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Christmas sucks!!

D&T-Anthology VIII
von

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Christmas sucks!!
 


 

Vorwort: Wie der ein oder andere vielleicht schon bemerkt hat, geht es allmählich auf Weihnachten zu und da fiel mir wieder ein, dass mich eine Leserin mal fragte, ob ich nicht Lust dazu hätte, mit Dylan und Tyler ne kleine Weihnachtsgeschichte zu schreiben. Und wie man sieht, hatte ich Lust dazu^^

Zwar ist es noch eigentlich ein Weilchen hin bis zum 24., aber bevor ich das Veröffentlichen noch im nahenden Weihnachtsstress verpenne – was mir sehr ähnlich sehen würde – dachte ich mir, mach es jetzt. Vielleicht stimmt es ja den ein oder anderen auch in vorweihnachtliche Stimmung…auch, wenn es mich etwas wundern würde^^°

Aber egal, auf jeden Fall wünsche ich euch allen da draußen hiermit ein schönes Fest, stressfreie Feiertage und jede Menge Spaß

Natürlich auch mit dieser Geschichte.
 

~~~~~~~~~~~~~~~~~
 

Weihnachten.

Tz.

Kann mich mal bitte jemand erschießen?

Und das beschissene Weihnachten gleich mit?

Ich bezahl auch dafür!

Ernsthaft, ich konnte noch nie verstehen, was alle Welt so toll daran findet.

Ich meine, was ist denn daran so verdammt besonders? Es ist lediglich der 24. Tag des Monats Dezember und mehr nicht. Der Juni hat auch einen 24. Aber wird der großartig gefeiert? Sind deswegen alle aus dem Häuschen, tanzen Samba auf den Tischen und geben Unsummen von Geld aus? Nein.

Warum dann den Quatsch im Dezember veranstalten?

Weil Jesus an diesem Tag geboren worden ist?

Ja, herrlich, und als nächstes feiern wir dann auch noch den Jahrestag vom Richtfest des Turms zu Babel. Als ob Jesus wahrhaftig am 24. Dezember auf die Welt gekommen wäre. Bloß, weil das in einem dicken, alten Buch steht, das zudem nicht mal sehr mit historischer Detailgenauigkeit glänzt, in grässlichem Stil geschrieben ist und in dem Steinigung noch immer als gerechte Strafe für eine Frau angegeben wird, die ihren Mann betrogen hat Lächerlich!

Natürlich kommen jetzt wieder die ganzen fanatischen Kirchgänger an mit ihrem Sermon, dass das doch alles nur symbolisch ist und man damit einfach nur die Geburt des Erlösers im Allgemeinen zelebriere – ich habe das fast exakt gleich aus den Mündern von drei verschiedenen Theologiestudenten gehört – aber soll ich was sagen? Das ist mir total schnuppe. Ich hab mit diesem kleinen Balg eh nicht allzu viel am Hut. Meinetwegen hätte der blöde Esel, der im Stall war, auch austreten und die Krippe gegen die nächstbeste Wand scheuern können. Das Maultier hätte uns ne Menge Ärger und Kleinkriege sparen können.

Aber ob nun symbolisch oder faktisch oder meinetwegen auch kariert mit drei Strichen vertikal zur gedachten Linie links unten am Rand, ich finde Weihnachten zum Kotzen.

Dieser ewige Zirkus, der darum aufgefahren wird. Familienväter, die sich ansonsten gerade mal drei Minuten am Tag um ihre Familie kümmern, wenn sie in der Mittagspause zu Hause anrufen um zu sagen, dass sie eine Stunde später heim kommen, verkleiden sich plötzlich als Nikolaus und bringen ihren Kindern Geschenke; Hausfrauen, die wöchentlich strikt terminlich gefestigte Affären mit Poolboys, Gärtnern oder dem Nachbarn haben, mutieren zu Dekorationshurrikanen der Stufe F5 und stellen jede noch so kleine Ecke mit Plastikputten, Goldrauschengeln und Rock’n’roll-Weihnachtsmännern zu, die anfangen dank Bewegungsmelder Jingle Bells Rock zu trällern und unrhythmisch mit dem Hartgummihintern zu wackeln, wenn man an ihnen vorbeigeht; Kinder, die für drei lächerliche Feiertage aus dem Internat zurückkommen um mit fernlenkbaren Autos, Computern oder Konsolenspielen über das langsame Erkennen hinweggetäuscht zu werden, dass die Leute, die ihnen die Präsente gegeben haben, ihnen inzwischen vollkommen fremd sind.

Alle Welt wird plötzlich so verflucht nett und glücklich und lacht und singt und tanzt, dass man vor lauter Harmonie am liebsten freiwillig einen Hechtsprung in den Rotor eines startenden Hubschraubers machen würde. Ich zumindest.

Gut, mag zum Teil auch daran liegen, dass die Erfahrungen, die ich früher an Weihnachten gesammelt habe, nicht zu den schönsten gehören. Die Tatsache, dass in den Fotoalben meiner Mutter nie Bilder von auch nur einem einzigen Weihnachtsfest waren, dürfte da für sich sprechen.

Weihnachten, das für mich immer nur ein Tag wie jeder andere auch. Wenn ich Glück hatte. Wenn ich Pech hatte – und das Verhältnis von Glück zu Pech betrug, seitdem ich aus dem vermaledeiten Geburtskanal gekrochen bin, konstant 0,1 zum Emissionsbetrag der Vereinigten Staaten – dann war er um einiges schlimmer als üblich. Mein Vater verbrachte den Tag stets damit, mit seinen Kollegen von der Arbeit durch die Kneipen zu ziehen, während meine Ma daheim mit den kläglichen Resten, die wir uns an Lebensmitteln leisten konnten, versuchte so etwas wie ein Weihnachtsabendessen zu kochen, auch, wenn es schlussendlich fast immer auf Bockwurst, ein paar Scheiben Brot und eine Kumme Kartoffelsalat hinauslief. Wenn mein Dad dann irgendwann zurückkam, setzte er sich meist stumpf an den Tisch – manchmal auch zusammen mit einem oder zwei seiner Saufkumpanen – schlang sein Essen runter und fläzte sich dann mit einem Sixpack Bier vor den Fernseher um sich das Best of der Wrestlingkämpfe anzusehen. Der Tag endete dann entweder damit, dass ich beim Abwasch half, mir wieder die jährlich gleiche Rede meiner Mutter anhören durfte, dass es ihr leid tue, aber dass wir leider nicht genügend Geld hätten, als dass sie mir etwas hätte besorgen können und ich schließlich mit ihrem Versprechen ins Bett ging, dass nächstes Jahr etwas für mich unter dem verkrüppelten Baum liegen würde, der im Flur stand und der meist schon drei Tage vor Weihnachten alle seine Nadeln verloren hatte. Und mit der Gewissheit, dass sie mich anlog.

Ab und an endete Weihnachten für mich aber auch damit, dass mein Vater, angestachelt durch die inzwischen kalt gewordenen Würstchen, meine Präsenz beim Essen oder einfach nur durch den Alkohol an sich, tobend vom Tisch aufsprang, sein Geschirr auf den Boden fegte, mir einer verpasste und mich meine Mutter mit panischer Hektik in mein Zimmer schickte.

Eine Zeitlang tat ich es nicht, sondern setzte mich einfach auf die obersten Treppenstufen und lauschte dem Streit unten, während ich mir einen kalten Waschlappen an meine geprügelte Wange oder meine aufgesprungene Lippe drückte. Ich wartete, bis das Geschrei ein Ende hatte und die Haustür knallte, - ein sicheres Zeichen dafür, dass mein Vater das Schlachtfeld verlassen hatte - dann schlich ich nach oben in mein Zimmer, lauschte, bis ich hörte, wie meine Mutter die Treppe hinauf kam und ins Schlafzimmer ging und dann tapste ich wieder nach unten um das kaputte Geschirr wegzuräumen und den Boden zu wischen. Warum ich das tat? Keine Ahnung. Ein Psychologe würde vermutlich irgendeine posttraumatische Neurose oder einen durch latente sexuelle Unterdrückung initiierten Putzfimmel hineindiagnostizieren. Um Fachtermini sind diese Geldschlucker ja nie verlegen. Irgendein Pseudomentalgebrabbel davon, dass ich durch das Saubermachen und wieder-in-Ordnung-bringen der Küche meine verkorkste, zerstörte Seelenlandschaft wieder ganz zu kriegen. Alles gequirlter Mastophantendung! Der einzige Grund dafür war der, dass mein Vater, wenn er nachts wieder nach Hause kam und sah, dass die Küchenzeile immer noch so aussah, als sei ein Pitbullterrier auf Meth durchgestürmt, gleich einen zweiten Wutanfall bekam, der ob des ungleich höheren Alkoholpegels in seinem Blut auch ungleich schlimmer war. Und auch am 1. Weihnachtstag die Scheiße aus dem Leib geprügelt zu bekommen, das wollte ich weder mir, noch meiner Mutter zumuten. – auch, wenn ich mit Beginn meines elften Lebensjahres und der beginnenden Erkenntnis, dass meine Mutter mich auch immer mehr als Last und Bürde empfand, ausschließlich anfing, mich auf mich selbst und ausschließlich mein Wohlergehen zu konzentrieren.

Wenn ich wieder zurückging und an der Schlafzimmertür vorbeikam, hörte ich manchmal ein leises Wimmern und ich wollte an die Tür klopfen und nach meiner Ma sehen – wie gesagt, bis zu meinem elften Lebensjahr, danach wusste ich, dass sie ihre Tränen genauso einsetzte wie eine minderjährige Göre, die unbedingt ein neues Kleid haben will -, aber irgendetwas in mir sträubte sich dagegen und so ging ich jedes Mal weiter und legte mich schlafen.

Aber als ich dann eines Abends neben Kartoffelsalat, Ketchup, Senf und Bier auch Blut aufwischen musste, gehorchte ich meiner Mutter, wenn sie mir befahl ins Bett zu gehen, auch, wenn ich das laute Krachen, die Berserkerstimme meines Vaters und die schluchzenden Entschuldigungen meiner Mutter dennoch gut hören konnte. Und das Poltern, mit dem meine Ma mit dem Kopf voran gegen die Wand knallte.

Als Dylan und ich dann beste Freunde wurden, bot er mir jedes Jahr aufs Neue an, die Feiertage mit ihm und seiner Familie zu verbringen. Ein Angebot, das abzulehnen mir jedes Jahr schwerer fiel. Heute weiß ich nicht mal mehr, warum ich es eigentlich immer abgelehnt habe. Zwar war ich damals bereits nicht unbedingt willkommen bei seinen Eltern, aber zumindest hatte dort am Morgen des ersten Weihnachtstages niemand ein blau geschlagenes, zu geschwollenes Auge oder musste mit einer gebrochenen Rippe zum Arzt.

Ich denke, es hatte vielleicht etwas mit Scham zu tun. Damit, dass ich nicht wollte, dass Dylans Eltern und vor allem Dylan bemerken, wie schlimm es bei uns ist, wenn sie sehen, wie sehr mich bereits die Tatsache freut, dass man vom Weihnachtsessen satt wird oder dass überhaupt ein buntes, blödes Paket unter dem dummen, blöden Baum liegt, an dem ein Kärtchen mit meinem Namen hängt.

Auch, wenn es sich Dylan trotzdem nie nehmen ließ, mir etwas zu schenken. Zwar fielen seine Präsente zu Beginn unserer Freundschaft meist recht spärlich aus, weil er sie von seinem Taschengeld finanzierte, aber manchmal glaube ich, dass es nur dem Hartgummikillerwal oder dem auf Knopfdruck brüllenden 30 Zentimeter hohen Gummigodzilla zu verdanken ist, die er mir mit seinem typisch breiten Grinsen überreicht hat, dass ich meinen Vater nicht irgendwann so provoziert habe, dass er mich wirklich tot prügelte, nur, um nicht jedes Jahr nach den Feiertagen mit meiner Mutter wieder loszufahren um neues Geschirr zu kaufen.
 

Eine Bewegung rechts von mir reißt mich aus meinen Gedanken und ich brauche ein paar Sekunden um aus der Vergangenheit in die Gegenwart zurückzufinden. Ein Gefühl vager Erleichterung durchflutet mich, so wie es das tut, wenn man panisch aus dem Schlaf schreckt mit der Gewissheit, verpennt zu haben, nur um sich dann wieder zu erinnern, dass ja Samstag ist und man nicht zur Arbeit muss. Auch, wenn es mich etwas beunruhigt, dass ich mich immer noch so sehr in diese alten Erinnerungen hineinsteigern kann, dass sie mir wie Realität erscheinen.

Eigentlich dachte ich, dass ich das längst hinter mir hätte. Früher haben mich die Geister meines Zuhauses oft eingeholt und gequält, ich hatte lange Zeit arge Schlafprobleme, konnte entweder nicht einschlafen oder wachte dauernd aus Alpträumen auf. Doch die letzten Monate über hatte ich kein einziges Mal eine Begegnung der retrospektiven Art, worum ich ganz froh war. Ich war mir sicher, endlich davon los zu sein.

„Da hab ich mich wohl geirrt…verdammte scheiße.“, seufze ich und greife nach dem Glas Weißwein, das vor mir auf dem Tisch steht. Es ist mein sechstes innerhalb der letzten anderthalb Stunden und ich habe mir fest vorgenommen, die Flasche zu leeren bis der Film vorbei ist, den ich im Moment schaue. Irgendein Thriller, dessen Name ich vergessen habe, in dem es um eine Frau geht, die sich ausgerechnet an Weihnachten an ihr früheres Leben als Auftragskillerin erinnert, nachdem sie nach einem Unfall dank einer Amnesie alles vergessen hatte. Die Hauptrolle spielt Geena Davis und Samuel L. Jackson haut mal wieder den coolen, lässigen Nebenchara raus, der rein zufällig in das ganze Desaster mit hineingezogen wird.

Auch, wenn ich, wie ich zugeben muss, nicht wirklich hinschaue.

Ich habe den Fernseher bestimmt nicht angemacht, weil das Programm an Weihnachten so wahnsinnig toll ist. Denn das ist es ganz und gar nicht. Tagsüber wird man mit Heimatfilmen, TV-Schmonzetten, einer Der-kleine-Lord-Endlosschleife – die auf Englisch nicht viel weniger brechreizfördernd kitschig ist - und den Weihnachtsabenteuern der Glücksbärchies zugerieselt und abends hat man dann die Wahl zwischen Komödien, die nicht lustig sind, Tragödien, die dann doch ein Happy End haben und Actionfilmen mit Jean-Claude van Damme oder Steven Seagal, denen man selbst aus Mitleid kein schauspielerisches Talent unterstellen kann, also alles in allem eine schöne Motivation, das TV-Gerät auf den Speermüll zu schmeißen und sich ein wenig Opium in den Blutkreislauf zu pumpen. Aber hier allein zu sitzen, Wein zu trinken und so gar keine Hintergrundgeräusche zu haben, dass löst in mir irgendwie Unbehagen aus.

Wenn das Gestammel der Schauspieler, das Getöse der Explosionen und die Jingles der Werbepausen durch das Wohnzimmer hallen, komme ich mir nicht vollends vor wie eine alte, eingetrocknete Vettel, die soeben ihren ersten großen Schritt in Richtung Vollblutalkoholiker tätigt.

Kurz halte ich mir das Glas vors Gesicht und betrachte mir die Verfolgungsjagd auf der Mattscheibe in verzerrtem Chianti-gülden, überlege, ob ich nicht doch mit dem Trinken aufhören sollte. Dylan sähe das bestimmt nicht so gern. Seit seiner Tumorentfernung am Kopf hat er ja fast schon die Obsession entwickelt, sich zum gesündesten Menschen der Welt zu mausern. Und für mich hat er dabei wohl leider die Silbermedaille vorgesehen.

Übermäßiger Alkohol ist seitdem Tabu bei uns und selbst auf Feiern oder, wenn wir weggehen, bekommt er manchmal diesen leicht ungehaltenen Zug um den Mund, wenn ich mir wieder mal einen Cocktail vom Tablett des Kellers nehme oder eine weitere Runde Baileys on the rocks schmeiße.

Aber da Dylan ja nicht da ist, kann es mir eigentlich auch egal sein und so stürze ich die letzten Schlucke in eins hinab und genieße das Gefühl von Wärme, mit dem der Alkohol meine Speiseröhre herabfließt.

Als ich das Glas wieder auf den Tisch stelle und mir das letzte Stück meiner aufgetauten Tiefkühlpizza vom Teller greife, maunzt es neben mir und mit einem leichten Grinsen sehe ich zur Seite.

Felix blickt mich mit seinen leuchtend gelben Augen auf eine fast aufmüpfige Art an, dann zwinkert und miaut er erneut, was ihm diesmal jedoch in ein nicht ganz dezentes Gähnen entgleitet.

„Na, komm her, Dicker.“, entgegne ich angeheitert und lehne mich wieder zurück, so dass der Kater auf meinen Schoß klettern und sich dort einrollen kann. Sein pechschwarzes Fell, das nicht die kleinste, weiße oder graue Stelle aufweist, glänzt im matten Licht der Deckenleuchte und als ich ihm mit einer Hand sanft den Rücken kraule, fängt er augenblicklich an zu schnurren und massiert mit seinen Vordertatzen meine Oberschenkel, wobei er auch seine Krallen gern einsetzt. Da ich jedoch eine Decke über meine Beine gelegt habe, kann er mir dieses Mal nicht die ganze Haut zerkratzen. Man lernt ja bekanntlich aus Fehlern… Hab ich jedenfalls mal gehört

Und wie ich da so sitze, vor mir eine zu Dreiviertel leere Flasche Weißwein, in der Hand eine schon wieder kalte, matschige Pizza und als einzige Begleitung einen leicht schnarchenden Kater, komme ich mir plötzlich verdammt einsam vor.

Einsam. Nicht allein.

Viele Menschen wissen gar nicht, dass es da einen Unterschied gibt. Allein ist man meist freiwillig. Man setzt sich bewusst in Isolation um sich besser konzentrieren zu können oder weil man ausspannen möchte, aber man hätte jederzeit die Möglichkeit wieder unter Menschen zu treten.

Wenn man einsam ist, hat man diese Option jedoch nicht. Man ist einfach auf sich gestellt, da ist niemand sonst.

Und ich fühle mich gerade sehr einsam.

Gut, Dylan kann nichts dafür, dass sein werter Herr Vater ausgerechnet über Weihnachten einen Schlaganfall haben muss - wofür im Übrigen sein werter Herr Vater auch nichts kann, was mich aber nicht daran hindert, es dem alten Scheißer übel zu nehmen. Er kann auch nichts dafür, dass sein werter Herr Vater die Erkenntnis hat, dass ein Sechsundsiebzigjähriger nicht mehr ganz die beste Kondition dazu hat, die Geschicke einer Multimillionenfirma zu leiten und deswegen vorhat, die Anteile zu verkaufen und das gerne mit seiner gesamten Familie gemeinsam durchsprechen möchte, über Weihnachten. Er kann genauso wenig etwas dafür, dass nach Meinung seines werten Herr Vaters ein aus der Armut kommender, perverser, gotteslästerlicher Bengel, der seinen Erstgeborenen dazu gebracht wider besseren Wissens zu glauben, er sei schwul - kurzum meine Wenigkeit – nicht zu seiner Familie gehört und deswegen gefälligst nicht dabei sein soll. Auch, wenn der Mann von Dylans Schwester – ein Säufer vor dem Herrn – herzlichst eingeladen wurde.

Es liegt genauso außerhalb seiner Einflussadern, dass sich diese kindsköpfigen Pissnelken von der Lokführergewerkschaft in Deutschland immer noch trotzig mit ihren Schildchen auf die Gleise setzen und streiken, obwohl ich meine mich zu entsinnen, dass es mal Versprechungen gab, dass am Fest des kleinen heiligen Windelpupsers alle Züge rollen würden und dass es die Deutsche Bahn nicht auf die Reihe kriegt, das endlich zu regeln. Und dass er großartig etwas an dem Schneesturm ändern kann, der momentan die Flughäfen der halben Bundesrepublik lahm legt, glaube ich auch nicht unbedingt.

De facto würde man sagen: Höhere Gewalt.

Keiner ist Schuld, niemand kann etwas dafür, ist halt scheiße gelaufen. Es überrascht mich auch nicht besonders, denn die meisten Sachen in meinem Leben sind scheiße gelaufen, aber trotzdem find ich es zum Kotzen, hier allein rumzuhocken und mich nicht an ihn rankuscheln zu können. Dann würde ich morgen auch keinen Kater von diesem beschissenen Weißwein haben, weil Dylan mir spätestens das vierte Glas aus der Hand genommen und mich statt dessen mit seinen Zungenfähigkeiten betrunken gemacht hätte. Und den Film würde ich auch interessanter finden, wenn ich ihn von Dylans Brust aus ansehen könnte, auf der man so prima liegen kann.

Jaja, hätte, würde, könnte sein, alles für den Arsch.

Ich brumme böse vor mich hin und schiebe mir das letzte Stück Pizza in den Mund und stürze die Reste Wein herunter. Als ich mir nachschenken will, überlege ich kurz, dann stelle ich das Glas weg und nehme einfach nur die Flasche in die Hand und trinke daraus.

Ist ja eh keiner hier, der jetzt pikiert den Mund aufreißen und mit dem Finger auf mich zeigen könnte. Außer Felix vielleicht.

Aber der pennt. Und Finger im Eigentlichen Sinne hat er nicht.

Also drauf geschissen.

Außerdem ist mir gerade eingefallen, dass doch jemand an meiner Misere Schuld ist.

Der Kandidat darf dreimal raten.

Na?

Ich natürlich!

Ich höre fast wie ein Schrei der Erleichterung durch das Universum hallt. Tyler Hill ist wieder mal dran schuld, alles läuft seinen gewohnten Gang, herzlichen Glückwunsch.

Immerhin war ich es, der Dylan gesagt, es wäre okay, wenn er allein nach Deutschland fliegt. Von sich aus hätte er das nie getan. Er hätte seiner Sippschaft eher etwas gehustet, als da ohne mich anzutanzen und vor allem AUF WUNSCH SEINES VATERS dort ohne mich anzutanzen. Das Tauziehen um seine Gunst hab ich schon lange gewonnen. Über die Frage, seine Familie oder ich, würde Dylan keine zwei Sekunden nachdenken. Er würde eigentlich nicht mal nachdenken. Er würde sich ganz einfach für mich entscheiden. Klingt arrogant, schön und gut, aber wahr ist es trotzdem.

Aber, um ganz ehrlich zu sein, das Wissen, ihm wichtiger als alles andere zu sein, ist zwar ganz schön – scheiße auch, es ist der helle Wahnsinn – aber in solchen Situationen fühlt es sich auch irgendwie unangenehm an. Ich meine, gut, sein Vater hasst mich und ich hasse ihn, wir sind wie Feuer und Wasser, Tom und Jerry, Pepsi und Coca Cola, Britney Spears und Christina Aguilera, wir können uns einfach nicht ab und werden nie auf derselben Bühne stehen, nicht mal für Madonna, aber er ist und bleibt Dylans Vater und damit eine nicht unbedingt unwichtige Rolle in dessen Leben. Und so ein Schlaganfall ist keine einfache Sache. Da macht der Tod keinen Klingelstreich und ist wieder weg, wenn man die Tür aufmacht. Im Gegenteil, das war der erste Stoß mit dem Rammbock um die Tür aufzubrechen. Und wer weiß, wie lange die morsche Tür seines Vaters dem noch standhält.

Ich will einfach nicht dran schuld sein, wenn Dylan es versäumt seinem Vater Lebwohl zu sagen. Zumindest dieses Mal wäre ich gerne schuldfrei. Denn auch, wenn er ein Arschloch par exellence ist, so ist das immer noch besser, als wenn er par exellence nicht da wäre. Mein Vater hat sich verpisst, als ich vierzehn war. Schön, das bedeutete keine heimischen Krawalle an Weihnachten mehr, aber als ich dann mit sechsundzwanzig eine Mitteilung per Post bekam – von einer aufmerksamen Krankenschwester aus München – dass mein Vater an einer Alkoholvergiftung verstorben sei und sie mir das ganze persönlich schreiben würde, weil er offiziell nicht wollte, dass ich oder meine Mutter darüber in Kenntnis gesetzt würden, sie es aber nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren könne, das zu tun, war ich trotzdem merkwürdig betroffen. Nicht aus Trauer oder aus Kummer.

Sondern um den Verlust, alles mit ihm zu klären. Um den Verlust der Möglichkeit ihm zu sagen, wie sehr er mich ankotzt, was für ein blöder, alter, unnützer, abgefuckter Wichser er für mich ist. Um mit ihm abzuschließen und ihn endlich hinter mir zu lassen.

Und diese Chance, finde ich, sollte Dylan auch haben, auch, wenn ich mir sicher bin, dass er sich um einiges charmanter ausdrücken würde als ich.

Also habe ich ihn beruhigt und ihm gesagt, er solle ruhig gehen. Dann würde er auch endlich mal seine Mutter und seine Schwester wieder sehen. Und die alten Bekannten und Freunde aus Deutschland. Außerdem täte mein Bein wieder weh und so ein Flug wäre noch zu anstrengend für mich – was eine kleine Notlüge war. Und irgendwann ging er dann auch nach oben um seine Koffer zu packen, während ich im Internet einen Flug buchte.

Auch, wenn ich mir ziemlich sicher bin, dass er meine kleine Notlüge durchschaut hat. Ich meine, ich kann ihn halt nicht anlügen. Selbst bei so popeligem Zeug entlarvt er mich und weist mich zurecht. Aber ich glaube, dass er selbst so seine Hintergedanken hatte. Nicht nur, dass sein Vater wirklich alt geworden ist und womöglich die nächsten Olympischen Spiele nicht mehr mitbekommen wird, sondern auch, dass sein Vater eventuell einen gewissen Anteil seiner Firma seinem Sohn vermacht.

Und das Geld könnten wir momentan gut gebrauchen.

Natürlich ist es pietätlos und unmanierlich und verwerflich und unchristlich und bla bla bla und ich schäme mich ja so, aber verdammte Scheiße auch, das Leben hat auch angefangen damit pietätlos und unmanierlich und einfach nur unfair zu sein, als es meinte mir einen Fünfzehntonnentanklastwagen ins Heck meines Autos zu jagen und mich ins Krüppeldasein zu bomben und Dylan und mich gleich in den Mount Everest der Schuldenberge zu feuern.

Ein Berg, der komischerweise das Talent besitzt, immer doppelt so viel zu wachsen, als wir beide abtragen können. Unser Restaurant haben wir zwar inzwischen eröffnet und es läuft nicht nur ganz passabel, sondern einwandfrei, aber um mit den Einnahmen tatsächlich in überschaubarer Zeit aus dem Rotstiftsumpf herauszukommen, müssten wir für ein Glas Wasser umgerechnet 356 Pfund nehmen. Und darauf hoffen, dass der Gast uns noch etwa 45 Prozent Trinkgeld da lässt.

Und es wäre nun bei allem Überirdischen auch nicht so, dass wir nicht schon alles andere probiert hätten. Eine weitere Hypothek hat man uns nicht aufnehmen lassen und Kredite kriegen wir auch nicht mehr. – die Tatsache, dass ich den Bankangestellten daraufhin als inkontinente, matriarchalische Mistsau beschimpft habe, hat unserer Vertrauenswürdigkeit wohl auch nicht sehr geholfen, wobei mir auch erst beim Verlassen der Bank klar geworden ist, dass ich in meiner Rage matriarchalisch mit materialistisch vertauscht hatte.

Sämtliche Schuldenberater in der näheren Umgebung waren entweder auf Monate ausgebucht oder verlangten soviel an Bezahlung, dass wir uns noch mehr in den Mist reingeritten hätten und das Anpumpen von Freunden oder Verwandten klappte auch nicht. Die, die uns die 45.000 Pfund von Herzen geliehen hätten, konnten es nicht und die wenigen, die es hätten können, wollten nicht, was als Folge hat, dass unser Freundeskreis ein kleinwenig geschrumpft ist.

Als Lösung bliebe als nur noch ein Lottogewinn - wie ich zu einer 1:1.000.000 Chance stehe, dürfte sich jeder ausmalen können – oder ich müsste eine Karriere als Amateurpornostar im Internet in Angriff nehmen. Und Ja, das war ein Scherz!

Summa summarum sitzen wir ganz schön tief in der Scheiße. Und Dylans Vater scheint momentan der einzige zu sein, der daran etwas ändern kann, auch, wenn mir das Bauchschmerzen bereitet.

Bzw. eigentlich müsste es heißen ‚Bauchschmerzen breitet hatte’.

Denn in einer Welt ohne unzufriedene Lokführer und ohne Blizzards über deutschem Festland würde Dylan inzwischen wieder hier sein. Ich würde Bescheid wissen, ob Dylans Dad ihm Anteile vermacht hat oder nicht und entweder vor Erleichterung und Freude über unsere baldige Schuldenfreiheit wilden Fußbodensex oder aber vor Enttäuschung und Frustration über die Sturheit dieses alten Knackers besänftigenden Kuschelsex auf dem Sofa mit Dylan haben. Und ich würde mir diesen Weihnachtsthriller von meinem Lieblingsplatz aus anschauen. Dylans harter, durchtrainierter Brust.

Aber die Welt, in die ich geboren wurde, hat bekanntlich ein Faible dafür, einem ein Bein zu stellen, einem die Leber bis rauf in die Nebenhöhlen zu treten und einen dann auch noch vollzustrullen, demnach habe ich also immer noch Bauschmerzen und – noch sehr viel schlimmer – überhaupt keinen wie auch immer gearteten Sex.

Bei diesem Gedanken streckt Felix langsam und träge den Kopf empor und sondiert seine Umgebung und mich ausgiebig, so als hätte er die Befürchtung, ich würde aufgrund des Sexmangels – seit anderthalb unerbittlichen Wochen - spontan zur Sodomie überschwenken, dann gähnt er nur wieder – so als wäre der Gedanke von mir vergewaltigt zu werden halb so wild - und verströmt den leichten Duft nach Katzenfutter und Zahnbelagbakterien, ehe er sich wieder einrollt und weiterpennt.

Das alles ist so absurd, dass ich kurz lachen muss, dann setze ich wieder die Flasche an den Hals und gönne mir ein paar Schlücke. Und die Freiheit laut und schallend zu rülpsen.

Kurz gelingt es dem Film in mir so etwas wie Interesse zu wecken – Geena Davies macht in einem Hotelzimmer gerade so eine Art schizophrenen Selbstbestimmungsstreit durch, ihr altes platinblondes-Ich-schieß-dir-ein-drittes-Nasenloch-du-Mistkerl-Auftragskiller-Ich gegen ihr neues dunkelbraun-gelocktes-brave-Hausfrau-und-Mutter-Ich – aber dann greife ich mir die Fernbedienung und zappe mich einmal durch. Nach etwa zwei Minuten und achtundneunzig Kanälen bin ich auf MTV 2 angelangt und sehe George Michael und seinen Dauerwellenfanatikerfreunden von Wham dabei zu wie sie mit gekauften Achtzigerjahretrullas in einem Holzhaus in den – Achtung Klischee! – Hamptons Lamettaschlachten veranstalten und dazu ‚Last Christmas’ singen und beschließe spontan, dass ich den Fernseher jetzt doch ausstelle. Offenbar beschäftigen sich an Weihnachten doch die meisten mit ihren Familien, – ob jetzt in einträchtiger Harmonie oder beim Drei-Generationen-Streit dahingestellt – sonst sei würden die Typen von den Fernsehanstalten ein attraktiveres Programm gestalten.

In einer Trägheit, die der von Felix in nichts nachsteht, lasse auch ich meinen Blick einmal rundherum durch das Wohnzimmer schweifen, auf der Suche nach etwas, das ich jetzt machen könnte. Ich könnte zur Bücherwand gehen und mir den neuen bzw. alten Stephen King Roman holen, den ich letztes Wochenende auf einem Trödelmarkt gefunden habe, aber nach Lesen ist mir irgendwie nicht zumute. Ich könnte auch zum Glasschrank gehen und mir eine DVD rausholen, aber ich habe jeden der Filme schon an die dreimal gesehen und selbst auf meinen Dauerfavoriten – Tarantinos Kill Bill – verspüre ich keine Lust. Natürlich könnte ich auch die Play Station 2 unter dem Fernseher anstellen und versuchen endlich diese vermaledeite dreizehnte Esper Cherub Ultima aus Final Fantasy XII zu besiegen, aber die Aussicht, auf einen 30-minütigen virtuellen Kampf, den ich voraussichtlich mit meinem Durchschnittslevel von 70 verlieren werde, macht mich überraschend aggressiv, also fällt auch das flach. Ich könnte auch Musik anstellen und ich bester Tom-Cruise-Manier nur in meinen Shorts, meinem T-Shirt, Sonnenbrille und auf weißen Tennissocken dazu tanzen, aber etwas Würde möchte ich dann doch gerne behalten. Ich könnte auch das Geschirr abwaschen oder Staub wischen oder die Abrechnungen für diesen Monat überprüfen. Himmel, Arsch, ich könnte mich auch nackt draußen in den Schnee stellen und wetten darauf abschließen, welches meiner drei Beine zuerst taub wird!

Könnte, könnte, könnte und zu keinem von ihnen kann ich mich aufraffen. Sie sind alle so sinnlos, irgendwie. Und dylanlos, was noch viel schwerwiegender ist.

Während ich so nachgrüble und für alle möglichen Dinge scheinbar nur triftige Gründe finde,

sie NICHT zu tun, werde ich unsagbar müde. Meine Augen fallen mir immer wieder zu und Stück für Stück sacke ich immer mehr nach links Richtung Armlehne.

Ein letzter innerer Protestschrei, dass man so ein beschissenes Fest wie Weihnachten nicht einfach verschlafen darf, selbst, wenn man es eigentlich total affig findet, dann zeige ich alles und jedem meinen mentalen Mittelfinger, stelle die leere Flasche weg, bewege Felix mit einigen leichten Schubsern dazu, sich nun neben mir zusammenzurollen, dann lege ich meinen Kopf auf die Armlehne, ziehe mir die Decke bis zur Brust hoch und schlafe ein.
 

In meinem Traum spielt es keine Rolle, dass die Bahn nicht fährt und dass die Start- und Landebahnen von Stuttgart bis Kiel vereist sind. In meinem Traum hat es Dylan trotzdem geschafft wieder rechtzeitig herzukommen. Mein Traum macht sich nicht die Mühe, dafür großartige logische Gründe zu finden, er nimmt sie einfach als gegeben hin. Irgendwie hat er es geschafft und das ist das einzige, was zählt.

Ich kann es zwar eigentlich nicht sehen, weil ich auch in meinem Traum schlafend auf dem Sofa liege – nur dass ich dort offenbar beim Fernsehen eingeschlafen bin, denn mein rechter Arm hängt fast auf den Parkettboden und hat die Fernbedienung noch in der Hand – aber ich sehe trotzdem, dass die Uhr am DVD-Player punktgenau auf 0.00 Uhr springt, als Dylan leise die Haustür aufschließt. Er trägt einen langen, weiten, schwarzen Mantel – obwohl er in Wirklichkeit gar keinen hat – und eine Mütze und ist mit Schnee bedeckt. Er nimmt sich die Wollmütze ab und zieht den Mantel aus, dann schüttelt er den restlichen Schnee ab, wobei ihm sein dunkelbraunes Haar in fransigen Wellen um den Kopf peitscht. Vorsichtig zieht er die Schuhe aus, dann schleicht er auf Zehenspitzen ins Wohnzimmer, angelockt durch das Rauschen des Fernsehers. Obgleich meine Augen immer noch zu sind, sehe ich, wie er sich von hinten über das Sofa beugt, mir die Fernbedienung aus der Hand nimmt und den Fernsehapparat ausstellt. In der aufkommenden Stille dringt das leise Knistern von brennendem Holz an meine Ohren, das von dem Kamin herrührt, den wir eigentlich gar nicht haben.

Ich sehe ein Grinsen über Dylans Gesicht wandern, als er um das Sofa herumgeht, sich daneben hinkniet und mir die Decke vom Leib zieht. Dass ich darunter vollkommen nackt bin überrascht mich und irgendwie auch wieder nicht.

Er wandert mit seinen Augen meinen Körper auf und ab, dann beugt er sich vor und bläst mir einen betörend sanften und heißen Lufthauch über das Gesicht. Meine Augen regen sich, blinzeln dann, ehe sie sich öffnen und irgendwie betroffen zu Dylan aufsehen, der in dem matten Schein des flackernden Feuers und mit noch von der Kälte draußen geröteten Wangen umwerfend aussieht.

Er sagt kein Wort, sondern beißt mir sanft in die Nasenspitze, während er gleichzeitig meine Beine auseinander drückt und seine kalte, starke Hand an mir aufwärmt. Ein Stöhnen schießt aus meinem Mund und mein Rücken biegt sich durch, dann küsst er mich. Er küsst mich nicht einfach nur, er verschlingt mich. Und derweil sorgt seine Hand dafür, dass meine Wangen auch rot werden.

Irgendwann sind seine Klamotten weg und wir liegen auf einem Tigerfell vor dem Kamin – dass ich Pelze eigentlich schrecklich finde, scheint meiner Libido und deren Pressesprecher in meinem Unterbewusstsein herzlich egal zu sein – wo er mich ein ums andere Mal nimmt, nur um im allerletzten Moment aufzuhören, mich auf den Bauch, auf die Seite oder wieder auf den Rücken zu drehen, sich meine Beine über die Schultern zu legen oder mit seiner Zunge meine Wirbelsäule nachzumalen und dann von vorne zu beginnen. An einem bestimmten Punkt fängt mein Traum an, zu verwischen. Ich nehme keine Details mehr war, nur noch gewisse Sinneseindrücke. Der Geschmack von Schweiß, der Geruch nach verbranntem Holz, das weiche anschmiegsame Streicheln des Tigerfells, Dylans heiseres Keuchen, dann ist fast nur Platz für die unbarmherzige Härte, die sämtliches Denken in mir zerschmettert und…

…plötzlich legt sich etwas Eiskaltes direkt auf mein Gesicht. Etwas furchtbar, beschissen Eiskaltes. Und NASSES!! Und widerliche Weiches!!

Ich stürze durch alle Tiefschlaf- und REM- und Weiß-der-Kuckuck-was-noch-für-Phasen und bin so in die Erkenntnis vertieft, dass mich jemand erstickt oder das ich ertrinke – oder beides gleichzeitig, in Träumen ist alles möglich – dass ich gar nicht realisiere, dass ich davon aufwache. Liegt vielleicht auch daran, dass ich trotz offener Augen nichts als Dunkelheit sehe. Bzw. nicht sehe. Verflucht auch, ich sehe eben NICHTS!!

Panik umklammert mich! Ich will schreien, aber da ist wieder dieses faserige, lange, nasse und kalte Ding, das sich über meinen Mund schiebt und die Panik schwillt noch mehr an. Als ich nicht mal mehr einatmen kann, weil auch meine Nasenlöcher von diesem undefiniertem Etwas zugedrückt werden, ist es vorbei. Ich habe keine Panik mehr, ich BESTEHE aus Panik!!

Wild um mich schlagend springe ich auf und spüre ein überraschend großes Gewicht, das sich hinten an mich hängt. Gefolgt von einem Schrei und einem dumpfen Plumpsen, dann ist das Gewicht weg und ich kann wieder atmen. Und sehen.

Verwirrung übernimmt den Platz der Panik und ich drehe mich um.

„Ach du Scheiße!“

Juppi, sprechen kann ich auch wieder.

Dylan erwidert nichts, sondern hat erst einmal genug damit zu tun, sich mit den Händen wieder vom Sofa hoch zu drücken und sich anständig hinter der Rückenlehne hinzustellen. Er muss mir seine Hände über die Augen gelegt haben und da seine Hände verdammt groß sind, haben sie auch meine Nase und teilweise meinen Mund verdeckt. Die Nässe und die Kälte, die ich gespürt hab, müssen von seinen Stoffhandschuhen kommen und das Gewicht, das ich gespürt habe, war seines, als ich ihn beim Aufspringen mit nach vorne mitgerissen habe, sodass er bäuchlings über der Lehne baumelte.

Ich komme mir reichlich dämlich vor und spüre schon wie sich meine Wangen in glühend heiße Öfen verwandeln und…

Halt! Stopp mal! Einen Augenblick!

Was macht Dylan hier? Müsste er nicht jetzt in Deutschland festsitzen? In Deutschland bei seiner Familie, wo die Bahn streikt und die Flugzeuge nicht starten dürfen? Und überhaupt…er ist da!! Heilige Crystal Queen, er ist wahrhaftig da!

Ein Grinsen bricht auf meinen Lippen aus, das sich anfühlt, als würde es von einem Ohr zum anderen gehen.

„Ach du Scheiße!“, juble ich und springe ein zweites Mal nach vorne, wobei ich das Sofa als Absprungpunkt nutze. Doch diesmal ist es mein Gewicht, das an Dylan zerrt. Ehe es ihn einfach umhaut.

Mit einem dumpfen Laut landen wir beide auf dem Boden. Er auf dem Rücken, ich auf ihm.

Sein herrlich tiefes Lachen schallt durch den Raum und ich kann irgendwie immer noch nicht glauben, dass ich nicht mehr träume.

„Was zum Teufel machst du hier?“, höre ich mich fragen und ich finde, ich klinge so wie jemand, der Selbstgespräche darüber führt, dass er Selbstgespräche führt. Kurzum, irgendwie hohl.

Dylan senkt kurz seinen Blick und muss daraufhin verräterisch grinsen, dann sieht er mich wieder mit seinen dunkelbraunen Augen an, gegen die die Welt nicht mal ansatzweise anstänkern kann.

„Dich offenbar ganz schön rattig.“, entgegnet er frech und packt mich danach, ob meines offensichtlichen Nichtverstehens fest an den Hüften um mich auf seinem Schoß ein Stück nach vorn zu schieben. Die plötzliche Reibung unserer Körpermitte lässt mich tatsächlich kurzzeitig erzittern und mir wird bewusst, dass zumindest meine untere Körperhälfte immer noch in der Welt herumgeistert, in der wir einen Kamin, ein Tigerfell und offenkundig viel zu viel Testosteron im Blut haben.

Den Kommentar darüber, dass meine Anwesenheit ein gewisses Organ an ihm auch binnen Millisekunden auf die Dichte von Granit gebracht hat, spare ich mir einfach, weil mir eine Frage mehr auf der Seele brennt. Sogar etwas mehr, als der Wunsch, ihn an seinen Haaren zu packen und einmal quer durchs Erdgeschoss zu vögeln.

„Halt die Klappe und erzähl schon! Was ist? Hat er dir Anteile gegeben?“

Dylans Gesicht wird plötzlich ernst.

Dann schüttelt er den Kopf.

„Nein, er hat mir keine Anteile gegeben.“

Ich habe das Gefühl, als würde mich irgendetwas am Kopf treffen. Ich weiß nicht, was es ist, aber es ist hart und leer und grausam. Das kann doch nicht...wie sollen wir denn jetzt weitermachen? Wie sollen wir da jemals rauskommen?

Dylan grinst plötzlich wieder und schiebt seine Hände unter meine Shorts.

„Er hat sie mir gleich ausgezahlt. 700.000 Kröten, Baby! 700.000 verfickte Kröten!“

Im Grunde hätte ich auch noch gerne etwas dazu gesagt oder meiner Freude und Erleichterung irgendwie Ausdruck verliehen. Wie genau weiß ich nicht, aber es wäre schon ganz nett gewesen. Immerhin kriegt man nicht jedes Jahr zu Weihnachten gesagt, dass man reich ist! Aber gut, wir wollen mal nicht so sein.

Dass Dylan keine weitere Sekunde mehr warten konnte, mir die Klamotten vom Leib zu reißen – weswegen ich mir jetzt erstmal ein neues T-Shirt kaufen darf, Dankeschön – mich mit einem Ganzkörperzungenkuss außer Gefecht zu setzen und mich schließlich nach allen Regeln der Kunst, der Physik und der tantrischen Sexuallehre zu – Verzeihung! – nageln, konnte ich in meiner grenzenlosen Nachsicht durchaus verstehen.

In einem dieser schmalzigen Walt Disney Schinken, in dem ich zweifelsohne den skrupellosen Geldsack Scrooge oder den weihnachtshassenden Grinch gegeben hätte, käme jetzt ein vor Kitsch und karitativer Selbsterkenntnis triefender Monolog darüber, dass ich doch noch meinen Glauben an das heilige Fest der Liebe und allgemein meine Sympathie für weltweite Harmonie und Glückseligkeit gefunden hätte. Aber wir leben ja glücklicherweise nicht in einem Walt Disney-Schinken und ich kann mir diesen ganzen Scheiß sparen.

Weihnachten finde ich nämlich immer noch zum Kotzen. Und daran wird sich auch nie etwas ändern. Da können die armen Waisenkinder mit ihren Krücken und ihren großen, nassen Kulleraugen noch so oft ‚Stille Nacht’ in Eunuchen-Moll singen.

Dieser Geldsegen ist kein Weihnachtswunder.

Und ich werde deswegen im nächsten Jahr auch sicher keinen Baum aufstellen. Oder Kerzen anzünden. Oder in dir Kirche gehen. Oder auch nur Plätzchen backen.

Nein, ich werde stattdessen dafür sorgen, dass das Restaurant leer ist, alles hübsch herrichten, mich selbst an den Gasherd stellen und ihm sein Lieblingsessen kochen. Und dann werden wir unter uns feiern.

Nicht, weil am 24. Weihnachten ist, sondern, weil der 24. Dezember einer der wenigen Tage in unserem Leben ist, an dem das Leben uns nur ein Bein gestellt…und uns danach um Verzeihung bittend aufgeholfen hat.



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Kommentare zu diesem Kapitel (7)

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Von:  Yoyo
2010-09-03T14:12:30+00:00 03.09.2010 16:12
Dylan ist einfach hinreissend *__*
Dein Schreibstil der Wahnsinn und alles so schönes hartes Real-Life mit wenig Kitsch und Glitzer und dennoch dem wünschenswerten Happy End.

Genau das was mir gefällt. *g*


Von:  ReiRei-chan
2009-07-11T14:55:23+00:00 11.07.2009 16:55
Du schließt immer mit so geilen Sätzen! Ah, eine wohltat das zu lesen, ich mutiere gerade zu deinem Fan xD
Von: abgemeldet
2008-01-10T18:17:57+00:00 10.01.2008 19:17
Hey...
Ich glaube, ich habe dir schon ein paar mal gesagt, wie toll ich die beiden finde, oder? Und meiner Meinung nach wiederhole ich mich auch, wenn ich dir sage, dass du einfach super schreibst^^
Ich fand Tylers Einstellung zu Weihnachten super :) So hab ich auch schon ein paar mal gedacht (aber an Heilig Abend bin ich dann doch wieder auf die andere Seite übergewechselt) und ich fand es SUPER, dass er seine Meinung auch am Ende nicht geändert hat, als dann ja doch wieder alles gut war :) Das ist auch so was an deinen FFs... es kommt immer was, das man so nicht erwartet hätte^^
Ich hoffe, du schreibst bald mal wieder etwas mit den beiden^^
LG cada :)
Von:  Aya_Q
2008-01-04T19:09:19+00:00 04.01.2008 20:09
tja, ich bin nicht für lange und ausführliche kommentare bekannt. Und nach so einer genialen story schon gleich dreimal nciht mehr. Ich werde wieder tagelang keinen Satz zu Üapier bringen, weil die so toll geschrieben ist....

oh-es ist übrigens CassiopaiaRiddles schuld, dass ich dir diesen sinnfreien kommentar schreib...also beschwer dich bitte bei ihm...
lg
Aya
Von: abgemeldet
2007-12-22T22:06:10+00:00 22.12.2007 23:06
christmas sucks - stimmt, ich hasse weihnachten auch ^.-
...
echt eine wahnsinnsgeschichte, die man in einem stück regelrecht verschlingt, ich liebe zynismus und schwarzen humor *gg*
die geschichte ist echt geschrieben wie aus dem "real life" (gibt es sowas überhaupt noch? :-P) und boah ich kanns nicht in worte fassen °___°

LG
löwchen
Von:  -Lelias-
2007-12-05T21:08:18+00:00 05.12.2007 22:08
Hach ich hasse weihnachten <3, aber die Geschichte hat meinen tag gerettet ^^ Ich liebe die Beiden! mouuu weiter so!
Zynismus ist eine feine Sache *g*
Einfach nur herrlich oh freu mich richtig für die Beiden xD
Toller Geschichte tolelr stil

LG
Lelias
Von: BlaiseZabini
2007-12-05T01:46:21+00:00 05.12.2007 02:46
jui!
Ich liebe die beiden, ich liebe sie abgöttisch!
das war wieder eine super geniale weltspitzen Geschichte, voller Sarkasmuss, ironie, sex und einfach nur heißen Gedankengängen!
*seufz*
Ich kann es nur noch mal wiederhollen, ich liebe diese beiden und du verleist ihnen so einen unglaublichen charme und eine wunderbare Persönlichkeit, das man glauben könnte es gibt die beiden wirklich.
mach weiter so und beschenk uns weiter mit geschichten dieser beiden Schnuckel.
Lg Blaise


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