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100% Sorglospunks!

von

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Literatur pur

„Kiwi!“ Easys Stimme scholl drei Querstraßen weit durch das beschauliche kleine Örtchen mitten im Schwabenland. Dieser Ort gehörte zu den vielen Kleinstädten, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen. Doch dieser hatte eine Besonderheit: Er war die Heimat der Sorglospunks, die es sich zum Ziel gesetzt hatten a) berühmt zu werden und b) unter Beweis zu stellen, dass sie mindestens die zweitbeste Band der Welt waren (die beste Band der Welt waren ja bekanntlich schon Die Ärzte). Von letzterem waren sie übrigens äußerst überzeugt, genauso wie davon, dass der Durchbruch nur noch eine Frage der Zeit war und ganz definitiv kommen würde.

Easy war nun die Frontfrau, Bandleaderin – wenigstens manchmal –, Songwriterin und Sängerin der Band in Personalunion und Kiwi war nicht nur ihre Katze, sondern außerdem das Bandmaskottchen. Und besagte Katze war nicht zum Abendessen erschienen, obwohl Kiwi wohl eine der futterverliebtesten Miezen der Welt sein dürfte.

„Kiwi!“

„Boah, Easy, lass gut sein. Wahrscheinlich hat sie irgendwo eine alte Dame gefunden, die sie mit Sahne abgefüllt hat, sodass sie sich jetzt nicht mehr bewegen kann und das Abendessen einfach auslässt“, protestierte Jack, Easys Zwillingsschwester, musikalisches Multitalent und die heimliche Bandleaderin.

„Aber wenn ihr was passiert ist...?“, kam es besorgt zurück.

„Quatsch. Kiwi passiert nichts! Das ist eine Katze! Die schlawinert sich schon irgendwie durch. Wirst schon sehen: Morgen früh steht sie vor der Tür und jankt, als ob sie seit Monaten nicht mehr gefressen hätte.“

„Mhm...“, machte Easy. Sie war zwar nicht restlos überzeugt, aber im Moment konnte man auch eigentlich nichts tun. Das war das Problem. Also abwarten. Wenigstens bis morgen.
 

Am nächsten Morgen klingelte es.

„Das ist Kiwi!“, jubelte Easy.

„Ach, seit wann kann sie klingeln und nimmt nicht den Weg durchs Küchenfenster?“, murmelte Chris, der Gitarrist, Bassist und Komponist, morgenmuffelig in seinen Kaffee. Das Küchenfenster stand nämlich stets halboffen, um Kiwi den ständigen Ein- und Ausgang zu ermöglichen.

Easy stürzte zur Tür. Dort saß auch tatsächlich eine Katze. Auch eine getigerte. Aber das war nicht Kiwi. Denn Kiwi grinste nicht.

„Oh“, machte Easy nur und starrte die grinsende Katze an, die jetzt ihren besten Trick vorführte und verschwand, sodass nur noch ihr Grinsen übrig blieb.

„Äh... Kommt ihr mal???“

Kaum hatte sie gerufen, waren wir auch schon da. Wir, das hieß Jack und Chris, die ihr ja schon kennengelernt habt, dann Nifen, die Managerin, und ich, die hochoffizielle vom Olymp für die Band abgestellte Muse.

„Die Grinsekatze!“, brachte Nifen als erste verblüfft hervor.

„Und Poe,“ fugte eine krächzende Stimme hinzu. Erst jetzt, wo er gesprochen hatte, bemerkten wir den Raben, der auf der Laterne neben dem Fußweg zur Haustür hockte.

„Poe? Wie Edgar Allan Poe?“, erkundigte ich mich.

„Exakt. Ich bin der Rabe aus dem Gedicht. Und wer auch nur zu denken wagt, mich Nimmermehr zu nennen, kann sich von seinen Augen verabschieden“, plusterte er sich angriffslustig auf. Offenbar war das ein Witz, den er mindestens einmal zu oft gehört hatte.

„Okay...“ Wir sahen uns kurz an. Irgendwie hatten wir alle das Gefühl, im falschen Film gelandet zu sein. Die Grinsekatze aus Lewis Carolls ‚Alice im Wunderland’ und der Rabe aus Edgar Allan Poes Gedicht ‚Der Rabe’...

Na, das war doch was. Aber das hier wären nicht die Sorglospunks, wenn sie damit nicht dennoch recht problemlos klar gekommen wären. Schließlich hatten sie doch schon das Märchenland und die Hölle besucht, eine Zeitreise gemacht, an den Triolympischen Spielen teilgenommen, mit Aliens um die Erde gespielt und Lucky Luke kennengelernt. Was also sollte diese Band noch groß überraschen?

„Na, dann immer rein in die gute Stube“, sagte Jack schließlich.

„Ich rufe Chi an,“ murmelte Easy und flitzte zum Telefon, um den Teufel höchstpersönlich anzurufen. Chibichi, der Teufel, war nämlich eine enge Freundin der Band und eine nie zu unterschätzende Unterstützung.

„Okay, sobald sie da ist, reden wir in Ruhe“, entschied Jack.
 

Chibichi nahm auch den nächsten Schnellaufzug und war innerhalb von zehn Minuten da.

„Grinsekatze!“ Fröhlich begrüßte sie die literarische Katze. Irgendwie überraschte es mich nicht, dass sie die Katze aus ‚Alice im Wunderland’ kannte, war der Teufel doch einerseits für seine große Vorliebe für Katzen als auch andererseits für seine Begeisterung für Kinderbücher mehr als bekannt. „Was machst du denn hier?“

„Genau das wollten uns die beiden noch erzählen“, mischte sich Nifen ein, ehe das hier zum Privattreffen auf Katzisch ausarten konnte, denn Chibichi sprach bekanntlich die Katzensprache und hatte schon mehrfach als Kiwi-Übersetzerin für die Sorglospunks fungiert.

„Kiwi ist verschwunden und die beiden standen auf einmal vor unserer Tür“, fasste Easy extra kurz zusammen, was passiert war.

„Also, warum seid ihr hier?“ Nifen fixierte unseren unerwarteten tierischen Besuch.

„Nun...“, setzte die Grinsekatze an, wurde aber direkt von Poe unterbrochen.

„Wir hatten doch abgesprochen, dass ich rede!“

„Dann mach auch!“, fauchte die Katze zurück. „Und vertrödel nicht unsere Zeit!“

„Ja, ja.“ Poe verdrehte die Augen und plusterte sich wichtigtuerisch auf. „Wir wissen, wo eure Katze – Kiwi – ist.“

„Wo, wo, wo?“ Easy war sofort hibbelig, während wir anderen schlagartig misstrauisch wurden und ahnten, dass etwas geschehen sein musste, womit wir nicht hatten rechnen können.

„Kiwi ist entführt worden.“

„Von wem?“, brauste Jack auf. Auch wenn sie Easy noch am vorigen Abend recht lässig beschwichtigt hatte, machte sie sich jetzt riesige – um nicht zu sagen gigantische – Sorgen um das Maskottchen und war schlagartig stinksauer auf diese dreisten Catnapper.

„Von Wilhelm Tell.“ Poe klackerte mit dem Schnabel.

„Dann nichts wie hin zu ihm und Kiwi retten!“, rief Easy.

„Wenn das mal so einfach wäre“, mischte sich die Grinsekatze jetzt wieder ein. „Normalerweise befindet er sich ja in Schillers ‚Wilhelm Tell’, aber er hat sich versteckt. Und wie ihr euch sicher vorstellen könnt, ist das Literaturland sehr groß...“

„Was für ein Mist!“, fluchte Chris aus tiefstem Herzen.

„Mist hoch drei“, stimmte Jack ihm zu, während Easy nur leise murmelte: „Kiwi...“

„Wir können ganz sicher etwas tun“, sagte Chibichi mit fester Stimme. „Denn jede literarische Figur besitzt einen roten Faden, der sie auf ewig mit ihrer Geschichte verbindet. Und das bedeutet...“

„...dass wir nur Tells rotem Faden rückwärts von der literarischen Schweiz bis zu seinem aktuellen Aufenthaltsort folgen müssen“, führte ich den Satz weiter.

„Absolut genial!“, beglückwünschte Nifen den Plan.

„Der Haken daran ist nur, dass ausschließlich literarischen Gestalten die roten Fäden sehen können“, dämpfte ich die Aufbruchsstimmung etwas.

„Und das ist der Punkt, an dem wir ins Spiel kommen.“ Poe grinste, soweit Raben denn grinsen können.

„Ganz genau“, stimmte ihm die Grinsekatze zu.

„Und was erwartet ihr als Gegenleistung dafür?“, fragte Chibichi mit zusammengekniffenen Augen. Als Teufel roch sie einen sich anbahnenden Deal natürlich zehn Meilen gegen den Wind. „Ihr macht das doch weder aus reiner Hilfsbereitschaft noch aus Solidarität mit dem Entführungsopfer.“

„Nun, es gibt da schon etwas...“

„...das uns sehr interessieren würde...“, drucksten die beiden herum.

„Raus damit!“

„In einem Sorglospunks-Song aufzutauchen.“

Wir alle sahen Easy an. Sie war schließlich diejenige, die fast alle Songs schrieb.

„Äh, klar, kein Problem!“, strahlte sie. „Und jetzt verlieren wir keine Zeit, sondern retten endlich Kiwi!“

Gesagt, getan.

...

Nun, wenigstens nahmen wir die Katzenrettungsaktion jetzt ganz konkret in Angriff.

„Nur so eine kurze Frage“, warf Jack mitten in unsere Aufbruchseuphorie ein. „Wie kommen wir denn ins Literaturland? Chi ist doch ohne das Wunderauto da...“

„Ach, das ist einfach“, wischte der Teufel ihre Bedenken bei Seite. „Wir brauchen nur einen Spiegel und das Buch, in dem wir starten wollen.“

Betretenes Schweigen auf Seiten der Sorglospunks. ‚Wilhelm Tell’ hatte keiner von ihnen im Schrank stehen.

Nifen wollte gerade fragen, ob auch ein anderes Buch ging und wir im Literaturland dann einfach zu ‚Tell’ gehen konnten, da hatte ich mein eigene Exemplar endlich in meinem Wolkenkoffer gefunden.

„Hab ihn!“, strahlte ich in die Runde ungläubiger Blicke. „Was denn? Gute Literatur ist immer eine Quelle zeitloser Ideen und Inspiration!“

„Wie geht es jetzt weiter?“, wandte Jack sich nach einem Augenblick des kollektiven Schweigens wieder unserer Aufgabe zu

„Abranka, lies die ersten Zeilen vor“, sagte Chibichi und nahm meine freie Hand. „Ihr anderen haltet euch an mir und einander fest, sodass wir eine Kette bilden.“

Poe und die Grinsekatze verzichteten auf dieses Prozedere. Als literarische Geschöpfe konnten sie eh problemlos ins Literaturland wechseln, wenn sie sich darauf konzentrierten.

Ich las...

„Es lächelt der See, er ladet zum Bade,

Der Knabe schlief ein am grünen Gestade,

Da hört er ein Klingen,

Wie Flöten so süß,

Wie Stimmen der Engel

Im Paradies.“

Chibichi konzentrierte sich auf den Spiegel.

„Menno, wann geht es...“, quengelte Chris gerade, als es geschah.

Die Welt schien urplötzlich nur noch aus Worten auf Spiegeln zu bestehen, die durch sie tausendfach gespiegelt wurden. Und dann waren wir auf einmal im Literaturland. Mitten in Schillers ‚Wilhelm Tell’.
 

Wir landeten am Rande des beschaulichen Vierwaldstättersees. Von dem hohen Felsufer aus konnte man über den See auf die Idylle von hohen Bergen, grünen Wiesen, Dörfern und Höfen in hellem Sommersonnenschein blicken. Wolkenberge türmten sich malerisch über den fernen Gletschern auf. Man hörte das Summen von Bienen, das Plätschern der kleinen Wellen des Sees und das leise Läuten der Glocken der Kühe.

„Fehlt nur noch das Geräusch eines Rasenmähers“, murmelte Chris und bekam eine Kopfnuss von Jack.

„So etwas gibt es hier nicht!“

„Genau, denn Schiller hat ‚Wilhelm Tell’ 1804 veröffentlicht. Da gab es noch keine elektrischen Rasenmäher, also wirst du das Gebrumme vergeblich suchen“, ergänzte ich.

„Himmel, wen interessiert das!“, begehrte Easy auf, die sonst eigentlich immer für Kultur zu haben war. „Wir suchen den Entführer von Kiwi!“

„Und der ist offenbar nicht hier“, stellte Chibichi fest, was von Nifen sofort bekräftigt wurde: „Niemand ist hier. Noch nicht einmal der Fischerjunge, der zum Auftakt des Stückes über den See fährt.“

Oh ja, der See war wirklich verdächtig fischerjungenleer.

„Der Mistkerl ist also ausgeflogen.“ Mit blitzenden Augen stemmte Easy die Hände in die Hüften.

„Wo lang?“, wandte ich mich an unsere literarisch-tierischen Begleiter.

„Richtung Macbeth“, sagte die Grinsekatze, während der Rabe einige Meter weit flog, um die Richtung anzudeuten.

„Toll, und wie kommen wir dahin?“, stöhnte Jack auf.

„Mit dem Literaturexpress“, erklärte Poe. „Da vorne ist direkt die Haltestelle. Die stehen zu Beginn von allen Kapiteln und Akten.“ Er deutete mit dem Schnabel auf eine Laterne, die ein buchförmiges Symbol trug.

„Worauf warten wir noch?“ Easy marschierte voran und stellte sich neben die Haltestelle. „Wann kommt denn dieser Express?“

„Sofort, wenn du auf das Buch-Symbol drückst.“ Der Rabe flatterte direkt neben dem Zeichen auf und ab.

„Aufi!“, stimmte Jack den gefürchteten Sorglospunks-Schlachtruf an. Wir alle schlossen zu Easy auf, die nun den Literatur-Express-Ruf-Knopf drückte.

Mit einem dumpfen Knall und einem knallroten Blitz erschien vor uns aus dem Nichts ein roter Doppeldeckerbus, wie man sie aus London kennt. Klappernd sprangen die Türen auf und der Fahrer blickte uns an.

„Wohin soll’s gehen?“, erkundigte er sich freundlich, während wir einstiegen.

„Achtmal Macbeth bitte“, sagte die Grinsekatze.

„Wo genau?“

„Erster Akt.“ Da wir ja nicht wussten, wo wir dort anfangen sollten zu suchen, konnten wir auch direkt vorne beginnen.

„Schon unterwegs.“

Glücklicherweise konnten wir uns alle – selbst Easy, die sich mit kugelrunden Augen im Inneren des Busses umsah, der mit äußerst gemütlich anmutenden quietschbunten Sesseln ausgestattet war – rechtzeitig festhalten, denn mit einem lautstarken „RUMMS!“ nahm die rasanten Fahrt ihren Anfang.
 

Keuchend und mit grünen Gesichtern stürmten Jack, Easy, Chris und Nifen aus dem Bus, als er endlich hielt. Seit dem abrupten Abzweigen von der Literaturautobahn in die Shakespeare-Abteilung hatten die vier die Fahrt nicht mehr so lustig gefunden. Gut, dagegen war auch jede Achterbahn äußerst harmlos. Chibichi und mir machte das alles wenig aus. Chibichi war die höllischen Fahrstühle gewohnt und ich die heftigen Winde auf dem Olymp. Nun, und Poe und die Grinsekatze waren hier zu Hause.

Als wir den vier Busflüchtlingen folgten, sahen wir, dass wir mitten im rauen schottischen Hochland angekommen waren. Drei Hexen standen unweit von uns und rührten in einem Kessel, der grässlichen, grünen Qualm von sich gab. Es donnerte und blitzte, doch dankenswerterweise regnete es noch nicht, auch wenn der Sturmwind schon jetzt nach Regen roch.

„Und jetzt?“, wandte ich mich an Poe.

„Ich sehe den Faden nicht“, räumte er ein und sah die Grinsekatze hilfesuchend an, doch sie zuckte nur mit den Schultern.

„Okay, dann fragen wir eben“, entschied Chibichi und marschierte auf die drei Hexen zu. Als Teufel hatte sie da überhaupt keine Berührungsängste.
 

„Hallo, wir sind auf der Suche nach Wilhelm Tell. Könnt ihr uns vielleicht sagen, wo er von ‚Macbeth’ aus hingegangen ist?“, quatschte Chibichi die drei Hexen an. Wir anderen hielten uns verschüchtert im Hintergrund. Die prüfenden Blicke der Hexen trafen uns, dann hob die erste ihre Stimme.

„Der Weg ist lang, der Weg ist weit.“

„Der Weg führt fort aus vertrauter Welt und Zeit.“

„Der Weg ist lang, der Weg ist weit.“

Wir sahen uns an und zuckten allesamt mit den Schultern. Damit konnten wir nun wirklich nicht allzu viel anfangen.

„Äh, geht das vielleicht ein klein wenig präziser?“, fragte ich vorsichtig nach.

Angesichts des Blicks, den ich dafür von der Wortführerin erntete, wurde mir ganz anders. Vermutlich hatte ich mir gerade einen Fluch für die nächsten zwanzig Jahre eingehandelt.

„Schwestern, sehen wir nach“, krächzte die Hexe jedoch und stierte in den Kessel.

„Einer wird schneller rennen als je zuvor.“

„Einer wird zorniger sein als je zuvor.“

„Einer wird die Lösung wissen.“

„Alle sind durch die Hölle gegangen.“

„Alle haben den Himmel gesehen.“

„Alle haben am Ende der Welt gestanden.“

„Wo lang?“ Mittlerweile verlor Chibichi angesichts dieses mystischen Gelabers die Nerven.

Die dritte und jüngste Hexe verdrehte die Augen. „Ihr sorgt wirklich dafür, dass das alles keinen Spaß mehr macht. Dritter Akt, vierte Szene.“

„Danke schön!“, flötete der Teufel, während wir anderen bereits Poe folgten, der uns fliegenderweise den Weg wies.
 

In der vierten Szene des dritten Aktes erwartete uns der Ballsaal des Schlosses des schottischen Königs. Nun, und dieser Thron befand sich gerade in den Händen von Macbeth. So finster, wie er und seine Gattin dreinschauten, waren wir sehr froh, dass wir nur einmal kurz an der langen in dem Saal aufgebauten Tafel vorbeihuschen mussten, dann hatte die Grinsekatze auch schon Tells roten Faden erspäht, sodass wir den Literatur-Express in das nächste Buch nehmen konnten – in Goethes ‚Werther’.
 

Wir platzten mitten in eine feine Gesellschaft hinein.

Werther und Lotte standen am Fenster, betrachteten das Gewitter dort draußen – ich war äußerst froh, dass wir nicht dort in dem strömenden Regen unter den zischenden Blitzen gelandet waren – und Lotte hauchte leise: „Klopstock.“

Der romantische Augenblick des stillen Verständnisses zwischen Werther und ihr wurde durch Easy rüde unterbrochen.

„Nein, Tell. Wo ist er lang?“

Verwirrte Blicke trafen sie und Easy wippte unruhig mit der Fußspitze.

„Vor einer halben Stunde entschwand ein fremdländischer Herr durch die Tür“, erklärte Werther schließlich.

„Danke!“

Und damit stürzten wir uns auch schon wieder nach draußen in das literarische – und reichlich nasse! – Gewitter. (So viel zu meiner Freude, nicht darin gelandet zu sein.)

Zum ersten Mal hatten wir eine Zeitangabe erhalten und diese verriet uns, dass wir Tell sehr dicht auf den Fersen waren. Und das war gut!

Wer wusste schon, was der Kiwi noch antat – immerhin hatte der Kerl mit der Armbrust auf seinen Sohn geschossen! Der Apfel auf dem Kopf des Kindes, den der Pfeil sicher durchbohrt hatte, wurde in den Gedanken der Sorglospunks eher nebensächlich. Jemand, der so etwas tat, der war zu allem fähig!

Zum Glück mussten wir nicht allzu lange durch den Regen laufen.

„Da ist der Faden! Es geht in den ‚Grafen von Monte Christo’!“, rief Poe schließlich.

„Ui!“, entfuhr es Nifen und mir, waren wir beide doch begeisterte Fans dieses Romans.

Wenig später brachte uns der Literaturexpress auch schon in dieses berühmte Stück französische Literatur.
 

Wir landeten in Marseille. Die Luft war warm und feucht und roch nach dem Salz des Meeres.

„Oha, wir müssen weiter in den Roman hinein“, stellte die Grinsekatze fest. „Nehmen wir die Abkürzung durch die Kulissen.“ Sprach’s und führte uns durch eine kleine, unauffällige Hintertür in das Hinterzimmer des Romans.

Am besten lässt sich dieser Ort damit vergleichen, sehr schnell durch ein Buch zu blättern, die Worte vor den Augen verschwimmen zu sehen und gleichzeitig die Handlung wie einen Film im schnellen Vorlauf wahrzunehmen.

Es machte Kopfschmerzen.

„Da! Da ist der rote Faden!“, jubelte Poe schließlich und wir flüchteten alle äußerst glücklich zurück in den Roman. Diesen Ort wollten wir alle freiwillig nie wieder aufsuchen.

„Boah, einmal und nie wieder“, bekräftigte Jack das, was wir alle dachten.

„Mir ist schlecht!“, jammerte Chris und Easy war auch schon ganz grün um die Nase. Nifen und mir ging es immerhin einigermaßen und Chibichi meinte fröhlich: „Ich glaube, ich habe eine neue Foltertechnik für böse Sünder gefunden.“

„Wer seid ihr und was wollt ihr hier?“, fuhr uns auf einmal jemand an. „Wachen!“

Wir fuhren herum und erst jetzt wurde uns bewusst, wo wir uns befanden. Wir standen tatsächlich mitten in dem prunkvollen Salon des Herrenhauses, das der Graf von Monte Christo am Rande von Paris erstanden hatte. Und derjenige, der uns entdeckt hatte, war niemand anderes als Bertuccio, der getreue Diener des Grafen.

„Äh, Wachen sind nicht nötig. Wir sind sofort wieder weg“, versuchte ich Bertuccio zu beschwichtigen.

„Und natürlich ohne irgendetwas mitzunehmen, was?“, kam es spöttisch zurück.

Okay, so sympathisch, wie ich Bertuccio bisher beim Lesen des Romans gefunden hatte, war er mir jetzt nicht mehr. Aber man musste ihn wohl auch verstehen, immerhin kam er gerade seiner Pflicht als Bediensteter des Grafen nach.

Wenig später war die Garde des Grafen bei uns.

„Schon wieder Eindringlinge“, deutete Bertuccio auf uns.

„Wie – schon wieder?“, hakte Nifen nach.

„War Tell hier? Wo ist er hin?“, fragte Easy sofort.

„Den Schweizer mit der Katze haben wir vor einer Viertelstunde vor die Tür gesetzt“, erklärte einer der türkischen Wächter finster.

„Hinterher!“, rief Easy aus und stürmte auf die Glastür zu, die den Weg in den Garten versperrte. Die schwer bewaffneten türkischen Söldner kümmerten sie kein bisschen, kamen wir dem gemeinen Katzenentführer doch immer näher!

Im Drauflosstürmen und schnellen Rennen waren die Sorglospunks wahre Profis. Schnell war die Tür aufgestoßen und dann ging die wilde Jagd durch den Garten Richtung Straße.

Die Wachen des Grafen und Bertuccio waren uns dabei säbelrasselnd dicht auf den Fersen.

„Er ist nach ‚Harry Potter’ geflohen!“, maunzte die Grinsekatze, während wir durch den herrschaftlichen Garten hetzten.

„Poe, ruf den Express zur nächsten Haltestelle!“, brüllte ich, hatte ich doch als einzige – der Wolke sei Dank – von uns genügend Luft, um noch Anweisungen zu geben.
 

Es gelang uns mit sorglospunkigen Glück gerade rechtzeitig in den Literaturexpress zu springen, ehe uns die Wachen des Grafen erwischten.

„Wohin?“, fragte der Fahrer gut gelaunt.

„‚Harry Potter’...“, setzte Nifen an. „Welcher Band?“

Doch die Grinsekatze zuckte nur ihre nichtvorhandenen Schultern. „Wir sollten vorne anfangen. Zwischen den Bänden kann man recht einfach springen.“

„Okay... Also, ‚Harry Potter und der Stein der Weisen’, Kapitel... sechs“, entschied die Bandmanagerin. Sie kannte ‚Harry Potter’ schließlich verdammt gut.

„Ah, Hogwartsexpress, nicht wahr?“, sagte Chibichi mit einem wissenden Grinsen, war doch auch sie eine begeisterte Leserin der bekannten Romane.

„Genau. Wir brauchen mal ein bisschen Zeit, um uns zu sammeln. Und in dieser rasenden Rappelkiste geht das ja nicht.“

Da hatte Nifen voll und ganz Recht, raste der Literaturexpress doch bereits wieder mit irrsinnigen Tempo auf der Literaturautobahn in Richtung englische Gegenwartsliteratur. Und so, wie die Sorglospunks aussahen, brauchten sie danach definitiv erst einmal eine kleine Verschnaufpause.
 

Wie Nifen es geplant hatte, landeten wir direkt im Hogwartsexpress auf Harrys erster Fahrt gen Hogwarts. Unter den neugierigen und kritischen Blicken der Schüler schritten wir durch den Zug auf der Suche nach einem freien Abteil. Es dauerte eine Weile, aber schließlich fanden wir eines ganz am Ende und gerade noch vor dem Gepäckwaggon mit den Koffern der Schüler. Das war gut so, denn zwischen Koffern konnte man schlecht eine gute Lagebesprechung machen.

„Also, wir sind Tell ganz dicht auf den Fersen“, stellte Nifen nüchtern fest. „Wir wissen nur noch immer nicht, warum zum Teufel – nichts gegen dich, Chi – er Kiwi entführt hat. Das besitzt einfach keinen Sinn!“

„Ausgenommen, die Furien haben ihn auf uns angesetzt. Sie haben schließlich schon die Daltons angeheuert. Warum nicht auch Tell?“, warf Jack ein.

„Tell ist komplizierter als die Daltons.“ Ich schüttelte mit dem Kopf. „Er denkt anders und interessiert sich nicht für Geld. Er ist ein Freiheitskämpfer, ein Held. Warum sollte er da eine Katze entführen?“

„Er ist ein Verrückter mit einer Armbrust“, murrte Easy, die das Stück noch nie gemocht hatte.

„Nein, nein, er kämpft gegen die Habsburgerische Tyrannei und versucht eine Vereinigung der Schweizer Kantone herbeizuführen, um die Unabhängigkeit von den Habsburgern zu erreichen...“ Ich legte die Stirn in Falten.

„Also können wir zumindest davon ausgehen, dass Tell vermutlich irgendwie dazu gebracht wurde, Kiwi zu entführen...“, murmelte Nifen. „Nur warum? Das ist so... seltsam.“

„Wer weiß, was die Furien ihm erzählt haben. Vielleicht hält er Kiwi für eine Geheimwaffe oder so“, warf Chris flapsig ein.

„Ja, wer weiß...“ Nifen, Chibichi, Jack und ich wechselten einen langen Blick. Wenn dem so war, dann war Kiwi in höchster Gefahr. Tell hatte schließlich nicht davor zurückgeschreckt, mit der Armbrust einen Apfel vom Kopf seines Kindes zu schießen, obwohl dabei durchaus etwas hätte schief gehen können... Nein, der Mann tat für seinen Freiheitskampf alles. Und eine Katze würde da wenig bedeuten...

„Los, wir müssen weiter.“ Entschlossen sprang Jack auf.

„Aufi!“, sagte Easy mit grimmiger Miene und stürmte zur Tür. Dort hielt sie inne. „Wo lang?“
 

Zum Glück fanden wir Tells roten Faden relativ schnell. Er hing mitten in der Großen Halle von Hogwarts in der Luft. Und während Harry Potter und seine Schulkameraden geraden ihren Häusern zugeteilt wurden, standen wir einem Problem gegenüber.

„Er hat die Welt gewechselt. Er ist ins Comicland hinüber...“ Poe plusterte seine schwarzen Federn auf.

„Und das bedeutet?“, hakte Jack nach.

„Dass wir ein Problem haben. Wir müssen auch wechseln und mit dem Literaturexpress über die Grenze fahren, aber ihn dort zu finden... Das könnte nahezu unmöglich sein!“, antwortete die Grinsekatze. Ihr war sogar das Grinsen vergangen. „Wir können dort den roten Faden nicht mehr sehen.“

„Oh, oh...“, murmelte ich und Easy ließ den Kopf hängen.

„Hey, wer aufgibt, verliert“, sagte in dem Augenblick Chris. „Wir lassen Kiwi doch nicht hängen. Also, ruf den Express und wir fahren.“

„Und wohin?“, fragte Nifen.

„Wir gehen zu einem der besten Detektive, den die Literaturgeschichte kennt. Wir besuchen ‚Sherlock Holmes’.“

Gesagt, getan.
 

Der Literaturexpress brachte uns in die Baker Street 221b in dem London der Jahrhundertwende.

„Gute Nerven, Leute“, murmelte ich noch, hatte ich Sherlock Holmes doch immer als recht anstrengend zu lesen empfunden. Mir war der Kerl unsympathisch. Aber wenn er uns helfen konnte, war er mir mehr als nur willkommen. Schließlich mussten wir Kiwi retten!

Wir mussten noch nicht einmal klingeln. Watson, Sherlock Holmes’ Assistent, öffnete uns die Tür, ehe wir die Klingel überhaupt gezogen hatten.

Nacheinander traten wir ein und besahen uns die exquisite Einrichtung.

„Snob“, murmelte Chris leise und erntete von mir einen kleinen Rippenstoß. Allerdings nicht ohne ein breites Grinsen. Ich sah das nämlich absolut genauso.

Holmes saß im Salon in einem bequemen Ohrensessel vor dem Kamin. Selbstverständlich schmauchte er seine Pfeife und ihr durchringender Geruch benebelte einen regelrecht. Ich kippte sogar fast von meiner Wolke und Easy bekam sofort einen Hustanfall.

„Nun, was führt euch zu mir?“, erkundigte sich Holmes und musterte uns dann. „Nein, lasst es mich euch sagen, um euch meine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen.“

Ich verkniff es mir gerade noch, die Augen zu verdrehen, sondern hörte artig zu.

Holmes musterte uns einen nach dem anderen und sagte dann: „Ihr drei“ – er zeigte auf Easy, Jack und Chris – „seid Musiker. Das da ist eure Managerin“ – sein Finger wies auf Nifen – „und die anderen beiden...“ Der wohl berühmteste Detektiv der Literatur legte die Stirn in Falten. „Es sind übernatürliche Entitäten. Eine Muse, vermutlich eure Musikermuse, und der Teufel. Entweder habt ihr ihm eure Seele verkauft oder aber ihr seid in den seltenen Genuss der Freundschaft des Teufels gekommen.“ Anerkennend wanderte meine Augenbraue nach oben. Gut, das war gar nicht so schlecht. Wenn der Kerl das nur nicht so unerträglich arrogant sagen würde. Ich seufzte ganz leise.

„Ihr kommt aus der realen Welt, denn ihr habt ganz eindeutig eine menschliche Aura“, fuhr er fort.

„Die kann jede literarische Figur sehen, wenn sie sich anstrengt. Und sie ist übrigens hellblau“, flüsterte mir Poe zu und ich konnte mir das Grinsen nur mit Mühe verkneifen. Schien, als wenn auch ein Sherlock Holmes nur mit Wasser kochte.

„Und ihr seid hier, weil ihr etwas sucht...“ Holmes’ Augen verengten sich und er runzelte die Stirn. „Da euch die Grinsekatze und der Rabe begleiten, ist davon auszugehen, dass es um ein Tier geht. Ja... Ihr habt Katzenhaare an euren Sachen und es ist bekannt, dass der Teufel Katzisch spricht... Das bedeutet, ihr sucht eine Katze.“

„Kiwi ist entführt worden!“, platzte es aus Easy heraus. „Von Wilhelm Tell!“

„Ja, und er ist ins Comicland abgehauen, sodass wir seinem roten Faden nicht mehr folgen können und jetzt brauchen wir Hilfe“, schnatterte Chris in bester Easy-Manier weiter.

„Und Tell hat schon mal mit der Armbrust auf seinen Sohn geschossen! Dem Kerl ist absolut alles zuzutrauen“, fügte Jack noch hinzu.

„Um es kurz zu machen: Wir brauchen einen Rat, wie wir Tell im Comicland finden können. Wenn wir da noch so eine Hetzjagd machen müssen wie hier, dann ist das nicht mehr lustig“, sagte Nifen. „Außerdem machen wir uns Gedanken um sein Motiv. Wenn die Furien – unsere Erzfeinde, wie Sie sicher wissen – ihn angestiftet haben, dann ist mit absolut allem zu rechnen.“

„In der Tat“. Sherlock Holmes zog nachdenklich an seiner Pfeife und stieß eine dichte Rauchwolke aus, deren süßlicher Geruch uns alle benebelte. Jack hielt sich sogar kurz an Chris’ Schulter fest, weil ihr schwindelig zu werden drohte. Nur Chibichi machte das alles sehr wenig aus. Nun, sie war ja auch der Teufel, was bedeutete, dass sie doch einige Höllenkreise kannte, die recht schwefellastig waren, und entsprechend war ein bisschen Pfeifenqualm doch gar nichts.

Er schwieg und das volle fünf Minuten. Dann verzog sich sein hageres Gesicht zu einem Lächeln.

„Ich weiß, wo Tell hingegangen ist.“

„Und wohin?“, hibbelte Easy sofort und machte Holmes’ jeglichen dramatischen Auftritt zunichte.

Missbilligend sah er sie an, doch als dieser vernichtende Blick nichts brachte, fuhr er fort und breitete vor uns genüsslich seine Genialität aus.

„Tells großes Ziel ist es, die Schweiz von den Habsburgern zu befreien. Dafür absolut notwendig ist die Vereinigung der Kantone durch den sogenannten Rütlischwur. Kommt dieser nicht zustande, ist Tells Freiheitskampf zum Scheitern verurteilt. Die Furien werden eure Katze als Mittel gegen diesen Schwur betitelt haben oder aber euch als Verbündete der Habsburger. Das bedeutet, dass sie Tell gezielt gegen euch aufgehetzt haben.“

„Klasse, so weit waren wir auch schon, wenn wir auch noch nicht das Wie wussten“, maulte Jack.

„Und wo ist er jetzt hin?“, quengelte Chris.

Holmes warf Watson einen missmutigen Blick zu, doch dieser zuckte nur mit den Schultern. Wahrscheinlich fand er uns alle genauso absolut unerträglich und unwürdig, den großen Schlussfolgerungen des noch viel größeren Sherlock Holmes zu lauschen.

„In das Comicland...“

„Ach?“ Nifen verschränkte die Arme vor der Brust. „Das haben wir Ihnen doch erzählt!“

„Ja, aber ihr solltet mich auch mal ausreden lassen“, giftete Holmes zurück. „Ansonsten sage ich gar nichts mehr und ihr hört von meinem Rechtsanwalt wegen Verunglimpfung!“

„Immer mit der Ruhe“, warf Chibichi nun beschwichtigend ein. „Wir beruhigen uns jetzt alle mal und stellen unsere Sorge für Kiwi zurück. Nur Sherlock Holmes kann uns helfen, also sollten wir ihn genau das auch endlich tun lassen.“

Auf ihr Einwirken hin hörten Easy und Chris mit dem leisen Gemaule auf und wir anderen machten auch schlagartig einen weitaus kooperativeren Eindruck.

„Bitte, Mr. Holmes. Helfen Sie uns“, erteilte sie Holmes wieder das Wort.

Dieser strich sein Hemd glatt und fuhr dann fort: „Wie ich bereits sagte, ist Tell in das Comicland gegangen und zwar an einen Ort, an dem es nahezu alle Lebewesen gibt, ein Ort, der ein perfektes Schmelztiegel ist und wo ein sich ein einzelner in der Masse verstecken kann...“

„Entenhausen!“, rief Chris aus und fing sich einen Haufen missbilligender Blicke ein. „Was denn?“, protestierte er. „Ich habe eben alle Lustigen Taschenbücher gelesen und weiß ganz genau, was Holmes meint! Wir müssen nach Entenhausen.“

„Stimmt das?“, wandte ich mich an Holmes.

„Exakt. Euer Weg führt euch nach Entenhausen.“

„Aufi!“, rief Easy schon, kaum, dass der Detektiv seinen Satz beendet hatte und stürmte Richtung Tür. Nachdem wir uns noch kurz von Holmes und Watson verabschiedet und ihnen gedankt hatten, rannten wir anderen ihr hinterher.

Jetzt brauchten wir nur noch den Literaturexpress zur Grenze zu nehmen, diese überqueren und Tell in Entenhausen zu finden... Das war doch ein Zuckerschlecken!
 

Glücklicherweise gab es einen Expressverkehr im Grenzgebiet zwischen Literatur- und Comicland, da beides ja doch irgendwie sehr ähnlich war.

Tja, und dann standen wir mitten in Entenhausen vor dem Duck’schen Geldspeicher und konnten uns überlegen, wie das hier weitergehen sollte.

„Wir können jetzt leider nicht mehr viel helfen“, sagte Poe beschämt. „Tell muss das geahnt haben.“

„Macht nichts.“ Ich grinste den Raben und die Grinsekatze aufmunternd an. „Ich weiß schon, was wir machen. Wir suchen uns auch hier einen Detektiv. Und wer wäre dafür besser geeignet als Micky Maus?“ Gesagt, getan.

Dummerweise mussten wir feststellen, dass Micky nicht zu Hause war.

„Und jetzt?“, fragte Easy traurig.

„Wir gehen zu Tick, Trick und Track“, sagte Chris fest. „Das sind die besten Jungdetektive, die man sich hier vorstellen kann. Und sie sind Pfadfinder. Sie müssen uns einfach helfen!“

Wenigstens hatten wir das Glück, dass die Ducks nur einige Häuser weiter wohnten.

Und wir hatten auch das Glück, dass Tick, Trick und Track uns – dank ihrer Erfahrung mit abstrusen Abenteuern – sofort glaubten und Chris noch einen draufsetzen konnte, indem er sich als großer Fan des Fähnlein Fieselschweif outete. Damit war sowieso klar, dass sie uns einfach helfen mussten.

Somit wurde unsere Truppe dann also noch einmal um drei Köpfe vergrößert. Als wenn wir zu acht nicht schon auffällig genug gewesen wären, aber nun gut. So sausten wir ab jetzt eben zu elft durch die Gegend.

Und die Entendrillinge gaben sich wirklich Mühe. Viel Mühe.

Sie schnatterten unentwegt und führten uns von einem Geheimversteck zum nächsten, bis sie schließlich entschieden, aus dem ganzen eine Fähnlein Fieselschweif-Aktion zu machen und sämtliche ihrer Fähnlein-Freunde zu mobilisieren.
 

Es war schließlich Doofy, ein junger, dicker Erpel mit dicken Brillengläsern, der aufgeregt in unser offizielles Hauptquartier im Duck’schen Wohnzimmer stürmte.

„Ich habe ihn gefunden! In der Blumenstraße gibt es ein verlassenes Haus und da ist ein Fremder mit komischer Kleidung abgestiegen. Er hat genauso seltsame Leute dabei und eine Katze!“

„Super, Doofy!“, erscholl es sofort von den Drillingen.

„Aufi!“, brüllte Easy und stürmte aus dem Zimmer.

„Äh... Ich glaub, wir nehmen den unbedachten Weg direkt durch die Haustür...“, murmelte ich.

Wir anderen schlossen zu Easy auf und stürmten ihr hinterher. Zum Glück war diese Blumenstraße nur zwei Querstraßen weiter und Tick, Trick und Track hatten uns dort schon einmal bei unserer Odyssee hindurchgeführt. Ansonsten hätten wir uns jetzt wahrscheinlich rettungslos verlaufen.

Easy dachte nicht mehr nach, sondern wollte ihre Katze wieder haben. Und so stürmte sie am Ziel angekommen einfach durch den Vorgarten, trat die Tür ein (Ja, wirklich, das tat sie!) und auf einmal standen wir Wilhelm Tell und seinen Verbündeten – einem halben Dutzend Männer – in dem leeren Wohnzimmer gegenüber.

„Gib Kiwi zurück, du mieser Entführer!“, rief Easy sofort und streckte fordernd die Hand aus.

„Genau! Du Catnapper, du!“, stimmte Chris ihr zu.

Ehe gerade das vollkommene Forderungschaos und hysterische Durcheinanderschreien ausbrechen konnte, hielt Tell Kiwi die Armbrust an den Kopf.

„Miau!“ Mit großen Augen blickte die Katze uns an und Chibichi musste gerade nicht übersetzen, was sie sagte.

„Hey, immer mit der Ruhe!“ Ich hob beschwichtigend die Hände. „Wir wollen hier nichts überstürzen, okay? Wir können uns in Ruhe unterhalten.“

„Ihr seid unsere Feinde“, sagte Tell mit fester Stimme.

„Na super, Holmes kann sich nen Ast freuen...“, murrte Jack und verschränkte die Arme vor der Brust. „Nein, sind wir nicht. Das haben dir diese depperten Furien nur eingeredet. Wir wollen dir gar nichts Böses und finden es sogar cool, dass du es schaffst, die Schweiz zu befreien, aber...“

„Wieso schaffen? Wir befinden uns mitten im Kampf!“, fiel ihr Tell ins Wort.

Super. Der Eingriff der Furien in die Handlung des Stücks hatte dafür gesorgt, dass Tell auf einem Stand irgendwo recht zu Beginn stehengeblieben war und sich nicht erinnerte, wie das Drama ausging!

„Und ihr wollt uns sabotieren! Ihr wollt verhindern, dass die Kantone sich zusammenschließen! Ihr steht auf der Seite von Gessler!“

„Was für ein ausgemachter Blödsinn!“, empörte sich Easy. „Wir sind Schwaben und keine bescheuerten Gessler-Anhänger, wer auch immer das ist! Du hast unsere Katze entführt und wir wollen sie wiederhaben!“

„Die Katze ist eine Geheimwaffe, mit der ihr die Einheit der Kantone verhindern wollt!“, kam es sofort zurück.

„Ja, klar, mit ner Katze“, erwiderte Chibichi und verdrehte die Augen. „Ehrlich, du bist ein bisschen verrückt, oder? Du kannst sie ja fragen, ob sie eine Geheimwaffe ist. Ich kann Katzisch. Und wenn du mir nicht traust, die Grinsekatze ist als literarische Figur neutral und kann dir auch ihre Worte übersetzen.“

Misstrauisch blickte Tell sie an, dann die Grinsekatze und dann Kiwi. „Grinsende Katze, übersetz. Bist du eine geheime Waffe? Was weißt du von Gessler? Was weißt du über die Vereinigung der Kantone?“

„Mau“, war Kiwis einzige Antwort.

„Nun ja...“ Die Grinsekatze druckste herum. „Sie hat gefragt, ob man das essen kann...“

„Was?“ Tell starrte entgeistert auf die Katze in seinen Armen.

„Na ja, sie ist etwas verfressen...“, räumte Nifen ein und erntete dafür einen bösen Blick von Easy. Auf Kiwi ließ sie ja nichts kommen! Vor allem nicht, wenn sich Kiwi in solch einer schlechten Situation befand.

„Sie ist... einfach nur eine Katze? Eine stinknormale Katze?“ Tell blickte uns an, während seine Mannen langsam zurückwichen.

„Unsere Katze“, sagte Easy fest. „Sie ist unser Bandmaskottchen und wir haben sie gern. Und ich mag es nicht, wenn eine Armbrust auf sie gerichtet ist!“

„Oh...“ Irritiert setzte Tell Kiwi auf den Boden, die sofort losflitzte und sich hinter Easy versteckte. Das, was sie maunzte, waren vermutlich keine besonders netten Worte über Tell, und dankenswerterweise verzichteten unsere beiden Katzisch sprechenden Begleiter darauf, sie zu übersetzen.

„Die Furien haben mich reingelegt?“, fragte er wieder und sicherte die Armbrust.

Wir atmeten auf.

„Ja, genau das haben sie“, begann Nifen ihre Erklärung. „Weißt du, das ist eine lange Geschichte, aber sie gehören zu der Polizei in der Hölle und weil wir so eine Art Rebellen dort waren und unter dem Schutz des Teufels stehen, machen sie uns jetzt das Leben schwer. Wir haben wirklich nichts gegen dich und das, was du tust. Wir finden dich sogar richtig toll! Abranka hat sogar immer eine Ausgabe deines Stücks mit dabei!“ – Ich grinste Tell daraufhin fröhlich an. – „Und wir finden es gut, dass sich die Schweizer gegen die Habsburger zur Wehr setzen. Wer will noch Könige haben? Ist doch klar. Nein, wir stehen voll und ganz auf deiner Seite und um dir das zu beweisen, werden wir vor der gesamten Literaturwelt einen Gig spielen, um dich zu unterstützen!“

„Werden wir?“, erkundigte sich Easy leise und mit großen Augen bei mir. Ich nickte. Natürlich würden wir. Das war doch das mindeste, jetzt, wo wir Kiwi zurückhatten!
 

Wir konnten natürlich an keinem anderen Ort spielen, als in ‚Wilhelm Tell’ und dort natürlich auf dem Rütli, einer abgelegenen Alpenwiese am Vierwaldstättersee, wo der berühmte Schwur und die Gründung der Eidgenossen stattfand.

Alle waren gekommen. So ziemlich das gesamte Literaturland. Wir konnten Holmes und Watson erspähen, den Grafen von Monte Christo mit Bertuccui, Mr. und Mrs. Bennet und ihre Töchter, Werther und Lotte, Macbeth, seine Gattin und Duncan, Harry Potter, Ron Weasley und Hermine Granger, Anna Karenina, Artemis Fowl, TOD und Rattentod, der Blaubär, Alice, Zorro, der kleine Lord, Aragorn, Legolas und Boromir, Jane Eyre und Mr. Rochester, Catherine und Heathcliff, Wilhelm Meister und Mignon, ja, und da waren auch Faust und Mephistopheles. Dazwischen saßen einige Gestalten aus dem Comicland, allen voran Tick, Trick und Track mit ihren Fähnlein Fieselschweif-Freunden, Tim und Struppi, Lucky Luke und Jolly Jumper, die uns beide fröhlich zuwinkten, Asterix und Obelix, Spirou und Fantasio... Es war einfach der absolute Wahnsinn.

Tell hatte eine ganz neue Popularität gewonnen und Gessler saß schmollend am Rande der Veranstaltung. Er war von diesem Gig wenig begeistert, hatte es sich aber natürlich nicht nehmen lassen, doch hier zu sein, weil das ja immerhin sein Stück war.

Die Krönung des Abends war selbstverständlich ein neuer Song. Einer, der unsere neuen Abenteuer behandelte...
 

„Roter Faden

Lesezeichen

Plot-Struktur

Literatur

und wir sind

mittendrin!
 

Mit Poe und Grinsekatze

geht’s in das Land der Literatur

Auf einen Trip quer durch

Wilhelm Tell, Macbeth und Werther.

Wilhelm Tell, Macbeth und Werther!
 

Roter Faden

Lesezeichen

Plot-Struktur

Literatur

und wir sind

mittendrin!
 

Weiter geht’s mit’m

Literaturexpress

Auf ’nem Trip quer durch

Monte Christo, Harry Potter und Sherlock Holmes.

Monte Christo, Harry Potter und Sherlock Holmes!
 

Roter Faden

Lesezeichen

Plot-Struktur

Literatur

und wir sind

mittendrin!
 

Roter Faden

Lesezeichen

Egal ob Literatur-

oder Comicland,

wir sind mittendrin!“
 

Die ausgelassene Feier, die sich an das sorglose Konzert anschloss, dauerte bis in die Morgenstunden. Am Ende schüttelten sich sogar Gessler und Tell die Hände. Chris wurde von Tick, Trick und Track in die Geheimnisse des Fähnlein Fieselschweif eingeweiht. Easy kraulte selig Kiwi und lauschte Chibichis Übersetzung des Gesprächs zwischen ihr, Kiwi und der Grinsekatze. Jack hockte gemeinsam mit Nifen mit Elisabeth Bennet und Jane Eyre zusammen. Tja, und ich nutzte die Gelegenheit zu einer ausführlichen Diskussion über Moral mit dem Grafen von Monte Christo. Wann hatte man denn sonst schon einmal die Gelegenheit dazu?



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