequem auf den Weg machte und kurz darauf war Jerry auch schon wieder in der Küche verschwunden, um seinen zahlreichen Arbeiten nachzugehen.

„Der Garten war völlig verwildert.“ In diesen düsteren Erinnerungen schweifend, stemmte Crowley die Wange in die Handfläche und schüttelte den Kopf. Allen hielt nur kurz inne, rammte die Gabel in den Kuchen und ließ das Stück im Mund verschwinden. Lavi schenkte seinem Leiden etwas mehr Aufmerksamkeit. Verständnisvoll nickte er, runzelte daraufhin jedoch die Stirn und senkte den Blick zu seiner Suppe. „Da muss es einmal wunderschöne Blumen gegeben haben“, fuhr Crowley fort. „Rosen, Hyazinthen, Orchideen. Aber jetzt…“

Er verstummte und schnell wurde der Grund deutlich. Das Tablett sicher auf dem Unterarm, war Kanda an ihrem Tisch stehen geblieben und dies war beileibe ein seltener Besuch. Irritiert richtete sich Crowley auf, Allen starrte und Lavi hob die Augenbrauen. Knapp und desinteressiert lugte Kanda zu dem Berg aus Geschirr, der sich vor dem Jüngsten stapelte und ohne ein Wort griff er nach der dampfenden Tasse und hob sie vom Tablett. Das überraschte Schweigen hielt an und sie staunten auch nicht schlecht, als Lavi die Tasse vorgesetzt bekam. Selbst dieser wusste nicht so recht, was er davon halten sollte, doch Kanda legte herausfordernd den Kopf schief.

„Das ist Kräutertee“, murrte er lustlos und Lavi öffnete unentschlossen den Mund. „Für das Gleichgewicht zwischen Körper und Seele.“

„Ah… ja?“ Die Verwirrung befiel Lavi deutlich und es blieb ihm nichts anderes übrig, als sich am Kopf zu kratzen. Und Kanda wandte sich bereits ab.

„Lass es dir schmecken“, hörten sie ihn noch nuscheln, als er sich auf die Suche nach einem stillen Plätzchen machte.

„Äh… Danke.“ Unentschlossen hob Lavi die Hand, zog eine irritierte Grimasse und ließ sich gegen die Rückenlehne fallen, um auf die Tasse zu starren. Die anderen Beiden taten es ihm gleich und Allen gelang es endlich, hinterzuschlucken. Von der Tasse starrte er zu Kanda, der sich in sicherer Entfernung auf einer Bank niederließ und sich sofort den Nudeln zuwandte.

„Hach.“ Crowley hatte das Geschehene sichtlich bewegt. „Ist das rührend.“

„Und gerade das ist das Komische dran“, bemerkte Allen und fixierte sich wieder auf die Tasse. „Irgendetwas stimmt wirklich nicht mit ihm.“

Er schien kurz zu grübeln, gab es jedoch schnell auf und machte sich wieder über den Kuchen her. Lavi blähte die Wangen auf, suchte nach Worten und wurde nicht fündig.

>Ist das der Dank für heute Mittag?<, fragte er sich und kratzte sich erneut.

„Genieße diesen Tee.“ Crowley starrte ihn flehend an und er musste grinsen. „Es ist wahrlich ein Tee der Freundschaft!“

„Okay.“ Es war seltsam aber eine gewisse Freude gab es da schon und er nahm die Tasse an sich, um den Tee sofort zu kosten. Während Allen sich weiterhin nur um seinen Hunger kümmerte, verfolgte Crowley aufmerksam die Reaktion. Und ungenießbar schien der Tee nicht zu sein, denn die Braue des jungen Mannes hob sich verzückt und sofort nahm er noch einen Schluck.

„Lecker!“ Begeistert sah er Crowley an und dieser musste erneut seufzen. „Möchtest du kosten?“

„Wenn ich darf?“

„Bitte, bitte.“ Bereitwillig wanderte die Tasse also über den Tisch und kurz darauf ertönte wieder ein Laut des Genusses.

„Exzellent.“

„Komm, wir teilen ihn uns.“

„Du bist so gut zu mir!“ Crowleys Unterlippe erbebte vor Rührung und sofort genoss er weitere Schlucke. Dieser Tee ließ wirklich nichts zu wünschen übrig und während die Tasse zügig geleert wurde, schweiften Kandas Pupillen des Öfteren zu ihnen. Abwägend und erwartungsvoll behielt er sie im Auge und nahm kaum den zurückgekehrten Appetit wahr, in dem er die Schale fließend und ununterbrochen leerte. Er bemerkte es erst, als noch eine Kleinigkeit übrig blieb und seine Bewegungen verlangsamten sich berechnend. Lavi, Allen und Crowley hielten ihre Plätze auch noch und die Tasse wanderte nur so von einem Genießer zum Anderen, wurde bald auch Allen gereicht.

„Magst du nicht kosten?“, fragte Lavi, doch der Jüngere rümpfte nur die Nase und winkte ab.

„Ich mag keinen Tee. Der macht nicht satt.“

„Alles klar.“ Das amüsierte Lavi und mit dem letzten Schluck leerte er die Tasse, stellte sie ab und lehnte sich bequem zurück.

„Wie kommt es, dass ihr alle hier seid?“ Crowley hatte seine spärliche Mahlzeit bereits verzehrt und blickte nun neugierig in die Runde. Aus Allens Richtung drang nur ein beschäftigtes Murmeln, doch Lavi antwortete gern.

„Ich bin auch erst heute Morgen zurückgekommen.“ Grinsend wies er mit einem Nicken auf Allen. „Er schon einen Tag eher.“

„Heißt, ich muss bald wieder los“, nutzte Allen kurz den leeren Mund, bevor er etwas daran änderte.

„Mit wem warst du denn unterwegs?“, wollte Crowley weiterhin wissen und der Jüngste kaute flink, während Lavi versteckt zu seinem großzügigen Gönner linste.

„Mm… mit Miranda.“

„Aber wo ist sie denn?“ Crowley sah sich um und Allen wackelte mit dem Kopf, konnte das auch nicht beantworten.

„Ach ja.“ Unter einem tiefen Atemzug streckte sich Lavi aus, bettete die Arme auf der Rückenlehne und gab sich einem bequemen Gähnen hin. Auch Crowley war dabei zu ertappen, wie er sich die Augen rieb und Kanda fischte nach der letzten Nudel. Das, was er da beobachtete, kannte er irgendwoher und es überraschte ihn weniger. Nicht einmal die Frage nach dem Drahtzieher musste er sich stellen. Ein bitteres Zucken zog durch seine Miene, als er sich daran erinnerte, was man mit ihm gemacht hatte. Und doch… er legte die Stäbchen ab, rieb die Hände aneinander. Auch wenn es fragwürdig gewesen war… er fühlte sich besser, hatte einen großen Nutzen aus dem ungestörten Schlaf gezogen und würde diese Sache auch nicht ansprechen, wäre dem nicht so.

Wieder spähte er zu seinen Kollegen und nun rieb sich Lavi das Gesicht und Crowley sah sich verwirrt nach der Uhr um. Es war wirklich zu früh, um so müde zu werden. Und doch würden sie nun die Opferrollen einnehmen, in die Falle tappen, die ihm gestellt wurde. Und er würde nun den Drahtzieher aufsuchen, um die Umsetzung eines Versprechens einzufordern. Es schien doch zu funktionieren und seine Finger kribbelten voller Ungeduld, als er sich erhob, das Tablett mit sich nahm und zur Theke zurückkehrte.

„Gott, was bin ich müde“, vernahm er Lavis Nuscheln, als er sein Ziel erreichte, das Tablett abstellte und sich gemächlich auf den Weg machte. Sicher und fest fanden seine Beine Halt auf dem Boden, deutlich und klar präsentierte sich ihm die Umwelt und eine gewisse Klarheit in seinem Kopf brachte die Entschlossenheit mit sich, allem gewachsen zu sein. Weit war er noch von seiner Höchstform entfernt, doch wenn er nicht aktiv wurde, würde er sich dieser auch nicht nähern. Bedächtig richtete er sein Hemd, als er die Gänge hinter sich ließ und die Schritte verlangsamte, als sich der alte Schmerz seiner Schulter wieder meldete. Wie ein deutliches Zeichen, dass Optimismus fehl am Platz war, der direkte Nachfolger der Entschlossenheit, um diese zu stauchen. Er verzog das Gesicht, bewegte den Arm und nahm sich vor, ihn einfach etwas zu schonen. Auch, wenn es der Schwertarm war… schwere Kämpfe standen ihm sicher nicht bevor und sollte es doch so sein, so waren es Schmerzen, die er ertrug. Er betastete das Schultergelenk, überzeugte sich von der Kontrolle über seine Finger und blickte kurz auf, um sein Ziel schon vor sich zu erkennen. Solange sich kein Angriff direkt gegen die Schulter richtete, sah er keine Schwierigkeiten auf sich zukommen und ohne zu zögern klopfte er an und öffnete die Tür zum Büro des Abteilungsleiters.

Komui mochte Talent für Hinterhältigkeiten besitzen, doch das Erstaunen konnte er nicht aus seinem Gesicht bannen, als er seinen Raum abermals betrat und dies alles andere als müde. Er hatte ihn nicht erwartet und Kanda genoss den Augenblick, in welchem er angestarrt wurde. Den Kuli reglos in der einen, die Kaffeetasse ebenso reglos in der anderen, sah Komui den jungen Mann nähertreten, schürzte die Lippen und gelangte jedoch rasch zur alten Fassung zurück.

„Ja?“, fragte er dennoch und bekam keine Zeit, Vergesslichkeit vorzutäuschen.

„Der Auftrag“, erinnerte Kanda ihn knapp und blieb auf der anderen Seite des Schreibtisches stehen.

„Ah ja.“ Stirnrunzelnd legte Komui den Kuli nieder, räusperte sich leise und rückte im Stuhl zurück. Es war also misslungen… eigentlich zu erwarten, da es ein Wunder gewesen wäre, hätte es zweimal funktioniert. Doch wenn er sich Kanda so betrachtete, schwächten seine Befürchtungen etwas ab. Der Schlaf schien Wunder bewirkt zu haben und der junge Mann schien standhaft und gestärkt genug, um neu beauftragt zu werden. „Also gut“, gab er sich geschlagen, lehnte sich zur Seite und öffnete eines der Schubfächer. Kanda verfolgte eine jede Bewegung konzentriert, erkannte eine schwarze Mappe und nahm sie sogleich entgegen.

„Inspizieren eines Bergwerkes“, erläuterte Komui gemächlich und lehnte sich im Stuhl zurück. Die Mappe wurde bereits geöffnet und wissbegierig überflogen. „Zwei Arbeiter meldeten die Beobachtung einer nicht zu identifizierenden Lichtquelle im Untergrund, an die niemand herankommt, da das Gestein den Zugang versperrt und auch nicht abgebaut werden kann, was als unnormal zu bezeichnen ist. Also möglicherweise die Barriere eines Innocence. Das gilt es, herauszufinden.“

„Mm.“ In den Text und die Karte vertieft, nickte Kanda und Komui stemmte den Ellbogen auf die Armlehne, fuchtelte mit der Hand und stützte das Kinn darauf.

„Die Inspizierung wird zu zweit durchgeführt.“

Das war der Moment, in dem Kanda inne hielt. Missgestimmt blickte er von den Unterlagen auf und da diese Reaktion keine Besonderheit darstellte, fuhr Komui achtlos fort.

„Aufbruch in einer Stunde. Das Phänomen wurde nur nachts beobachtet, also liegt das nahe.“

„Mm.“ Naserümpfend wandte sich Kanda wieder den Unterlagen zu. Sehr weit war dieses Bergwerk nicht entfernt und auch wenn ihm der sofortige Aufbruch überaus zusagte, befürchtete er, der Auftrag selbst wäre zu schnell bewältigt. Komui richtete sich unterdessen auf, langte nach der Tasse und brummte, als diese leer war.

„Als Partner nimmst du Lavi mit.“

„Mm-mm.“ Die Augen nicht von der Mappe lösend, schüttelte Kanda nur den Kopf und Komui zeigte offen, dass er mit so einer Reaktion nicht gerechnet hatte.

„Und wieso nicht?“, murmelte er und traf auf Kandas Augen, die ihn berechnend und vielsagend musterten.

„Der schläft.“

„Was?“ Komui traute seinen Ohren nicht. Sofort wollte er weitere Fragen stellen, verriet sich jedoch schon allein durch das Zögern. Auch er wurde sich dieser Tatsache bewusst und obwohl Kanda schon wieder Desinteresse zeigte und seine Bestätigung längst hatte, holte er sich die Fassung mit einem Räuspern zurück.

„Na so etwas.“ Er juckte sich an der Schulter und grübelte kurz. „Dann… kommt Crowley eben mit.“

„Schläft auch“, nuschelte Kanda in die Mappe vertieft und Komui verdrehte die Augen, verstand die Welt nicht mehr.

„Wieso denn das?“, verlangte er zu wissen und der junge Mann zuckte mit den Schultern.

„Mochten beide Kräutertee.“

„Ah.“ Komui schnitt eine Grimasse und spätestens jetzt fühlte er sich übel ertappt. Er regte sich verbissen auf seinem Stuhl. „Die trauen sich was. Warte, wer ist noch da?“ Er blätterte kurz in einigen Unterlagen und als Kanda die Mappe schloss, wurde er fündig. „Schläft Walker auch?“

Das Befürchtete trat ein und Kanda schürzte die Lippen.

„Bestimmt nicht“, raunte er gedämpft und klemmte sich die Mappe unter den Arm.

„Dann haben wir es ja!“ Zufrieden schloss Komui die Unterlagen und grinste. „Noch Fragen?“

Ein mürrisches Kopfschütteln folgte.
 

~*to be continued*~



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von: abgemeldet
2011-03-25T20:44:32+00:00 25.03.2011 21:44
hey :--) Guten Abend. So und weiter geht es mit meinen persönlichen Reviewmarathon. Jedes Mal, wenn ich deine Geschichte nochmals lese, bin ich immer wieder überwältigt, von deiner Art zu schreiben, dein Stil ist wirklich mit keinen anderen vergleichbar und ich mag deine Ausdrucksweise, wie auch deine Art Geschichten zu erzählen. :-) Ich weiß, ich wiederhole mich. Sorry. Aber du hast mich mit dieser Geschichte rund um unseren hübschen Japaner Kanda und Lavi dermaßen beeindruckt, dass ich es dir einfach immer wieder mitteilen muss hehe. ;_)

Auch dieses Kapitel mochte ich sehr. Es wieder mal sehr traurig mit anzusehen, wie Kanda sich durch die ersten Tage nach seiner Vergewaltigung quält. Er schien so verloren und dermaßen am Ende, dass meine Empathie für ihn dermaßen groß war, dass ich Yu-chan einfach nur umarmen wollte. Du beschriebst seine Gefühle sehr gut. Vor allem die Szene nachdem Yu bei Komui war und nahezu dabei war völlig zusammenzubrechen, wenn Komui ihn nicht entlassen hätte und Kanda dann in sein Zimmer ging und dann in sich zusammensank und den unendlichen Schmerzen, der Müdigkeit, der Demütigung und seiner Schmach erlag. wie der hübsche Schwarzhaarige, dann sich zu den Duschen quälte. Wie schwer musste es für ihn gewesen sein, das Blut und andere Flüssigkeiten von sich zu waschen, die Spuren die der Noah auf ihn hinterlassen hatte. Wie er sich wusch und wusch und doch sich von den „Schmutz“ nicht befreien konnte. Hm .. immer wenn ich deine Geschichte lese, denke ich sie ist äußerst realistisch und ein Vergewaltigungsopfer würde tatsächlich so wie Kanda-kun handeln und fühlen und wie schrecklich es sein muss wirklich so einen Verbrechen zu erliegen und dann mit den Konsequenzen zu leben.

Vielen Dank für diese Story und ich finde andere Autoren, welche so leichtfertig mit diesem Thema umgehen, sollten sich ein Beispiel an dir nehmen. ;-)

glg Sarah-sama

Von: abgemeldet
2011-03-05T14:01:23+00:00 05.03.2011 15:01
lol
Tee der Freundschaft
*LACH* xD
Und dabei hat sich das Crowleylein so drüber gefreut!
Kanda ist halt nicht so blöd den gleichen Fehler zweimal zu machen!
*FREU*
XDDDDDDDDDD
Er ist aber auch fies!
Schläfert einfach Lavi und Crowley ein!
XD
LOOL
Von: abgemeldet
2010-06-25T12:42:47+00:00 25.06.2010 14:42
der tee. XDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDD
ich hab ja so gefeiert. wahrlich ein Tee der freundschaft!
LOL yu tut mir totaaaaal leid.
Von: abgemeldet
2009-01-09T11:51:11+00:00 09.01.2009 12:51
Nyahaha! :3 ist das geil oder was!! Ich will auch so einen tee haben!!
Und komui...zu geil! Du hast den echt total cool rübergebracht mit den ganzen Macken und dem Verhalten! Das ist echt so,als wäre das gerade aus dem Anime! Und wie kanda lavi den tee gibt,da musste ich so lachen und dann die reaktion! Tee der Freundschaft! Ich lag fast unter dem Tisch aber genial ist,dass die Tragik bei dem ganzen humor gar nicht verschwindet. Das ist immernoch da und ich find es richtig gut,dass Kanda sich da gar nicht so schnell von erholt. Das ist voll realistisch!!


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