Ich wär’ so gern
ein kleiner Sonnenstrahl, ...
Feine Wasseradern zogen sich das Fenster entlang, wurden immer wieder von den heftig prasselnden Regen in wahre Sturzbäche verwandelt, die das spärlich einfallende Licht dämmten. Nur das fortwährende leise Klopfen des Wassers war zu vernehmen, hin und wieder ein Knarren, welches das Schiff sanft vibrieren ließ, wenn Wellen gegen den hölzernen Rumpf schlugen.
Und ein leises Seufzen.
Im Zwielicht der Kombüse lagen lange Schatten, auch auf den fein geschnittenen Zügen des Smutje, welcher als Einziger die Geräusche vernahm, das Zwielicht sah, welches nur einen kurzen Augenblick durch sein Streichholz erhellt wurde.
Und wieder lag Trostlosigkeit in einem Raum, der für allerlei Wohlbefinden stehen sollte.
...ein kleiner Lichtblitz,
Lichtblick am Horizont.
Gedanken drehten sich im Kreis. Gedanken, die von Schwäche und Unwohlsein kündeten.
Wenn er wüsste, was an diesem Tag schief lief, würde er versuchen, etwas zu ändern, doch jetzt war er hilflos. Er sah, wie sich der Vize des Schiffes durch den Tag schleppte, tristen Gedanken nachhing. Ohne Worte war das Verständnis sehr viel eher da, und Worte hatte der starke Mann mit den grünen Haaren heute noch nicht verloren.
Eine Gute-Laune-Bringer, ...
Er litt. Das sah man ihm deutlich an, und doch sagte er nichts. Was auch? Zwar waren sie eine Familie, eine Einheit, doch Probleme mit sich selbst trug jeder mit seinem Gegner aus, der tief verborgen in den dunkelsten Ecken der Seele lebte, keine Miete zahlte und doch stetig präsent war.
Es gab Dinge, die einem riesig erschienen, über die man nicht sprechen konnte. Worte brachten auf den Punkt, womit man nicht fertig wurde. Und man konnte Antworten hören, die einem nicht gefielen. Obwohl dies nicht das Schlimmste war. Das Schlimmste war es wohl, Worte zu vernehmen, die nach Floskeln stanken.
...ein Friedensbote und
ein Freudenspender, Glücksversender, ...
Zigarettenrauch kringelte sich durch das trübgraue Licht zur Decke, die so fern schien wie der Himmel, den ihr Vize an diesem Tag verloren zu haben schien.
Sie alle hatten sich geschworen, nach den Sternen zu greifen, und doch waren Tage wie dieser nicht dazu gemacht. Man konnte die Sterne nicht mehr sehen, wie sollte man sie dann neu ordnen? Wie sollte man mit einem Schicksal leben, welches einem die Luft abschnürte? Wie sollte man ein Schicksal ändern, welches man nicht sah?
Und dabei wollte er doch nur dabei helfen, ihm wieder die Augen zu öffnen. Wollte die Kraft darin sehen. Das spitzbübische Funkeln.
Das Wissen darum, dass alles ein gutes Ende nehmen würde, wenn es denn eines gab.
...ein Lächeln ohne Grund.
Manchmal musste man die Menschen an andere Tage erinnern. An den Sonnenschein, der auf die Welt strahlte und die Ruhe, die man darunter empfinden konnte, wenn man in ihm badete. Sich unter der Wärme räkelte, döste, einfach in den Tag hinein lebte, die Kraft hatte, sämtliche Sorgen und Ängste von sich zu schieben, zu vergessen. Oder sie zumindest zu ihrer wahren Bedeutung hinabschrumpfen zu lassen.
Die Vertrautheit schien so nichtig. Nicht einmal an Deck gehen konnte er, um seinem Nakama beim Leben zuzusehen. Der Wind der Freiheit, der sie alle umwehte, war heute nicht kräftig genug.
Ich wär’ so gern
ein kleiner bunter Fisch.
Gedanken konnten Gefängnisse erschaffen, die sehr viel dickere und unüberwindbarere Mauern hatten als das Imper Down. Der eingearbeitete Seestein des Gedankentreibguts war sehr viel schmerzhafter und kräftezehrender als Ketten und Wände es auf Nutzer der Teufelskräfte sein konnten. Sie zeigten Verhältnisse, die man nicht verlassen konnte obgleich man wusste, dass es notwendig war, um sich selbst ein Stück weit Freiheit zu erkämpfen.
Eine Weile lang schwamm man mit ihnen, bevor man sich gegen sie wandte, dem Strom versuchte zu entkommen, sofern man die Kraft dazu fand.
Ein Flossenschwinger, Wasserpanscher,
voll von Lebenslust.
Kraft und Lebenslust waren rar gesät in der Geschichte der Menschheit, auch wenn ihr Captain die komplette Ausnahme war. Er hatte beides für sämtliche Bewohner der Grand-Line mitgepachtet und teilte nur zu bereitwillig mit ihnen.
Doch es reichte nicht immer, wie man zeitweilig sah.
So heute.
Der Schwertkämpfer und Vize war diese Tage nicht dafür zugänglich. Es sollte einfach nicht sein. Und der junge blonde Smutje wusste nicht, wie er diesem entgegenwirken sollte.
Er wollte einfach nur seinem Seelengefährten, dem Bruder, den er leiblich nie hatte, helfen. Und vermochte es nicht, weil er nicht wusste, was los war.
Ein Lebenskünstler, Glücksgenießer,
leben für den Augenblick, ...
Katzengleiche Schritte trugen ihn zur Tür, an der er inne hielt, bevor er sie einen Spalt weit öffnete.
Regen prasselte auf das verlassene Deck, doch er sah eine Ecke der Plane aus dem Krähennest hängen. Ihr schiffseigener Bastler hatte voll zugeschlagen und eine regenfeste Überdachung an ihren Ausguck angebracht, die man bei sehr unangenehmem Wetter mit hinauf nehmen konnte. Und sie hing schon seit drei Tagen da, genauso, wie auch schon seit drei Tagen ihr Vize darunter kauerte, nur herunterkam, wenn es ans Essen ging.
...geplantes Ablenkungsmanöver
von deinem Problem.
Er hatte gesagt, er brauche Ruhe, Abstand. Verständlich. Ihre Crew war irre, ihr Leben war der Wahnsinn. Immer und immer wieder eine Gratwanderung, bei der man nie wusste, in welche Richtung man abglitt. Und abgleiten taten sie eigentlich ständig.
Eine harte Vergangenheit, dominiert von Einsamkeit war ihnen allen zuteil gewesen.
Eine Familie, die man nicht immer wieder aushielt, schon gar nicht Tag für Tag.
Ihm fehlten die Neckereien, die nicht ganz ernstgemeinten Streitigkeiten. Das Herumflachsen mit seinem besten Freund.
Ich wär’ so gern
ein großer, grüner, starker Baum.
Ihm fehlten die Gespräche über alles Wichtige und Unwichtige, wenn sie des Nachts in der Kombüse saßen, bei der Verkostung alkoholisch-geistiger Getränke, die ihre Zungen lösten.
Sie sprachen über sich, ihre Gefühle, Träume, über ihre Nakama, über das, was die Zukunft brachte. Nie über die Vergangenheit.
In ihrer Crew war kein Platz dafür. Sie waren eine Bande von Träumern.
Ihm fehlte der Schutz, den der Grünhaarige mit seiner Anwesenheit stumm versprach.
Ein Berg, ein Fels in Sturm und Brandung,
warmer, sicherer Hort.
Nasse Spritzer fanden ihren Weg in sein Gesicht, ließen seine Augen tränen vor Kälte.
Es war trist, trostlos.
Ungeahnte Trauer, ungeahnte Einsamkeit, die sich wie ein Mantel auf seine Seele legte. Nicht anders ging es vermutlich dem Mann im Krähennest.
Der einsame Wolf, der an einem Problem herumkaute wie auf einem allzu alten Knochen, der nichts hergab außer einem schmerzenden Gebiss.
Die starke, feste Schulter,
Spender für Geborgenheit
Wie gerne würde er ihm die Last abnehmen, selbst wenn das bedeutete, sich einen Vorschlaghammer zu nehmen um den alten Knochen zu knacken. Zu pulverisieren.
Doch die Vergangenheit war eine Lady mit der Mentalität einer Hexe. Sie ließ sich nicht ausschalten oder vergessen, sondern brachte sich immer wieder unangenehm ins Gedächtnis zurück wie eine abservierte, rachsüchtige Exfrau.
Man konnte nicht vor ihr davon laufen, sie fand einen stets wieder und traf zielgenau an den empfindlichsten Punkten.
Manchmal half nicht einmal ein Platz in der Sonne dagegen. Kein Ort vermochte so warm und geborgen zu sein, dass er es mit der eisigen Kälte einer rachsüchtigen Dame aufnehmen konnte.
...die Rückendeckung, Sicherheit,
Vertrauen für alle Zeit.
Manchmal jedoch brachten Worte die Lady dazu, schnaubend das Handtuch zu werfen und sich einstweilig zu verziehen. Und wenn die nicht halfen, so war es die Nähe einer vertrauten und wichtigen Person.
Die Nähe eines Menschen, der die Macht hatte, in der Seele zu lesen und in dieser etwas zu verändern.
War dies sein Part?
Der Smutje wusste es nicht. Doch er wusste, dass er seinen gefühlten Bruder nicht länger der Einsamkeit preisgeben wollte.
Langsam setzte er sich in Bewegung, durch den Regen über das Deck zum Mast und diesen hinauf.
Ich würde dich dann verfolgen,
stets deinen Weg erhellen,...
Es fiel schwer. Der Schwertkämpfer war schon immer der Stärkste von ihnen gewesen. Obwohl...nein. Das stimmte nicht. Er zeigte nur nicht seine Gefühle, die er ohne Frage tief in sich empfand. Er ließ seine Gedanken in einer einsamen Dunkelheit, wo sie niemand zu erkennen vermochte.
Doch er selbst hatte es schon einige Male geschafft, hinter die undurchdringliche Fassade zu blicken. Hatte den Vizen zum Reden bewegt, wenn er es nicht wollte. Auch wenn seine Methoden dazu nicht immer der feinen englischen Art entsprachen. Zur Not prügelte er eben heraus, was er wissen musste.
Doch dies schien damit nicht zu machen.
...alle Schatten vertreiben,
alle Hindernisse fällen.
Ohne ein Wort zu verlieren, schwang sich der gelenkige junge Mann in das Krähennest und flüchtete vor dem Regen unter die mit Liebe gestaltete Plane.
Sie zeigte das Symbol des zukünftigen Piratenkönigs auf einem regenfesten Stoff in den Farben des Regenbogens. Immerhin stand dieser für ihre Träume.
Der Schwertkämpfer saß wie in Trance, schien es nicht wirklich zu merken.
Und wenn alles grau ist,
in deinem See der Seele, ...
„Zoro?“, wollte er fragen, doch er unterließ es. Er musste den Anderen nicht ansprechen, um ihn aufmerksam auf sich zu machen. Es gab andere Möglichkeiten.
Leise und wortlos zog er die Plane wieder zurecht und ließ sich neben den muskulösen Körper sinken. Sein Arm, der wie gewohnt in einem schwarzen Jackett steckte, streifte leicht den Nackten des Schwertkämpfers.
Er spürte ein leichtes Zusammenzucken, und wandte den Kopf herum. Ein leichtes Lächeln erschien auf seinem Gesicht, auch wenn seine Augen die Sorge verrieten, die ihn schon die ganze Zeit quälten und zur Gewissheit wurden. Sie waren nicht unbegründet.
...wäre ich der einzige Farbklecks,
Hoffnungsschimmer nur für dich.
Dennoch sagte er nichts. Er würde den Schwertkämpfer zu nichts drängen. Es stand ihm nicht zu. Der Grünhaarige hatte ein Recht zu schweigen, wenn er das wollte.
Auch wenn er nicht leugnen konnte, dass ihn die Neugier quälte, die Sorgen, die er sich machte. Die Frage danach, warum der Kerl schon seit drei Tagen so abweisend und still war.
Dennoch lehnte er sich wortlos einfach an den warmen Körper, der sich, egal wie kalt es war, wohl nie auskühlte.
Doch zu meinem Bedauern,
werde ich davon gar nichts sein, ...
Er fragte sich, was er damit bezwecken wollte. Noch immer war da diese Einsamkeit zwischen ihnen, zumindest drückte sie auf seine Seele. Wie es dem Schwertkämpfer ging, konnte er schlecht beurteilen, doch ein Blick aus den Augenwinkeln in die grünen Seelenspiegel verriet ihm mehr als tausend Worte.
Es war so. Es war Einsamkeit zwischen ihnen, die nicht einmal die Berührung vertrieb. Es war die Lady Vergangenheit, die ihre spitzen Nadeln gezückt hatte, um sie dorthin zu stechen, wo es wehtat.
...denn ich bin stinknormal
und habe lediglich nur Schwein, ...
Er konnte förmlich sehen, wie sie ihre frisch manikürten Krallen ausgefahren hatte, um sich auf den Schwertkämpfer zu stürzen. Um sein Leben in eine Hölle zu verwandeln.
Und der Smutje konnte rein gar nichts dagegen tun. Mit einem lautlosen Seufzen auf den Lippen suchte er nach seinen Zigaretten, die irgendwo in seiner Jackettbrusttasche sein mussten...
Doch sie waren nicht da. Vielleicht war es auch nicht so verkehrt.
Der Schwertkämpfer fürchtete doch eh um seine Gesundheit und machte dauernd dumme Bemerkungen, wenn er sich einen seiner Sargnägel ansteckte.
...dass du an mir was findest,
drum versuche ich zumindest, ...
Wieder warf er einen Blick zu dem Mann, unter dessen wie in Stein gemeißelten Gesichtsausdruck unendlich viele Gefühle tobten. Was konnte er tun?
Was sollte er machen, wenn der Kerl nicht reden wollte?
Er wusste es nicht.
Aber vielleicht war es auch nicht wichtig.
...vom Sonnenstrahl, vom Fisch, vom Baum
ein Stück für dich zu klauen.
Noch immer ohne ein Wort zu verlieren, schmiegte sich der drahtige Körper einfach an den Muskelberg neben sich. Wo Worte nichts zu suchen hatten, musste man sich schweigend verständigen.
Und grade dies schien zwischen ihnen wesentlich besser zu funktionieren, zumindest verriet dies der Arm, der sich um seine Schultern legte.
Ein leichtes Lächeln schlich sich auf das Gesicht des Blonden und er legte eine Hand ruhig auf das Sixpack, welches der zweitbeste Schwertkämpfer der Welt seinen Bauch nannte.
Ohne Hintergedanken. Die brauchte er nicht.
Freundschaft war um so vieles wertvoller.
Ebenso wie der kleine Sonnenstrahl, der sich durch einen kleinen Spalt zwischen der Plane und der Umrandung des Krähennestes kämpfte.
Wärme flutete den abgedunkelten Ausguck, und eine tiefe innere Ruhe erfüllte die Herzen, die wieder einmal im Gleichklang schlugen.
Blutsverwandtschaft war nicht das Maß der ungleichen Brüder.
~~Ende~~