Ein Lichtermeer erscheint vor meinen Augen,
einsam spendet jede kleine Flamme Hoffnung. . .
Einsam?
Nein, es sind hunderte von Kerzen. . .
Bloß ein einsames Herz in meiner Brust. . .
Die Kälte kriecht mir die Beine hoch,
mein Atem, eine weiße Wolke. . .
Der Wind bläst mir die Haare zur Seite,
wirbelt mir die bunten Blätter um die Füße . . .
Nur langsam hebe ich den Blick,
stehe am Tor in eine andere Welt. . .
Es gibt nicht viel Orte, die ich je gemieden habe,
dieser ist einer davon. . .
Zaghaft setzte ich die ersten Schritte auf den Kiesweg,
die kleinen Steine knirschen unter den Sohlen. . .
Und ich spüre dieses erdrückende Gefühl in mir aufsteigen
Kaum, dass ich diesen Ort betrete. . .
Trotz der Menschen um mich herum, fühle ich die Einsamkeit,
die in jeder meiner Fasern steckt. . .
. . . Sie schnürt mir die Brust zu. . .
Wie ein Geist wandere ich zwischen den Gräbern her,
bemerke die leeren, traurigen Blicke der Menschen,
spüre ihre Trauer und den Schmerz in ihren Seelen. . .
Gequält von dem Verlust winden sie sich voller Leid. . .
Warum hört sie niemand schreien?
Ich klappe den Kragen meiner Jacke hoch,
es hat zu regnen angefangen
und doch verlöschen die kleinen Lichter nicht. . .
Sie sind klein, aber beständig und stark. . .
Hier in der Dunkelheit ein Wegweiser für jeden. . .
. . . Kleine Lichter voller Hoffnung. . .
Immer wieder bleibe ich stehen,
sehe mit glasigen Augen in die flackernden Flammen. . .
Doch einige Gräber liegen im Dunkeln. . .
Sind sie etwa vergessen worden?
Werden wir alle irgendwann vollkommen vergessen sein?
Vielleicht warten wir alle bloß darauf,
dass jemand für uns eine kleine Kerze ansteckt. . .
Endgültig bleibe ich nun stehen. . .
Ein einzelnes Grab liegt vor meinen Füßen. . .
. . . Ein einzelner Stein. . .
. . . Ein einzelner Name. . .
. . . Nicht ein Licht. . .
Es ist das erste Mal, dass ich hier bin. . .
Die einzige, die an dich gedacht hat?
Wieso?
Haben dich denn alle vergessen?
Langsam sinke ich auf die Knie,
fahre den Schriftzug auf dem Stein nach. . .
. . . Dein Name. . .
Wie könnte ich ihn jemals vergessen?
. . . Aber das hier ist nicht das, was du wolltest. . .
Nie wolltest du an einem solchen Ort liegen,
draußen in der Kälte. . .
. . . Nicht in Mutter Erdes dunklen Schoß. . .
Nein, du wolltest immer nur frei sein,
mit dem Wind verschmelzen. . .
Ja, der Wind. . .
. . . Dein bester Freund. . .
Leise rollte mir die erste Träne über die Wange,
meine Hände krallen sich in die Erde. . .
. . . So kalt. . .
Du wolltest nie, dass jemand so an deinem Grab steht. . .
. . . Einsam und verzweifelt. . .
Nein, dein Grab sollte immer nur der Wind sein. . .
>So würdest du die ganze Welt sehen<,
hast du immer gesagt
und deine dunklen Augen funkelten voller Abenteuerlust. . .
Ein leichtes Lächeln auf meinen Lippen,
trotz der Tränen, die mittlerweile den Boden benetzen. . .
Ja, deine Augen, dein Lächeln. . .
Wie könnte ich sie jemals vergessen?
Vorsichtig stelle ich eine Kerze auf dein Grab,
zünde sie an. . .
Die Flamme spendet ein wenig Licht,
als ich eine kleine Spieluhr daneben stelle. . .
Immer wieder dein Gesicht vor den Augen. . .
Deine schwarzen Haare. . .
. . . die funkelnden Augen. . .
. . . die scharfen Züge. . .
. . . das sanfte Lächeln. . .
Du sagtest ich sei die erste, der du so dein Herz geöffnet hast. . .
Der Wind weht mir um den Körper,
das Licht flackert, doch verlöscht nicht. . .
Ob ich wohl auch so stark bin,
wie diese kleine Flamme?
Ob ich wohl auch ein Licht in der Dunkelheit bin?
Meine Augen sind geschlossen. . .
. . . ich sehe dich. . .
Dein Lächeln, meinen Namen auf den Lippen. . .
Höre deine Stimme. . .
Sie ist dunkel, etwas rauchig. . .
. . . Ich liebe es, dir zu zuhören. . .
Ganz sanft und beruhigend ruft sie nach mir. . .
. . . Ich vermisse sie so. . .
Der Wind trocknet meine Tränen,
so wie du es immer getan hast. . .
Sie sind bloß noch ein Salzschleier auf meiner Haut. . .
Und langsam öffne ich den Deckel der Spieluhr. . .
Bloß eine simple Holzkiste,
die eine süße Melodie versteckt. . .
. . . Du hat sie so gerne gehört. . .
Stundenlang konntest du davor sitzen,
zumeist in einem, bloß von Kerzen beleuchteten Raum. . .
Immer wieder die gleichen betörenden Klänge,
die dich ganz sanft werden ließen,
die dich in eine andere Welt führten. . .
. . . die dir ein Lächeln auf die Lippen zauberten. . .
Immer wieder die gleiche Melodie. . .
. . . Unermüdlich. . .
. . . Ton für Ton. . .
. . . Klang für Klang. . .
Und dann. . .
Schenktest du sie mir. . .
Sie hat dir doch so viel bedeutet. . .
Wieso schenktest du sie mir?
Erst als ich sie öffnete, wusste ich wieso. . .
Ein kleiner, silberner Ring lag in ihr. . .
. . . Ein paar Worte, die du mir zärtlich ins Ohr flüstertest. . .
Jetzt glänzt er an meiner Hand. . .
Wie könnte ich diesen Abend vergessen?
Wie könnte ich deine Frage vergessen?
. . . Und meine Antwort. . .
Leise höre ich die ersten Klänge aus der Spieluhr schlüpfen. . .
Die Klänge meiner Seele. . .
Jeden einzelnen Ton kannte ich. . .
Jeder einzelne Ton in meinem Herzen festgebrannt. . .
Jeder einzelne Ton aus meiner Seele. . .
Jeder einzelne Ton aus Wut, Trauer und Verzweiflung. . .
. . . Jeder einzelne Ton aus Hoffnung. . .
Langsam richte ich mich auf,
lausche der Melodie, die deine Seele zu mir trägt. . .
Bist du ein Engel?
. . . leuchtend?
. . . mit reinen, weißen Flügeln?
. . . Ganz sicher. . .
Ich wende mich um,
lasse die Spieluhr bei dir. . .
Ihr Lied soll dir den Weg weisen. . .
Und die Melodie trägt mich fort. . .
. . . Auf silbernen Schwingen. . .
Sie wandert zwischen den Gräbern her. . .
Eine einzelne Melodie zwischen der bleiernen Stille. . .
Klein und unbedarft. . .
Ich höre sie, ihre Töne geleiten mich fort. . .
Die letzten Töne zerfließen im Wind. . .
Ich stehe wieder vor dem Tor. . .
Nur noch einmal wende ich mich um. . .
Das Lichtermeer. . .
Doch obwohl die Klänge schon längst zerflossen sein müssten,
höre ich das Lied der Spieluhr. . .
der Wind trägt es mit sich. . .
Und dann. . .
Stehst du vor mir. . .
Durchscheinend, mit weißen Flügeln. . .
Ich hatte Recht. . .
. . . Du bist ein Engel. . .
>Mein Schutzengel. . .<
Leise wisperte meine Stimme. . .
Ein Lächeln auf meinen Lippen. . .
Und ein Lächeln auf deinen Lippen. . .
Deine Augen blicken so zärtlich in meine. . .
Sanft weht der Wind, trägt deine Worte zu mir,
obwohl sich deine Lippen nicht bewegen. . .
>Bald. . . Irgendwann sehen wir uns wieder, meine Kleine. . .<
Und dann die drei Worte,
als der Wind heftiger wird und du verblasst,
bis du nicht mehr zu sehen bist. . .
>Ich liebe dich<
Stille. . .
Endgültig ist die Melodie verklungen,
das Tor schließt sich klappernd hinter mir. . .
Ich gehe. . .
Bloß. . . Wohin?
Ein einsames Herz in meiner Brust,
doch nun gefüllt voller Klänge und Töne. . .
Gefüllt mit deiner Liebe. . .
Leicht schüttle ich den Kopf. . .
Nein, nicht seit eben erst,
schon immer habe ich sie besessen. . .
Wieso ist es mir nicht aufgefallen?
Wie konnte ich es auch nur für einen Moment vergessen?
Meine Schritte hallen durch die nächtlichen Gassen,
der Regen hat aufgehört. . .
Die Wolken geben den Mond und die Sterne frei. . .
In den Pfützen auf den Straßen,
schillert ein Ölschleier in allen Farben. . .
Meine Gedanken sind nur bei dir. . .
Wo auch sonst?
Ich laufe in den Park,
zu unserem Treffpunkt. . .
Die alte Trauerweide am See. . .
Nicht eine Menschenseele ist hier,
es ist schon viel zu spät. . .
Und doch spüre ich,
ich bin nicht allein. . .
Als ich endlich ankomme,
fährt der Wind raschelnd durch die Blätter. . .
Die Melodie der Spieluhr kommt mir in den Sinn,
sie klingt in meinen Ohren. . .
Ein leichtes Lächeln noch immer auf meinen Lippen. . .
Ich trete ans Ufer,
blicke rauf zu den Sternen. . .
. . . Liebe. . .
Mein Blick wandert in den Spiegel des Sees. . .
Die Gestirne glitzern in ihm. . .
Und dann. . .
Erkenne ich dich. . .
Du stehst hinter mir,
doch ich wende mich nicht um. . .
Ich weiß, wenn ich es tue, bist du wieder fort. . .
Also bleibe ich so stehen,
blicke weiter in den Spiegel. . .
Spüre deine Arme, die sich um mich legen. . .
. . . Deinen Körper eng an meinem. . .
. . . Deine Wärme. . .
. . . Die Melodie. . .
. . . Deine Melodie in meinen Ohren. . .
Wie könnte ich sie je vergessen?
Wie lange ich so da stand?
Ich weiß es nicht. . .
Gefangen in meinen Erinnerungen,
gefangen in meiner verzehrenden Sehnsucht,
konnte ich dich spüren. . .
. . . Dich hören. . .
. . . Dich riechen. . .
Und von diesem Moment an wusste ich,
du würdest nie von mir gehen. . .
. . . Dich könnte ich nie vergessen. . .
Dann blicke ich noch einmal in den Himmel. . .
. . . Die Sonne geht auf,
taucht alles in einen rötlichen Schimmer. . .
. . . ich stand wirklich die ganze Nacht hier. . .
Als ich wieder ins Wasser blicke,
sehe ich noch einmal lächeln. . .
ich spüre deinen Kuss,
bevor dich der nächste Windstoß mit sich nimmt. . .
. . . Trägt dich fort. . .
. . . Um die Welt. . .
. . . Du bist frei. . .
Endlich öffnen sich meine Lippen. . .
Blätter wirbeln auf und ich blicke ihnen nach. . .
Die ganze Zeit über hatte ich nicht einen Ton von mir gegeben,
hatte bloß den Klängen in meinen Ohren gelauscht. . .
Doch jetzt endlich kamen die Worte über meine Lippen,
die ich dir schon die ganze Zeit über sagen wollte:
>Ich liebe dich auch<