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Waves in the Night

Ruheloses Seelenmeer
von

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Waves in the Night

Langsam setzte Okasu vorsichtig, mit der Absicht kein zu lautes Knarren zu verursachen,einen Fuß auf den modrigen Steg, der sachte in dem düsteren Mondlicht im Hafen des Konoha Sees, der direkt einen Flussarm zum japanischen Meer hat, schaukelte. Okasu schlich langsam weiter, jedes Mal wenn die Abstände zwischen den alten Brettern zu groß wurden, weil einige so vom Moos zerfressen, unbetretbar schienen, machte er einen leichten Satz nach vorn und versuchte mit seinem Stock, aus festem Kiefernholz, wieder die Balance zu finden. Einmal wäre er fast auf dem nassen Moos ausgerutscht. „Wie gefährlich.“, dachte er sich, denn schließlich war das hier ein Hafen für die Fischer die jeden morgen früh, genau hier, ihre Boote losmachten, um weit draußen in auf See ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Okasu gehörte dazu und hatte sich vor Jahren diesen Gehstock zugelegt. Fast hätte er sich selbst für seine Idee des Stockes gelobt, doch nun wollte er sich eher tadeln, da er heute seinen Hut vergessen hatte, der ihm sonst immer Schutz vor Wind und Regen bot. Draußen auf hoher See konnte das Wetter nur allzu schnell umschlagen. Das war bekannt und konnte auch sehr gefährlich werden. In seinen zweiundzwanzig Jahren als Fischer hatte er schon viel zu erzählen gehabt, was schnell aufgekommene Stürme anging, ebenso wie Geschichten die man sich aus Langeweile zur Unterhaltung erzählte. Diese Geschichten fand sein Enkel Kitaro immer ganz besonders spannend und lauschte seinem Opa stets aufmerksam. Okasu konnte seine Geschichten noch so oft wiederholen, sie schienen für den Kleinen nie an Reiz zu verlieren. Er schien eine Vorliebe für Geistergeschichten zu haben. Zu seinem siebten Geburtstag schenkte Okasu ihm ein Buch über Mythen und Legenden auf hoher See. „Aber so interessant sie auch seien“, meinte Kitaro mit seiner kindlichen Stimme, „keine Geschichte dieser Welt könnte es mit deinen Erzählungen aufnehmen.“ Das machte Okasu unheimlich stolz und so wiederholte er jede Geschichte aufs Neue und versuchte sie mit der gleichen Euphorie auszuschmücken wie beim ersten Mal.
 

Der Wind wehte ihm durch das graue Haar, schwang sich um seine Ohren und hinterließ eine unangenehme Kälte. Nun ärgerte er sich immer mehr, seinen Hut zu Haus liegen gelassen zu haben. Warum eigentlich? Wie konnte er seinen Hut nur vergessen? Die breite Krempe die ihn jetzt hätte schützen können, einfach Daheim liegen gelassen. Er erboste immer mehr und suchte nach einer Erklärung. „Natürlich! Tadashi – So ein Schwachsinn!“, entfuhr es ihm leise „Tadashi!“ Während er den Steg weiter ans Ende folgte ärgerte er sich darüber überhaupt an das Telefon gegangen zu sein, als es viel zu früh in der Nacht klingelte. „Komm schnell in den Hafen!“, hatte er gesagt „Heute ist Sommersonnenwende und Vollmond, heute machen wir den besten Fang.“. Das Tadashi an diesen absurden Aberglauben Gefallen finden würde, konnte Okasu bei dem Telefonat nicht wirklich glauben, willigte aber im Halbschlaf, sicherlich nur der Freundschaft wegen ein. Zudem könnte das schon stimmen, dachte sich Okasu. Schließlich beeinflusst der Mond so vieles, Ebbe und Flut werden durch seine Kraft getrieben, Wölfe heulen ihn an, also warum sollen sich da nicht auch Fische in großen Scharen versammeln und nur darauf warten gefangen zu werden? „Schwachsinn!“, entfuhr es ihm wieder, aber diesmal deutlich lauter als vorhin.
 

Okasu setzte weiterhin vorsichtig einen Fuß vor den anderen und versuchte erstmals das Ende des Stegs auszumachen, vergeblich. Es war zu dunkel, selbst der Mond konnte den ungewöhnlich dichten Nebel nicht vertreiben. „Dieser Nebel.“, dachte sich Okasu fragend. Er konnte sich nicht entsinnen jemals einen so eigenartigen Nebel beobachtet zu haben. Wie ein düsterer Vorhang legte er sich auf die Bretter des Steges und verbreitete eine schaurige Unklarheit. Doch wenn es nur der Nebel gewesen wäre, was Okasu so beunruhigte. Er spürte plötzlich ein Stechen in seinem Rücken. Es kam ihm vor als würde sich der Blick eines boshaften Auges in ihn hinein bohren und seine Gedanken lesen. Es schien zu wissen dass ihm unbehaglich war. Je mehr er daran dachte, umso stärker wurde dieses Gefühl. Etwas beobachtete ihn, las seine Gedanken, etwas war da, hinter ihm. Er packte seinen Stock fest an und drehte sich mit einem mal um. Fast hätte er einen schrillen Laut von sich gegeben, als er dachte die Silhouette eines kleinen Kindes im Nebel gesehen zu haben. Von der Statur erinnerte es ihn an Kitaro, seinen sechsjähriger Enkel. Doch da war nichts. Das Stechen hatte auch aufgehört. Erleichtert lockerte Okasu den Griff von seinem Stock, drehte sich erneut um und folgte weiter dem Stegverlauf.
 

Tadashi schien schon länger zu warten, schien aber dennoch außerordentlich erfreut über das Erscheinen von Okasu. „Du hast dir aber Zeit gelassen.“ „Wer mich mitten in der Nacht, ganze vier Stunden vor Schichtbeginn anruft hat wohl nichts anderes zu erwarten, würde ich meinen.“, entgegnete ihm Okasu immer noch missgelaunt. „Ach komm, du wirst sehen wenn der Nebel sich erst einmal verzogen hat, wird die Fahrt auch nicht ganz so unangenehm werden.“, versuchte Tadashi ihn aufzumuntern und bot ihm eine Zigarette an. Okasu schaute sich die anderen Boote der Fischer an und dann sein eigenes, griff nach der Zigarette und sagte: „Es ist schon seltsam, nach über zweiundzwanzig Jahren schippern wir immer noch mit diesem Kahn nach draußen.“ Tadashi legte sich eine seiner Zigaretten zwischen die Lippen und kramte in seiner Tasche nach einem Feuerzeug. „Aber wie du siehst sind wir noch am Leben, dank unserem alten Kahn.“, fügte er

hinzu. Als er sein Feuerzeug gefunden hatte hielt er es Okasu hin und entfachte es. Dieser zündete seine Zigarette an und zog genüsslich daran. Als Tadashi seine Zigarette anzündete schien das Licht der Flamme auf Tadashis Gesicht. Da viel Okasu zum ersten Mal auf das Tadashi einen neuen Hut zu haben schien. Erneut ärgerte er sich über seine Nachlässigkeit und schnalzte mit der Zunge. „Was ist denn?“, fragte Tadashi dem das Schnalzen nicht entgangen war. „Fällt dir denn nichts auf?“, ohne auf eine Antwort zu warten fuhr Okasu, schon fast in einem kindlichen, Neid fort, „Ich habe meinen Hut vergessen. Und du hast einen Neuen!“. „Den habe ich gestern unter unserem Fang gefunden. Er hatte sich mit den Fischen im Netz verfangen, ich habe ihn zu Hause gleich meiner Frau zum Waschen gegeben und heute dachte ich, es wäre doch gleich eine gute Gelegenheit ihn zu tragen.“ Okasu und Tadashi arbeiten seit sie denken können zusammen. Sie waren alte Schulfreunde, lernten bei ihren Großvätern die Fischerei und teilten sich nun schon seit über zwanzig Jahren ein Fischerboot um Anlegekosten im Hafen zu sparen. Ihre Frauen kümmerten sich um den Verkauf der Fische und so ergaben sie zusammen ein große friedliche Familie. Okasus Enkel, Kitaro, sprach Tadashi sogar mit Opa an weil dieser oft bei Okasu zu Tisch war. Aber auch Okasu besuchte Tadashi sehr häufig, soweit es ihnen neben der Arbeit möglich war. Und ihre Frauen sie nicht nach Hause drängten.
 

„Wie geht es eigentlich deiner Frau?“, fragte Okasu freundlich und fügte hinzu dass er Sie und Tadashi morgen Abend zum Essen zu sich nach Haus einladen wolle.

Als er seinen Satz beendet hatte, schien sich der Nebel vor Okasus Augen zu lichten. Er hört Tadashi noch etwas sagen, von einer Streitigkeit mit seiner Frau, bevor dessen Worte in Okasus Kopf zu verhallen begannen. So sehr sich Okasu auch bemühte seinen Worten zu lauschen, er konnte den Blick nicht von Tadashi’s Hut abwenden. Dessen Krempe war viel breiter als die von seinem eigenen. Leicht neigte Okasu seinen Kopf, fuhr in seinem geistigen Auge, diese herrliche Krempe entlang. Er dachte schon sie zu spüren als Tadashi ihn zurück aus seinem Traum holte.
 

„Hey? Hey Okasu? Hörst du mir überhaupt zu?“ Okasu kniff seine Augen ein paar mal zusammen und nickte leicht verstört. „Ich habe gesagt wir sollten langsam mal den Kahn los machen und raus fahren. Ansonsten hat sich das früh Aufstehen wirklich nicht gelohnt!“ „Ja du hast recht.“, erwiderte Okasu immer noch sichtlich neben sich. Tadashi ging ein paar Schritte zur Seite und beugte sich zu dem Tau, das das Fischerboot im Hafen hielt, herunter. Er packte es professionell an und löste langsam aber bestimmend den Knoten. Okasus Blick hatte Tadashis Handeln verfolgt aber er hing wie verzaubert an dessen Hut fest. Seine Augen verengten sich zu hinterlistigen Schlitzen und er dachte sich: „Ich sollte diesen Hut haben, mir ist kalt. Ich werde sowieso mehr an Deck sein und du wirst dich in die Kombüse zurückziehen und Tee trinken. So wie es immer ist! Du hast diesen Hut nicht verdient, diesen prachtvollen Hut.“ „Wie bitte?“ Tadashi hatte sich aufgerichtet, hielt das gelöste Tau in der Hand und fragte noch einmal: „Was hast du gerade gesagt?“ „Ich? Was soll ich denn gesagt haben?“, Okasu wich erschrocken einen Schritt zurück als er bemerkte dass er seine eigenartigen Gedanken laut geäußert zu haben schien. Tadashi zeigte mit der Hand, die nicht das Tau hielt, auf seinen Hut. „Den hier? Gefällt dir wohl? Haha!“, foppte er Okasu und machte sich daran das Boot zu betreten. „Gib ihn mir, sofort!“, fuhr ihn Okasu an. Dieser umfasste seinen Stock fester. Tadashi ging einen Schritt auf Okasu zu und fragte verwundert: „Meinst du das ernst?“ „Ja, ich will ihn haben, sofort! Es hätte mein Hut sein sollen, dir hätte er gar nicht ins Netz gehen dürfen, er war für mich bestimmt. Die See wusste dass ich einmal vergesslich sein würde und hat ihn für mich aufbewahrt und du hast ihn mir genommen! Warum hast du das getan? Sei vernünftig und gib ihn mir!“ Okasu umfasste nun seinen Stock mit beiden Händen und ließ seiner Boshaftigkeit in der Stimme freien Lauf. Tadashi begriff nicht warum es Okasu so wichtig war, wollte aber seinen Hut unter diesen ungeklärten Umständen nicht hergeben. Er argumentierte, versuchte etwas von Okasu zu erfahren, doch dieser war völlig los gelöst von der Realität. Er empfand es als große Unverschämtheit das dieser Hut, königsgleich einer Krone, nicht seinem rechtmäßigem Besitzer – Ihm, zurückgegeben wurde.
 

Für einen Augenblick verblasste alles vor Okasus Augen. Tadashis Worte prallten an ihm ab. Seine Erklärungen verloren an Sinn, sein Flehen an Bedeutung, sein Körper an Widerstand, als Okasu auf ihn einprügelte. Erst waren es leichte Hiebe gegen den Arm, dann stärkere Schläge auf die Schulter, die viel zu schnell an Aggression gewannen und zu brutalen Akten der Gewalt mutierten um über Tadashis ganzen Körper hinweg zufegen. Tadashi schrie erst Okasu an, vernünftig zu werden, dann um Hilfe. Diese Worte schienen Okasus Zorn nur noch mehr nähren. Er trat den vor Schmerzen knienden Tadashi zu Boden und schlug auf seinen Kopf ein. Erst auf die Stirn, dann gezielt auf seinen Kiefer, als wollte er sein Klagen zum Schweigen bringen. Okasu schwang seinen harten Gehstock immer schneller und mit immer mehr Kraft auf Tadashi nieder. Selbst das knackende Geräusch das ertönte als Tadashis Kiefer dem Stock nachgab hielt Okasu nicht davon ab auf den verstümmelten Leichnam einzuprügeln. Er schlug noch mehrere Male auf den leblosen Körper ein, als wolle er ihm den Teufel austreiben.
 

Langsam schien sich Okasus Sichtfeld wieder zu erhellen. Wie aus einer Trance rieb er sich die Augen. Schaute ungläubig und rieb sich nochmals die Augen. Das Bild das sich ihm bot ließ seinen Stock fallen, der in einer Blutlache, die langsam in die See sickerte, aufschlug. Okasu sank auf die Knie, er wollte weinen doch er konnte nicht. Er fühlte sich hilflos wie ein kleines Kind, das ungeachtet zurück gelassen wurde. Er konnte seine Handeln weder nachvollziehen noch wirklich glauben. Doch der Blick auf Tadashis zerfleischtes Gesicht besiegte jeden Zweifel über seine Tat. Er hatte seinen Freund getötet, zu Tode geprügelt, ihn schon fast auf barbarische Weiße hingerichtet. Warum, was war mit ihm geschehen das er zu einer solchen Tat befähigt wurde? Der Hut, der Hut ist an allem Schuld, verzweifelt suchten seine Augen den Gegenstand der Hölle. Tadashis zerstückelter Kopf hatte ihn nicht mehr auf, er muss bei Okasus grotesker Gräueltat herunter gefallen sein. Hektisch suchten Okasus Augen erneut den Grund für seine Schuldigkeit. Er war verschwunden, nicht das Okasu es nicht gehofft hätte, er war sogar erleichtert das dieses dämonische Wesen in Hutgestalt verschwunden war. Doch seine Tat konnte er nicht rückgängig machen.

Er überlegte was nun passieren würde, wie er versuchen würde es irgendjemanden

zu erklären. Angefangen bei der Polizei, seiner Frau, Tadashis Frau, was würde er Kitaro sagen, wenn dieser ihn im Gefängnis besuchen würde? Er habe seinen zweiten Opa getötet, wegen einem Hut? Das glaubt ihm niemand, wie will man den Mord seines besten Freundes auch durch etwas derartig Banales rechtfertigen?

Okasu erhob sich nach längerer Zeit, als sich sein Kahn vom Steg weg zu bewegen begann. Er packte das Tau mit seinen blutbefleckten Händen und betrat sein Boot. Langsam setzte sich das Fischerboot ungesteuert in Bewegung. Okasu blickte noch einmal auf Tadashi, der so stark verfremdet auf dem Steg lag. Seufzend löste er das Tau auch vom Kahn selbst. Als Okasu sich aus dem Tau eine Schlinge schnürte benetzten endlich befreiende Tränen seine in Schuld gebadeten Hände. Mit dieser selbstgebauten Erlösung, schwankte Okasu scheinbar seelenlos runter in seine Kombüse.
 

Als Okasus Kahn schon eine beachtlichte Strecke selbstständig vom Hafen zurückgelegt hatte, beugte sich ein kleiner Junge über Tadashis Leichnam. Sein blasser dürrer Körper zeichnete sich deutlich von der immer noch düsteren Umgebung ab. Er schien schon fast geisterhaft zu leuchten. Er beugte sich genau über Tadashis Kopf, als wolle er jede einzelne zerstörte Pore bildlich erfassen. Der Hut den er auf hatte, warf einen großen Schatten über Tadashis entstelltes Gesicht. In den Mundwinkeln des kleinen Jungen zeichnete sich ein zaghaftes Lächeln ab. Scheinbar seinen perversen optischen Hunger gestillt erhob er sich und ging ganz an den Rand des Steges. Seine zierliche Gestalt war lediglich in ein dreckiges Lumpenstück gewickelt. Ganz im Gegensatz zu seinem Hut, den er vorsichtig absetze. Den ansehnlichen Hut in beiden Händen haltend setzte er sich an den Rand des Steges und ließ langsam seine knochigen Zehen in das stille Wasser eintauchen. Schweigend übergab er der ruhigen schwarzen See seinen Hut und blickte ihm zufrieden nach, bis dieser im schleichend zurück kehrenden Nebel verschwand.



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