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Die Magie der Musik 2

Die Fürsorge eines Bruders
von

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Kapitel 2
 

Stunden später, nachdem sie endlich aufgestanden waren, sah Serdall Daniel dabei zu, wie er seine Sachen in der Reisetasche verstaute. Ihm versetzte es einen Stich, allein dieses Bild schon zu sehen. Aus einem Impuls heraus ging Serdall wieder auf seinen Freund zu und umarmte ihn fest von hinten.
 

„Versprich mir, dass du auf dich aufpasst und keine dummen Sachen machst“, flüsterte er ernst und lehnte seine Stirn in Daniels Nacken. Er hatte eine verdammte Angst, dass Daniel irgendeinen Fehler beging oder ihm etwas passierte
 

„Sieh lieber zu, dass du auf dich aufpasst“, erwiderte Daniel ebenfalls in gedrückter Stimmung und legte den letzten Pullover in die Tasche. „Ich muss mir nur eine plausible Erklärung für meine Mutter ausdenken, du stehst deinem Bruder gegenüber. Ich denke, dass ich es da schon etwas besser getroffen habe.“ Er schloss den Reisverschluss und drehte sich dann zu Serdall herum. Etwas verzerrt lächelnd strich er ihm über die Wange. Daniel sagte sich immer wieder, dass es nur für ein paar Tage war, aber er wollte eigentlich noch nicht mal für ein paar Stunden von Serdall weg. Seufzend schnappte er sich die Tasche. „Kommst du mit nach unten? Ich will noch schnell ein spätes Mittag machen, bevor ich nach Hause fahre.“
 

Serdalls Magen krampfte sich allein bei dem Gedanken an Essen schmerzhaft zusammen. Er hatte so gar keinen Hunger, wenn er daran dachte, was ihnen bevorstand.
 

„Ja“, meinte er schwach und ergriff sogleich Daniels Hand. Eigentlich wollte er sich viel lieber mit Daniel im Bett verkriechen, ihn im Arm halten und nie mehr gehen lassen. Sie waren nie mehr als ein paar Stunden getrennt gewesen seit sie zusammen waren. Es war der reinste Horror für Serdall zu wissen, dass es vielleicht für zwei oder drei Tage sein würde. Denn sein Bruder war genauso schwer von Begriff, wie er selbst. Serdall drückte Daniels Hand fest, als sie nach unten gingen. Als Daniel die Tasche im Flur abstellte, musste Serdall ihn an sich ziehen und tief küssen. Seine Gedanken begannen jetzt schon Amok zu laufen.
 

Erst verzweifelt erwiderte Daniel den Kuss. Er benahm sich lächerlich, das wusste er. Immerhin war es nicht so, als ob sie sich nicht sehen oder hören würden. Serdall hatte ihm versprochen auf jeden Fall anzurufen und ihn eventuell auch besuchen zu kommen, bis die Sache mit Fei ausgestanden war. Resigniert löste Daniel sich. Es brachte nichts, so einen verzweifelten Abschied aufs Parkett zu legen, obwohl sie sich noch nicht mal voneinander verabschiedeten. Er lächelte Serdall zu und ging dann in die Küche, um ihnen ein schnelles Essen zu machen.
 

Serdall ließ den Kopf hängen, als sich Daniel von ihm löste. Zögernd ging er ihm nach und setzte sich an die Theke, beobachtete seinen Freund die ganze Zeit. Dustin kam im nächsten Moment hereingeschneit und betrat verwirrt in die Küche.
 

„Wessen Tasche ist das denn im Flur? Wollt ihr verreisen?“, fragte er hoffnungsvoll und malte sich schon in Gedanken aus, was er mit Ethan alles tun könnte, wenn alle nicht da waren.
 

„Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen, aber es zieht nur einer kurzzeitig aus und andere Personen werden das Haus zusätzlich bevölkern“, meinte Daniel schlicht. Dustin sah ihn verständlicherweise nicht verstehend an und Daniel beschloss, deutlicher zu werden. „Fei kommt spontan auf einen Besuch vorbei, nachdem ich heute Nacht versehentlich an Serdalls Handy gegangen bin“, erklärte er und wusste, dass Dustin verstehen würde, was das für Konsequenzen hatte. Schließlich kannte er Serdalls Bruder auch ein wenig. Sofort riss Dustin die Augen auf.
 

„Du machst Witze!“, meinte er ungläubig und sah zu seinem Schwager, der betrübt auf seine Finger starrte. Dustin schüttelte fassungslos den Kopf. Er wollte eigentlich nicht noch einmal auf Kikuchi treffen, ganz besonders jetzt nicht, wo es mit Ethan so gut lief. Und überhaupt, es würde eh eine angespannte Atmosphäre herrschen, wenn Fei wusste, dass Serdall im Moment so ziemlich gar nicht an einer Frau interessiert war. Er hielt es wirklich für eine gute Entscheidung, dass Daniel vorerst nicht auf Fei traf. Allein der letzte Besuch und ihr Aufeinandertreffen waren in einer Katastrophe geendet.
 

„Na das wird lustig“, murrte er genervt und setzte sich an den Tisch, um seinen Kopf in die Hand zu stützen.
 

„Oh ja, und wie lustig das wird“, knurrte Daniel genervt, während er etwas zu heftig in der angesetzten Tomatensoße rührte, die er schnell zusammengepanscht hatte. Er konnte auf noch einen Miesmacher verzichten. Es würde alles gut werden und fertig.
 

„Er bleibt hoffentlich nicht lange“, warf Serdall ein. Mehr als drei Tage würde er auch nicht ohne Daniel auskommen. „Das ist schließlich immer noch mein Haus“, murrte er langsam missgestimmt. Jetzt, wo sich der erste Schock gesetzt hatte, fühlte er einfach nur leise Wut. Was sich Fei eigentlich einbildete. Er war ja wohl selbst erwachsen genug und Fei brauchte nicht über ihn zu bestimmen. Dazu hatte er ja seine ganzen treu ergebenen Männer. Serdall hatte nicht umsonst den Großteil des Geldes von seinem Vater geerbt, damit er eben nicht die ganze Yakuzahierarchie erdulden musste.
 

Daniel nickte zustimmend. Warum sollte Serdall sich überhaupt seinem Bruder fügen und unterwerfen? Schön, dann war Fei der Boss von einem ganzen Haufen Yakuzas, aber hier in Deutschland hatte Serdall das Ruder in der Hand. Wenn er wollte, konnte er seinen Bruder ganz legal einfach vor die Tür setzten. Es stellte sich ohnehin die Frage, warum Serdall so oft vor seinem Bruder den Schwanz einzog.
 

„Genau“, knurrte Daniel jetzt. „Wenn er frech wird, fliegt er raus.“ Dustin lachte befreit auf.
 

„Das möchte ich sehen. Kampf der Giganten. Fei gegen Serdall, wer wird das Haus schlussendlich beherrschen?“, meinte er in einer dieser Kommentator-Stimmen und wich dem geworfenen Bonbon von Serdall aus. Grinsend streckte der Blonde Serdall die Zunge heraus. „Du wirst das schon hinkriegen, Serdall. Aber nimm es mir nicht übel, mein Wetteinsatz geht auf Fei.“
 

„Tu, was du nicht lassen kannst“, murrte Serdall. Er war jedoch froh, dass Dustin die Stimmung ein wenig auflockerte. In den letzten Stunden hatte Serdall sich viel zu sehr in seine Befürchtungen gestürzt, als dass er einmal vernünftig über die Situation nachgedacht hätte. Auch wenn Fei ein Problem damit hatte, dass er nicht wieder heiraten wollte, konnte er ihn schlussendlich nicht zwingen. Und wenn Fei ihn vor ein Ultimatum stellen würde, in dem es um ihn oder Daniel gehen würde, wüsste Serdall die Antwort sofort. Fei würde den nächsten Flieger wieder zurück nach Japan nehmen, dort wo er ja auch die meiste Zeit war. Daniel war ihm wichtiger als sein Bruder, der sich nur in seine Angelegenheiten einmischen wollte. Eine japanische Frau wäre nur ein Mittel, um ihn mehr unter seine Kontrolle zu bringen und das wollte Serdall vermeiden. Sein Leben, seine Entscheidung. Punkt.
 

Befreit lächelte Daniel. Es war gut, dass es doch noch stimmungstechnisch bergauf ging, bis Fei ankam. So hatte Serdall zumindest kein mentales Defizit, wenn er seinem Bruder gegenübertrat.
 

„So, kommt ihr dann Essen?“, fragte Daniel, als die Nudeln gar waren. „Sonst bin ich doch noch hier, wenn Fei ankommt.“
 

Serdall stand auf, ging zu Daniel und setzte sich ihm gegenüber an den Tisch. Sobald sie saßen, schob er seinen Fuß zu Daniels Bein und strich zärtlich daran auf und ab. Bevor die große Durststrecke ohne Daniel kam, wollte er noch ein paar Zärtlichkeiten von ihm bekommen. Daniel munter zulächelnd begann er zu essen, als er sich aufgetan hatte.
 

Dustin seufzte resigniert auf. Das würde hart für die beiden werden. Er wusste doch, wie sehr Serdall und Daniel schon aneinander hingen. Und irgendwie ahnte er, dass Serdall in den nächsten Tagen sehr schlecht gelaunt sein würde. Dustin beschloss, sich lieber den größten Teil der Zeit in anderen Räumen aufzuhalten, in denen Serdall nicht war. Er hatte kein gesteigertes Interesse Serdalls unleidliche Art wieder zu spüren zu bekommen. Er war Daniel insgeheim sehr dankbar, dass er solche eine positive Wirkung auf den Violinisten hatte. Die Jahre nach Louises Tod waren wohl die Härtesten, die er mit Serdall erlebt hatte.
 

Relativ schweigend und unterbrochen vom Austausch weiterer Zärtlichkeiten beendeten sie das Essen. Serdall zeigte guten Willen und brachten die schmutzigen Teller zur Spülmaschine, während Dustin und Daniel sich um den Rest der Küche kümmerten. Einige Zeit später standen sie sich dann im Flur gegenüber. Daniel kam sich so vor, als würde er für eine lange, unbestimmte Zeit ins Ausland verreisen, unerreichbar für Serdall und andere.
 

„Macht’s gut“, meinte er leise und sah etwas betreten auf seine Fußspitzen. „Wir telefonieren heute Abend, in Ordnung?“ Im nächsten Moment schloss Serdall fest die Arme um ihn.
 

„Ja, tun wir“, meinte er leise. „Pass auf dich auf und vergiss nicht, dass du deinen Kopf nicht nur zur Zierde trägst, ja?“ Er vertraute Daniel, in jeglicher Hinsicht, aber den anderen Menschen eben nicht. Daniel war ein hübscher, junger Mann und Serdall wünschte sich in diesem Moment, dass er Daniel wirklich damals den Elektroschocker gekauft hätte, nachdem Dustin ihn geküsst hatte. Diese Gedanken beiseite schiebend umfasste er Daniels Kinn und drehte sein Gesicht so, dass er ihm in die hellblauen Augen sehen konnte. „Ich liebe dich“, flüsterte er und küsste Daniel tief und lange.
 

„Ich liebe dich auch“, raunte Daniel zwischen zwei Küssen zurück und umarmte Serdall dann noch einmal. „Man, wir machen eine ganz schöne Szene daraus, obwohl wir uns heute Abend schon wieder hören und du mich bestimmt mal besuchen kommst. Ganz davon abgesehen, dass ich in ein paar Tagen wieder hier sein werde“, meinte Daniel leise lachend. Dustin wirkte auch äußerst amüsiert. Serdall seufzte leise.
 

„Mir egal. Ich vermisse dich jede Sekunde, die du nicht bei mir bist“, murrte er, ließ seinen Kopf in Daniels Halsbeuge fallen und genoss kurz die Wärme von seinem Körper. Er zwang sich innerlich zu Ordnung und ließ von Daniel ab. Sogleich rammte er seine Hände in seine Hosentaschen und sah schief lächelnd zu Daniel. „Tschüss“, meinte er ruhig. „Sonst kommst du hier wirklich nicht mehr weg.“
 

Kurz seufzte Daniel auf und trat dann einen Schritt von Serdall weg.
 

„Ja, da hast du wohl recht“, erwiderte er und grinste ziemlich verunglückt. Sein Blick fiel auf Dustin. Auch ihn umarmte Daniel noch einmal. So verrückt der Typ auch war, Daniel würde es vermissen, wenn Dustin ihn nicht mehrmals am Tag neckte. „Bis bald“, verabschiedete er sich jetzt auch von Serdalls Schwager und ging dann zur Tür hinaus. „Wehe, du vergisst mich anzurufen!“, rief er Serdall noch zu und stieg dann in Serdalls Wagen, den er sich für die paar Tage, bis sein eigenes Auto wieder heil war, nehmen sollte.
 

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Daniel klingelte an der Haustür. Wo er seinen Schlüssel hingetan hatte, wusste er im Moment beim besten Willen nicht mehr und er hatte vorhin weder Lust noch Gelegenheit oder Zeit gehabt, danach zu suchen. Aber es wäre ohnehin egal, ob seine Mutter ihn jetzt selbst reinlassen würde oder er auf einmal im Flur stand. Die Überraschung wäre immer groß.
 

„Was machst du denn hier?“, kam auch gleich die entsetzte Frage, als seine Mutter ihm die Tür öffnete. Ihre erste Verwunderung wandelte sich schon nach wenigen Sekunden in Besorgnis, als sie seine Reisetasche sah. „Oh nein, sag nicht, dass ihr Zwei Streit miteinander habt.“
 

„Nein, das ist es wirklich nicht“, meinte Daniel doch etwas erleichtert. Wenigstens war nur Fei zu Besuch. Gerade kam es Daniel so vor, als sei das tatsächlich das kleinere Übel, wenn man dem auf der anderen Seite einen heftigen Krach mit Serdall gegenüber stellte. „Serdalls Bruder kommt hier in die Stadt und wir beide können uns auf den Tod nicht ausstehen. Das haben wir schon das letzte Mal festgestellt, als er nach Deutschland gekommen ist. Also habe ich auch für Serdalls Wohl beschlossen, mich ein paar Tage hier einzuquartieren, damit der Haussegen unseretwegen nicht schief hängt.“
 

Daniel bewunderte sich für diese Ausrede. So weit weg war das gar nicht von der Wahrheit. Zumindest musste er kein schlechtes Gewissen haben, dass er seiner Mutter nicht alles sagte. Sie würde es ohnehin wohl lieber haben, wenn sie nicht alles wusste. Wer wollte schon erfahren, dass der Bruder des Freundes des Sohnes der Boss eines Yakuzaclans in Japan war?
 

„Und wie lange hast du vor zu bleiben?“, fragte Daniels Mutter und ließ ihn erst einmal hineinkommen. Seit sie den ersten Schreck überwunden hatte, machte sich etwas Freude in ihr breit. Wie lang war es schon her, dass sie Daniel mal mehr als ein paar wenige Stunden bei sich gehabt hatte?
 

„Ich weiß nicht“, erwiderte Daniel zögerlich. „Es kommt darauf an, wie lange Fei bleiben will. Und da er recht kurzfristig durch eine Art Kurzschlussreaktion aufgebrochen ist, weiß er wohl selbst nicht, wie lange er hier in Deutschland bleibt.“
 

„Wahrscheinlich will er einfach seinen Bruder mal wieder sehen, was?“, tippte seine Mutter und Daniel verzog leicht die Mundwinkel.
 

„Ja, so könnte man es auch nennen“, meinte er. Er schleppte seine Tasche ins Wohnzimmer und machte es sich mit seiner Mutter auf der Couch gemütlich.
 

„Das muss spannend sein, einfach mal so spontan den Entschluss zu fassen, sich in das Flugzeug zu setzen und aus Japan wegzufliegen.“ Daniels Mutter hatte Sternchen in den Augen und Daniel schüttelte missmutig den Kopf.
 

„Ja, unglaublich spannend“, grummelte er.
 

„Du kannst ihn wirklich nicht sonderlich leiden, wie es scheint“, stellte seine Mutter fest und Daniel zuckte mit den Schultern.
 

„Es war schon immer so. Das Gegenteil von Liebe auf den ersten Blick, würde ich mal so sagen. Wir hatten auch die ein oder andere Auseinandersetzung. Uns sollte man wohl echt nicht in einem Raum allein lassen. Deswegen bin ich ja jetzt auch hier.“
 

„Aber du weißt, dass hier kein Bett mehr für dich frei ist. Du musst dir wohl oder übel eine Couch suchen. Entweder du schläfst hier im Wohnzimmer oder du gehst in dein altes Zimmer, das Charline sozusagen zu ihrer kleinen Lobby gemacht hat.“ Seine Mutter sah ihn entschuldigend an.
 

„Kein Problem“, wiegelte Daniel ab. „Warum sollte mein Zimmer auch noch so bleiben wie es ist, wenn ich schon seit einem Jahr ausgezogen bin? Es hätte ja keiner damit rechnen können, dass ich noch mal für ein paar Tage hier übernachten muss. Solange du ein Kissen und eine Decke für mich hast, bin ich glücklich.“
 

„Natürlich. Ich mach dir gleich mal was fertig.“ Mit diesen Worten verschwand seine Mutter aus dem Raum und Daniel streckte seufzend seine Beine. Nun war es also amtlich und er wohnte wieder für die nächsten Tage bei seiner Familie. Irgendwie vermisste er Serdall jetzt schon und würde ihn am liebsten anrufen. Aber Daniel sagte sich, dass es momentan ohnehin nichts bringen würde und Serdall gerade mit anderen wichtigen Dingen beschäftigt war. Er würde sich heute Abend melden, das würde reichen. Daniel stand auf und ging in den Flur, um seine Reisetasche vorerst dort in die kleine Abstellkammer zu bringen.
 

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Allein saß Serdall im Wohnzimmer. Dustin hatte sich bereit erklärt, Taki vom Karateunterricht zu holen. Nun wartete Serdall darauf, dass Fei hier ankommen würde. In ihm baute sich langsam eine gereizte Anspannung auf. Wie würde ihr Aufeinandertreffen überhaupt ablaufen? Serdall war sich sicher, dass Fei sich in seiner Ehre verletzt fühlte. Sein Handeln bestätigte das so an sich nur.
 

Seufzend ließ Serdall seinen Kopf in den Nacken fallen. Er versuchte sich Mut zuzusprechen, um dieser Diskussion mental bereit gegenüberzutreten. Mücke legte fiepend ihre Schnauze auf Serdalls Bein. Mit einem Auge linste er zu dem schwarzen Labrador Retriever und strich ihr über den Kopf. Kimba lag vor seinen Füßen und schien zu schlafen. Er fand es schön, dass die beiden sich so vor ihm positioniert hatten. Als ob sie verstehen würden, dass er sich gerade unwohl fühlte. Serdall beschloss, das Ganze einfach auf sich zukommen zu lassen. Fei würde er schon irgendwie beruhigen und zur Einsicht bringen.
 

Erschrocken zuckte Serdall zusammen, als es an der Haustür Sturm klingelte. Den Klos in seinem Hals herunterschluckend stand Serdall auf. Kimba und Mücke taten es ihm gleich, aber sie hetzten nicht zur Tür, sondern blieben an seiner Seite. Die Hundeschule hatte wirklich das Beste aus den beiden herausgeholt. Serdall strich ihnen noch einmal über die Köpfe, ehe er die Hände zu Fäusten ballte, als er zur Haustür ging, an der es immer noch unverschämt lange klingelte. Serdall hielt am Bücherregal an. Er griff nach dem blauen Einband und beförderte sein Springmesser, das er immer noch dort aufbewahrte, heraus und steckte es sich in die hintere Hosentasche. Fei war zwar sein Bruder, trotzdem vertraute er der Yakuza am heutigen Tag sicher nicht.
 

Er führte seinen Weg fort und stand einen Moment regungslos vor der Tür. Tief durchatmend fasste er nach der Klinke und drückte sie herunter. Fei stand kalt blickend vor ihm. Sofort stellte sich auch bei Serdall dieser Ausdruck ein. Hier würde sicherlich kein Kaffeekränzchen seinen Anfang finden.
 

„Guten Abend, Fei“, sagte er emotionslos. Serdall ließ den Blick nicht über die übrigen Anwesenden schweifen, jetzt hieß es Fei standhalten. „Ich bin hoch erfreut dich hier zu sehen“, fuhr Serdall fort und baute eine eiserne Beherrschung in sich auf. Er würde hier den Ton angeben. Kurz verbeugte sich Serdall vor Fei, jedoch hielt er den Augenkontakt bei. Er sah es seinem Bruder an, dass er um seine kühle Fassung rang. Serdall wusste, dass sein Temperament in ihm hochbrausen wollte. Es war ein Laster der Agamies, dass sie meist zu emotional waren, aber mit viel Disziplin hatte Fei es erfolgreich niedergerungen. Dafür hatte er nun eine gewisse Unberechenbarkeit erlangt, die jeder fürchtete, genauso wie sein Gedächtnis, das nie etwas zu vergessen schien. Es zuckte in Feis Mundwinkel und Serdall spannte sich augenblicklich an.
 

„Serdall, was für eine vornehme Begrüßung“, sagte der Yakuza kalt und trat einen Schritt auf Serdall zu. Dieser wich keinen Zentimeter zurück, auch nicht, als Fei die Arme ausbreitete und ihn kurz umarmte. Serdall ließ es wortlos geschehen, regte sich nicht. „Ich bin auch froh hier zu sein“, flüsterte er an Serdalls Ohr. „Es wird mir auch eine Freude bereiten, Herrn Erhard zu begrüßen“, sagte er kalt und ließ wieder von Serdall ab. Dem Violinisten lief ein unwillkommener Schauer über den Rücken, er behielt aber seine steinerne Maske bei. Falsch lächelnd trat Serdall beiseite und wies mit seiner Linken ins Hausinnere.
 

„Komm doch bitte erst einmal herein, Fei“, sagte er freundlich. Er würde sich nicht aus der Ruhe bringen lassen. Fei legte sich mit dem Falschen an.
 

Nickend trat sein Bruder an ihm vorbei, dicht gefolgt von Kikuchi, der dem Yakuzaoberhaupt den weißen Mantel von den Schultern nahm und ihn an die Garderobe hängte. Serdall krampfte der Magen, als eine japanische Frau sich tief vor ihm verbeugte und ihn mit einem unschuldigen Wimpernschlag bedachte. Das war nach Feis Ansicht wohl seine Zukünftige. Serdall schenkte ihr einen bitterbösen Blick aus blaugrünen Augen und sie wandte sich sogleich ab, um Fei zu folgen.
 

Feis Bodyguards gingen zurück zu dem Wagen, mit dem sie hergekommen waren. Ein weißes Importmodell. Abschätzig verzog Serdall nun den Mund. Fei war mit seinem Mafiawagen hier. Dieser Besuch war wirklich ein Yakuza gerechter. Serdall unterdrückte sofort die Unruhe, die sich in ihm aufbauen wollte, und folgte seinen Gästen, die sich ins Wohnzimmer zurückgezogen hatten. Er wurde innerlich wütend als er sah, wie Fei sich in seinem Haus verhielt. Sein Bruder saß selbstgerecht im Sessel. Zu seiner Linken stand artig die junge Japanerin und zu seiner Rechten pflichtbewusst Kikuchi, Feis Auftragskiller.
 

Kimba und Mücke folgten Serdall, als er sich Fei gegenüber auf das Sofa setzte. Die beiden Hündinnen beobachteten die ihnen Unbekannten mit argwöhnischem Blick und ließen sich wie zwei Säulen vor Serdalls Beine nieder. Fei rief mit einem Finger Kikuchi zu sich herunter. Der Assassine beugte sich zu seinem Boss herab und Fei flüsterte ihm etwas ins Ohr. Serdall beobachtete wie Kikuchi nickte und dann mit der jungen Japanerin aus dem Raum ging. Stumm sahen sich die Brüder einen Moment lang an, nachdem die Tür hinter der Frau zugefallen war.
 

„Serdall“, begann Fei und beendete somit die greifbare Stille. „Ich glaube du weißt, warum ich hier bin.“
 

„Um deinen Neffen und mich zu besuchen“, erwiderte der Violinist kalt. Er würde Fei den Ball in diesem kleinen Machtkampf nicht zuspielen. Serdall wollte einfach nur, dass Fei wieder verschwand. Mücke und Kimba legten sich wieder anmutig zu Serdalls Füßen und kurz glitt Feis Blick auf die Tiere. Serdall war irgendwie froh, dass er Fei nicht ganz allein gegenüberstand, auch wenn sein Beistand nur aus den beiden Hündinnen bestand.
 

„Das auch“, gab Fei nach. „Aber ich hatte gehofft, auch deinen Freund zu treffen. Daniel? Hieß er nicht so?“, fragte er und musterte Serdall.
 

„Entschuldige, aber er ist leider nicht zugegen“, erwiderte Serdall und lehnte sich zurück, ohne aber seine körperliche Spannung zu verlieren.
 

„Ich will offen zu dir sein“, meinte Fei brüderlich. „Du hast in meinen Augen dein Gesicht verloren.“
 

Serdall schluckte. Wollte ihm Fei nun wirklich als der Yakuza gegenübertreten, der er war, und nicht als sein Bruder?
 

„Habe ich das?“, stellte Serdall auf stur und sah seinen Bruder auffordernd an.
 

„Sonst würde ich es nicht sagen“, zischte Fei. Serdall zog überrascht eine Augenbraue nach oben. Feis Geduld schien aufgebraucht zu sein.
 

„Möchtest du auch etwas zu trinken?“, fragte Serdall freundlich und stand auf, um sich einen Scotch zu holen. Er wusste, dass er Fei übermäßig reizte. Sein Bruder wollte, dass er sich entschuldigte, um Vergebung oder etwas in der Art bat, doch Serdall sah nicht ein, dies zu tun, auch wenn es Fei anders von seinen Untergebenen gewohnt war.
 

Fei blieb still sitzen, als der Violinist zum Barschrank schritt. Gerade als Serdall noch am Schrank stehend den ersten Schluck tat hörte er, wie Fei sich plötzlich erhob. Sofort setzte Serdall das Glas in seiner Hand ab und drehte sich um. Ein fester Faustschlag traf ihn an der Wange und ließ ihn in die Knie gehen. Keuchend schöpfte er Atem, versuchte die Situation zu realisieren. Aus einem Instinkt heraus griff er zu seiner Hosentasche, um das Springmesser mit einer Hand zu umschließen. Fei schubste ihn kräftig zur Seite, sodass er der Länge nach auf den Rücken fiel. Sofort war sein Bruder über ihm, drückte mit einer starken Hand seine Kehle zusammen. Serdall schaffte es erst nicht das Messer aus seiner Tasche zu ziehen, weil er nun darauf lag. Feis dunkelbraune, fast schwarze Augen sahen ihm kalt ins Gesicht, während Serdall krampfhaft versuchte ruhig zu bleiben und mit zitternden Fingern langsam das Springmesser aus seiner Tasche zu Tage förderte, noch ungesehen von Fei.
 

„Du hast die Familienehre beschmutzt. Wie kannst du es nur wagen, dich mit einem Mann im Bett zu vergnügen?“, knurrte Fei mit tiefer Stimme und beugte sich tiefer zu Serdall, der vor Atemnot langsam rot im Gesicht wurde. „Serdall“, zischte er bebend und näherte sein Gesicht dem seines Bruders. „Ich werde ihn töten, wenn er sich dir noch einmal nähert, verstanden?“
 

Endlich schaffte es Serdall sein Messer so in seiner Hand zu drehen, dass er es aus dem Schaft springen lassen konnte. Das Metall blitzte im Licht der Glühlampe, als er es Fei hart an den Kehlkopf drückte. Feis Mundwinkel zuckten angewidert, doch er verringerte den Druck auf Serdalls Hals. Zitternd schöpfte Serdall Atem. Sein ganzer Kopf pochte vor brennendem Schmerz. Seine Wange kribbelte qualvoll und seine Kehle war staubtrocken. Dennoch blieb er beherrscht, versuchte alles auszublenden, als er Fei in die böse blickenden Augen sah.
 

„Geh nach Japan zurück, wenn du jemandem etwas befehlen willst“, fauchte er leise und heiser. „Mein Bruder ist hier willkommen, aber nicht der Oyabun von Kyoto.“ Serdall drückte das Messer stärker gegen Feis Kehle, sodass er langsam zurückwich und die Hände von Serdalls Hals nahm. Serdall kämpfte sich langsam mit Fei in die Höhe, bis sie sich gegenüberstanden und Serdall das Metall immer noch drohend an Feis Haut hielt. Serdalls Bruder schien zu überlegen. Sie hatten sich noch nie so verhalten. Er hatte Serdall ihm gegenüber noch nie so erlebt.
 

„Dieser Mann ist dir wichtiger als ich?“, fragte Fei mit unterdrückter Wut in der Stimme. Serdall leckte sich über die Lippen. Er konnte es nicht sagen… Er würde seinen Bruder endgültig verlieren, wenn er es tat.
 

„Du bist etwas Anderes als er“, flüsterte Serdall nun ruhiger, ließ jedoch nicht seine Waffe sinken.
 

„Ich bin ein richtiger Mann“, zischte Fei übellaunig. „Er ist nur ein minderwertiger Mensch, der nicht in der Lage ist, eine Frau zu beglücken.“
 

Wut kochte in Serdall hoch. Er drückte das Messer stärker gegen Feis Kehlkopf. Jemanden so über Daniel reden zu hören, machte ihn rasend vor Zorn.
 

„Dann bin ich genauso minderwertig, wie er“, flüsterte Serdall drohend und verringerte die Distanz zu Feis Gesicht. „Ich liebe ihn nämlich“, surrte er mit schmalen Augen und lächelte leicht, als er sah, wie Fei erstarrte. Der Oyabun schluckte sichtlich und Serdall war irgendwie erleichtert. Er hatte es Fei gesagt, auch wenn es eine bescheidene Situation war.
 

„Das werden wir noch sehen“, zischte Fei plötzlich. Serdall sah nur, wie sein Bruder etwas hinter Serdall ansah. Blitzschnell verlor Serdall sein Messer. Es ging scheppernd zwischen ihnen zu Boden, als zwei Arme effektiv Serdalls Hände griffen und sie hinter seinen Rücken pressten. Ein schwaches Aftershave kroch Serdall in die Nase, als sich jemand näher an ihn drückte, um ihn vor Fei in die Knie zu zwingen. Eine schallende Ohrfeige traf seine schon schmerzende Wange. Serdalls Kopf flog mit in die Schlagrichtung. Er stöhnte vor Schmerz, biss sich jedoch im selben Moment auf die Zunge. Fei stand selbstgefällig über ihm. Serdall musste seinen Kopf heben. Wütend verzog er die Augenbrauen und blitzte Fei aus seinen blaugrünen Augen an.
 

„Ich werde dafür sorgen, Serdall“, flüsterte Fei zufrieden, beugte sich zum Ohr seines Bruders, „dass du wieder vernünftig wirst.“ Serdall ruckte vor und lehnte sich nah an Feis Gesicht, als dieser sich wieder entfernen wollte.
 

„Dann bist du nicht mehr mein Bruder“, zischte Serdall kalt.
 

„Wer weiß. Aber vielleicht dankst du mir auch irgendwann für meine Großzügigkeit. Dass ich mich dennoch um dich kümmere, obwohl du so ungehobelt bist.“ Fei ging zu Serdalls Barschrank und nahm sich das Glas, aus dem sein Bruder vor ein paar Minuten noch getrunken hatte. Grinsend trank er seinen Schluck und sah süffisant zu Serdall. „Übrigens, deinen kleinen Freund finde ich auch noch. Wozu gibt es denn Detektive?“
 

Entsetzt riss Serdall die Augen auf.
 

„Lass ihn in Frieden, Fei!“, schrie er ihn an. Die Angst um Daniel besetzte wieder seinen Körper. Fei würde ihn wirklich töten!
 

„Warum sollte ich das tun?“, erwiderte der Oyabun ruhig und beugte sich wieder zu seinem Bruder. Sanft strich er ihm eine schwarze Haarsträhne aus der Stirn. „Ich wüsste nicht, dass ich auf dich hören müsste“, meinte er lächelnd.
 

Serdall ließ den Kopf hängen. Was sollte er bloß tun? Wie sollte er Daniel vor Fei bewahren? Er wusste es nicht. Seine Gedanken waren ein einziger Wust aus Befürchtungen, Sorgen und Angst um Daniel.
 

„Serdall“, Fei legte einen Finger unter das Kinn des Violinisten und zwang ihn so, ihn wieder anzusehen. „Ich will nur das Beste für dich“, flüsterte er brüderlich. „Versprich mir, dass du vernünftig werden willst.“
 

„Das kann ich nicht“, hauchte Serdall. Er konnte dieses Versprechen nicht geben, nicht, wenn er dafür Daniel aufgeben musste.
 

„Dann muss er sterben, Serdall“, drohte Fei leise und strich ihm zärtlich über die Wange.

Alles krampfte sich in Serdall zusammen, als er diese Worte hörte. Fei war absolut ernst und dies verstärkte Serdalls Angst nur noch. Er wollte nicht, dass Daniel getötet wurde! Egal, was es kostete, er wollte Daniel nur am Leben wissen, auch wenn er sich selbst bei dieser Entscheidung einen halben Todesstoß gab.
 

„In Ordnung“, ergab sich Serdall und wandte den Blick von Fei ab. „Aber dafür lässt du ihn in Ruhe“, forderte er leise.
 

„Einverstanden“, rief Fei erfreut und bedeutete Kikuchi, Serdall loszulassen. „Nun können wir meinen Besuch doch angemessen feiern!“
 

Serdall nickte matt. Er fühlte absolut gar nichts mehr. Er konnte gar nichts fühlen, weil er diese Situation noch gar nicht richtig realisiert hatte. Hatte er Fei wirklich gerade zugestimmt? Daniel aufgegeben? Übelkeit breitete sich sofort in ihm aus. Würgend lief er aus dem Zimmer. Fei und Kikuchi ließen ihn glücklicherweise und er schloss sich im Bad ein. Nach und nach begann er zu zittern, als er gekrümmt über der Toilette hing. Das war einfach nur ein schlechter Albtraum.
 

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Sorgenvoll sah Daniel auf die Uhr. Es war schon fast zehn und Serdall hatte sich noch immer nicht gemeldet. War Fei noch nicht da? Ob der Flug Verspätung hatte? Oder waren sie noch am Reden? Hatten sie womöglich Streit? Sich leise aufschreiend durch die Haare fahrend griff Daniel nach dem Telefon. Egal was war, er wollte und konnte jedenfalls nicht länger warten. Wenn er gerade irgendein wichtiges Gespräch unterbrach, war das halt Pech. Aber Serdall hatte ihm versprochen, dass er ihn heute Abend noch anrufen würde und es war schon seltsam, dass er sich nicht zumindest bei ihm gemeldet hatte, um zu bestätigen, dass alles in Ordnung war.
 

Daniel wählte er die Nummer von Serdalls Handy, doch das war ausgeschaltet. Wahrscheinlich hatte der Schreck von heute Nacht seine Spuren hinterlassen oder er wollte einfach nicht gestört werden. Mit den Schultern zuckend rief Daniel auf dem Haustelefon an. Wieder Erwarten ging Dustin ans Telefon.
 

„Canter“, nuschelte der Lehrer minder begeistert in den Hörer und signalisierte so schon einen gewissen Unmut.
 

„Hey Dustin, hier ist Daniel. Ist alles okay bei euch?“ Leicht nervös spielte Daniel mit einer Falte seiner Hose.
 

„Hey du“, murmelte Dustin. „Naja, geht so. Die Japaner besetzen die erste Etage und Fei scheint ziemlich gut gelaunt zu sein. Keine Ahnung, die reden da nur noch Japanisch. Ist voll nervig“, murrte er. Er zählte selbst schon die Stunden, bis die Yakuzas wieder abgereist waren. Auch die Tatsache, dass Kikuchi ihn unmissverständlich angesehen hatte, obwohl er Ethan am Arm gehabt hatte, machte die Situation nicht sehr einfach.
 

Daniel atmete kurz hörbar aus. Er wusste nicht, ob er über diese Information glücklich sein sollte oder nicht. Es war klar, dass Fei nicht gerade glücklich über sein neu gewonnenes Wissen war, sonst wäre er garantiert auch nicht nach Deutschlang gekommen. Zumindest nicht so plötzlich und überstürzt. Dass es eine Zeit lang recht laut im Haus war, war abzusehen gewesen. Hoffentlich glätteten sich die Wogen bald. Aber warum war Fei jetzt gut gelaunt?
 

„Ich denke, du kannst mir Serdall nicht geben, was?“, fragte er Dustin hoffnungslos. „Wann sind die da unten denn fertig?“
 

„Ich denke nicht“, sagte Dustin und kratzte sich am Kopf. „Ehrlich Daniel, ich will dich nicht beunruhigen, aber ich glaube, dass Fei richtig Ernst machen will hier. Der hat sogar eine Japanerin mitgebracht, die das Essen kocht und sich mit Taki anfreundet.“
 

„Er hat was?“, rief Daniel perplex. Dass Fei mit der Situation nicht klarkam, war wohl jedem von ihnen bewusst gewesen, aber dass er Serdall tatsächlich wieder einhundertprozentig hetero machen und ihn in eine Zwangsehe drängen wollte, damit hatte wohl keiner gerechnet.
 

„Serdall lässt sich doch nicht darauf ein, oder?“ Zwar glaubte Daniel nicht daran, aber er wollte sich zumindest erkundigt haben. Immerhin waren bei ihm zu Anfang auch zwei wichtige Punkte gewesen, dass er gut mit Taki klarkam und kochen konnte. Auch wenn das jetzt wohl hundertmal nicht reichen würde, um Serdall von ihm weg und in die Arme dieser Frau zu treiben.
 

„Das glaubst du doch selber nicht“, zischte Dustin und strich sich durch die Haare. Er ging mit dem schnurlosen Telefon in sein Zimmer und setzte sich zu Ethan auf sein Bett. Sein Freund kam zu ihm gekrochen und legte den Kopf auf seinen Schoß. „Serdall sieht eher so aus, als ob er gleich Amok läuft und als ob er sich einen Ringkampf mit Fei geliefert hätte. Da prangt ein ganz schön blaues Ding an seiner Wange, sieht echt unschön aus.“
 

„Fei hat ihn geschlagen?“ Daniel musste den Impuls unterdrücken sofort aufzuspringen und zu Serdall zu fahren. Mit dieser Aktion wäre keinem von ihnen geholfen und er würde vermutlich alles nur noch verschlimmern. Trotzdem würde er Fei für diese Aktion am liebsten den rechten Arm brechen. Hauptsache, der Kerl war auch Rechtshänder. „Dustin, kannst du denn da nicht als neutrale Person hingehen, damit die Zwei miteinander reden, statt sich zu prügeln?“, bat er flehentlich.
 

„Daniel“, sagte Dustin ruhig. „Das war alles schon vorbei, als ich mit Taki vom Karatetraining zurückgekommen bin. Jetzt scheinen die alle ganz entspannt zu sein. Nur kommt es mir irgendwie so vor, als ob Fei Serdall nicht mehr aus den Augen lässt. Ich habe bisher kein Wort mit ihm reden können“, murrte er nicht begeistert. Er wollte Daniel nicht erzählen, wie schlecht Serdall wirklich aussah. Schrecklich blass und irgendwie kraftlos. Er machte sich wohl schon genug Sorgen. Dustin hoffte nur, dass er morgen dazu kam mit Serdall zu reden oder vielleicht später noch einmal.
 

„Nun, solange er ihm nicht noch mehr blaue Flecken verpasst…“, murmelte Daniel unbestimmt. Zumindest schienen beide schon ihre Ansichten klargemacht zu haben. Was weiter passieren würde, zeigte sich wohl in den nächsten Tagen. Dass Fei skeptisch war, war irgendwie klar. Hauptsache er sah möglichst schnell ein, dass Serdall mit Daniel wirklich glücklich war und flog wieder nach Hause.
 

„Sag Serdall, dass ich morgen nochmal anrufe oder er sich bei mir melden soll. Und wünsche ihm von mir eine gute Nacht“, bat Daniel.
 

„In Ordnung. Ich werde es ihm ausrichten.“ Dustin zog zischend die Luft ein. Ethan begann doch tatsächlich seine Hose zu öffnen. „Ethan“, flüsterte er leise mahnend, stöhnte jedoch heiser, als sein Freund tatsächlich begann, ihm einen zu blasen. „Also bis dann“, meinte Dustin gepresst. „Mach dir nicht zu viele Sorgen“, sagte Dustin noch beherrscht.
 

Daniel konnte gar nicht mehr antworten, da hatte Dustin schon aufgelegt. Er schnaubte. In solchen Situationen würde er Ethan am liebsten auf den Mond schießen. Schön und gut, dass es in sexueller Hinsicht zwischen ihm und Dustin so gut lief, aber musste er seinen Freund ausgerechnet befummeln, wenn er mit Daniel telefonierte? Dann auch noch in solch einer Situation?
 

Missgelaunt ließ Daniel sich auf sein Bett zurückfallen. Er hatte nichts von dem erreicht, was er sich vorgenommen hatte. Er wusste nicht wirklich, was genau bei Serdall im Haus vorfiel. Alles, was Dustin ihm gesagt hatte, war recht schwammig und stützte sich meist auf Vermutungen. Außerdem hatte Daniel Serdall nicht sprechen können. Noch nicht mal ein gute Nacht Gruß war drin gewesen.
 

Seufzend erhob Daniel sich wieder. Er sollte aufhören zu grübeln und sich bettfertig machen. Schließlich musste er morgen noch einmal vor dem Wochenende zur Uni. Danach würde er hoffentlich auch mit Serdall telefonieren können. Wenige Minuten später lag er doch recht müde im Bett. Zwanghaft schaltete Daniel seine Gedanken ab und fiel schnell in einen leichten, recht unruhigen Schlaf.
 

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Schweigend saß Serdall auf dem Sofa und streichelte Kimba, die ihre Schnauze auf sein Bein abgelegt hatte. Taki lag schon im Bett. Er hatte kaum mit ihm gesprochen, weil sein Sohn sich so sehr mit Fei und der Japanerin beschäftigt hatte. Mittlerweile wusste Serdall auch ihren Namen. Yoshiko. Er sah sie aus Prinzip nicht an, obwohl sie neben ihm saß. Fei saß ihm gegenüber im Sessel, während Kikuchi an der Terrassentür stand, die für die Hunde geöffnet war, damit sie noch ein bisschen im Garten toben konnten. Mittlerweile war es auch schon sehr dunkel draußen und Serdall erhob sich wortlos, um Mücke hereinzurufen und nun die Terrassentür zu schließen. Kein Gedanke manifestierte sich in Serdall. Die letzten Stunden lief er nur noch wie aufgezogen Fei hinterher, der es ausnutzte, dass Serdall ihm nun keinen Widerstand mehr leistete.
 

„Serdall“, rief Fei ihn herbei und Serdall blieb neben seinem Sessel stehen. „Spielst du noch etwas für uns? Es wäre schön, deine Geige heute noch einmal zu hören.“
 

Emotionslos blickte Serdall seinem Bruder in die Augen. Vergiss es, dachte er sich trotzig. Seine letzte Ehre ließ er sich nicht nehmen und von Fei auch nicht bestimmen. Außerdem war er sich sicher, dass er nicht einmal vernünftig nach Noten spielen könnte, so wie er sich gerade fühlte.
 

„Entschuldige mich, Fei“, erwiderte er ruhig. „Aber ich bin müde und wollte mich jetzt schlafen legen.“
 

„Die Gästezimmer sind für uns hergerichtet?“, fragte Fei noch.
 

„Nein. Ich habe nur noch eins in der ersten Etage.“
 

Gelassen blickte Fei zu ihm auf.
 

„Nun gut, dann muss Yoshiko bei dir schlafen“, bestimmte er feist lächelnd und Serdall wollte ihn am liebsten schlagen. Er beherrschte sich zwanghaft, als er weitersprach.
 

„Sie kann in Daniels Zimmer übernachten. Kikuchi wird in der zweiten Etage nächtigen und dir bleibt das Gästezimmer, Fei.“
 

Zufrieden nickte der Yakuza und bedeutete Yoshiko und Kikuchi, Serdall zu folgen. Serdall sagte Dustin kurz Bescheid, dass Kikuchi in Ethans Zimmer nächtigen würde, ehe er mit Yoshiko hinter sich die Stufen zur dritten Etage hinaufstieg.
 

Yoshiko folgte ihm gehorsam. Sie war auf Wunsch ihres Vaters hier. Er stand in der hausinternen Rangfolge direkt unter dem Oyabun und sah es als Ehre an, durch eine Hochzeit zwischen dessen Bruder und seiner Tochter seinen Rang wohl auf Lebzeiten zu festigen. Sie hatte nicht widersprochen. Sie widersprach nie, denn das verbot sich schon allein durch ihre Erziehung.
 

Natürlich hatte sie ihre eigene Meinung zu den Themen, doch die äußerte sie nicht laut, es sei denn, sie wurde danach gefragt. In den Familien der Yakuza ging es in der Hinsicht noch vor wie vor Dutzenden von Jahren in der normalen Bevölkerung. Als ihr Vater plötzlich heute mitten in der Nacht in ihr Zimmer gekommen war und ihr mitgeteilt hatte, dass sie für den Bruder des Oyabun als Ehefrau auswählt worden war, hatte sie gelächelt und gemeint, dass es eine große Ehre sein. Innerlich dachte sie da anders.
 

Von einer auf die andere Minute war sie aus ihrem Leben rausgerissen worden, hatte ihre Familie und ihre Freunde hinter sich lassen müssen, um in ein Land zu fliegen, dessen Sprache sie nicht verstand, um einen Mann zu heiraten, den sie vorher noch nie gesehen und mit dem sie noch nie gesprochen hatte. Trotzdem schwieg sie.
 

Im Laufe ihres Lebens hatte sie gelernt, dass es am leichtesten war, sich den Wünschen ihrer Eltern zu beugen. Das brachte die wenigsten unangenehmen Nebenwirkungen mit sich. Zwar musste sie sich in vielen Dingen einschränken, doch trotzdem war sie in genauso vielen anderen Sachen auch frei und lebte ihr eigenes Leben. Genauso würde sie es auch hier machen. Sie würde die nette Ehefrau spielen, sich aber ihren eigenen Freundeskreis aufbauen. Und wer wusste schon, ob es nicht doch eine liebende Ehe oder zumindest eine mit gegenseitigem Respekt werden würde.
 

Allerdings fragte sie sich, wie es zu dieser Hochzeit gekommen war. Schon lange nicht mehr wurde die Ehefrau für ein Mitglied ihrer Yakuzafamilie ausgesucht. Scheinbar führte Serdall ein Leben, das dem Oyabun nicht unbedingt gefiel. Durch sie als Fußfessel sollte er wieder auf den richtigen Weg geführt werden. Sie hasste die Vorstellung, dass sie ihn in seiner Freiheit einschränken sollte, denn sie wusste, dass die Freiheit mit das Wichtigste war, das ein Mensch besaß.
 

Vor einer Tür in der dritten Etage hielten sie schließlich an.
 

Unwohl sah Serdall auf die Tür. Es war Daniels Zimmer. Eigentlich wollte er es dieser Yoshiko nicht wirklich überlassen, doch was sollte er anderes tun? Daniel würde es womöglich auch vorziehen, dass Yoshiko in seinem Zimmer schlief, anstatt mit ihm in einem Bett. Er drehte sich zu Yoshiko um, die wohlerzogen gen Boden blickte und ihm nicht in die Augen sah. Er wollte nicht wissen, was sie dachte, welche Hoffnungen sie sich vielleicht machte.
 

„Hier wirst du erst einmal schlafen“, sagte er ruhig auf Japanisch. Nach einem kurzen Zögern öffnete er die Tür zu Daniels Reich und sah einen Moment wehmütig hinein, ehe er seine Hände verkrampft in den Hosentaschen versenkte. „Ich bitte dich nichts am Schreibtisch und in den Regalen zu berühren oder durcheinander zu bringen. Das Zimmer gehört meinem Freund.“
 

Yoshiko horchte auf. Seinem Freund? Sie war nicht dumm. Aus der Situation heraus, wie sie sie bislang wahrgenommen hatte, konnte sie die Fakten zusammenzählen. Das war also der Grund, weswegen sie hier war. Scheinbar konnte der Oyabun es nicht ertragen, dass sein Bruder schwul war und wollte ihn jetzt mit seinem momentanen Freund auseinander bringen, indem er ihn verheiratete. Diese Wendung der Ereignisse behagte ihr gar nicht. Sie wollte nicht der Grund für das Zerbrechen einer Beziehung sein, wenn auch nur indirekt. Auf der anderen Seite wollte sie auch nicht, dass Serdall, während sie verheiratet waren, weiterhin mit seinem Freund zusammen war. Auch wenn es nur eine arrangierte Ehe war, würde sie persönlich all ihre Pflichten erfüllen.
 

Kurz dachte sie noch nach. Die Entscheidung in dieser Sache oblag nicht ihr. Andere hatten schon ihr Urteil darüber gefällt. In wenigen Tagen würde sie verheiratet sein. Sie sollte versuchen, das Beste daraus zu machen. Dazu gehörte für sie auch, dass sie sich ihrem zukünftigen Mann so gut wie möglich schmackhaft machte. Schon auf dem Weg hierher hatte sie sich Gedanken darüber gemacht, wie sie das angehen konnte und sie würde ihre Pläne heute auch noch in die Tat umsetzen.
 

Recht knapp verabschiedeten sie sich voneinander. Kurz wartete Yoshiko noch, bevor sie begann sich zu entkleiden und sich kurz im Badezimmer abduschte. Sie legte ein dezentes Parfum auf und betrachtete ihr Erscheinungsbild im Spiegel.
 

Die getuschten schwarzen Wimpern hoben sich kontrastreich von der blassen Haut ab. Die dezent rot geschminkten Lippen unterstützen diesen Eindruck noch und gaben ihrem wohl proportionierten Gesicht etwas Edles. Die Herren daheim in Japan hatten oft mehr als nur einen Blick in ihre Richtung riskiert, doch ihr Vater hatte kritisch jede Art von schüchterner Beziehung beäugt, die sich zwischen ihr und einem dieser Männer angebahnt hatte. Er hatte wohl immer gehofft, seine Tochter so gewinnbringend verheiraten zu können und wollte nicht, dass sie davor beschmutzt wurde.
 

Ihr Blick wanderte weiter nach unten, an ihrem gut ausgestatteten Busen den schlanken Körper hinab, hin zu ihrem rasierten Intimbereich. Seufzend griff sie sich, als sie zurück in ihrem momentanen Zimmer war, aus ihrem Koffer einen hauchdünnen knappen Morgenmantel und warf ihn sich über den nackten Körper. Noch einmal fasste sie Mut und klopfte dann an der Tür nebenan.
 

Ende Kapitel 2

Kapitel 3
 

Apathisch blickend saß Serdall auf seinem Bett. Er hatte das kurze Klopfen gehört, doch er war nicht gewillt, die Tür zu öffnen. Wenn es Taki war, würde er hereinkommen. Aber dieses Klopfen war nicht von seinem Kleinen. Taki klopfte ungeduldiger und nicht so zaghaft. Serdall wollte einfach nur noch seine Ruhe. Er fühlte sich so bescheiden und verdammt einsam ohne Daniel. Er musste irgendwie einen Weg finden, wie er Fei dazu bringen konnte, wieder nach Japan zu gehen, ohne dass er Yoshiko heiraten musste. Serdall ließ sich rücklings auf das Bett fallen. Sein Bruder hatte vorhin an alles gedacht. Er hatte ihm sogar sein Handy abgenommen und ihm verboten, ohne ihn oder Kikuchi das Haus zu verlassen! Gefangen in seinem eigenen Haus, dachte Serdall sich wütend und starrte die Decke böse an. Noch heute Morgen hatte er mit Daniel auf diesem Bett Sex gehabt, jetzt lag er hier alleine und kämpfte mit Kopf- und Magenschmerzen.
 

Verkrampft rollte er sich auf die Seite und zog die Beine eng an seinen Körper. Er vermisste Daniel so furchtbar sehr und der Gedanke, dass er ihn vielleicht nie wieder sehen würde, machte ihn fast wahnsinnig. Hass auf Fei machte sich langsam in seinem Inneren breit. Fei wollte ihn wirklich zwingen zu heiraten. Er erpresste ihn damit, Daniel zu töten, wenn er es nicht tat. Verzweifelt legte Serdall eine Hand über die Augen. Das machte ihn mehr fertig, als alles andere. Daniel könnte sterben, wenn er einen Fehler machte.
 

Erneut klopfte Yoshiko kurz an die Tür. Sie glaubte nicht, dass Serdall schon schlief. Sie waren erst vor kurzem in ihre Zimmer gegangen und so aufgewühlt, wie er nach dem Gespräch mit seinem Bruder war, würde Serdall bestimmt noch lange keine Ruhe finden. Folglich wollte er ihr Klopfen nicht hören. Trotz ihres aufgeregt schnellen Pulses drückte sie betont ruhig die Klinke hinunter. Serdall lag zusammengerollt auf seinem Bett. Das schlechte Gewissen machte sich in Yoshiko breit. Sie sollte diese Situation nicht ausnutzen. Allerdings wäre es so vielleicht auch leichter für Serdall, über seine wohl verlorene Liebe hinwegzukommen.
 

„Hast du mich nicht gehört?“, fragte sie mit leiser, melodischer Stimme, als sie behutsam die Tür hinter sich schloss. Das Erste, was sie gemacht hatten, als sie sich vorgestellt worden waren, war zur vertrauten Anrede zu wechseln. Es war nur der äußere Schein, der dadurch für alles Kommende positiver gemacht wurde, doch das schien niemanden zu stören.
 

Serdall blieb liegen, sah nicht zu Yoshiko. Konnte diese Frau ihn nicht wenigstens noch heute in Ruhe lassen? Er hieß ihre Gesellschaft im Moment nun wirklich nicht willkommen.
 

„Ich möchte meine Ruhe haben. Geh, Yoshiko“, wies er sie kalt an und setzte sich nun doch auf, um ihr eisig entgegen zu blicken. Auch wenn sie sich augenscheinlich hübsch für ihn gemacht hatte, interessierte ihn dies nicht im Geringsten. Wut und Hass zogen sich langsam durch seinen ganzen Körper und er verhehlte diese Gefühle nicht, als er sie aus seinen blaugrünen Augen ansah.
 

Emotionslos sah Yoshiko zurück und ließ sich in keinster Weise von der geballten Ladung Ablehnung, die ihr entgegen geworfen wurde, abschrecken. Stattdessen setzte sie sich leicht auf der anderen Seite des Bettes nieder und sah Serdall forschend an. Es war klar, wie er sich fühlte. Seine Augen zeigten deutlich das Gefühlschaos in seinem Inneren, die Verwirrung, die Angst, die Resignation. Seufzend ließ sie ihre steife Haltung ein wenig fallen und machte es sich ein bisschen bequemer. Sie hatte nicht wirklich damit gerechnet, aber Serdalls Haltung beseitigte auch noch die letzten Zweifel, dass heute Nacht in diesem Raum nichts geschehen würde.
 

„Du vermisst ihn jetzt schon, hab ich Recht?“, fragte sie leise, wobei sie ihren Blick nach draußen aus dem Fenster wandte, wo ein Vogel schnell an der Straßenlaterne vorbei flog.
 

Schluckend wandte Serdall sein Gesicht von der Frau ab. Hatte er wirklich vorhin gesagt: von meinem Freund? Bisher hatte noch kein anderer als der engste Bekanntenkreis von ihm und Daniel erfahren. Yoshiko darüber sprechen zu hören, dass er Daniel vermisste, ließ ihn noch wütender werden.
 

„Du hast keine Ahnung“, sagte er tonlos und verschränkte die Arme. Er wollte seine Ruhe haben.
 

„Nein, wohl nicht“, meinte sie schlicht und wandte ihren Blick immer noch nicht vom Fenster ab. „Vielleicht hilft es dir ja zu wissen, dass ich mir die Situation auch nicht ausgesucht habe. Es ist berechtigt, dass du wütend und enttäuscht bist, aber du solltest darauf achten, an wem du diese Gefühle auslässt.“
 

„Tja“, zischte Serdall leise. „An dich wäre jedes Gefühl eine Verschwendung.“ Er musste es sich nicht bieten lassen, von ihr auch noch zurechtgewiesen zu werden. Sie würde wieder nach Japan gehen können, wenn diese Hochzeit nicht stattfand. Wenn sie aber stattfand, würde er den Menschen verlieren, den er mehr als sich selbst liebte. Du hast ihn schon verloren, dachte Serdall sich verzweifelt. So sah nun mal die momentane Lage aus. Er hatte keine Wahl. Er musste Yoshiko heiraten, ansonsten würde Fei Daniel töten. Und wenn er Yoshiko als Frau hatte, war es undenkbar, dass er noch mit Daniel zusammen sein konnte. Wahrscheinlich würde er dann nach Japan gehen müssen. Langsam fragte er sich wirklich, wieso sich das Schicksal wieder einmal nur gegen ihn wendete. Erst hatte er Louise vor fast vier Jahren verloren und jetzt sollte er auch noch Daniel verlieren? Kam dann Taki als nächstes? Leise keuchend stand Serdall auf und ging eilig ins Bad. Er vertrug diesen nervlichen Stress rein gar nicht. Sich übergebend, beugte er sich über die Toilettenschüssel.
 

Besorgt ging Yoshiko Serdall nach. Er schien jemand zu sein, bei dem sich Gefühle sehr schnell auch körperlich äußerten. Sie griff sich einen Zahnputzbecher, füllte diesen mit Wasser und gab ihn zusammen mit einem Handtuch an Serdall weiter, als sich dessen Magen etwas beruhigt hatte.
 

„Ich denke, dass wir wenigstens versuchen sollten, einigermaßen miteinander auszukommen, damit die Situation nicht noch schlimmer wird, als sie es ohnehin schon ist“, meinte sie neutral. Auf Serdalls fiesen Kommentar von vorhin ging sie nicht weiter ein. Wer konnte es ihm verübeln, dass er gerade etwas überreagierte? Serdall trank einen Schluck von dem Wasser und versuchte seine Gedanken zu beruhigen.
 

„Und was soll mir das bringen? Für mich ist das Schlimmste passiert, was ich mir vorstellen konnte. Das würdest du noch nicht mal verstehen“, knurrte er sie an und ging wieder zurück ins Schlafzimmer. Er hatte keine Lust sich mit ihr zu unterhalten. Yoshiko schien wirklich zu glauben, dass ihr Leid mit seinem auf irgendeine Art und Weise zu vergleichen wären. Er hatte im Moment auch noch nicht die Ruhe, sich überhaupt mit ihr zu arrangieren. Warum war diese Frau denn nicht müde von dem langen Flug? Serdall war sich langsam sicher, dass sich alles gegen ihn und Daniel stellen wollte. Im Grunde waren es ja eigentlich nur Fei und sein Yakuzaclan. Ermattet setzte er sich wieder auf sein Bett. Er hielt das langsam nicht mehr aus. Er sah Yoshiko dabei zu, wie sie sich wieder neben ihn setzte.
 

„Ich kann es vielleicht nicht gänzlich verstehen, da ich nun mal nur meine Familie, aber keinen Geliebten in Japan zurücklasse, aber ich kann es mir zumindest in Ansätzen vorstellen, wie du dich fühlst“, erklärte sie ruhig. „Und genau deswegen finde ich es unnötig, dass wir uns noch zusätzlich bekriegen. Als wären die Umstände nicht auch so schon schwer genug. Da müssen wir uns nicht noch zusätzliche Feinde schaffen.“
 

Ernst sah sie ihn an. Vielleicht vertiefte Serdall sich gerade etwas zu sehr in seinem Leid. Natürlich war die Situation, in der er sich gegenwärtig befand, schrecklich. Doch statt sich gegen sein Schicksal zu stellen, sollte man es lieber akzeptieren, wenn man nichts dagegen tun konnte – Yoshiko konnte nur ahnen, dass Fei Serdall bei Widerstand schlimme Konsequenzen angedroht hatte – oder kämpfen, wenn es noch einen Ausweg gab. Momentan machte er sich mit seinem Verhalten nur kaputt.
 

Serdall konnte nur unwillig den Kopf schütteln.
 

„Du kannst es vielleicht einfach hinnehmen, aber ich nicht“, zischte er leise und stützte seinen Kopf in die Hände. Sein silbernes Armband fiel ihm vor die Augen, als es an seinem Unterarm entlang rutschte und er betrachtete es wehmütig. Er vermisste ihn so schrecklich sehr und er kam sich schäbig vor, dass er hier mit Yoshiko mehr als drei Worte wechselte. Daniel würde ausrasten, wenn er ihn hier so sehen würde. Wieder machte sich einfach nur der Schmerz in Serdall breit, wenn er daran dachte, Daniel für immer zu verlieren.
 

Die Hände zu Fäusten ballend schlug er sie heftig mehrmals gegen seine Schläfen, als sich Tränen in seinen Augen bilden wollten. Jetzt reiß dich zusammen, fauchte er sich in Gedanken an. Wütend stand er auf und blendete Yoshiko komplett aus, als er im Raum auf und ab ging, wie ein Tiger gefangen in einem Käfig. Er musste einen Weg finden mit Daniel zu reden, ihm die Situation zu erklären. Irgendeinen Weg musste es doch geben, wie er Fei von seinem Willen abbringen konnte. Verdammt, da muss doch etwas sein!, dachte er verzweifelt und ging mittlerweile zum sechsten Mal den Weg einmal quer durch sein Zimmer. Wieso hatte er nichts gegen Fei in der Hand? Wieso nur hatte Daniel überhaupt an sein Handy gehen müssen?
 

Fahrig strich Serdall sich durch die Haare und ging erneut den Weg bis zur Balkontür und riss sie wütend auf, um frische Luft zu schnappen und nicht ständig Yoshikos Blick auf sich fühlen zu müssen. Schwer stützte er sich auf das Geländer und sah in die Tiefe. Die Kälte, die ihm eine Gänsehaut über die Arme trieb und der leichte Novemberregen, der auf ihn niederging, halfen ihm dabei, sein Gemüt zu beruhigen. Er würde daran kaputt gehen, wenn er Daniel für immer verlieren würde. Er überstand es nicht noch einmal, einen Menschen zu verlieren, der ihm dermaßen viel bedeutete, den er über alles liebte. Er wünschte sich, Daniel würde ihn wieder umarmen, ihm Halt geben in seinem Gedankenchaos.
 

Erste Tränen bildeten sich nun doch in Serdalls Augen, doch sie mischten sich mit dem Regen, der über seine Wangen tropfte. Er hasste sich selbst dafür, dass er Fei überhaupt in sein Haus gelassen und Daniel weggeschickt hatte. Er hatte es doch geahnt, wie sein Bruder reagieren würde. Er biss sich auf die Unterlippe und schloss gepeinigt die Augen. Serdall schnürte es langsam die Kehle zu, aber er wollte nicht auch noch aufschluchzen. Es musste doch irgendeine sinnvolle Lösung geben. Er wollte Yoshiko nicht heiraten! Er wollte niemanden heiraten, sondern mit Daniel zusammen sein. Wieso durfte er das denn nur nicht? Fei lebte doch in Japan. Kaum jemand wusste dort von Serdall. Wieso war es plötzlich so wichtig, dass er an die Familienehre dachte? Seine Finger krallten sich schmerzhaft in das Steingeländer. Überrascht nahm er sie fort von dem Stein, als er es bemerkte und verschränkt die Arme vor der Brust.
 

Yoshiko ließ ihn sich draußen abreagieren und nachdenken. Vielleicht fand er doch noch einen Ausweg oder immerhin einen Mittelweg, mit dem er sich arrangieren konnte. Es würde schwer werden, aber er kannte seinen Bruder wohl besser als einige andere. Und wenn nicht half ihm die zeitweilige Einsamkeit vielleicht, zumindest erst einmal einigermaßen mit der Situation klarzukommen.
 

Entschlossen stand Yoshiko auf und ging kurz in ihr Zimmer, um aus ihrem Koffer eine Schlaftablette zu holen. Anders würde Serdall wohl keine Ruhe finden. Er tat ihr wirklich leid, stellte sie fest, als sie den Zahnbecher ein zweites Mal an diesem Tag mit Wasser füllte. Sie war daran gewöhnt, dass andere Leute ihr das Leben diktieren und hatte einen eigenen Weg dort hindurch gefunden, mit dem sie eigentlich recht gut klar kam. Serdall hingegen hatte hier in Deutschland seine grenzenlose Freiheit gehabt, die ihm jetzt mit einem Ruck komplett entzogen wurde. Natürlich brauchte er seine Zeit, bevor er das zumindest einigermaßen verkraftet hatte, damit er wieder recht klar denken und seine Möglichkeiten abschätzen konnte, die ihm noch offen standen.
 

Nach einiger Zeit, die sie noch grübelnd im Bad verbracht hatte, trat Yoshiko zu Serdall, der immer noch auf dem Balkon stand. Mittlerweile war er komplett durchnässt. Sorgsam drapierte sie ihm das Handtuch, das sie wohlweißlich mitgenommen hatte, auf den Schultern und hielt ihm die Tablette und den Becher unter die Nase.
 

„Hier, ein Schlafmittel“, meinte sie. „Du nützt keinem was, wenn du leichenartig und unausgeschlafen durch das Haus wanderst.“
 

Böse blitzte Serdall sie an.
 

„Willst du mir auch noch meine letzte Freiheit nehmen? Behalt deinen Mist, ich brauch es nicht“, fauchte er. Er sah ihr kalt in die braunen Augen. Sie hatten diese typische Mandelform und wirkten so normal, dass es Serdall schon nervte. Er wollte Daniels himmelblaue sehen. Seinen Freund wieder an sich fühlen. „Wieso lässt du mich nicht einfach in Ruhe? Ich werde dich bestimmt nicht vögeln, auch wenn du dich so billig anziehst. Hat dir Fei vielleicht noch befohlen, das zu tun? Oder deine Familie?“, fuhr Serdall sie weiter an. Er war so dermaßen sauer, weil sie ihn ständig irgendwie bemuttern wollte, auch wegen ihrer Beherrschtheit die im Gegensatz zu seinen Gefühlsausbrüchen stand. Er wollte jetzt nicht das Ganze erdulden, wie sie es vielleicht tat. Er wollte darüber nachdenken und wenigstens seine Gefühle frei lassen. „Ich komme alleine zurecht.“
 

„Das merke ich“, meinte Yoshiko jetzt eine minimale Spur kühler wirkend als bislang. „Wenn ich mich umdrehe, wirst du dich hier runterstürzen nehme ich an? Oder bevorzugst du den traditionellen Tod durch das Schwert“, fragte sie sarkastisch. Sie trat jetzt ganz neben Serdall und stellte den Becher auf das Steingeländer. „Falls es dich interessieren sollte, wurde mir nur die Hochzeit befohlen. Alles Weitere ist meine Entscheidung. Aber normalerweise mache ich die Sachen, die ich einmal angefangen habe, auch vollständig und ohne Abstriche.“
 

Yoshiko hatte sich gegen den kalten Stein gelehnt und starrte in den Regen hinaus, der im Schein der Straßenlaternen zu erkennen war. Die Nässe hatte ihren Morgenmantel schon längst durchdrungen und ihn hauteng an ihren Körper gepresst.
 

Serdall schnaubte genervt. Er hatte absolut keine Lust sich mit ihr hier irgendwie auseinanderzusetzen, besonders in dem Punkt, wie sie es handhaben wollte mit ihm umzugehen. Serdall stieß sich vom Geländer ab und ging zurück in sein Zimmer. Er hatte sicher nicht die Absicht sich umzubringen, schließlich ging das Sterben von ganz allein, wenn er Daniel nicht mehr sehen konnte.
 

„Wenn du dich jetzt bitte aus meinem Zimmer entfernen würdest“, entgegnete er ihr kühl und ging zu seinem Kleiderschrank. „Ich möchte schlafen, jedoch ohne deine Gesellschaft.“
 

Kurz blieb Yoshiko noch draußen stehen, dann wollte sie ebenfalls reingehen. Skeptisch sah sie auf ihren tropfenden Morgenmantel. Schulterzuckend entledigte sie sich kurzerhand von ihm und wrang ihn aus, bevor sie nackt durch Serdalls Zimmer hin zur Tür ging. Sie schämte sich ihres Körpers nicht und Serdall war, wenn alles so kommen würde, wie sein Bruder sich das vorstellte, in Kürze ohnehin ihr Ehemann.
 

„Gut, wie du meinst“, meinte sie schlicht. „Du weißt ja, wo du mich findest, wenn etwas sein sollte. Auch wenn du nur jemanden brauchst, der unparteiisch ist und mit dem du reden kannst.“ Ohne eine Antwort abzuwarten drehte sie sich um und ging in ihr vorläufiges Zimmer.
 

Angewidert schüttelte Serdall den Kopf. Er hatte nichts mit ihr zu bereden. Dass sich diese Frau so präsentieren musste, zeugte für Serdall nur von ihrer gesteigerten Gleichgültigkeit gegenüber ihrem Schicksal. Und als unparteiisch sah er Yoshiko nicht. Sie hatte in seinen Augen einfach keine Meinung. Genervt ging er zur Tür, um sie abzuschließen. Er würde Taki ab morgen mit zu sich ins Zimmer nehmen, bevor er irgendwann noch einmal aufwachte und diese Frau plötzlich neben ihm lag. Er liebte Daniel, da interessierte er sich ganz sicher nicht für diese ihm eigentlich Unbekannte, auch wenn er sie heiraten musste.
 

Wütend ging Serdall ins Badezimmer und entledigte sich zitternd seiner nassen Klammotten. Er musste unbedingt mit Dustin reden. Vielleicht konnte sein Schwager ihm helfen, dass Serdall es wenigstens schaffte mit Daniel zu telefonieren. Serdall schlüpfte in seine Schlafsachen, die er, seit er mit Daniel zusammen war, eigentlich tief in den Schrank verbannt hatte. Daniel liebte es mit ihm Haut an Haut zu schlafen und Serdall fand es so auch viel angenehmer. Ohne Daniel jedoch würde ihm wohl in der Nacht viel zu kalt sein.
 

Als er aus dem Bad zurück in sein Bett ging, fiel mit jedem Schritt die Anspannung und wich der Angst und Einsamkeit. Er zog sich die Decke über den Kopf, als er das Licht ausgeschaltet hatte und versuchte die Gedankenspirale, die sich langsam in seinem Kopf bildete, zu verdrängen. Unruhig begann er sich hin und her zu drehen, schaffte es aber nicht zur Ruhe zu kommen. Irgendwann gab er es auf und dachte nur noch an Daniel. An sein Lächeln, an seine Stimme und die Wärme, die er Serdall immer vermittelte, wenn er bei ihm war. Serdall schaffte es so wirklich, wenigstens für ein paar Stunden in einen Albtraum begleiteten Schlaf zu fallen.
 


 

Am nächsten Morgen stand Yoshiko in der Küche und machte Frühstück. Es schien keiner hier im Haus wach zu sein, abgesehen von Dustin und Taki, die schon in der Schule waren. Serdall schien entweder entkräftet länger zu schlafen oder er wollte einfach nicht aus seinem Zimmer herauskommen. Verständlich, denn immerhin erwartete ihn hier nichts anderes als sein Bruder mit seiner Truppe und seine verhasste zukünftige Ehefrau. Yoshiko seufzte. Sie hatte schon vor längerer Zeit gelernt, sich mit allem zu arrangieren, was von ihr verlangt wurde, solange sie ihre nötigen Freiräume eingeräumt bekam. Vielleicht war es feige, aber das Leben war, wenn man in einer eingeschworenen Gemeinschaft wie die Yakuza es war, aufwuchs, so nun mal bedeutend einfacher.
 

Der Oyabun, Kikuchi und die Bodyguards schliefen noch. Der Jetlag hing noch nach und die Reise war anstrengend gewesen. Ganz die anständige und wohlerzogene Frau, die sie nun mal laut ihrer Erziehung war, hatte sie sich den Wecker gestellt und bereitete den Herren nun ihr Essen zu. Sie machte eine große Platte für den Oyabun und seine Männer und einen separaten Teller für Serdall, der wohl lieber nicht runterkommen würde. Als sie fertig war, brachte Yoshiko Serdalls Essen nach oben.
 

„Serdall, ich habe dir Frühstück gemacht“, meinte sie halblaut, nachdem sie an seiner Zimmertür geklopft hatte.
 

Jener saß im Schneidesitz auf seinem Bett und starrte unbestimmt in den Raum. Ihm war nicht nach essen, eher im Gegenteil. Ihm war speiübel und sein Magen krampfte sich nur noch zusammen, seit er aufgewacht war. Es war derselbe Schmerz wie damals, als er sich strikt gegen Daniel gewehrt hatte, nur schlimmer. Er hatte ständig den Gedanken im Hinterkopf, dass Fei Daniel töten würde. Nach dieser halbdurchwachten Nacht war er blass und fühlte sich wie der letzte Dreck, aber es war besser, als sich seinem Schicksal einfach zu fügen. Er klammerte sich an den Gedanken, Dustin irgendwie mitzuteilen, dass er sich sein Handy leihen musste. Mittlerweile war er soweit, dass er sich überlegt hatte, ihm einen Zettel zukommen zu lassen, aber Serdall schreckte noch, dass Fei es vielleicht mitbekommen könnte und Daniel umbringen würde, wenn er es erfuhr.
 

Nachdem auch nach einer Minute kein Geräusch aus dem Zimmer gekommen war, stellte Yoshiko seufzend das Tablett auf den Boden. Sie glaubte nicht, dass Serdall noch schlief, aber scheinbar hatte er kein gesteigertes Interesse daran, jemanden zu sehen.
 

„Ich lasse dir das Frühstück hier. Wenn du Hunger haben solltest, musst du es dir nur holen“, sprach sie noch kurz gegen die geschlossene Tür und machte sich dann auf den Weg nach unten. Sie würde langsam schon mal damit anfangen Mittag zu machen. Bis sie das ganze Gemüse geschnitten hatte, würde einiges an Zeit vergehen und gar werden musste das Alles auch noch.
 

Yoshiko ging wieder in die Küche und machte sich tatkräftig an die Arbeit. Das hatte außerdem den netten Nebeneffekt, dass sie sich ablenken konnte, denn, obwohl sie es sich verbot, zu oft daran zu denken, vermisste sie ihre Heimat und vor allem ihre Freunde schon ein wenig. Immerhin konnte keiner sagen, ob sie hier bleiben oder Serdall nach Japan gehen würde.
 

Genau eine Stunde später ging die Tür der Küche auf und Fei Agamie trat fein säuberlich angezogen in den Raum und ließ seinen Blick über die Einrichtung schweifen.
 

„Guten Morgen, Yoshiko“, grüßte er sie freundlich, schließlich würde sie seine zukünftige Schwägerin sein. „Ich hoffe, du hattest eine angenehme Nacht?“, fragte er, setzte sich an den Tisch und stützte sein Kinn in die Hände.
 

„Ja, nach dem doch recht spontanem Aufbruch und dem langen Flug habe ich sehr tief und gut geschlafen“, bestätigte sie und ließ die gerade eben geschälte Kartoffel ins Wasser gleiten. „Auf der Theke steht eine Platte mit Frühstück, falls Sie Hunger haben sollten. Mittag wird es wohl erst in eineinhalb Stunden geben.“
 

Fei nickte, stand auf und holte sich von dem Frühstück etwas, sowie eine Tasse Tee.
 

„Hast du dich mit Serdall unterhalten?“ Er wusste um Yoshikos Art. Ihr Vater hatte ihm versichert, dass sie auf jeden Fall ehrgeizig sein würde und das brauchte er, um seinen Bruder von seinem Wahn abzubringen.
 

„Ja habe ich“, bestätigte sie und legte das Messer zur Seite. Es gehörte sich nicht, vor dem Oyabun zu sitzen und durch irgendwas abgelenkt zu sein. „Er schien… nun… nicht besonders angetan zu sein von Ihrem Vorschlag, demnächst zu heiraten“, meinte sie vorsichtig. Yoshiko hatte keine Ahnung was passieren würde, wenn sie dem Oyabun sprichwörtlich auf den Schlips trat. Sie hatte einige Geschichten über ihn gehört, die fast alle garantiert maßlos übertrieben waren, damit sein Ansehen außerhalb gewahrt und er gefürchtet blieb, allerdings konnte sie selbst nicht bestätigen, ob sie tatsächlich unwahr waren, da sie Serdalls Bruder vorher noch nie direkt begegnet war. Fei lächelte geringschätzig.
 

„Es ist mir bewusst, wie er dem Ganzen gegenüber steht, doch seine Meinung zählt nicht mehr. Er hat sich dieses Recht selbst genommen, als er sich mit einem Mann eingelassen und mich jahrelang belogen hat.“ Er sah ihr freundlich in die braunen Augen und legte eine Hand auf ihre. „Ich möchte nur noch, dass er mit deiner Hilfe wieder den rechten Weg findet und erneut mein kleiner Bruder ist, der er einmal war. Du verstehst mich, nicht wahr?“
 

Skeptisch betrachtete Yoshiko ihn. Das war also wirklich der Grund? Die Tatsache, dass sich Serdall in einen Mann verliebt hatte, zeichnete ihn jetzt für sein Leben und es bedurfte der Unterstützung seines Bruders, um ihn wieder auf den rechten Weg zu bringen?
 

„Nun, ich fürchte, ich verstehe Sie nicht so ganz“, erwiderte Yoshiko, während sie Fei fest in die Augen sah. Wenn sie schon gefragt wurde, würde sie mit ihrer Meinung nicht hinter dem Berg halten. „Ich persönlich finde es nicht schlimm, wenn man sich in dasselbe Geschlecht verliebt. Sie beschäftigen Leute, die selbst diese Neigung haben, aber sie werfen sie nicht raus. Ihren Bruder hingegen zwingen Sie in eine Ehe. Das ist für mich etwas widersprüchlich.“
 

Fei atmete ruhig durch und verschränkte gelassen die Hände auf dem Tisch.
 

„Yoshiko“, begann er väterlich und sah ihr offen in die Augen. „Er ist nach dem Tod seiner Frau in ein Tief gefallen, das sich dieser Daniel zu Nutze gemacht hat. Serdall ist nicht einer dieser Perversen, die auch in den Kreisen der Yakuza vorkommen. Er ist ein Agamie, der einen Sohn hat und zu Besserem bestimmt ist, als zum Liebhaber eines Mannes“, erklärte er ruhig und hielt kurz inne, um von seinem Tee zu trinken, ehe er fortfuhr. „Du musst wissen, Serdall ist ein sehr feinsinniger und künstlerischer Mensch. Er kann sich nur wirklich entfalten, wenn er sich in den Armen einer Frau niederlassen kann. Dieser Daniel hingegen war mir gegenüber unverschämt und hat sich gegen mein Wort gestellt. Nur Serdall zuliebe habe ich ihn nicht schon bei meinem letzten Besuch getötet. Da wusste ich aber noch nicht, dass Serdall sich je auf diesen Jungen einlassen würde.“ Fei verzog leidlich das Gesicht. „Wie du siehst kann sich selbst der Oyabun nicht auf die Personen verlassen, denen er mehr als nur vertraut. Jedoch begehe ich diesen Fehler nicht noch einmal. Entweder Serdall heiratet dich oder ich töte diesen Abschaum.“
 

Yoshikos Augen weiteten sich minimal, bevor sie sich wieder im Griff hatte und eine neutrale Maske aufsetzte. Damit wurde Serdall also zu der Hochzeit gezwungen. Mit der Drohung, dass ihm der Mensch, den er momentan wohl mit am meisten liebte, genommen werden sollte. Der schnelle Tod eines geliebten Menschen oder langes Leid für beide. Was waren das für zwei grausame Optionen, aus denen er wählen musste? Ihr Mitgefühl für Serdall wurde noch größer und sie verstand nicht, wie der Oyabun so extrem handeln konnte. Der Tod eines Menschen war das allerletzte Mittel der Yakuza. Normal wurde verhandelt und vielleicht mal gedroht, aber nur selten wirklich Gewalt angewandt. Es schien Serdalls Bruder tatsächlich ernst zu sein. Er glaubte wirklich, dass Serdall einen äußerst falschen Weg beschritt und Hilfe brauchte.
 

„Meinen Sie nicht, dass Sie ihm gerade sehr viel mehr Leid antun, als ihm durch die Beziehung zu diesem Daniel passieren könnte?“, versuchte sie es vorsichtig. Fei schüttelte gutmütig den Kopf.
 

„Er wird in der Anfangszeit noch sehr stur sein, aber ich bin davon überzeugt, dass er einsehen wird, wie gut die Hochzeit mit dir ist. Besonders für Taki. Mein Neffe braucht eine Mutter und Serdall braucht die Weichheit einer Frau, nicht diesen groben und schlechten Mann. Und ich bin mir sicher, dass du nach bestem Wissen deine Pflichten für mich erfüllen wirst, damit er glücklich wird. Verstanden, Yoshiko?“ Fei sah sie mit einem ernsten Blick an, der ihr bedeuten sollte, dass diese Unterredung nun beendet war. Sie nickte ergeben und Fei stand nun auf. „Ich werde im Wohnzimmer noch ein paar Anrufe erledigen“, erklärte er ihr, bevor er den Raum mit seiner Teetasse verließ.
 

Yoshiko richtete sich wieder aus der Verbeugung auf, in die sie gefallen war. Etwas bedrückt nahm sie ihre Schälarbeit wieder auf. Es war nicht nur für Serdall schlimm, in diese Ehe gezwungen zu werden. Ihn traf es bestimmt am härtesten, aber es litten so viele Leute darunter. Sein Freund wäre als zweites zu nennen. Er wusste wahrscheinlich noch gar nicht, was überhaupt los war. Er wartete bestimmt darauf, demnächst von Serdall angerufen zu werden und die Erlaubnis zu bekommen, zurückzukommen. Denn, soviel hatte sie mitbekommen, Serdall hatte ihn irgendwo in Sicherheit gebracht. Sie wollte gar nicht wissen, was mit ihm passiert wäre, wenn er sich hier aufgehalten hätte, als ihre kleine Reisegruppe eingetroffen war.
 

Taki würde auch unter der ganzen Situation leiden. Gerade hatte er sich an diesen Daniel gewöhnt, dann wurde er ihm auch schon wieder weggerissen, ohne dass er verstand warum und sich von ihm hätte verabschieden können. Und dann war auch noch sie da. Doch über sie dachte wohl keiner nach. Sie war die Ware, die gehandelt wurde. Allerdings stellte sich die Frage, wie sie damit klarkommen sollte, dass ihre Ehe auf dem Unglück anderer gegründet wurde und wohl nur auf dem Papier bestehen würde. Sie war gerade mal zweiundzwanzig und ihr Leben dann jetzt schon in der Art und Weise besiegelt.
 

„Autsch“, zischte sie leise, als ein scharfer Schmerz ihre Handfläche durchfuhr. So in ihre Gedanken vertieft hatte sie keine Konzentration und war unglücklich mit dem Messer an der Kartoffel abgerutscht. Ein recht tiefer Schnitt prangte in ihrer Haut und Blut quoll hervor.
 

„Deswegen hasse ich die Küche“, meinte jemand emotionslos von der Tür herüber. Serdall schritt mit dem noch gefüllten Teller zu Yoshiko herüber, stellte ihn auf die Anrichte und dirigierte sie zum Spülbecken. Er ließ kaltes Wasser über den Schnitt laufen und ging währenddessen zum Erste-Hilfe-Kasten, um Yoshiko ein Pflaster zu holen. Mit Küchenrolle tupfte er den Schnitt trocken. „Du solltest besser aufpassen“, murmelte er kühl, als er das Pflaster vorsichtig auf die Wunde klebte und kurz darüber strich, um es festzudrücken. Serdall ließ wieder von ihr ab, um sich ein Glas mit Wasser zu füllen und sich an die Theke zu setzen. Er wollte gleich wieder nach oben gehen nachdem er etwas getrunken hatte und seinen Geigenkoffer holen konnte. Serdall wartete nur auf die Gelegenheit, dass Fei aus dem Wohnzimmer ging, denn er hatte keinen Bedarf, seinem Bruder gegenüberzutreten.
 

„Danke“, murmelte Yoshiko leise und setzte sich wieder. Obwohl Serdall sie nicht zu mögen schien, was nicht an ihrem Charakter lag, denn kennen gelernt hatten sie sich noch nicht wirklich, sondern eher an dem, was sie für ihn darstellen sollte, hatte er dennoch einen gewissen Anstand ihr gegenüber und war hilfsbereit. Das war ein Punkt, der für ihn sprach.
 

Yoshiko seufzte leise auf. Wenn Serdall ein Kerl gewesen wäre, der keine Gefühle hatte und zu jedem nur unfreundlich war, wäre es vielleicht nicht so schlimm gewesen, ihn in sein Unglück rennen zu sehen. Nur war ihr wohl zukünftiger Ehemann allerdings scheinbar ein richtig netter Kerl, auch wenn Serdall sich auf Grund dieser besonderen Umstände bislang noch nicht von seiner besten Seite gezeigt hatte. Trotzdem machte diese Erkenntnis es ihr noch schwerer die Tatsache zu verkraften, dass sie Mitschuld am Zerbrechen dieser Beziehung hatte. Wenn sie könnte würde sie versuchen ihm zu helfen. Nur wie sollte sie das anstellen?
 

Müde sah Serdall ihr bei der Arbeit zu, jedoch war er in Gedanken nur wieder bei Daniel. Er hatte es nicht mehr in seinem Zimmer ausgehalten, wo jede Stelle ihn nur an seinen Freund erinnerte. Auch hier in der Küche war es kaum besser. Allein der Tisch, auf dem sie mehrmals Sex gehabt hatten, erweckte in ihm die unendliche Sehnsucht nach seinem Freund. Apathisch ließ Serdall seinen Blick auf die Theke schweifen und spielte abwesend mit dem Wasserglas in seinen Händen. Er wollte seine Geige spielen, seine Emotionen bannen, damit sie ihn nicht zerfraßen. Aber er wollte nur für sich spielen, nicht für Fei oder Yoshiko.
 

Tief stieß er die Luft aus seinen Lungen, ehe er den letzten Schluck aus seinem Glas trank und wieder zu Yoshiko sah. Wer hatte ihr eigentlich gesagt, dass sie kochen sollte? Sollten Fei und Kikuchi doch verhungern oder woanders essen. Serdall passte es nicht, dass er seinem vermaledeiten Bruder auch noch den Aufenthalt genehm machte, indem er sie hier arbeiten ließ. Aber er konnte dagegen wohl auch nichts tun. Jedes Mal würde Fei ihm nur mit derselben Drohung kommen und Serdall wollte kein Risiko eingehen. Seufzend ließ er den Kopf hängen. Er hoffte, dass Dustin bald kam.
 

In der Zwischenzeit war Yoshiko mit schälen und schneiden fertig geworden und stellte sich jetzt an den Herd, um richtig mit dem Kochen anzufangen. Immer wieder sah sie verstohlen zu Serdall. Ihr ging nicht aus dem Kopf, mit was ihm gedroht wurde, wenn er sich seinem Bruder nicht unterordnete.
 

„Serdall…“, begann sie zögernd. Sie wollte ihm sagen, wie leid ihr das Ganze tat, ihn fragen, ob sie etwas tun könnte um die Katastrophe zu verhindern und er ihre Hilfe vielleicht sonst irgendwie gebrauchen konnte, doch in dem Moment kam Fei wieder in die Küche und Yoshiko verstummte abrupt. Sie wollte lieber nicht wissen, was der Oyabun mit ihr machen würde, wenn er wüsste, dass sie sich gegen ihn stellte und mit seinem Bruder verbündete.
 

Fei ging auf Serdall zu, der ihn nicht zu registrieren schien. Er stellte sich vor die Theke, ihm genau gegenüber. Serdall gab ihm nicht die Ehre, ihn zuerst zu grüßen. Stattdessen hob er den Kopf und sah Fei emotionslos in die Augen. Ich hasse dich, dachte er, doch Serdalls Wut wollte sich nicht einstellen. Es war einfach die Erkenntnis, dass Fei nicht mehr sein Bruder war, sondern nur der Oyabun, der über ihn bestimmen wollte.
 

„Serdall, ich möchte, dass du für mich spielst“, sagte Fei freundlich und lächelte seinen Bruder an, obwohl ihm ein eiskalter Schauer über den Rücken rann, als er diesen Blick sah. Er wusste, dass Serdalls Unmut vergehen würde, sobald er den wahren Wert von Yoshiko erkannte. Serdall schüttelte langsam den Kopf.
 

„Ich spiele nicht für den Oyabun“, hauchte Serdall kalt und lächelte Fei ebenfalls an, jedoch war es nur das Zucken seiner Mundwinkel entgegen der Erdanziehungskraft, als ein wirkliches Lächeln. Feis Lippen wurden schmal und blutleer, als er sie zusammenpresste. In diesem Punkt schien Serdall engstirnig zu sein und Fei gestand sich ein, dass er es Serdall nicht verübeln konnte. Kimba und Mücke begannen plötzlich an der Haustür zu bellen.
 

„Wenn du mich entschuldigst. Ich gehe meinen Sohn begrüßen“, erklärte Serdall kalt und ging zur Haustür, die er sogleich öffnete. Taki kam freudig auf ihn zugelaufen und schmiss sich in seine Arme. Serdall hob ihn glücklich hoch und stupste mit dem Zeigefinger gegen die kleine Nase. „Na Großer, wie war dein Tag?“, fragte Serdall seinen Lockenschopf und lächelte nun wirklich, als Taki ihn freudig anlachte.
 

„Der war super cool! Wir haben heut zwei Stunden lang nur Geschichten von unserer Lehrerin erzählt bekommen und dabei Kekse gegessen, die Lukas mitgebracht hat, weil er heute Geburtstag hat. Und wir haben einen neuen Spielturm auf dem Pausenhof gekriegt! Da kann man klettern und rutschen!“
 

Serdall war froh, dass es seinem Sohn gut ging und ihm die Schule so sehr gefiel. Dustin kam nun auch endlich zur Haustür und sah ihn besorgt an. Er konnte erkennen, dass es Serdall schlecht ging und es wohl immer schlimmer wurde. Die Wange hatte immer noch die Blaufärbung, nun aber in einem tieferen Violett, was sich krass von der hellen Haut abhob. Taki lief mit Mücke und Kimba in den Garten, als Serdall ihn herabgesetzt hatte. Die Gelegenheit nutzend legte Dustin besorgt eine Hand auf Serdalls Unterarm.
 

„Daniel hat mich gestern Abend angerufen“, flüsterte er Serdall zu. „Du sollst dich bei ihm melden.“
 

„Ich kann nicht. Fei hat mein Handy“, zischte Serdall ihm zu und wandte abrupt den Kopf, als Fei sich im Türrahmen zu Küche laut räusperte. Finster sah Dustin zu dem Yakuza. So war das also. Fei kontrollierte Serdall. Stellte sich nur die Frage womit?
 

Missbilligend den Kopf schüttelnd schloss Dustin die Haustür, als Serdall wie ein getretener Hund an Fei vorbeitrottete, um zum Wohnzimmer und womöglich hinaus zu Taki zu gehen. Fei ging ebenfalls ins Wohnzimmer und setzte sich zurück auf das Sofa, vor seinem Laptop, den er wohlweißlich für seine Geschäfte mitgebracht hatte. Dustin lief jedoch eilenden Schrittes die Treppen hinauf. Er musste Daniel wenigstens Bescheid geben, dass Serdall wohl keine Möglichkeit hatte ihn zu erreichen. Schnell war die Nummer gewählt und er wartete ungeduldig darauf, dass Daniel abnahm. Es kotzte ihn an, dass Fei anscheinend Serdalls derzeitiges Glück mit einer Zwangsehe zerstören wollte, aus Gründen, die wahrscheinlich nur er wusste.
 

„Hey Dustin“, kam es vom anderen Ende der Leitung. Daniel befand sich gerade auf dem Rückweg von der Uni nach Hause und hatte am Straßenrand gehalten, um das Gespräch anzunehmen. Sein Magen hatte einen kleinen Hüpfer gemacht als er gesehen hatte, wer genau ihn anrief. Zwar war es nicht Serdall persönlich, aber auch Dustin würde ihm neue Informationen geben können.
 

„Wie sieht es aus? Hat Fei sich inzwischen schon etwas beruhigt?“, wollte er wissen.
 

„Eher nicht, Daniel“, erwiderte Dustin finster. „Fei scheint Serdall zu kontrollieren. Er hat ihm jedenfalls sein Handy weggenommen und uns unterbrochen, als wir miteinander reden wollten. Serdall fügt sich ihm. Keine Ahnung warum.“
 

„Wie, er fügt sich ihm?“ Daniel war bei Dustins Worten fast das Handy aus der Hand gefallen. Sein Puls raste und er konnte das Blut in seinen Ohren pochen hören. „Fei will ihn von mir fernhalten, soviel kann ich mir denken. Und Serdall gibt seinem Bruder gegenüber in dem Aspekt klein bei?“ Seine Stimme war lauter geworden. Er konnte einfach nicht glauben, dass Serdall zurücksteckte. Daniel hätte gedacht, dass er seinem Bruder die Meinung sagen würde und dass dann hoffentlich alles gut wäre. War es vielleicht nur eine Taktik von Serdall, um seinen Bruder zu beruhigen und sobald er abgereist war, würde er Daniel wieder zu sich holen?
 

Dustin seufzte. Wie sollte er Daniel das denn erklären? Er verstand selber kaum, was hier überhaupt ablief.
 

„Naja, er hat eben einfach aufgehört sich mit mir über dich zu unterhalten, nur weil sich Fei zwei Meter von uns entfernt geräuspert hat. Ich hab keinen Schimmer, warum Serdall hier leichenblass und kommentarlos durch die Bude streift, ich weiß nur, dass Fei daran schuld ist. Ich mache mir Sorgen, Daniel“, meinte Dustin leise. Egal wie fies Serdall manchmal war, er war sein Schwager und er fühlte sich immer noch irgendwie ihm gegenüber verantwortlich.
 

In Daniel krampfte sich alles zusammen. Wenn der immer optimistische Dustin sich schon Sorgen machte, musste es wirklich schlimm sein. Er startete den Wagen wieder und fuhr mit einer Hand am Lenkrad und der anderen am Handy Richtung Serdalls Haus. Er musste wenigstens einen Blick riskieren, sonst würde er keine ruhige Minute haben.
 

„Was veranstaltet Fei denn bei euch?“, fragte er perplex. Was war es, dass Serdall derart aus der Bahn werfen konnte?
 

„Was weiß ich? Ich krieg hier selber kaum etwas mit“, zischte Dustin genervt und ließ sich auf sein Bett fallen. „Ich weiß nur, dass definitiv etwas faul ist und du besser nicht herkommen solltest, bis sich die Situation entspannt hat. Schließlich warst du doch der Auslöser dafür, dass Fei überhaupt nach Deutschland gekommen ist, oder nicht?“ Er hatte gehört, wie Daniel den Motor gestartet hatte und hoffte wirklich, dass Daniel jetzt nicht den Wahnsinn beging herzukommen. Langsam glaubte Dustin, dass Serdalls Entscheidung, Daniel wegzuschicken, die Richtige gewesen war. „Ich versuch derweil Serdall mein Handy zuzuspielen, okay? Oder mit ihm irgendwie zu reden oder etwas heraus zu bekommen.“
 

Daniel ignorierte die Warnung und bog auf eine der letzten Straßen ein.
 

„Ist Serdall gerade in der Nähe?“, fragte er etwas nervös. Ihm war es selbst nicht ganz geheuer, sich jetzt bei Serdall blicken zu lassen, allerdings wäre es für ihn noch schlimmer, wenn er gar nicht wissen würde, was los war. Wenn noch nicht einmal Dustin mitbekam, was zwischen Serdall und seinem Bruder lief, wie sollte Daniel dann überhaupt etwas mitbekommen? Und so ganz ohne Informationen, mit dem neuen Wissen im Hinterkopf, dass Serdall seinem Bruder scheinbar gehorchte, hätte er keine Ruhe mehr.
 

„Er ist unten, wie gestern auch. Ständig bei Fei halt. Ich bekomm ihn nur zu Gesicht, wenn ich runtergehe. Sag mal, wo fährst du jetzt gerade hin?“, fragte er Daniel misstrauisch. Er kannte seinen ehemaligen Schüler doch, besonders seine überstürzte Art in manchen Dingen.
 

„Nach Hause, wohin denn sonst?“, meinte Daniel ausweichend. Diese Aussage war doppeldeutig, da er Serdalls Haus inzwischen mehr als sein Zuhause betrachtete wie die Wohnung, in der seine Mutter mit Charline lebte. „Ich muss jetzt auflegen. Während des Autofahrens telefoniere ich nicht so gern. Ist mir zu unsicher. Melde dich sofort, wenn du neue Informationen hast.“
 

Daniel legte auf und stoppte das Auto eine Straße vor seinem eigentlichen Ziel. Er wollte nicht sofort gesehen werden. Er stieg aus und ging die letzten Meter zu Fuß. Aus der Ferne sah er schon die griechische Villa und beschleunigte seinen Schritt noch mal. Eine nicht zu identifizierende Angst hatte sich in ihm breit gemacht. Angst um Serdall. Warum kuschte er vor seinem Bruder, wenn er doch zu Anfang gesagt hatte, dass er sich ihm entgegenstellen würde?
 

Zischend sprang Dustin von seinem Bett.
 

„Dieser Vollidiot“, rief er leise und rannte aus seinem Zimmer und die Treppen runter. Er kannte den Kerl doch und er verwettete seine Potenz, dass Daniel gleich an der Tür klingeln würde, wenn er überhaupt an den Bodyguards vorbeikam. Gezwungen ruhig ging er die Treppe zügig hinab und ging normalen Schrittes an der Wohnzimmertür vorbei. Sofort hastete er dann in seine Schuhe, schnappte sich seinen Schlüssel und eilte aus der Tür, um sich in seinen Wagen zu schmeißen und eilig die Einfahrt herauszufahren. Er sah Daniels schwarzen Schopf bedrohlich nah bei ihnen und bretterte auf ihn zu, um mit quietschenden Reifen neben ihm zu halten.
 

„Steig ein“, zischte Dustin ihn durch das offene Fenster an.
 

„Bestimmt nicht“, raunzte Daniel zurück und schritt stramm weiter aus. Dustin fuhr rückwärts vor ihm her. „Ich habe keine Ahnung, was hier vor sich geht. Das Einzige, was ich weiß ist, dass Fei Serdall scheinbar irgendwie erpresst. Ansonsten würde er nicht vor seinem Bruder zurückzucken. Und da verlangst du von mir, dass ich ruhig zuhause sitzen bleibe und Däumchen drehe? Das kannst du vergessen!“ Daniels Stimme hallte über die Straße. Er hatte sich in Rage geschrien. Mittlerweile waren sie nur noch drei Häuser von seinem Ziel entfernt. Sofort hielt Dustin seinen Wagen an, stieg aus und griff Daniel hart an der Schulter, stoppte ihn so in seinem Aufmarsch.
 

„Bist du denn komplett bescheuert? Diesmal wir Fei dich bestimmt nicht nur grün und blau schlagen wie beim letzten Mal.“ Wütend zerrte er Daniel zum Auto und verfrachtete ihn auf den Beifahrersitz. Schnell sprintete er auf den Fahrersitz und zog Daniel wieder zurück, als er nach kurzem Zögern wieder aussteigen wollte. „Jetzt reiß dich zusammen!“, schrie Dustin ihn an, verriegelte die Tür und fuhr an und aus der Wohngegend heraus.
 

„Lass mich sofort aussteigen!“, raunzte Daniel ihn aufgebracht an und hatte zuerst seine liebe Mühe, die Verriegelung wieder aufzubekommen. Da fuhren sie jedoch schon so schnell, dass er es sich dann doch nicht traute, einfach rauszuspringen. „Du weißt doch überhaupt nicht, wie es mir geht!“, schrie er jetzt fast in Dustins Ohr und trat wütend gegen das Handschuhfach. „Außerdem wäre es mir scheißegal, ob Fei mich verprügelt, wenn ich bei euch ankomme. Ich will gefälligst wissen, was er mit Serdall macht. Und abknallen wird er mich schon nicht. Würde einige unschöne Fragen aufwerfen, wenn ich tot auf euren Wohnzimmerteppich liege.“ Schnaubend und immer noch mit extrem angestauter Energie rammte Daniel seinen Ellenbogen gegen die Tür, die unschön knallte.
 

„Sag mal, hast du sie noch alle? Das ist die Yakuza!“, schrie Dustin ebenso laut und bretterte nun wütend über eine Landstraße. „Die töten dich und es erfährt kein Schwanz, in welchem Land sie dich verscharren oder an wen sie deine Organe verscherbeln! Glaubst du Serdall ist geholfen wenn du reinplatzt, den Retter spielen willst und Fei dir eine Kugel in den Kopf jagt?“, zischte Dustin wütend und bog auf einen Feldweg ein, auf dem er nun, weit genug von der Stadt entfernt, anhielt. Ruppig zog er die Handbremse an, nachdem er dem Motor ausgestellt hatte und wandte sich Daniel zu. „Reg dich erst mal ab, bevor du Serdall noch Kopf und Kragen kostest!“
 

Daniel kam langsam wirklich von seinem Trip wieder herunter. Da er seinem Ärger erst einmal Luft gemacht hatte, fühlte er sich nur noch leer und ausgelaugt.
 

„Ich habe Angst um ihn“, flüsterte er und sah mit leicht feuchten Augen aus dem Fenster. „Er hat mir versprochen, dass er Fei die Stirn bietet und mich anruft und nichts ist bislang passiert. Was, wenn er seinem Bruder wirklich nicht nur zum Schein, sondern tatsächlich nachgibt und ich ihn verliere. Was tut Fei ihm an, dass er auf einmal alle seine Prinzipien über Bord schmeißt?“
 

Dustin strich Daniel mitfühlend durch die Haare. Jetzt, wo er das mit Daniel dermaßen emotional besprochen hatte, kam ihm eine Idee, womit Serdall von seinem Bruder erpresst wurde. Aber es war so absurd, dass er es nicht glauben wollte.
 

„Hat Serdall dir nicht irgendetwas gesagt, gestern? Ich meine, warum hat er dich denn sonst fortgeschickt? Klar, kann dich Fei nach eurer Auseinandersetzung vom letzen Mal nicht leiden, aber diesmal ist es wohl ein Tick extremer oder?“
 

„Ach, du kennst Serdall doch“, meinte Daniel mit einer wegwerfenden Handbewegung. „Er macht sich immer viel zu viele Sorgen. Hat etwas davon geredet, dass Fei mich umbringt, wenn er mich sieht und so. Deswegen würde er mich wegschicken. Wobei es mit Fei und mir nicht gut geht, auch wenn wir uns nur sehen. Warum Serdall so dramatisiert, ist für mich wirklich unverständlich.“
 

Dustin riss die Augen auf.
 

„Und warum glaubst du ihm diesmal nicht?“, zischte er Daniel genervt an. „Schließlich ist Fei skrupellos und ein mehrfacher Mörder, wenn man es so sieht. Ich verstehe langsam, warum Serdall vor Fei den Buckel macht und sich von ihm alles gefallen lässt. Nämlich deinetwegen.“
 

„Meinetwegen?“, schnaubte Daniel witzlos. Im nächsten Moment allerdings flackerte Erkenntnis in seinen Augen auf. „Meinetwegen…“, hauchte er entsetzt. Hatte Fei Serdall tatsächlich damit gedroht, Daniel umzubringen? Er war in höchstem Maße wütend gewesen. Außerdem konnte er Daniel nicht leiden. Noch dazu würde es alles erklären. Serdall kannte seinen Bruder. Deswegen hatte er auch damit gerechnet, dass er es auf Daniel abgesehen hatte. Er meldete sich nicht, weil Fei ihm mit so ziemlich dem einzigen erpresste, für das Serdall wirklich zugänglich war und das ihm nicht direkt selbst schadete.
 

„Dustin“, fing Daniel schwach an. „Wird Serdall irgendwie erpresst? Was ist bei euch los?“
 

Dustin seufzte schwer und lehnte sich nun, da die Anspannung von ihm fiel, matt zurück.
 

„Mehr als das, was ich dir schon erzählt habe, kann ich dir auch nicht sagen. Aber ich glaube wirklich, dass Serdall von Fei zu manchem gezwungen wird. Es geht ihm schlecht, Daniel, aber er scheint Zeit schinden zu wollen. Wir müssen abwarten. Eine Hochzeit mit dieser Japanerin geschieht dann doch nicht so schnell wie vielleicht in Las Vegas“, murmelte er und sah Daniel von der Seite her an. „Außerdem musst du Ruhe bewahren. Fei ist wirklich kein Mensch, mit dem man sich einfach anlegen kann. Er ist nun mal ein Krimineller, auch wenn er eigentlich Serdall gegenüber nie gewalttätig geworden ist, bis auf gestern, soweit ich weiß.“
 

„Was?“, keuchte Daniel erschrocken. Er erinnerte sich daran, dass Dustin ihm das eine Mal am Telefon erzählt hatte, dass Fei jemanden mitgebracht hatte, der das Essen machte und sich um Taki kümmerte, doch er realisierte erst jetzt, wo Dustin ihn mit der Nase darauf stieß, dass es tatsächlich geplant war, dass Serdall diese Frau heiratete. Davor hatte Daniel zwar auch schon kurz daran gedacht, doch nie im Leben damit gerechnet, dass an diesen Plan von Fei auch nur mehr als ein amüsierter Gedanke verschwendet wurde.
 

Sein Magen drehte sich um. Wenn Serdall sich schon davon abbringen ließ sein Versprechen zu halten oder ihn zu sehen, dann würde Fei mit seinem Zwangsmittel garantiert auch dafür sorgen können, dass Serdall zumindest über diese Hochzeit nachdachte. Und wenn Daniel richtig lag und Fei seinem Bruder tatsächlich mit Daniels Tod drohte, dann war es durchaus wahrscheinlich, dass Serdall diese Hochzeit auch durchführen würde. Denn nichts wäre ihm wichtiger, als dass Daniel am Leben blieb. Daniel selbst würde ja auch nicht anders handeln.
 

Schwer nach Atem ringend versuchte Daniel ruhig zu bleiben. Er wäre gerade wieder in der Lage aus Dustins Auto zu springen und den gesamten Weg bis zu Serdalls Haus zu hetzen, doch damit wäre keinem geholfen. Er musste sich einen Ausweg überlegen.
 

„Sie dürfen nicht heiraten“, hauchte er mit aufgerissenen Augen. „Fei wird dafür sorgen, dass sie es tun. Irgendwie muss ich ihn davon abhalten. Vielleicht kann ich ihm irgendwas anbieten.“
 

„Und was?“, fragte Dustin zweifelnd. „Ich glaube nicht, dass du ihm irgendetwas geben könntest, was er nicht schon hätte. Wir müssen irgendwie mit Serdall reden. Dann sehen wir weiter. Jedenfalls können wir nicht zulassen, dass Fei ihn und dich auseinander bringt.“
 

Fahrig strich sich Dustin durch die kurzen, blonden Haare. Er hatte keine Ahnung, wie sie das hinbiegen sollten. Fei war unberechenbar. Genauso wie Serdall es teilweise mit seinen wirren Gedankengängen war, schien Fei diese Eigenschaft in seinen Handlungen zu zeigen. Wer hätte denn je geahnt, dass Fei wirklich solche Mittel zum Einsatz brachte, nur um seinen Bruder zu kontrollieren? Dass er überhaupt Serdall kontrollieren wollte, war schon eine Wucht. Dabei hatten sich Serdall und Fei immer gut verstanden, ganz ohne die Yakuza-Hierarchie. Beruhigend griff Dustin nach einer von Daniels zitternden Händen und umschloss sie fest.
 

„Wir machen das schon irgendwie, Dan“, meinte er leise und strich Daniel über eine vor Aufregung gerötete Wange.
 

„Und wie?“, fragte Daniel schwach. Er musste mehrmals an dem Klos schlucken, der sich in seinem Hals gebildet hatte. Die Situation war aussichtslos. „Noch nicht einmal du schaffst es gerade mit Serdall zu sprechen und du wohnst mit ihm im Gegensatz zu mir noch in einem Haus. Ich kann nicht zu euch kommen, ohne womöglich mein Leben zu riskieren, so wie Fei momentan drauf zu sein scheint und telefonisch kann ich ihn auch nicht erreichen. Außerdem habe ich wirklich nichts, womit ich Fei überzeugen könnte, wieder zurück nach Japan zu gehen und mich und Serdall in Ruhe zu lassen.“
 

Krampfhaft biss sich Daniel auf die Lippe, doch er konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten, die sich den Weg über seine Wangen bahnten. Zum ersten Mal hatte er vollständig begriffen, dass Fei gerade derjenige war, der das Zepter in der Hand hielt und der nicht eher gehen würde, bis Serdall sich von Daniel gelöst hatte und erneut verheiratet war.
 

Himmel. Dustin fragte sich wirklich, warum es gerade Daniel und Serdall traf. Warum sie nicht einfach glücklich sein konnten. Tröstlich schlang er die Arme um Daniel und zog ihn in eine Umarmung.
 

„Ich verspreche dir, ich werde Serdall schon irgendwie eine Möglichkeit einräumen, um mit dir zu reden und wir werden sehen, ob Serdall Fei nicht doch noch davon überzeugen kann, euch in Ruhe zu lassen“, flüsterte Dustin an Daniels Ohr und streichelte ihm über den Kopf. „Serdall will vielleicht erst mal warten bis sich Fei beruhigt hat, um dann vernünftig mit ihm zu reden. Das letzte Gespräch scheint wohl eskaliert zu sein, sonst hätte Fei Serdall nicht geschlagen. Du musst jetzt stark sein, okay, Dan? Für Serdall“, meinte Dustin leise und klopfte sich gedanklich auf die Schulter. Normalerweise war er im Trösten nicht sonderlich gut. Jemanden auf andere Gedanken zu bringen war da einfacher, als ihm gut zuzusprechen. Aber mit dem Alter kam wohl die Reife… Dustin seufzte bei dem Gedanken daran schwer, dass er im Januar neunundzwanzig Jahre alt wurde. Wo war nur die Zeit geblieben?
 

„Du hast ja recht“, meinte Daniel und wischte sich entschlossen die Tränen aus dem Gesicht. „Es ist nur so schwer zu wissen, dass ich nichts Anderen tun kann, als dumm herumzusitzen und zu warten, während Serdall gegen seinen Bruder um unsere Beziehung kämpft.“ Kurz schwieg er. Dann hob Daniel den Kopf und sah Dustin mit noch leicht glasigen Augen an. „Fährst du mich gleich nach Hause? Ich fühle mich gerade nicht in der Lage, noch mal so nahe zu Serdall zu fahren und mich dann wieder von ihm zu entfernen, ohne ihn gesehen zu haben.“
 

Dustin nickte. Daniel war mit den Nerven am Ende, das wusste und sah er.
 

„Ja, kein Problem“, murmelte er, küsste Daniel auf die Stirn und strich ihm noch einmal durch die Haare, ehe er sich wieder richtig hinsetzte. Er wendete geschickt und fuhr zurück auf die Landstraße. Während der Fahrt sah er immer wieder besorgt zu Daniel, der seinen Kopf stillschweigend an das Fenster lehnte und die vorbeiziehende Landschaft wohl kaum wahrnahm. Es musste richtig hart für ihn sein, wieder diese Angst fühlen zu müssen, Serdall zu verlieren. Unwillkürlich grub Dustin seine Finger stärker als nötig ins Lenkrad. Diese Situation ärgerte ihn. Serdall hatte es endlich komplett aus seinem Sumpf von damals heraus geschafft und nun kam der nächste Tiefschlag. Wie lange hielt sein Schwager das überhaupt aus?
 

Ende Kapitel 3

Kapitel 2
 

Minuten später hielt Dustin vor dem Wohnblock, in dem Daniels Mutter wohnte. Daniel wachte aus seiner Art Trance erst auf, als Dustin den Wagen etwas härter als nötig vor der Wohnung zum Stehen brachte. Er blinzelte ein paar Mal und fokussierte seinen Blick wieder auf Dustin.
 

„Danke“, murmelte er. „Wenn du Serdalls Auto noch zu euch auf den Hof fahren würdest, wäre ich dir mehr als dankbar. Auch, wenn er etwas anderes behaupten würde, es wäre schon schade um das teure Stück.“ Er ließ ein ziemlich schiefes Lächeln sehen und legte dann nach Dustins bestätigendem Nicken den Schlüssel auf die Ablage. „Ruf mich bitte sofort an, wenn du kannst und irgendwas Neues weißt. Egal, was es ist“, bat er und stieg aus.
 

Ohne noch einmal zurückzublicken ging er ins Haus und die Treppen hinauf zu ihrer Wohnung. Daniel war froh, dass gerade keiner da war. Er lief in sein umgebautes, altes Zimmer und ließ sich auf Charlines Couch nieder. Seufzend schlang er die Bettdecke um seine Schultern und starrte dumpf an die Wand. Eigentlich hätte er gedacht, dass seine Gedanken Achterbahn fahren müssten, doch irgendwie war da nichts. Einfach vollkommene Leere. Eine Zeit lang blieb Daniel noch so sitzen, dann glitt er an der Lehne hinab in eine liegende Position und rollte sich zusammen. Aus einem Impuls heraus schloss er die Augen und fiel gnädiger Weise in einen leichten Schlaf, obwohl es immer noch mitten am Tag war.
 

Dustin fuhr zurück. Die ganze Zeit über wälzte er seine Gedanken hin und her. Es musste einen Weg geben, es gab schließlich immer einen Weg. Aber das Ziel war diesmal bedeutend schwerer zu erreichen. Fei war mächtig, besonders durch seine skrupellose Art, Serdall mit Daniels Tod zu drohen. Dustin bezweifelte nicht, dass er diese Drohung nicht auch in die Tat umsetzen würde, wenn Serdall nicht gehorchte. Sie mussten also einen Weg finden, um Fei zu beruhigen, ihm klar zu machen, wie wichtig Daniel für Serdall war. Aber wie sollten sie das schaffen, wenn es Serdall selbst nicht einmal konnte?
 

Seufzend blinkte er und bog in die Einfahrt vor ihrem Haus. Den Bodyguards in Feis weißem Wagen ein anzügliches Zwinkern schenkend, ging Dustin zurück und holte nun auch noch Serdalls Wagen und fuhr ihn neben seinen eigenen, ehe er zurück ins Haus ging. Es brannte in ihm mit Serdall zu sprechen, aber Fei war ständig um ihn herum. Serdall hatte mitbekommen, wie Dustin seinen Wagenschlüssel an das Brett im Flur gehangen hatte und warf ihm nun verwirrte Blicke zu, doch die Gelegenheit, sich mit ihm zu unterhalten, schien sich im Moment nicht zu ergeben.
 

Yoshiko betrachtete die beiden skeptisch. Sie schienen dringend reden zu wollen, doch Fei erstickte jedes Gespräch zwischen ihnen schon im Keim, da er wohl ahnte, dass Dustin noch Kontakt zu Daniel hatte. Immerhin konnte er ihm nicht verbieten zu telefonieren und das Handy abnehmen. Durch seine Stelle als Lehrer musste Dustin immer erreichbar sein und es würde auffallen, wenn er plötzlich ganz von der Außenwelt abgeschnitten wäre.
 

Fieberhaft überlegte Yoshiko, wie sie den beiden ermöglichen könnte miteinander zu sprechen, während sie Fei und Serdall den selbstgebackenen Kuchen servierte. Seit sie erfahren hatte was genau hier gespielt wurde, hielt der innerliche Zwang sie umklammert, das erste Mal in ihrem Leben einem direkten Befehl ihres Vaters nicht Folge zu leisten. Nicht, wenn sie wusste, auf welchem Unglück er sich gründete. Vielleicht konnte sie nicht offen rebellieren, wenn sie die daraus folgenden Konsequenzen nicht erdulden wollte, aber sie könnte es im Verborgenen tun.
 

Umsichtig nahm sie die Teekanne und ging damit auf Fei zu, um ihm eine Tasse einzuschenken. Kurz, bevor sie bei ihm angekommen war tat sie so, als würde sie stolpern und verschüttete etwas von dem heißen Getränk über seinen Schoß. Gespielt erschrocken schrie sie auf, stellte die Kanne auf den Tisch und fiel vor ihm auf die Knie, um sich den Schaden genauer betrachten.
 

„Das tut mir leid“, rief sie entsetzt und griff nach einer Serviette. Fei hielt allerdings ihre Hand noch in der Bewegung fest und stand auf. Mit einer kurzen Entschuldigung, dass er sich umziehen müsse, verließ er das Wohnzimmer und ging nach oben. Yoshiko lächelte grimmig bei dem Gedanken, dass er ihr mehr vertraute als seinem eigenen Bruder und dachte, dass in ihrer Anwesenheit keine Gespräche stattfanden. Sie warf Serdall und Dustin, der noch immer im Türrahmen stand, einen bedeutsamen Blick zu und verschwand in der Küche. Serdall nutzte die Gelegenheit und ging sofort auf Dustin zu, der ihm schon entgegenkam.
 

„Du hast Daniel getroffen, nicht wahr?“, fragte Serdall nervös und sah Dustin hoffnungsvoll in die Augen.
 

„Ja, ich habe versucht ihn ein wenig aufzuklären. Aber jetzt musst du mir sagen, was hier läuft“, flüsterte Dustin ihm zu. Er vertraute dieser Japanerin nicht, obwohl sie ihnen augenscheinlich gerade sehr geholfen hatte.
 

„Fei hat sich in den Kopf gesetzt, mich wieder vernünftig werden zu lassen.“ Bei Dustins nicht verstehendem Blick, fuhr Serdall gehetzt fort. „Das Übliche, mich verheiraten und die japanische Ordnung herstellen“, zischte er weiter. Immer wieder ließ er seinen Blick zur Tür gleiten, in der Angst, dass Fei jeden Moment wiederkommen könnte. „Du musst Daniel sagen, dass er sich nicht mehr hier blicken lassen darf. Fei tötet ihn, wenn er ihn sieht.“ Serdall griff nach Dustins Unterarm und sah ihn ernst an. Dustin schluckte an den Klos in seinem Hals. Seine Vermutung war also richtig. Serdall wurde erpresst.
 

„Was willst du jetzt tun?“, zischte Dustin ihn an.
 

„Warten. Was anderes bleibt mir nicht übrig. Ich kann nichts tun, sonst würde ich Daniels Leben riskieren“, flüsterte Serdall leidlich und seine Augen wurden leicht feucht. Aus einem Impuls heraus nahm Dustin ihn in die Arme. Sein Schwager versuchte stark zu sein, aber Dustin war klar, dass er das nicht lange aushalten würde. Er hing viel zu sehr an Daniel, als dass er es durchstehen könnte, auf ewig von ihm getrennt zu sein. Serdall klammerte sich kurzzeitig an Dustin. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er zitterte.
 

„Ich muss mit ihm reden, Dustin“, hauchte er kraftlos und sein Schwager nickte. Er griff in seine Hosentasche und zog sein Handy heraus.
 

„Hier“, murmelte er. „Steck es dir am besten in den Strumpf oder so, damit Fei es nicht sehen kann und telefoniere heute Abend mit Daniel.“ Serdall tat das Handy schnell in seine Socke, als er Schritte auf der Treppe vernahm.
 

„Los ab“, fauchte Serdall. „Wenn er uns so sieht, wird er kurzen Prozess machen.“
 

Dustin nickte und ging Fei entgegen, während Serdall eilig in die Küche hinüberwechselte. Sein Herz pumpte wie wild. Er konnte es kaum abwarten wieder mit Daniel zu reden. Er musste sich zu einem neutralen Gesichtsausdruck zwingen, als Fei schon in der Tür stand. Es fiel ihm jedoch nicht schwer, seinen Bruder hasserfüllt anzublicken. All dieser Mist, nur weil Fei sein Leben nicht passte. Es weckte den Kampfgeist in Serdall. Er war nicht allein hier. Dustin half ihm, Daniel würde warten und… Serdall sah zu Yoshiko, die unschuldig das Abendessen vorbereitete. Sie wusste er nicht einzuschätzen.
 

In Gedanken versunken schnitt Yoshiko eine Paprika auf, um damit die Wurstplatte zu dekorieren. Sie hatte keine Ahnung, über was Serdall und Dustin gesprochen hatten, es ging sie in erster Linie auch nichts an, aber es schien wichtig gewesen zu sein. Außerdem schien es Serdall auch etwas besser zu gehen. Scheinbar war Daniel Teil ihrer Unterhaltung gewesen. Inwiefern, darüber würde sie nur spekulieren können. Allerdings, je weniger sie wusste, desto weniger konnte sie Fei sagen, falls er auf die Idee kommen sollte, sie befragen zu müssen. Sie folgte Serdall mit den Augen, als er sich irgendwann von der Theke abstieß, wo er ein Glas Wasser getrunken hatte, und in Richtung Wohnzimmer ging.
 

Entschlossenen Blickes ging Serdall zum Regal, auf dem sein Geigenkoffer ruhte. Er schenkte Fei ein verachtendes Lächeln, als er seine Violine herausnahm und sie sich graziös auf die Schulter legte. Er würde es schon irgendwie schaffen, Fei wieder zu vertreiben. Serdall wollte ihm zeigen, dass er es sich nicht gefallen ließ, sich aber fügen musste. Fei setzte schließlich unfaire Mittel ein und Serdall würde seinem Bruder zeigen, was er davon hielt.
 

Die Augen schließend setzte Serdall den Bogen an und begann eine kraftvolle Melodie anzuspielen, die ihn seine Umgebung ausblenden ließ. Angst und Wut hielten sich in den Tönen die Waage und machten dieses Lied so schrecklich leidenschaftlich, dass es Serdall selbst erbeben ließ. Er funkelte Fei an, als er zu der Passage kam, die alle seine Gefühle ihm gegenüber wiederspiegelte. Sein Bruder stand still im Türrahmen und sah ihm dabei zu, wie er spielte. Er presste die Lippen fest aufeinander, als Serdall ihn so ansah. Er spürte regelrecht den Zorn, den Serdall in sich schürte, doch er beherrschte sich. Seine Entscheidung war die Richtige, das würde Serdall noch einsehen.
 

Wie in Trance schloss Serdall wieder seine Augen. Er wollte sich in diesem Lied fallen lassen, Kraft schöpfen, so wie er es schon lange nicht mehr getan hatte. Ohne Daniel war dies die einzige Möglichkeit, um sein Innerstes zu beruhigen und es wirkte im Moment wahre Wunder. Fei wandte sich leise knurrend ab. Er konnte seinem Bruder die Geige nicht verbieten, da sie nun mal schon immer zu ihm gehört hatte und Serdall nutzte dies schamlos aus, um ihn nun zu verhöhnen. Die Hände zu Fäusten geballt ging Fei in die Küche und versuchte nicht zu sehr den Geigenklängen zu lauschen, die aggressiv bis hierher drangen. Sollte Serdall sich doch austoben, er würde Yoshiko dennoch heiraten.
 

Etwas erstaunt sah Yoshiko auf, als Fei hereinkam.
 

„Das Essen wir noch ein wenig dauern. Vor allem gab es ja auch gerade erst Kuchen“, meinte sie und legte das Messer zur Seite, um ihre Aufmerksamkeit voll und ganz Fei zu widmen. Im Stillen bewunderte sie Serdall für sein Können an der Geige. Es hielt sich beständig auch in Japan das Gerücht, dass der Bruder des Oyabun ein Wundertalent an diesem Instrument war und deswegen in erster Linie in Deutschland wohnte, weil dort schon im Kindesalter seine Ausbildung gefördert werden sollte, aber es nur aus Erzählungen zu hören und jetzt richtig, war schon ein großer Unterschied. Sie schauderte bei den Emotionen, die in den Tönen mitschwangen. Serdall schien gerade wirklich nicht gut auf seinen Bruder zu sprechen sein.
 

„Nimm deine Arbeit wieder auf, Yoshiko. Ich will Serdall diesmal seinen Freiraum lassen“, sagte Fei fest und ließ sich von ihr Tee in eine neue Tasse einschenken. „Er scheint immer noch sehr aufgebracht zu sein, aber seine Wut wird irgendwann verlöschen.“ Er lehnte sich zurück und nippte von seinem Tee, während er Yoshiko beobachtete. „Serdall ist meisterhaft, nicht wahr?“, lobte er seinen Bruder. Es war faszinierend, wie Serdall sich in der Musik gehen lassen konnte. „Dieser Daniel würde sein Talent nur negativ beeinflussen“, meinte er leise. Yoshiko schien in seinen Augen eine sehr intelligente Frau zu sein, vielleicht etwas zu weltoffen, das würde sich jedoch nach dem ersten Kind von Serdall hoffentlich legen. Fei rechnete fest damit, einen zweiten Neffen zu bekommen. Vielleicht würde er Serdall nach der Hochzeit auch mit nach Japan nehmen. Er hielt es für bedenklich, ihn wieder hier allein zu lassen und viel zu viel Freiraum zu gewähren.
 

„Haben Sie ihn schon spielen hören, während er mit Daniel zusammen war?“, fragte Yoshiko vorsichtig. „Vielleicht ändert sich Serdalls Art zu spielen durch ihn, allerdings zum Positiven?“ Konzentriert schnitzte sie eine Mohrrübe zu einer filigranen Rose. Nachdrücklich schüttelte Fei den Kopf.
 

„Yoshiko, du solltest diesen Daniel nicht versuchen zu schützen. Es ist schlecht, was Serdall und Daniel getan haben. Mein Bruder hat mich wegen ihm belogen, unsere brüderliche Beziehung litt wegen diesem Mann und ich als Oyabun kann dies nicht dulden. Eigentlich müsste ich den Weg des Yakuzagebotes gehen, denn Serdall hat sein Gesicht mir gegenüber verloren. Ich bin jedoch so gnädig und erspare ihm das Tantō. Du verstehst hoffentlich, warum.“
 

„Mit einer Fingerkuppe weniger lässt sich nicht sehr gut Geige spielen“, antwortete Yoshiko kühl. „Und ich versuche nicht, Daniel zu schützen, sondern ich versuche die Tatsachen so zu beleuchten, wie sie sind.“ Sie wusste, dass sie sich momentan auf ziemlich dünnem Eis bewegte, allerdings war sie einfach nur über die Tatsache schockiert, wie engstirnig der Oyabun war, wenn man auf seinen Bruder zu sprechen kam. Er versuchte noch nicht einmal sich ein Bild über Serdalls Beziehung zu Daniel zu machen, sondern verurteilte ihn von vorneherein, auch wenn er sah, wie sehr Serdall darunter litt.
 

Feis Gestalt nahm nun wieder eine ernsthafte Haltung an. Mit abschätzigem Blick griff er hart nach Yoshikos Kinn und zwang sie, in seine emotionslosen Augen zu sehen.
 

„Yoshiko“, sagte er ruhig und sein Griff wurde fester, „zweifelst du an meinem Urteil?“
 

„Nein, natürlich nicht“, meinte sie schnell und senkte ihre Augen. Sie versuchte sich nicht anmerkten zu lassen, wie sehr sie dieser plötzliche Ausraster erschrocken hatte. „Meine Gefühle sind wohl mit mir durchgegangen. Entschuldigen Sie meine emotionale Art.“ Schaudernd stellte sie fest, dass der Oyabun auf dieses Thema nicht sehr gut zu sprechen war und schnell aus der Haut fuhr. Sie musste in nächster Zeit aufpassen, was sie von sich gab, wenn sie sein Vertrauen behalten, Serdall helfen und sich selbst nicht schaden wollte. Mit einem Ruck ließ Fei sie los.
 

„Lass dich nicht zu sehr von deinen Gefühlen leiten. Wie du an Serdall siehst, bringen sie nichts Gutes, wenn du dich von ihnen beherrschen lässt“, riet er ihr und lehnte sich wieder zurück. Argwöhnisch sah er sie an. Yoshiko war in seinen Augen viel zu neutral. „Du solltest dich mehr um Serdall bemühen, anstatt zu versuchen ihn zu verstehen. Eure Hochzeit liegt nicht mehr in weiter Ferne und ich möchte, dass du ihn auf andere Gedanken bringst. Er soll Daniel auf ewig vergessen.“
 

„Natürlich“, erwiderte Yoshiko gehorsam und verbeugte sich kurz vor Fei. Sie würde es ihm nicht sagen, aber sie hatte nicht mehr vor Serdall zu verführen oder ähnliches. Vielleicht wollte sie das bei ihrer Ankunft hier tun, dann allerdings auch nur, weil sie noch nicht von den Umständen wusste, die hinter der geplanten Hochzeit standen. Jetzt aber war sie eher auf dem Weg, dass sie Serdall helfen wollte, wenn auch nur aus dem Hintergrund.
 

Yoshiko nahm wieder ihr Messer auf, das vorhin aus Schreck auf ihren Schoß gefallen war, und schnitzte die nächste Mohrrübe. Vielleicht würde es nützlich sein, wenn sie sich ab jetzt in Serdalls Zimmer einquartierte, damit alle wenigstens dachten, dass sie die Befehle des Oyabun befolgte. Sie würde mit Serdall darüber sprechen müssen, wenn er überhaupt mit ihr reden würde. Er mochte sie scheinbar nicht, wohl einfach aus dem Grund, weil sie Teil des Plans seines Bruders war.
 


 

Serdall endete erst mit seinem Geigenspiel, als man ihn zum Essen rief. Seufzend legte er sein Instrument zurück und betrachtete es kurz, als es auf dem roten Samt im Geigenkoffer lag. Liebevoll strich er über den Holzkörper. Seine Finger kribbelten noch von den Saiten und sein Körper fühlte sich erholt. So würde er vielleicht die Nacht besser überstehen. Kimba und Mücke kamen mit Taki die Treppen herunter. Sie waren wahrscheinlich nach oben geflüchtet, als Serdall mit seinem Lied begonnen hatte. Lächelnd nahm Serdall seinen Sohn auf den Arm und ging mit ihm in die Küche. Sie setzen sich an den Tisch. Plötzlich zupfte sein Sohn an seinem Arm.
 

„Papa, wo ist Dan?“, fragte er mit traurigen Augen und Serdall warf einen kurzen Blick auf Fei, der sich augenblicklich anspannte. Taki darfst du nichts verbieten, dachte Serdall gehässig. Serdall würde Fei wohl eigenhändig erwürgen, wenn er seinem Sohn auch noch irgendwie drohen würde.
 

„Er ist zu Hause“, meinte Serdall und strich Taki durch die Haare.
 

„Aber das ist doch hier!“, erboste sich Taki leise und sah verständnislos in die Runde. „Wann kommt Dan wieder?“, fragte er weiter und sah seinen Vater ernst an.
 

„Das weiß ich nicht“, flüsterte Serdall traurig und sah Fei kurz offen in die Augen. Er wollte, dass sein Bruder wusste, was er im Inbegriff war zu zerstören.
 

„Wieso weißt du das nicht? Ich will, dass Dan wiederkommt!“, rief Taki aufgebracht und klammerte seine kleine Hand in Serdalls Hemd. Serdall umarmte Taki fest.
 

„Dan wird wiederkommen. Bald, Taki“, flüsterte er ihm, unhörbar für Fei, ins Ohr. „Du musst jetzt artig sein, ja?“ Verständnislos sah Taki ihn aus großen, wasserblauen Augen an. Er nickte jedoch im nächsten Moment, als Serdall ihm ernst in die Augen sah und einmal mit beiden Augen zwinkerte. Ihre kleine Geheimsprache lebte immer noch und Serdall war froh, dass er dies nicht schleifen lassen hatte. Nach dem Essen stand er sogleich auf und nahm Taki bei der Hand.
 

„Lass uns noch ein bisschen was in deinem Zimmer spielen, ja?“, sagte er zu seinem Sohn und fühlte den argwöhnischen Blick von Fei auf sich. Fei nickte zu Yoshiko, um ihr zu bedeuten, Serdall zu folgen. Sie stand auf und ging ebenfalls nach oben, doch zog sie es vor, in Serdalls Zimmer zu warten, statt ihn und seinen Sohn zu begleiten. Etwas Privatsphäre ohne das wachsame Auge seines Bruders sollte Serdall auch gegönnt sein.
 

Ziellos ging Yoshiko durch Serdalls Zimmer und nahm das erste Mal den Raum wirklich wahr. Er war schön eingerichtet, sodass man sich hier schnell wohl fühlen konnte. Sie lenkte ihre Schritte zur Kommode, auf der einige Bilder standen. Die einen zeigten Serdall mit einer Frau. Wahrscheinlich seiner Frau. Die Gerüchte, die Yoshiko gehört hatte, besagten, dass er mal verheiratet gewesen war, seine Frau allerdings verunglückt war. Der Großteil der Bilder zeigte allerdings einen anderen jungen Mann. Das musste wohl Daniel sein.
 

Neugierig nahm sie einen der vielen Rahmen auf und betrachtete sich das Bild genauer. Daniel strahlte eine Unbekümmertheit und Lebensmut aus, der Yoshiko neidisch werden ließ. Sie hatte sich auch immer gewünscht, einfach nach ihren Vorstellungen leben zu können. Zumindest auf dem Bild machte Daniel so einen netten Eindruck, dass sie verstehen konnte, wie Serdall sich zu ihm hingezogen fühlen konnte.
 

Währenddessen spielte Serdall mit Taki Schach. Sein Sohn hatte das Spiel der Könige für sich als neues Hobby entdeckt. Serdall musste sich auch eingestehen, das Taki mit seinen acht Jahren wirklich außerordentlich gut logisch denken konnte. Besonders Takis Mathelehrer lobte ihn in höchsten Tönen. Zurzeit stand auch die Debatte, ob Taki vielleicht die dritte Klasse überspringen und gleich in die vierte gehen sollte, so wie einst Serdall auch eine Klasse übersprungen hatte, doch Taki wollte schlicht und ergreifend nicht. Schließlich waren alle seine Freunde in seinem Jahrgang und Serdall würde ihn zu nichts zwingen, was ihn vielleicht unglücklich machen würde. In seiner Unachtsamkeit setzte Taki Serdalls König ins Schach und gewann wenige Züge später.
 

„Papa, du hast dich gar nicht angestrengt“, schimpfte Taki, doch er lächelte kurz darauf stolz auf sich selbst.
 

„Du wirst halt immer besser, Taki“, lobte Serdall und strich seinem Sohn die schwarzen Locken aus der Stirn. „Bald verliere ich nur noch gegen dich“, prophezeite Serdall und Taki lachte vergnügt. Der Blick des Violinisten glitt zur Uhr, die kurz nach neun zeigte. Hatten sie wirklich so lange gespielt? Nun, sie hatten auch ziemlich lange am Esstisch gesessen, bis sie nach oben gegangen waren, doch die Zeit war doch viel zu schnell vergangen. „Taki, mach dich bettfertig, ich räume solang das Schachbrett weg“, wies Serdall seinen Sohn an und Taki eilte ohne zu murren los. Wenig später deckte Serdall Taki noch zu und gab ihm einen Kuss auf die Stirn.
 

„Gute Nacht, kleiner Schachkönig“, feixte Serdall und Taki kicherte vergnügt, ehe er „Nacht, Papa“ sagte.
 

Seufzend wechselte Serdall in sein Zimmer. Langsam wurde es Zeit, dass er Daniel anrief. Er stockte jedoch in seiner Zimmertür, als er Yoshiko am Fenster stehen sah.
 

„Willst du jetzt die gleiche Show wie gestern abziehen?“, zischte Serdall sie an. Wenn sie hier war, konnte er nicht in Ruhe mit Daniel telefonieren. Außerdem hatte Fei sie sicher hergeschickt. Kurzum, Serdall traute ihr nicht, auch wenn sie ihm vielleicht geholfen hatte. Wer sagte ihm denn, dass es nicht nur ein abgekartetes Spiel war, das Yoshiko hier in Feis Namen spielte?
 

„Nicht wirklich“, antwortete Yoshiko schlicht und drehte sich um. „Allerdings erwartet dein Bruder von mir, dass ich den Pflichten als deine baldige Ehefrau schon jetzt nachkomme und dich damit auch von Daniel ablenke, sodass du ihn möglichst schnell vergisst. Ich dachte, es wäre nicht das Schlechteste, ihn in diesem Glauben zu lassen.“
 

Serdall fluchte leise, schloss die Tür hinter sich und verschränkte die Arme barrikadenartig.
 

„Ach“, zischte er argwöhnisch und legte den Kopf schief, ehe er auf sie zuging. „Was glaubst du denn, was du hier abziehen willst?“, fragte er sie. Seine blaugrünen Augen sahen abweisend in ihre. „Denkst du, ich würde dir glauben, dass du dem Oyabun“, er sprach diesen Titel verächtlich aus, „etwas verheimlichst?“
 

„Dir sollte bewusst sein, dass ich ihm schon einiges verheimliche“, erwiderte sie kalt und starrte stur zurück. „Es ist deine Entscheidung, ob du mir vertraust oder nicht, aber viele Leute, die in der Lage sind, dir wenigstens etwas zu helfen, bleiben dir nicht mehr. Außerdem sehe ich nichts Negatives daran, wenn du mich mit hier schlafen lässt. Ich nehme zur Not auch den Boden. Die Tür solltest du abschließen, damit niemand reinsehen kann.“
 

Serdall lachte emotionslos auf, ging noch näher an sie heran, sodass er ihren ruhigen Atem auf seinem Gesicht fühlen konnte. Er lächelte bedrohlich falsch. Was glaubte diese Frau? Dass er sich ihr dankend in die Arme werfen würde? Alles, was er wollte, war endlich wieder Daniels Stimme zu hören und sich nicht mit dieser Frau auseinandersetzen zu müssen.
 

„Du solltest nicht versuchen rebellisch zu sein“, hauchte Serdall leise hämisch griff sich maliziös lächelnd eine ihrer schwarzen Haarsträhnen. „Du siehst doch, wohin das führt.“ Er ließ wieder von ihr ab und legte den Kopf schief. „Ich traue dir nicht. Für mich steht mehr als mein eigenes Leben auf dem Spiel und ich werde mir meine Möglichkeiten nicht verbauen, indem ich dich ins Zimmer lasse. Schläfst du hier, tue ich es ganz sicher nicht.“
 

Er wandte sich von ihr ab und öffnete die Balkontür, um die kühle Nachtluft für einen Moment durch das Zimmer ziehen zu lassen, während er unbestimmt hinaus sah. Es regnete leicht und es roch feucht. Fei würde ihn nicht mürbe machen. Nicht sein eigener Bruder. Und Yoshiko würde er eigenhändig aus dem Fenster werfen, wenn sie darauf bestand in dem Bett zu schlafen, in dem er mit Daniel immer geschlafen hatte. Wie viel wollte man ihm hier noch nehmen? Vielleicht sollte er zu den gleichen Mitteln greifen wie Fei? Würde er eben Yoshiko töten, dann wäre Fei erst einmal ruhig gestellt.
 

Serdall schüttelte den Kopf. Dies könnte eine Kettenreaktion auslösen. Yoshikos Familie war in der Yakuza höchstwahrscheinlich einflussreich und eine Racheaktion wäre nicht ausgeschlossen. Sein Leben lang fliehen wollte er auch nicht. Genervt trat Serdall gegen den Türrahmen, ehe er sich umwandte. Was blieb ihm nur? Er musste mit Fei noch einmal reden. Gleich morgen. Vielleicht steckte in Fei dann nicht nur der Oyabun, sondern auch sein sich wirklich sorgender Bruder.
 

Das erste Mal doch etwas ratlos beobachtete Yoshiko Serdall auf dem Balkon. Er schien es tatsächlich ernst zu meinen, dass er nicht mit ihr in einem Raum schlafen wollte. Sie fragte sich, was in den Augen des Oyabun schlimmer wäre, wenn sie vermeintlich unverrichteter Dinge in ihrem eigenen Zimmer schlafen würde oder wenn sie hier übernachtete, Serdall aber auf irgendeiner Couch. Es wäre beides nicht sehr vorteilhaft.
 

Sie straffte sich wieder. Serdall vertraute ihr also nicht. Schön, dann mussten sie halt miteinander reden und sie ihm klarmachen, dass er ihr vertrauen konnte. Yoshiko hatte gehofft, dass es durch ihre Taten klar geworden wäre, denn immerhin stellte sich kein Mensch, der nicht einen vernünftigen Grund hatte, freiwillig gegen den Oyabun, aber scheinbar verschenkte Serdall sein Vertrauen nicht leichtfertig. Verständlich, wenn man bedachte, aus welcher Familie er kam. Yoshiko trat auf ihn zu.
 

„Was muss ich tun, um dir zumindest zu beweisen, dass es nichts Nachteiliges hätte, mich hier schlafen zu lassen“, versuchte sie es auf von hinten herum. Serdall schnaubte genervt.
 

„Ich will keine Kostproben deines Könnens“, zischte er sie an. „Dieses Zimmer ist Daniels und mein Reich“, meinte er leiser und sah ihr traurig in die Augen. „Warst du überhaupt jemals richtig verliebt?“, fragte er sie und legte den Kopf schief. Es war nicht so, dass Serdall sich wirklich mit ihr anfreunden wollte, er wollte ihr einfach erklären, warum es nicht ging, dass sie hier blieb, auch wenn Fei sauer werden würde. Noch waren sie nicht verheiratet und wenn alles gut ging, würde Serdall Yoshiko nie heiraten.
 

„Nein“, erwiderte Yoshiko knapp und versuchte den wehmütigen Ausdruck in ihren Augen zu verbergen, indem sie den Blick durch den Raum schweifen ließ. „Allerdings geht es gerade nicht in erster Linie um mich, sondern um dich und in gewisser Hinsicht auch um Daniel“, fügte sie hinzu, als sie sich wieder gefangen hatte. „Ich habe gewiss nicht vor, dir eine Kostprobe meines Könnens zu geben, von dem ich noch nicht einmal weiß, ob es tatsächlich vorhanden ist. Ich spielte eigentlich darauf an was ich tun muss, damit du mir nicht mehr derart misstraust.“
 

Serdalls linke Augenbraue wanderte flüchtig in die Höhe.
 

„Ich versuche dir zu erklären, warum ich dir ein solches Misstrauen entgegenbringen muss, Yoshiko“, sagte Serdall ernst und beobachtete sie von der Seite her. „Daniel und ich hatten, bevor wir überhaupt zusammengekommen sind, eine schwere Zeit miteinander, doch“, er trat vor sie, legte einen Finger unter ihr Kinn und zwang sie, ihn anzusehen, „daran war mitunter ich schuld. Weil ich ihm nicht getraut habe und auch, weil es eine Umstellung war, mir klar zu werden, dass ich mich in einen Mann verliebte. Schlussendlich, als ich mit ihm zusammen war, gab es immer noch Probleme, die wir aber mittlerweile überwunden haben. Was ich dir aber eigentlich sagen will, mit jedem Tag, den ich mit ihm verbracht habe, liebte ich ihn mehr.“
 

Serdall seufzte leise, als Yoshiko den Blick senkte.
 

„Sieh mich an“, zischte er ihr zu und sie tat es. „Ich kann nicht ohne ihn leben. Schaffe ich es nicht Fei davon zu überzeugen, diese ganze Sache mit dir und seinem eigenen Groll gegen Daniel fallen zu lassen, überstehe ich nicht einmal unseren Hochzeitstag. Andererseits, tötet Fei Daniel, weil du ihm vielleicht erzählst, dass ich mich irgendwie mit ihm in Verbindung setze, ist es dasselbe Resultat.“ Serdall biss sich schmerzhaft auf die Lippe, ehe er fortfuhr. „Wie sollte ich dir vertrauen, wenn so viel für mich auf dem Spiel steht? Was würdest du an meiner Stelle denn bitteschön tun? Du stehst unter Feis Befehl, auch wenn du mir die Gelegenheit eingeräumt hast, mit Dustin zu reden. Woher weiß ich denn bitte, dass du es nicht absichtlich getan hast, um mein Vertrauen zu erlangen und so mehr Informationen für Fei zu sammeln?“ Serdall schüttelte unwirsch den Kopf. „Wenn ich dir vertraue, könnte ich alles verlieren, was mir lieb ist.“
 

„Dann sag mir doch, was du momentan für Möglichkeiten hast, Daniel zu halten“, stellte Yoshiko die Gegenfrage. „Ich weiß nicht, was du mit Dustin besprochen hast, aber du scheinst gerade nicht die Chance zu haben, mit ihm zu kommunizieren. Er sitzt wahrscheinlich krank vor Sorge herum und du hockst hier und wirst von deinem Bruder überwacht. Ich würde mal sagen, dass es nur noch besser werden kann, da du im Moment ganz unten angekommen bist.“ Leicht aufgebracht blitzte sie ihn an. Warum wollte er sie nicht verstehen?
 

Verwirrt zog Serdall eine Augenbraue nach oben und trat einen Schritt von ihr zurück. Er hatte das dumpfe Gefühl, dass sie von Dustins Handy wusste, welches immer noch in seinem Strumpf steckte. Serdall verzog angewidert die Lippen.
 

„Ich bin noch lange nicht ganz unten angekommen“, flüsterte er und seine Augen wurden zu Schlitze. „Und warum solltest du dich überhaupt um Daniel kümmern? Den Zielen deiner Familie steht er doch auch bloß im Weg. Also komm mir nicht mit deiner Hilfe, ich ahne, worauf sie hinauslaufen soll.“
 

„Ach, und auf was läuft es deiner Meinung nach hinaus?“, fragte Yoshiko barsch. „Dass ich will, dass du mir vertraust, irgendwann deine Zuneigung schenkst und wir dann eine fröhliche Hochzeit und später ganz viele Kinder haben?“ An der Art, wie Serdall sie anstarrte, merkte Yoshiko, dass sie ins Schwarze getroffen hatte. „Träum weiter. So verzweifelt bin ich dann auch nicht, dass ich, um einen Mann heiraten zu können, eine Beziehung zerstören muss.“ Gekränkt wandte sich sie ab und ging hinaus auf den Balkon, den leichten Regen ignorierend. Sie brauchte frische Luft. Dringend. „Außerdem heißt es nicht, dass ich mit den Zielen meiner Familie übereinstimmen muss, nur weil ich mit ihnen blutsverwandt bin. Du stimmst ja auch nicht mit denen deines Bruders überein“, fügte sie noch leise hinzu.
 

Kopfschüttelnd wandte sich Serdall ab und setzte sich auf sein Bett. Er konnte ihr einfach nicht vertrauen. Er wollte erst mit Daniel sprechen, ihn wegen ihr um Rat bitten. Aber besonders wollte er endlich mit ihm reden. Entschlossen stand Serdall auf und schloss die Balkontür, obwohl Yoshiko noch draußen war. Das war ihm jetzt auch egal. Er zog die Vorhänge zu, als sie ihn geschockt ansah und setzte sich dann auf sein Bett, als er endlich ungestört war. Mit zitternden Fingern tippte er Daniels Nummer ein und wartete darauf, dass das Freizeichen von Daniels Stimme abgelöst wurde. Sein Herz pumpte wie von Sinnen und schlug heftig in seiner Brust, als sein Freund endlich ran ging.
 

„Ich bin es“, hauchte Serdall lächelnd, als Daniel dachte, dass er Dustin wäre.
 

„Serdall“, keuchte Daniel überrascht und riss die Augen auf. Er ließ den Stift, den er bis eben noch in der Hand gehalten hatte, auf den Sessel fallen und wechselte hinüber zur Schlafcouch. „Warum rufst du mich an? Dustin hat gesagt, dass Fei dich überwacht. Ist er gerade nicht da und hat er dir erlaubt anzurufen? Was ist jetzt genau los? Wie geht es dir? Stimmt es, dass Fei tatsächlich von dir verlangt, dass du heiraten sollst? Was willst du tun? Womit droht er dir genau? Hör mal, wenn du mir sagst, was ich tun kann, dann werde ich mich darum kümmern. Ich…“
 

„Dan“, unterbrach Serdall seinen Redeschwall. „Eins nach dem Anderen. Mir geht es ganz gut. Fei will mich verheiraten und Dustin hat mir sein Handy zugesteckt.“ Fahrig strich Serdall sich durch die Haare und schloss die Augen. In ihm jauchzte alles auf. Endlich hörte er seinen Liebsten wieder. „Ich versuche noch einmal mit Fei zu reden, wenn er sich beruhigt hat. Vielleicht schon morgen. Mal sehen. Wie geht es dir?“, fragte er nun besorgt. „Kommst du zurecht? Alles in der Uni okay?“
 

„An der Uni ist alles in Ordnung, aber wie soll es mir gehen, wenn ich dich schon so lange nicht gesehen habe und weiß, was Fei mir dir plant?“ Betrübt seufzend ließ sich Daniel vollends auf die Couch fallen und zog die Decke über sich. Es war wunderschön, Serdall wieder zu hören, aber umso scheußlicher, sich zumindest in einigen Punkten bestätigt zu sehen. „Sag mal“, fing er zögernd an, „die Frau, die Fei für dich angeschleppt hat, wie ist die denn so?“
 

Serdall seufzte schwer.
 

„Wie soll sie schon sein? Daniel, ich will nur so schnell wie möglich Fei hier wegbekommen und sie mit ihm. Falls du denkst, ich würde hier freiwillig irgendetwas tun, vergiss es. Fei droht mir und nur deswegen bin ich nicht schon lange wieder bei dir und halte dich in meinen Armen“, flüsterte Serdall und ließ sich rücklings auf sein Bett fallen. „Du musst mir etwas unbedingt versprechen, Daniel, ja? Du musst es schwören!“, sagte Serdall aufgebracht und verstummte kurz. „Daniel, komm nicht hierher, bis die Luft rein ist, in Ordnung? Egal was passiert!“
 

„Also stimmt es tatsächlich“, meinte Daniel dumpf. „Er droht dir wirklich damit, mir etwas anzutun.“ Gut, er hatte es auch schon vorher gewusst, aber es jetzt noch mal indirekt von Serdall bestätigt zu bekommen, nahm ihm auch den letzten Rest Zweifel, den er noch gehabt hatte. Daniel sackte in sich zusammen. Was sollten sie dagegen schon unternehmen? Fei würde jede seiner Drohungen wahr machen, wenn sie sich gegen ihn stellten. In diesen Dingen war er skrupellos, das konnte sogar Daniel sagen. „Ich verspreche dir, dass ich nicht kommen werde“, antwortete er gequält. Daniel gab damit sozusagen sein Einverständnis, dass er untätig herumsitzen würde, während Serdall allein um alles kämpfte, was sie sich aufgebaut hatten. Aber was konnte er schon ausrichten? Wütend biss sich Daniel auf die Lippen.
 

„Danke“, hauchte Serdall matt. „Ich liebe dich, Prinzesschen. Und ich werde alles versuchen, was ich kann, okay? Vertrau mir“, flüsterte er und rollte sich auf die Seite.
 

„In Ordnung“, murmelte Daniel, obwohl er sich dabei nicht gerade überzeugt anhörte. Was sollte Serdall schon groß ausrichten können, wozu er in den letzten zwei Tagen noch nicht in der Lage gewesen war? Allerdings war die Hoffnung aufzugeben gleichbedeutend damit, Serdall aufzugeben und das wäre das Letzte, was Daniel in seinem Leben tun würde. „Ich vermisse dich.“
 

„Ich dich auch“, erwiderte Serdall. Plötzlich klopfte es laut am Fenster und Serdall rollte mit den Augen. Jetzt würde er sich sicherlich nicht von ihr stören lassen. Danach würde er sich vielleicht entschuldigen, aber Serdall wollte in diesem Moment einfach nur egoistisch sein. „Taki vermisst dich auch. Und Kimba ist auch ganz traurig, ohne dich.“
 

„Jetzt hör auf, mich mit noch mehr Sehnsucht zu beladen, als ich ohnehin schon habe“, muffelte Daniel, lächelte dabei aber leicht. „Sag mal, hat da gerade was ans Fenster geklopft?“
 

Still seufzte Serdall auf und drehte sich nun auf den Bauch.
 

„Ich habe mein Zukünftige ausversehen auf dem Balkon ausgesperrt, nachdem sie mich endlos von meinem Misstrauen ihr gegenüber abbringen wollte“, murrte Serdall unwillig und schloss die Augen. Er hasste Fei dafür, dass er Daniel nicht mehr sehen konnte. Langsam wurde es immer schlimmer.
 

„Ausversehen, ja?“, erwiderte Daniel skeptisch. So wie er Serdall kannte, hätte er auch kein Problem damit, sie eigenhändig auf den Balkon zu befördern und ihr die Tür vor der Nase zuzuknallen. Stellte sich natürlich die Frage, warum sie in Serdalls Zimmer war, denn dort musste man sein, um auf den Balkon zu kommen. Nun, wahrscheinlich hetzte Fei sie hinter Serdall her und er hatte die Nase voll und sie nach draußen verbannt. „Und ist dein Misstrauen ihr gegenüber gerechtfertigt?“, wollte Daniel wissen. „Ich meine, gehört sie zu Fei dazu oder ist sie genauso wie du Opfer in dieser ganzen Scharade?“
 

„Ich weiß nicht so recht“, antwortete Serdall wahrheitsgemäß. „Zwar haben Dustin und ich mit ihrer Hilfe miteinander reden und er mir das Handy zustecken können, aber ich habe keine Ahnung wie ich das werten soll. Daniel, was ist, wenn sie das einfach auf Feis Wunsch hin tut, um mein Vertrauen zu bekommen und mich dann auszuspionieren? Es steht viel zu viel auf dem Spiel, als dass ich mich zu solchen riskanten Dingen verleiten lasse und sie in meine Pläne mit einspanne.“
 

„Erst einmal stellt sich die Frage, was es Fei bringen würde, dich auszuspionieren“, meinte Daniel zweifelnd. „Eigentlich hat er doch alles, was er will. Wir haben eigentlich keine Möglichkeit miteinander zu reden, wenn diese Frau und Dustin uns nicht geholfen hätten und außerdem bist du gerade auf dem besten Weg, wieder zu heiraten. Warum sollte er jemanden auf dich ansetzten? Er weiß doch, was Sache ist.“ Nachdenklich runzelte Daniel die Stirn. „Hm, es wäre die Frage, was du verlieren würdest, wenn du zumindest so tust, als würdest du ihr vertrauen. Fei wird nicht viel mehr erfahren, als er ohnehin schon weiß, und wenn dein Gespräch mit ihm schlecht läuft, denkt er immer noch, dass du dich mit ihr angefreundet hast und aus der Hochzeit doch noch was wird. Wer weiß, vielleicht lässt er die Zügel etwas lockerer, wenn er sieht, dass du dich in dein Schicksal fügst. Und vielleicht ist sie dein Vertrauen auch wert.“
 

Unwirsch schüttelte Serdall den Kopf.
 

„Der Haken bei der Sache ist aber auch, dass Yoshiko meint, in unserem Zimmer schlafen zu müssen, damit es glaubhaft wirkt. Meinst du wirklich, das wäre es mir wert? Ich will sie hier nicht haben und sie könnte Fei vielleicht stecken, dass ich Dustins Handy habe, wenn sie es erfährt. Dann würde er dich töten. Er weiß wo du bist. Er hat dir einen Detektiv auf den Hals gejagt“, zischte Serdall wütend. „Ich habe Angst, dass sie alles kaputt machen könnte, falls es mit Fei gut läuft.“
 

„Vielleicht musst du dieses Risiko eingehen“, seufzte Daniel matt. „Momentan scheint sie mir eher positiv als negativ zu sein. Auch wenn ich nicht glücklich darüber bin, dass sie bei dir sein darf und ich nicht. Sie scheint sich zumindest Gedanken darüber zu machen, wie ihr auf deinen Bruder wirkt und wie es glaubhaft rüberkommt. Nur… will sie in deinem Zimmer oder in deinem Bett schlafen?“
 

Serdall schluckte bitter. Wieso kam er sich plötzlich nur so kindisch vor? Jetzt, wo er mit Daniel redete, schien sein Misstrauen ja fast total übertrieben zu sein.
 

„Sie würde auch auf dem Boden schlafen“, murrte Serdall Daniel zu. Er kam sich gerade richtig schäbig vor. Ihm leuchtete erst jetzt ein, dass er selbst gar nicht alle Möglichkeiten durchdachte, wie er eine Lösung in der ganzen Misere finden könnte. „Soll ich sie wirklich hier schlafen lassen?“, fragte er skeptisch und sah an die Wand. „Ehrlich, ich fühle mich bei dem Gedanken nicht sonderlich gut.“
 

„Nun, ich denke nicht, dass eine zierliche Japanerin dich im Schlaf überwältigen würde“, lachte Daniel amüsiert. Jetzt, wo er Serdall endlich wieder in gewisser Art und Weise bei sich wusste, ging es ihm gleich um ein Vielfaches besser und die Welt sah viel weniger trüb aus. Immer noch nicht wunderbar, denn Fei lauerte als dunkler Schatten im Hintergrund, aber Daniel hatte das Gefühl, als würde man ihn bald vertreiben können. „Außerdem könnte es vielleicht tatsächlich hilfreich sein, wenn Fei denkt, dass du dich ihm unterordnest“, erklärte Daniel seinen Standpunkt weiter. „Wenn sie dir anbietet auf dem Boden zu schlafen und dafür zu sorgen, dass Fei glaubt, dass zwischen euch eine Annäherung stattfindet, warum den Vorschlag nicht annehmen?“
 

„Okay“, sagte Serdall zaghaft. „Aber wenn sie mir zu nahe kommt oder wegen ihr irgendetwas passiert, dann schmeiß ich sie das nächste mal vom Balkon“, zischte Serdall Daniel zu. „Wir sollten für heute Schluss machen“, flüsterte Serdall traurig. „Ich weiß nicht wie lange Dustins Akku hält, aber ich möchte dich morgen auch noch einmal anrufen.“ Bis er nicht das Ladegerät von Dustin hatte, musste er sparsam mit dem Handy umgehen, auch wenn es ihn schmerzte, Daniel gleich nicht mehr zu hören. „Gott, ich bringe Fei eigenhändig um, wenn er weiter so macht“, zischte Serdall nun wütend.
 

„Das wäre vielleicht eine Maßnahme“, meinte Daniel sarkastisch. „Aber ist okay, leg ruhig auf. Lieber jetzt etwas kürzer und dafür morgen noch, anstatt nur ein Telefonat. Ich hoffe, dass sich bis dahin etwas Neues ergeben hat.“ Kurz zögerte Daniel, dann seufzte er. „Tschüss“, hauchte er in den Hörer. „Ich liebe dich, egal was dein Bruder dir erzählt oder was noch passieren sollte.“
 

Ein mildes Lächeln breitete sich in Serdalls Gesicht aus.
 

„Ich dich auch, egal was passiert“, flüsterte Serdall leise zurück. „Nun schlaf gut und träume süß. Wir werden bald wieder zusammen in einem Bett liegen.“ Wehmütig legte Serdall auf und fuhr sich mit der Hand über die Augen. Dafür galt es zu kämpfen.
 

Entschieden stand er auf, versteckte das Handy im Nachtschrank, in dem auch das Gedichtband, wo noch die Pistole ruhte, lag, und ging dann zur Balkontür, um sie zu öffnen und Yoshiko den Eintritt wieder zu ermöglichen. Triefend nass und mit undeutbarem Gesichtsausdruck schob sie die Vorhänge ganz zur Seite und trat ein. Sie zitterte leicht, obwohl sie versuchte, es zu unterdrücken. Die ganze Zeit mit nur einem Pullover im Novemberregen zu stehen, ließ auch sie nicht kalt.
 

„Ich denke, deutlicher hättest du deinen Standpunkt nicht machen können“, verkündete Yoshiko, während sie an Serdall vorbei zur Tür ging. „Mehr als anzubieten, dir zu helfen, kann ich auch nicht. Ob du meine Hilfe annimmst oder nicht bleibt leider ganz allein deine Sache.“
 

„Yoshiko, warte“, rief Serdall sie leise zurück. „Ich glaube, dass dein Vorschlag an sich nicht schlecht ist.“ Serdall ging auf sie zu und sah ihr wieder in die braunen Augen. „Nur mich zu überwinden, dir mein Vertrauen zu schenken, benötigte einiges an Überlegung. Entschuldige, dass ich dich ausgesperrt habe, aber du bist leider etwas penetrant, wenn du etwas willst“, meinte er mit einem schiefen Lächeln, das jedoch im nächsten Moment wieder verschwand. „Wie dem auch sei, Yoshiko. Es birgt immer noch ein Risiko, wenn ich dir traue.“ Die Arme vor der Brust verschränkend wurde sein Blick ernster. „Schwöre bei deinem Leben, dass du mir wirklich helfen willst.“
 

Abschätzend sah Yoshiko ihn an.
 

„Nun, wenn ich dir nicht wirklich, sondern nur halbherzig helfen wollte, wäre die Wahrscheinlichkeit, von deinem Bruder erwischt zu werden, noch um einiges größer und dann wäre es das wohl tatsächlich mit meinem Leben gewesen“, erwiderte Yoshiko zynisch. Serdalls böser Blick ließ sie jedoch ernst werden. „Ist ja schon gut“, seufzte sie. „Ich schwöre, dass ich es ernst mit dir meine und ich von niemandem angestiftet werde. Nur frage ich mich, woher dein plötzlicher Sinneswandel kommt. Zeit zum Überlegen hattest du davor doch auch schon.“
 

Serdall wandte sich von ihr ab und setzte sich wieder auf sein Bett. Sein Blick glitt kurz unstet durch den Raum, ehe er wieder zu Yoshiko sah. Er musste sich überwinden, ihr von dem Handy zu erzählen, den wirklich ersten Schritt zu tun, der auf ihr Vertrauen basierte. Würde sie Fei davon berichten, würde Serdall sie wirklich erwürgen.
 

„Ich habe mit Daniel telefoniert. Dustin hat mir vorhin sein Mobiltelefon zugesteckt“, erklärte er sich. „Mein Freund denkt, dass es ganz gut wäre, dich auf unserer Seite zu haben, auch wenn du hier im Zimmer schläfst.“
 

„Was meinst du mit ‚auch wenn ich hier im Zimmer schlafe‘? Gerade weil ich auf eurer Seite bin, schlafe ich hier im Zimmer“, machte Yoshiko ihren Plan noch einmal deutlich. „Irgendwie mag ich deinen Freund. Er ist zumindest nicht so misstrauisch wie du und merkt, wenn jemand ihm helfen will.“ Sie wandte sich wieder zur Tür und griff die Klinke. „Wenn du so reizend wärst und mir dann irgendwie eine Schlafgelegenheit auf dem Boden oder so vorbereiten könntest. Ich brauche nämlich erst einmal eine heiße Dusche und trockene Sachen.“
 

Serdall knurrte in sich hinein, als Yoshiko sich umdrehte und aus dem Zimmer stolzierte.

Ihm war die Sache trotzdem nicht wirklich geheuer, auch wenn sie so aufopfernd schien. Kopfschüttelnd ging Serdall in den Flur. Drei Türen weiter war die Abstellkammer, in der er noch einige Decken aufbewahrte, welche er nun mit sich nahm. Auch wenn es unhöflich war, sie auf dem Boden schlafen zu lassen, auch wenn das Bett groß war, würde er es trotzdem nicht zulassen. Serdall war sich nämlich nicht so sicher wie Daniel, dass diese zierliche Japanerin ihn nicht doch überwältigen konnte. Serdall war nun mal ein Mensch, der Anderen nur sehr sehr selten sein Vertrauen schenkte und Freundschaften waren bei ihm auch nur ein Ausnahmefall. Es gab nur die Familie. Daniel war die Ausnahme, die sich kämpferisch in seinem Herzen manifestiert hatte. Seufzend drapierte er die Decken neben der Heizung, damit Yoshiko es in der Nacht nicht zu kalt haben würde.
 

Nachdenklich ließ Yoshiko sich in der Zwischenzeit das heiße Wasser über den Rücken laufen. Langsam bekam sie wieder Gefühl in den Körper. Noch etwas länger und Serdall hätte sie als Eisstatue vom Balkon kratzen können. Gedankenverloren verteilte sie auch gleich Shampoo in den Haaren, wenn sie ohnehin schon unter der Dusche stand. Sie war nicht wirklich glücklich mit dem Ergebnis des Telefongespräches zwischen Serdall und Daniel. Gut, wenigstens hatte Daniel seinen Freund soweit bekommen, dass Serdall sie überhaupt dort schlafen ließ, allerdings nützte es ihr nichts, wenn Daniel ihr vertraute, Serdall aber nicht. Denn immerhin konnten die beiden nicht jedes Mal miteinander telefonieren, wenn es um solch eine Entscheidung ging.
 

Yoshiko konnte schon verstehen, dass Serdall ihr gegenüber skeptisch war. Dass er allerdings auch nicht kapierte, dass er in einigen Dingen eben nichts mehr verlieren und sie einfach akzeptieren könnte, beispielsweise ihre Übernachtung in seinem Zimmer, konnte sich in nächster Zeit wirklich als fatal herausstellen. Sie wollte ihm nun mal helfen und hatte ihrer Meinung nach auch ganz gute Ideen, um in der Hinsicht weiterzukommen, aber wenn Serdall blockte, nützte das Alles nichts.
 

Resigniert wickelte Yoshiko sich in ein großes Handtuch und zog in ihrem vorübergehenden Zimmer einen Slip und ihr Schlafshirt an. Serdall würde sich nicht daran stören, wie sie aussah, dann konnte sie auch in Sachen schlafen, die bequem waren. Schnell föhnte sie sich noch die Haare und ging dann wieder zurück zu Serdall, der sie skeptisch betrachtend auf seinem Bett saß. Schweigend und ohne sich weiter um ihn zu kümmern schloss Yoshiko die Tür ab und machte es sich auf ihrem provisorischen Nachtlager bequem. Sie murmelte ein knappes „Nacht“ in Serdalls Richtung und drehte ihm dann den Rücken zu.
 

Argwöhnisch sah Serdall zu ihr, ließ kurz den Blick über die schmale Schulter gleiten. Ihm gefiel es absolut nicht mit ihr in einem Zimmer zu schlafen. Seufzend stand er noch einmal auf und ging zu seinem Kleiderschrank. Sich sein Nachtzeug herausnehmend ging Serdall dann zum Bad. Er wollte sich noch schnell duschen. Grübelnd und angezogen legte sich Serdall wenig später ins Bett und zog seine Decke bis unter die Nase. Ohne Daniel waren die Nächte grauenhaft, zumindest das Einschlafen fiel ihm ohne seinen Freund extrem schwer.
 

Unruhig drehte sich Serdall auf der Suche nach einer bequemeren Lage hin und her, doch es nützte nichts. Schlussendlich lag er auf dem Rücken und starrte im Dunkeln die Decke an. Er musste unbedingt Fei davon überzeugen, dass Daniel ihm alles bedeutete und er ihn nicht töten durfte. Serdall hoffte, dass sein Bruder vielleicht einsichtig wurde. Irgendwann schlief Serdall dennoch ein. Wirre Träume von Daniel und Louise plagten ihn albtraumhaft. Mitten in der Nacht wachte er keuchend auf. Fahrig strich er sich kalten Schweiß von der Stirn und rieb sich über die nassen Augen.
 

„Scheiße“, fluchte er leise und stützte den Kopf in die Hände. Er zitterte an den Fingern und er fror erbärmlich. Dieser Traum war ihm so echt erschienen. Er hatte Daniel in ihm verloren, für immer. Es trieb ihm jetzt noch kalte Schauer über den Rücken. Serdall biss sich auf die Lippe als er aufstand und ins Bad ging. Er wusch sich das Gesicht, das blass und krank aussah. Sein niedriger Blutdruck machte ihm in diesem Augenblick ebenfalls zu schaffen und er klammerte sich halt suchend an das Waschbecken.
 

„Reiß dich zusammen“, zischte er seiner Reflexion im Spiegel entgegen und sah sich wütend an. Er konnte sich nicht so pathetisch stellen und seine Schwäche die Überhand gewinnen lassen. Es stand zu viel auf dem Spiel und er konnte nicht jetzt schlapp machen. Sich das Gesicht abtrocknend rief er sich weiter zur Ordnung und straffte langsam die Gestalt. Mit festem Blick, verließ er das Bad, nachdem er das Licht ausgeknipst hatte, und legte sich zurück auf sein Bett. Er zwang sich zur Ruhe und schlief nach einer Weile auch wieder ein.
 

Ende Kapitel 4

Kapitel 5
 

Am nächsten Morgen stand Yoshiko schon recht früh auf. Sie hatte Serdalls unruhigen Schlaf mitbekommen, da sie selbst schon seit jeher bei jedem Geräusch hochschreckte. Allerdings hatte sie nichts gesagt da sie ahnte, dass Serdall seine Träume selbst mit sich ausmachen wollte und garantiert keinen brauchte, der ihm besorgt die Hand tätschelte. Vor allem niemandem, dem er misstraute.
 

Sie schloss Serdalls Tür auf und lugte um die Ecke. Als sie niemandem im Flur sehen konnte, schlich sie in ihr Zimmer und zog sich an, bevor sie in die Küche ging und Frühstück vorbereitete. Ihr Blick fiel auf das Pflaster an ihrer Hand. Serdall war eigentlich gar kein schlechter Kerl, wenn er nicht von Natur aus so misstrauisch und übellaunig wäre. Zumindest Fremden gegenüber, wie es schien.
 

Gähnend kam Dustin in die Küche geschlichen und steuerte sofort auf die Kaffeemaschine zu. Mit müdem Blick und hochgezogener Augenbraue visierte er Yoshiko neben sich an, die eifrig Schnittchen schmierte.
 

„Guten Morgen“, murmelte er ihr zu und erntete von ihr einen fragenden Blick. Den Kopf schief legend überlegte Dustin laut. „Du kannst kein Deutsch, was?“ Yoshiko wandte sich ihm zu und sprach auf Japanisch irgendetwas. „Und ich kein Japanisch“, murrte Dustin und zog nachdenklich die Stirn kraus. „Dann halt auf Englisch?“, fragte er sie in der englischen Sprache und sah sie auffordernd an.
 

„Ja, Englisch ist in Ordnung“, erwiderte Yoshiko mit recht starkem Akzent, allerdings sehr fließend. Sie legte den Kopf schief und sah Dustin fragend an. „Was hattest du gesagt?“ Lächelnd zwinkerte Dustin ihr zu.
 

„Ich meinte guten Morgen“, antwortete er ihr und schenkte sich einen Kaffee ein. „Endlich jemand zum Erzählen!“, meinte er und sah sie grinsend an. „Du musst verstehen, normalerweise bin ich der einzige Frühaufsteher in diesem Haus.“ Dustin genoss es mit Yoshiko auf Englisch zu sprechen. Es war etwas Anderes, als wenn er es seinen Schülern beibrachte, auch wenn Yoshiko stark mit Akzent sprach, doch das war bei Japanern normal.
 

„Ja, ich habe schon mitbekommen, dass Serdall ziemlich lange schläft“, meinte sie und dachte daran, dass es zumindest im Moment kein Wunder war, wenn man so unruhig schlief. „Du sprichst Englisch als Muttersprache, kann das sein?“, wollte sie wissen. Dustin nickte immer noch grinsend.
 

„Ich bin ein waschechter Amerikaner“, meinte er stolz und klopfte sich spielerisch auf die Brust. „Aber ich lebe in Deutschland, seit ich vierzehn bin“, erklärte er weiter. Er musste leise bei seinem nächsten Gedanken lachen. In diesem Haus war es richtig multikulturell. Ethan ein Engländer, Serdall zum Teil Japaner, Russe und Finne, er selbst Amerikaner und nun eine waschechte Japanerin. „Hier treffen irgendwann noch einmal alle Kontinente und Länder zusammen“, feixte er grinsend, lehnte sich an die Anrichte und nippte an seinem Kaffee. „Serdall ist übrigens ein absoluter Morgenmuffel“, eröffnete er ihr noch. „Sprich ihn lieber nicht an, wenn es vor zwölf ist.“ Seit Yoshiko ihnen dazu verholfen hatte, dass er und Serdall miteinander reden konnten, empfand sie Dustin als nicht so schreckliche Plage. „Du bist doch auf Serdalls Seite, oder?“, fragte er sie nun offen.
 

„Ja, bin ich“, bestätigte Yoshiko und legte nun endgültig das Messer beiseite. „Zwar scheint jeder außer Serdall es zu sehen und zu akzeptieren, aber solange er sich von irgendjemandem überreden lässt, sich von mir helfen zu lassen, ist er zumindest etwas besser dran.“ Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und schloss etwas erschöpft die Augen. „Was meinst du wie lange dauert es, bis Serdall auch mal erkennt, dass ich ihn an niemanden verraten werde. Ganz davon abgesehen, dass meine Handlungen recht dämlich wären, wenn mich jemand angestiftet hätte.“
 

Dustin rollte theatralisch mit den Augen und setzte sich neben sie.
 

„Echt, Serdall ist nun mal so. Er ist nicht wirklich sozial. Pflegt kaum Freundschaften und hasst Fremde, weil er ihnen eben nicht vertrauen kann. Ehrlich, du hättest ihn mal erleben müssen, als das mit Daniel sich entwickelt hatte.“ Dustin schüttelte den Kopf. „In der Hinsicht ist er leider wirklich nicht zu gebrauchen. Serdall macht sich immer viel zu viele Gedanken. Man kann manchmal gar nicht nachvollziehen, wie er zu verschiedenen Standpunkten kommt, weil er im Kopf halt ziemlich verquer ist.“ Freundschaftlich berührte er Yoshiko am Arm. „Also mach dir nichts daraus, wenn er deine Hilfe nicht jauchzend annimmt. Dass er sie überhaupt irgendwie berücksichtigt, ist schon ein enormer Fortschritt.“
 

„Nun, das haben wir auch Daniel zu verdanken“, meinte Yoshiko seufzend. „Er hat gestern noch mit ihm telefoniert und Daniel hat ihm wohl geraten, sich von mir helfen zu lassen. Ansonsten wäre ich gestern wohl wieder hochkant rausgeflogen. Nur wie soll ich ihm helfen, wenn er sich das nächste Mal auch wieder so querstellt? Denn ich möchte wirklich nicht, dass das ganze Fiasko hier in einer Hochzeit endet, wenn die Voraussetzungen dafür so ungünstig sind“, teilte sie Dustin ihre Gedanken mit. „Mir war klar, dass ich irgendwann womöglich irgendeinen Fremden heiraten muss und ich habe generell auch kein Problem damit, da ich nun mal so erzogen wurde, allerdings will ich nicht, dass dem soviel Leid vorausgeht.“
 

Du kannst dir gar nicht vorstellen wie viel Leid, dachte sich Dustin unwohl. Er glaubte kaum, dass diese Hochzeit gut verlaufen würde, wenn sie denn stattfand.
 

„Serdall ist momentan etwas überfordert, würde ich sagen. Weißt du, er hört viel zu sehr auf seine Gefühle und besonders jetzt macht ihm die Angst um Daniel schwer zu schaffen. Ich kann verstehen, dass er dir nicht auf Anhieb trauen kann, dass er sich darüber erst einmal klar werden muss. Du musst dabei aber konsequent bleiben, weil Serdall wirklich schrecklich verquer ist, wenn es um seine Liebsten geht“, seufzte Dustin schwer. Es war schon verwunderlich, dass er es mit Serdall zusammen so lange ausgehalten hatte und sie eigentlich auch ganz gute Freunde waren, auch wenn sein Schwager ziemlich abgedreht war, manchmal.
 

„Wenn er es erst einmal eingesehen hat, ist er dementsprechend offener. So hab ich das für mich zumindest festgestellt.“ Dustin dachte dabei an die Zeit, als Serdall mit Daniel zusammengekommen war und er mit Ethan. Serdall hatte ihm mehr erlaubt als vorher, wenn auch wiederwillig und nur mit Daniels gutem Zureden. „Du willst gar nicht wissen, wie schwer es für Serdall überhaupt gewesen war, sich einzugestehen, dass er sich in Daniel verliebt hat. Ich sag dir, er war richtig widerwärtig zu der Zeit.“
 

Ein wenig wunderte sich Dustin über seine eigene Redseligkeit gegenüber Yoshiko, doch irgendwie tat sie ihm leid. Er konnte sie doch nicht ahnungslos auf Serdall loslassen. Wenigstens ein paar Dinge wollt er ihr erklären. Serdall war schließlich ein Rätsel in Person, wenn man ihn nicht kannte.
 

„Noch widerwärtiger als jetzt?“, fragte Yoshiko spitz, senkte aber kurz darauf schuldbewusst die Augen. Sie seufzte. „Tut mir leid. Mir schlägt die ganze Sache nur auch irgendwie aufs Gemüt und jetzt, wo ich jemanden zum Reden habe, kommt es hoch. Wenn man Serdall kennt, ist er bestimmt ganz nett, nur denke ich nicht, dass ich ihn so gut kennen lernen werde, bevor der Oyabun uns vor den Traualtar schleift. Leider wird Serdall mir zumindest freie Hand lassen müssen, damit wir wenigstens eine Chance haben, das zu verhindern, aber er hat sich schon schwer genug damit getan, mich bei sich auf dem Boden schlafen zu lassen.“
 

Dustin lachte laut auf bei der Vorstellung, wie sich Serdall gegenüber Yoshiko zierte.
 

„Ich glaube, dass du überhaupt da schlafen durftest, ist ein Wunder. Das Zimmer ist ihm heilig, gerade weil es ihm und Daniel gehört. Maximal Taki darf ab und an bei ihnen schlafen, ansonsten ist die Region Sperrzone“, erklärte er ihr und lächelte sie schief an. „Und ich versicher dir, Serdall ist noch wirklich nett im Vergleich zu damals. Daniel ist absolut das Beste, was ihm nach dem Tod von Louise passieren konnte. Hoffentlich fällt er jetzt nicht wieder in dieses Schema“, murrte Dustin leidlich.
 

„Na da habe ich wohl noch Glück gehabt, dass ich nicht schon damals mit ihm verheiratet werden sollte“, murmelte Yoshiko und machte sich jetzt wieder weiter daran, das Frühstück fertig zu bekommen, bevor der Oyabun aufstand. „Sag mal, hast du eine Idee, wie wir Serdall sonst irgendwie helfen könnten? Gut, er hat jetzt die Möglichkeit, ab und an mit Daniel zu reden bis der Akku deines Handys leer ist, aber vielleicht wäre es ganz gut, wenn sie sich mal sehen könnten?“
 

Abwiegend ließ Dustin seinen Kopf hin und her wandern.
 

„Wie sollen wir denn das einrichten, ohne dass Fei Wind davon bekommt?“, meinte er halblaut und lehnte sich verschwörerisch zu Yoshiko. „Fei macht ernst, wenn er davon erfährt, oder nicht? Schließlich ist er nicht umsonst euer Boss.“
 

„Wenn er davon erfährt.“ Emotionslos sah Yoshiko Dustin an. „Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder man akzeptiert das Schicksal, das einem durch andere Leute vorbestimmt wird, was ich im Übrigen schon viel zu lange getan habe, oder man fängt an zumindest zu versuchen sich dagegen zu wehren und geht das Risiko ein, dass man dabei ertappt wird. Wenn alles aber gut läuft, dann bemerkt keiner, dass wir nicht das machen, was der Oyabun will. Wenn ich beispielsweise sagen würde…“ Yoshiko überlegte kurz, bis ihr etwas Passende einfiel. „Stellen wir uns mal vor, ich würde den Oyabun fragen, ob er mir die Erlaubnis erteilt mit Serdall auszugehen, damit wir uns besser kennen lernen und wir würden es irgendwie schaffen, dass Kikuchi uns nicht folgt. Meinst du nicht es wäre dann machbar, ohne dass es jemand bemerkt, zu Daniel zu gelangen?“
 

Unsicher legte Dustin den Kopf schief.
 

„Und was, wenn doch? Fei killt Daniel dann und das wäre Serdall wohl zu viel Risiko und wer soll bitte Kikuchi ablenken?“ Ihm kam zwar eine Idee wer, aber das wäre wahrscheinlich nicht mit Ethan vereinbar. „Okay, vielleicht kriege ich das mit Kikuchi hin“, meinte er nach kurzem Zögern, „trotzdem ist die Gefahr immer noch ziemlich hoch und Serdall wahrscheinlich zu groß.“
 

„Er hätte keine Wahl, wenn er nichts von unserem Plan weiß und vom Oyabun dazu gezwungen wird, mich zu begleiten“, erklärte Yoshiko. „Wenn der Oyabun uns gehen und kommen sieht und Kikuchi nicht dabei ist, um mit uns zu gehen, der Oyabun aber nicht weiß, dass er nicht bei uns ist, wie soll er dann überhaupt erfahren, dass wir tatsächlich nicht zusammen unterwegs waren? Zumindest nicht die ganze Zeit.“
 

Dustin musste sich wirklich konzentrieren Yoshikos Ausführungen zu folgen. Er nickte schlussendlich doch einigermaßen verstehend.
 

„Du willst also Serdall in deinen Plan nicht einweihen und Fei anlügen, okay.“ Grinsend legte Dustin den Kopf schief, als er an Daniels und Serdalls Begegnung dachte. „Dir ist klar, dass Serdall und Daniel dann wohl ein bisschen Sex haben werden?“, feixte er anzüglich und sah vergnügt, wie die Wangen der beherrschten Japanerin einen sanften Rotton annahmen.
 

„Das ist mir bewusst“, zischte Yoshiko leicht beleidigt. „Aber ich bin schon groß und kann mich anderweitig beschäftigen und bin nicht gezwungen, bei ihnen zu bleiben.“ Yoshiko strich etwas sehr viel Leberwurst auf ein Schnittchen, sonst ließ sie sich anhand ihrer Handlungen aber nichts von ihrer inneren Gemütslage anmerken. „Du bist also dabei?“, wollte sie von Dustin wissen. Dustin nickte grinsend.
 

„Auf jeden Fall und dir rate ich, ein bisschen durch das Schlüsselloch zu schauen, wenn die beiden allein sind.“ Kichernd schob er seinen Kopf in ihr Blickfeld. „Du glaubst gar nicht, wie gut die beiden zusammen aussehen, besonders so“, erklärte er ihr spitzbübisch und lachte laut, als sie noch eine Spur dunkler im Gesicht wurde.
 

„Ich habe nicht das Bedürfnis zu spannen, danke“, erwiderte Yoshiko kühl. Das Gespräch verlief ihrer Meinung nach in eine vollkommen falsche Richtung. „Holst du mir mal ein neues Stück Butter? Du stehst gerade fast.“
 

Grinsend holte Dustin das Gewünschte und hielt es ihr vor die Nase. Es machte ihm ungemein Spaß, Yoshiko ein wenig zu reizen. Auf gewisse Art und Weise war sie fast wie Serdall, der von so etwas auch nie hören wollte. Er zog dir Butter zurück, als Yoshiko sie ergreifen wollte.
 

„Weißt du, wozu man die auch ganz gut nutzen kann?“, fragte er sie grinsend und lehnte sich an ihr Ohr, um es ihr zuzuflüstern. Ihre Augen wurden groß, als er zu dem spannenden Teil kam und Dustin wich von ihr zurück, als sie empört nach ihm schlug. Das war fast wie mit Louise damals, als er ihr erklärt hatte, was er mit seinen Freunden immer angestellt hatte.
 

„Meine Mutter hätte jetzt gesagt, du solltest dir den Mund mal mit Seife auswaschen, aber ich glaube, dass das bei dir nicht mehr viel helfen würde. Du scheinst von innen heraus so extrem dreckig zu denken“, empörte Yoshiko sich und bekam den dezenten Rotton auf ihren Wangen nicht mehr in den Griff. Dustins kleiner Vortag über andere Anwendungsgebiete von Butter hatte ihr diverse Bilder durch den Kopf schwirren lassen, die sie lieber nicht gehabt hätte. Dank der lieben Fürsorge ihres Vaters hatte sie auf dem Gebiet überhaupt keine Erfahrungen und konnte nicht einmal in der Theorie wirklich glänzen. Und jetzt kam Dustin und…
 

Tränen lachend setzte sich Dustin ihr gegenüber. Dieses Mädchen tat so schrecklich erwachsen und wusste wahrscheinlich nicht einmal über die grundlegendsten Dinge vom Sex Bescheid.
 

„Das war doch noch das Harmloseste. Wenn ich dir erzählen würde, was ich gestern Abend mit Ethan getan habe… Obwohl, warum erzähle ich es dir nicht einfach? Du scheinst ja sowieso sehr offen in der Hinsicht zu sein“, meinte er grinsend und wollte gerade anfangen Yoshiko über alles aufzuklären, was er allein gestern mit Ethan angestellt hatte, doch Feis und Kikuchis Eintreten ließen ihn verstummen. Verschmitzt blickte Dustin zu dem Assassinen. Er würde mit Ethan über ein Ablenkungsmanöver reden müssen.
 

„Guten Morgen, Yoshiko, Dustin“, sagte Fei kalt und ließ sich von Yoshiko seinen Tee bringen. Sie war froh, dass Dustin nicht ausreden konnte. Wahrscheinlich wäre sie vor Scham im Erdboden versunken, wenn die Sprache auf diverse Sexpraktiken gekommen wäre. Es erstaunte sie schon, wie offen einige Menschen über dieses Thema sprechen konnten.
 

„Ich würde Sie gerne etwas fragen“, kam Yoshiko gegenüber Fei gleich auf das Thema zu sprechen, das sie vorhin mit Dustin diskutiert hatte.
 

„Entschuldige, Yoshiko, dafür habe ich im Moment keine Zeit“, erwiderte Fei kalt und stand wieder auf. Mit einem Kopfnicken bedeutete er Kikuchi, ihm ins Wohnzimmer zu folgen, in das sie sich für kurze Zeit zurückzogen. In Japan war ein Geschäft geplatzt, was Fei sehr verärgerte und den Aufenthalt hier in Deutschland in ein schlechtes Licht rückte. Man hörte, obwohl die Tür geschlossen war, wie Fei lautstark mit Kikuchi diskutierte. Dustin zog währenddessen überrascht die Augenbrauen nach oben.
 

„Da brennt die Luft“, meinte er grinsend.
 

„Scheinbar“, erwiderte Yoshiko und sah skeptisch auf die nicht angerührten Schnittchen. Das war schon das zweite Mal innerhalb von zwei Tagen, dass sie fast das komplette Frühstück in den Müll befördern konnte. „Hast du Hunger?“, fragte sie Dustin seufzend. Der Blonde nickte.
 

„Wenn du mich so fragst“, murmelte Dustin und griff beherzt zu. „Alles Banausen“, meinte er zwinkernd zu Yoshiko und biss den ersten Happen ab. Dustin verschluckte sich daran fast, als Serdall zerknittert die Küche betrat und sich richtig griesgrämig ein Glas nahm, mit dem er zum Wasserhahn trottete. „Kannst du plötzlich die Uhr nicht mehr lesen?“, fragte Dustin seinen Schwager und erntete einen finsteren Blick, ehe sich Serdall wortlos an die Theke setzte.
 

„Schnittchen?“, fragte Yoshiko und hielt Serdall den Teller vor die Nase, doch alles, was sie bekam, war ein kurzer, mörderischer Blick, bevor Serdall sich wieder abwandte. „Scheinbar nicht“, stellte sie fest und stellte die Brote etwas lauter als nötig ab, bevor sie aufstand und die Küche in Richtung Flur verließ. Sie hatte keine Ahnung warum, aber gerade war sie ziemlich gereizt. Vielleicht weil es bis jetzt ein recht schöner Morgen gewesen war und Serdall mit seiner Art die Stimmung tötete, vielleicht weil keiner die Arbeit würdigte, die sie sich machte und vielleicht auch nur, weil sie wieder zurück nach Japan und den ganzen Stress der bevorstehenden Hochzeit einfach ignorieren wollte. Jedenfalls ging sie ziemlich geladen in ihr Zimmer und schnappte sich eines ihrer mitgebrachten Bücher.
 

Dustin war sichtlich überrascht über Yoshikos Abgang. Augenrollend griff er sich noch eines der Brote, ehe er sich vor Serdall stellte und ihn ansah, während er kaute.
 

„Schlecht geschlafen?“, fragte er seinen Schwager mit noch vollem Mund und Serdall lehnte sich sogleich genervt zurück.
 

„Ja“, murrte Serdall ihn an und trank von seinem Wasser.
 

„Yoshiko will dir helfen, ist dir klar, oder?“
 

Serdall sah Dustin wütend an und schnappte ihn am Kragen. Dessen unbekümmerte Art war jetzt total fehl am Platz.
 

„Lass die beknackten Sprüche und sieh den Ernst der Lage“, zischte Serdall ihn an und Dustin schluckte an dem Brocken, den er nur halb gekaut hatte.
 

„Ist ja gut“, knurrte Dustin zurück. Serdall war wirklich massiv schlecht gelaunt.

Sein Schwager ließ ihn los und trank finsteren Blickes weiter sein Wasser. Kopfschüttelnd wandte Dustin sich ab. Mit Serdall war jetzt nicht zu reden. Er schien besonders empfindlich zu sein. „Du wirst mit Fei sprechen?“, ging Dustin trotzdem das Risiko ein, von Serdall angeraunzt zu werden.
 

„Nachher“, erwiderte Serdall kühl und seine Gestalt spannte sich sofort an. Dustin nickte. Serdall schien sich wirklich genug Gedanken zu machen und Dustin hatte nicht mehr tun können, als ihm sein Handy zuzustecken. Jetzt hing es eben nur an Serdall und Fei selbst. Seufzend lächelte Dustin sparsam.
 

„Ich drück dir die Daumen“, meinte er leise und Serdall nickte abgehackt.

Kopfschüttelnd wandte sich Dustin ab. Serdall brauchte anscheinend wirklich seine Ruhe.
 

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Yoshiko sah von ihrem Buch auf, als Taki seinen Kopf zur Tür hereinstreckte.
 

„Hey, möchtest du was von mir?“, fragte sie leise auf Japanisch und sah ihn aufmerksam an. Unsicher lugte Taki um die Ecke.
 

„Wieso bist du in Dans Zimmer?“, fragte er sie böse und trat in den Raum. Taki war immer noch im Pyjama und war gerade erst aufgestanden.
 

Unhörbar seufzte Yoshiko auf. Taki vermisste Daniel auch, das war deutlich zu erkennen. Nur warum sah der Oyabun selbst, dem diese ganze Misere zuzuschreiben war, nicht, was er seinem Bruder, seinem Neffen und auch Dustin mit seiner fixen Idee einer arrangierten Hochzeit antat. Schwach lächelnd sah Yoshiko Taki an.
 

„Solange Daniel nicht da ist, darf ich hier wohnen. Sobald er wiederkommt, ist das hier dann wieder sein Zimmer.“
 

Nicht verstehend ging Taki zu ihr und setzte sich neben sie.
 

„Wann ist Daniel wieder da? Wieso bist du hier? Bist du eine Freundin von Onkel Fei?“, fragte Taki auf seine kindliche Art und sah sie aus großen Augen an.
 

„Dein Papa hat dir doch gesagt, dass Daniel bald wieder da ist“, antworte Yoshiko ihm, da sie Serdalls Geflüster gestern mitbekommen hatte und sah Taki aufmerksam an. Er war wirklich schlau für sein Alter und stellte die richtigen Fragen, die allerdings schlecht zu beantworten waren, wenn man ihn nicht zu sehr in das ganze Geschehen mit reinziehen wollte. Und Yoshiko zweifelte nicht, dass das das Letzte war, was Serdall sich im Moment für seinen Sohn wünschte. Deswegen zog sie es vor, die anderen Fragen erst einmal zu ignorieren und zu hoffen, dass Taki sie auf sich beruhen lassen würde. Kurz zog Taki die Augen zu Schlitze, ehe er Yoshiko freundlich ansah.
 

„Kochst du heute auch das Mittagessen?“, fragte er sie nun unbekümmert. „Ich würde mir gern was wünschen“, sagte er und griff Yoshikos Hand, wobei er seinen besten Bettelblick aufsetzte.
 

„Natürlich koche ich oder denkst du etwa, dass dein Vater sich dem Herd näher als auf einen Meter nähern würde? Und dein Onkel hat genug andere Sachen zu tun. Also, was hättest du denn gern?“
 

Taki grinste verstohlen.
 

„Nudeln!“, rief er kichernd und fasste Yoshiko bei der Hand. „Bitte, bitte! Ich helfe dir auch“, sagte er ernst.
 

„Nun, ich glaube unter den Umständen könnte ich mich tatsächlich dazu überwinden, heute Nudeln zu kochen“, erwiderte Yoshiko gespielt ernst. „Allerdings brauchen wir dafür nicht so lange, von daher denke ich, dass es reichen wird, wenn wir uns um elf in der Küche treffen, in Ordnung? Dann kannst du dich bis dahin anziehen, fertig machen und noch mit den Hunden beschäftigen.“
 

Taki nickte glücklich.
 

„Okay, Yoshi!“, rief er vergnügt und lief sogleich in sein Zimmer um sich anzuziehen.
 

„Yoshi“, wiederholte Yoshiko etwas perplex, schüttelte dann aber den Kopf. Zumindest zeigte dieser unfreiwillige Spitzname, dass Taki sie recht gern hatte. Leicht lächelnd nahm sie wieder ihr Buch auf und las weiter.
 

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Serdalls Finger hielten krampfhaft das Glas fest. Er hörte die Geräusche um sicher herum nur dumpf. Das leise Rauschen, das die Spülmaschine verursachte, die Musik, die von Dustins Zimmer herunter drang und die lautstarke Diskussion, die Fei mit Kikuchi führte, all dies nahm er kaum wahr. Der Albtraum der letzten Nacht beschäftigte ihn. Bilder daraus sprangen ihm sekündlich vor die Augen und zeigten ihm eine sterbende Louise und einen verblutenden Daniel. Unwirsch schüttelte Serdall den Kopf, als Magenschmerzen sich bemerkbar machten. Er schnaubte unwirsch. Wieder musste er sich zusammennehmen und seine Gedanken ordnen.
 

Entschlossen stellte Serdall das Glas weg und stand auf. Er ballte die Hände zu Fäusten, als er festen Schrittes auf die geschlossene Wohnzimmertür zuging, hinter der Fei nun scheinbar ruhig telefonierte. Ohne zu zögern öffnete Serdall die Tür und ließ sein Blick sofort über die Anwesenden schweifen. Kikuchi fasste ihn ins Auge und Serdall sah kalt zurück. Ohne Kikuchi hätte Serdall Fei vielleicht auch mit Waffengewalt wieder aus dem Haus befördern können, durch ihn aber hatte er seinen letzten Trumpf verloren, weil er vorgestern eingeschritten war. Der Assassine bekam ein blankes Lächeln und führte den Zeigefinger am Hals entlang, symbolisch für das Messer, das eine Kehle durchschneiden würde.
 

Unwillkürlich schluckte Serdall bei diesem Anblick, ließ sich aber danach nichts mehr anmerken, auch wenn Kikuchi hämisch zu ihm sah. Serdall erahnte jetzt, wer den Auftrag ausführen würde, Daniel zu töten, wenn es dazu kam und dieser Gedanke behagte ihm gar nicht. Kikuchi war ein blutrünstiges Monster, das berüchtigt war für seine Skrupellosigkeit. Serdall wusste nicht mehr, welchen Spitznamen man Kikuchi in Japan gegeben hatte, doch er glaubte, dass es ihm selbst die Nackenhaare hochgetrieben hatte, als er Kikuchi einmal als Schüler begegnet war. So wie Serdall seine Geige als Leidenschaft pflegte, so hielt es Kikuchi mit dem Töten.
 

Serdall ließ sich von dem emotionslosen Blick nicht irritieren und trat zu seinem Bruder, der immer noch telefonierte. Kurzerhand setzte sich Serdall neben ihn, was Fei schlagartig im Gespräch inne halten und ihn verwirrt ansehen ließ. Serdall lächelte ihn minimal an und Fei beendete sein Gespräch wenige Minuten später. Kikuchi ließ Serdall währenddessen nicht aus den Augen.
 

„Ich muss mit dir reden“, sagte Serdall, als Fei ansetzte ihn etwas zu fragen. „Allein“, fügte er noch an, als sein Blick wieder auf Kikuchi fiel. Fei nickte seinem Untergebenem zu und Kikuchi erhob sich, verbeugte sich kurz vor den Agamies, ehe er ergeben den Raum verließ.
 

Fei lehnte sich zurück und sah seinem Bruder in die blaugrünen Augen. Auffordernd nickte er Serdall zu und der Schwarzhaarige seufzte innerlich.
 

„Warum mischst du dich in mein Leben ein, Fei?“, fragte Serdall ihn schwach. Fei schnaubte verächtlich.
 

„Das fragst du noch? Sieh dich doch an! Schläfst mit einem Mann, belügst deinen Bruder und bietest Taki eine schlechte Familie! Was ist nur aus dir geworden? Was würde Louise zu deinem Lebensstil sagen?“, zischte Fei aufgebracht und sah seinen Bruder fassungslos an. Serdall blickte ihm stur in die Augen.
 

„Und es geht dich trotzdem nichts an“, zischte Serdall. „Es ist mein Leben und Taki ist mein Sohn und Daniel mein Freund. Glaubst du wirklich, ich hätte nicht lang genug über meine Entscheidung nachgedacht?“
 

„Ja, das glaube ich. Sonst wärst du mit diesem Abschaum nicht zusammen“, knurrte der Yakuza gefühlvoll und schlug mit der Hand auf den Tisch. „Sonst hättest du diesen Mist nie gemacht.“
 

Serdall schüttelte wirr den Kopf.
 

„Was weißt du schon, Fei!“, rief er aufgebracht, nahm sich aber in seinen Weiteren Worten in der Laustärke zurück. „Du kommst hierher, drohst mir und hältst mich buchstäblich in meinem eigenen Haus gefangen und verurteilst das, was ich schon vor zwei Jahren entschieden habe und mich in dieser vergangenen Zeit glücklich gemacht hat.“
 

„Glücklich?“, schrie Fei hart und stand auf. Nicht, dass es in Japan gerade drunter und drüber ging, seit er nicht mehr da war, jetzt klagte ihn Serdall auch noch an, weil er ihm helfen wollte. „Ich glaube eher, dass dieser Erhard dir das Hirn vernebelt hat“, fauchte Fei aufgebracht. Seine japanische Beherrschung hatte er schon vor Stunden verloren, als ihm ein Millionengeschäft in Kyoto vereitelt worden war, auf das er mühsam hingearbeitet hatte. „Du hattest schon immer andere Ansichten, besonders als du mit Louise zusammen warst. Bist du wirklich durch ihren Tod so dermaßen abgerutscht?“
 

Serdall erhob sich ebenfalls, nun wirklich wütend.
 

„Was heißt hier abgerutscht?“, zischte Serdall. „Was kann ich denn dafür, dass ich mich in Daniel verliebt habe?“
 

Zornig sah Fei seinen kleinen Bruder an.
 

„So einiges“, knurrte er und griff Serdall fest in die schwarzen Haare. „Dass du ihn überhaupt damals als Babysitter für Taki eingestellt hast, war mir unverständlich. Gerade weil er mir nur Obszönitäten an den Kopf geworfen hat und schon da hat sich herausgestellt, dass er dir den Weg in eine Hochzeit nicht gegönnt hat“, zischte Fei. Schmerzlich verzog Serdall das Gesicht und packte Feis Hand.
 

„Er hat mich aus meinem Tief geholt“, fauchte Serdall und versuchte seine Haare aus Feis Griff zu befreien.
 

„Und in welches hat er dich nun hineingezogen? Du hintergehst dich und deine eigene Familie für diesen Mann und du merkst es noch nicht einmal. Ist es dieser Arschfick wert?“, schrie Fei laut und zog stärker an Serdalls Haaren. „Ist er es?“, bohrte er wütend weiter, als Serdall nicht antwortete. „Ich sag es dir, Serdall“, flüsterte Fei böse. „Er ist es nicht. Was hast du denn davon, wenn du dich mit ihm abgibst? Er gebärt dir keine Kinder, er hat sicher keinen finanziellen Rückhalt, er ist ein Nichts, das in dir ein lukratives Geschäft sieht, mehr nicht.“
 

„Das stimmt nicht“, erwiderte Serdall gepresst. „Er liebt mich auch“, flüsterte er, doch kam er sich jetzt, wo er in Feis wütende Augen sah, bei diesen Worten ziemlich dumm vor.
 

„Ja“, flüsterte Fei hämisch grinsend, „dich, dieses Haus, dein Geld, alles was mit dir zusammenhängt.“
 

Serdall verzog wütend die Augenbrauen.
 

„Du kennst Daniel nicht“, hauchte er. „Er ist nicht so, wie du denkst. Du hast keine Ahnung, wie ich mich bei ihm fühle.“
 

„Ich weiß es wirklich nicht, denn soviel Verblendung habe ich zum Glück noch nie empfunden“, gab Fei kalt zurück. „Wenn du nur eine Minute dein Hirn anschalten würdest, Serdall, wüsstest du was ich meine.“ Fei ließ von Serdall ab. Der Schwarzhaarige taumelte kurz und rieb sich krampfhaft über die Kopfhaut. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Wie auch? Er konnte Fei nicht einmal seine Gefühle erklären, geschweige denn, dass Fei es hören wollte. Unsicherheit machte sich jedoch in ihm breit. War es so, wie Fei es sagte?
 

„Er nutzt dich aus, Serdall. Sieh es ein.“
 

Tut er das? Nutzt er mich aus?, fragte sich Serdall und wusste nicht, wo ihm der Kopf stand. Bisher hatte ihn Dustin immer wieder nur zu Daniel geraten, doch jetzt, wo sein eigener Bruder ihm diese Dinge so offen an den Kopf warf, machten ihm seine eigenen Gefühle Angst. Fei ging auf ihn zu, denn er sah es seinem Bruder an, dass ihn die Zweifel plagten.
 

„Er hat dein Tief nach Louises Tod ausgenutzt, siehst du das nicht? Serdall, was hat er sich denn von dieser Beziehung versprochen? Du bist viel zu gut für diesen Mann, merkst du das nicht? Er hat es gesehen, er hat deinen materiellen Wert erkannt und wahrscheinlich wohl auch deine absolute Treue. So ist ihm doch alles sicher, oder nicht?“
 

Keuchend schüttelte Serdall den Kopf.
 

„Lass den Mist“, zischte Serdall. „Ich brauche keine Gehirnwäsche“, fauchte er, doch insgeheim hatte Fei in ihm einen wahren Wust an Fragen aufgewirbelt und seine alte Unsicherheit begann wieder zu keimen. War es wirklich so, wie Fei es sagte? Verwirrt trat Serdall noch einen Schritt zurück, dabei den Kopf immer noch schüttelnd. Wortlos wandte er sich um und ging aus dem Zimmer heraus und nach oben.
 

Fei grinste selbstzufrieden, als er seinem Bruder nachsah. So war es doch schon viel besser, dachte er sich erfreut und setzte sich zurück an seinen Laptop. Serdall würde ihm wirklich noch einmal danken, das wusste er.
 

Serdall verkroch sich indes in seinem Schlafzimmer. Er legte sich schwach in sein Bett und zog die Decke über seinen Kopf. Ihn ließ der Gedanke nicht mehr los. Hatte Daniel ihn wirklich nur ausgenutzt? War es ihm wirklich nur gelegen gekommen, dass Serdall es so schlecht gegangen war? Hatte er all dies geplant?
 

„Oh Himmel“, flüsterte Serdall verängstigt und drückte seine Hände auf die Ohren, doch er konnte Feis Stimme nicht mehr abschalten, die immer weiter ihre Beziehung zerpflückte.
 

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Gähnend verließ Daniel am Montag den großen Hörsaal und machte sich auf den Weg in die nahe gelegene Mensa. Er wäre gerade während der Vorlesung fast eingeschlafen, da er dank der nervenaufreibenden letzten Tage total übermüdet war. Er hatte sich nicht aus dem Haus getraut, da er jede Minute damit gerechnet hatte, dass Serdall anrief und bei diesem Gespräch ungestört sein und nicht zufällig irgendwo auf der Straße stehen wollte. Doch Serdall hatte nicht angerufen.
 

Das gesamte Wochenende hatte er sehnsüchtig darauf gewartet, dass sein Handy klingelte, jetzt wo Serdall Dustins Mobiltelefon hatte, doch er hatte sich umsonst zuhause verschanzt. Nervös war Daniel in seinem ehemaligen Zimmer auf und ab getigert und hatte sich verzweifelt gefragt, ob irgendwas passiert war, gehofft, dass nur der Akku leer war oder Serdall einfach keine Zeit hatte, ihn anzurufen. Getraut, selbst auf Dustins Handy anzuklingeln, hatte er sich nicht. Was, wenn Fei es beschlagnahmt hatte? Es käme nicht gut, wenn er schon wieder unerwartet Serdalls Bruder an der Strippe hatte.
 

Seufzend trat Daniel vor zur Essensausgabe und nahm sich einmal Geschnetzeltes mit Reis. Sich noch Besteck auf das Tablett ladend und einen Kakao dazustellend schlenderte er in Gedanken versunken in Richtung seines Stammplatzes, wo meist ein paar seiner Bekannten saßen und sich während des Essens unterhielten. Hoffentlich hörte er bald etwas von Serdall. Aus Angst und Sorge um seinen Freund machte er nachts kein Auge zu und sein Handy kontrollierte er auch alle fünf Minuten, ob zumindest eine Nachricht eingegangen war.
 

Betrübt starrte Daniel auf sein Essen. Normalerweise kam er oft, wenn er Mittagspause hatte, schnell zuhause bei Serdall vorbei und kochte ihnen selbst etwas. Dann hätte er jetzt kein Geschnetzeltes aus der Großküche auf dem Teller, sondern etwas aus der eigenen Küche. Außerdem würde er nicht mit eher flüchtigen Bekannten essen und über unwichtige Themen reden, die sie ohnehin eine halbe Stunde später wieder vergessen hatten, sondern vielleicht über die Pläne, was Serdall und er noch unternehmen würden oder über vollkommen belanglose Dinge.
 

Ein plötzlicher Ruck ging durch sein Tablett und Daniel stolperte zwei Schritte zur Seite. Das Geschirr klirrte, als es kurz vom Holz abhob und ein Schwall Kakao ergoss sich über die Person, mit der Daniel gerade zusammengestoßen war.
 

„Oh verdammt, das tut mir leid!“, rief er erschrocken.
 

Überrascht sah ihn ein etwa eins neunzig großer, junger Mann an und lachte im nächsten Moment laut auf.
 

„Himmel, und ich hab mich bis eben noch gefragt, warum mein Tag so langweilig war. Jetzt weiß ich warum“, meinte er kichernd. „Ich habe dich noch nicht getroffen.“ Grinsend nahm sich der blonde Mann die Serviette von Daniels Tablett und wischte sich den Kakao von seinem Markenshirt. „Hey, ich bin Kai“, stellte er sich in diesem unpassenden Moment vor.
 

Ziemlich verwirrt starrte Daniel ihn an. Kein Gezeter, weil er sein teures Shirt versaut hatte? Nur ein flachsiger Kommentar?
 

„Daniel“, erwiderte er reichlich perplex und stand ziemlich dumm noch immer mit seinem Tablett in den Händen vor Kai.
 

„Okay, Dan“, erwiderte Kai, nun wieder einigermaßen trocken und um einen satten braunen Fleck auf dem gelben Shirt reicher. Grinsend legte Kai einen Arm auf Daniels Schulter. „Dafür, dass du mein Shirt versaut hast, freunden wir uns ein bisschen an, okay? Ich habe nämlich gerade echt nichts zu tun und dich hat mir der Himmel geschickt.“
 

Daniel zog die Augenbrauen nach oben, folgte Kai aber widerstandslos zu einem der entfernteren Tische, an dem sie sich gegenüber niederließen. Irgendwie war Kai Daniels Meinung nach ziemlich schräg, allerdings fand er das nicht wirklich unsympathisch an ihm. Dustin war beispielsweise auch recht aufgedreht und Daniel konnte mit Leuten, die so offen waren, eigentlich ziemlich gut umgehen.
 

„Du studierst hier auch“, fragte Daniel beiläufig, während er sich die erste Gabel seines Essens in den Mund steckte und etwas schuldbewusst auf Kais ruiniertes Shirt starrte.
 

„Ja“, meinte Kai grinsend. „Medizin im achten Semester. Du kannst mich auch ruhig schon Dr. Kai Hahn nennen“, lachte er vergnügt und musterte Daniel kurz. Himmelblaue Augen, pechschwarzes Haar und einen zuckersüßen Gesichtsausdruck, wenn er erschrocken war. „Und was studierst du? Wie alt bist du? Was machst du heute Nachmittag?“, bombardierte Kai Daniel mit Fragen und legte grinsend den Kopf schief. Kopfschüttelnd lächelte Daniel zurück und kaute noch schnell zu ende.
 

„Ich studiere Grundschullehramt im dritten Semester, bin einundzwanzig und habe heute Nachmittag noch nichts vor“, antwortete er wahrheitsgemäß. „Warum? Hast du etwa vor, unsere Freundschaft gleich noch zu vertiefen und mich irgendwohin einzuladen?“
 

Kai grinste verschmitzt.
 

„Genau das hatte ich vor. Weil alle meine Freunde heute leider keine Zeit für mich haben und ich mich jetzt gezwungen fühle, mit dir nettem Kerl eine bessere Freundschaft aufzubauen. Du bist hoffentlich nicht so eine treulose Tomate, oder?“, fragte er grinsend und klaubte sich den Apfel von Daniels Tablett. „Haste Bock auf Tennis? Würde ich gern mal ausprobieren.“
 

„Klar“, meinte Daniel schulterzuckend. „Tennis habe ich noch nie gespielt. Das wäre mal eine Erfahrung wert. Stellt sich nur die Frage, wo wir Schläger und so weiter herbekommen? Nur muss ich dich leider enttäuschen, da ich unter gewöhnlichen Umständen leider auch nicht so extrem viel Zeit habe.“ Er dachte an Serdall und dass er normalerweise fast den ganzen Tag mit ihm verbrachte. Immer noch. Auch nach über eineinhalb Jahren Beziehung. Momentan wusste Daniel echt nicht, was er den ganzen Tag lang mit sich anfangen sollte und so kam es ihm gerade recht, dass er in Kai gelaufen war.
 

„Ach, die werden die Dinger uns schon irgendwie leihen. Und ich sage ja, dich schickt der Himmel, denn anscheinend hast du ja jetzt Zeit“, meinte Kai grinsend. „Außerdem, wenn du erst mal siehst, was ich eigentlich für ein superlieber Kerl bin, nimmst du dir freiwillig für mich Zeit. Schließlich kannst du mich doch nicht guten Gewissens meinen treulosen Freunden überlassen, oder?“
 

„Nun, wenn ich dich ihnen überlasse, assoziiere ich damit, dass ich dich in ihre Arme übergebe und dann haben sie ja Zeit für dich. Denn ich fürchte, dass mein Freund nicht so glücklich sein wird, wenn ich meine freie Zeit immer mit jemand anderem als ihm verbringe. Er ist da sehr nachtragend, weißt du“, grinste Daniel jetzt auch. Nun wirklich überrascht zog Kai eine Augenbraue hoch.
 

„Du meinst jetzt richtiger Freund, oder? So mit Sex und allem drum und dran?“, fragte er ziemlich geschockt und lehnte sich zurück. „Na toll, das habe ich jetzt davon. Bis eben hatte ich ja noch Hoffnungen, aber jetzt zerschlägst du sie wie Seifenblasen!“, rief er gespielt empört und fasste sich an die Stirn. „Na egal, wir können trotzdem Tennis spielen, meine Kumpels haben da nie Bock drauf und ich brauche unbedingt einen neuen Kumpel, der das mit mir mal testet. Also, was sagst du, Dan? Ein bisschen Zeit wirst du doch für mich abzwacken können, oder?“
 

Glücklich stellte Daniel fest, dass Kai scheinbar überhaupt kein Problem damit hatte, dass er schwul und in festen Händen war. Ehrlich gesagt hätte es ihn aber, obwohl sie sich erst so kurz kannten, bei Kais Charakter auch gewundert, wenn er in so einem Punkt nicht tolerant gewesen wäre. Im Gegenteil, er… Daniel stutzte und rief sich Kais Antwort noch einmal ins Gedächtnis.
 

„Entschuldige, wenn ich hier mal kurz nachhake, aber bist du auch schwul?“, fragte er erstaunt. Plötzlich ernst verzog Kai das Gesicht.
 

„Daniel“, sagte er nun ruhig und blickte ihm in die Augen. „Du sitzt hier einem angehenden Arzt gegenüber“, erklärte er doktorhaft und wedelte mit dem Zeigefinger durch die Luft. „Ich bin jedenfalls nicht schwul, wenn wir das schon diskutieren“, meinte er weiterhin sehr ruhig, grinste dann aber, als Daniel langsam die Unsicherheit ins Gesicht geschrieben stand. Lachend schnippte Kai mit dem Finger gegen Daniels Nase. „Homosexuell, Schatzi. Schwul hört sich so abwertend an.“
 

„Wenn du meinst“, erwiderte Daniel schlicht, aber lächelnd. „Nur habe ich nicht ganz verstanden, was dein Doktor sein mit Homosexuellen zu tun hat.“
 

„Als Arzt ist es meine Pflicht, auch medizinische Fachbegriffe zu verwenden und nicht den Jargon. Ich meine, mal ehrlich, schwul ist so sozial geprägt und hört sich an, als ob es eklig wäre, was wir tun. Und wir wissen doch beide, dass es alles ist, aber nicht eklig“, meinte er grinsend. „Und nun iss, Danniboy. Ich will in dieser verkeimten Mensa nicht versauern, sondern den Spaß des Lebens mit dir genießen.“
 

„Du bist echt schräg“, stellte Daniel lachend fest, machte sich aber brav weiter über sein Essen her. Er warf immer mal wieder einen Blick auf Kai, der ihm interessiert aus seinen braunen Augen zusah, die wahrscheinlich ebenfalls braunen, aber momentan blond gefärbten Haare wurden durch Gel in einem geordnetem Chaos gehalten, das ihn verwegen aussehen ließ. Daniel befand für sich, dass die Frisur zu Kai passte wie die Faust aufs Auge. „Willst du jetzt gleich Tennis spielen gehen?“, fragte er Kai, als auch der letzte Rest Reis vom Teller verschwunden war. „Ich persönlich bin heute fertig mit der Uni.“
 

„Na und ich erst“, meinte Kai geschafft und griff sich sogleich Daniels Tablett. „Also, wenn du nichts dagegen hast, fahren wir erst mal zu mir. Egal wie cool und künstlerisch der Kakaofleck hier“, er deutete auf seine Brust, „auch aussehen mag, er trägt sich doch ganz eklig.“ Zwinkernd ging Kai gleich zum Tablettwagen und dann wieder zu Daniel, dem er kumpelhaft den Arm um die Schulter legte. „Also, bist du mit Auto da oder soll ich dich mitnehmen?“
 

„Kein Auto. Ist kaputt“, erwiderte Daniel und ließ sich von Kai aus der Mensa in Richtung Parkplatz leiten. Schmerzlich dachte er daran, dass Serdalls Auto wohl wieder bei ihm auf dem Hof stehen würde. Wie sehr er seinen Freund doch vermisste. Leise seufzte Daniel auf und zog seine Jacke enger um sich, als sie ins Freie traten.
 

Kai führte Daniel zu einem schwarzen-orangen Motorrad. Er steckte seinen Schlüssel kurz in ein Schloss am Sitz und klappte ihn danach hoch. Hervor holte er einen Motorradhelm, den er Daniel reichte, während er seine Lederjacke zuzog.
 

„So, Daniel. Jetzt begehe ich eine Straftat“, meinte er mit einem Augenzwinkern und setzte sich ohne Helm auf seine Maschine. „Machen wir eine kleine Wette. Schaffe ich es bis zu mir nach Hause, ohne von den Bullen angehalten zu werden, gehen wir heute Abend noch auf die Piste. Schaffe ich es nicht, gebe ich dir ein Essen aus, okay?“
 

„Gut, meinetwegen“, bestätigte Daniel und stieg hinter Kai auf. Er war beiden Dingen nicht abgeneigt. Jede Ablenkung war momentan wohl nur zu seinem Besten. Außerdem hatte er schon lange nicht mehr solche für seine Altersgruppe normale Sachen gemacht, wie mit einem Bekannten um die Häuser zu ziehen. „Nur wenn ich eingefroren bin, bis wir bei dir ankommen und du mich dann vom Motorrad runterkratzen musst, müssen wir das wohl knicken“, fügte er noch an. Daniel schlang die Arme um Kai und machte es sich einigermaßen bequem. Er war noch nie Motorrad gefahren. Leichtes Bauchkribbeln machte sich bemerkbar. Kai tätschelte kurz Daniels Finger an seinem Bauch.
 

„Keine Sorge, es ist nicht weit bis zu mir“, meinte er gut gelaunt, ließ dann seine Maschine aufheulen und langsam die Kupplung kommen. Auf dem Uniparkplatz fuhr er noch relativ langsam, als er sich jedoch im Straßenverkehr eingeordnet hatte, drehte er seine Ninja auf und preschte auf dem Mittelstreifen an den Autos vorbei.
 

Ende Kapitel 5

Kapitel 6
 

Gute fünf Minuten später hielt Kai vor einem dreistöckigen Altbau und rollte auf dem Gehweg zu einer Garage.
 

„Na, schon erfroren?“, fragte er Daniel amüsiert, weil sich die dünnen Finger immer noch krampfhaft in seinen Bauch gruben, als sie schon in der Garage standen und Kai darauf wartete, dass Daniel abstieg.
 

„Geht schon“, antwortete Daniel schwach, bewegte sich aber immer noch nicht. Das eben war schlimmer als die schlimmste Achterbahnfahrt seines Lebens gewesen. Vor allem die Kurven. Die ganze Zeit hatte er vor Angst erstarrt befürchtet, dass das Motorrad seitlich wegrutschen und sie auf der Straße landen würden. Wahrscheinlich würde noch ein Auto von hinten herangerast kommen und sie überrollen. Tief durchatmend löste sich Daniel doch noch von Kai und stieg etwas zittrig und mit wabbeligen Beinen ab. Er zog sich den Helm vom Kopf und fuhr sich einmal durch die Haare, um wieder etwas Ordnung hineinzubekommen.
 

„Ich hoffe, hier in der Nähe gibt es einen Tennisplatz, der zu Fuß zu erreichen ist.“
 

Kai lachte befreit und bockte hibbelig sein Motorrad auf.
 

„Ach quatsch“, sagte er grinsend, nahm Daniel den Helm aus den Fingern und hängte ihn ans Lenkrad. „Ich finde es toll, wenn sich jemand ängstlich an mich klammert.“ Lächelnd schnippte Kai Daniel gegen die Nase, als der erbost schaute. „Und ich glaube eh, dass wir in die Halle müssen, um Tennis zu spielen. Für draußen ist es zu kalt“, meinte er wieder mit diesem kecken Zwinkern im linken Auge.
 

„Du meinst doch nicht etwa die Halle am anderen Ende der Stadt?“, fragte Daniel schockiert, doch als Kai grinsend nickte, sackte er stöhnend gegen das Motorrad. Das überlebte er nicht. Ganz bestimmt nicht. Er würde schon während der Fahrt an einem Herzinfarkt sterben und tot vom Motorrad kippen. Amüsiert griff Kai nach Daniels Hand und zog ihn mit sich.
 

„Mensch, das sind nur zehn Minuten, wenn ich fahre“, meinte er spitzbübisch und lachte leise, als er Daniels unwilliges Schnauben vernahm. In der zweiten Etage wurde Kai plötzlich etwas schneller. Jedoch vergebens, als die Tür der Wohnung in diesem Stockwerk aufging. Eine Frau Mitte vierzig steckte den Kopf, der vollgewickelt war mit kreisch bunten Lockenwicklern, heraus.
 

„Herr Hahn“, quietschte sie in einer piepsigen Stimme und Kai verzog von ihr ungesehen das Gesicht.
 

„Frau Papenstiel“, meinte er nun nett lächelnd zu ihr, als er sich umwandte.
 

„Sie sind dran mit dem Flur“, schimpfte sie ihn an und sah böse auf Daniel, der immer noch an Kais Hand hing.
 

„Ach, das habe ich glatt vergessen!“, rief Kai nun überrascht und sah anklagend zu Daniel. „Man, Dan, du wolltest mir das doch sagen!“, sagte er empört zu dem Schwarzhaarigen der ganz perplex den Mund wortlos auf und zu machte. „Keine Angst, Frau Papenstiel“, sagte Kai fachmännisch. „Ich erledige das gleich nachher.“
 

Argwöhnisch verzog die Frau die Augen, nickte dann aber. Sogleich sprintete Kai mit Daniel weiter und schloss schnell seine Wohnung auf.
 

„Alter Hausdrache“, zischte Kai, als er die Tür hinter sich ins Schloss warf.
 

„Soso“, meinte Daniel und lehnte sich im Flur gegen die Wand. „Ich sollte dich also daran erinnern, dass du den Putzlappen schwingst. Was du natürlich nachher auch noch machen wirst. Wahrscheinlich, während wir Tennis spielen sind.“ Er grinste Kai an und ging dann weiter in die Wohnung hinein. Geradeaus kam man in ein recht großes Wohnzimmer, das durch eine Durchreiche mit der Küche verbunden war. Die anderen beiden Türen führten wohl zu Kais Zimmer und zum Bad. Soweit Daniel das beurteilen konnte, war alles sehr geschmackvoll und scheinbar ziemlich teuer eingerichtet worden. Wenn er in eine eigene Wohnung gezogen wäre, hätte diese wohl aus zusammen gewürfelten Möbelstücken bestanden, aber nicht aus einer zueinander passenden Couchgarnitur mit kleinem Glastisch davor, umgeben von ausgesuchten Lampen und Zimmerpflanzen.
 

„Ja, natürlich mache ich das nachher während wir Tennis spielen“, meinte Kai lachend und zog sich seine Jacke aus, um sie an die Garderobe zu hängen. „Setz dich ruhig“, murmelte Kai, als er sich sein gelbes Shirt über den Kopf zog und einen muskulösen Oberkörper mit einer Tätowierung von der linken Brusthälfte, bis über den linken Oberarm zur Elle hinunter, präsentierte. „Ich zieh mich nur schnell um.“
 

„Das sehe ich“, meinte Daniel amüsiert und ließ sich auf einem der bequemen Sessel nieder, der ihn fast verschluckte und es ihm scheinbar unmöglich machen wollte, je wieder aus ihm aufzustehen. Befreit aufseufzend entspannte sich Daniel und schloss kurz die Augen. Was für ein verrückter Tag. Allerdings waren seine Gedanken seit dem Mittagessen erschreckend selten zu Serdall gewandert, wofür er aber sehr dankbar war. Kai vermittelte durch seine ungezwungene, offene und lockere Art den Eindruck, als würde man ihn schon ewig kennen. Außerdem war er schwul und Daniel sich so einhundert prozentig sicher, dass er nicht nur sagte, dass es für ihn in Ordnung war dass Daniel auf Männer stand, sondern es auch tatsächlich so meinte.
 

Wenig später kam auch Kai zu Daniel zurück, nun in einem knallgrünen Shirt mit großem Markenlogo darauf gekleidet. Er lächelte Daniel an, als er ihn so entspannt im Sessel sitzen sah.
 

„Also, heute Abend gehen wir noch in die Disko im Zentrum, ja? Schließlich habe ich die Wette gewonnen!“, meinte er und hockte sich vergnügt und aufgedreht vor Daniel. „Keine Ahnung wie das ist mit Tennis, aber ich glaube, du bräuchtest schon ein paar Sportklamotten“, dachte er laut nach.
 

Daniel öffnete die Augen einen Spalt breit und schielte an sich hinab. Kai hatte Recht. In Jeans und Pullover würde er wohl einen Hitzschlag bekommen, wenn er durch die Halle raste. Ganz davon abgesehen, dass es nicht die bequemste Kleidung war und er anschließend in seinen verschwitzen Sachen herumlaufen musste.
 

„Stimmt“, bestätigte er und stand auf. „Hast du was für mich, das ich mir leihen könnte? Dann müssen wir nicht extra zu mir nach Hause fahren. Und ja, wir gehen in die Disko. Ich habe die Wette ja gehalten.“
 

Wieder griff Kai nach Daniels Hand und zog ihn mit sich in sein Schlafzimmer vor den Kleiderschrank.
 

„Moment, ich muss mal gucken, ob ich was hab, das dir passen könnte“, meinte er nachdenklich und musterte Daniel genau. Daniel war deutlich schmaler als Kai selbst und auch fast fünfzehn Zentimeter kleiner. „Irgendwo hatte ich doch noch was“, murmelte er und steckte sogleich seinen Kopf suchend in den Schrank.
 

„Es kann auch ein bisschen zu groß sein, Hauptsache ich stehe irgendwann nicht versehentlich ohne Hose da“, scherzte Daniel und fing das T-Shirt auf, das Kai ihm gerade über die Schulter zugeworfen hatte. „Nein“, meinte Daniel entschieden und sichtlich geschockt. „Du kannst mir alles geben, aber pink ziehe ich auf keinen Fall an!“ Leicht schaudernd schmiss er das pinke Etwas auf Kais Bett. Verwirrt drehte sich Kai zu Daniel um und blickte ihn nicht verstehend an.
 

„Was hast du denn jetzt gegen mein geiles, pinkes Shirt auszusetzen?“, fragte er empört. „Banause“, schimpfte er Daniel zu und drehte sich wieder zum Schrank, zog diesmal ein schwarzes Shirt heraus und eine Sporthose mit Kordelzug. „Ich zieh dann das Pinke an“, meinte er hochnäsig und zog noch eine seiner Sporthosen heraus. „Und du schimpfst dich schwul“, meinte Kai grinsend und zwinkerte Daniel wieder einmal zu.
 

„Nur weil ich schwul bin heißt das nicht, dass ich mich in rosa kleiden muss“, erwiderte Daniel mit gerümpfter Nase. „Ich rasiere mir ja auch nicht die Beine oder lackier mir die Nägel oder so. Ich stehe zwar auf Männer, benehme mich aber trotzdem wie jeder andere Kerl auch.“ Er nahm seine nun akzeptable Sportkleidung und stopfte sie in seine Tasche. Kai hatte echt einen seltsamen Modegeschmack. Als wäre das knallgrüne Shirt nicht schon schlimm genug, schien er nun tatsächlich das pinke Ding anziehen zu wollen.
 

„Tze“, meinte Kai beleidigt. „Ich rasiere mir sogar die Eier“, meinte er vulgär und legte seine Sachen in einen Rucksack. „Mal ehrlich, ist doch egal wie ich mich kleide. Solange mein Ding mir zwischen den Beinen baumelt, bin ich unzweifelhaft ein Mann. Also aus rein biologischer Sicht“, erklärte er grinsend. Im nächsten Moment zog er amüsiert eine Augenbraue nach oben. „Außerdem, was hast du gegen tuffige Typen? Die sind famos im Bett“, meinte er grinsend.
 

„Das sind nicht tuffige Typen auch“, gab Daniel zurück und ließ sich auf Kais Bett nieder. „Dir kann es auch egal sein, was du dir anziehst. Du siehst dich nicht. Mir fliegen bei deinen kreischenden Farben fast die Augen aus dem Kopf.“ Keck grinste er Kai an. Empört sah Kai an sich herab.
 

„Was denn? Soll ich mich etwa schwarz kleiden? Da wirke ich ja viel zu blass. Nee, lass man, du musst mich ja nicht anschauen“, erwiderte er feixend und stellte sich vor Daniel. „Und wie viele tuffige Typen kannst du im Vergleich zu richtigen Kerlen ziehen?“, fragte er Daniel nun noch ziemlich ernst.
 

„Keinen“, erwiderte Daniel wahrheitsgemäß und sah Kai fest in die Augen. „Trotzdem kann ich nicht sagen, dass ich unzufrieden mit meinen Sexualleben wäre. Im Gegenteil.“ Nur leider ist es momentan auf Grund anderer Umstände sehr dürftig, dachte er anschließend und seufzte. Er wollte Serdall endlich wieder sehen. Wieder mit ihm schlafen und einfach bei ihm sein und nicht zwangsweise von ihm getrennt.
 

„Darum geht es ja auch nicht“, erwiderte Kai kopfschüttelnd. „Naja, auch egal. Erzähl mir lieber mal von deinem Freund. Wie lange seid ihr schon zusammen?“, fragte er Daniel neugierig und setzte sich neben ihn.
 

Kurz durchfuhr Daniel ein scharfer Schmerz, als er so bewusst auf die Erinnerungen mit Serdall gestoßen wurde. Er vermisste ihn trotz der wenigen Tage Trennung. Da es so extrem unsicher war, wann sie sich wieder sahen, schien die Sehnsucht sich noch zu verdoppeln.
 

„Wir kennen uns seit knapp zwei Jahren, aber richtig zusammen sind wir seit einem Jahr und sieben Monaten“, antwortete er mit in die Ferne gerichtetem Blick. Kai runzelte die Stirn. Daniel schien nicht wirklich gut auf das Thema zu sprechen zu sein. Unhörbar seufzend sprang Kai wieder auf und packte Daniel bei der Hand.
 

„Na komm, Danniboy. Ich hol noch schnell Duschgel und Handtücher und dann düsen wir gleich los.“ Energiegeladen zog Kai Daniel mit sich und ließ ihn kurz im Flur allein.

Aus dem Bad holte er zwei grellorangene Handtücher, die Daniel unweigerlich wieder zum Lachen brachten. Keck zwinkerte Kai dem Schwarzhaarigen zu, ehe er noch zum Schrank im Flur ging und eine andere Motoradjacke herausholte, die er Daniel zuwarf und noch einen Helm nahm, der auf dem Schrank ruhte. „Ich versuch auch nicht zu schnell mit dir zu fahren, okay?“, meinte er leise und strich Daniel unbekümmert eine schwarze Strähne aus der Stirn. „Will ja nicht, dass du ausversehen den Tennisschläger durch die Gegend schmeißt, nur weil deine Finger von der Höllenfahrt noch zittern.“
 

„Ich fürchte, dass ich den Schläger auch so durch die Gegend schmeißen werde. Mal sehen, wie ich mich bei meinem ersten Mal anstelle. Und meine Finger werden schon nicht zittern, wenn du dich an die Straßenverkehrsordnung hältst und dein Motorrad nicht ganz so doll in die Kurven legst.“ Er folgte Kai, der ihn aus der Wohnung geleitete. Leise kichernd schlichen sie die Treppen in der zweiten Etage hinunter, um nicht noch einmal eine Standpauke von Frau Papenstiel zu bekommen und stiegen dann wieder auf Kais Motorrad. Daniel krallte sich lieber gleich etwas fester an ihn, doch Kai hielt Wort und fuhr für seine Verhältnisse wohl ganz gesittet, wenn er auch hier und da ein Auto recht spektakulär überholte. Nach knapp einer Viertelstunde standen sie vor der großen Tennishalle.
 

„So“, sagte Kai, als er sein Motorrad sicher geparkt hatte und sich zu Daniel gesellte, der immer noch vor der Halle stand. „Dann mal los, was?“ Schnell fasste er wieder nach Daniels Hand und zog ihn mit sich in die Halle. An der Info begann er mit der Frau zu diskutieren, als sie ihm eröffnete, dass sie ohne Termin keinen Platz für sie hätte. Seufzend begann Kai dann eine lange, sehr nervige Unterhaltung mit ihr und die brünette Frau sah schon entschuldigend zu den übrigen Gästen, die wartend in der Schlange standen.
 

„Ist ja gut!“, rief sie schlussendlich aus. „Nehmen Sie halt den reservierten Platz des Vereins. Heute ist der eh nicht besetzt, weil ein Wettkampf in Berlin ist“, zischte sie und knallte Kai Tennisschläger vor die Nase.
 

„Geht doch“, meinte er grinsend und ging voran in die Halle.
 

Kopfschüttelnd aber dennoch leise vor sich hin glucksend folgte Daniel ihm zu den Umkleiden, wo sie rasch in ihre Sportklamotten wechselten und dann schließlich zu ihrem Platz schlenderten. Daniel stellte sich gegenüber von Kai auf und sah erst ihn und dann seinen Schläger skeptisch an.
 

„Wenn du lachst, falls ich mir mit dem Ding hier selbst eine verpasse, hau ich dir den Schläger über den Kopf“, meinte er. Kai lachte laut auf.
 

„Ey, ich bete dich allein dafür an, dass du mit mir hergekommen bist“, meinte er keck. „Und jetzt erzähl mir mal, was wir hier machen sollen“, meinte er grinsend und ließ den Blick über die anderen Plätze schweifen. Um die Regeln zu lernen war es sowieso zu spät, aber ein wenig spielen war dann sicher drin. „Okay, ich glaube ich mach mal einen Aufschlag“, rief er Daniel zu und spielte ihm dann etwas schief den Ball zu.
 

Daniel eilte der gelben Kugel überrascht nach und schlug den Ball ziemlich eiernd zu Kai zurück, war aber erst einmal froh, ihn überhaupt über das Netz bekommen zu haben. Mit der Zeit wurden sie beide allerdings etwas sicherer, nachdem sie einige Bälle durch verunglückte Schläge halb k.o. geschlagen hatten und sie mehrmals über ihre eigenen Füße gestolpert waren.
 

„Pause“, jappste Daniel nach einer dreiviertel Stunde und schlurfte geschafft zur Bank an der Seite des Platzes. Kai kam zu ihm und setzte sich neben ihn.
 

„Boah, also mir persönlich reicht es für heute“, meinte er geschafft. „Sonst können wir heute Abend gar nicht so lang tanzen.“ Sich den Schweiß von der Stirn wischend sah er zu Daniel, der von der Anstrengung sichtlich gerötete Wangen hatte. „Tennis gefällt mir doch nicht so ganz“, kicherte Kai und lehnte sich zurück. „Was gibt es denn noch so an Sportarten?“ Überlegend sah er an die Deckenhalle. „Ich weiß, das nächste Mal testen wir Golf!“, rief er begeistert.
 

„Nee, danke. Ohne mich“, erwiderte Daniel mit kraus gezogenem Mund. „Sogar in Minigolf bin ich eine Niete. Außerdem habe ich da mal einen Schläger gegen die Lippe bekommen und hatte dann fast ein Jahr so einen komischen festen Knubbel drin.“ Der Erinnerung nachfühlend kaute Daniel kurz auf seiner Unterlippe rum und sah anschließend wieder zu Kai. „Wenn du schon unbedingt meinst alle Sportarten durchtesten zu müssen, könnten wir auch schwimmen gehen oder Tischtennis spielen. Irgendwas Normales.“
 

„Das ist ja unspektakulär“, murrte Kai und zog einen Schmollmund. „Na ja, dann lass uns mal verschwinden. Ich hab jetzt einen mörderischen Hunger“, meinte er und zog Daniel mit sich zu den Duschen. Er warf unterwegs zwei Typen, die sie angeekelt ansahen eine Kusshand zu, ehe er mit Daniel weiterging. „Wir essen bei mir?“, fragte er Daniel, als er ihm eines der grellorangenen Handtücher gab.
 

„Können wir“, bestätigte Daniel schulterzuckend und schlüpfte aus seinen Sportsachen. „Wobei wir bis zum Abendbrot noch ein wenig Zeit haben.“ Er stellte das Wasser an und stellte sich unter eine der Gemeinschaftsduschen. Mit geschlossenen Augen fuhr er sich ein paar Mal durch die Haare und blinzelte dann rüber zu Kai. „Kannst du mir mal das Shampoo rüber werfen?“
 

Ungeniert ließ Kai seinen Blick über Daniels schlanke Gestalt gleiten.
 

„Klar“, meinte er heiser und hustete ob seiner rauen Stimme. Was für ein hübscher Körper, dachte er sich, als er Daniel sein Duschgel reichte und sich selbst weiter einseifte. Es war schon schade, dass Daniel in festen Händen war und sich rein gar nicht für Kai zu interessieren schien. Was Kai schon sehr seltsam fand. Normalerweise rief er wenigstens eine gewisse Reaktion bei den Männern hervor, aber Daniel schien ihn nur sehr nett zu finden. Seufzend duschte Kai weiter, nicht ohne Daniels Hintern mit den Blicken zu umfahren.
 

„Nun, eigentlich wollte ich Shampoo und nicht Duschgel, aber womit ich anfange ist wohl zweitrangig“, lachte Daniel und errötete leicht, als er Kais Blicke auf sich spürte. War Kai überhaupt solo oder war er in festen Händen? Daniel gestand sich ein, dass er es bislang gewesen war, der über sich erzählt hatte. Er würde Kai später danach fragen. Allerdings dachte Daniel sich, dass Kai nicht ganz so gucken würde, wenn er nicht solo wäre.
 

„Das ist für die Haare und deinen schnuckeligen Körper“, meinte Kai schelmisch zwinkernd und spülte sich ab, ehe er das Wasser ausdrehte und sich das Handtuch um die Hüften schlang. „Auf was hast du Bock? Nudeln? Reis? Bratkartoffeln?“, fragte Kai wieder energiegeladener und sah Daniel dabei zu, wie er sich abtrocknete. Wäre er nicht wirklich beherrscht und schon aus seiner Teenagerzeit raus, würde ihm genau jetzt viel zu viel Blut in die Lenden schießen. So lächelte er nur anzüglich, bevor er wieder zur Kabine ging.
 

„Mir ist das egal. Wenn wir selbst kochen, dann einfach etwas, das schnell geht“, antwortete Daniel und drapierte sein Handtuch ebenfalls um seine Hüfte. Kai seufzte etwas enttäuscht auf und Daniel wurde wieder rot. Er war es nicht mehr gewöhnt, von einem ziemlich fremden Mann so betrachtet zu werden. „Sag mal, gehe ich richtig in der Annahme, dass du momentan solo bist?“, fragte er Kai. Sie schlüpften in der Zwischenzeit wieder in ihre Klamotten.
 

„Ach nein“, meinte Kai. „So ein richtiger Single bin ich nicht. Ich habe ab und zu meine Freunde bei mir, mit denen ich meinen Spaß habe“, sagte Kai lapidar und zog sich sein grünes Shirt über den Kopf. „Aber für so eine richtige Beziehung bin ich wohl zu sprunghaft“, meinte er schulterzuckend und verstaute alle seine Sachen. „Keine Angst, Dan“, meinte Kai im nächsten Moment. „So nötig, dass ich über dich herfallen muss, habe ich es auch nicht. Und heute Abend wird sicher ein Hübscher für mich abfallen“, meinte er grinsend und ging mit Daniel wieder aus der Halle heraus.
 

„Ich habe nicht gedacht, dass du dich über mich…“ Daniel brach ab. Wenn er ehrlich war, hatte er schon den ein oder anderen Gedanken daran verschwendet, dass Kai an ihm interessiert war. Aber selbst, wenn er ihn vielleicht körperlich nicht unbedingt abstoßend fand, war da immer noch der Fakt, dass zumindest Daniel in festen Händen war, der scheinbar dafür sorgte, dass Kai die Finger von ihm ließ. „Tut mir leid“, seufzte er entschuldigend und steuerte auf Kais Motorrad zu.
 

„Dan!“, rief Kai vergnügt und legte einen Arm um seine Schultern. „Kein Grund sich zu entschuldigen. Wenn du willst, fummel ich auch ein bisschen an dir rum“, meinte er grinsend und kniff Daniel in den festen Hintern. „Mir war aber nur so, dass dir das nicht wirklich zusagen würde, oder nicht?“, fragte Kai, als er schon den Schlüssel in den Lenker seines Motorrades steckte.
 

„Nein, nicht wirklich“, grummelte Daniel und rieb sich über die leicht schmerzende Stelle, bevor er sich hinter Kai auf das Motorrad schwang. „Ich bin glücklich mit Serdall und muss echt nicht riskieren, ihn noch einmal fast zu verlieren.“ Bei den Worten machte sich ein flaues Gefühl in Daniels Magen breit, als er an Fei und die junge Japanerin dachte, die sich unter anderem in Serdalls Haus einquartiert hatten. Er schlang seine Arme um Kais Bauch und klammerte sich an ihm fest, als wäre er sein letzter Anker.
 

„Serdall? Na das ist ja ein seltsamer Name. Kannst du mir ja mal nachher erklären“, meinte Kai, ehe er das Visier am Helm herunterklappte und losfuhr. Sie gerieten in den Feierabendverkehr, was Kai ein wenig zu nervös werden und wieder den Mittelstreifen benutzen ließ. Sie brauchten diesmal mehr Zeit für den Rückweg, als sie für den Hinweg benötigt hatten und an Frau Papenstiel kamen sie auch nicht ungeschoren vorbei. Kai beschwichtigte sie, indem er Versprechungen rauf und runter ratterte und nach gut zehn Minuten wurden sie von ihr entlassen, nachdem Kai sogar ihr Auto putzen würde und noch viele andere Dinge. Seufzend schlug Kai wieder die Tür hinter sich zu. „Bei aller Liebe, aber irgendwann vergifte ich sie“, knurrte er grinsend und streifte sich die Schuhe von den Füßen.
 

„Nun, ich denke du hättest die Probleme nicht, wenn du einfach machen würdest, was deine Pflicht als Mieter dir gebietet und den Flur putzt“, erwiderte Daniel leicht lachend und ging schnurstracks ins Wohnzimmer, wo er sich in den Sessel fallen ließ. Glücklich stöhnte er auf. „Man, ich habe gar nicht gewusst, welche Muskelgruppen beim Tennis alle beansprucht werden.“
 

„Ich und für die putzen? Im Leben nicht“, knurrte Kai und lehnte sich in den Türrahmen,

„Ist dein Freund ein Ausländer?“, fragte er im nächsten Moment. „Serdall hört sich nämlich nicht sehr deutsch an, wenn ich das mal bemerken darf.“ Er lächelte, als er Daniel so entspannt in seinem Lieblingssessel hängen sah und fuhr sich kurz durch die, nun nicht mehr gegelten Haare, die ihm wirr vom Kopf standen.
 

„Er ist Japaner“, bestätigte Daniel Kais Verdacht und schielte zu ihm rüber, da er zu faul war den Kopf zu drehen. „Aber ein bisschen Finne und Russe stecken wohl auch noch in ihm, zumindest laut Stammbaum.“ Er rutschte schräg die Lehne hinunter, sodass er mit dem Kopf auf der einen Armlehne lag und seine Beine über die andere baumelten. „Du darfst gern kochen, wenn du magst“, meinte er erschöpft.
 

„Du bist ja echt nicht belastbar“, erwiderte Kai grinsend. „Aber schon krass dein Freund. Ich frage mich schon wie diese Mischung aussieht. Vielleicht lerne ich ihn mal kennen? Würde mich interessieren“, sagte Kai und sah kurz hinter sich zur Küche. „Na, ich werde erst mal was zum Abendessen zaubern, du kannst ja rüberkommen, wenn du wieder fit bist“, meinte Kai und stieß sich vom Türrahmen ab, um in die Küche zu wechseln und Bratkartoffeln zu machen.
 

Daniel blieb im Wohnzimmer zurück. Serdall würde sich bedanken, wenn er mit einem anderen Typen bei ihm ankam. Auch wenn Kai nur ein Freund war. Serdall war so vernichtend eifersüchtig, dass es fast schon penetrant war. Aber das war so ziemlich der einzige Makel an ihm. Was Daniel momentan mehr beschäftigte war, dass er schon nach einem Tag von Kai als Freund dachte. Der Kerl verstand es, sich bei anderen Leuten schnell einzuschmeicheln. Daniel grinste kopfschüttelnd, doch schnell gefroren ihm die Gesichtszüge wieder. Selbst wenn Serdall eifersüchtig werden würde, würde Daniel momentan alles tun, um ihm Kai vorstellen zu können, wenn das der Preis dafür wäre, um ihn wiederzusehen. Trübe Gedanken begannen wieder finster in Daniels Kopf herumzuwabern und er stand entschlossen auf, um sich von Kai in der Küche ablenken zu lassen. Außerdem war es ziemlich frech, wenn er sich auch noch von ihm bekochen ließ.
 

„Hey“, meinte Kai hüftschwingend. Es lief leise Radiomusik und er bewegte sich vergnügt dazu. Bei Daniels tristem Gesichtsausdruck ging er auf ihn zu, schnappte ihn bei den Händen und wirbelte sich mit ihm durch die Küchenzeile. Daniel war im ersten Moment so perplex, das er es mit sich geschehen ließ, bis Kai wieder von ihm abließ und weiter seine Kartoffeln in die Pfanne schnitt. „Und, Danniboy, wie oft gehst du mit Serdall in die Disko?“, fragte Kai beiläufig und hibbelte vor dem Herd hin und her. Er war gerade total in Feierlaune.
 

„Gar nicht?“, fragte Daniel eher, als dass er antwortete. Serdall konnte er ab und an mal zu einem Spaziergang überreden oder zu einem Besuch im Eiskaffee und mit Takis unterstützendem Bettelblick hatten sie ihn sogar mal in den Zoo und ins Schwimmbad gezerrt, aber normalerweise verbrachten sie ihre Tage und Abende zuhause. Geschockt hielt Kai in seiner Bewegung inne.
 

„Also echt, entweder ist dein Freund ein richtiger Miesmuffel oder aber an die sechzig Jahre alt und hängt an einem Beatmungsgerät“, rief Kai empört und sah ungläubig zu Daniel. „Du bist doch gerade mal einundzwanzig! Da gehört das doch zum Studentenleben dazu!“
 

„Nun, Serdall ist teilweise etwas… anders“, versuchte Daniel es nett und möglichst verständlich zu formulieren. Unsozial wäre etwas gemein gewesen. „Aber auch ohne uns die Ohren weglärmen zu lassen und betrunken in irgendwelchen Gräben zu landen, sind wir recht zufrieden“, versuchte er sich irgendwie zu verteidigen.
 

„Anders?“, fragte Kai verwirrt und malte sich die wildesten Sachen aus. „Das ist schon ganz schön langweilig, wenn man die ganzen Nachmittage daheim verbringt, oder? Also für mich wär das nichts“, sagte er entschieden und sah Daniel mit schief gelegtem Kopf an. „Außerdem, ihr werdet doch ab und an mal zusammen auf ein Date gehen, oder? Du versauerst doch sonst nur.“
 

„Klar gehen wir mal zusammen weg“, empörte Daniel sich. „Naja, ab und an“, fügte er leiser hinzu. Er seufzte. Kai hatte schon recht. Nach über eineinhalb Jahren Beziehung war schon etwas wir Routine bei ihnen eingekehrt, eben weil sie fast immer dasselbe machten. Das tat zwar Daniels Liebe gegenüber Serdall keinen Abbruch, aber ab und an war es schon recht trübselig, andauernd nur mit Serdall auf der Couch zu sitzen. Energisch schüttelte Daniel den Kopf. Was dachte er denn? Er war zufrieden mit der Art und Weise, wie ihre Beziehung lief. Und er wäre froh, wenn er jetzt mit Serdall zuhause auf der Couch sitzen und kuscheln konnte. Zweifelnd zog Kai eine Augenbraue nach oben.
 

„Na ja, jetzt kennst du ja mich und ich bringe mal ein bisschen Abwechslung in dein ödes Leben“, meinte er grinsend und nahm seine Arbeit wieder auf. „Also ist dein Freund eher einer von der ruhigen Sorte, hm?“
 

„Wenn du es so ausdrücken willst“, meinte Daniel schulterzuckend und trat zu Kai an den Herd. „Kann ich dir noch irgendwie helfen?“
 

„Nein, bin gleich fertig“, erwiderte Kai. „Aber wie soll ich es denn sonst ausdrücken?“, wollte er dann wissen. Ihm kam es komisch vor, dass Daniel nur so Bruchstückhaft von sich erzählte, wenn man ihn etwas fragte. „Wie alt ist dein Freund denn? Arbeitet er viel, dass er zu nichts Lust hat?“
 

„Er ist sechsundzwanzig und arbeitet gar nicht. Er hat gut geerbt und genießt momentan sozusagen das Leben.“ Daniel fand es etwas seltsam, dass Kai so viel aus seinem Leben wissen wollte, aber das war scheinbar einfach seine Art. „Tja, und er ist halt generell jemand, der lieber für sich ist. Er kann nicht so gut mit anderen Leuten, ist eher misstrauisch und zurückhaltend. Aber wenn er mal gegenüber jemandem aufgetaut ist, ist er treu wie ein Hund und weicht dir nicht mehr von der Seite“, erzählte Daniel leicht lächelnd.
 

„Wow, ich hätt nicht gedacht, das es solche Wesen wie ihn überhaupt gibt“, meinte Kai lachend. „Echt, so ein Leben wäre wirklich nichts für mich. Ständig daheim, nichts zu tun“, Kai schauderte sichtlich. Das war rein gar nichts für ihn. Das glich in seinen Augen eher einer Hölle auf Erden. „Aber er sieht gut aus, oder?“, fragte Kai keck über die Schulter grinsend.
 

„Ja, sieht er“, bestätigte Daniel verträumt lächelnd. „Aber glaub ja nicht, dass ich nur mit ihm zusammen bin, weil er gut aussieht und Geld wie Heu hat. Ich liebe ihn und musste lange um ihn kämpfen. So schnell lasse ich ihn nicht mehr gehen.“ Daniel suchte in den Schränken herum, bis er Teller und Besteck gefunden hatte und begann schon mal den Tisch zu decken. Aufhorchend zog Kai die Augenbrauen nach oben. Daniel hatte also einen richtig reichen Typen. Das hörte sich ja gar nicht mal schlecht an.
 

„Ah, die Liebe“, lachte Kai nun wieder frohen Gemüts und wendete die Kartoffeln in der Pfanne. „Meine erste große Liebe hat mich nach einer Woche komplett ausgeraubt“, erwiderte Kai leise lachend. „Zum Glück hat man den Vogel wenig später gefangen und ich habe alles zurückbekommen. Echt, für mich gibt’s die Liebe zurzeit eher nicht“, erwiderte er ehrlich.
 

„Das kann ich verstehen“, meinte Daniel mitfühlend. Wenn sich herausstellen würde, dass Serdall ihm nur etwas vorspielte, um ihn seiner wenigen Habseligkeiten zu berauben, würde für Daniel eine Welt zusammenbrechen. Es würde sehr lange dauern, bevor er wieder solch ein starkes Vertrauen zu jemandem aufbauen können würde. Kai tat ihm wirklich leid. Etwas betreten holte er noch Gläser aus dem Schrank. Währenddessen füllte Kai die Teller mit den Bratkartoffeln und stellte die Pfanne zurück auf den Herd. Er holte aus dem Kühlschrank noch eine Cola heraus und schenkte ihnen ein, ehe er sich zu Daniel setzte.
 

„Hey“, flüsterte Kai zu Daniel, der bedrückt auf seinen Teller starrte. „Jetzt bleib locker und mach dir nicht so viele Gedanken. Du siehst doch, dass es mir super geht und ich eigentlich extrem gut drauf bin“, meinte er grinsend. „Und jetzt koste mal“, meinte er mit der Gabel zu Daniels Teller wedelnd. „Ich hab‘s drauf, auch wenn es nur Bratkartoffeln sind“, lachte er verschmitzt und begann ebenfalls zu essen.
 

Daniel grinste kurz und steckte sich eine Gabel der wirklich ziemlich guten Bratkartoffeln in den Mund. Bei Kai konnte man einfach keine trüben Gedanken haben. Mit seiner euphorischen Art steckte er jeden, der sich mit im Raum befand, einfach an.
 

„Wo willst du heute Abend eigentlich hin?“, fragte er Kai. „Du hast vorhin etwas von einer Disko in der Innenstadt gesagt oder so. Muss man sich dafür irgendwie besonders anziehen? Dann müsste ich wohl nämlich doch noch mal nach Hause. Wobei, warte. Ich komme gerade nicht so richtig an alle meine Sachen dran.“ Skeptisch bemerkte Daniel, dass der Großteil seiner Klamotten noch bei Serdall war, da er den Koffer nur für ein paar Tage gepackt hatte.
 

„Ach, du musst dich nur ein bisschen hübsch machen“, meinte Kai lapidar. „Und das würde dir in einem Müllsack noch super gelingen“, komplimentierte er Daniel und lachte leise über die roten Wangen. „Aber ich glaube, ich hab noch ein schönes enges Shirt für dich, natürlich in Pink“, feixte Kai und grinste Daniel an. „Dann müssen wir nicht nochmal zu dir fahren. Und nicht, dass es dich irgendwie schockt, aber wir gehen in eine Disco nur für große Jungs“, meinte er keck zwinkernd und aß weiter. Zwischen zwei Happen sagte er noch: „Ich rate dir also auf deinen süßen Hintern aufzupassen.“
 

„Dein pinkes Shirt kannst du gern als Kopftuch benutzen“, grummelte Daniel. „Eher gehe ich nackt, als das Ding anzuziehen. Und ich denke schon, dass ich mich gegen die bösen Typen wehren kann, die wegen nichts anderem kommen als zu versuchen, mich mit sich nach Hause zu nehmen.“ Grinsend steckte er sich die letzte Gabel Bratkartoffeln in den Mund und tat sich nach einer kurzen Bedenkpause noch eine Schaufel voll auf. Er war ziemlich neugierig, wie es in so einer richtigen Schwulendisco war. Er hatte noch nicht einmal gewusst, dass es hier überhaupt so etwas gab. Kai zog nachdenklich die Stirn kraus.
 

„Das mit dem Kopftuch ist vielleicht gar keine so schlechte Idee“, meinte er grinsend und schob satt seinen Teller von sich. „Aber ich werde trotzdem ab und an nach dir schauen, will ja nicht, dass du wirklich noch unfreiwillig in irgendeiner dunklen Ecke landest.“ Interessiert beobachtete Kai, wie Daniel noch zu Ende aß. „Dir hat es anscheinend wirklich geschmeckt“, meinte er grinsend.
 

„Klar“, bestätigte Daniel ehrlich. „Aber so wie du vorhin angegeben hast, war es dir doch ohnehin bewusst, dass es mir schmecken würde“, zog er Kai auf. Daniel schob seinen Stuhl zurück und schraubte sich in die Höhe, um das Geschirr wegzuräumen. „Nun, wenn du meinst, dass ich einen Babysitter brauche, damit ich nicht weggeschnappt werde, darfst du gern bei mir bleiben. Aber ich habe auch so nichts gegen deine Gesellschaft.“
 

„Oh wie freundlich, euer Hochwohlgeboren“, erwiderte Kai feist und half Daniel kurz beim Abwasch. „Ich muss dir mal was ganz Ernstes sage, Dan“, meinte Kai plötzlich und fasste Daniel am Oberarm, um seine volle Aufmerksamkeit zu bekommen. „Dich hat wirklich der Himmel geschickt“, grinste er nun wieder. „Echt, du bist ein ganz netter Kerl, auch wenn dein Freund ein wenig komisch ist.“ Bevor Daniel etwas sagen konnte, lief Kai schon wieder quirlig aus der Küche. „Los komm, Daniel! Wir machen uns jetzt mal schick!“, rief er ihm noch zu.
 

Ziemlich verdutzt trocknete Daniel sich noch die Hände ab und ging dann Kai hinterher. Der Kerl hatte echt nicht alle Tassen im Schrank, aber das machte ihn trotzdem nicht unsympathisch. Er folgte Kai in sein Schlafzimmer und erblickte ein pinkes Shirt, das auf dem Bett lag.
 

„Wenn du mir das Ding da andrehst, gehe ich zu Frau Papenstiel und petze ihr, dass du dir zu fein zum Putzen bist“, knurrte er. Traurig verzog Kai den Mund.
 

„Man, du bist so ein Spielverderber, dabei würde dir Pink absolut geil stehen.“ Schmollend sah Kai zu seinem Schrank und wühlte weiter darin. Er warf einige kunterbunte Klamotten heraus und auf sein Bett, während er sich selbst auch noch ein paar Sachen über den Arm legte, die für ihn in die engere Auswahl gehen würden. Skeptisch blickend drehte er sich dann zu Daniel um, der sich konzentriert und teilweise schockiert die Shirts ansah. Einige Netzteile schien er gar nicht erst anfassen zu wollen. Langsam fragte sich Kai schon, aus welchem Kloster der Kleine entsprungen war. Kai ging auf ihn zu und strich nachdenklich durch Daniels schwarze Haare. „Hast du die schon einmal gegelt?“, fragte er ihn und zwirbelte einige Haarsträhnen hin und her.
 

„Ja, mit sechzehn“, antwortete Daniel. „Sag mal, hast du auch irgendwas Normales? Etwas, bei dem ich, wenn ich es anziehe, nicht gleich auf einhundert Meter Entfernung allen ins Auge springe?“
 

„Himmel“, murrte Kai wiederwillig du zog ein schwarzes Shirt aus seinem Schrank. „Du tust echt fast wie die Unschuld vom Lande“, knurrte er. „Und deine Haare sind ein Zustand“, meinte er ernst. „Warum machst du denn nichts aus dir? Ich mein okay, so an sich ist deine Frisur in Ordnung, aber das würde auch noch besser gehen. Komm schon, lass uns ein bisschen Spaß haben.“
 

„Nun, ich weiß nicht, ob ich unter Spaß verstehe, mich in grelle Farben zu kleiden und meine Haare hochzugelen, sodass ich aussehe, als hätte ich in eine Steckdose gefasst.“ Kai sah ihn enttäuscht und leicht verletzt an und Daniel seufzte resigniert. „Gut. Ist ja gut“, meinte er unwillig. „An meine Haare lass ich dich ran, aber glaub nicht, dass ich deine Shirts da anziehe.“ Er griff nach dem schwarzen Stück Stoff, das Kai in der Hand hatte, und zog es sich über. Entsetzte stellte er fest, dass ihm dieses topartige Shirt gerade mal bis zum Bauchnabel reichte. Begeistert stellte sich Kai vor Daniel.
 

„Oh Mann, du bist echt ne Sahneschnitte“, meinte er grinsend und wich dem Klaps aus, den Daniel ihm verpassen wollte. „Warum du dich so verstecken willst, ist mir ein Rätsel“, murrte Kai ihn an und fasste Daniel wieder bei der Hand, um ihn mit sich ins Bad zu ziehen. „Mach mal deine Haare ein bisschen feucht“, kam es dumpf von Kai, der seinen Kopf in den Spiegelschrank steckte und nach seinen Utensilien suchte, ohne dass unbedingt seine Kondome herunterfielen und im Waschbecken landeten. Daniel sah sich etwas entsetzt im Spiegel an.
 

„Kai, dieses Ding taugt vielleicht noch als Unterwäsche, aber nicht als Oberbekleidung“, beschwerte er sich, steckte dann allerdings brav den Kopf unter den Wasserhahn, als ihn ein vernichtender Blick traf. Zufrieden stellte Kai Haargel, Kamm und Haarspray vor sich und griff sogleich in Daniels Haare, als er sich nun vor ihn stellte.
 

„Jetzt lass Kai mal machen“, murmelte der Blonde zu sich selbst, drückte eine gute Ladung des Haargels auf Daniels Haupt und begann fachmännisch mit seinen Hände hier und da zupfen. Mit dem Kamm brachte er die richtige Grundlage herein und die Feinarbeit fixierte er dann mit einer Nebelwolke aus Haarspray. „So, mein Bester“, sagte er vergnügt. „Du siehst fast aus wie ein komplett neuer Mensch.“ Anerkennend pfiff er im nächsten Moment durch die Zähne, als Daniel noch dazu seine himmelblauen Augen öffnete. „Wow.“
 

Skeptisch betrachtete Daniel sein Spiegelbild.
 

„Ich muss zugeben, dass es wirklich nicht schlecht aussieht“, meinte er ehrlich und tippte mit dem Finger an eine steinharte Haarspitze. „Nur zum Durchwuscheln ist es nichts mehr.“ Er zupfte wieder an seinem Shirt. „Trotzdem denke ich nicht, dass ich das hier anziehen sollte. Da habe ich so wenig Stoff am Körper, dass ich genauso gut nackt gehen könnte.“
 

Kai fasste sich genervt an die Stirn und seufzte lautstark.
 

„Daniel“, sagte er ernst, sah ihm geduldig in die Augen und legte eine Hand auf seine Schulter. „Von welchem Stern kommst du denn bitte? Echt, wenn du in der Disco bist wirst du froh sein, dass ich dir nicht andere Dinge zum Anziehen gegeben habe. Ehrlich, du bist noch sehr gut verpackt. Außerdem, vertrau mir doch ein bisschen, ja? In deiner Schluderkleidung fällst du mehr auf als in dem hier“, murrte er und grinste in dem Moment schon wieder. „Ich verstehe deinen Freund langsam. Der will mit dir nicht ausgehen, weil du so ein süßer Kerl bist. Selbst mir läuft gerade das Wasser im Mund zusammen“, gab Kai zu und strich Daniel einmal verführerisch über den flachen Bauch. „Schade, dass du vergeben bist“, seufzte Kai und ließ wieder von Daniel ab, um sich selbst die Haare zu machen.
 

Daniel ersparte sich einen Kommentar und ging dann zurück in Kais Schlafzimmer, um sich eine passende Hose herauszusuchen, die möglichst nicht in einer grellen Farbe gehalten war und nicht aus Leder oder sonstigen ungewöhnlichen Materialien bestand. Schlussendlich blieb nur noch eine ziemlich knappe Hose über, die kurz über seiner Schambehaarung endete und recht eng saß. Daniel wollte gar nicht wissen, wo sie bei Kai hing, aber er hatte ja gesagt, dass er recht gründliche Intimrasur pflegte. Seufzend machte er sich wieder auf den Weg ins Badezimmer, mit dem über zwanzig Zentimeter langem Streifen Haut an Bauch und Unterbauch irgendwie gar nicht zufrieden.
 

Kai blieb buchstäblich die Spucke weg, als er sein Gesicht, nach einem letzten prüfenden Blick über seine Haare, zu Daniel wandte.
 

„Oh heilige…“, flüsterte er leise und sein Herz begann unweigerlich schneller zu pumpen, als Daniel ihm mürrisch, mit roten Wangen und unwohl an dem Shirt und der Hose zupfend, ansah. Jetzt wusste er, warum Serdall diesen Jungen hinterm Berg hielt. Sowas Niedliches hatte er ja seit Jahren schon nicht mehr gesehen und wenn, war es eine kleine, schwule Schlampe gewesen. Daniel hingegen hatte diesen Unschuldsfaktor, gepaart mit ein bisschen Hilflosigkeit in Anbetracht ihres Vorhabens. „Ich glaube es ist besser, wenn ich dir nicht von der Seite weiche“, murmelte Kai perplex. Daniel war nicht wirklich zum Lachen zumute. Etwas mürrisch dreinblickend sah er Kai an und seufzte auf.
 

„Ich hoffe für dich, dass die Leute dort echt noch weniger anhaben und ich nicht auffalle. Wobei ich es seltsam finde, dass sie da alle mit irgendwelchen übrig gebliebenen Stofffetzen rumlaufen und… Nein! Kai, bleib mit dem Ding da von mir weg!“ Entsetzt wich Daniel zurück, als Kai einen schwarzen Kajal ans Tageslicht befördert hatte.
 

„Dan, jetzt stell dich nicht so an“, meinte Kai grinsend und pinnte Daniel an die Wand. „Heute ist ganz oder gar nicht und deine superblauen Augen muss man doch ein bisschen betonen. Echt, dein Wimpernschlag ist ja der Wahnsinn“, meinte Kai vergnügt und sah Daniel aus der Nähe in die Augen. Resigniert hielt Daniel still und sah kurzzeitig an die Decke, wie Kai ihn anwies. Er konnte trotzdem die Tränen nicht unterdrücken, die aus seinen Augen tropften, da er diese Reizung einfach nicht gewöhnt war.
 

„Fertig?“, fragte er Kai ungeduldig und wollte sich über die Augen reiben, doch wurde er von Kai daran gehindert. Sanft wischte Kai die Tränen weg, ohne dass der Kajal verschmierte. Er lächelte kurz versonnen. Die Nähe zu Daniel machte ihn plötzlich ganz verrückt.
 

„Jap“, meinte er energisch und ließ wieder von Daniel ab. „Und du siehst echt zum Anbeißen aus“, eröffnete Kai und zog den Schwarzhaarigen mit sich zum Spiegel. „Ein ganz anderer Mensch, nicht wahr?“, flüsterte er an Daniels Ohr und sah fasziniert seine Reflexion an. Daniel war vorher auch nicht hässlich gewesen, aber er hatte nicht das Besondere an ihm hervorgehoben und schien für Kai eher uninteressant, doch jetzt konnte er kaum die Augen von dem hübschen Schwarzhaarigen nehmen.
 

„Nun, es ist nicht schlecht geworden“, gestand Daniel sich widerwillig ein. Kai hatte tatsächlich gute Arbeit geleistet und die Kleidung, das Gel und der Kajal unterstrichen seine Vorzüge in dezenter, nicht aufdringlicher Weise. „Was ziehst du an?“
 

Kai seufzte laut.
 

„Also wenn ich dich so ansehe, werde ich mich wohl auch mal richtig in Schale werfen“, murmelte Kai und flitzte im nächsten Moment schon wieder in sein Schlafzimmer. Verzweifelt wühlte er seinen Schrank durch. Er beförderte eine weiße Hose hervor, die ihm relativ niedrig auf den Hüften saß. Anzüglicherweise zog er einen schwarzen String unter. Dafür zog er ein dunkelrotes Muskelshirt an, das seine Oberkörperpartie perfekt betonte. Eine dicke Silberkette legte er sich noch um den Hals und ruckelte dann seine Hose noch ein Stück tiefer, ehe er wieder zu Daniel lief und sich ihm präsentierte. „Was meinst du?“
 

Heiß, ging es Daniel durch den Kopf, doch er gab sich für den Gedanken eine mentale Ohrfeige.
 

„Kein Pink, keine knalligen Farben. So darfst du dich mit mir blicken lassen“, meinte er stattdessen und grinste Kai an. Schmollend verzog der das Gesicht.
 

„Du bist manchmal echt fies, Daniel. Weißt du das?“, murrte Kai und zog Daniel mit sich. „Da überhäufe ich dich mit Komplimenten“, murrte Kai nörglerisch und warf Daniel wieder die Motorradjacke entgegen, „und du hast nur das für mich übrig.“ Kai zog sich selbst die schwarze Jacke über und schnappte sich wieder den einen Helm. Plötzlich schlug er sich gegen die Stirn. „Wo hab ich nur meinen Kopf?“, murrte er dann. „Ich brauche doch noch meine Geldbörse.“ Sogleich lief er zurück in die Wohnung, auf der Suche nach besagtem Gegenstand. Lautes Gefluche drang sogar bis in den Flur. Leise glucksend wartete Daniel, bis Kai wiederkam.
 

„Du siehst heiß aus“, sprach er seinen Gedanken von vorhin aus. Kai hatte ja recht. Vielleicht war es etwas gemein gewesen, dass er ihn auch in der Hinsicht aufgezogen hatte. Glücklich lächelte Kai ihn an.
 

„Na siehst du, hast dir keinen Zacken aus der Krone gebrochen“, ärgerte Kai Daniel und schlüpfte in seine Schuhe. „So, bist du dann bereit? Wir müssen aber ganz leise machen, sonst erwischt uns die Schreckschraube.“
 

„Die erwischt dich morgen ohnehin wieder“, gab Daniel zurück, folgte Kai aber brav. „Fahren wir wieder mit deinem Motorrad oder nehmen wir den Bus?“
 

„Was meinst du, wozu ich das Ding hier mitschleppe?“, fragte Kai grinsend und hielt Daniel den Helm vor die Nase. Sie schafften es sogar Frau Papenstiel zu entkommen und ungestört zur Garage zu gelangen. „Außerdem fährt kein Bus mehr, wenn wir heim wollen, außer du hast Bock bis zum Morgengrauen zu feiern, bis der erste Linienbus wieder fährt.“
 

„Nicht unbedingt“, erwiderte Daniel und setzte dich den Helm auf. „Allerdings wirst du dich dann leider mit dem Alkoholgenuss etwas zurückhalten müssen.“ Er setzte sich hinter Kai, der schon aufgestiegen war, und schlang zum dritten Mal an diesem Tag seine Arme um ihn.
 

„Ach, ich trinke eh lieber daheim“, murmelte Kai, bevor er wieder sein Visier herunterklappte und kurz die nun behandschuhte Hand über Daniels Finger gleiten ließ. Wie hatte er mit Daniel an dieselbe Uni gehen können, ohne ihn je zu bemerken? Das lag wirklich nur daran, dass Daniel sich viel zu unauffällig kleidete. Kai startete seine Ninja und fuhr ruhig die Straßen entlang, die nun, am Montagabend, relativ leer waren. Das Studentenleben war in der Hinsicht einfach nur toll.
 

Das erste Mal genoss Daniel die Fahrt einigermaßen. Zwar fühlte er sich noch etwas wacklig auf dem Motorrad, nur Kai in seinen Armen als Stütze, damit er nicht hinunterfiel, doch der saß fest wie ein Anker auf seiner Maschine und vermittelte Daniel so sicheren Halt.
 

Ende Kapitel 6

Kapitel 7
 

Schon nach kurzer Zeit hielten sie auf einem Parkplatz in der Nähe der Innenstadt. Leise hallten die Bässe von Musik durch die spätabendliche Luft und Daniel wappnete sich mental für seinen ersten Besuch in einer Disco, die ausschließlich für homosexuelle Besucher ausgelegt war.
 

Kai schloss seinen eigenen Helm wieder im Sitz ein, den anderen sowie ihre Jacken gaben sie dann an der Garderobe ab. Schon bevor sie überhaupt die Discothek betraten, warf man ihnen interessierte Blicke zu. Kai hatte Daniel wieder bei der Hand. Als sie dann im Vorraum waren, hallten schon tiefe Bässe durch ihren Körper. Kai zog Daniel mit sich zur Bar und bestellte ihm einen Drink und sich selbst eine Cola. Überall waren männliche Pärchen, küssten sich ungeniert und fummelten aneinander herum. Teilweise trugen einige Männer Hosen, die keinen Stoff über den Pobacken besaßen und auch viele trugen erst gar kein Shirt. Musternde Blicke wurden zu Kai und Daniel geworfen und Kai schlang besitzergreifend einen Arm um Daniel, flüsterte ihm dann ins Ohr.
 

„Siehst du? Du fällst hier nur auf, weil du absolut süß bist.“
 

„Im Vergleich zu denen müsste ich schon in Lack und Leder rumlaufen, um anhand meiner Klamotten auffallen zu können“, erwiderte Daniel erstaunt und leicht entsetzt und starrte zwei Männern hinterher, die lediglich in extrem engen Hotpants herumliefen. „Ehrlich, was erhofft man sich, wenn man so hier aufkreuzt?“, fragte Daniel sich laut, doch seine Aufmerksamkeit wurde von einem Kerl in weißem Tanga und Engelsflügeln beschlagnahmt, der auf einem Podest in der Mitte des weitläufigen Raumes tanzte. Daniels Augen weiteten sich. Kai lehnte sich näher an Daniels Ohr.
 

„Im Gegensatz zu dir geht es bei ihnen um sehen und gesehen werden und darum, heute Nacht nicht allein im Bett zu schlafen“, meinte Kai keck und genoss die Nähe zu Daniel ungemein. Daniel schien für ihn echt wie aus einer anderen Welt. Allein jetzt die großen blauen Augen, wie sie erstaunt alles in sich aufnahmen, waren absolut liebenswert. „Außerdem ist das hier nur ein magerer Abklatsch von dem, was hier am Wochenende herumläuft.“
 

„Da kann ich ja froh sein, dass ich vorgestern nicht das erste Mal hier war“, stellte Daniel fest und starrte den tanzenden Mann mit den Engelsflügeln recht ungeniert an. Wenn Serdall ihn hier jetzt so sehen würde, wäre wohl die Hölle los. Daniel war recht froh, dass er momentan zuhause war. Zwar war er immer noch bekümmert, dass er gerade nicht bei seinem Freund sein konnte, aber Kai lenkte ihn ziemlich gut ab. Eine Hand legte sich von hinten auf seine Schulter und Daniel wandte den Kopf um. Ein Mann Mitte dreißig sah ihn fragend und lächelnd an.
 

„Hey. Wie sieht es aus, Lust, mit mir ein bisschen was zu unternehmen?“
 

„Sehe ich so aus?“, zischte Daniel und der Andere suchte schulterzuckend das Weite. Schnaubend nahm Daniel einen großen Schluck von seinem Drink. Wie dreist musste man sein, um einfach jemanden anzusprechen, der gerade den Arm eines anderen Kerls auf der Schulter liegen hatte? Denn Kais Arm war immer noch um Daniel geschlungen. Kai lachte neben ihn auf und nippte an seiner Cola.
 

„Du hättest dir wenigstens nen Drink von ihm spendieren lassen können, Danniboy“, meinte er amüsiert. „Aber ich glaub dir jetzt, dass du dich ganz gut allein verteidigen kannst.“ Der Blonde rieb mit dem Daumen leicht über die nackte Haut an Daniels Hüfte und ließ seinen Blick ebenfalls zu den jungen Mann auf dem Podest gleiten, der graziös seinen Körper bewegte und dabei seine Flügel unschuldig auf und ab wippen ließ. Daniel griff sich Kais Hand und stoppte ihre Bewegung.
 

„Du kannst sie gern dort liegen lassen, da ich hoffe, mir so die meisten Typen vom Leib zu halten, aber sie bleibt dort einfach liegen und das war es, in Ordnung?“ Scharf sah er Kai an. Daniel wollte nicht, dass Kai sich irgendwelche Hoffnungen machte oder so. Außerdem kam er sich schäbig vor, wenn er sich von Kai anfassen ließ, während Serdall zuhause saß und wohl genau in diesem Moment an ihn dachte.
 

„Bleib cool, Dan. Ich weiß, dass ich bei dir nicht landen kann“, meinte Kai beschwichtigend. „Und ich hab keinen Bock, deine Beziehung kaputt zu machen“, murrte er Daniel zu und lächelte schief. „Aber diese Grabbelfinger können einfach nicht still halten“, erklärte er lachend und wedelte mit seinen Händen vor Daniels Gesicht herum, ehe er den einen Arm wieder um Daniel legte. Er kicherte immer wieder leise. „Du bist wirklich ne kleine Diva“, meinte Kai belustigt und trank seine Cola aus. „Wollen wir dann tanzen?“
 

„Und du kommst mir vor, als hättest du dir heimlich in deine Cola puren Alkohol gekippt“, antwortete Daniel und sah Kai dann nicht gerade sehr begeistert an. „Tanzen? Ich weiß nicht.“ Doch seinen Widerspruch ließ Kai nicht gelten, sondern zog ihn an der Hand in Richtung Tanzfläche. Kurz hielt Daniel ihn noch auf und trank seinen Drink mit wenigen Zügen leer, bevor er sich mitschleifen ließ. Unbeaufsichtigt wollte er hier wirklich nichts stehen lassen.
 

Kai stürmte dann mit ihm auf die Tanzfläche und begann geübt den Takt in sich aufzunehmen. Rhythmisch bewegte er sein Becken und führte einige gutaussehende Schritte aus. Daniel sah ihn unbeholfen an und Kai lächelte ihn nachsichtig an, ehe er vorsichtig seine Hände auf Daniels schmale Hüften legte und ihn ein wenig in den Takt hinein dirigierte. Nach und nach wurden Daniels Bewegungen besser und Kai schien es, als ob es ihm Spaß machen würde, zwischen der schillernden Masse zu tanzen und die Wärme der anderen Körper zu spüren, die aufgeheizt um sie herum tanzten. Kai ließ wieder von Daniel ab und ließ seinen Blick durch die Menge schweifen, auf der Suche nach ein paar bekannten Gesichtern.
 

Daniel fand tatsächlich langsam Gefallen an der Sache. Durch den Alkohol schon etwas gelöst bewegte er sich im Takt der Musik. Wenigstens das Rhythmusgefühl hatte er durch seine Gitarre schon seit langem. Zwar sahen seine Bewegungen nicht so gut und geübt aus wie die von Kai, aber er befand für sich, dass er die Sache nicht schlecht machte. Er spürte, wie sich eine Hand auf seinen Po legte, doch als er sich entsetzt umwandte, sah ihn keiner direkt an. Es hätte jeder von dem halben Dutzend Typen sein können, die hinter ihm dicht gedrängt tanzten.
 

„Das ist das Manko an diesem Laden“, rief er Kai über die Musik hinweg zu.
 

„Du kommst halt gut an“, hielt Kai dagegen. „Passiert mir ständig sowas“, meinte er stolz und streckte Daniel die Zunge heraus, als er ihn erbost ansah. Der DJ drehte derweil voll auf und holte die richtige Musik heraus, die die Masse zum Kochen brachte. Plötzlich fiel Kai ein dürrer Kerl um den Hals und drückte ihm die Lippen auf den Mund.
 

„Andi!“, rief Kai vergnügt und küsste den Brünetten zur Begrüßung tief. „Ich bin mal kurz weg, Dan“, meinte Kai zwinkernd zu dem Schwarzhaarigen. „Zehn Minuten, ja?“, rief er ihm noch laut zu, was in dem Bass fast unterging. Etwas perplex sah Daniel ihm hinterher. Das war wohl einer der Freunde, von denen Kai gesprochen hatte, die er ab und an bei sich und mit denen er seinen Spaß hatte. Zehn Minuten also. Das reichte wohl für einen Quickie auf dem Klo.
 

Kopfschüttelnd aber trotzdem leicht grinsend ging Daniel wieder zurück zur Bar. Kai war echt eine Klasse für sich. Daniel hatte nichts drum, dass er sich mit so vielen Typen abgab. Dustin war früher ja genauso und solange Kai ihn nicht in diese Reihe eingliedern wollte, war ja alles in Ordnung. Er bestellte sich noch einen Drink, doch eine andere Hand schob seine weg, als er bezahlen wollte und beglich stattdessen die Rechnung.
 

„Na, so ganz allein jetzt“, fragte derselbe Kerl von vorhin und ließ sich neben ihm nieder.
 

„Hör mal“, fing Daniel an und verdrehte die Augen. „Es ist nett, dass du mein Getränk bezahlt hast, aber mein Interesse ist auch nach etwas Alkohol seit vorhin nicht sprungartig gestiegen.“
 

„Nun, dein Freund ist scheinbar grad mit einem Anderen abgezischt, also warum gönnst du dir nicht auch ein bisschen Spaß.“
 

„Er ist nicht mein Freund“, gab Daniel zurück.
 

„Dann steht dem doch noch weniger im Weg“, kam die prompte Antwort. Daniel fragte sich, ob der Typ zu dämlich war oder ob er einfach nicht kapieren wollte, dass er keine Lust auf eine schnelle Nummer hatte.
 

„Hör zu“, sprach Daniel jetzt langsam und deutlich. „Ich habe einen Freund, bin also in festen Händen. Ich bin treu und habe keine Lust, mir von einem dahergelaufenen Typen, der nur seinen Trieben zu folgen scheint, in einer abgefuckten Toilette seinen Schwanz in den Arsch schieben zu lassen. Und wenn das auch noch nicht angekommen ist, dann tust du mir echt leid, denn dann weist dein Hirn scheinbar noch nicht mal die Größe einer Erbse auf.“
 

Ziemlich angepisst suchte der Kerl tatsächlich das Weite und Daniel schlürfte missmutig sein Getränk. Ehrlich, solche Typen vermiesten ihm den gesamten Abend.
 

Grinsend und mit roten Wangen trat Kai wenig später wieder zu ihm und ließ sich keuchend auf dem Hocker neben Daniel nieder.
 

„Na, hast du die Angriffe von dir abhalten können?“, meinte er kurzatmig und bestellte sich noch eine Cola, wobei er dem Barkeeper verführerisch in die Augen sah und sich kurz vorlehnte, um ihn etwas ins Ohr zu flüstern. Der junge Kerl lachte vergnügt.
 

„Kai, du alter Charmeur“, meinte er grinsend und küsste Kai auf die Wange. „Geht aufs Haus“, meinte der Barkeeper, als Kai zahlen wollte und wandte sich wieder zu seinen anderen Gästen.
 

„Was hast du ihm gesagt?“, fragte Daniel neugierig und überging Kais eben gestellte Frage. Kai grinste Daniel amüsiert an.
 

„Das ist nicht jugendfrei und auch keinesfalls für deine Ohren bestimmt“, erwiderte Kai. Schließlich ging es Daniel auch nichts an, was er dem Barkeeper ab und zu verkaufte. Kai machte da manchmal auch seine Sonderangebote, aber Daniel ging das in erster Linie nichts an. Der Barmann zwinkerte Kai noch einmal zu und der Blonde nickte zurück.
 

„Also, wie war es so ohne mich? Schon ein paar Nummern zugesteckt bekommen?“
 

„Hör bloß auf“, grummelte Daniel missgelaunt. „Der Typ von vorhin war noch mal da. Ehrlich, wie penetrant kann man sein? Hier laufen weit über hundert Kerle rum und er muss sein Glück zweimal bei demselben versuchen.“ Daniel trank den Rest seines Drinks auf Ex und bestellte sich noch einen, den er dieses Mal selbst bezahlte. Im Moment war seine Stimmung eher auf dem Nullpunkt. „Aber du scheinst dich ja recht gut amüsiert zu haben“, meinte Daniel mit einem Seitenblick auf Kais noch geöffneten Reisverschluss. „Du solltest vielleicht mal deine Hose schließen. Sieht besser aus.“
 

Lachend tat Kai, was Daniel ihm riet.
 

„Ja“, meinte der Blonde vergnügt. „Andi ist ganz unterhaltsam“, erklärte er Daniel und nippte wieder an seiner Cola. „Aber manche Kerle scheinen es schriftlich zu brauchen, wenn man ihnen eine Abfuhr verpasst, was?“ Kai nickte in die eine Ecke des Vorraumes, wo der Mittdreißiger saß und böse zu ihnen sah.
 

„Oder auf die harte Tour begleitet von ein paar unschönen Worten“, fügte Daniel an und sah ebenfalls in die Richtung, in die Kai blickte. Ihm war schon etwas unwohl, wenn er daran dachte, dass der Kerl vielleicht nicht ganz so harmlos war, wie er aussah. „Sag, wie lange willst du hier eigentlich bleiben?“, fragte er Kai etwas unbehaglich.
 

„Wir sind doch gerade erst gekommen!“, rief Kai empört. „Komm schon, du lässt dir doch von dem den Abend nicht versauen, oder? Ich pass auch auf dich auf, wenn du Angst hast“, meine Kai beschwichtigend und legte wieder vertraut seinen Arm um Daniels Taille. „Wenn du willst rede ich auch mal ein paar Takte mit dem Typ.“
 

„Ich denke nicht, dass das nötig ist“, seufzte Daniel. „Der hat seine Lektion bei mir heute wohl gelernt. Außerdem, wie willst du den ganzen Abend bei mir bleiben? Soll ich dich das nächste Mal mit auf die Toilette begleiten?“ Er grinste schief. „Danke, aber ich komm schon klar. Amüsier du dich.“
 

Kai seufzte genervt.
 

„Was soll die Lämmchenhaltung? Ich rede jetzt mit dem Kerl“, murrte Kai und stand auf. Er wollte sich von dem Mann nicht den Abend versauen lassen. Er sah es dem Mittdreißiger an, dass er sich anspannte, als Kai auf ihn zuging. Lächelnd lehnte sich Kai neben ihn an die Bar und flüsterte ihm etwas zu, als er ihm unbekümmert durch die Haare strich. Kurz wanderte der Blick des Mannes im Sichtschutz der Theke zwischen sie. Plötzlich nickte der Mann grinsend und schüttelte Kai die Hand. Nickend verabschiedete sich Kai von dem Typen und ging zurück zu Daniel.
 

„So“, meinte er entspannt und nippte an seiner Cola, während der Mittdreißiger sich an den nächsten jungen Kerl ranmachte.
 

„Wie machst du das?“, fragte Daniel erstaunt. „Jeder hier, mit dem du ein Wort wechselst, scheint dir schon nach wenigen Sekunden aus der Hand zu fressen.“ Verdattert starrte er Kai an. Das war doch nicht normal. Lernte man so was im Medizinstudium? Geschicktes Verhandeln? Er hatte gedacht das wäre etwas für die Leute, die Marketing oder Wirtschaft studierten.
 

„Mit ein bisschen Charme geht alles“, lachte Kai. „So biestig wie du immer bist, machst du die Kerle ja geradezu scharf, Danniboy“, erklärte er Daniel. Es war schon überraschend, wie der Schwarzhaarige anderen eine Abfuhr erteilte. Kai konnte sich wohl glücklich schätzen, Daniel in der Mensa begegnet zu sein. In einer Disko hätte er ihn sonst nie kennengelernt.
 

„Wenn der mich zweimal so doof von der Seite anmacht, werde ich ihm bestimmt nicht lieb anblinzelnd von mir weg komplimentieren“, erwiderte Daniel leicht gereizt. Allerdings kam er schnell von seinem Trip wieder runter. „Wie dem auch sei“, meinte er und sah Kai an. „Danke, dass du mir geholfen hast. Hast du Lust, noch ein wenig zu tanzen?“
 

Kai nickte und Daniel ließ sich dann wirklich besser gelaunt auch ein wenig mehr auf die Musik ein. Schlussendlich blieben sie noch drei Stunden ohne schwere Zwischenfälle, außer ein paar frechen Händen, die sie am Hintern betatschten. Lachend ging Kai mit Daniel am Arm aus der Diskothek. Ihre Ohren nahmen nur dumpf die plötzliche Stille um sie wahr und sie sprachen noch zu laut, als sie miteinander redeten.
 

„So, soll ich dich Heim bringen? Oder hast du noch Lust bei mir was zu trinken?“, fragte Kai, während er sich auf seine Maschine setzte und seinen Helm auf seinem Kopf befestigte.
 

„Ich schätze, wenn ich bei dir noch was trinke, komme ich nicht mehr weg, was?“, wollte Daniel grinsend wissen. Nach seinem fünften Cocktail war er schon nicht mehr wirklich nüchtern. „Immerhin wirst du dann auch was trinken und dann war es das mit Motorrad fahren.“
 

„Genau so sieht es aus“, meinte Kai grinsend und musterte Daniel genüsslich. Die roten Wangen rührten vom Alkoholkonsum her und mit der voranschreitenden Zeit an diesem Abend war Daniel auch lockerer geworden. „Ich würd dir auch das Sofa für heute leihen“, meinte Kai vergnügt und half Daniel das Kinnband seines Helmes richtig zu schließen.
 

„Na wenn du meinst“, erwiderte Daniel schulterzuckend und wartete, bis Kai vor ihm auf das Motorrad stieg und er sich an ihm festhalten konnte. „Mich erwartet ohnehin keiner und morgen habe ich nur zwei Stunden Uni am frühen Nachmittag, also kann ich mich heute nach Lust und Laune besaufen.“ Er kicherte leicht und umklammerte mit der einen Hand Kais Hosenbund, den Daumen innen an die warme Haut gepresst, da er an der Jacke keinen Halt fand.
 

Verwirrt klappte Kai sein Helmvisier herunter. Warum erwartete Daniel denn niemand? Was war denn mit seinem Freund? Es passte nicht zusammen, wenn Daniel behauptete, dass sein Freund treu wie nichts sei, sonst nichts zu tun hatte und nun nicht mal auf seinen Daniel wartete. Ihm war es egal, denn Daniel ein wenig länger bei sich zu haben hatte auch seine Vorzüge. Kai lächelte hämisch. Die warmen Finger, die sich an seiner Haut befanden, waren ein netter Vorgeschmack und Daniel schien eigentlich für vieles offen zu sein.
 

Kai fuhr an. Das Motorensummen hallte auf dem leeren Parkplatz wieder, bevor Kai sich in den kaum vorhandenen Straßenverkehr einfädelte und zurück zu sich fuhr. Daniel an seinem Rücken schmiegte sich genießerisch eng an ihn und schien diese Fahrt wirklich zu genießen. Es war fast schade, als er die Garage erreichte und Daniel absteigen musste. Leise schlichen sie sich nach oben. Wieder hielt Kai Daniels Hand, als sie endlich in seiner Wohnung waren.
 

„So, dann wollen wir doch mal schauen, was ich feiner Kerl noch so zum Trinken habe“, meinte Kai laut, schob sich die Schuhe von den Füßen und zog die Jacke von seinen Schultern, ehe er schon in die Küche und zum Kühlschrank tigerte.
 

Daniel machte es sich mal wieder in seinem fast schon Stammsessel im Wohnzimmer bequem. Ihm ging es gerade wirklich gut. Er wusste, dass er das dem Alkohol zuzuschreiben hatte. Die wenigen Male, die er schon gut angeheitert gewesen war, war es ihm genauso ergangen. Lächelnd schloss er die Augen und konnte fast noch die dumpfen Bässe der Disco hören, die durch seinen Körper pulsierten. Etwas Kaltes berührte seine Wange und Daniel schlug wieder die Augen auf. Lächelnd hielt Kai ihm eine Bierflasche hin, die Daniel dankend annahm, bevor sich der Blonde ächzend auf sein Sofa fläzte und die Füße auf den niedrigen Tisch ablegte.
 

„Ja, so ist das toll“, seufzte er zufrieden und trank von seinem Bier. „Und, was sagst du zu diesem wunderbaren Tag? Ist doch sicher besser, als die ganze Zeit zu Hause rumhängen.“ Kai musterte Daniel, wie er schief lächelnd aus der Flasche trank.
 

„Es ist auf jeden Fall eine sehr schöne Bereicherung zu meinem momentanen Tagesablauf gewesen“, gab Daniel zu und leerte sein Bier mit einem Zug bis zur Hälfte. „Aber ich glaube, wenn ich das jeden Tag mache, dann kann man mich vergessen. Besoffen zur Uni, das wäre was.“ Er kicherte wieder etwas albern. Unweigerlich kicherte Kai mit. Es war wirklich verrückt, wie normal es mit Daniel eigentlich war, obwohl Daniel zum Teil etwas verklemmt schien.
 

„Was machst du die Woche so? Triffst du dich mit deinem Freund oder können wir noch ein paar Sportarten und Diskos austesten?“
 

„Gegen andere Sportarten bin ich nicht abgeneigt, Diskos aber wohl eher nicht. Ich habe nur dienstags erst so spät Uni. Am Wochenende habe ich dann hoffentlich keine Zeit. Also nicht, dass es mir mit dir nicht gefallen würde, aber mein Freund ist im Moment leider sehr… beschäftigt“, versuchte Daniel trotz seinem sich langsam sehr schwer anfühlendem Kopf die richtigen Worte zu finden. Skeptisch zog Kai die Augenbrauen hoch. Beschäftigt also, dachte er sich misstrauisch.
 

„Wir werden sehen, wenn nicht meldest du dich einfach. Ich gebe dir nachher auch noch meine Handynummer und du mir deine. Dann ist man doch gleich viel flexibler“, meinte Kai mit einem Augenzwinkern und trank einen großzügigen Schluck von seiner Flasche.

„Aber ich dachte dein Freund arbeitet nicht?“, hakte er noch einmal interessiert nach.
 

„Nein, aber sein Bruder ist grad aus Japan zu Besuch und beansprucht verständlicher Weise viel von seiner Zeit“, meinte Daniel etwas unwirsch. Er wollte jetzt nicht an Serdall denken. Der Abend war grad so schön und die unnützen Gedanken würden ihn nur trüben. Kai nickte beeindruckt. Einen Bruder in Japan zu haben war sicherlich aufregend.
 

„Dein Freund ist schon ziemlich… krass“, meinte Kai schulterzuckend und lief noch einmal in die Küche. Er holte noch ein paar alkoholische Getränke, die sie nach und nach tranken. Nebenbei ging Kai dazu über, versaute Witze und peinliche Anekdoten von sich zu erzählen, was Daniel so zum Lachen brachte, dass er kaum mehr Luft bekam. Sehr angeheitert und ziemlich taumelnd stand Kai später auf, um auf die Toilette zu gehen. Als er wiederkam schmiss er sich rigoros auf Daniels Schoß.
 

„Boah, bin ich voll“, lallte Kai fertig. Mittlerweile hatten sie den Bierkasten geleert, den Kai noch in Reserve gehabt hatte. Daniel hatte angefangen, jetzt bei jeder Kleinigkeit vor sich hinzukichern und schien sich nicht sonderlich darum zu scheren, dass Kai es sich auf ihm bequem gemacht hatte. Im Gegenteil. Vergnügt wuschelte er Kai durch die blondierten Haare, die jetzt auf Grund des Gels in alle Richtungen abstanden, und verfiel wieder in schreckliches Kichern.
 

„Man, so besoffen war ich glaub ich noch nicht mal, als ich mit Fei den ganzen Sake geleert hatte. Zwei Sorten Alkohol scheinen zu viel für mich zu sein.“
 

„Was is‘n Sake?“, fragte Kai nuschelnd und lehnte schwach seine Wange an Daniels Brust. „Himmel, lass uns pennen gehen, sonst schlaf ich gleich hier ein“, lallte er und erhob sich wackelig von Daniel. Er streckte schwankend die Hand nach Daniel aus, um ihn aus dem Sessel zu hieven. Bei diesem Unterfangen verschätzte er sich und zog zu stark, sodass sie rücklings auf der Erde landeten, wobei Kai erschrocken schrie. Augenrollend rieb sich Kai über den Hinterkopf, auf dem er unschön gelandet war, ehe er laut loslachte. Daniel sah ihn nur bedröppelt an und ließ sich dann vollständig auf Kai sinken.
 

„Könn’ auch hier pennen“, murmelte er und schloss schon mal die Augen. „Hab ja mein Kissen.“
 

„Mir is das zu unbequem“, murrte Kai und schob Daniel von sich, um ihn dann beim Aufstehen zu helfen. Sie schafften es sogar ohne schwere Zwischenfälle bis in Kais Schlafzimmer. Obwohl es gar nicht geplant war, dass Daniel mit in Kais Bett schlafen sollte, sagte Kai nichts, als Daniel schon begann sich auszuziehen. Daniel legte sich unter die riesige Bettdecke, die ihm scheinbar einladend von Kais riesigem, spielwiesenartigem Doppelbett zuwinkte und sah ihn durch die nur noch einen Spalt weit geöffneten Augen an.
 

„Wenn du nen Problem damit hast, darfste auch auf die Couch gehen“, erklärte Daniel kackfrech. Kai lächelte verschmitzt, als er zu Daniel ging und sich zu ihm unter die Decke stieg.
 

„Und wenn du ein Problem hiermit hast“, flüsterte Kai Daniel ins Gesicht, als er die Arme um ihn schlang, „darfste auch auf der Coach schlafen.“ Seufzend kuschelte sich Kai näher an Daniel. Er wollte nur ein bisschen dessen Nähe spüren.
 

„Kai“, murrte Daniel, tat aber nichts weiter gegen Kais plötzliche Nähe. Stattdessen rutschte er selbst noch ein Stück näher auf ihn zu. „Endlich mal wieder warm beim Schlafen“, seufzte er glücklich und legte seinen Kopf auf Kais Schulter.
 

Sanft ließ Kai seine Finger an Daniels Nacken entlang und über die Schulterblätter streichen. Der Schwarzhaarige in seinen Armen seufzte zufrieden und Kai lief dabei ein warmer Schauer über den Rücken. Versonnen lächelnd, hob Kai Daniels Kinn an und sah ihm in die verschleierten, himmelblauen Augen. Ohne nachzudenken legte Kai seine Lippen auf Daniels Mund und begann ihn zärtlich zu küssen. Einige Zeit bewegte sich Daniel nicht und ließ Kai reglos machen. Sein Gehirn schien sich abgeschaltet zu haben und sendete nur noch nicht zusammenhängende Teilinformationen. Schließlich öffnete Daniel skeptisch die Augen und sah Kai fragend an.
 

„Warum küsst du mich?“
 

„Einfach weil ich Lust zu hab. Steckt nichts dahinter, Dan“, lallte Kai und ließ verspielt seine Zunge über Daniels rote Unterlippe gleiten. „Kannst auch mitmachen“, murmelte Kai noch, bevor er seine Zunge in Daniels Mund schob und ihn tief zu küssen begann.
 

Erst blieb Daniel ziemlich bewegungslos auf dem Rücken liegen. Kai war schon ulkig. Er küsste andere Leute, weil er Bock dazu hatte. Seltsam. Daniel überlegte kurz. Eigentlich hatte er auch ziemlich Lust, rumzuknutschen. Er hatte schon lange keinen mehr geküsst. Etwas versuchte sich am Rand seines Bewusstseins Gehör zu verschaffen, doch Daniel war es ein Leichtes, dieses Etwas mit Hilfe des Dunstes aus Alkohol zu verdrängen. Er schlang seine Arme um Kai und erwiderte den Kuss. Heiß umfuhren sich ihre Zungen und Daniel fühlte Kais heißen Atem in seinem Mund. Leise keuchte er auf. Das, was er hier geboten bekam, war wahrlich nicht schlecht.
 

Kai schickte seine Hände über Daniels Brustkorb, während er leicht an Daniels Unterlippe saugte. Es war eine willkommene Abwechslung, dass Daniel sich wirklich als erfahrener Küsser bewies. In diesem Moment war Kai alles egal, besonders dass Daniel eigentlich einen festen Freund hatte. Es verursachte ein leises Bauchziehen in ihm, als Daniel genüsslich stöhnte. Himmel, hatte der Kleine eine erotische Stimme. Seufzend ließ Kai seine Hand unter den Bund von Daniels Short gleiten und nach dessen Glied tasten. Doch Kai wurde von Daniels Hand, die zu seiner hinabgeschnellt war, als er sein Ziel noch nicht mal erreicht hatte, aufgehalten. Daniel löste sich aus ihrem Kuss.
 

„Nicht“, nuschelte er. „Ich bin müde. Außerdem ist das nicht richtig. Irgendwie.“ Zwar hatte Daniel gerade keine Ahnung, warum er vor allem die letzten Worte gesagt hatte, da seine Gedanken scheinbar keine zwei Sekunden an einer Sache festhalten konnten, aber dass Kai versuchte, ihn zu irgendwas herumzukriegen, war falsch. Das war ihm seltsamerweise mit aller Klarheit bewusst. Kai nickte.
 

„Hast recht“, murmelte er und ließ seinen Kopf in Daniels Halsbeuge fallen, als er seine Hand zurück nach oben zog. „Ich bin auch schrecklich fertig“, lallte Kai noch und schloss die Augen. „Du kannst trotzdem verdammt gut küssen“, flüsterte er noch, ehe er die Decke höher über sie beide zog und einen Arm um Daniel legte. „Nacht.“
 

Komisch, dachte sich Daniel. Er konnte sich nicht erklären, woher diese riesige Woge Erleichterung kam, die ihn durchflutete.
 

„Nacht“, erwiderte er, anstatt sich darüber noch weitere Gedanken zu machen und schloss die Augen. Keine zwei Minuten später war er schon eingeschlafen.
 

Grinsend schickte Kai noch einmal seine Hände in Daniels Schoß und hob die Decke über ihnen an. Im Schein der Nachttischlampe besah er sich Daniels Penis, ehe er die Shorts wieder zurecht zog.
 

„Rasieren könnteste dich wirklich“, murrte Kai und schaltete die Nachttischlampe aus. Seufzend schmiegte er sich wieder an Daniel und schloss genüsslich die Augen.
 


 

Blinzelnd schlug Daniel die Augen auf und schloss sie stöhnend wieder, als grelle Sonnenstrahlen ihn blendeten und seinen Kopf fast zersprengten. Fluchend tastete er nach links, in der Hoffnung, auf Serdalls Nachtschrank die Fernbedienung greifen zu können, mit der er die Jalousien herunterlassen konnte, ohne extra aufstehen zu müssen. Doch statt wie erwartet das schwarze Holz fuhren seine Finger auf warmer Haut entlang. Seltsam. Normal lag Serdall doch immer auf der rechten Seite.
 

Testend öffnete Daniel sein linkes Auge einen Spalt breit. Er brauchte einen Moment, bevor er seine Umgebung scharf sah, doch auch ohne verschwommenen Nebel vor den Augen waren die Haare der Person neben ihm blond und nicht schwarz. Geschockt fuhr Daniel auf und schrie gequält, als sein Schädel zu zerspringen drohte. Erinnerungsfetzen von gestern fuhren vor seinem inneren Auge entlang. Er und Kai in der Mensa, beim Tennis, in der Wohnung und der Disko, auf dem Motorrad und wieder in Kais Wohnung im Wohnzimmer. Und dann?
 

„Wach auf“, rief Daniel leicht panisch und stieß Kai an. Zwar war er noch mit Shorts bekleidet, aber allein die Tatsache, dass er in Kais Bett lag, war für ihn schon schlimm genug und bedurfte wirklich einer Erklärung. Wiederwillig hob Kai seinen Kopf und gähnte laut.
 

„Was ist denn“, murrte Kai und drehte sich nun auf den Rücken, wobei er gequält seinen Arm über die Augen legte. „Brennt es irgendwo?“
 

„Irgendwo bestimmt“, erwiderte Daniel sarkastisch. „Was mache ich hier in deinem Bett? Wir haben doch nicht…? Nein, das würde ich garantiert auch nicht mit zwei Promille im Blut machen. Aber warum bin ich hier?“
 

„Man, Dan“, murrte Kai und drehte sich wieder auf den Bauch, weil er so besser sein Gesicht vor der Helligkeit abschirmen konnte. „Keine Ahnung warum du hier bist“, knurrte Kai, weil er einen Kater hatte. „Wahrscheinlich war ich zu voll, um dir das Sofa zu beziehen oder so.“
 

„Du hast also auch keine Ahnung mehr, was gestern noch passiert ist?“, wimmerte Daniel leidlich. Serdall würde ihn schon dafür köpfen, dass er mit einem anderen Typen in einem Bett geschlafen hatte. Wenn sich herausstellte, dass Kai ihn auch nur mit dem kleinen Finger berührt hatte, würde er aus zumindest einem von ihnen Hackfleisch machen.
 

„Lass mich erst mal wach werden“, murmelte Kai und öffnete nun gewaltsam seine Augen, um zu Daniel zu sehen. Er musste scharf nachdenken. Es wäre nicht sehr vorteilhaft, wenn er Daniel von den Küssen erzählen würde, denn so wie Daniel aussah, befürchtete er das Schlimmste und das wäre wohl fatal. „Also, soweit ich weiß sind wir, nach dem wir viel zu viel gesoffen haben, ins Schlafzimmer gegangen und todmüde und total voll eingeschlafen. Na ja“, setzte Kai noch an, „ich glaube, ich hab mich etwas zu sehr an dich angeschmiegt, sorry deswegen. Aber sonst war nichts“, log Kai ohne rot zu werden. Schließlich wollte er mit Daniel noch ein paar lustige Abende verbringen und es kam ihm sehr gelegen, dass der Schwarzhaarige sich nicht mehr erinnern konnte.
 

„Ehrlich?“, fragte Daniel lieber noch mal nach, doch nachdem Kai wiederholt genickt hatte, entspannte er sich. „Gott sei Dank“, flüsterte er und ließ sich wieder zurück ins Bett fallen. Sein Kopf dankte ihm diese ruckartige Bewegung mit einem Schmerz, als wäre ihm mit dem Hammer eins übergezogen worden. Schmerzvoll stöhnte Daniel auf. „Scheiß auf die Uni. Wen interessieren die zwei Stunden?“, wimmerte er und zog sich die Decke über den Kopf. Wenn er wieder aufwachte, war der Schmerz hoffentlich weg. Kai lachte leise und schloss auch wieder die Augen.
 

„Ja, scheiß auf meine acht Stunden heute.“ Kai warf noch einen Blick auf die Uhr, die schon halb elf zeigte. „Hab eh schon verpennt“, maulte er und tat es Daniel nach und zog seine Decke über den Kopf. Sein Freund Kalle würde ihn schon bei den Vorlesungen, die er verpasste, einschreiben.
 

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Starr sah Serdall zum Balkon heraus. Er saß mit dem Rücken an sein Bett gelehnt und ignorierte seine Umwelt. Yoshiko hatte es irgendwann aufgegeben mit ihm zu reden, als er ihr nicht geantwortet hatte, was Serdall sehr begrüßte. In ihm gähnte eine schmerzende Leere und schien sich nicht mehr vertreiben zu lassen. Seine Gedanken drehten sich nur noch um Feis Worte. Daniel hatte ihn benutzt. Hatte er es wirklich? Serdall wusste es nicht. Er hatte einfach nur eine schreckliche Angst, dass es wahr war. Was sah Daniel ihn ihm? Liebte er ihn? Serdall war eigentlich überzeugt von Daniels Liebe, doch in welche Verhältnisse Fei Daniels Liebe gestellt hatte, bereitete Serdall Magenschmerzen. Daniel hatte ihn jedoch nie um etwas gebeten, sich nie etwas gewünscht, was Serdall ihm kaufen sollte. Doch Serdall hatte ihm jeden Wunsch von den Lippen abgelesen, egal ob es Daniel nicht gesagt hatte. Hatte sein Freund darauf hingearbeitet? Um ihn so auszunutzen?
 

Serdalls Finger gruben sich in sein eigenes Shirt, direkt über seinen Bauch, der ihn rumorend zu peinigen begann. Wenn Daniel wirklich diese Hintergedanken gehabt hatte, dann… Serdall wusste nicht was dann. Es brachte ihn fast um, dass Daniel womöglich nur all die Dinge um ihn herum liebte, aber ihn nicht wirklich. Keuchend schloss Serdall die Augen. Das war die Hölle. Sein ganzer Körper rebellierte und jeder Muskel schien in ihm zu verkrampfen.
 

„Er liebt mich“, flüsterte Serdall fest und versuchte die Schmerzen in sich zu unterdrücken. Die Zeit mit Daniel konnte einfach nicht gelogen sein. Matt ließ er einen Arm auf das Bett gleiten und zog sich das Kopfkissen heran, welches er sich auf den Bauch legte und das er dann fest umklammerte, während sein Blick weiterhin starr aus dem Fenster ging, hinaus auf den grauen Himmel.
 


 

Betrübt sah Yoshiko aus dem Fenster der Küche und starrte ebenfalls in den tristen Himmel. Die Stimmung in diesem Haus konnte man bestenfalls als gedrückt und teilweise gereizt bezeichnen. Nach dem angeblichen Gespräch, das sich von oben eher wie ein saftiger Streit angehört hatte, redeten Serdall und der Oyabun nur noch das Nötigste miteinander. Stattdessen verkroch sich Serdall in seinem Zimmer und litt scheinbar stumm vor sich hin, während der Oyabun fast den ganzen Tag am Telefonieren war und versuchte, das geplatzte Geschäft mit anderen Sachen wieder aufzufangen.
 

Wenigstens war Dustin da, mit dem sich Yoshiko irgendwie angefreundet hatte. Zumindest redeten sie ab und an. Er war eigentlich der einzige in diesem Haus, mit dem sie sich regelmäßig unterhielt. Gut, Taki kam auch manchmal zu ihr, aber die trübe Stimmung seines Vaters wirkte sich auch auf ihn aus und so blieb auch er in letzter Zeit viel allein in seinem Zimmer.
 

Seufzend wandte sich Yoshiko von dem düsteren Bild vor sich ab und ging durch die Küche zum Herd. Ihr kam es so vor, als würde sie den ganzen Tag nichts anderes machen als zu kochen und zu lesen. Langsam war sie es satt und das schon nach nur wenigen Tagen. Sie kam sich eingesperrt vor und wusste, dass sie das auch in gewisser Hinsicht war. Jemand betrat den Raum und sie stellte freudig fest, dass es sich um Dustin handelte.
 

„Hey“, begrüßte sie ihn.
 

„Na“, meinte Dustin mit einem schiefen Lächeln, das ihm auch sogleich aus dem Gesicht wich. Er setzte sich ermattet neben Yoshiko an den Tisch und stützte den Kopf in die Hände. „Serdall muss Daniel so schnell wie möglich sehen“, meinte er geradeheraus und sah stur auf die Tischplatte.
 

„Ja, momentan ist er einfach unerträglich. Wobei, er versucht eben einfach die ganze Zeit für sich allein zu sein und ignoriert alles um sich herum. Aber genau das ist es, was mich so nervt. Ich habe keine Ahnung, um was es in dem Streit letztens ging, aber scheinbar hat es ihm einen gehörigen Dämpfer gegeben. Ich gebe dir vollkommen recht, dass die einzige Möglichkeit, ihn wieder aus seinem Tief herauszuziehen, ein Treffen mit Daniel wäre.“ Sie setzte sich zu Dustin und sah ihn ernst an. „Also machen wir das mit dem Scheindate? Du lenkst Kikuchi irgendwie ab und ich überrede den Oyabun, dass Serdall momentan scheinbar so psychisch labil ist, dass er auf mein Werben anspringen wird."
 

„Je eher, desto besser. Ich glaube Serdall ist wieder an dem Punkt angelangt, an dem er alles mit Daniel anzweifelt. Echt“, Dustin seufzte schwer und strich sich fahrig durch die blonden Haare, „ohne Daniel kann der Kerl nicht leben. Kaum ist Dan weg, geht der ganze Mist von damals scheinbar wieder los. Das letzte Mal, als ich Al so gesehen habe, ist er eine Woche später im Krankenhaus gelandet“, beichtete Dustin seine Sorgen. Serdall konnte man im Moment ziemlich leicht mit einer Kalkwand verwechseln, von der Hautfarbe her. Und auch seine Stimmung schien nur noch aus Apathie zu bestehen und das bereitete Dustin nicht nur ungemeine Sorgen, sondern auch eine ziemliche Angst. Serdalls Kopf schien wieder Amok zu laufen und das war in dieser Situation sehr unpassend, da Fei scheinbar sehr zufrieden damit war, dass Serdall keinerlei Diskussion mehr anfing.
 

Yoshiko nickte entschieden. Sie kannte Serdall zwar fast gar nicht, aber selbst ihr war aufgefallen, dass er langsam aber sicher zusammenzubrechen schein. Schon früher hatte er nicht viel gegessen, doch seit gestern rührte er eigentlich gar nichts an, wenn man ihn nicht dazu zwang. Kein Wunder, dass er das eine Mal scheinbar im Krankenhaus gelandet war.
 

„Okay. Dann werde ich gleich mal ins Wohnzimmer zum Oyabun gehen und ihn um die Erlaubnis bitten, morgen mit Serdall auszugehen. Und du bist dir sicher, dass du Kikuchi auf den letzten Drücker davon abhalten kannst, uns zu begleiten oder zu folgen?“
 

Dustin grinste nun versaut. Er hatte mit Ethan schon darüber gesprochen und es stand ihrem Unterfangen nichts im Wege. Kikuchi musterte sie ständig ziemlich eindeutig und Ethan hatte zugestimmt. Ihr Plan würde aufgehen und alles würde wunderbar werden.
 

„Aber sicher doch“, erwiderte Dustin überzeugt. „Es liegt nur noch an Feis Zustimmung und daran, ob Serdall mitgeht.“
 

„Gut“, meinte Yoshiko ziemlich skeptisch. Wollte sie wissen, was Dustin geplant hatte? Nein, wohl eher nicht. So wie er dreinsah, war es etwas, von dem sie ohnehin keine Ahnung hatte und das ihre innerliche Ausgeglichenheit wohl ziemlich ins Wanken bringen würde. „Nun, drück mir die Daumen“, sagte sie nach kurzer Zeit des Schweigens und ging dann in Richtung Wohnzimmer. Fei telefonierte mal wieder und schielte nur kurz aus den Augenwinkeln zu ihr, bevor er sich wieder seinem Gesprächspartner zuwandte. Yoshiko wartete einige Zeit geduldig, bis er aufgelegt hatte. Fei richtete seine braunen Augen auf sie und lehnte sich zurück.
 

„Hast du etwas auf dem Herzen, Yoshiko?“, fragte er sie freundlich und nahm sich kurz für sie Zeit. Langsam entspannte sich die Situation in Japan wieder und so war Fei auch nicht mehr so missgestimmt.
 

„Ich wollte Sie bitten mir zu erlauben, morgen mit Serdall auszugehen“, kam Yoshiko gleich zum Punkt und trat etwas weiter auf Fei zu. Sie versuchte ihre Miene so neutral wie möglich werden zu lassen und hoffte, dass er nicht dahinter sehen konnte. Überrascht zog Fei eine Augenbraue nach oben.
 

„Er scheint davon momentan eher nicht angetan zu sein. Zumindest sieht Serdall nicht so aus, als ob er in der Lage wäre, mit die vernünftig auszugehen“, erwiderte Fei spitz und verschränkte die Arme. „Aber, wenn er mich darum bitten würde, wäre ich natürlich sehr großzügig, ihm diese Bitte zu gewähren.“
 

„Ich denke nicht, dass er Sie darum bitten würde“, erwiderte Yoshiko freudlos und sah Fei jetzt ziemlich direkt an. „Es ist tatsächlich deutlich zu erkennen, dass er im Moment eher nicht freudig durch die Gegend springt. Das ist auch in erster Linie der Grund, weswegen ich Sie darauf anspreche. Ich weiß nicht, was Sie ihm vor ein paar Tagen gesagt haben, aber es scheint ihn nachdenklich und angreifbar gemacht zu haben. Wenn er jetzt mit mir ausgehen würde, wäre vielleicht eine gute Gelegenheit gekommen, um mich ihm zu nähern. Denn dort kann er sich nicht verkriechen.“
 

Erstaunt sah Fei Yoshiko an, ehe er selbstzufrieden lächelte. Sie schien ihre Chance zu sehen, seinen Bruder endlich von ihren Qualitäten zu überzeugen. Mittlerweile hatte Fei daran gezweifelt, ob sie überhaupt wirkliches Interesse an Serdall hatte, doch nun war er wirklich zufrieden.
 

„Das wäre vielleicht keine schlechte Idee“, überlegte Fei nun laut. „Er scheint langsam einzusehen, was Daniel eigentlich in ihm sieht und ich denke, dass du ihm in seinem freien Fall bremsen solltest. Schließlich schadet er sich im Moment nur selbst“, gab Fei zu bedenken. „Also gut“, meinte er großzügig, „morgen dann. Und ich will einen Erfolgsbericht hören, Yoshiko“, sagte er scharf und sah ihr gnadenlos in die Augen. Langsam war seine Geduld mit Serdall auch auf ein Mindestmaß herunter geschraubt.
 

„Natürlich“, bestätigte Yoshiko, verbeugte sich leicht und ging wieder zur Küche. Bei dem Blick waren ihr sämtliche Nervenbahnen im Körper gefroren. Wenn ihr Plan misslang und der Oyabun etwas mitbekam, dann würde sie leiden, soviel war sicher. Allerdings konnte sie jetzt auch nicht mehr zurück und wenn Dustin Kikuchi tatsächlich zurückhalten konnte, würde sie keiner sehen, der sie verraten konnte. Sollte Kikuchi wider erwarten mitkommen, dann taten Serdall und sie eben so, als würden sie tatsächlich auf ein Date gehen. Sie musste ihn noch einweihen.
 

In der Küche nickte sie Dustin einmal knapp zu zum Zeichen, dass ihr Plan anlaufen würde. Es wäre verdächtig, wenn sie gleich nach ihrem Gespräch mit dem Oyabun einen leisen Plausch mit ihm halten würde. Vor allem, falls der Oyabun sie eventuell noch skeptisch belauschen würde. Stattdessen ging sie einfach aus der anderen Tür wieder hinaus und machte sich auf den Weg nach oben zu Serdall. Einmal tief durchatmend, weil jedes Gespräch mit ihm im Moment nur eine Qual war, klopfte Yoshiko leise an und trat dann ins Zimmer.
 

„Serdall?“, fragte sie vorsichtig.
 

Jener reagierte nicht auf Yoshiko. Er starrte nur weiter in seinen Gedanken verloren hinaus auf den aschgrauen Himmel. In ihm wirbelten nur noch dieselben Fragen und er hatte kein gesteigertes Interesse, sich mit irgendjemandem zu unterhalten. Er wollte die Zeit zurückdrehen. Zurück, wo er sich noch nicht solche fatalen Gedanken gemachte hatte. Serdall griff unweigerlich fester in das Kissen, welches an seinem Bauch ruhte und zog die Beine enger an seinen Körper.
 

Seufzend setzte sich Yoshiko zu ihm auf das Bett. Dustin hatte Recht. Wenn Serdall so weitermachte, wäre die nächste Konsequenz wohl das Krankenhaus. Kein Essen, keine Bewegung, wer brach da nicht nach ein paar Tagen zusammen?
 

„Wenn du magst, gehen wir Daniel morgen besuchen“, spielte sie gleich als erstes ihren Trumpf aus und wartete gespannt darauf, wie Serdall reagieren würde.
 

Nicht verstehend verzog Serdall die Augenbrauen, sah jedoch immer noch nicht zu Yoshiko. Wie sollten sie denn Daniel besuchen? Wollte er überhaupt Daniel besuchen? Was wenn er wirklich plötzlich merkte, dass Fei ihm die Augen geöffnet hatte? Dass Daniel ihn nicht wirklich liebte? Serdall lehnte seine Stirn an seine eigenen Knie. Er begann bei diesen Gedanken leicht zu zittern und keuchte unterdrückt. Pure Angst lief durch seinen Körper. Er fürchtete sich vor der vermeintlichen Wahrheit.
 

„Ich will nicht“, flüsterte er schwach.
 

„Was soll das heißen, du willst nicht?“, fragte Yoshiko perplex. Sie hätte erwartet, dass Serdall durch diese Neuigkeit aus seinem Loch hervorkommen und sich mal wieder freuen würde, stattdessen schien ihn die Aussicht, Daniel zu treffen, total abzuschrecken. Yoshiko runzelte die Stirn. Sie hatte da so einen Verdacht. „Was hat dein Bruder dir gesagt?“, wollte sie harsch wissen und griff Serdall recht hart an den Schultern, während sie sich vor ihn stellte.
 

Serdall sah ihr emotionslos ins Gesicht. Seine Augen waren glanzlos, als er sie wieder abwandte und gen Boden blickte.
 

„Lass mich los, Yoshiko“, murmelte er leise und wartete bis sie es tat, ehe er leise mit ihr sprach. „Fei hat mir die Augen geöffnet“, erklärte er ihr, brach dann jedoch ab. Er wollte mit ihr nicht darüber reden. Er war sich ja noch nicht einmal selbst im Klaren darüber, was er denken sollte.
 

„Inwiefern die Augen geöffnet?“ Yoshiko behielt zwar ihre Hände bei sich, starrte Serdall dafür allerdings in Grund und Boden. Ihre Stimme war schneidend. Er liebte Daniel über alles, war vollends am Boden zerstört, weil er ihn nicht mehr sehen konnte und ließ sich von seinem Bruder irgendeinen Schund einreden? „Hast du eingesehen, dass der einzige Weg, eine glückliche Beziehung zu führen, der ist, eine Frau statt einen Mann zu wählen? Oder meinte er, dass Daniel nicht gut genug für dich ist?“
 

Serdall atmete tief durch, ehe er zu einer Antwort ansetzte.
 

„Wenn Daniel nicht gut genug wäre, wäre es mir egal“, zischte Serdall nun mit leichter Wut in der Stimme. „Alles wäre mir egal, ob Daniel dumm oder todsterbenskrank wäre“, fauchte er weiter. Er hob seinen Kopf und sah ihr traurig in die Augen. „Das alles wäre mir gleich, wenn er mich lieben würde“, meinte Serdall leise und ließ seine Stirn wieder auf seine Knie fallen. „Er liebt mich nicht, Yoshiko“, murmelte Serdall abwesend und verkrampfte sich augenblicklich.
 

Ende Kapitel 7

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

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Kapitel 10
 

Serdall durchfuhr ein Schock. Wie, er wusste alles? Der Oyabun erhob sich. Sein Gesicht war eine Maske der Verachtung, die sich direkt auf Serdalls Antlitz richtete. Leicht nur schüttelte Fei abwertend den Kopf, ehe er Serdall in die Augen sah.
 

„Ein Hotel, nicht wahr? Du hast mich belogen. Ihr beide habt mich belogen“, zischte Fei und nickte kurz. Kikuchi packte Yoshiko am Arm und hielt sie kurz still. „Dein Vater ist informiert. Dein Flug zurück nach Japan geht im Morgengrauen. Jetzt geh mir aus den Augen. Eine schallende Ohrfeige traf Yoshikos Gesicht hart und warf ihren Kopf durch die heftige Wucht in die andere Richtung. Wieder nickte Fei und Kikuchi zerrte Yoshiko aus dem Wohnzimmer.
 

Serdall konnte nur starr alles mit ansehen. Er hatte eingreifen wollen, als Fei die Japanerin geschlagen hatte, doch keiner seiner Muskeln wollte sich bewegen. Er war wie gelähmt. Nur ein einziger Gedanke waberte wie ätzende Säure durch seinen Kopf hindurch. Er wird Daniel töten lassen.
 

Angewidert zog Fei die Oberlippe nach oben, als er vor Serdall trat und ihm kalt in die vor Schock geweiteten Augen sah.
 

„Du hast verspielt, Serdall“, flüsterte Fei geringschätzig und strich gespielt sanft eine Haarsträhne aus seiner Stirn. „Deine Strafe kannst du dir denken, nicht wahr?“, hauchte Fei an seinem Ohr. „Das war es. Daniel lebt keine Stunde mehr“, flüsterte er emotionslos.
 

Serdalls Augen weiteten sich noch mehr. Plötzlich sah er das tote, blanke Gesicht von Daniel vor seinem inneren Auge, dieses Gesicht, welches ihn in seinen Träumen zusammen mit Louises heimgesucht hatte. Es war so, als ob ein Schalter in ihm umgelegt wurde. Nichts war plötzlich mehr da, er handelte nur noch. Schneller als Fei reagieren konnte, landete Serdalls Faust in seinem Gesicht und er ging krachend zu Boden. Sofort hechtete Serdall auf ihn und ein wahrer Fausthagel ging auf Fei nieder, bei dem Fei es kaum schaffte, sein Gesicht zu schützen. Blut quoll aus seinem Mund, als Serdall ihm einen direkten Schlag auf die Zähne versetzte. Serdall lächelte sadistisch in Feis Gesicht und beugte sich zu ihm hinunter.
 

„Ich hasse dich“, wisperte er ihm zu und ließ wieder einen Faustschlag auf Feis Jochbein niedersausen. In Serdall herrschte ein quälendes Nichts. Er dachte nicht mehr nach, er schlug einfach auf seinen Bruder ein. „Ich töte dich, wenn du Daniel ein Haar krümmst“, zischte er im nächsten Moment, zog an Feis braunen Haaren und rammte den Kopf zurück auf den Boden. Fei stöhnte vor Schmerz und schien kaum reagieren zu können. Serdall saß auf ihm, nahm ihm die Bewegungsfreiheit effektiv und immer wieder landeten Serdalls schmalen Hände kraftvoll in Feis Gesicht, das mittlerweile blutverschmiert und geschwollen war.
 

Serdall nahm instinktiv wahr, dass Kikuchi plötzlich hinter ihm stand. Als der Assassine ihn vom Oyabun herunter zerren wollte, holte Serdall unerwartet mit dem Ellenbogen aus und brach Kikuchi knirschend die Nase, ehe er sich nach hinten lehnte und Kikuchi kraftvoll gegen die Kniekehle schlug, sodass er das Gleichgewicht verlor und zu Boden ging. Wie von Sinnen wandte sich Serdall wieder Fei zu und sah wutverzerrt zu ihm hinab.
 

„Du nimmst mir Daniel nicht“, fauchte er wütend und stand von Fei auf, um ihm einen Tritt gegen die Seite zu verpassen. Immer noch war sein Kopf wie ausgeschaltet, als er sich Kikuchi zuwandte, der wieder aufstehen wollte. Er hielt irgendetwas in der Hand und Serdall sah erschrocken, dass es eines dieser Mini-Funkgeräte war. Kikuchi rief die Bodyguards von Fei.
 

Der Assassine nutzte diese Chance, als Serdall ungläubig zu ihm sah, und versetzte ihm einen gezielten Tritt aus einer Drehung heraus, der Serdall einen Meter weit zurück schleuderte und keuchend auf dem Teppich niedergehen ließ. Kikuchi zögerte nicht. Er ging, trotz heftig blutender Nase, geübt auf Serdall zu, drehte ihn auf den Bauch und fixierte seine Hände auf dem Rücken. Feis Leibwächter kamen in diesem Moment ebenfalls hereingestürmt und halfen dem Oyabun in einen Sessel. Sogleich hielt man Fei eines der Badhandtücher hin. Mittlerweile war jedoch Feis gesamtes weißes Hemd an der Brust dunkelrot gefärbt.
 

Fassungslos sah der Oyabun zu seinem Bruder, der sich wie ein Berserker unter Kikuchi wand. Er hätte nie erwartet, dass Serdall so sein konnte. Feis gesamtes Gesicht pochte vor stechendem Schmerz und er schien aus jeder Pore zu bluten. Er sah zu Serdalls schmalen Händen. Entsetzt sah er all das Blut, das daran klebte, das wohl nicht nur Feis war. Was war nur in Serdall gefahren? Wütend schickte Fei seine Leibwächter zu Serdall, die ihn an beiden Armen in die Knie hoben. Kikuchi nahm sich kurz eine Pause und keuchte unterdrückt. Seine Nase tropfte heftig, doch er kümmerte sich nicht darum, auch nicht darum, dass überall auf dem beigen Teppich Blutspritzer verteilt waren. Serdall warf den Kopf hin und her und versuchte sich aus dem Griff der Leibwächter zu lösen.
 

Fei konnte es immer noch nicht wirklich fassen, was für eine Kraft und Ruchlosigkeit in Serdall steckte. Die eigene Hand gegen den Bruder zu erheben! Sich so heftig mit ihm zu schlagen! Fei hätte nie geahnt, dass Serdall überhaupt dazu in der Lage war, so auszurasten. Hart wischte er sich mit dem Handtuch über sein schmerzendes Gesicht und streckte dann die flache Hand zu Kikuchi aus. Ergeben senkte Kikuchi den Kopf und holte seine Waffe aus der Halterung unter seinem Arm. Knackend entsicherte Fei die schwarze neun Millimeter und stand dann wackelig auf, um zu Serdall zu gehen. Kalten Blickes hielt er den Lauf an Serdalls Schläfe. Die blaugrünen Augen seines Bruders richteten sich hasserfüllt auf ihn und Serdall drückte seinen Kopf gegen das kühle Metall.
 

„Na los, knall mich ab, großer Oyabun. Bring deinen eigenen Bruder um“, zischte er Fei entgegen und erntete dafür einen Faustschlag von Fei höchstpersönlich.
 

„Besinn dich Serdall“, sagte Fei viel zu ruhig. Er war immer noch geschockt von dem, was sein Bruder gerade getan hatte. Seine eigene Beherrschung zwang Fei zur Ruhe, sonst würde er seinen Bruder womöglich wirklich einfach erschießen.
 

Fei ging vor Serdall in die Hocke und sah ihm fragend ins Gesicht. All die Wut, die darin geschrieben war, galt ganz allein ihm. Er verstand es nicht. Warum war Daniel Serdall nur so viel wert?
 

„Glaubst du, diese Aktion hätte deine Situation verbessert?“, fragte Fei kalt. Serdall lachte plötzlich emotionslos auf, erwiderte jedoch nichts, sah Fei stattdessen einfach nur rasend vor Wut an. „Ich werde Daniel höchstpersönlich töten, Serdall“, flüsterte Fei gnadenlos. All dieser Wahnsinn, den Serdall beging, hatte die Ursache in diesem widerlichen Mann und Fei konnte das nicht länger dulden. Serdall ruckte wieder heftig an den Händen, die ihn schmerzhaft festhielten.
 

„Töte lieber mich“, zischte Serdall. Fei lachte auf, musste jedoch ein schmerzliches Zischen unterdrücken bei den Stichen, die quälend durch sein Gesicht rannen. Sein Bruder war wirklich gerade nicht bei Sinnen.
 

„Nein, ich werde dich zusehen lassen, wie ich ihm das Gehirn weg puste“, flüsterte Fei. Entsetzt sah er dabei zu, wie Serdall plötzlich alle Kraft aus den Gliedern wich. Ein Wimmern drang aus Serdalls Kehle und der Oyabun konnte nur ratlos auf seinen Bruder starren. Was war denn verdammt noch mal nur in ihn gefahren? Auch Kikuchi sah ziemlich perplex auf den Bruder von Fei und konnte ein abwertendes Schnauben nicht verhindern, was sofort Feis wütenden Blick heraufbeschwor.
 

„Bitte“, hauchte Serdall plötzlich kraftlos. „Ich tue alles was du willst, nur lass ihn leben.“
 

Feis Augen wurden schmal. Sollte er Serdall wirklich noch einmal eine Chance geben? Tot würde Serdall ihm nichts bringen und wenn er Daniel tötete, würde Serdall womöglich noch schlimmer ausflippen als jetzt. Fei wollte doch nichts, außer dass sein Bruder zur Vernunft kam. Fei nickte nach einer Weile. Er konnte nicht den Letzten seiner Familie töten. Schon genug Unglück war über die Familie der Agamies hinein gebrochen, ein Brudermord musste sich nicht auch noch an die Liste anfügen.
 

„Das ist wirklich deine allerletzte Chance, Serdall. Du trennst dich endgültig von Daniel und heiratest eine Frau meiner Wahl. Die Hochzeit setze ich auf nächste Woche Freitag“, bestimmte Fei ruhig und sah emotionslos, wie Tränen über Serdalls Wangen rannen. Solch eine Schwäche nach diesem Ausbruch… Serdall war ihm wirklich ein absolutes Rätsel im Moment. Dennoch nickte Serdall und stimmte so den Bedingungen zu. „Schwöre, dass du alles tun wirst, was ich von dir verlange!“, forderte Fei kalt und packte Serdall beim Kinn. Er konnte regelrecht sehen, wie Serdall mit sich zu kämpfen schien, doch wieder nickte Serdall im nächsten Moment.
 

„Ich schwöre es dir. Und du versprichst, Daniel Erhard nichts anzutun“, erwiderte Serdall leise und brüchig. Fei schnaubte verächtlich.
 

„Ich verspreche es dir“, antwortete Fei er erhob sich dann wieder aus seiner hockenden Position. Fei nickte zu seinen Leibwächtern, die Serdall daraufhin losließen. Serdall würde sein Wort halten, denn diesmal gab es wirklich kein Zurück. „Geh auf dein Zimmer“, wies Fei ihn an. Er hatte heute genug von seinem Bruder. Serdall nickte ergeben und kämpfte sich kraftlos in die Höhe, ehe er den Raum verließ.
 

Fei indes ging zu Serdalls Barschrank und nahm sich die halbvolle Flasche Scotch, die er sich sofort an die Lippen setzte und mit großen Schlucken aus ihr trank. Dieser Abend würde für ihn unvergesslich bleiben.
 


 

Yoshiko blickte auf, als Serdall den Raum betrat. Schnell wischte sie sich über ihre tränennassen Augen, doch sofort rannen neue Tränen aus ihnen hervor. Sie stand von ihrem Bett auf, lief auf Serdall zu und umarmte ihn.
 

„Es tut mir leid“, schluchzte sie erstickt. „Es war meine Idee. Ich habe gesagt, dass ich für alle Eventualitäten gesorgt habe, dass alles in Ordnung geht. Entschuldige.“
 

Zitternd löste sie sich von Serdall, der einfach steif dort gestanden und sich nicht geregt hatte. Yoshiko betrachtete ihn sich näher. Ihr Blick glitt über das ebenfalls von Tränen gezeichnete Gesicht hin zu den verletzten Händen. Leicht geschockt sah sie Serdall an und schob ihn dann ins Badezimmer, wo sie zumindest die Hände von dem Blut reinigte und mit Pflastern versah.
 

Gemeinsam gingen sie wieder zurück ins Schlafzimmer, besser gesagt ging Yoshiko und sorgte dafür, dass Serdall mit ihr kam und sich auf sein Bett setzte. Im Moment war ihr ihre eigene schmerzende Wange egal, an der sich durch die Wucht des Schlages jetzt schon ein leichter Bluterguss abzeichnete. Genauso unwichtig war, dass sie schon morgen wieder zurück nach Japan musste, zurück zu ihrer Familie und auf den nächsten Heiratskandidaten warten, sowie ihre Hoffnungen auf ein neues und besseres Leben weit ab von allem, was sie bislang kannte, begraben musste. Serdall war gerade wichtiger. Sie konnte schwören, dass er es noch viel schlechter getroffen hatte.
 

Entkräftet sank sie vor ihm auf dem Boden nieder. Sie lehnte ihren Kopf an die Bettdecke genau neben Serdalls rechtem Bein und schloss schmerzlich die Augen. Es war ihre Schuld. Alles. Wenn sie nicht auf diese Schnapsidee gekommen wäre, dass es reichte, Kikuchi für einige Zeit zu beschäftigen, damit Serdall sich mit Daniel treffen konnte, dann hätten sie es schon irgendwie regeln können. Eine Scheinhochzeit mit anschließender schneller Scheidung oder sie blieben einfach verheiratet, lebten aber beide ihr Leben. Fei hätte nie wirklich davon erfahren. Und jetzt?
 

„Es tut mir so leid“, flüsterte sie erneut und vergrub ihre Finger in dem weichen Teppich. „Was hat er gesagt? Warum hast du dir deine Hände verletzt?“
 

Tief durchatmend versuchte Serdall die Eiseskälte in sich zu verdrängen, die sich langsam um sein Herz legen wollte und ihn abzustumpfen schien. Es gelang ihm nicht. Seine Tränen waren versiegt, jegliches Gefühl mit ihnen getrocknet und verschwunden. Kommentarlos begann er ihr langsam zu berichten was vorgefallen war. Dass er Fei in das Gesicht geschlagen hatte, womöglich Kikuchi die Nase gebrochen und Fei geschworen hatte, sich von Daniel zu trennen. Serdall zog Yoshiko zu sich auf das Bett.
 

„Dich trifft keine Schuld“, sagte er noch, sah ihr aber nicht ins Gesicht. „Du hast nur versucht zu helfen.“
 

„Na super!“, erwiderte Yoshiko und man sah ihr an, dass sie sich dafür am liebsten aus dem Fenster werfen würde. Im Gegensatz zu Serdall konnte sie ihre Tränen nicht zurückhalten, die wieder ungehindert über ihre Wangen liefen. „Mit meinem Drang nur zu helfen habe ich alles zerstört, für das du gekämpft hast. Es ist wohl mehr als gerecht, dass ich wieder zurück nach Japan muss.“
 

Serdall seufzte abgehackt und erhob sich.
 

„Man kann es nicht mehr ändern. Nimm es mit Fassung. Ich konnte wenigstens noch Daniels Leben sichern“, meinte er leise und begann sich auszuziehen und bettfertig zu machen. Langsam fand er sich mit dem Gedanken ab. Er konnte es nicht mehr ändern und er würde kein zweites Mal Daniels Leben so furchtbar gefährden. Es war Glück, dass Fei mehr an Serdall lag, als er selbst vermuten würde. „Du kannst heute ruhig mit im Bett schlafen“, fügte Serdall an. „Jetzt hat es eh keine Bedeutung mehr.“
 

Fast fluchtartig stand Yoshiko auf und ging rückwärts in Richtung Tür.
 

„Nein, das kann ich nicht“, stellte sie gleich klar. „Dieser Platz ist für Daniel reserviert, auch wenn ihr euch vielleicht nicht mehr wieder seht. Am besten ich…“ Sie schluchzte auf, hielt sich eine Hand vor den Mund und öffnete die Tür. „Es tut mir leid“, hauchte sie. „Entschuldigung. Ich wünschte, ich könnte das Alles wieder gut machen.“
 

Schnell verließ sie den Raum und ging in ihr Zimmer. Daniel Zimmer, das er wohl nie wieder betreten würde. Nicht, wenn Daniel sein Leben nicht gefährden wollte. Sie fühlte sich so schlecht. Warum dachte sie, dass sie Serdall unbedingt helfen musste? Er hätte es auch selbst hinbekommen. Er hätte noch ein paar Tage auf Daniel verzichten können, bestimmt. Und sie funkte dazwischen, machte ihm Hoffnungen und zerstörte dann alles.
 

Apathisch griff sie nach dem großen Kopfkissen und starrte an die Decke. Morgen am frühen Abend war sie wieder in Japan. Dort würde sie daran erinnert werden, wo ihr Platz war und was für Handlungen von ihr erwartet wurden. Fast war sie froh darüber. Nie wieder wollte sie jemandem auch nur ein bisschen wehtun. Nie wieder.
 

Serdall starrte kurzzeitig die Tür an, aus der Yoshiko verschwunden war. Traurig wandte er den Blick zu seinem Bett und dann an sich selbst herab. An seinem Oberkörper prangten Kussmale von Daniel, die er vor ein paar Stunden gemacht hatte. Seufzend strich Serdall über sie und über seine Tätowierung unterhalb der linken Brusthälfte.
 

„Das war es dann“, flüsterte er kraftlos und blieb einen Moment einfach nur stehen.

Plötzlich klopfte es leise an seiner Zimmertür und sein Sohn schob weinend den Kopf herein.
 

„Papa, ich hab Angst“, flüsterte er leise und Serdall ahnte, dass sein Sohn gehört hatte, was geschehen war, womöglich sogar auch gelauscht hatte.
 

„Komm, Taki, schlaf bei mir, ja? Wir passen gegenseitig aufeinander auf“, erwiderte Serdall leise und sein Sohn kam zu ihm gelaufen und Serdall umarmte ihn, ehe er ihn auf das Bett krabbeln ließ und sich zu ihm legte. Taki umklammerte seinen weißen Bären und legte sich eng neben Serdall. Der Violinist zog die Decke über sie und strich fahrig durch Takis Haare.
 

Sein Blick fiel auf seine, von Yoshiko verarztete Hand. Seine Finger schmerzten, wenn er sie bewegte, doch er hieß diese Pein willkommen, denn es war sicherlich noch nichts im Vergleich zu den Dingen, die noch seelisch auf ihn zukamen. Serdall sah zu seinem Sohn, der schniefend neben ihm lag und sich mit den geballten Fäustchen über die schon roten Augen rieb. Serdall wusste nicht, wie sie das überstehen würden, doch er ahnte, dass dies erst der Anfang einer schrecklichen Zeit sein würde.
 

Laut schluckend, knipste Serdall die Nachttischleuchte aus und nahm Taki in den Arm. Er war froh, dass wenigstens sein Sohn noch bei ihm war.
 

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Fröhlich vor sich hin summend spazierte Daniel durch die Wohnung. Die Trennung von Serdall gestern Abend war zwar schmerzlich gewesen, aber die Erinnerung an ihre gemeinsam verbrachte Zeit versetzte ihn in Hochstimmung. Hinzu kam noch das Wissen, dass Serdall eine Lösung für ihr Problem hatte. Entweder ließ sich Fei einfach so durch ein ernstes Gespräch überzeugen oder er heiratete Yoshiko eben zum Schein.
 

Zuerst war Daniel die Idee einer vorgetäuschten Ehe ziemlich schrecklich vorgekommen, aber jetzt, wo er Yoshiko einmal gesehen und erfahren hatte, was sie für ihn und Serdall tat, kam Daniel damit klar. Er wusste, dass es eben wirklich nur bei einer Scheinehe ohne Gefühle bleiben würde, die ganz allein dem Zweck diente, Fei wieder loszuwerden. Und wenn die Folge wäre, dass er wieder ohne Konsequenzen mit Serdall zusammen sein konnte, war ein unbedeutendes Stück Papier für Daniel das geringere Übel.
 

Es klingelte an der Tür und Daniel begab sich in den Flur. Seine Mutter war gerade arbeiten und Charline bei einer Freundin, also war er derjenige, der Tür- und Telefondienst hatte. Daniel öffnete und sah sich Dustin gegenüber, der einen weißen Umschlag in der Hand hielt.
 

„Hey“, begrüßte Daniel ihn fröhlich. „Find ich klasse, dass du gleich vorbeikommst und wir nicht alles am Telefon bereden müssen. Und Serdall hat dir den Brief auch gleich mitgegeben. Ich hätte ja nicht gedacht, dass alles so schnell anläuft.“ Er grinste glücklich und trat zur Seite, damit Dustin hereinkommen konnte. Erst da fiel Daniel Dustins versteinerte Miene auf und sein Lächeln fiel in sich zusammen. „Ist alles in Ordnung?“
 

„Nein“, flüsterte Dustin leise und ging mit Daniel in die Küche. Er fing erst an zu sprechen, als Daniel sich gesetzt hatte. „Fei weiß von gestern“, fing Dustin leise an und fummelte an dem weißen Umschlag in seiner Hand herum. „Hier, das hat Serdall vorhin geschrieben“, murmelte er unbehaglich und überreichte Daniel den Brief. Er wusste nicht was darin stand, aber so wie die Situation aussah, konnte es einfach nichts Gutes sein.
 

Daniel,

ich weiß nicht wie ich das in Worte fassen soll, was mir im Moment durch den Kopf geht, deswegen fasse ich mich lieber kurz.

Unsere Beziehung hat unter den gegebenen Umständen keine Zukunft mehr. Langsam verstehe ich Fei und seine Ansichten und es ist mir einiges klar geworden, was mit dir nicht vereinbar ist.

Meine Liebe zu dir war nur eine Einbildung. Der Tod meiner Frau hat mich verunsichert, doch Fei hat mir gezeigt, dass der Weg mit dir der falsche ist.

Deswegen beende ich mit diesem Brief unsere Beziehung. Ich würde es dir auch persönlich sagen, doch ich weiß, dass du es auch so kaum verstehen wirst. Dennoch bitte ich dich es einzusehen und mich nicht mehr zu belästigen.

Pass auf dich auf.

Serdall
 

„Was ist gestern bei euch passiert“, fragte Daniel mit stark zitternder Stimme. Genauso stark zitterten auch seine Hände und er legte den Brief umgedreht auf den Tisch, damit Dustin ihn nicht lesen konnte, falls er nicht ohnehin schon wusste, was darin geschrieben stand.
 

Daniel konnte es nicht begreifen. Serdall würde nie mit ihm Schluss machen. Nicht ohne einen Grund und vor allem nicht, nachdem sie gestern die wenigen Stunden, die ihnen gegeben waren, wie ein Geschenk gesehen hatten, glücklich gewesen waren und sich so verzweifelt geliebt hatten. Irgendetwas musste geschehen sein, denn sonst hätte Serdall diesen Brief niemals geschrieben.
 

Daniel sollte ihn nicht mehr belästigen? Und ob er ihn nach diesem Brief belästigen würde. Das war ja wohl die feigeste Art, mit jemandem angeblich Schluss zu machen. Serdall wusste genau, dass er am Telefon oder persönlich nicht dazu in der Lage sein würde, da ein Blick in Daniels Augen oder ein Wort von ihm ihn wieder in seine Arme getrieben hätten. Was hatte Fei getan, nachdem er und Yoshiko gestern aufgeflogen waren? Was hatte Serdall dazu veranlasst, all diese schrecklichen Worte zu schreiben, dass ihre Beziehung falsch sei, dass sie keine Zukunft hätte, dass er dieselben Ansichten dazu wie sein Bruder teilte?
 

„Was ist gestern bei euch passiert?“, wiederholte Daniel nun lauter, da Dustin ihm noch immer keine Antwort gegeben hatte. Dustin lehnte sich im Stuhl zurück und strich sich fahrig durch seine blonden Haare.
 

„Was passiert ist? Ich weiß es nicht genau. Ich weiß nur, dass Fei Yoshiko heute Morgen zurück nach Japan geschickt hat und dass sich Serdall heftig mit Fei und Kikuchi geschlagen hat. Zumindest nach der Laustärke, die gestern geherrscht hatte und nach deren Gesichtern zu urteilen. Hätte nie gedacht, dass sich Feis Gesicht mal so farbenfroh geben könnte“, murrte Dustin.
 

„Ich muss zu ihm“, meinte Daniel mehr zu sich selbst, sah aber auf Dustin, als der geschockt Luft holte. „Es ist mir scheiß egal, was du dazu sagst“, zischte Daniel ihm zu, bevor er auch nur eine Silbe sprechen konnte. „Es ist mir ebenso scheiß egal, ob Fei mich abknallt, wenn ich an der Tür klingel, aber das hier lasse ich mir bestimmt nicht bieten!“ Kraftvoll schlug er mit der Faust auf das von außen so harmlos aussehende Blatt Papier auf dem Tisch. Dustin schnaubte laut.
 

„Und was hast du dann erreicht?“, rief er halblaut. „Ich weiß zwar nicht, was in dem Brief steht, aber so wie du reagierst hat Serdall Schluss gemacht, oder?“ Daniel nickte bestätigend mit finsterem Gesicht. „Denk doch mal nach. Was glaubst du, hat Fei Serdall gestern wohl gesagt? Serdall ist bestimmt nicht umsonst ausgerastet, hat Fei das Gesicht und Kikuchi die Nase demoliert und sich dabei die Hände verletzt. Was glaubst du denn, warum er so austicken würde?“, zischte Dustin wütend und schlug kraftvoll mit beiden Händen auf die Tischplatte.
 

„Woher soll ich das wissen?“, schrie Daniel ihn an, doch er wusste leider viel zu genau, warum Serdall wohl so ausgerastet war. Es gab nun mal nur eine Möglichkeit, um ihn von Daniel wegzubekommen und die war, mit seinem Tod zu drohen, so wie Fei es davor schon gemacht hatte. Nur dass es dieses Mal wohl zur Ausführung kommen sollte. Aber Daniel wollte es trotzdem nicht akzeptieren. „Ich bin lieber tot als ein Leben lang von Serdall getrennt“, zischte er aufgebracht.
 

„Serdall sieht das leider ganz anders“, motzte Dustin ihn an. „Er opfert sich lieber selber, als dich irgendwie in Gefahr zu bringen. Durch unsere Aktion gestern ist alles aus dem Ruder gelaufen“, fluchte Dustin. Er hatte keine Ahnung, wie sie überhaupt das Ganze beruhigen sollten. Es war einfach mit Feis Übermacht kein Ausweg gegeben, es musste jemand zurückstecken und dass Serdall dies auf sich nahm, war schon schlimm genug. „Jetzt reiß dich zusammen. Wir müssen einen kühlen Kopf bewahren. Serdall tut es doch auch.“
 

„Ach, er bewahrt also einen kühlen Kopf, ja? So würde ich unsinnige Kurzschlusshandlungen auch nennen. Klingt gut“, schnaubte Daniel sarkastisch. „Und das Letzte, was ich will, ist, dass Serdall sich für mich opfert. Außerdem opfert er nicht nur sich, sondern auch mich. Aber das scheint er ja scheinbar nicht zu sehen.“
 

Wütend stand Dustin auf und stopfte seine Hände in die Hosentaschen, bevor er Daniel noch eine Ohrfeige verpasste. Ihn kotzte Daniels aufbrausende Art richtiggehend an. Vehement schüttelte er den Kopf.
 

„Im Vergleich zu dir hat er diesmal wirklich einen kühlen Kopf. Klar, dass er gestern ausgetickt ist, womöglich wollte Fei dich gleich töten. Jetzt aber tut er das, was nötig ist, auch wenn das heißt, sich Fei zu fügen. Serdall würde es nicht aushalten wenn du tot wärst. Mit diesem zwar beschissenen Kompromiss schindet er wenigstens noch Zeit. Du hingegen willst nur irgendeine hirnrissige Aktion starten, die total unüberlegt ist und dich womöglich umbringt.“
 

„Zeit bis was?“, ätzte Daniel zurück. „Bis er tatsächlich irgendeine abgerichtete Vorzeigejapanerin heiratet? Oder bis Fei mich vielleicht doch noch umbringt? Das ist doch alles scheiße!“ Daniel tigerte aufgebracht durch die Küche. Er konnte und wollte so nicht leben, mit dem Wissen, dass Serdall irgendeine fremde Frau heiratete, womöglich auch noch mit ihr schlief und irgendwelche schreienden Bälger zeugte, damit sein Bruder zufrieden war, nur um ihn zu schützen. Was hatte er denn davon, wenn er Serdall nicht mehr sah? Was sollte man ihm denn noch schlimmeres antun, als ihm auf diese Art und Weise die Liebe seines Lebens zu nehmen? Nun wirklich sauer packte Dustin Daniel am Arm und zwang ihn, in seine Augen zu sehen.
 

„Glaubst du, Serdall macht es Spaß, das zu tun? Glaubst du, er will irgendeine Frau heiraten, die er vorgesetzt bekommt?“ Ruppig ließ Dustin wieder von Daniel ab. Er war bis aufs Äußerste gereizt. So wie es bei ihnen daheim aussah, war die schlimmste Situation eingetreten, die eintreten konnte. „Er wäre wohl auch lieber bei dir, würde mit dir glücklich sein, ohne Feis beschissene Ansichten. Jetzt reiß dich verdammt nochmal zusammen. So bist du ihm keinerlei Hilfe. Vielleicht ergibt sich doch noch eine Möglichkeit, wie er Fei umstimmen kann, wie er ihn irgendwie davon abbringen kann ihm seinen Willen aufzuzwingen. So aber, wie du dich gerade aufführst, wird er gar nicht die Chance haben sich neu zu arrangieren“, knurrte Dustin aufgebracht. Die Lage war viel zu ernst, als dass Daniel jetzt mit seiner Prinzesschennummer kommen konnte. Es ging nun mal nicht nur nach seinem Willen.
 

„Er wird nicht die Chance haben, sich neu zu arrangieren“, flüsterte Daniel und Tränen liefen ihm nun über das Gesicht. Die Trauer, die der Zorn bislang unterdrückt hatte, kam nun mit voller Kraft ans Tageslicht. Er wandte sein Gesicht von Dustin ab und starrte mit zusammengepressten Lippen aus dem Fenster. „Tu mir den Gefallen und geh jetzt“, bat er ihn. Dustin zögerte. In Daniel zog sich alles zusammen. Serdall würde sich nicht mehr umstimmen lassen. Wenn er sich einmal dazu entschlossen hatte, sich seinem Bruder unterzuordnen, dann würde er das auch durchziehen. Er würde heiraten, er würde alles machen, was Fei von ihm verlangte. Fei würde ihn nach dem Fauxpas, den Serdall sich gestern geleistet, hatte beobachten lassen und irgendwann würde Serdall mit dieser Frau schlafen. Wenn er wirklich voll und ganz davon überzeugt war, Daniel zu beschützen, dann würde er alles tun, was sein Bruder von ihm verlangte, und wenn er eine glückliche und erfüllte Ehe verlangte, dann gehörte auch Sex dazu. Genauso wie weitere Kinder. Serdall war schließlich noch jung. Spätestens ab dem Zeitpunkt war alles verloren und vorbei. Im nächsten Moment schlossen sich Dustins starke Arme um Daniel und er wurde in eine feste Umarmung gezogen.
 

„Gib nicht so schnell auf, Daniel“, flüsterte er leise und strich ihm durch die schwarzen Haare. „Er wird auch nicht so schnell aufgeben und ich auch nicht. Glaubst du wirklich, ich sehe einfach zu, wie euer Glück in die Brüche geht?“, meinte er weiter und lehnte seine Stirn an Daniels. „Auch wenn es gerade hoffnungslos scheint, ist dennoch nichts verloren. Noch ist Serdall nicht verheiratet, noch keine neue Frau für ihn gefunden.“
 

„Es ist hoffnungslos“, widersprach Daniel an Dustins Schulter. Schlaff hing er in dessen Armen und starrte fast teilnahmslos vor sich hin. „Wenn Fei das letzte Mal innerhalb einer Stunde eine Frau gefunden hat, sollte es ihm nicht schwer fallen, es noch einmal zu schaffen. Es ist aus, das war‘s. Ich sollte es akzeptieren.“
 

Dustin packte Daniel hart an den Schultern und schüttelte ihn leicht.
 

„Hörst du dir eigentlich zu, du Idiot?“, schrie er Daniel an. „Serdall braucht dich und du willst einfach aufgeben?“ Unverständnis stand in Dustins Gesicht geschrieben, ehe seine Mimik sich wütend verzog. „Er liebt dich, trotz dieses beknackten Briefes. Seit wann zweifelst du sehr an ihm?“
 

„Ich weiß, dass er mich liebt“, meinte Daniel und lächelte matt. „Die Frage ist nur was mir das bringt, wenn ich nicht mit ihm zusammen sein kann. Er wird bald verheiratet sein, vielleicht noch Kinder haben und immer schon ja und Amen zu allem sagen, was sein Bruder von ihm verlangt, um mein Leben nicht in Gefahr zu bringen.“
 

„Himmel, Daniel“, zischte Dustin nun wieder. „Er wird das auch nicht so weit bringen können, oder denkst du nicht? Du weißt wie er es mit seiner Liebe hält und ich glaube kaum, dass er dann mir nichts dir nichts mit so einer Tussi vögelt. Und Kinder will er von so einer ganz sicher nicht. Er hat schon immer gesagt, dass er kein weiteres haben will. Taki wird sein einziger Sohn bleiben. Gerade in dem Punkt wird Fei ihn nicht umstimmen können. Es steht nur die Hochzeit zur Debatte. Ich glaube kaum, dass Fei sich neben Serdall hockt und zusieht, wie er seine Zukünftige schwängert“, erklärte Dustin und musste allein bei der Vorstellung einen Brechreiz unterdrücken. „Außerdem denke ich, dass Fei sich einfach nur beruhigen und Serdall mit ihm vernünftig reden muss. Also versuch durchzuhalten, bis sich die ganze Wut jetzt gelegt hat“, versuchte Dustin optimistisch zu bleiben.
 

„In Ordnung“, erwiderte Daniel mit gespielt besserer Laune, um Dustin abzuwimmeln. Dessen Worte hatten ihn nicht wirklich erreicht. Daniel hatte sich seine Meinung gebildet und die versprach ihm eine ziemlich düstere Zukunft. Er konnte nicht noch einmal um Serdall kämpfen. Hinzu kam, dass es auch gar nicht möglich war. Alles, was er tun konnte, war sich hinzusetzen, abzuwarten und Däumchen zu drehen mit der Hoffnung, dass Fei seinen Bruder irgendwann in ferner Zukunft vielleicht mal wieder in Ruhe ließ.
 

Abschätzig verzog Dustin den Mund und sah Daniel in die Augen.
 

„Nicht den Mut verlieren, ja?“, flüsterte Dustin noch leise und küsste Daniel sanft auf die Wange. „Ich muss zurück“, sagte er nach einem Blick auf seine Uhr. „Ich will Serdall ein wenig Beistand leisten. Mittlerweile beschäftigt er sich nur noch mit Taki“, murrte Dustin und löste sich von Daniel. „Ich komme übermorgen noch einmal vorbei, ja?“
 

„Tu was du nicht lassen kannst“, antwortete Daniel und brachte Dustin noch zur Tür. Er war fast froh, dass er endlich ging und ihn allein ließ. Kurz umarmten sie sich noch, Dustin flüsterte ihm ein paar aufmunternde Worte ins Ohr, dann war er wieder allein.
 

Lange stand Daniel einfach so da und starrte die geschlossene Haustür an. Dustin wollte zwar wiederkommen, aber momentan kam sich Daniel unglaublich allein, hilf- und nutzlos vor. Seine Gedanken waren eine trübe Masse, die nicht greifbar in seinem Kopf umherwaberte und immer mal wieder vereinzelte Fetzen hinterließ. Von Serdall getrennt. Nie wieder sehen. Heiraten. Allein. Beziehungslos.
 

Das Handy klingelte. Heftig fuhr Daniel zusammen und griff dann in seine Hosentasche, um das Gespräch anzunehmen.
 

„Hey Danniboy“, kam es von Kai am anderen Ende der Leitung. „Mal wieder Bock auf irgendwelche verrückten Sportarten? Ich hätte heute an ein bisschen klettern gedacht.“
 

„Nicht klettern, lieber Disko“, antwortete Daniel kurz angebunden. Er war froh, sich ablenken zu können, weg von allem, was ihn hier in der Wohnung zu erdrücken schien. Kai stutzte einen Moment. Wahrscheinlich, weil Daniels eigentliche Meinung von Diskos innerhalb der Woche nicht gerade sehr positiv war. Dann hatte er sich aber scheinbar wieder gefangen.
 

„Gut, ich komme dich dann um acht abholen. Und mach dich hübsch.“
 

Daniel grummelte etwas Unverständliches, dann legte er auf. Raus hier, das war der einzige Gedanke, den er momentan hatte. Raus hier und vergessen.
 

Ende Kapitel 10

Kapitel 11
 

Fünf Minuten nach acht hielt Kai mit seiner schwarz-orangenen Ninja vor Daniels Wohnblock und hupte einmal laut. Er nahm für den Moment seinen Helm ab und wartete, dass Daniel herunterkam. Kai grinste Daniel vergnügt an und winkte ihm euphorisch zu. Sie sahen sich seit Dienstag immer wieder in der Mensa und Kai war froh, dass Daniel anscheinend ein wenig Ablenkung brauchte.
 

„Hey, Dan. Siehst ja scharf aus“, meinte Kai grinsend und musterte Daniel intensiv. Die schwarzen Haare waren nun auch endlich gegelt und Daniel hatte sich richtig enge Klamotten angezogen. „Ist das Zeug neu?“
 

„Nicht wirklich“, erwiderte Daniel kurz angebunden und nahm Kai den zweiten Helm ab. „Hab ich mir mal gekauft, als ich mit meiner Schwester das erste und letzte Mal in meinem Leben einkaufen war. Hing seitdem unbenutzt in meinem Schrank herum.“ Er schwang sich auf das Motorrad, schloss noch seinen Kinnriemen und hielt sich dann an Kai fest, zum Zeichen, dass er bereit war.
 

„Sieht aber scharf aus“, meinte Kai grinsend und fuhr erst einmal wieder zurück zu sich. Noch war es zu früh für die Disko und es war wohl nichts los um diese Zeit. Er zog Daniel mit sich nach oben und gab ihm sogleich ein Bier, nachdem sie es unbemerkt an Frau Papenstiel vorbei geschafft hatten. „Es reicht, wenn wir um zehn in die Disko fahren. So ist das noch zu früh“, erklärte Kai sich grinsend.
 

„Wenn du meinst.“ Schulterzuckend nahm Daniel den Alkohol entgegen und leerte seine Flasche Bier fast mit einem Zug. Hier bei Kai fühlte er sich gleich schon etwas besser, nicht mehr so eingeengt und bedrückt. Seine Gedanken fokussierten sich auf andere Themen und er konnte die Unangenehmen leichter in den Hintergrund drängen.
 

Verwirrt zog Kai eine Augenbraue nach oben. Daniel schien ziemlich schlecht drauf zu sein. Kai tat es mit einem Lächeln ab. Er würde seinen kleinen Freund schon wieder aufmuntern, denn nach der Nacht am Montag war Kai wirklich ziemlich interessiert an dem blauäugigen, jungen Mann. Hibbelig lief Kai vor Daniel auf und ab und drehte dann schon seine kleine Anlage auf.
 

„Zur Einstimmung“, meinte er zu Daniel mit einem Zwinkern, ehe er sich hinter den Schwarzhaarigen stellte und dessen Schultern zu massieren begann. „Du siehst ziemlich verkrampft und grantig aus, wenn du so komisch guckst“, erklärte er sich und knetete Daniels Schultern.
 

„Hm“, kam die tonlose Antwort, doch Daniel schloss seufzend die Augen. Er war verspannt, aber nicht unbedingt grantig, sondern eher betrübt, ausgelaugt und von einer gewissen Hoffnungslosigkeit erfüllt. Allerdings war Kai wirklich geschickt mit seinen Händen und Daniel fiel entspannt ein Stück in sich zusammen.
 

Kai genoss es, Daniel zu berühren. Mittlerweile bezweifelte er, dass Daniel wirklich einen Freund hatte. Immer, wenn Kai ihn anrief, war Daniel allein. Auch wenn der Bruder von Serdall da war, wie ihm das Daniel erklärt hatte, würde doch kein normaler Mann Daniel so lange hinhalten und allein lassen. Lächelnd ließ Kai seine Daumen über Daniels Nacken reiben, wobei der Schwarzhaarige seinen Kopf seufzend nach vorne fallen ließ.
 

„Sag mal, selbe Disko wie beim letzten Mal?“, fragte Kai ihn. Er glaubte, dass heute irgendeine Themenparty war. All inclusive? Er wusste es nicht wirklich.
 

„Von mir aus“, murmelte Daniel. „Mir ist alles recht und ich kenne mich in dem Sinne ohnehin nicht aus.“ Außerdem war es ihm ziemlich egal, wohin sie gingen, Hauptsache die spezifische Bar, Kneipe oder Disko hatte eine große Auswahl an Alkohol, womit er sich das Hirn wegsaufen konnte.
 

Kai lachte gut gelaunt und wackelte schon aufgeregt mit den Hüften. Er war ein absoluter Diskogänger und war froh in Daniel endlich eine Begleitung gefunden zu haben, die auch in der Woche keine Scheu davor hatte zu feiern.
 

„Wollen wir vorher noch etwas essen? Ich hab nämlich Bock so richtig Party zu machen. Morgen habe ich erst gegen Nachmittag mein Anatomieseminar“, erklärte er und lehnte seine Wange an Daniels.
 

„Party machen klingt gut. Essen… ja, warum nicht.“ Etwas widerwillig löste Daniel sich von Kais Händen und stand auf. „Was hast du dir denn vorgestellt? Hier essen und selbst kochen oder irgendwo hingehen? Oder wollen wir uns einfach nur Brote schmieren?“ Eigentlich war es Daniel selbst ziemlich egal, Hauptsache er kam so schnell wie möglich raus. Seine Gedanken wanderten schon wieder zu Serdall und dem Brief, doch er verdrängte sie schnellstmöglich recht erfolgreich.
 

„Wir essen hier schnell was. Ich habe noch ein paar Nudeln vom Mittag, die reichen für uns beide und du kannst dir noch ein paar Bier genehmigen. Ich glaube, die kannst du ganz gut gebrauchen“, meinte Kai mit einem Grinsen und holte sogleich noch eins für Daniel heraus. Er wollte nicht wissen, was mit Daniel war, er wollte nur, dass er wieder happy war. Schnell machte er das Essen warm und servierte es zehn Minuten später, wobei Daniel schon sein drittes Bier anfing.
 

„Danke.“ Daniel nahm sein Essen entgegen und sie machten es sich am Esstisch im Wohnzimmer bequem. Seufzend sah Daniel auf sein Bier. Er würde mindestens eine halbe Kiste trinken müssen, um einigermaßen gut abgefüllt zu sein und er hatte jetzt schon die Nase voll von dem Zeug. Wurde Zeit, dass sie in die Disko kamen.
 

Schnell wusch er nach dem Essen mit Kai das Geschirr ab und ging dann etwas ungeduldig im Flur auf und ab, bis Kai endlich damit fertig war, seine Schuhe und Jacke anzuziehen.
 

„Kommst du?“, murrte er, als Kai noch etwas in seiner Jackentasche zu suchen schien.
 

„Moment. Ich habe noch ein paar Kondome vergessen“, erwiderte Kai mit einem Grinsen und lief schnell in sein Schlafzimmer. Er steckte tatsächlich drei Kondome in sein Portemonnaie, ehe er eine kleine Kiste unter dem Bett hervorzog, wo er seinen Stoff versteckte, den er vertickte. So wie Daniel drauf war, würde der vielleicht auch was brauchen, wenn er weiter so mürrisch war. Doch das war nicht in erster Linie Kais Absicht. Er wollte heute Abend sein Budget ein bisschen auffrischen und ein paar Pillen an den Mann bringen. Schnell nahm er eines der abgezählten Päckchen. Zwanzig würde er heute schon loswerden. Rund zweihundertfünfzig Euro versprach das dann. Zufrieden lächelnd versteckte er sie in seiner Hosentasche und lief zurück zu Daniel, den er sogleich bei der Hand nahm. „Jetzt können wir, Danniboy.“
 

Daniel schnaubte.
 

„Ehrlich mal, ich verstehe nicht was so toll daran ist, jeden Tag einen anderen gesichtslosen Typen zu ficken“, ätzte er und ging die letzten Treppenstufen hinunter. „Ich meine, wo du deinen Schwanz reinsteckst scheint dir ja so ziemlich egal zu sein, also warum pickst du dir nicht einen Kerl raus und fängst mit ihm eine Affäre an? So kriegst du zumindest nicht ganz so schnell Aids oder so‘n Scheiß.“
 

Kai lachte amüsiert.
 

„Nicht jeder ist so verklemmt wie du. Ich vögele gern mit Typen, die ich nicht kenne. Das macht den Reiz der Sache aus und es macht mir Spaß“, meinte er grinsend und küsste Daniel plötzlich auf die Wange. „Mit dir würde ich auch gern mal Sex haben, aber leider bist du ja in festen Händen“, zog Kai ihn auf und kniff kurz in Daniels Hintern. „Also suche ich mir einen anderen Kerl, der gut aussieht und schön eng ist.“ Er lachte bei Daniels entsetztem Blick prustend los. So ein Gespräch hatte sein kleiner Freund wohl auch noch nie geführt.
 

„Ich habe so wie es momentan aussieht scheinbar keinen Freund mehr“, erwiderte Daniel nach einiger Zeit leise. Nachdenklich schwang er ein Bein über den Motorradsitz und sah Kai abwartend an. Er wollte endlich Party machen. Überrascht zog Kai eine Augenbraue nach oben. Er wollte gerade seinen Helm aufsetzen, doch hielt nun inne.
 

„Wenn du noch schön eng bist, können wir ins Geschäft kommen“, feixte Kai amüsiert, legte schnell seine Arme um Daniels Hals und platzierte einen Kuss auf Daniels Lippen. „Hey, ich mach nur Spaß“, meinte er bei Daniels geschocktem Blick und ließ wieder von ihm ab. Zwinkernd setzte er Daniel den Helm aus seinen Händen auf. „Komm, wir lassen es jetzt krachen.“ Kai setzte sich ebenfalls seinen Helm auf und platzierte sich vor Daniel auf seiner Maschine.
 

„Krachen lasse ich es auf deinen Schädel, wenn du deine Griffel nicht von mir lässt“, grummelte Daniel, schlang allerdings gleich darauf seine Arme um Kais Bauch, damit er nicht vom Motorrad rutschte, wenn er anfuhr. Ehrlich, es war ja schön und gut, dass Kai gerne anonymen und schnellen Sex hatte, Daniel kannte das von dem früheren Dustin, doch Feingefühl besaß der Kerl echt nicht.
 

„Na wir werden sehen“, flüsterte Kai zu sich selbst und grinste wieder, als er anfuhr. So wie Daniel gerade drauf war, war es wohl ein Leichtes, mit ihm ein bisschen Spaß zu haben.
 

Kai führte seine Maschine zur Disko. Ein großes Schild war auf dem Parkplatz angebracht. Wie gedacht war wirklich eine all inclusive Party und Kai befand für sich, dass es wohl kein Schlechtes war, dass Daniel so viel trinken konnte, wie er wollte. Er würde ihm sogar den Eintritt bezahlen, wenn Daniel das Geld dafür fehlte. Insgeheim fragte sich Kai zwar noch, warum Daniel so plötzlich Single war, aber er war im Trösten eine Niete und er hatte auch keine Lust, dass Daniel sich an seiner Schulter wegen irgendeinem Kerl ausheulte. Er hatte da ganz andere Vorstellungen, was er mit dem Schwarzhaarigen treiben könnte.
 

„All inclusive“, murmelte Daniel, als er von Kais Motorrad abstieg. „Nun, das klingt zumindest nicht schlecht. Ruf mir ein Taxi, wenn ich betrunken irgendwo in der Ecke rumliege. Du weißt ja, wo ich zurzeit wohne.“ Schon etwas besser gelaunt, dass endlich mal etwas nach Plan lief, stellte Daniel sich in die noch recht kurze Schlange am Eingang, bezahlte und gab an der Garderobe seine Jacke ab. Die dumpfen Bässe fuhren ihm schon hier durch den Körper und er hoffte, dass er am nächsten Morgen ab der richtigen Stelle einen schönen Blackout haben würde.
 

Kai sah Daniel kurz nach, wie er sich sofort an die Bar gesellte. Mit einem abschätzigen Blick musterte Kai seine Brieftasche. Er brauchte erst einmal Geld. Entschlossen kratzte er sich kurz am Kinn und verschwand zu den Herrentoiletten, auf denen schon ein reges Getümmel herrschte. Mit einem munteren Lächeln gesellte sich Kai zu ein paar Männern, die in einer Ecke diskutierten.
 

„Na Jungs, nen Kick gefällig?“, meinte er grinsend und hielt vier kleine bunte Pillen auf der flachen Hand in die Runde.
 

„Man, Kai, schock uns nicht immer so“, zischte einer der Typen und Kai grinste vergnügt.
 

„Ach kommt schon, ich mach euch nen Sonderpreis“, erwiderte der Blonde und war im nächsten Moment den Stoff los und hatte das Vierfache des Eintritts wieder drin. So gefiel ihm das. Das laufende Lied mitsingend ging Kai zurück zu Daniel, der schon wieder von irgendeinem Mann belagert wurde, und legte einen Arm um seinen Freund, ehe er ihm einen Kuss auf den Mund hauchte. Sofort verpisste sich der Typ, der Daniel anscheinend angebaggert hatte.
 

„Du musst mich nicht ansabbern, nur um so einen Typen loszuwerden“, zischte Daniel ihm zu. „Wenn der sich nicht verzogen hätte, dann hätte ich ihm eben meinen Drink ins Gesicht geschüttet, damit der endlich auch mal kapiert, dass ich mich nicht von jedem dahergelaufenen Kerl ficken lasse.“ Er trank die letzten Schlucke seiner Whiskey-Cola aus und bestellte sich gleich noch ein Mixgetränk. Momentan war er richtig angepisst. Lachend verdrehte Kai die Augen.
 

„Man, ein Küsschen. Ist fast so, als ob du einen Bussi von deiner Mom kriegen würdest“, feixte Kai amüsiert und pikste Daniel in die Seite. „Jetzt hab dich doch nicht zickig. Ich lass es auch sein, okay? Will dich ja nicht unnötig ärgern“, murrte Kai und strich kurz mit einer Hand über Daniels Oberarm. „Schließlich küsse ich dich nur, weil du mir ein Freund bist.“
 

„Oh ja, das kenne ich, das freundschaftliche Küssen. Küssen als Dankeschön, Sex zum Trost.“ Daniel dachte an Dustin. Unglaublich, dass er es tatsächlich schaffte, Ethan einhundert prozentig treu zu sein. Vom Casanova zum braven Freund. Serdall war auch mehr als erstaunt, seinen Schwager so zu sehen. Serdall…
 

Schmerzlich biss sich Daniel auf die Unterlippe und kippte sich sein Getränk in einem Zug hinunter. Der Barkeeper nahm das leere Glas auf und stellte ihm kommentarlos ein neues hin. Was Serdall wohl gerade machte? Ob er mit Fei über den Ort sprach, wo die Hochzeit stattfand? Oder ob er ihm Eigenschaften aufzählte, die seine zukünftige Frau haben sollte, damit Fei etwas Passendes für ihn raussuchen konnte?
 

Deprimiert und mit einem schmerzhaften Ziehen in der Magengegend trank Daniel einen weiteren großen Schluck. Er wollte nicht an Serdall denken. Es war vorbei. Auch wenn Serdall ihn noch liebte, gegen seinen Bruder kam keiner an. Wie auch? Er hatte Macht und Einfluss, schaffte es jemanden zur Strecke zu bringen, ohne dass irgendeine Behörde davon Wind bekam. Es war sinnlos, dagegen anzukämpfen. Zumindest kam es Daniel im Moment so vor.
 

Kai verzog genervt den Mund und nahm Daniel das Glas aus der Hand. Frusttrinken brachte es auch nicht. Dabei würde Daniels Stimmung auch nicht besser werden. Er packte Daniel bei der Hand und zog ihn mit sich zu den Toiletten. Trotz dessen Widerstand konnte er ihn in eine der Kabinen manövrieren und hinter sich abschließen.
 

„So, jetzt erklär mir, ob du entweder scheiße drauf sein oder mit mir Party machen willst. Heulen kannst du zu Hause und mich anblaffen übers Telefon, dann kann ich wenigstens auflegen. Deine Zickentour kannst du aber lassen“, murrte Kai und sah Daniel ernst an. „Schließlich habe ich dir im Grunde nichts getan.“
 

Einen Moment lang starrte Daniel Kai wütend an, dann sah er zur Seite und seufzte.
 

„Du hast ja recht. Ich bin eben scheiße drauf. Aber eigentlich bin ich hier, um eben nicht scheiße drauf zu sein. Und das versuche ich durch den Alkohol zu erreichen. Außerdem hoffe ich, dass ich ab dem ganzen Scheiß von heute Nachmittag einen schönen Filmriss habe.“
 

Kai grinste verschmitzt und strich Daniel zärtlich über die Wange.
 

„Durch Alkohol kriegst du das ganz sicher nicht hin. So wie du gerade drauf bist, wirst du dadurch nur aggressiver“, erklärte Kai und spielte mit Daniels Ohrläppchen. „Aber ich hätte was Anderes für dich, wenn du ganz lieb bitte sagst“, erklärte Kai und lehnte sich Daniel gegenüber an die Kabinenwand. Abwartend sah er Daniel an. Etwas skeptisch blickte der zurück.
 

„Wovon sprichst du?“, fragte Daniel vorsichtig. Kai kam ihm gerade etwas anders vor als normalerweise. Wobei… Er wollte den ganzen Mist mit Serdall wirklich zumindest für kurze Zeit vergessen und eigentlich hatte er keinen Bock darauf, dass es ihm morgen den ganzen Tag über total scheiße ging und er womöglich heute Abend schon irgendwo im Gebüsch lag und sich die Seele aus dem Leib kotzte. Also warum nicht? „Okay“, meinte Daniel zögernd. „Bitte?“
 

„Das reicht gerade mal, dass ich dir zeige worum es geht“, meinte Kai nachsichtig und holte ein kleines Tütchen heraus, aus dem er eine bunte Pille auf seine rechte Handfläche rollen ließ, ehe er es wieder wegsteckte. „Also? Was sagst du Daniel? Normalerweise kostet das dich was, aber ich geb sie dir für einen Zungenkuss“, erklärte Kai grinsend. „Und ich verspreche dir, damit fühlst du dich, als ob du schweben würdest.“
 

„Bist du irre?“, zischte Daniel geschockt. Er riss die Augen auf. Drogen? Kai vertickte Drogen? Deswegen die so teuer eingerichtete Wohnung? Verdiente man daran so gut? Aber das war im Moment eigentlich vollkommen egal. Er würde garantiert nicht… Doch warum eigentlich nicht? Von einer Pille wurde man nicht so schnell abhängig. Es war ja nicht so, als ob er sich Heroin spritzen würde oder so. Und wenn er wirklich vergessen könnte…
 

Aus einem Impuls heraus zog Daniel Kai hart am Shirt zu sich und verschloss dessen Mund mit seinem. Er ließ seine Zunge über Kais Lippen und anschließend in seinen Mund gleiten und fuhr tastend über die andere Zunge. Zufrieden erwiderte Kai den Kuss und ließ seine linke Hand über Daniels Hintern gleiten, wobei er ihn näher an sich heran drückte. Zwar hätte er gedacht, dass Daniel sich vielleicht eher über Konsequenzen erkundigen würde, aber anscheinend wollte er wohl wirklich einfach vergessen. Grinsend löste sich Kai von ihm.
 

„In Ordnung“, meinte er und leckte sich genüsslich über die eigenen Lippen, ehe er die Ecstasy-Pille zwischen Zeigefinger und Daumen in Daniels Mund schob. „Dauert nen Moment bis es anfängt“, erklärte Kai, während Daniel schluckte. Er zog eine Kaugummipackung aus seiner Gesäßtasche und reichte eins Daniel. „Und das bitte im Mund behalten, sonst zerbeißt du dir die ganzen Mundinnenwände.“
 

„Du scheinst dich ja gut auszukennen“, murmelte Daniel und sah Kai fragend an. „Und was passiert jetzt so? Ich meine, ich fühle mich gleich klasse, aber Nebenwirkungen hat das Zeug nicht, oder?“
 

Kai lachte auf, als Daniel plötzlich angewidert das Gesicht verzog.
 

„Ja, das ist ein ekliger Geschmack am Anfang“, meinte er grinsend. Gemeinsam traten sie wieder aus der Kabine und wurden von einigen Leuten wissend angegrinst. Daniel verzog das Gesicht. Die dachten garantiert, dass er es mit Kai dort drin getrieben hatte. So weit war es dann doch noch nicht mit ihm. „Den bitteren Geschmack spülen wir jetzt erst einmal weg. Dann feiern wir los“, erklärte Kai Daniel und ging mit ihm zur Bar und bestellte gleich etwas zu trinken. „Ich pass auf dich auf, also mach dir keine Sorgen“, erklärte Kai lächelnd und strich Daniel kurz über dem Oberarm, als er ein wenig unsicher dreinschaute.
 

Daniel setzte sich neben Kai auf einen Hocker an der Bar und ließ sich ein Bier bringen, um den ätzend bitteren Geschmack loszuwerden. Ehrlich, das Ding war schlimmer als irgendeine Schmerztablette. Etwas gelangweilt saß Daniel dort und sah zu, wie Kai mit ein paar Typen flirtete. Warum passierte denn nichts? Hatte Kai ihn verarscht und einfach nur irgendein Bonbon in den Mund geschoben, um einen Zungenkuss abzustauben? Oh, er würde ihn eigenhändig köpfen, wenn er es gewagt hatte…
 

Da spürte Daniel es. Die Bässe der Musik hämmerten nicht mehr störend und laut durch seinen Körper, sondern wurden irgendwie weicher. Daniel hatte keine Ahnung, wie er das Gefühl beschreiben sollte. Es war, als ob die Musik ein Teil von ihm wäre und ihn rufen würde. Plötzlich wurde Daniel verdammt hibbelig. Er hatte so große Lust zu tanzen wie noch nie in seinem Leben. Daniel warf dem Kerl neben Kai einen knappen Blick zu, dann zog er seinen Freund mit sich auf die Tanzfläche. Kai schien es nichts auszumachen, eher hatte er wohl darauf gewartet, denn er sah nicht im Mindesten überrascht aus.
 

„Das ist ein geiles Zeug“, rief Daniel ihm über die Musik hinweg zu und bewegte sich leidenschaftlich im Takt. Seine Gedanken waren weg. Die ganze depressive Stimmung dahin. „Und weißt du was?“, schrie er weiter. „Irgendwie habe ich gerade das Gefühl, als wenn ich in dich verknallt wäre. Krass.“ Er lachte befreit.
 

Kai grinste wissend und zog Daniel eng an sich. Kommentarlos küsste er ihn und schob seine Zunge in Daniels Mund. Freudig schlangen sich Daniels Arme um ihn und leidenschaftlich wurde der Kuss erwidert. Schließlich würde Kai sich nur mit einem Kuss abspeisen lassen und warum die Situation nicht ein wenig ausnutzen? Daniel gefiel es doch und so unbekümmert, wie er gerade tanzte, zog er mehr als nur einen sehnsüchtigen Blick auf seine schmalen Hüften. Eng tanzte Kai an Daniel und ließ seine Hände ungeniert über Daniels Körper gleiten, was jener nur mit einem süffisanten Grinsen abtat. Stattdessen ließ Daniel seine Hände einfach frech in Kais Gesäßtaschen gleiten und drängte sich noch ein wenig weiter an ihn.
 

Er spürte, dass er selbst ziemlich schwitzte, doch das war ihm im Moment egal. Die Leute hier waren alle gut drauf und keiner störte sich an ihm, also warum sollte er sich an sich selbst stören? Außerdem war es einfach krass, was er gerade fühlte. Kai vor ihm verursachte ihm extremes Bauchkribbeln, das Daniel sich gar nicht erklären konnte, aber einfach akzeptierte. Statt sich darüber unnötig Gedanken zu machen, küsste er ihn lieber noch einmal tief und löste sich dann kurz von ihm, um ungezwungener tanzen zu können.
 

Kai hielt ihn jedoch zurück, als er zu anderen Typen tanzte, die ihn schon mit offenen Armen erwarteten. Es wäre Daniel wohl nicht wirklich recht, wenn er in fremden Betten aufwachen würde. So versuchte Kai Daniel bei sich zu behalten, obwohl er immer wieder wie verrückt hin und her hopste, sich drehte und dabei schwitzte wie verrückt und riesige Pupillen hatte. Kai verzog den Mund. Er war froh, dass er die Drogen nur verkaufte und nicht abhängig davon war. So ab und anwarf er zwar auch eine Pille ein, aber da musste er sich echt einsam und allein für fühlen. Derzeit aber hatte er eigentlich nur seinen Spaß. Die Geschäfte liefen gut und Daniel würde er ein wenig helfen, seinen Ex-Freund zu vergessen.
 


 

Stunden später, als Daniel immer noch aufgekratzt auf der Tanzfläche herum hopste, hatte Kai auch seinen letzten Stoff für diesen Abend verkauft und zog Daniel mit sich zur Garderobe. Er wollte endlich nach Hause, vielleicht noch ein wenig mit Daniel kuscheln und dann einfach nur schlafen. Er war nur noch schrecklich müde. Er setzte Daniel seinen Helm auf, als der schon wieder aufgekratzt auf und ab sprang.
 

Lachend und Jubelschreie ausstoßen ließ Daniel sich von Kai herumfahren. Kichernd bemerkte er, dass das Motorrad etwas ins Schlingern kam, wenn er sich plötzlich stark auf eine Seite lehnte. Kai schrie ihm irgendwas von vorne zu, doch Daniel verstand ihn nicht wirklich. Er sprang sofort ab, als sie vor Kais Wohnung hielten und wartete ungeduldig, bis der sein Motorrad richtig hingestellt hatte, bevor er ihn an die Hand nahm und hinter sich die Treppe hochzog.
 

„Komm“, meinte er aufgekratzt. „Ich will jetzt noch irgendwas machen.“
 

Kai versuchte sein wummerndes Herz von der Höllenfahrt zu beruhigen, die er gerade durchlebt hatte. Er schwor sich selbst, Daniel nie wieder auf dem Bike mittzunehmen, wenn er auf einem Trip war. Das war lebensgefährlicher als ein Kilo Kokain. Ihm standen jetzt noch alle Haare zu Berge, als er die Szene noch einmal vor sich sah, wie er beinah in den Laternenmast gebrettert war. Sich schüttelnd ließ Kai sich von Daniel in seine Wohnung ziehen und wartete, was der Kleine denn ach so tolles machen wollte.
 

„Du könntest mir einen blasen, wenn du schon so aufgedreht bist“, zischte Kai, als Daniel immer noch ziemlich orientierungslos in der Wohnung umherlief, während sich Kai schon mit einem Bier auf sein Sofa gesetzt hatte. Daniel sah Kai mit schief gelegtem Kopf an.
 

„Nun, wenn du willst. Von mir aus blase ich dir einen, so als kleines Dankeschön für vorhin. Immerhin habe ich dir die geilste Erfahrung meines Lebens zu verdanken.“ Grinsend schlenderte er auf Kai zu und ließ sich vor ihm nieder. Überrascht zog Kai die Augenbrauen nach oben, als Daniel sich wirklich an dem Reißverschluss seiner Hose zu schaffen machte und sein Glied zutage förderte.
 

„Das ist ja mal Einfall“, meinte Kai grinsend und nippte weiter an seinem Bier, als Daniel begann seine Zunge über das noch schlaffe Glied gleiten zu lassen. Kai ließ seine Hand in Daniels Nacken gleiten, streichelte die warme Haut und trank seelenruhig weiter.
 

Von unten herauf blickte Daniel Kai an und lächelte leicht, bevor er seine Zunge kurz die Eichel umspielen ließ und das Glied dann ganz in den Mund nahm. Er wandte sein ganzes Wissen an, flatterte mit seiner Zunge den Schaft entlang, während er leicht saugte und mit der Hand die Hoden umfasste und leicht massierte. Daniel schloss die Augen halb und konzentrierte sich ganz auf sein Zun. Das kribbelnde Bauchgefühl, das er gerade bei Kai hatte, war einfach unglaublich.
 

Langsam erhärtete sich Kais Penis und jener ließ seinen Kopf genüsslich in den Nacken gleiten. Daniel war nicht schlecht, wenn man es mal so sagen durfte, doch es hatte schon einen schalen Beigeschmack, dass er es nur tat, weil er auf Ecstasy war. Kai war es egal. Die meisten seiner Bettbekanntschaften waren irgendwie drogensüchtig. Lächelnd genoss er Daniels Bemühungen. Sein Atem wurde nach und nach schneller und eine gewisse Lust breitete sich in ihm aus. Er keuchte leise, als er in Daniels Mund kam und trank dann wieder von seinem Bier. Das war wirklich eine willkommene Entlohnung für diesen Abend.
 

Daniel fuhr sich einmal mit dem Handrücken über den Mund und lehnte sich dann an die Couch. Langsam aber sicher kam er wieder runter von seinem Trip. Gerade war er noch recht euphorisch und abenteuerlustig gewesen, jetzt ließ das Alles zumindest etwas nach.
 

„Hast du heute noch irgendwas vor?“, fragte er Kai. Kai verpackte sich gerade wieder und leerte dann sein Bier. Er nahm Daniel bei der Hand und zog ihn zu sich hoch.
 

„Wir duschen jetzt noch und dann ab ins Bett. Ich bin todmüde und es ist eh gleich fünf Uhr“, erklärte er gähnend und führte Daniel mit sich ins Bad. Er scheute sich nicht davor, mit Daniel zusammen zu duschen und dann nackt mit ihm ins Schlafzimmer zu gehen. Kai küsste Daniel noch ein wenig, weil der Schwarzhaarige sich liebebedürftig an ihn schmiegte und seine Hände zärtlich über Kais Körper sandte. Ihn eng an sich ziehend gab Kai ihm die Nähe, die er jetzt wohl brauchte und küsste ihn, bis er zu müde war, um selbst überhaupt noch seine Zunge zu bewegen. Kai ließ seinen Kopf in Daniels Halsbeuge fallen und schlief augenblicklich ein, als er seine Lider geschlossen hatte.
 

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Stöhnend öffnete Daniel am nächsten Morgen die Augen. Jeder Knochen im Körper tat ihm weh, ihm war schwindlig und übel. Scheiße, hatte er gestern etwa doch zu viel Alkohol getrunken? Aber es hatte sich doch in Grenzen gehalten, zumindest war es nicht so viel, als dass es normal war, dass er sich jetzt wie durch den Fleischwolf gedreht fühlte.
 

Seine Gedanken glitten zum gestrigen Abend. Wie kam er nur darauf, sich von Kai Ecstasy geben zu lassen? Serdall würde ihn dafür killen. Serdall… Daniels Augen weiteten sich, als er an den Blowjob dachte, den er Kai gegeben hatte. Seltsamerweise konnte er sich an jedes noch so kleine Detail von gestern Nacht erinnern. Leider. Wie kam er dazu, sich Kai an den Hals zu werfen? Serdall war zwar momentan für ihn unerreichbar, aber wer wusste, wie lange es so bleiben würde? Vielleicht änderte es sich noch mal. Und selbst wenn nicht, wie kaltschnäuzig war er eigentlich, dass er gleich am selben Tag, an dem sein Freund sich von ihm getrennt hatte, mit einem Anderen rummachte?
 

„Was hab ich nur getan“, flüsterte er und vergrub seinen Kopf in den Kissen.
 

„Deinen Spaß gehabt“, murrte Kai ihn von der Seite an und zog die Decke über den blondierten Schopf, bei dem schon die braunen Haare im Ansatz vorblitzen. Ein lautes Gähnen drang von Kai, der nicht daran dachte aufzustehen. Schließlich hatte er erst gegen vier Uhr sein nächstes Seminar und er hatte kein gesteigertes Interesse, Daniels Schuldgefühle und dessen Geheule wegen der einen Pille von gestern zu hören.
 

„Sei du mal ruhig“, schnauzte Daniel und hielt sich gleich darauf den Kopf. „Scheiße ist mir schlecht“, wimmerte er. „Und ich kann mich heute garantiert keinen Zentimeter bewegen. Was war in dem Zeug drin, das du mir gegeben hast?“
 

„Das war Topqualität“, leierte Kai runter und gähnte wieder, „das beste Ecstasy was zur Zeit auf dem Markt ist“, meinte er weiter. „Und jetzt lass mich ausschlafen“, blaffte Kai Daniel an und zog die Decke noch höher. „Schließlich bist du Single und brauchst dir um nichts Gedanken zu machen“, setzte Kai eins drauf und gähnte wieder.
 

„Ich bin nicht Single“, zischte Daniel wütend. „Zumindest nicht wirklich. Ach, keine Ahnung. Und selbst wenn ist es extrem geschmacklos, gleich ein paar Stunden später jemandem einen zu blasen.“ Stöhnend drehte er sich auf die rechte Seite, sodass er Kai anfunkeln konnte. Leider befürchtete Daniel, dass er einen sehr kläglichen Eindruck machte. So einen Kater wie heute hatte er noch nie gehabt. Kai lachte nun leise.
 

„Du kannst es definieren wie du willst“, murrte er weiter. „Und ob es geschmacklos ist, liegt im Auge des Betrachters“, grinsend schnippte Kai gegen Daniels Nase. „Ich fand es vollkommen in Ordnung“, erklärte er grinsend.
 

„Klar, jemand, der wahllos irgendwelche Junkies auf dem Diskoklo fickt, hat bestimmt auch kein Problem damit selbst jemanden, der noch mitten in einer Beziehung steckt, flachzulegen“, ätzte Daniel. Er war wütend auf sich selbst und ließ diese Wut jetzt auch an Kai aus, weil er dachte, dass er seine Situation ausgenutzt hatte. Ob es stimmte oder nicht war für Daniel im Moment zweitrangig. Kai stützte nun etwas wacher seinen Kopf in die Hand und sah zu Daniel.
 

„Was willst du eigentlich von mir? Ich geb dir ne Pille, weil du so mies drauf bist und du hast den Trip deines Lebens, kannst wenigstens mal die Scheiße um dich rum vergessen und du machst mich an? Ey, es war deine Entscheidung, ob du das Zeug schluckst oder nicht. Und wenn du dich dran erinnerst, hast du mir dafür noch die Zunge in den Hals gesteckt. Meine Schuld ist dein Verhalten sicher nicht, denn alt genug, um zu wissen, was du tust, bist du. Und du hast mir gesagt, dass es mit Serdall quasi aus ist. Was glaubst du, was ich denke, wenn du mir das sagst, nachdem ich dir erzähle, was ich für Typen so flachlege?“
 

Daniel holte tief Luft um zu antworten, schwieg dann aber. Was sollte er auch sagen? Kai hatte leider recht. Er hatte die Pille freiwillig genommen, sogar in gewisser Hinsicht dafür bezahlt und er hatte Kai gesagt, dass er wohl wieder solo war. Wofür musste Kai also den Kopf hinhalten?
 

„Tut mir leid“, presste Daniel zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervor und rutschte unbehaglich etwas auf dem Bett hin und her. „Scheiße“, murmelte er und warf einen Blick unter die Decke. Stimmte ja, sie waren nackt schlafen gegangen. Ziemlich fertig mit den Nerven legte Daniel sich das Kissen über den Kopf und versuchte, alles um sich herum einfach zu ignorieren.
 

Kai verdrehte die Augen. Da sah sein Kumpel das also doch endlich ein. Genervt schob Kai seine Beine aus dem Bett und stand auf. Er hätte sich seinen Morgen auch besser vorstellen können, als einen muffeligen Daniel neben sich liegen zu haben. Nackt wie er war ging Kai in die Küche und warf die Kaffeemaschine an, bevor er Wasser für Frühstückseier aufsetzte. Danach deckte er den Tisch. Daniel würde sicherlich auch bald aus dem Bett kriechen, denn Kai verwettete sein Motorrad, dass er durstig war wie ein Schiffbrüchiger, der auf einer einsamen Insel gestrandet und um den nur Salzwasser war. Tja, jeder Spaß hatte seinen Preis, das müsste Daniel doch schon vom Alkohol kennen.
 

Nach einiger Zeit streckte Daniel seine Nase tatsächlich zur Küche herein. Er setzte sich zu Kai an den Tisch und nahm das Glas Apfelsaft dankend entgegen, verschmähte aber jegliche Art von Nahrung. So wie er sich momentan fühlte würde ohnehin alles nur wieder ins Klo wandern.
 

„Sag, fühle ich mich so scheiße wegen des Alkohols oder wegen der Droge?“, fragte er Kai schwach. Der Blonde lächelte amüsiert.
 

„Wohl eher von beidem“, meinte er grinsend und biss von seinem Toast ab. „Sag mal“, fing Kai an, als er sein Frühstücksei köpfte. „Warum ist plötzlich Schluss zwischen dir und Serdall? Letztens noch treu wie Hund und jetzt ein Arschloch?“, fragte Kai verwirrt und sah offen zu Daniel.
 

„Er ist kein Arschloch“, brauste Daniel auf. Wie sollte er es Kai nur erklären, ohne zu viel zu sagen. „Nun, seine Familie ist noch sehr… nun ja… traditionell veranlagt. Sein Bruder, der gerade zu Besuch ist, droht Serdall damit mich abzumurksen, wenn er weiterhin diese perverse Beziehung mit mir führt und Serdall fügt sich ihm und wird demnächst heiraten.“ Zitternd biss sich Daniel auf die Unterlippe. Scheiße, warum fing er allein bei diesen emotionslos vorgetragenen Details an zu heulen?
 

„Aha“, meinte Kai etwas überfordert. Das war doch absolut krank. „Ich vermute, dass er vielleicht noch ne Frau vorher hatte? Und zig Bälger?“, gab er etwas dreist an und sah Daniel an. Was sollte er auch sonst dazu sagen? Das war absolut unrealistisch.
 

„Er war schon mal verheiratet, ja“, bestätigte Daniel etwas überrascht und wischte sich fahrig über die Augen. „Und er hat einen Sohn. Wie bist du darauf gekommen?“
 

„Weil das so typisch ist“, murrte Kai ziemlich genervt. „Diese ganzen Hetentypen testen es doch einfach nur mal aus, wie es so ist wie mit einem Mann, wenn sie die Frauen irgendwie über sind. Danach gehen sie wieder schön anständig zurück zu ihren Tanten und vögeln die. Serdall wird es wohl willkommen heißen, dass er ne gute Ausrede gefunden hat“, verkündete Kai und aß gemütlich weiter. „Mach dich doch nicht so fertig, wegen dem Kerl. Ich mein mal echt, du könntest Männer haben, die dir alles ermöglichen, die wirklich homosexuell sind und dazu stehen. Es kam mir sowieso schon seltsam vor, dass dein Freund nie mit dir ausgegangen ist. Sieh dich doch mal an. Du bist noch verdammt jung, da musst du dich doch nicht so einsperren lassen“, erklärte Kai Daniel.
 

„Serdall ist nicht so“, versuchte Daniel ihn zu verteidigen, doch es klang selbst in seinen Augen lahm. Irgendwie zweifelte er heute Morgen ohnehin alles an, was sich um ihn herum abspielte. Vielleicht hatte Kai recht? Serdall hatte sich mit ihm so gut wie nie in der Öffentlichkeit gezeigt, immer waren sie bei ihm zuhause gewesen. Vielleicht wollte Serdall einfach nicht mit ihm gesehen werden? Vielleicht hatten sie deswegen auch so oft Sex, selbst nach den eineinhalb Jahren, weil Serdall seine Lust einfach an ihm stillte, was er bei einer Frau so garantiert nicht machen konnte? „Das kann nicht sein“, sagte Daniel mehr zu sich selbst.
 

„Naja, ich vermute es ja nur“, warf Kai ein. „Aber es scheint doch ein bisschen Wahrheit drin zu stecken, nicht? Vielleicht siehst du das jetzt erst, nachdem du aus dem ganzen Alltag von deinem Freund raus bist.“ Kai fand Daniels Beziehung überhaupt seltsam. Die ganze Woche nur daheim hocken und sich von seinem Freund umsorgen lassen, wahrscheinlich noch auf dessen Sohn aufzupassen und immer schön klammheimlich sauberen Sex haben. „Kommt mir trotzdem nicht ganz normal vor“, murmelte Kai noch und pustete an seinem noch heißen Kaffee herum.
 

Trotz Kais Abschwächung seiner Worte machten sich immer mehr Zweifel in Daniel breit. Er hatte gar nicht gewusst, dass überhaupt etwas Derartiges irgendwo in seinem Kopf existiert hatte und jetzt nur darauf wartete, an die Oberfläche zu dringen. Wobei, es waren die alten Ängste vom Anfang ihrer Beziehung. Waren sie begründet?
 

„Ich geh duschen“, meinte Daniel und ging ins Bad. Er musste einen klaren Kopf bekommen. Das Gedankenchaos, das sich gerade in ihm breit machte, war einfach unerträglich.
 

Kai winkte ihm nur nach, weil er gerade wieder seinen Toast zwischen den Zähnen hatte. Es war schon krass, wie Daniel scheinbar jetzt einsah, was seine Beziehung mit Serdall wohl wirklich war. Liebe verblendete, das wusste Kai nur zu gut. Er hatte unzählige länger haltende Beziehungen gehabt, die schlussendlich in die Brüche gegangen waren. Damals hätte sich Kai jemanden gewünscht, der ihm gesagt hätte, dass die Beziehung nicht wirklich etwas bedeutet hatte, dass sein Typ ein Arschloch gewesen war. Tja, man konnte nicht alles haben.
 

Kai begann den Tisch abzuräumen als er fertig war und ging dann in sein Schlafzimmer zurück, um nach seinem Portemonnaie zu sehen. Schließlich wollte er nachschauen, wie hoch sich seine Ausbeute vom gestrigen Abend belief.
 

Ende Kapitel 11

Kapitel 12
 

Etwas apathisch saß Daniel in Kais Sessel im Wohnzimmer und wartete eigentlich nur darauf, dass er wiederkam. Er selbst hatte sich nicht mehr aufraffen können zur Uni zu gehen, allein schon, weil er ohnehin eine Vorlesung verpasst hatte und sich körperlich mies fühlte. Vom Seelischen wollte er gar nicht anfangen. Kai jedoch war gegangen und Daniel war hier geblieben, weil ihm bei seiner Mutter genauso die Decke auf den Kopf gefallen wäre und er sich keine Fragen wegen seines Zustandes anhören wollte. Wenigstens fühlte er sich nicht mehr wirklich mies. Es ging schon wieder einigermaßen.
 

Seufzend starrte Daniel den schwarzen Fernsehbildschirm an und griff dann nach der Fernbedienung, um ihn anzuschalten. Vielleicht würde ihn das etwas ablenken, denn die ganze Zeit schwirrten die Gedanken in seinem Kopf umher, ob Serdall wirklich nur mit ihm gespielt hatte. Und wenn war es auch egal. Sie waren nicht mehr zusammen. Es konnte ihm gleich sein. Aber das war es leider nicht. Entnervt schmiss Daniel die Fernbedienung in Richtung Wohnzimmertür, gerade als Kai sie öffnete, sodass er nur knapp verfehlt wurde. Geschockt riss Kai die Augen auf, als das Wurfgeschoss an ihm vorbeirauschte.
 

„Sag mal, hast du sie noch alle?“, zischte Kai wütend und sammelte die Batterien, die aus der Fernbedienung gekracht waren, als sie gegen die Wand geschlittert war, wieder auf und setzte die Fernbedienung wieder zusammen. „Anders als andere muss ich mein Einkommen schwer erarbeiten“, meinte er nun wieder grinsend und testete gleich, ob auch nichts kaputt war. Es ging glücklicherweise noch alles und er legte beruhigt die Fernbedienung zurück neben seinen Fernsehsessel, in dem Daniel mürrisch blickend saß. Augenrollend setzte sich Kai auf Daniels Schoß und hielt dessen Hände fest, als jener ihn herunter schubsen wollte. „Entweder du lächelst jetzt oder ich knutsche dein mürrisches Knautschgesicht“, droht Kai feist und lächelte Daniel überdimensional an.
 

„Wie wäre es, wenn du von mir runter gehst und mich in Ruhe lässt und ich lasse dich am Leben“, knurrte Daniel ungehalten zurück. Momentan ging ihm Kais immer gut gelaunte Art gehörig auf die Nerven, vor allem jetzt, wo er selbst so mies drauf war. Da brauchte er keinen, der ihm zeigte, wie schön die Welt doch augenscheinlich sein konnte.
 

„Okay, also knutsch ich dich“, erwiderte Kai gelassen, griff nach Daniels Kinn und zwängte ihm einen Schmatzer auf. „So, Danniboy“, meinte Kai amüsiert, trotz Daniels wütendem Blick. „Was machen wir heute Abend?“
 

„Du wirst deinen Abend Kopf über im Klo fristen, was ich mache weiß ich noch nicht.“ Daniel wollte Kai von sich herunter schieben, doch der griff sich wieder beide Handgelenke und pinnte Daniel aus seiner günstigeren Position erneut fest.
 

„Ach, du willst in die Disko gehen“, erklärte Kai überrascht und überspielte so Daniels momentan angepisste Art. „Na sag das doch gleich. Dann mach ich mich gleich mal hübsch“, zischte Kai und ließ dann wirklich von Daniel ab. Kurz noch stand Kai vor Daniel und sah ihn nachdenklich an. „Wenn du mich weiter so angammeln willst, verpiss dich lieber. Das hab ich nicht nötig“, sagte Kai leise, ehe er zu seinem Schlafzimmer ging und seinen Kopf pfeifend in den Schrank steckte, um sich ein Outfit für den heutigen Abend rauszusuchen. Am Freitag und Samstag liefen die Geschäfte sowieso immer am besten.
 

Fast wie ein begossener Pudel saß Daniel im Sessel. Er hatte seine Wut schon wieder an Kai ausgelassen und gerade stellte er fest, dass Kai wohl momentan der Einzige war, zu dem er Kontakt hatte. An der Uni hatte er nur Bekanntschaften, mit denen er zwischen den Vorlesungen redete. Seine ganze Welt hatte sich um Serdall, Dustin, Ethan und Taki gedreht und die wurden ihm mit einem Schlag genommen. Niedergeschlagen schlurfte Daniel ins Schlafzimmer, wo Kai sich gerade das Shirt auszog.
 

„Entschuldige, dass ich dich immer so anmaule“, meinte er seufzend. „Ich bin gerade nicht so auf der Höhe.“ Kai schlug Daniel nachsichtig auf die Schulter.
 

„Ist okay, nur lass es in Zukunft. Echt, sowas geht mir schrecklich auf den Wecker“, erklärte er und zog eine pinke Hotpants aus seinem Schrank und hielt sie sich vor die Hüften. „Was meinst du?“, fragte Kai Daniel grinsend, ehe er sie vor Daniels Unterleib hielt. „Würde dir sicher gut stehen, wenn du dir den Busch da unten abrasieren würdest“, süffisant grinsend registrierte Kai Daniels leicht rote Wangen.
 

„Woher weißt du überhaupt…“ Daniel brach ab. Er wollte es lieber gar nicht wissen. „Nun, da ich das Ding ohnehin nicht anziehen werde, kann bei mir da unten alles bleiben wie es ist.“
 

Kai verdrehte die Augen.
 

„Aber bei anderen Hosen, die extrem tief sitzen, sieht es auch scheiße aus“, murrte Kai und hob sein eigenes Shirt an, wobei seine Hose auch ziemlich niedrig sitzend zum Vorschein kam. Er deutete mit dem Zeigefinger auf seinen rasierten Unterbauch. „Wie würde das denn mit Schamhaaren aussehen?“, fragte er empört. „Ich mein mal echt, ist doch eh nervig das Zeug und hat vielleicht mal vor Urzeiten irgendeine Bedeutung gehabt. Heutzutage ist es einfach nur unhygienisch.“ Kai ließ sein Shirt wieder nach unten fallen. „Ich find es zumindest eklig jemanden einen zu blasen, der sich nicht rasiert. Es fühlt sich ohne einfach besser an und in den Haaren sammelt sich schon ein spezifischer Geruch“, erklärte Kai mit einem Augenzwinkern.
 

„Genau deswegen sind die Haare ja da“, erwiderte Daniel mit einem leichten Rotton auf den Wangen. „Dieser spezifische Geruch, wie du es nennst, enthält Sexuallockstoffe. Genauso ist es auch im Achselhaar. Wobei ich mir das dann doch abrasiere.“ Daniel sah an sich hinunter. Nun, er trug normalerweise keine so tief sitzenden Hosen. Aber wenn er mit Kai in die Disko ging, wäre es vielleicht eine Überlegung wert, sich sowas zuzulegen. „Ich weiß nicht“, murmelte er unentschieden.
 

„Man, es wächst doch wieder nach. Aber du glaubst gar nicht, wie gut es sich anfühlt, wenn jemand an den Stellen mit der Zunge drüberfährt“, meinte Kai grinsend. Er kam sich so vor, als ob er seinem kleinen Bruder etwas erklären musste, wenn er einen kleinen Bruder hätte. „Komm, wir können es auch gleich machen, wenn du willst. Ich hab alles da“, meinte er grinsend.
 

„Ich denke, das ist keine so gute Idee.“ Daniel war doch etwas unsicher. Vor allem wollte er nicht, dass Kai ihn rasierte, was er, so wie es klang, vorhatte. „Ich glaube ich will auch gar nicht, dass mir da in nächster Zeit irgendwer mit der Zunge drüber fährt.“ Übertrieben rollte Kai mit den Augen.
 

„Du bist eine Mimose. Kennst du das Wort Spontanität? Ehrlich, es ist doch nicht so, als ob du irgendetwas tun würdest, was man nie wieder rückgängig machen könnte. Probier es doch einfach mal“, versuchte Kai ihn zu überreden, ehe er noch einmal seinen Kopf in den Schrank steckte und sich eine schwarze Hose heraus angelte, die nur einen schmalen Hüftstreifen besaß. „Die könntest du dann gleich mal ausführen“, meinte Kai grinsend. Daniel seufzte und gab sich geschlagen.
 

„Okay, überredet. Aber wehe, wenn du mich schneidest. Dann setzt es was.“ Sie gingen zusammen ins Badezimmer und Daniel setzte sich erst einmal auf den Wannenrand. Er musste schon zugeben, es war schon schön gewesen, dass Kai rasiert war, als er ihm gestern einen geblasen hatte. Er wollte zwar nicht mehr an diese Situation denken, aber das musste er ihm lassen.
 

Voll in seinem Element stellte Kai den Rasierschaum neben Daniel, wechselte die Klinge seines Rasierers und wies Daniel, an sich frei zu machen, nicht ohne dabei verzückt zu kichern. Er kniete sich zwischen Daniels Beine und sah ihn von unten herauf in die Augen.
 

„Jetzt geht’s los“, erklärte er grinsend und befeuchtete zuerst Daniels Unterleib mithilfe eines Waschlappens, ehe er großzügig Rasierschaum auf den Schamhaaren verteilte, wobei er Daniels Beine noch ein wenig weiter spreizte.
 

Leicht zittrig atmete Daniel ein. Das war eine ganz üble Position. Ganz übel. Kai dort so zwischen seinen Beinen, Daniels Glied in der Hand, um alle Stellen mit dem Rasierer zu erreichen. Daniel versuchte das Blut, das sich den Weg in seine unteren Körperregionen bahnte, zu stoppen und wandte den Blick ab. Gar nicht gut.
 

Kai ließ sich nicht beirren, auch nicht als Daniels Glied sich langsam versteifte, was wohl bei dieser Behandlung fast verständlich war. Er rasierte Daniel sauber zu Ende, ohne ihn zu schneiden oder sonstige Attentate auf ihn zu verüben. Als er fertig war klopfte er Daniel gegen den Oberschenkel und ging aus der Hocke heraus.
 

„So, jetzt noch duschen und“, Kai lehnte sich an Daniel vorbei zum wandseitigen Wannenrand und holte eine Creme heran, „damit bitte eincremen. Dass beruhigt die Haut und lässt sie dann nicht ganz so stark jucken“, erklärte er grinsend und strich Daniel einmal kurz durch die schwarzen Haare. Daniels rote Wangen waren absolut niedlich, doch Kai wollte ihn nicht unnötig mit irgendwelchen anzüglichen Kommentaren überfordern. Er würde bei Daniel schon noch zum Zug kommen.
 

„Danke“, murmelte Daniel und nahm die Creme entgegen. Es war ihm total peinlich, dass ihn dieses simple Rasieren erregt hatte. Dabei wollte er eigentlich wirklich nichts von Kai. Schon gar nicht, nachdem Serdall sich gerade von ihm getrennt hatte. Daniels Gedanken schweiften wieder ab. „Ähm, würde es dir was ausmachen zu gehen?“, fragte er Kai, der immer noch im Bad stand, bevor er wieder zu sehr abdriftete. Kai nickte.
 

„Klar, dann kannst du das in Ruhe zu einem Ende bringen“, erwiderte er vergnügt kichernd und ließ den Blick zu Daniels nun rasiertem Unterleib wandern. „Echt, das sieht extrem besser aus“, erwähnte er noch, ehe er aus dem Bad verschwand und weiter seine Kleidung für den Abend heraussuchte. Er war da immer sehr wählerisch und scheinbar fiel es ihm heute richtig schwierig. Er seufzte resigniert und warf sich genervt auf sein Bett, um die Decke anzustarren.
 

Daniels Anblick eben hatte ihn schon nicht kalt gelassen. Er war wirklich auf seine maskuline Art und Weise verdammt niedlich für einen Kerl und Kai bestritt es auch nicht, dass er sich gut und gerne auch mehr mit ihm vorstellen konnte. Aber irgendwie war in Gedanken nicht mehr als ein bisschen Spaß und Sex drin und vielleicht eine gute Freundschaft, wobei man alle drei Dinge verbinden konnte, wenn Daniel wollte.
 

Obwohl Kai ab und zu ein leises Bauchkribbeln verspürte, wenn Daniel ihn aus seinen himmelblauen Augen ansah, war es eben nur das. Das richtige verliebt sein würde sich auch nicht bei Daniel einstellen. Tief seufzte Kai auf. Das hatte sein letzter Freund wohl endgültig zerstört, diese Art von totalem Vertrauen. Murrens erhob sich Kai wieder und schob die tristen Gedanken beiseite. Es war Wochenende, er würde wieder seinen Spaß haben!
 


 

Daniel stand zehn Minuten später mit einem Handtuch um die Hüften in der Schlafzimmertür. Seine Stimmung war wieder etwas gedrückter. Während er sich in der Dusche selbst befriedigt hatte, waren seine Gedanken unweigerlich zu Serdall gewandert. Warum hielt er so an seinem nun wohl endgültig Ex-Freund fest? Es würde gewiss viel Leid ersparen, wenn er Serdall einfach vergaß. Seufzend ging Daniel ganz in den Raum und setzte sich zu Kai auf das Bett.
 

„Ich bräuchte irgendwas an Unterwäsche und Partykleidung, fürchte ich.“
 

Nachdenklich sah Kai zu Daniel und hüpfte dann wieder zu seinem Schrank, um darin zu suchen. Er warf Daniel ein kleines, rotes Etwas zu, dann die schwarze Hose, die er schon vorhin in den Händen gehalten hatte und ein netzartiges Top, schlussendlich noch ein paar Socken, als er grinsend auf Daniels Füße geschaut hatte.
 

„Party genug?“, fragte Kai grinsend, als Daniel nicht begeistert den roten String mit den Fingern auseinanderzog und kritisch beäugte.
 

„So ein Ding hatte ich einmal in meinem Leben an und dann auch nur für zehn Minuten“, meinte Daniel etwas leidlich, ließ dann allerdings sein Handtuch fallen und zog sich den String an. Serdall hatte der String damals ziemlich gut gefallen. Er biss sich auf die Lippen und zischte sich selbst an. Warum konnte er seine Gedanken nicht endlich ausschalten? Er wollte nicht immer an Serdall denken.
 

Daniel zog sich die anderen Sachen auch noch an. Er wollte sich nicht auch noch einen Streit mit Kai darum liefern, dass er so wenig Stoff am Körper hatte. Schließlich lieh er ihm schon Klamotten und sie hatten vorhin erst darüber geredet, dass Daniel ihn im Moment andauernd anmaulte.
 

„Gut, also ich muss nur noch mal kurz ins Bad, dann bin ich fertig“, beschloss Daniel und sah an sich hinab. Eigentlich hätte er sich dieses Netz gar nicht überziehen müssen. Man sah ohnehin alles von seinem Oberkörper. Verzückt klatschte Kai in die Hände und sah Daniel mit großen Augen an.
 

„Wow, Danniboy. Heißer geht’s wohl kaum mehr“, meinte er grinsend. „Vergiss den Kajal aber nicht“, rief der Blonde Daniel noch zu, als dieser schon zum Bad tigerte. Nachdenklich sah Kai wieder auf seine Auswahl an Kleidung. Er musste unbedingt wieder einkaufen gehen. Langsam hatte er manche Sachen schon zweimal getragen und das war ein absolutes No go für ihn. Er mochte es frisch und neu und nicht alt und abgetragen. Seufzend überlegte Kai wirklich, ob er nicht doch die pinke Hotpants anziehen sollte, doch da ließ sich der Stoff so schlecht transportieren. Genervt setzte sich Kai auf sein Bett und starrte zu seinem Schrank. Ihm fiel für Daniel zwar was ein, aber für sich selbst war er mittlerweile überfragte.
 

„Daniel!“, schrie er laut nach dem Schwarzhaarigen und wartete, dass er zu ihm kam. Er brauchte Rat.
 

„Was?“, fragte Daniel etwas genervt und streckte den Kopf zum Schlafzimmer rein. Eines seiner Augen war schon schwarz umrandet, das andere noch normal.
 

„Hilf mir“, meinte Kai verzweifelt. „Ich weiß nicht was ich anziehen soll und wenn du mich jetzt nicht fachmännisch berätst, zieh ich das“, er hielt seine pinke Hotpants nach oben, „an. Und du willst gar nicht wissen, wie arschkalt das auf dem Motorrad dann wird.“
 

Aufstöhnen fuhr Daniel sich mit der Hand durch die Haare.
 

„Da fragst du den Richtigen. Ich habe doch von so was keinen Plan. Warte.“ Er ging zu Kais Kleiderschrank und wühlte sich durch. „Hier“, meinte er nach einiger Zeit und warf Kai eine ziemlich durchlöcherte, tief sitzende, blaue Jeans aufs Bett gefolgt von einem weißen Hemd. „Offen lassen“, fügte er noch hinzu und verschwand dann wieder in Richtung Bad.
 

Verwirrt besah sich Kai die Sachen und grinste dann verschmitzt. Der Kleine hatte doch Modegeschmack, auch wenn er es nicht zugeben wollte. Kai suchte sich auch noch einen schwarzen String heraus und zog nun alles an. Das Ergebnis stimmte ihn zufrieden. Kai besah sich im Spiegel, ehe er zu Daniel ins Bad lief und sich nun die Haare stylte. Vorher schmatzte er Daniel noch einen Kuss auf die Wange. „Du kannst doch, wenn du willst“, meinte er grinsend, ehe er Gel in seinen Haaren verteilte.
 

„Ich hab einfach geschaut, was mir an den Typen in der Disko am besten gefallen hat“, erwiderte Daniel schulterzuckend und ignorierte den Kuss. Er wollte wegen so einer Kleinigkeit nicht schon wieder einen Streit vom Zaun brechen.
 

Zehn Minuten später waren sie fertig und auf dem Weg in die Innenstadt. Sie parkten auf Kais, wie es schien Stammparkplatz, fast direkt vor der Tür.
 

„Sag mal, ist das hier eigentlich deine Stammlokalität?“, wollte Daniel wissen, als er sich den Helm vom Kopf zog und einmal durch seine Haare fuhr.
 

„Ja, merkt man das?“, fragte Kai belustigt und nahm Daniel bei der Hand. Allein jetzt schon, wo die Besucher der Disko anstanden, wurden sie registriert und mit musternden Blicken bedacht. Kai grinste vergnügt. Man merkte, dass Wochenende war. So voll wie jetzt war es die letzten beiden Male mit Daniel nicht gewesen. Der Türsteher winkte Kai zu und ließ ihn zusammen mit Daniel an der Schlange vorbeigehen und ohne Ausweischeck hinein. Nach einem kurzen Abstecher an der Garderobe mussten sie sich regelrecht zur Bar drängeln.
 

„Kai?“, fragte Daniel etwas unbehaglich, als sie am anderen Ende der Bar, wo die Musik nicht ganz so laut war und man sich fast normal unterhalten konnte, angekommen waren. Kai brummte zum Zeichen, dass er Daniel gehört hatte, während er sich scheinbar nach bekannten Gesichtern umsah. „Mich würde interessieren… na ja, der Typ am Eingang eben und der Kerl, der mich beim ersten Mal angemacht hat und dann so einfach damit aufgehört hat. Ist das alles… nun, weil du ihnen Drogen verkaufst?“
 

Nun richtete Kai seine Aufmerksamkeit doch auf Daniel. Es war riskant ihm von seinem Nebenverdienst zu erzählen, aber Kai würde nur etwas bestätigen, was Daniel wohl schon wusste.
 

„Zum Teil, ja. Aber der Türsteher ist eine alte Bettbekanntschaft“, erklärte er zwinkernd und ließ seine Augen noch einmal durch den Raum gleiten. „Hast du ein Problem damit?“, fragte Kai mit schief gelegtem Kopf und sah wieder zu Daniel.
 

„Ich weiß nicht“, meinte Daniel, die ganze Situation noch mal für sich abwägend. „Es macht dich nicht von jetzt auf gleich zu einem anderen Menschen als den, in den ich in der Mensa reingerannt bin, aber irgendwie finde ich das Thema schon etwas heikel. Es gibt nun mal durch Leute wie dich, die den Stoff an den Mann bringen, viele Drogensüchtige, die ihr letztes Hemd für den nächsten Trip geben. Ich könnte das nicht mit meinem Gewissen vereinbaren.“
 

„Sollst du auch nicht“, meinte Kai grinsend und legte Daniel eine Hand in den schönen Nacken. „Ich hab das für mich geklärt und ich komm glänzend damit klar“, erklärte er grinsend. „Mach dir keine Sorgen. Es sind nur vierzig bis fünfzig Pillen, die ich normal am Abend verticke und die kauft keiner alle auf einmal.“
 

„Nur vierzig bis fünfzig Pillen, ja?“, erwiderte Daniel sarkastisch. „Und dann wahrscheinlich noch jeden Abend an dieselben Personen. Klasse.“ Er seufzte und versuchte sich zu beruhigen. „Egal, es ist deine Sache. Solange du damit klarkommst… Außerdem sind die Dinger schon irgendwie recht praktisch.“ Daniel lehnte sich an die Theke zurück. Es war ja nicht so, dass er nicht schon vorher mit halblegalen Sachen konfrontiert gewesen war. Wozu ging er mit dem Bruder eines Oyabun? Korrigiere. War gegangen. Vergangenheit. Daniel atmete tief durch. Vergangenheit.
 

„Ja, praktisch“, Kai schob sich vor Daniel und platzierte die Hände rechts und links von ihm. Er brachte seinen Mund nahe an Daniels Ohr, der dies wortlos geschehen ließ. „Du könntest dir auch eine verdienen, wenn du möchtest“, flüsterte er ihm ins Ohr ehe er ihm in die Augen sah. „Was meinst du?“
 

Aus den Augenwinkeln sah Daniel Kai an. Sollte er? Der Kater gestern kam wohl von der Mischung Alkohol und Ecstasy. Wenn er sich jetzt nur auf die Pille beschränken würde, wäre vielleicht alles gut. Außerdem wäre ein zweites Mal garantiert auch nicht schlimm, sondern würde ihn nur von seinen negativen Gedanken abbringen, die schon wieder dabei waren, sich in seinem Kopf festzusetzen. Ein paar Tage und er war über Serdall hinweg. Dann bestand auch kein Grund mehr, überhaupt über Ecstasy nachzudenken.
 

„Was stellst du dir unter verdienen vor?“, fragte er Kai. „Ich könnte sie dir auch einfach abkaufen, hast du daran schon mal gedacht?“
 

„Ach, wieso kaufen, wenn du sie bei mir für einen ordentlichen Zungenkuss bekommst? Ich mag es, wenn du lustig bist und gestern war es wirklich lustig“, erklärte und ließ seine Hände an Daniels Seiten hinab wandern. „Du könntest dir auch eine kaufen“, flüsterte Kai an Daniels Ohr, „aber das würde dich fünfzehn Mücken kosten. Wochenend-Sonderpreis.“
 

„Na klasse“, maulte Daniel nicht sehr angetan. Entweder er plünderte sein Portemonnaie oder er knutschte mit Kai rum. Letzteres wäre zwar nichts Neues, immerhin hatte er ihm gestern sogar während er sich im Rausch befand einen Fellatio verpasst, aber trotzdem musste er nicht gleich springen, wenn Kai es ihm befahl. Andererseits… „Ach verdammt!“ Daniel zog Kai am Hemdkragen zu sich. Es war fast dieselbe Situation wie gestern. „Ich fühle mich schon fast wie irgendein billiger Stricher. Indirekt von dir für einen Zungenkuss bezahlt“, grummelte er, bevor er Kais Lippen versiegelte.
 

Kai musste in den Kuss hinein lachen, erwiderte ihn jedoch danach leidenschaftlich. Er genoss es, wenn diese Art an Daniel zum Vorschein kam, die ein bisschen unberechenbar für Kai war. Manchmal schien Daniel nämlich so strikt und vernünftig, aber im Grunde war er doch ziemlich kindisch. Irgendwie war es schade, dass diese Seite an Daniel so selten zu Tage kam.
 

Keuchend löste sich Kai von Daniel und sah seinem Gegenüber versonnen lächelnd ins Gesicht. Daniel war wirklich kein schlechter Küsser. Es machte richtiggehend Spaß, ihn zu küssen. Kai beförderte eine der kleinen bunten Pillen aus dem Beutel in seiner Hosentasche und reichte sie, im Sichtschutz der Theke, Daniel.
 

„Du bleibst aber bei mir, okay? Ich will nicht, dass du morgen ne böse Überraschung erlebst und bei irgendeinem Typen aufwachst.“
 

„Bleib du lieber bei mir“, gab Daniel zurück und schluckte grinsend die Pille. Er wusste, dass es etwas dauern würde, doch dann waren endlich alle Gedanken über Serdall zumindest für einige Zeit verschwunden. Schnell bestellte er sich noch eine Cola, um den schlechten Geschmack wegzuspülen. Er wollte mal versuchen, wie es ihm morgen ohne Alkohol gehen würde.
 

Gut zwanzig Minuten später spürte Daniel wieder die ersten Anzeichen, dass das Ecstasy zu wirken begann. Grinsend zog er Kai auf die Tanzfläche und ließ seiner momentanen Aufgedrehtheit freien Lauf, indem er wie ein junger Gott durch die Disko tanzte. Er landete ein paar Mal in den Armen von irgendwelchen fremden Typen, doch Kai zog ihn immer wieder zu sich zurück, was Daniel nur mit einem Lachen quittierte.
 

Gegen drei Uhr morgens kehrten sie wieder zu Kais Wohnung zurück. Daniels Euphorie hatte sich ziemlich verflüchtigt und er starrte etwas trübsinnig vor sich hin.
 

Kai legte zufrieden seine Brieftasche fort, die glücklicherweise randvoll war mit Geld und so seine nächste Miete und die neuen Medizinbücher des nächsten Semesters sicherte.

Seufzend sah er zu Daniel, der sich in den Fernsehsessel gesetzt hatte und schrecklich unglücklich aussah. Fahrig strich Kai sich durch dir Haare. Er konnte das nicht mit ansehen. Entschlossen ging Kai zu seinem Bett und zog die Kiste darunter hervor, in der er seinen Stoff lagerte, den ihm sein Händler letzten Monat beschafft hatte. Er sah auf die Tüte mit dem Kokain, das er noch von der vorigen Bestellung da hatte, das der Kunde aber nicht abgeholt hatte.
 

Er seufzte erneut tief. Das würde Daniel womöglich abhängig machen… Kai schüttelte den Kopf. Er würde schon auf Daniel aufpassen und mehr als die zehn Gramm hatte er eh nicht im Haus und davon würde Daniel maximal ein halbes Gramm jetzt schnupfen. Wenn überhaupt. Mit schiefem Lächeln ging Kai zurück zu Daniel, wobei er die Tüte in der Hand hielt. Daniel sah ihm entgegen, als er auf ihn zukam und mit dem Kokain vor seiner Nase herumwedelte.
 

„Was ist das?“, fragte er recht desinteressiert und sah auf das weiße Pulver in dem durchsichtigen Beutel.
 

„Koks“, erklärte Kai schlicht und holte eine Visitenkarte sowie einen Geldschein, ehe er auf seinem Glastisch ein bisschen von dem weißen Pulver verteilte und mit der Visitenkarte eine Linie zog. „Komm, ich zieh auch eine Bahn mit“, erklärte Kai und begann den Euroschein zu einem Röhrchen zu drehen. Kurz blickte Daniel ihn undeutbar an, dann zuckte er mit den Schultern und setzte sich neben Kai auf den Boden. Momentan war ihm so ziemlich alles egal.
 

„Einfach durch die Nase, ja?“, fragte er und als Kai nickte hielt Daniel sich ein Nasenloch zu und schnupfte das Kokain durch das andere. Seine Augen fingen etwas an zu tränen, doch ansonsten passierte im ersten Moment nichts.
 

Kai tat es ihm nach und setzte sich dann mit Daniel auf das Sofa. Er lehnte sich zurück und legte einen Arm um ihn. Er konsumierte nur selten selbst Drogen, dieses Mal wohl nur, um sich seinem schlechten Gewissen Daniel gegenüber zu entziehen, weil er ihm sozusagen kostenfrei den Scheiß gab. Doch Kai konnte es nicht sehen, wenn Menschen unglücklich waren. Er war es auch lang genug gewesen. Er lehnte seinen Kopf an Daniels und wartete, dass die Wirkung einsetzte. Bisher hatte er nur den widerlich bitteren Geschmack im Rachen, der ihn so anekelte.
 

„Der Mist dauert immer seine Zeit“, murrt Kai Daniel zu und spielte mit dessen Fingern.
 

„Hm“, meinte Daniel kurz angebunden. Er wollte wieder raus aus dem Loch, das die nachlassende Wirkung des Ecstasy hinterlassen hatte und das er beim letzten Mal wohl verschlafen hatte. Er fragte sich nebenbei, wie viel Geld die Drogen, die Kai ihm bis jetzt gegeben hatte, wohl kosteten. Günstig war der Spaß bestimmt nicht.
 

Langsam begann auch endlich die gewünschte Wirkung einzutreten. Ein angenehmes Kribbeln zog durch Kais Bauch und verteilte sich in seinem ganzen Körper. Plötzlich fühlte er sich gut, enorm gut. Einfach unbesiegbar und total abgehoben. Kai begann plötzlich zu reden, über irgendwelche Nichtigkeiten und Daniel stieg darauf ein. Sie plapperten, hatten plötzlich den Drang dazu und wie nebenbei schmiegte Kai sich enger an Daniel, lachte vergnügt wie immer und kuschelte seinen Kopf in Dans Schoß. Er begann mit Daniel über Gott und die Welt zu reden und sich selbst auch mit Gott zu vergleichen.
 

Erleichtert stellte Daniel fest, dass seine schlechte Stimmung sich scheinbar in Luft aufgelöst hatte. Er diskutierte mit Kai eine Weile darüber, wie die Welt jetzt entstanden war, ob etwas an der Schöpfungsgeschichte dran war oder nicht und sie entwickelten zusammen unglaublich logisch klingende, faszinierende Theorien.
 

„Weißt du, Kai“, meinte Daniel irgendwann, „ich finde dich irgendwie voll klasse. Auch, dass du mit allen möglichen Typen rummachst. Ich hätte eigentlich auch nichts dagegen, aber da war nun mal immer Serdall und den wollte ich eben halten und ihm treu sein. Davor hatte ich aber kein Problem damit, gleich am zweiten Tag mit Dustin in die Kiste zu hucken und mit Serdall wollte ich es auch so schnell wie möglich treiben. Ich glaube, ich bin auch ganz schön versaut.“ Er lachte und sah Kai dann schief grinsend an. Der Kopf in seinem Schoß, der bei jeder Bewegung über seinen Schritt rieb, ließ ihn nicht wirklich kalt.
 

„Wieso die Gelegenheit nicht nutzen?“, kicherte Kai vergnügt. „Serdall ist Geschichte und ich finde dich echt niedlich“, erklärte er immer noch grinsend und gut drauf. „Außerdem bin ich überragend im Bett. Ein richtiger Sexgott“, meinte er absolut überzeugt und setzte sich auf, um in Daniels Haar zu greifen und ihn zu sich zu ziehen. „Da würde Serdall vor Neid erblassen“, proklamierte er grinsend und begann Daniel heftig zu küssen. Er löste sich schnell von Daniel, als er dessen erhärtetes Glied erfühlte. „Ha“, rief er erstaunt, „ich mache dich also an.“ Immer noch kichernd, packte Kai Daniels Hand und zog ihn aufgedreht mit sich ins Schlafzimmer, um ihn lasziv lächelnd auf das breite Bett zu schubsen.
 

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Abrupt schlug Daniel die Augen auf. Das Erste, was er merkte, war ein unangenehmes Ziehen in seinem Unterleib. Es war zwar nicht mehr nötig, aber ein prüfender Blick auf dem Boden neben dem Bett zeigte ihm verstreut herumliegende Klamotten und zwei benutzte Kondome. Über sich selbst und sein Verhalten schockiert ließ er sich wieder zurück in eine liegende Position fallen. Es war schon seltsam. Gestern hatte er ein so starkes Verlangen nach Kai gehabt, nach Sex im Allgemeinen, dass er fast überhaupt nicht nachgedacht und einfach nur mit ihm geschlafen hatte. Leider musste Daniel zugeben, dass Kai mit seiner Angeberei recht behalten hatte. Er war gut, sehr gut und er schien die gleiche Art von Sex zu bevorzugen, wie Daniel es zumindest nach stressigen Tagen tat. Recht schnell und hart.
 

Daniel schien es, als könne er nicht behaupten, dass der Sex nicht gut gewesen wäre. Wenn er ehrlich mit sich war hatte er gestern vom rein Körperlichen her wohl mit den besten Sex seines Lebens gehabt. Bei Serdall war das etwas Anderes. Sie passten sich aneinander an und so schliefen sie meist gesitteter miteinander, wobei die Liebe, die Daniel für ihn empfand, die Lust ergänzte und steigerte.
 

Er schloss leidvoll die Augen. Serdall. Da war er wieder. Der Gedanke an den einzigen Mann, den Daniel je wirklich geliebt hatte, der sein Denken fast vierundzwanzig Stunden am Tag beherrscht hatte und den er jetzt nur noch aus der Ferne betrachten konnte. Was würde Serdall wohl sagen, wenn er erfuhr, was Daniel schon so kurz nach ihrer Trennung alles trieb? Allein die Vorstellung wie er sich verhalten würde, trieb Daniel die Tränen in die Augen. Er wollte nicht, dass Serdall sauer und enttäuscht war. Er wollte ihn zufrieden und glücklich haben.
 

Ruckartig stand Daniel auf, ignorierte den scharfen Schmerz und seinen rebellierenden Kreislauf. Es war in Ordnung, was er hier tat. Serdall hatte sich von ihm getrennt, nicht er sich von Serdall. Und auch wenn es so herum gewesen wäre, er war jetzt ein freier Mann. Er konnte tun und lassen was er wollte. Er musste niemandem Rechenschaft darüber ablegen. Nur warum fühlte er sich dann so schuldig?
 

Wütend stapfte Daniel ins Wohnzimmer. Er wusste, dass unter der Wut Schmerz und Trauer verborgen waren, die nur darauf warteten hervorzukommen, wenn Erstere abgeklungen war. Daniel stockte. Eigentlich hatte er vor fernzusehen, irgendeine Gedanken abstumpfende Talkshow zu gucken oder sich so mit Musik volldröhnen zu lassen, dass seine Gedanken übertönt wurden, doch was er auf dem Tisch liegen sah, ließ ihn sein Vorhaben noch einmal überdenken. Neben einem Geldschein lag unschuldig die kleine Tüte mit Kokain.
 

Etwas unentschlossen stand Daniel im Türrahmen. Das Zeug hatte ihn gestern einfach nur glücklich gemacht, alle negativen Gedanken ausgemerzt, aber ihm sein Denkvermögen gelassen. Anders als bei den beiden Ecstasy Pillen war er nicht so seltsam drauf gewesen, sondern einfach nur in gewisser Hinsicht im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte, abgeschottet von allen negativen Gedanken. Leider war es auch genau der Punkt, der ihn jetzt so sehr quälte, dass er eigentlich freiwillig mit Kai geschlafen hatte und nicht nur, weil ihn die Drogen zu irgendwas angestiftet hatten.
 

Daniel ließ sich vor dem Tisch nieder. Etwas skeptisch klopfte er etwas Pulver als der Tüte auf den Glastisch, nahm die Visitenkarte und schob es zu einer sauberen Bahn zusammen. Es war ungefähr die Menge von gestern, vielleicht etwas weniger. Daniel verdrängte die Warnsirenen, die in seinem Kopf schrillten, und zog sich das Kokain dieses Mal durch das andere Nasenloch. Befreit seufzend lehnte er sich an die Couch zurück. Nur noch weg mit den Gedanken. Einfach wieder glücklich sein.
 

Ende Kapitel 12

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Kapitel 14
 

Daniel lief die Stufen zu Kais Wohnung hoch. Er kam gerade vom Geldautomaten um die Ecke, wo er sich die nötigen Scheine für sein Tattoo geholt hatte. Heute wollte er es sich stechen lassen, so viel war klar. Kai war gerade in der Uni. Heute am frühen Nachmittag, als Daniel aufgewacht war, hatte er eine Notiz von ihm auf dem Kopfkissen gefunden und auf dem Nachtschrank eine Bahn Kokain. Scheinbar hatte Kai Mitleid mit ihm und eingesehen, dass Daniel sich sein Zeug tatsächlich irgendwo anders besorgen wollte, zumindest solange, bis er die Sache mit Serdall hinter sich gelassen hatte. Das war zumindest Daniels Plan.
 

Vor sich hin summend sah er auf die Uhr, während er es sich im Sessel bequem machte. Gut, Kai würde gleich wiederkommen, dann konnte er mit ihm über sein Vorhaben noch einmal reden. Eigentlich brauchte Daniel nur jemanden, der ihn hinfuhr und eventuell Händchen hielt. Er hatte keine Ahnung wie weh es tat, wenn einem mit Nadeln Farbe unter die Haut gespritzt wurde.
 

Tatsächlich klappte dann endlich die Tür. Kai schleppte eine Einkaufstüte in die Küche. Er war noch schnell im Supermarkt gewesen, sonst hätten sie die nächsten Tage nichts zu essen gehabt. Mittlerweile glaubte Kai, dass Daniel gar nicht mehr von ihm weg wollte.
 

„Verständlich“, zischte er sich selbst zu. Bei ihm gab es schließlich das Wundermittel, was Daniel wieder glücklich werden ließ. Kopfschüttelnd räumte er die Lebensmittel in den Kühlschrank und rief Daniel zu sich. Er könnte wetten, dass sein Freund noch nichts gegessen hatte.
 

„Hey“, grüßte Daniel und strecke seinen Kopf zur Küchentür rein. „Ich will ins Tattoostudio gehen, kommst du mit?“, fragte er Kai und wedelte mit seinem Portemonnaie vor dessen Nase herum.
 

„Erst, wenn du etwas gegessen hast“, stellte Kai klar und begann Reis aufzusetzen und dazu eine Soße aus der Tüte zu machen. „Und glaubst du wirklich, dass du so spontan ein Tattoo kriegst? Die werden mit dir reden, bevor die dir überhaupt was stechen. Und ein Motiv musst du dir auch noch überlegen“, murrte Kai patzig und verschränkte die Arme.
 

„Komm mal runter“, erwiderte Daniel mit hochgezogener Augenbraue und machte es sich am Tisch bequem. „Ich gehe da hin, suche mir ein Motiv aus und lasse es mir stechen. Fertig. Was ist denn daran bitte so schwer? Und warum bist du überhaupt so mies drauf? Hat dich in der Uni irgendwer dumm von der Seite angemacht?“
 

Sicher nicht, dachte Kai angepisst. Es war schließlich nur der Typ drogensüchtig, in den er sich anscheinend verknallt hatte. Ganz große Klasse. Kai seufzte resigniert. Daniel wollte das Zeug nur, um seinen Ex zu vergessen, das hieß nicht, dass er abhängig war. Vielleicht aber auch doch, wenn er sich Daniels rotgeränderte Augen so ansah…
 

„Wenn du unbedingt willst“, seufzte Kai leise. „Vorher bekomm ich aber mal einen Begrüßungskuss, oder? Ist doch kein Wunder, dass ich schlecht drauf bin“, meinte er nun doch noch grinsend. Gedanken machen konnte er sich wann anders. Bisher hatte er alles mit Daniel unter Kontrolle.
 

„Oh, das tut mir leid“, meinte Daniel amüsiert, ging auf Kai zu und gab ihm einen tiefen, aber verzehrenden Zungenkuss. „Mehr gibt es nicht. Ich will mein Tattoo und ich will es, bevor das Zeug wieder nachlässt, damit ich mich nicht blamiere und vor Schmerz rumschreie. Es sei denn…“ Mit einem Dackelblick sah Daniel Kai an. „Du könntest mir auch noch ein bisschen was geben, wir schieben noch ne kleine Nummer und dann gehen wir ins Studio.“
 

Kai lachte vergnügt. Irgendwie gefiel ihm diese Art an Daniel gewaltig.
 

„Wie wär es in einer geordneten Reihenfolge? Erst essen, dann Sex, deine Bahn und dann das Studio, okay?“
 

Er würde Daniel wohl eine geringfügig höhere Dosis geben müssen, wenn es die ganze Sitzung im Tattoo Studio halten sollte. Oder er ging zu einem guten Kumpel, der ihn ziemlich genau kannte. Letzteres wäre wohl angebrachter. Er wollte nicht, dass Daniel noch mehr von dem Zeug bekam.
 

„Ja, hört sich gut an“, bestätigte Daniel. „Das Essen müsste zwar nicht unbedingt sein, aber ohne das lässt du mich ja, wie du gedroht hast, nicht weggehen, also bleibt mir nichts anderes übrig.“
 


 

Gut eine Stunde später schlenderten sie in Richtung Tattoostudio. Daniel besah sich von außen schon mal ein paar Motive, doch bislang gab es noch nichts, was ihm wirklich zusagte. Er zog Kai mit sich hinein.
 

„Hey Kai“, rief ein zierlicher junger Mann, dessen Haut zahlreiche Tattoos schmückten. Kai reichte ihm die Hand.
 

„Na Kallus, wie geht es dir?“, wollte Kai grinsend wissen und sah kurz Daniel nach, der auf der Suche nach dem passenden Motiv durch den Raum schlenderte.
 

„Alles klar soweit“, erwiderte Kallus und legte dann den Kopf schief. „Was treibt dich her?“
 

„Mein Freund hier“, murrte Kai. „Er will eine Tätowierung, gleich oder am besten sofort“, meinte er mit den Augen rollend. Kallus lachte vergnügt.
 

„Alles klar. Soll er sich umschauen, ich werde erst mal gucken, wie es mit meinen Terminen steht.“
 

Daniel stoppte abrupt, als er von weitem schon das Motiv sah. Sein Motiv. Es war nicht eines der ausgestellten Tattoos, sondern mit im Design eines Plakats integriert, aber wenn es möglich wäre… Er ging wieder zurück zu Kai und lächelte ihn an.
 

„Ich hab was gefunden“, frohlockte er. Wieder rollte Kai mit den Augen. Sollte Daniel seinen Willen doch haben, waren schließlich sein Körper und sein Geld. Kallus winkte sie heran.
 

„Ihr habt Glück. Ein junges Mädchen hat ihren Termin abgesagt, also wenn du wirklich willst? Vorher muss ich dich aber noch über dir Risiken aufklären und so weiter.“
 

„Gut“, erwiderte Daniel simpel und hörte sich den kleinen, scheinbar schon unzählige Male erzählten Vortrag an. „Ich will das Tattoo trotzdem noch haben“, grinste er anschließend. „Und zwar am liebsten mit dem Motiv dort drüben. Dieser gewundene Drache auf dem Plakat. Also wenn du das hinbekommst, so ohne richtige Vorlage, wäre das schon klasse. Hier auf den Unterbauch am Hüftknochen.“
 

„Auch noch Extrawünsche“, nuschelte Kai neben ihnen aber verstummte, als Kallus vergnügt lachte.
 

„Kein Problem. Ich skizzier erst mal die Outlines, dann kannst du mir sagen, ob es dir gefällt oder nicht. Also dann mal los, schreiten wir zur Tat“, erklärte Kallus vergnügt und führte sie in den sterilen Behandlungsraum.
 

Kallus hatte wirklich Talent. Das musste Daniel neidlos zugeben. Der Drache auf der Art Faxpapier sah fast noch besser aus, als der auf dem Plakat. Sie handelten den Preis aus, Daniel bezahlte und zog dann Hose und Boxershorts ein gutes Stück herunter. Seine Haut wurde mit Alkohol gereinigt, rasiert und noch einmal mit Alkohol angefeuchtet.
 

„Bereit?“, fragte Kallus noch einmal und Daniel nickte bestätigend.
 

„So bereit wie jetzt werde ich nie mehr sein.“
 

Kallus nickte und fing an. Anfangs war es etwas ungewohnt und unangenehm, aber Daniel gewöhnte sich schnell daran. Es schmerzte auch kaum, obwohl das Tattoo im Intimbereich gestochen wurde. Zuerst wurden die Outlines gezogen, dann der Drache mit der gewünschten schwarzen Farbe ausgefüllt. Kallus setzte noch ein paar Schatten, bevor er die Stelle desinfizierter und Vaseline auftrug.
 

„Wow“, stellte Daniel glücklich fest und besah sich das fertige Meisterwerk. „Das ist echt klasse geworden.“
 

„Ja, ne?“, meine Kallus stolz auf sich und zückte seine Kamera. „Ich würde gern noch ein Bild für mein Book machen, okay?“ Als Daniel zustimmend nickte, knipste Kallus die Stelle, ehe er die sterile Folie drüberlegte und mit Pflastern an den Seiten fixierte. „Und nicht vergessen, so pflegen wie besprochen, ja? Dann entfaltet es in circa dreißig Tagen seine volle Pracht.“
 

Kai verabschiedete sich noch und Daniel hüpfte schon freudig nach draußen. Es sah wirklich ziemlich gut aus. Kurz küsste er Daniel, bevor sie zurück zu Kais Wohnung gingen.
 

„Du hast auch überall Kontakte, was?“, fragte Daniel Kai, als sie die Wohnung wieder betraten. „Ich mein, du kennst den Türsteher, den Barkeeper, diverse andere Leute in der Disko, einen Tätowierer. Überall, wo ich mit dir hinge, grüßen dich die Leute. Das ist schon faszinierend.“
 

Kai lachte und schloss die Arme um Daniel.
 

„Das ist normal, wenn man so offen ist wie ich. Klar, dass du das nicht kennst. Ich mein mal ehrlich, wie viele Leute kennst du außerhalb der Uni denn, hm? Ich hab in all den Jahren echt schräge Vögel kennengelernt“, erklärte er grinsend und küsste Daniels Hals. „Und? Tut dein Tattoo sehr weh?“
 

„Nein, eigentlich so gut wie gar nicht. Wenn ich mich nicht darauf konzentriere, merke ich es gar nicht. Jetzt mit dem Tattoo war so eine Situation wo ich richtig glücklich bin, dass du mich zur Intimrasur überredet hast.“
 

Daniel lehnte sich leicht an Kai und ging mit ihm zusammen ins Wohnzimmer.
 

„Na, das hat auch so seine Vorzüge“, murmelte Kai grinsend. Daniel legte sich auf das Sofa und Kai drängte sich neben ihn. Versonnen lächelnd strich er ihm über die Stirn und hauchte kleine Küsse auf Daniels Lippen. „Morgen gehst du zur Uni?“
 

„Ich weiß nicht. Kommt drauf an. Eigentlich hatte ich vor, heute wieder feiern zu gehen und dann werde ich wohl etwas länger schlafen und nicht gehen.“ Daniel zuckte mit den Schultern und fuhr leicht unter Kais Pullover. Er fühlte sich zwar momentan richtig gut und konnte den Stoff in der Uni garantiert super meistern, aber er hatte einfach keine Lust.
 

Seufzend ließ sich Kai von Daniel am Bauch streicheln. Ihm war es egal, solange Daniel sich wohl fühlte. Kai begann Daniel ebenfalls ein wenig zu liebkosen und sich näher an ihn zu lehnen. Sich tief küssend blendeten sie um sich herum alle Dinge aus und Kai seufzte leise auf, als sie sich voneinander lösten.
 

„Dan?“, fragte Kai leise und holte dann tief Luft. „Würdest du mein fester Freund werden?“
 

Etwas verwirrt sah Daniel ihn kurz an. Er musste die Frage erst einmal verdauen. Seltsamerweise musste er nicht sehr lange über die Antwort nachdenken.
 

„Klar“, meinte er lächelnd. „Ich hab dich gern und schlafe schließlich nicht mit jedem Typen. Außerdem habe ich immer dieses Kribbeln im Bauch, wenn du bei mir bist. Vielleicht ist es noch keine richtige Liebe, aber wohl Verliebtheit.“ Kurz gab Daniel Kai einen Kuss.
 

Glücklich begann Kai zu Lächeln. Sprach da vielleicht auch der echte Daniel heraus? Kai war sich sicher, denn so eine Entscheidung würde Daniel nicht nur so einfach treffen können, oder? Nein, Kai war sich sicher, dass das Kokain dahingehend nicht so stark wirken konnte. Er zog Daniel eng an sich und begann ihn heftig zu küssen. Diese Antwort machte ihn wirklich wahnsinnig froh.
 

Daniel erwiderte leidenschaftlich. Es freute ihn, dass Kai scheinbar wirklich glücklich war. Irgendwie schien er in den letzten Tagen recht deprimiert. Und so war es doch klasse. Er selbst war glücklich, Kai war glücklich und Daniel hatte kein Problem damit, mit ihm zu gehen. Sie wohnten zusammen, schliefen zusammen, unternahmen alles zusammen, das konnte man auch so schon als eine Beziehung bezeichnen. Außerdem gab es gerade nichts in seinem Kopf, was sich gegen diese Idee auflehnte.
 

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Dienstagabend. Regungslos stand Serdall an der offenen Terrassentür und sah hinaus in die Dunkelheit. Kimba und Mücke mussten noch einmal hinaus und Serdall schnappte so auch ein wenig frische Luft, obwohl sie sehr kühl war. Er fühlte sich seltsam leer, seit er den Brief an Daniel geschickt hatte, aber auch irgendwie nicht real. Ihm kam es immer nur noch so vor, als ob Feis Anwesenheit in diesem Haus nur ein vorübergehender Albtraum war.
 

Seufzend ging Serdall zu seinem Barschrank und holte seinen guten Cognac und ein bauchiges Glas hervor, das er halbvoll füllte. Die Flüssigkeit darin schwenkend trat Serdall zurück zur Terrasse und ging ein Stück weit hinaus. Eine leichte Gänsehaut bildete sich auf seiner Haut, trotz des dicken Pullovers, doch er registrierte es kaum. Langsam begann sich wieder die Sehnsucht einzustellen. Die Sehnsucht nach Daniel. Das Verlangen ihn wiederzusehen, ihn zu spüren, seine Stimme zu hören, sich an ihn zu schmiegen und in seine Arme zu flüchten. Wie es ihm wohl ging? Ob er sehr traurig war? Serdall wusste nichts und Dustin redete mit ihm darüber nicht.
 

Serdall hoffte inständig, dass alles in Ordnung war, dass Daniel wirklich auf sich aufpasste und keine Dummheiten beging. Der Spuk mit Fei würde sicherlich bald vorbei sein, auch wenn es momentan nicht so aussah. Serdall konnte die Hoffnung nicht aufgeben, sonst würde er sich selbst und Daniel aufgeben und das lag ganz sicher nicht in seinem Interesse. Es ging ihm schon so schlecht genug. Er hatte keinen Appetit, ständig Magen- und Kopfschmerzen, doch er kämpfte für Daniel, für seinen Liebsten und für seine eigene Freiheit, auch wenn sie noch so fern schien.
 

Traurig warf er einen Blick zurück ins Wohnzimmer. Er wollte seine Geige spielen… Serdall sah auf seine Hände, an denen der Schorf sich langsam zurückbildete und rotegefärbte Stellen hinterließ. Wieso hatte er nur so überreagiert? Er fragte sich immer wieder, warum. Normalerweise hätte er nie mit seinen Händen zugeschlagen, doch Feis Worte waren zu viel für ihn gewesen. Erst jetzt realisierte er, was seine Reaktion eigentlich für eine Bedeutung hatte. Daniel war ihm mehr wert, als sein eigenes Leben. Er liebte ihn schlicht und ergreifend von ganzem Herzen und opferte dafür auch seine Freiheit, wenn es sein musste.
 

Seufzend lehnte sich Serdall an die kalte Glaswand und nippte an dem Alkohol. Irgendwie musste Fei doch zu überzeugen sein. Irgendwie… Serdall wusste nicht wie. Überhaupt, wie sollte er jemanden so starrsinnig und stolz wie Fei dazu bringen, die Wahrheit zu sehen? Es war sicher nicht unmöglich, doch es brauchte seine Zeit und die, so glaubte Serdall, lief ihm einfach viel zu schnell davon.
 

Seine neue, zukünftige Frau hatte schon sein Schlafzimmer besetzt. Serdall hatte es ohne Wiederworte geschehen lassen, obwohl ihm bei dem Gedanken daran schon schlecht wurde, dass er mit ihr in einem Bett schlafen musste. Sowieso, er schlief des Nachts kaum mehr. Ihn plagte die Unruhe, weil Mayumi viel zu nah bei ihm schlief und er es einfach nicht aushielt, wenn sie immer weiter an ihn heranrückte. Es machte ihn mittlerweile geradezu wahnsinnig, das Mayumi ihm, seit sie hier war, ständig wie ein treuer Dackel hinterherlief.
 

Fei trat plötzlich zu ihm heraus und sah ihm mit undeutbaren Gesichtsausdruck an. Kimba und Mücke begannen schlagartig zu knurren und auf Fei zuzukommen. Mit einem Pfiff rief Serdall zu sich. Artig setzten sie sich an seine Beine. Es war schon irgendwie amüsant und auch wirklich schön, dass die Hündinnen zu erkennen schienen, dass Fei ihnen nicht ganz wohl gesonnen war. Seit der Oyabun erfahren hatte, dass Kimba Daniel gehörte, hatte er nahezu darauf bestanden sie in ein Tierheim abzugeben, doch das hatten Serdall und Taki nicht zugelassen. So hatte Serdall wenigstens noch diese beiden treuen Freunde.
 

„Du solltest nicht so in der Kälte stehen, Serdall“, sagte Fei überaus fürsorglich und für Serdalls Geschmack zu gut gelaunt. Sofort wurde sein Misstrauen geweckt.
 

„Ich werde nur austrinken und dann ins Bett gehen, Oyabun“, erwiderte Serdall und sah nicht zu Fei, den diese Titulierung von Serdall sichtlich schmerzte. Serdall schüttelte innerlich den Kopf. Wenn Fei ihn kontrollieren wollte wie der Oyabun, dann würde er ihn auch wie den Oyabun behandeln. Schließlich konnte ihm das nicht auch noch genommen werden. Er tat nun mal alles, was Fei wollte. „Außer du wünschst, dass ich sofort gehe“, fügte Serdall an und sah Fei fragend an, der daraufhin leicht den Kopf schüttelte.
 

„Serdall, ich wollte dir nur noch eine angenehme Nacht wünschen. Morgen sollten wir uns noch einmal unterhalten. Zumindest ich habe dir so einiges zu erzählen“, offenbarte der Oyabun und Serdall verbeugte sich.
 

„Es wird mir eine Ehre sein“, erwiderte Serdall ernst, doch konnte sich innerlich keinen bissigen Gedanken verwehren. Fei schenkte ihm einen scharfen Blick, doch Serdall ließ sich nicht irritieren. Sein Bruder verschwand kommentarlos und Serdall trank wirklich nur noch seinen Cognac, ehe er die Hunde rein dirigierte und die Terrassentür hinter sich schloss. Er kraulte Kimba und Mücke noch kurz am Kopf, ehe er wirklich auf sein Zimmer ging.
 

Mayumi schlief augenscheinlich schon. Auf Daniels Seite. Serdall biss sich wütend auf die Lippe. Ruhe bewahren!, mahnte er sich selbst und ging ins Badezimmer. Serdall ließ sich die Wanne voll laufen und setzte sich dann in das warme Wasser. Er wollte einfach nur die Zeit dieser Nacht so schnell wie möglich wieder herumbekommen. Sich fragend was Fei mit ihm bereden musste, tauchte er kurz im Wasser unter und hielt die Luft an. Die Stille, die ihn umfing, nur durchbrochen von seinem eigenen Herzschlag, begrüßte er freudig. Auch wenn die Luft knapp wurde, versuchte er diesen Moment so lange wie möglich aufrecht zu erhalten, bis er keuchend nach oben ruckte, um seinen schmerzenden Lungen, das zu geben, wonach es sie verlangte.
 

Abgehackt ein und aus atmend starrte Serdall an die Decke. Erinnerungen an Daniel drohten ihn wieder zu übermannen. Wie oft er hier mit ihm schöne Stunden verbracht hatte, vermochte Serdall gar nicht zu sagen, doch jetzt ihm Nachhinein waren es schlichtweg zu wenig.
 

Lange Zeit blieb er so liegen, störte sich nicht daran, dass seine Haut langsam runzelig wurde. Erst als ihn die Müdigkeit nahezu niederringen wollte, erhob sich Serdall schwach und kletterte aus der Badewanne. Er wickelte sich eng ein Handtuch um seinen Körper, bevor er zum großen Spiegel trat, der über dem Waschbecken hing. Sein Gesicht war blass, kontrastierte mit den roten Wangen, die er vom langen Baden bekommen hatte. Augenringe furchten sich bis hin zu seinen Wangen und ließen ihn doch etwas leichenhaft wirken.
 

Genervt den Kopf schüttelnd nahm sich Serdall eine der Lotionen und rieb seine Haut großzügig ein, ehe er in seinen Schlafanzug stieg und sich endlich in sein Bett traute. Er rückte jedoch sogleich an den Rand, aus Angst vor Mayumi, die leise im Schlaf seufzte. Serdall musste einige Zeit warten, ehe er in einen unruhigen Traum fallen konnte, der ihn aber wenigstens für einige Stunden zu fesseln schien.
 

Serdall schaffte es diesmal sogar bis kurz nach zehn zu schlafen, aber nur weil Mayumi augenscheinlich beschlossen hatte, ihn heute nicht wecken zu wollen. Seufzend schlug er die Augen auf und rieb sich über die Schläfen. Es war ungewohnt zu dieser Zeit überhaupt wach zu werden, doch er konnte einfach nicht anders. Sich noch einmal die Decke über den Kopf ziehend, versuchte er sich für den Tag zu stärken. Dustin und Taki waren schon in der Schule, er selbst also allein auf sich gestellt.
 

Am morgen war seine Stimmung immer am schlimmsten. Schiere Ausweglosigkeit wollte ihm die Kraft nehmen, doch er klammerte sich an den letzten Funken Hoffnung, den er noch hatte. Dass Fei vielleicht irgendwann verstand. Jetzt wohl nicht, aber bald bestimmt. Es war egal, solange Daniel nur auf ihn wartete und ihn liebte. Serdall festigte diesen Gedanken in sich. Er zelebrierte ihn wie ein Gebet. Wenn Daniel ihn liebte, würde alles gut werden. Nun konnte er Fei gegenüber treten, ohne Schwäche zu zeigen.
 

Er wusch sich, zog sich an und ging dann hinunter. Schließlich hatte ihm der Oyabun mitgeteilt, dass er mit ihm reden wollte. Fei telefonierte jedoch geschäftig, als Serdall zu ihm ins Wohnzimmer trat. Dies kam dem Violinisten nur recht. Er war nicht darauf erpicht, mit seinem Bruder zu reden. Stattdessen ging er lieber mit Kimba und Mücke in den Garten und spielte mit ihnen. Etwas, das er bisher noch nie getan hatte, doch seit er seine Geige nicht mehr anfasste, war dies eine willkommene Ablenkung.
 

Selbst nach dem Mittagessen war Fei noch schrecklich beschäftig, sodass Serdall erst am späten Abend zu ihm gerufen wurde. Sofort, als er das Wohnzimmer betrat, wusste er, dass etwas eindeutig nicht stimmte. Fei lächelte viel zu zufrieden und sein Blick war zu selbstgefällig.
 

„Setz dich doch bitte zu mir, Serdall“, wies Fei ihn an. Zögernd trat Serdall zum Sofa und setzte sich mit angemessenem Abstand zu seinem Bruder. Argwöhnisch besah sich Serdall die Mappe, die auf dem flachen Tisch ruhte. Geschockt riss er die Augen auf, als er den Namen Daniel Erhard darauf las. Was sollte das hier werden? Was hatte Fei vor? Wut kochte in Serdall hoch. Er würde Fei eigenhändig töten, wenn er Daniel auch nur ein Haar gekrümmt hatte.
 

„Serdall“, lenkte der Oyabun seine Aufmerksamkeit wieder auf sich. „Ich möchte dir etwas zeigen, damit du mir endlich glaubst, in Ordnung?“
 

„Ganz wie du wünschst, Oyabun“, erwiderte Serdall fest, doch innerlich war er rasend. Allein sein Name ließ all seine Erinnerungen an Daniel wieder hochkochen und die unendliche Liebe zu ihn brennen, wie nie zu vor. Er sehnte sich so schrecklich nach seinem Freund… Fei griff nach der Akte und hielt sie kurz in seinen Händen.
 

„Ich hab diesen Erhard beschatten lassen, Serdall. Nur um dir zu beweisen, wie er wirklich ist.“
 

Serdall schwieg, sah seinem Bruder aber trotzig in das noch verletzte Gesicht. Du kannst mir viel erzählen, dachte sich Serdall grimmig. Ich weiß, dass er mich liebt und ich kenne ihn, bestärkte er sich selbst noch einmal.
 

Fei verzog abschätzig den Mund. Spätestens wenn Serdall die Bilder sehen würde, wäre er endlich überzeugt. Er reichte Serdall die Akte. Das war Beweis genug.
 

„Sieh es dir selbst an“, meinte Fei lapidar und lehnte sich mit verschränkten Armen zurück.
 

Unsicher schlug Serdall die Mappe auf. Ein Bild von Daniel war zu sehen, vor irgendeinem Hauseingang mit einem anderen blonden Mann. Womöglich ein Kommilitone, vermutete Serdall und sah kurz verliebt auf Daniels Antlitz. Wieder brandete Sehnsucht in ihm hoch wie eine Sturmflut.
 

Serdall begann die weiteren Bilder anzusehen. Registrierte jedoch nicht wirklich, was er sah. Fahrig betrachtete er eins nach dem anderen, wobei er ungläubig den Kopf schüttelte und große Augen bekam. Daniel nahm Drogen. Er schlief mit diesem Blonden. Schlimmer noch, er hatte bedeutungslosen Sex auf irgendwelchen Toiletten. Serdall glitten die Bilder aus den Händen. Sie fielen verstreut auf den Boden. Fassungslos sah Serdall in den Raum. Er tat nichts, außer in den Raum zu sehen. In seinem Kopf begann sich ein ätzender Gedankenwirbel in Gang zu setzen. Daniel betrog ihn, war über ihn hinweg, hatte einen neuen Freund, nahm Drogen und liebte ihn nicht… Wütend sprang Serdall auf und trat gegen den Tisch, sodass er krachend umfiel. Daraufhin blitzte er Fei an. Der Oyabun sah gelassen zurück. Endlich schien Serdall einzusehen.
 

„Ich hab es dir doch gesagt“, meinte er hämisch und fühlte sich dabei endlich im Recht.
 

„Das ist deine Schuld“, erklärte Serdall wütend, sodass Fei leicht zusammenzuckte. Würde Serdall wieder so austicken wie beim letzen Mal?
 

„Sieh es ein“, befahl Fei kalt. „Er hat dich ausgenutzt.“
 

Plötzlich fiel alle Spannung von Serdall und er ließ den Kopf hängen, ehe er ihn wieder hob und Fei traurig lächelnd in das Gesicht sah.
 

„Ja, das hat er. Danke“, flüsterte er noch leise, „jetzt weiß ich wenigstens, dass ich keinen Grund mehr habe, dir zu gehorchen.“
 

Feis Augen weiteten sich ein wenig, als Serdall plötzlich aus dem Raum lief. Was hatte sein Bruder vor? Warum war er nur so schrecklich unberechenbar? Eilig sprang Fei auf und hastete Serdall hinterher, der in die dritte Etage geeilt war. Geschockt sah Fei dabei zu, wie Serdall eine Waffe aus einem Buch seines Nachtschrankes herausholte.
 

„Was hast du vor?“, fragte er ihn kalt und ging langsam auf Serdall zu. Die blaugrünen Augen richteten sich auf Fei. Sie schienen glanzlos und trüb. Ein eiskalter Schauer lief Fei über den Rücken, als Serdall die Waffe an seine eigene Schläfe setzte.
 

„Hier gibt es nichts mehr, wozu es sich zu leben lohnt“, erklärte Serdall zittrig und Tränen begannen aus seinen Augen zu rinnen. Gehetzt ließ Fei seinen Blick umher wandern. Serdall wollte sich wirklich umbringen?
 

„Mach dich nicht lächerlich. Was ist mit Taki?“, versuchte Fei diese Sache logisch anzugehen. Es war schlecht, dass Serdall so verflucht emotional war. Fei hätte damit gerechnet, dass er wütend auf Daniel wäre, ihn verachten würde und ihn endlich vergessen könnte. Wie hätte er denn ahnen können, dass diese Situation so eskalierte?
 

Serdalls Augen legten sich kurz auf den Boden, ehe sie wieder zu Fei sahen.
 

„Was soll er mit mir? Ich kann ohne Daniel nicht leben, Fei. Ich bin lieber tot, als all den Schmerz, den ich nach Louises Verlust empfunden habe, jetzt noch einmal zu fühlen.“
 

Fei schüttelte ungläubig den Kopf. Ja, Louises Tod hatte Serdall nur sehr schwer verkraften können. Aber konnte Serdall diesen Daniel so lieben wie sie? Der Oyabun starrte Serdall plötzlich fassungslos an. War es wirklich so? War Serdall wieder so abhängig geworden?
 

„Serdall, das ist dieser Mann doch nicht wert“, versuchte es Fei noch einmal, doch Serdall sah ihn nur unglücklich an.
 

„Du wirst es nie verstehen, oder? Ich kann dich mit dem Messer attackieren, dich ins Gesicht schlagen und mich jetzt umbringen…“ Angewidert verzog Serdall den Mund. „Daniel ist der Einzige, der es wert gewesen wäre und du hast alles zerstört.“ Serdall sah Fei kalt in die Augen. „Wenn jemand es nicht wert war, dann du.“
 

Ungläubig schüttelte Fei den Kopf. War Serdall einfach so verblendet von diesem Mann? Als Serdall plötzlich die Augen schloss und sein Zeigefinger sich stärker auf den Abzug legte riss Fei die Augen auf.
 

„Serdall!“, schrie er aufgebracht, wobei sein Herz bestialisch in seiner Brust klopfte. Er konnte sich doch nicht selbst töten! Fei atmete regelrecht auf, als sein Bruder nicht abdrückte und noch einmal die traurigen Augen auf ihn richtete. „Warte. Ich…“, er wusste nicht, was er sagen sollte.
 

„Vergiss es, Fei. Für Entschuldigungen ist es zu spät.“ In Serdall begann wieder dieser unerträgliche Schmerz zu wüten, der sich schlimmer ausmaß als bei Louise. Diesmal war es auch schlimmer. Daniel hatte ihn ausgenutzt und betrogen. Das war unerträglicher, als ihn zu verlieren.
 

„Ich werde ihn dir zurückbringen“, erklärte Fei auf einmal und Serdall konnte nur emotionslos lachen.
 

„Und dann? Er liebt mich nicht, das hast du mir doch eindeutig bewiesen.“
 

Fei schüttelte den Kopf.
 

„Er…“, Fei zögerte. Er hatte all die Zeit gegen Daniel gekämpft und jetzt sollte er ihn in Schutz nehmen? Er musste jetzt abwägen. Das Leben war ihm wichtiger, als seine eigene Überzeugung, das war klar. Und Serdall würde sich hier und jetzt töten, wenn er nicht einschritt. „Daniel nimmt Drogen“, sagte Fei fest.
 

„Das hab ich gesehen“, zischte Serdall unglücklich.
 

„Serdall, versteh doch. Er ist nicht er selbst. Kokain wird ihn sich glücklich fühlen lassen. Dieser Blonde ist Kai Hahn. Ein Drogendealer.“
 

Serdall riss plötzlich geschockt die Augen auf. Das konnte nichts ein. Daniel schlief mit diesem Kerl, um an Kokain zu kommen? Wegen so einem Dreck betrog er Serdall?
 

„Noch ein Argument, das ihn wertloser macht“, erklärte er kalt, hielt die Waffe stärker an seine Stirn und schloss die Augen. Er konnte das einfach nicht mehr ertragen, wollte einfach nur noch weg von hier.
 

„Daniel versucht sich den Schmerz zu nehmen“, sagte Fei kalt und brachte so Serdall dazu, die Waffe sinken zu lassen.
 

War der Trennungsschmerz für Daniel so unerträglich gewesen? Schwach ließ Serdall die schwarze Waffe in seinen Schoß sinken.
 

„Er liebt mich also?“, fragte er Fei leise. Der Oyabun seufzte leise und ging zu Serdall, um sich vor seinen kleinen Bruder zu hocken.
 

„Bestimmt. Die Drogen können einen Menschen verändern, aber du weißt doch, dass er dich liebt, oder?“
 

Serdall zuckte ratlos mit Schultern und sicherte im nächsten Moment die Waffe. Es war unverzeihlich, dass Daniel mit diesem Kai geschlafen hatte und es war auch unverzeihlich, dass er nicht auf Serdall gehört hatte. Das verstand er ganz sicher nicht unter auf sich aufpassen.
 

„Bring ihn mir zurück, Fei“, sagte er leise und sein Bruder nickte. Er konnte Serdall nicht noch mehr Leid zufügen. Diese Aktion hatte ihm doch ziemlich heftig die Augen geöffnet. Auch wenn ihm das mit Daniel nicht zusagte, war es Serdalls Leben.
 

Ende Kapitel 14

Kapitel 15
 

„Ha!“
 

Stöhnend schlang Daniel ein Bein um Kai, während dieser weiterhin rhythmisch in ihn stieß. Seit sie nun in gewissem Sinne offiziell miteinander gingen, war es nicht unbedingt Daniel, der sich während seinem Rausch an körperlicher Nähe ergötzen wollte, sondern Kai kam jetzt auch ziemlich oft auf ihn zu.
 

Daniel keuchte erregt auf, als Kai mit jedem schnellen Stoß seine Prostata reizte und ihn somit in den Himmel beförderte. Aufgeheizt krallte er seine Hände in Kais Schultern und kam den Bewegungen entgegen, hörte sich selbst nach mehr flehen, doch machte sich daraus nichts. Die Erfahrung des Sex mit Kai war jedes Mal wieder von Neuem atemberaubend. Kai lächelte versonnen in Daniels erblühtes Gesicht und schloss die Augen. Das war einfach zu genial.
 

So in ihrer Lust gefangen, bemerkten sie nicht, wie die Haustür knackend aufgebrochen wurde und drei schwarz gekleidete Männer die Wohnung betraten. Vorsichtig arbeiteten sich jene den Flur entlang bis zum Schlafzimmer, aus dem eindeutige Geräusche kamen. Kikuchi zog überrascht eine Augenbraue nach oben, als er in den Raum trat. Er nickte Feis Leibwächtern zu, die sich sofort anspannten. Der Assassine schlich sich unbemerkt näher an Daniel und Kai heran, ehe er blitzschnell auf das Bett sprang und Kai einen deftigen Schlag an die Schläfe gab, der ihn sofort ohnmächtig zusammenbrechen ließ.
 

„Nehmt den Schwarzhaarigen mit“, sagte er auf Japanisch zu seinen Komplizen, während er Kai von Daniel herunter zerrte.
 

„Lasst mich los!“, schrie Daniel wie von Sinnen und schlug um sich. Was auch immer Kikuchi und seine Handlanger hier machten, wenn sie ihn hätten umbringen wollen, hätten sie es wohl schon getan. Außerdem hielt sich Daniels Angst gerade ohnehin ziemlich in Grenzen. Wütend wehrte er sich gegen die anderen beiden und blitzte Kikuchi an. Schnell hatte er seine Schwachstelle gefunden und schlug ihm in einem unbeachteten Moment hart auf die Nase, bevor er grob ein Stück von ihm weggezogen wurde.
 

„Lasst mich los, ihr Affen!“
 

Wütend begann es in Kikuchis Augen zu funkeln. Er versetzte Daniel einen heftigen Schlag gegen den Hinterkopf, um ihn wenigstens für die nächste Zeit ruhig zu stellen. Sogleich sank der Schwarzhaarige bewusstlos zusammen. Kikuchi zog seinen Mantel aus und sie legten ihn dem jungen Mann um, bevor sie ihn nach unten in den Wagen schafften. Der Assassine schloss fürsorglich hinter sich die Tür, deren Schloss noch sauber einhakte. Er verstand schließlich sein Handwerk.
 

Sie beeilten sich zurück zum Agamie Anwesen zu fahren, wo man sie schon erwartete. Serdall wies sie an, Daniel in sein Schlafzimmer zu bringen, was sie nach Feis bestätigendem Nicken taten. Man ließ Serdall mit Daniel allein, der seufzend damit begann, Daniel mit einem Waschlappen den nun kalten Schweiß vom Körper zu waschen.
 

Leise wimmernd kam Daniel nach kurzer Zeit zu sich.
 

„Scheiße“, zischte er und griff sich an den Hinterkopf. Er fühlte eine ziemlich große Beule und ließ die Hand kraftlos wieder sinken. Die Augen hatte er noch geschlossen. Er wollte lieber gar nicht sehen wo er war. Das Kokain hatte ebenfalls aufgehört zu wirken und er fühlte den üblichen Gedankenwust durch seinen Kopf wirbeln.
 

„Schluss“, flehte er, als in schneller Folge die Bilder all seiner Fehler in den letzten Tagen auftauchten, immer wieder unterbrochen von Serdalls Gesicht.
 

Serdall saß mittlerweile einfach nur neben Daniel und sah ihn an. Übelkeit gepaart mit einer schrecklichen Angst setzte sich in seiner Bauchregion ab. Er wusste nicht, was er tun oder sagen sollte, er wusste nur, dass er diesen Daniel hier nicht kannte. Vorsichtig strich Serdall mit dem Zeigefinger über Daniel Wange, um seine Aufmerksamkeit zu erlangen. Leicht öffnete Daniel seine Augen ein Spalt breit und schloss sie dann wieder. Ein leises freudloses Lachen war zu hören.
 

„Scheiße, Kai. Was für ein Zeug hat du mir da gegeben?“, murmelte er und fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Soweit war es also schon, dass seine Wahnvorstellungen Wirklichkeit zu werden schienen.
 

Serdall zischte wütend auf. Er hatte Daniel fürsorglich in eine Hose gesteckt und war dabei über etwas gestolpert, was ihm gar nicht gefiel.
 

„Dieser Kerl wird dir nie wieder etwas geben“, erwiderte Serdall kalt und stand auf. Die Arme verschränkend stellte er sich an die geschlossene Glastür zum Balkon und starrte eisig hinaus. Alles was er jetzt fühlte war Wut und Enttäuschung. „Ich hoffe du bist langsam wieder bei Sinnen.“
 

Geschockt für Daniel hoch und stöhnte schmerzlich auf, als sein Kopf sich bemerkbar machte. Er musste daran denken, Kikuchi dafür noch eins auf die Nase zu geben. Aber jetzt war das wichtiger, was sich hier vor ihm abspielte.
 

„Serdall.“ Daniel konnte es noch immer nicht glauben. Warum war er hier? Wie kam es dazu, dass Kikuchi und Feis Bodyguards ihn förmlich aus Kais Wohnung entführten? Vollkommen verdutzt ging Daniel auf Serdall zu.
 

„Ja“, erwiderte der Violinist nur. Er wusste nicht wo er anfangen sollte, was er Daniel überhaupt sagen sollte. Fahrig strich er sich durch die Haare und sah zu Daniel, der ziemlich geschockt und verständnislos zu ihm sah und wohl eine Erklärung erwartete. Stattdessen legte Serdall einfach nur den Kopf leicht schief und musterte Daniel kalt. Seine Liebe für Daniel schob er momentan weit weg. Hier musste er erst klären, ob es noch der Daniel war, den er liebte. „Du hast ziemlich schnell die Hoffnung aufgegeben, nicht?“, fragte er emotionslos und lehnte sich an die Glastür in seinem Rücken.
 

Daniel fühlte sich wie vor den Kopf geschlagen. Endlich sah er Serdall wieder, endlich. Er hätte nicht im Traum daran gedacht, dass es so schnell gehen würde, überhaupt auf diese Art und Wiese gehen würde, doch die Worte trafen ihn hart.
 

„Nein!“, begehrte er auf, doch Serdalls kalte Augen ließen ihn zurückschrecken. So hatte er ihn noch nie angesehen. Daniel schluckte und spürte, wie Tränen in seinen Augen aufstiegen. Das waren die Nachwirkungen des Kokains, das wusste er, aber trotzdem konnte er sie nicht unterdrücken.
 

„Doch“, revidierte er seine eben gegebene Antwort leise und starrte betrübt auf den Boden. „Aber ich dachte doch…“ Er stockte. Interessierte es Serdall überhaupt, was er gedacht hatte?
 

Serdall verzog angewidert den Mund.
 

„Was dachtest du? Dass du dich von einem Drogendealer ficken lassen und dir mit Kokain das Hirn wegätzen musst?“, schrie Serdall wütend und sah auf Daniels zusammengesackte Gestalt. „Hast du auch nur einen Moment an mich gedacht, als du dir diesen Mist durch die Nase gezogen hast?“ Zornig ging Serdall auf Daniel zu und packte ihn hart am Kinn. „Sag es mir“, flüsterte er bedrohlich und sah Daniel in die Augen. All die Gefühle, die Hoffnungslosigkeit, die Angst, die Sehnsucht und die Liebe zu Daniel schienen jetzt in Serdall überzureagieren und sich zu einem wahren Chaos in ihm zu verwandeln. Er verstand Daniel nicht.
 

„Du weißt es. Alles“, stellte Daniel geschockt fest. Aber woher wusste Serdall davon? Er sah in den so eisigen Augen vor sich, dass Serdall immer noch auf eine Antwort wartete. Daniel wandte den Blick ab, wenn er schon das Gesicht nicht von Serdall wegdrehen konnte. „Ich habe die ganze Zeit nur an dich gedacht“, flüsterte er. „Deswegen habe ich es auch erst gemacht. Ich konnte einfach nicht länger.“
 

„Wie bitte?“, fauchte Serdall wütend. „Du konntest was nicht länger? Nicht auf mich warten? Oder konntest du es ohne Sex nicht mehr aushalten?“ Kopfschüttelnd ließ Serdall von Daniel ab. Fei hatte ihm gesagt, dass Daniel wohl ein bisschen verwirrt sein würde, wenn die Drogenwirkung nachließ. Es wäre wohl angebrachter, wenn er sich ausschlafen würde. Serdall konnte auch einiges an Ruhe vertragen und das nicht zu knapp.
 

„Daniel“, meinte er nun leiser und sah wieder zu seinem verstört wirkenden Freund. Die Tränen schienen nicht versiegen zu wollen und es schmerzte Serdall tief in seinem Innern. „Besser wir schlafen erst einmal eine Nacht. Morgen reden wir weiter. Jetzt bist du nicht wirklich ganz da.“
 

Hart biss sich Daniel auf seine Unterlippe. Er wollte noch etwas sagen, irgendwas, aber er wusste nicht, mit welchen Worten er in dieser Situation auch nur irgendwas erreichen konnte. Serdall zu umarmen oder ihm sich irgendwie zu nähern traute er sich auch nicht. Stattdessen nickte er simpel und zögerte. Er wollte nicht allein sein. Etwas unbehaglich schob er sich unter die Bettdecke an den Rand von seiner früheren Bettseite. Wollte Serdall ihn jetzt überhaupt noch haben? Oder ließ er ihn aus Mitleid erst einmal bleiben, damit er nicht weiterhin mit Kai Kontakt hatte? Daniel zog die Decke um sich herum fest. Nebenbei fragte er sich, wann die Tränen endlich mal aufhören würden zu fließen.
 

Seufzend wandte Serdall den Blick ab und ging in das angrenzende Bad von seinem Schlafzimmer. Er war froh, dass er Daniel wieder bei sich wusste, doch irgendwie kam er sich trotzdem extrem fern von ihm vor. Er liebte Daniel, ja. Doch da war dieses unbestimmte Gefühl, das ihm keinerlei Vertrauen ihm gegenüber verspüren ließ. Serdall glaubte, dass es einem Messerstoß gleichkommen würde, wenn er Daniel umarmen würde. Er musste unbedingt mit ihm einige Dinge klarstellen und Serdall war sich nicht wirklich sicher, ob diese Beziehung überhaupt noch eine Zukunft hatte.
 

Traurig zog sich Serdall um. Würde er sich dann wirklich umbringen? Jetzt kam ihm diese Aktion nur idiotisch und überhaupt schrecklich unüberlegt vor. Er war Fei dankbar, dass er eingelenkt hatte, dass er nun nicht mehr in sein Leben eingreifen wollte. Zumindest hatte er ihm das gesagt. Serdall unterdrückte den Drang, sich einfach an Daniels Seite zu legen, um wieder seine Wärme zu spüren. Schweren Herzens legte er sich auf seine Bettseite. Er war hellwach und sein Kopf war voll von Gedanken und Sorgen, die sich einfach alle um Daniel drehten. Er knipste die Nachttischlampe aus und starrte an die Decke. Wie sollten sie das nur überstehen?
 

Ziemlich steif lag Daniel an seiner Seite und zupfte nervös an dem Teppich, den er durch seinen aus dem Bett hängenden Arm erreichen konnte. Wie sehr wünschte er sich jetzt Kai her, im Gepäck eine Bahn Kokain. Entspannung, das war es nämlich, was Daniel gerade brauchte, begleitet von einer Abnahme seiner umherwirbelnden Gedanken. Er war bis zum Umfallen erschöpft und müde, da er in den letzten Tagen auch fast nicht geschlafen hatte, doch der Schlaf wollte sich auch dieses Mal nicht einstellen.
 

Emotionslos verfolgte Daniel die Gedankenstränge, die durch seinen Kopf schossen, sich zwar vom Inhalt her, nicht aber von den Gefühlen, die sie auslösten, von denen der letzten Tage unterschieden. Neu war allerdings die Frage warum er hier war, warum Fei das erlaubte und ihn nicht gleich umgebracht hatte, als er auch nur einen Fuß in dieses Haus gesetzt hatte, warum man überhaupt bei Kai eingebrochen und Daniel nicht einfach herbestellt hatte. Die wichtigste Frage war allerdings die nach Serdalls Liebe.
 

Serdall schien ganz genau zu wissen, was in Daniels Leben passiert war, seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten. Wie es dazu kam musste noch ergründet werden, doch Fakt war, dass irgendjemand ihn in den letzten Tagen verfolgt haben musste. Diese Erkenntnis ließ Übelkeit in Daniel hochsteigen, allerdings nicht so sehr wie die Frage, ob Serdall ihn jetzt immer noch liebte. Das Vertrauen war weg, das stand wohl außer Frage, aber die Liebe?
 

Ruhelos stand Daniel schließlich auf und trat auf den Balkon hinaus. Er ignorierte die Kälte, die ihm umklammerte und starrte die Straße hinunter. Es war halb vier. Er würde nicht mehr schlafen können. Müde ließ er sich auf einen der Stühle sinken und ergab sich seinem Schicksal, ließ seinen Gedanken freien Lauf, die begleitet von erneuten Tränen über ihn hineinbrachen.
 

Serdall legte sich auf die Seite und starrte zur offenen Balkontür. Daniel konnte also genauso wenig schlafen wie er. Fahrig strich er sich über die Augen, bevor er ebenfalls aufstand und zu Daniel hinaus trat. Betrübt sah er auf Daniels zusammengesunkene Gestalt. Was hatte Daniel nur dazu gebracht, überhaupt Drogen zu nehmen? Hatte ihn der Schmerz so sehr erdrückt, als er diesen unwahren Brief gelesen hatte? Mitleid breitete sich in Serdall aus. Er wusste nicht wie sich Daniel gefühlt haben musste, als er diese Worte gelesen hatte, dass es aus wäre, dass Serdall ihn nicht liebe… Serdall ging kurzentschlossen auf ihn zu und legte eine Hand auf Daniels Schulter, wobei der sofort zusammenzuckte.
 

„Komm, Daniel. Es ist kalt und ich kann nicht schlafen, wenn du so unruhig bist“, murmelte Serdall leise und fasste seine Hand. Er wollte wenigstens für den Moment all die schrecklichen Dinge vergessen und einfach mit Daniel im Arm einschlafen.
 

Überrascht ließ sich Daniel auf die Beine und zurück ins Schlafzimmer ziehen. Etwas unbehaglich schlüpfte er unter die Decke. Er wollte sich schon wieder an den Rand schieben, als Serdall sein Handgelenk griff und ihn aufhielt. Perplex nahm Daniel wahr, wie Serdall näher zu ihm rutschte. Bild dir nichts drauf ein, schalt er sich selbst für das jähe Gefühl der Hoffnung. Er hat selbst gesagt, dass er nicht schlafen kann, wenn du so unruhig bist. Er will einfach seine Ruhe haben.
 

Trotzdem konnte Daniel die Wärme spüren, die ihn durchflutete. Zittrig atmete er ein und erlaubte es sich, sich zu entspannen und wenigstens jetzt, vielleicht das letzte Mal, auf diese Weise Serdalls Nähe zu spüren. Die Tränen flossen immer noch, doch zumindest fühlte Daniel sich jetzt geschützt und behütet, auch wenn das alles wohl nur Einbildung war.
 

Erleichtert atmete Serdall aus. Vorsichtig schob er seine Hand über Daniels, von den niedrigen Temperaturen draußen noch leicht gekühlte Brust. Langsam lehnte er sich näher und zog Daniel dann in eine Umarmung, die ihn leise seufzen und leicht zittern ließ. Er wollte gern sagen wie sehr er das vermisst hatte, wie sehr Daniel ihm gefehlt hatte, doch kein Wort verließ seine Lippen. Stumm strich er die Tränen von Daniels Wangen und genoss diese wohlbekannte Nähe. Zumindest sein Körper war Daniel vollkommen verfallen, so wie auch Serdalls Verstand, doch das Vertrauen war weg. Trotzdem, wollte er zu Daniel irgendetwas sagen, diese Umarmung erklären, doch er konnte einfach nicht. Serdall war nur froh, Daniel erst einmal wieder bei sich zu haben.
 

Das Schweigen war Daniel Beweis genug, dass diese Nähe keine andere Bedeutung für Serdall hatte, als endlich schlafen zu können. Trotzdem lehnte Daniel sich dankbar in die Umarmung und vergrub sein Gesicht in Serdalls Halsbeuge. Ein letztes Mal. Ein letztes Mal noch diese vertraute, vermisste Nähe, ehe es endgültig aus war, Serdall heiraten und Daniel hinter sich lassen würde. Aber hatte Daniel nicht auch Serdall hinter sich gelassen? Zumindest nach außen hin musste sein Verhalten gegenüber Kai so ausgesehen haben. Wie sollte ein Außenstehender auch seine wahren Beweggründe erkennen? Doch Daniel wusste, dass er wohl nie über Serdall hinwegkommen würde. Das hatte ihm auch sein Tattoo gezeigt.
 

Er hatte es sich unter dem Einfluss von Kokain stechen lassen, wo eigentlich alle negativen Gedanken aus seinem Kopf verbannt waren und trotzdem war das Motiv ein s-förmig geschlungener Drache. Serdall und Asien. Wenn das nicht Beweis genug für seine immer noch unendliche Liebe war, die Daniel auch deutlich spürte. Aber ein schlichtes Bild würde wohl kaum eine Hochzeit aufhalten.
 

Endlich fand Serdall Ruhe und konnte einschlafen, als Daniels Atemzüge auch tiefer wurden.
 

Stunden später erwachte Serdall aus einem doch sehr erholsamen Schlaf. Es war schummrig im Zimmer. Dichte Wolken verhingen dunkel die Sonne und erweckten eine triste Atmosphäre, die Serdall umso bedrückter werden ließ. Seufzend sah er auf Daniels Schopf, der sich im Schlaf auf seine Brust gelegt hatte, wie so meist, bevor dieser ganze Spuk mit Fei gewesen war.
 

Liebevoll ließ Serdall eine Hand durch die schwarzen Haare streichen und über den Nacken kraulen. Wie sehr ihm das gefehlt hatte… Himmel, allein bei diesem Anblick schlug sein Herz schneller und immer mehr kam das Verlangen, Daniel einfach wieder zu küssen. Aber das ging nicht. Erst musste er wissen woran er war und Daniels Betrug war unverzeihlich. Wie hatten sie da überhaupt noch eine Chance? Hatte Serdall überhaupt die Wahl? Entweder er verzieh Daniel oder er würde keine Sekunde mehr vernünftig leben können. Wieso stand diese Liebe nur in so einem erschreckend radikalen Verhältnis?
 

Daniel regte sich nach einiger Zeit. Er hatte ziemlich unruhig geschlafen. Unangenehme Träume hatten ihn heimgesucht und verfolgt, doch jedes Mal, als er aufgeschreckt war, lag er neben oder halb auf Serdall und schlief schon bald darauf wieder ruhig und entspannt ein. Alles in Allem hatte er viel besser geschlafen als die vergangenen Nächte. Müde gähnte er. Trotzdem hätten es ruhig noch einige Stunden mehr sein können.
 

„Morgen“, flüsterte Serdall heiser und strich Daniel weiter über den Hals und durch die Haare. „Wie geht es dir?“, fragte er leise und besorgt, als Daniel unglücklich zu stöhnen schien. Sie mussten reden, unbedingt.
 

Kurz überlegte Daniel und horchte in sich hinein.
 

„Hm“, antwortete er dann. „Müde, erschöpft, ausgelaugt.“ Er zögerte. „Und ich habe echt das Verlangen nach ein bisschen Kokain.“
 

Daniel riss die Augen auf, als er die Anspannung des Körpers unter sich fühlte. Erst jetzt realisierte er irgendwie, dass es Serdall war und nicht Kai, mit dem er hier lag. Gut, irgendwie war ihm das vorher auch schon klar gewesen, aber sein noch müdes Gehirn schien nicht schnell genug geschaltet zu haben.
 

Serdall versuchte sich zu beruhigen, was bei dieser Aussage kaum möglich war. Daniel schien wohl wirklich von diesem Zeug abhängig zu sein, trotz der nur kurzen Zeit. Die Hände von Daniel nehmend strich er sich fahrig über das Gesicht. Er wusste nicht wie er anfangen sollte, wie er jetzt reagieren sollte… Seufzend richtete er sich ein wenig auf, was Daniel dazu veranlasste von ihm herunter zu rutschen und sich neben ihn zu legen.
 

„Ich hoffe dir ist klar, dass du das Zeug nicht nehmen solltest“, meinte er kalt und sah zu Daniel. Das war nicht wirklich das, was er sagen wollte. Eigentlich hatte er Lust, Daniel dafür anzuschreien, ihm die Nasenlöcher zuzukleben, damit er gar nicht mehr dazu kam, sich irgendetwas hindurch zu ziehen. „Erklär mir das, Daniel“, murrte Serdall im nächsten Moment und schob die Decke von Daniels Hüften, sodass halb dessen neueste Errungenschaft zum Vorschein kam. Das Tattoo. „Und wenn du schon dabei bist, auch die Gründe für das Kokain“, flüsterte Serdall emotionslos und legte sich auf die Seite, um Daniel aufmerksam anzusehen, auf eine Erklärung wartend.
 

Daniel seufzte erledigt und richtete sich ebenfalls im Bett auf. Starr blickte er auf seine Finger. Er war Serdall wohl eine Erklärung schuldig. Allerdings kam ihm in diesem Moment ein anderer Gedanke, der sich hartnäckig festsetzte und sich nicht mehr so schnell abschütteln ließ. Leicht wütend sah Daniel Serdall an.
 

„Weißt du, eigentlich dürfte dir das alles egal sein“, schnaubte er impulsiv. „Du hast dich schließlich feige per Brief von mir getrennt, oder nicht? Also hast du kein Recht, mir irgendwelche Vorwürfe zu machen.“
 

Serdall lachte kalt auf.
 

„Was hättest du denn getan, hm?“, zischte er wütend. „Hättest du denjenigen, den du liebst, einfach sterben lassen? Tut mir leid, dass ich dich liebe und nicht wollte, dass du stirbst. Aber du scheinst eh alles abzuhaken, so wie es kommt und geht. Mit mir bist du ja auch durch.“ Er sah Daniel noch kurz an, ehe er sich weiter im Bett aufsetzte. Warum hatte Daniel es denn nicht verstanden? Klar, dieser Brief war hart gewesen, doch es hatte nun mal keine andere Möglichkeit gegeben, Daniel zu schützen. Was bitteschön hätte er denn sonst tun sollen?
 

„Warte“, meinte Daniel schnell und drückte Serdall wieder ein Stück zurück. Es stimmte ja. Was hätte Serdall machen sollen? Vielleicht hatte Fei ihm auch beim Schreiben über die Schulter geschaut oder er wollte einfach nicht, dass Daniel mit ihm Kontakt aufnahm und sich somit selbst in Gefahr brachte. Es war vielleicht nicht die glücklichste Lösung gewesen, aber was hätte er in der Situation getan?
 

„Der Brief hat mich fertig gemacht“, begann Daniel seine Schilderung leise. „Ich hatte zuerst gedacht, dass es nur ein Fake war, ein Mittel, um mich erst einmal nicht mehr bei dir zu haben, bis sich alles wieder beruhigt hatte. Trotzdem war ich total deprimiert und habe gedacht, dass es wirklich aus ist, dass nach der Hochzeit alles verloren ist. Ich wusste nicht, wie lange dich Fei danach bedrängt hätte und was noch alles zwischen dir und dieser Japanerin passiert wäre.
 

Auf jeden Fall habe ich ein paar Tage vorher Kai kennen gelernt. Wir sind dann in die Disko gegangen, weil ich mich einfach ablenken wollte, und irgendwie hat er mir dann Ecstasy gegeben, das mich alles um mich herum hat vergessen lassen. Es war klasse, als plötzlich alles Schreckliche in den Hintergrund gerückt war. Am nächsten Abend habe ich dann auch wieder eine Pille geschluckt, als die Wirkung nachließ dann Kokain gesnieft.
 

Es war irre, wie gut ich mich plötzlich gefühlt hatte. Immer, wenn die Wirkung nachließ, stürzte ich wieder in meine tristen Gedanken und wenn ich wieder Kokain genommen hatte, fühlte ich mich gut. Und irgendwie zog mich Kai eben auch irgendwie an. Körperlich“, fügte Daniel flüsternd hinzu.
 

„Und das Tattoo“, meinte er noch, um mit dem Thema schnell abzuschließen. „Irgendwie war das eine Kurzschlusshandlung. Ich wollte eins haben und habe mir einen Tag später das Ding stechen lassen. Ich war etwas geschockt als ich am nächsten Tag festgestellt hatte, was es genau für ein Motiv war. Irgendwie habe ich es im Studio nur als simplen Drachen gesehen.“
 

Serdall verzog angewidert den Mund. Sollte man es wirklich auf die Drogen abwälzen können? War Daniel sich nicht trotzdem klar darüber gewesen, was er eigentlich tat? Doch es schmerzte Serdall zu wissen, dass Daniel sich nicht im Ansatz zurück gehalten hatte und eigentlich nur vor der Realität geflüchtet war. Was hätte er denn dazu gesagt, wenn Serdall plötzlich alles schleifen lassen hätte? Sich mit Alkohol zugekippt und einfach alles kommen lassen hätte? Serdall musste sich in diesem Augenblick sehr zusammenreißen, nicht einfach seine Gefühle überhand ergreifen zu lassen.
 

„Es ist ein simpler schwarzer Drache, Daniel“, murrte er missgestimmt. „Und ich kann nicht verstehen, dass du mir keine Sekunde vertraut hast, wie es scheint.“
 

„Ich habe dir vertraut“, erwiderte Daniel heftig. „Aber was nützt alles Vertrauen, wenn selbst du machtlos bist? Wärst du es nicht, hätte es nie so einen Brief gegeben. Du hättest mir die Sache durch Dustin schildern, aber mich nicht mit diesem Fetzen vollkommen im Dunkeln tappen lassen.“
 

„Daniel, glaubst du Fei hat mich mit Dustin reden lassen? Ich musste diesen Brief gerade so schreiben. Er hat es von mir verlangt. Aber du benutzt deinen Kopf nur dafür, um an mir zu zweifeln und dich mit Drogen vollzupumpen, weil du es nicht aushältst. Toll, Daniel. Ich dachte eigentlich immer, dass du ein wenig Verstand hättest. Klar sah die Situation beschissen aus und bis gestern Abend immer noch ziemlich ausweglos, aber wenigstens habe ich mich nicht entmutigen lassen“, fauchte er aggressiv und rieb sich zittrig über die Schläfen. Seine Handknöchel waren an den verheilten Stellen immer noch gerötet. „Du hingegen hast nur alles verschlimmert“, flüsterte er resignierend und sah Daniel traurig an, zeigte ihm, was er gerade im Moment fühlte.
 

„Im Gegensatz zu dir wusste ich verdammt noch mal auch nicht, was vor sich ging“, fauchte Daniel und sah demonstrativ in eine andere Richtung, wich Serdalls Blick konsequent aus. „Es wäre echt klasse gewesen, wenn ich ein Jahr lang vor mich hin gelitten hätte, bevor ich erfahre, dass du zum zweiten Mal Vater wirst oder vielleicht sogar nach Japan auswanderst, weil Fei dich bei sich haben wollte.“
 

„Du hättest wissen müssen, dass selbst ich das nicht kann“, erwiderte Serdall grimmig und lehnte sich zurück. „Und jetzt? Soll ich etwa akzeptieren, dass du mich im Grunde genommen betrogen hast? Klar, vielleicht hast du den Brief als deinen Freischein gesehen, aber was jetzt? Ich für meinen Teil habe keine Ahnung, was ich tun soll. Ich kann dir nicht vertrauen, auch wenn ich dich immer noch liebe“, erklärte er sich. „Und ich weiß nicht, ob du überhaupt zurück zu mir willst oder zu diesem Kai und seinem Kokain.“
 

Daniel schluckte schwer. Plötzlich wurde ihm bewusst, dass er im Moment anscheinend mit zwei Menschen zusammen war, die ihn beide liebten. Bei Serdall war es klar, dass er ihn liebte und Kai hätte nach der Enttäuschung mit seinem letzten Freund und seiner eigentlichen Vorliebe zu schnellen anonymen Sex nie mit ihm eine feste Beziehung angefangen, wenn er ihn nicht auch lieben würde. Die Zwickmühle hatte zugeschnappt und Daniel in sich gefangen. Nervös spielte er an der Bettdecke. Daniel wurde klar, dass er einem von ihnen wehtun würde und er wusste eigentlich genau, wer dieser Jemand sein würde. Das schlechte Gewissen machte sich in ihm breit, aber es war wohl nicht zu vermeiden.
 

„Ich will nicht zu Kai zurück“, meinte er leise und sah Serdall flüchtig an.
 

Abschätzig blickte Serdall zu Daniel. Wenigstens war das ein Anfang. Daniels Fehler konnte man nicht rückgängig machen, jetzt ging es eher darum, Schadensbegrenzung zu betreiben.
 

„Und die Drogen? Und ich? Was willst du, Daniel?“ Serdall lehnte sich ein wenig zu ihm und zwang ihn, ihm in die Augen zu sehen. „Warum kommt es mir nur so vor, als ob du lieber abhauen würdest, als dich mit mir zu versöhnen oder gar mit mir zusammen zu bleiben? Echt Daniel, so kenne ich dich nicht. Schließlich warst du sonst immer der, der sich um mich bemüht hat. Jetzt wo ich es getan habe, dein Leben geschützt und versucht habe, meinen Bruder zu beruhigen, da lässt du mich fallen? Du liebst mich nicht, oder?“, fragte er leise. Plötzlich kam ihm ein schrecklicher Gedanke. „Fei hatte wohl recht…“, murmelte er mehr zu sich, als zu Daniel.
 

Kraftvoll stieß Daniel Serdall auf das Bett zurück und pinnte ihn dort fest. Wütend und traurig zugleich starrte er ihn an.
 

„Ich liebe dich“, zischte Daniel gefährlich. „Ich liebe dich mehr als alles Andere, weswegen ich überhaupt erst in diese Scheiße reingerutscht bin. Ehrlich gesagt habe ich keinen Bock drogenabhängig zu sein, zu werden, was auch immer. Und…“ Daniel sackte ein Stück in sich zusammen und lehnte seine Stirn an Serdall Brust. „Eigentlich will ich einfach nur, dass alles so wird wie früher.“
 

Serdall keuchte leise. Sofort breitet sich eine angenehme Wärme in ihm aus. Das war der Daniel, den er kannte. Stürmisch. Liebevoll legte Serdall seine Hände an Daniels Wangen.
 

„Ich liebe dich auch und ich wünschte, Fei hätte sich nie bei uns eingemischt“, flüsterte er leise und zog Daniel in eine enge Umarmung. „Du hast mir so schrecklich gefehlt. Trotzdem, du hast so viel Mist gebaut, ohne mich…“
 

„Ich weiß“, murmelte Daniel heiser. Schuldgefühle brandeten plötzlich in ihm auf, so groß und verzehrend wie er sie noch nie erlebt hatte. Daniel begriff mit einmal, was er wirklich für Scheiße gemacht hatte. Dass er Drogen genommen hatte war wohl das kleinste Übel, aber er hatte mit Kai geschlafen, ihn oral befriedigt und gesagt, dass er fest mit ihm gehen würde. Und Serdall wusste darüber Bescheid. Daniel kam sich klein und schmutzig vor, wollte sich am liebsten selbst dafür in den Arsch beißen, dass er sich dermaßen verhalten hatte. Zittrig löste er sich aus der Umarmung und sah Serdall leicht entsetzt an.
 

„Serdall“, begann er flüsternd, „kannst du überhaupt noch mit einem wie mir zusammen sein?“
 

Das war die Frage, die Serdall am meisten fürchtete und auf die er so gar keine Antwort wusste. Es war so vieles auf einmal geschehen und er hatte noch nicht einmal im Ansatz alles verarbeitet.
 

„Ich kann es dir nicht sagen“, murmelte er resignierend. „Irgendwie habe ich das Alles noch nicht so wirklich verarbeitet... Aber du weißt, wie ich zu deiner Untreue eigentlich stehe. Ich habe es oft genug gesagt. Nur...“, Serdall seufzte leise und strich Daniel durch die Haare. „Ich kann dich nicht verurteilen, weil der ganze Scheiß, der jetzt passiert ist, viel zu heftig war. Das heißt aber noch lange nicht, dass ich es akzeptieren, noch verzeihen kann.“
 

Daniel nickte und spürte schon wieder Tränen in den Augen. Verdammt war er wieder sentimental.
 

„Es ist nur…“, er biss kurz die Zähne zusammen, sodass seine Kiefermuskeln deutlich hervortraten. „Ich glaube ich kann es nicht ertragen, wenn ich mir Hoffnungen mache, die dann im Endeffekt doch nutzlos sind, verstehst du? Also wenn du meinst, dass es nicht geht…“ Er stockte wieder kurz und sammelte seine Gedanken. „Bitte mach entweder Schluss mit mir oder sag mir, dass du wieder richtig mit mir zusammen sein willst und es auch kannst.“
 

Serdall schüttelte den Kopf und wandte den Blick ab.
 

„Glaubst du ich kann jetzt eine Entscheidung treffen, die ich im nächsten Moment nicht doch bereue? Nach all dem verlangst du, dass ich ganz schnell ja oder nein sage? Daniel, ich kann dir nur sagen, dass ich dich liebe, dass ich dich auch nicht verlieren will. Erst jedoch müssen wir über diesen Kai reden...“ Serdall sah wütend zu Daniel. „Warum hast du mit ihm geschlafen? Wie stehst du zu ihm?“, fragte er leise und seine Augen funkelten leicht. Kikuchi hatte ihm und Fei süffisant grinsend erklärt, bei was sie Daniel gestört hatten...
 

Daniel setzte sich ganz auf und fuhr sich fahrig durch die Haare.
 

„Das.. Wir…“ Er brach resigniert ab. Wie sollte er Serdall das nur erklären, ohne dass er ausrastete? „Wir haben uns in der Mensa kennen gelernt“, begann er zögerlich. „Er ist wirklich nett. Also echt nur nett, nicht, dass du mich jetzt falsch verstehst. Es war nur… Naja, wenn ich die Drogen genommen hab, sei es das Ecstasy oder das Kokain, dann habe ich mich so befreit gefühlt und in gewisser Weise auch… erregt. Und ich habe Kai gekannt und ihn gemocht und so…“
 

Daniel fuhr sich erneut durch die Haare und starrte auf die Bettdecke.
 

„Später dann habe ich gemerkt, dass er mich ziemlich gern hat und den Zustand ausgenutzt, um an das Kokain zu kommen, damit ich dich vergessen konnte. Also nicht dich vergessen, sondern einfach die schmerzlichen Gedanken loswerden, die mit dir verbunden waren. Dann… nun ja, er hat mich gefragt, ob ich sein fester Freund werden will und ich…“ Er zögerte. Wie sollte er Serdall begreiflich machen, dass es zwar so ernst klang, es aber nicht war? Ganz und gar nicht. Nichts im Gegensatz zu ihrem Verhältnis.
 

„Du hast ja gesagt“, stellte Serdall kalt fest. Er musste ja gesagt haben, sonst würde er nicht so zögern. Wütend schob er Daniel von sich und stand auf. „Ich bring diesen Kerl um“, zischte Serdall wütend und begann sich hastig anzuziehen. Nicht nur, dass er Daniel Drogen gegeben hatte, nein, jetzt auch noch… Serdall fluchte wütend und schmiss ein Hemd in die Ecke, bei dem ihm ein Knopf abgerissen war, als er zu stark dran gezogen hatte.
 

„Serdall!“, rief Daniel entsetzt und zog ihn am Handgelenk hart zurück, als er schon die Klinke in der Hand hatte. „Man, du kannst Kai doch nicht an allem die Schuld geben. Wenn er überhaupt an irgendwas Schuld hat. Er hat mich gefragt, weil er mich echt gern hat. Was will man ihm da verübeln? Ich habe ja gesagt, weil ich zu dem Zeitpunkt nicht alle Tassen im Schrank hatte. Wenn du deine Wut an irgendwem auslassen willst, dann an mir.“
 

„Ohne ihn wäre es nicht im Ansatz so weit gekommen“, zischte Serdall und wandte sich zu Daniel um. „Und? Würdest du zu ihm zurückgehen? Würdest du wieder irgendwelchen Stoff durch deine Nase ziehen?“ Bedrohlich ging Serdall auf Daniel zu. Er kochte vor Wut und es machte ihn rasend, dass Daniel diesen Mann in Schutz nehmen wollte.
 

„Wenn ich ihn nicht getroffen hätte, dann wäre ich an irgendeinen anderen Typen geraten, der mir dann zu einem Dealer verholfen hätte, der mir gestrecktes Zeug verkauft hätte, wahrscheinlich noch mit irgendwelchen Giftstoffen drin“, erwiderte Daniel angriffslustig. „Ich denke ich werde nicht mehr koksen, kommt auf die Situation drauf an, würde ich sagen. Und ich werde nicht zu ihm zurückgehen, wenn du es beziehungstechnisch meinst, besuchen werde ich ihn wohl auf jeden Fall. Ich mag ihn, er ist nett. Gut, er dealt, aber ich habe mir den Stoff geben lassen, um ihn gebettelt. Warum machst du ihn dafür verantwortlich?“
 

Weil er dir den Scheiß gegeben hat und du viel zu gutgläubig bist, zischte Serdall ihm gedanklich zu, sprach es jedoch nicht aus. Er würde nicht zulassen, dass Daniel diesen Kai jemals wiedersah, soviel stand fest. Und er würde auch dafür sorgen, dass dieser Mann eine Lektion bekam. Egal was Daniel davon hielt, für Serdall war es das Mindeste, was er tun musste.
 

„Du machst es mir wirklich nicht leicht“, fauchte er wütend und stieß Daniel kraftvoll vor die Brust, sodass er zurück auf das Bett fiel. Er krabbelte über ihn und setzte sich auf Daniels Hüften. „Sag mir, wer dir wichtiger ist. Ich oder dieser Mann?“ Wie sollte er Daniel wieder vertrauen können, wenn es bei diesem Kai Hahn schon zu dieser Streitigkeit kam? Daniel war quasi mit Kai zusammen, mit Serdall aber nicht mehr. Doch Serdall wollte es nicht einfach beenden, er konnte es nicht. Das würde ihm den letzten Rest geben.
 

Perplex starrte Daniel Serdall an. Sein Herz hämmerte unglaublich schnell von Serdalls überraschenden und unerwarteten Handlungen. Schon kurze Zeit später festigten sich seine Gesichtszüge allerdings wieder.
 

„Was glaubst du, wer mir wichtiger ist?“, fragte Daniel beleidigt. „Wenn du sagst, dass du mich liebst und so lange, wie du mich schon kennst, sollte die Antwort auf der Hand liegen. Wie sollte ich jemals einen Menschen mehr lieben können als dich?“ Kurz hob Daniel die Hand und fuhr Serdall über die Wange, dann ließ er sie allerdings wieder sinken. Serdall sollte das Tempo ihrer erneuten Annäherung bestimmen, wenn sie denn zustande kam. Er hatte kein Recht dazu.
 

Serdall stützte sich beidseitig mit den Händen neben Daniels Kopf ab. Er beugte sich tiefer zu seinem Gesicht, sodass er Daniels Atem auf seinen Lippen spüren konnte.
 

„Wenn du mich liebst“, flüsterte Serdall emotionslos und sah Daniel aggressiv in die himmelblauen Augen, „wärst du mit mir zusammen und nicht mit Herrn Hahn.“ Konnte man sich so mit Drogen zudröhnen, dass man vergaß, wen man wirklich liebte? War es nicht so, dass Daniel einfach nur seine Hemmungen verloren und endlich das getan hatte, was er wollte? Serdall spürte den augenblicklichen Schmerz, der sich auf grund der Angst und der Enttäuschung, die ihn plötzlich überkam, durch seinen Körper zog, doch er unterdrückte jegliche Regung. Daniel würde ihm sagen, wie es war.
 

„Serdall…“
 

Wütend wischte Daniel sich die Tränen aus seinem Gesicht, die wieder zu fließen angefangen hatten. Er musste sich Serdall irgendwie verständlich erklären. Er wollte nicht, dass es aus war, weil er die dümmsten Fehler seines Lebens begangen hatte.
 

„Wenn ich auf Drogen war, hatte ich immer so ein Bauchkribbeln, als wenn ich verliebt wäre. So ziemlich bei jedem, aber Kai kannte ich. Außerdem war ich ziemlich dauergeil und konnte diese Gefühle irgendwann nicht mehr unterdrücken. Als Kai mich gefragt hatte, kam alles zusammen. Diese seltsamen Gefühle, der Sexualtrieb und die Drogen. Ich glaube, dass ich in nüchternem Zustand niemals ja gesagt hätte.“ Verzweifelt sah er Serdall in die wieder so kalten Augen. Unwillig schüttelte der Violinist den Kopf.
 

„Ich weiß nicht, wie oft du es mit Kai getrieben haben musst, aber anscheinend existiert dein schlechtes Gewissen nicht oder du hast es absichtlich mit dem Kokain abgestellt“, knurrte er halblaut.
 

Es ging gegen seine Prinzipien, dass er überhaupt noch mit Daniel redete. In seinen Augen hatte Daniel ihn eindeutig betrogen, mit den Drogen und Kai. Was hatte er denn anderes getan, als sich diesem Mann verkauft, um an dieses Teufelszeug zu kommen? Serdall stockte. Kai war ein Dealer. Der wusste sicherlich, wie man die Leute impfen musste, um sie zu potenziellen Kunden zu bekommen. Und Daniel war wohl das ideale Opfer gewesen. Egal, ob Daniel behauptete, dass Kai nur Mitleid mit ihm gehabt hatte, in Serdalls Sicht der Dinge stand da etwas ganz Anders dahinter. Oh er würde Kai Hahn schon die Rechnung noch einmal vorlegen lassen und dann würde er Daniels offene Beträge begleichen. Hundertfach.
 

Serdall seufzte erneut tief. Allein die Nähe jetzt zu Daniel ließ ihm wieder bewusst werden, dass er ohne diesen Mann nicht leben konnte. Alles in ihm schrie danach, sich wieder selig in Daniels Arme schmiegen zu können, wieder diese Lippen zu berühren, die er so lange nicht gespürt hatte.
 

„Falls ich dir jetzt diese Chance gebe, Daniel“, flüsterte er ihm leise ins Gesicht, „dass ich wieder mit dir richtig zusammen sein will, dann musst du einer Bedingung zustimmen, die ich dir stelle.“ Serdall ließ seine Augen sehnsüchtig über Daniels Gesicht gleiten, ehe er sie wieder mit den himmelblauen Iriden fixierte. „Wenn du mich jemals wieder mit einer anderen Person derart betrügst, wirst du die Konsequenzen tragen.“
 

Daniel strahlte. Serdall vergab ihm, oder? Nichts anderes sagte dieser Satz aus. Die Bedingung war lächerlich. Er hatte nicht vor, jemals wieder einen anderen Typen auch nur anzusehen.
 

„Natürlich“, antwortete er glücklich, behielt seine Finger aber noch bei sich.
 

„Gut“, meinte Serdall noch nicht so euphorisch, wie Daniel es nun war. „Du weißt hoffentlich, dass die Konsequenzen sich darauf belaufen, dass ich dich eigenhändig umbringen werde“, erklärte Serdall eisig und sah Daniel ernst ins Gesicht. Ihre Beziehung würde nicht mehr so sein wie früher. Das war Serdall klar und es gab kein Weg zurück für sie. Doch Serdall musste sich sicher sein, dass sein Vertrauen nicht noch einmal derart missbraucht und mit Füßen getreten wurde. Selbst jetzt hätte er sich deswegen fast umgebracht.
 

Entsetzt sah Daniel ihn an und lachte unsicher.
 

„Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?“
 

Schnaubend legte Serdall den Kopf leicht schief. Würde Daniel wissen, was er mit seiner Dummheit fast verursacht hatte, würde er diese Frage vielleicht nicht stellen. Serdall hatte aber auch nicht die Absicht, Daniel über diesen Gefühlsausbruch zu informieren.
 

„Es war mir nie etwas ernster. Noch irgendein Ausrutscher…“, Serdall schüttelte leicht den Kopf. „Ich liebe dich und ich teile dich nicht.“
 

Daniel schüttelte perplex den Kopf.
 

„Du klingst gerade irgendwie ein wenig verrückt“, meinte er mit gerunzelter Stirn. „Aber egal. Selbst wenn das tatsächlich dein Ernst sein sollte, ich glaube, ich käme nicht damit klar, wenn ich dich noch mal betrügen sollte. Ich gebe es zwar nicht gern zu, aber wenn du mich nicht von Kai weggeholt hättest, wäre ich wohl echt drogensüchtig geworden und hätte mir das Hirn weggekokst. Noch eine Trennung und ich springe wohl von irgendeinem Hochhaus. Nie wieder.“ Ernst sah Daniel Serdall an.
 

„Ich nehme dich beim Wort“, erwiderte der Violinist leise und lehnte sich zurück, wobei er sich bewusst vollständig auf Daniels Hüften niederließ. „Wir schlafen auch nicht mehr miteinander, bis du einen Aids Test machen lassen hast“, führte Serdall im nächsten Moment aus. Er würde wegen Daniels Ausrutscher keinerlei Risiko eingehen. „Und ich glaube, wir sollten langsam frühstücken gehen.“ Serdall strafte sich jedoch seiner eigenen Worte lügen, als er an Daniels Hosenbund herumfummelte und sich dessen Tattoo besah. „Das wird mich wohl immer an diesen Mist erinnern“, flüsterte er bedrückt und strich leicht über diesen s-förmigen Drachen.
 

„Mich erinnert es eher an dich“, erwiderte Daniel leise und nahm Serdalls Hand von hinten in seine. Leicht fuhr er die Konturen des Tattoos nach. Es schmerzte noch etwas, aber es war ja auch noch recht frisch. „Ein S, siehst du?“, fragte er. Zu dem Aids Test sagte er nichts. Er konnte Serdall verstehen. Zwar hatten Kai und er immer ein Kondom benutzt, aber sicher war sicher. Er bezweifelte zwar, dass irgendetwas passiert war, allerdings würde Daniel sich hüten, Serdall zu widersprechen. Es kam Daniel ohnehin wie ein Wunder vor, dass Serdall ihm tatsächlich nach all dem Mist noch eine zweite Chance gab.
 

Serdall lächelte bei Daniels Berührung leicht. Zaghaft ließ er seine beiden Hände an Daniels entblößte Seiten entlang gleiten, wobei er sich wieder zu Daniels Gesicht beugte.
 

„Wir sind also wieder zusammen?“, fragte er Daniel leise. Seine Lippen waren nur noch wenige Zentimeter von Daniels entfernt und er sah ihm wieder warm in die Augen. Es wurde Zeit, dass sie einige Dinge nachholten.
 

„Wenn du meinst, dass du mich noch einmal haben willst“, meinte Daniel fast schüchtern. „Mir ist klar, dass es lange dauern wird, bis alles wieder so ist wie früher, aber wenn du dafür bereit bist, bin ich es allemal. Ich werde versuchen, meine Fehler irgendwie wieder gut zu machen, das verspreche ich.“
 

Bei Daniels unsicherem Blick wurde es Serdall ganz mulmig zu Mute. Oh, wie hatte er sich nach diesem Moment gesehnt!
 

„Das ist ein guter Anfang“, flüsterte Serdall liebevoll lächelnd. „Aber so wie früher wird es wohl nie“, fügte er leise, jedoch nicht missgestimmt an. Es war ein Neuanfang und das Vertrauen musste sich Daniel wieder schwer erarbeiten, aber es würde klappen. Da war sich Serdall sicher.
 

Sanft legte Serdall plötzlich seine Lippen auf Daniels. Sie hatten genug geredet. Er hielt es kaum mehr aus. Er erinnerte sich schon nahezu nicht mehr an ihren letzten Kuss, doch dieser war definitiv anders. Intensiver. So ein heftiges Bauchziehen wie jetzt hatte Serdall bei all ihren Küssen nicht erlebt. Es lag wahrscheinlich an ihrer langen Trennung, an seinem schrecklich schweren Kummer und der furchtbaren Sehnsucht, die diesen Kuss bittersüßer als alle zuvor machte.
 

Kurz zögerte Daniel, dann erwiderte er den Kuss vorsichtig. Leicht ließ er seine Zunge die Konturen von Serdalls Lippen nachziehen, bevor er behutsam die schon viel zu fremde Mundhöhle erkundete. Befreit seufzte er auf und schlang die Arme um Serdall. Er hatte ihn so vermisst. Das wurde ihm gerade erneut mit aller Deutlichkeit bewusst. Warum hatte er nicht an Serdall geglaubt? Er hatte es scheinbar ja doch geschafft, seinen Bruder umzustimmen. Aber das war jetzt egal. Daniel hatte ihn wieder.
 

Lange und tief küssten sie sich einige Zeit. Serdall löste sich kurz von Daniel und lehnte seine Stirn lächelnd an Daniels. In ihm tanzte jegliches Glückshormon durch seine Blutbahnen und ließen ihn sich richtiggehend energiegeladen fühlen.
 

„Lass uns endlich aufstehen, duschen und dann gehen wir zu Taki. Der Kleine hat dich unheimlich vermisst, genauso Kimba.“ Sogleich zog Serdall Daniel mit sich in das Badezimmer.
 

Als sie unter der Dusche standen wandte Daniel sich etwas unbehaglich um. Der nackte Körper vor ihm weckte eine Sehnsucht in ihm, die er fast nicht aushalten konnte. Es war einfach viel zu lange her und er hatte sich viel zu viele Gedanken um Serdall und ihr Zusammensein gemacht, als dass die Vorstellung von Sex mit ihm nicht ungemein verlockend war. Aber Serdall hatte ihm klargemacht, dass bis nach einem bestätigenden Test nichts laufen würde. Serdall machte auch keinerlei Anstalten seine Aussage zu revidieren, sondern stieg sogleich aus der Dusche heraus als er fertig war, ohne Daniel auch nur wirklich angefasst zu haben. Ihm war nicht wirklich danach, wenn er sich allein daran entsann, bei was Kikuchi Daniel gestern unterbrochen hatte.
 

Vor dem Spiegel stehend, kam ihn noch ein Gedanke. Womöglich waren noch einige Sachen von Daniel bei Kai. So hatte er wenigstens einen Vorwand, dorthin zu gehen. Daniel würde er davon nichts erzählen. Er kannte seine viel zu gute Einstellung und er würde sich dabei keinen Strich durch die Rechnung machen lassen.
 

Serdall schlang sich gerade ein Handtuch um die Hüften, als Daniel auch endlich aus der Duschkabine trat. Unweigerlich wanderten Serdalls Augen über ihn. Es war ungewohnt, dass Daniels Intimbereich rasiert war. Er wirkte jünger, als er war. Sein Blick blieb an dem Tattoo hängen.
 

„Du solltest es eincremen“, meinte Serdall zu Daniel und deutete auf den schwarzen Drachen.
 

„Ja, du hast recht. Wurde mir im Studio auch empfohlen“, erwiderte Daniel etwas unbehaglich. Es war schrecklich, dass Serdall und er plötzlich so distanziert zueinander waren. Aber wer sollte es Serdall verübeln, dass er erst einmal Zeit brauchte, um über alles nachzudenken und Daniel zu verzeihen?
 

Daniel ging zurück ins Schlafzimmer und öffnete den Kleiderschrank. Ein warmes Gefühl durchflutete ihn als er sah, dass alles von ihm noch dort war, wo er es gelassen hatte. Serdall hatte tatsächlich scheinbar keinen Moment daran gezweifelt, dass sie wieder zusammenkommen würden. Er griff sich einen Pullover, eine Jeans sowie Shorts und zog sich schnell an. Etwas seltsam war ihm schon zumute, alle Hausbewohner zu treffen. Wie sollte er beispielsweise Taki erklären, wo er so lange war? Es würde wohl keiner dem Kleinen die Wahrheit gesagt haben.
 

Serdall zog sich ebenfalls an, nun ohne irgendwelche Knöpfe abzureißen. Er umarmte Daniel, als dieser ziemlich unsicher im Raum stand und unwohl zu ihm sah.
 

„Keine Angst“, flüsterte Serdall und hauchte einen Kuss auf Daniels Stirn. „Erst mal werden wir etwas essen. Dann muss ich wohl noch einmal mit Fei reden und ihn fragen, wann er abreisen will. Mayumi kann nicht ewig dein Zimmer besetzen“, murmelte Serdall und strich mit den Händen Daniels Rücken auf und ab. „Alles in Ordnung?“, fragte er leise, als Daniel nichts erwiderte.
 

„Ich hab Angst, irgendwie“, meinte Daniel unbehaglich und lehnte sich Halt suchend an Serdall. „Was soll ich sagen, wenn Taki mich irgendwas fragt? Wie wird Fei auf mich reagieren und was ist mit Dustin und Ethan? Was wissen die Zwei überhaupt? Ich fühle mich, als wenn ich mich dem nicht stellen könnte. Ich fühle mich so schlecht, weil ich weiß, dass ich so viele Fehler gemacht habe, die eigentlich nicht wieder gutzumachen sind.“ Traurig lächelnd sah er Serdall kurz an und starrte dann auf seine Hände.
 

Serdall seufzte leise und strich Daniel von der Stirn aus durch die Haare und brachte ihn so dazu, ihn wieder anzusehen.
 

„Du bist keinem von ihnen irgendwie Rechenschaft schuldig. Die Fehler hast du mir gegenüber begangen und ich werde sie verzeihen. Alles Andere ist vorerst egal. Fei hat sich beruhigt und wird keine Probleme mehr machen und Dustin ist jetzt auch zweitrangig, oder nicht? Wir müssen uns doch zusammenraufen, das geht sie nichts an.“
 

„Du hast ja recht“, seufzte Daniel. „Aber mich plagt halt mein schlechtes Gewissen. Allerdings kann ich mich nicht verstecken, bis ich mir selbst verziehen habe. Also lass uns gehen.“ Er straffte sich und ging gefolgt von Serdall, den Daniel an die Hand genommen hatte, aus dem Schlafzimmer. Er wollte es hinter sich bringen. Viel schlimmer konnte es nicht mehr kommen.
 

Ende Kapitel 15

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

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Kapitel 19
 

Lächelnd saugte sich Daniel an Serdalls Hals fest und hinterließ kurze Zeit später einen beachtlichen Knutschfleck, bevor er seine Lippen ein Stück weiter oben ansetzte und die ganze Prozedur wiederholte. Er wollte gerade noch einen Liebesbiss etwas weiter unten in Angriff nehmen, als Kimba und Mücke von draußen aus dem Garten hereinkamen und sich erwartungsvoll neben sie setzten.
 

„Hat sie heute noch keiner gefüttert?“, fragte Daniel resigniert aufseufzend.
 

„Doch. Und ihr Trockenfutter steht in der Küche. Anscheinend sind sie auch sehr liebebedürftig“, erklärte Serdall amüsiert und rieb sich leicht über den Hals, wo Daniel eben noch seine Lippen gehabt hatte. Es kribbelte leicht, doch das verging im nächsten Moment. Er streckte die Hand aus, um Mücke über die Schnauze zu streichen. Taki war gerade wieder bei einem seiner Freunde und Serdall hoffte, dass er zum Abendessen pünktlich zurück war.
 

„Na dann“, meinte Daniel und widmete sich wieder Serdall. „Ich bin dafür, dass sie sich mit sich selbst beschäftigen können. Wo möchtest du den nächsten Knutschfleck hinhaben? Noch hast du freier Auswahl.“ Keck grinste er Serdall an und sah ihm schalkhaft in die Augen.
 

„Du bist einfach nur frech wie immer“, murrte Serdall. Plötzlich schob Serdall Daniels Oberkörper rückwärtig zurück und hob seinen Pullover bis zu dessen Brust an. Grinsend versenkt Serdall sein Gesicht dort und begann an der Haut über dem Brustbein, am Übergang zu Daniels Bauch zu saugen, während Daniel sich an seinen Schultern festhalten musste. Zufrieden ließ Serdall dann von Daniel ab und besah sich sein Werk, ehe er sich mit Daniel wieder zurücklehnte und ihn verschmitzt ansah. „Da möchte ich ihn auch haben“, erklärte er leise und küsste Daniel dann wieder. Daniel lachte in den Kuss und löste sich schon nach kurzer Zeit. So übermütig gefiel Serdall ihm mit am besten. Er legte seine Arme auf Serdalls Schultern ab und sah ihn mit schief gelegtem Kopf an.
 

„Gut, wenn der Herr sich dann mal bitte freimachen würde.“
 

Grinsend raffte Serdall seinen dunklen Pullover und zog ihn weit nach oben, wobei er sich weiter zurück lehnte, damit Daniel sich nicht zu sehr verrenken musste. Serdall sah dabei zu, wie Daniel seine Lippen am selben Punkt ansetzte und strich ihm zärtlich durch die nachtschwarzen Haare. Er zitterte leicht, als Daniel seine Finger nicht still hielt und über die eine empfindliche Stelle an den Rippen wandern ließ. Keuchend zuckte Serdall leicht. Ein Räuspern ließ ihn jedoch spielfilmhaft mit dem Kopf zur Tür rucken und die Augen weiten. Amüsiert blickend stand Fei im Türrahmen, mit seinem Laptop unter dem Arm. Er ging auf sie zu und setzte sich auf das andere Sofa gegenüber. Schlagartig wurde Serdall wieder rot und versuchte Daniel von seinem Oberkörper zu lösen.
 

Doch Daniel dachte gar nicht daran, einfach mittendrin aufzuhören. In aller Ruhe, zumindest mit soviel Ruhe, wie man haben konnte, wenn der Freund sich unbehaglich unter einem wand und an den Haaren versuchte nach oben zu zerren, beendete Daniel seine Arbeit und hinterließ einen weiteren dunklen Knutschfleck auf Serdalls Haut. Erst anschließend löste er sich und zog Serdalls Pullover wieder nach unten, bevor er sich aufsetzte und unbeteiligt durch die Gegend sah, so als sei überhaupt nicht passiert. Fei lachte plötzlich leise.
 

„Wirklich, es ist amüsant zu sehen, dass dich Daniel so aus der Fassung bringen kann. Nicht, dass ich nicht wüsste, wie dein Temperament ist“, entgegnete Fei mit tiefer, akzentuierter Stimme, „doch in dieser Richtung ist es mir doch lieber.“

Das war wahr. Fei sah Serdall lieber mit Daniel zusammen, als so unglücklich wie zuvor. Auch wenn das hieß, dass Serdall nun mal mit einem Mann zusammen war, würde Fei es nicht mehr verurteilen. Es war zwar eine Umstellung für ihn, aber anstatt Serdall zu irgendetwas zu zwingen, wollte er ihn jetzt nur noch unterstützen.
 

Serdall ließ beschämt den Kopf an Daniels Halsbeuge fallen. Das war ihm wirklich einfach nur peinlich, vor allem deswegen, weil ihn allein diese paar wenigen Berührungen schon leicht erregt hatten und Daniel, der kleine Schleicher, tat so, als wäre nichts geschehen. Allerdings nur für den Moment. Als Serdall nicht damit rechnete, schubste Daniel ihn zur Seite und pinnte ihn mit den Händen an den Schultern auf dem Sofa fest. Er grinste Fei kurz an und lehnte sich dann näher an Serdalls Gesicht.
 

„Nun, da dein Bruder nichts dagegen zu haben scheint, könnten wir auch ganz einfach da weitermachen, wo wir aufgehört haben.“ Neckisch fuhr er mit der Zunge die Konturen von Serdalls Lippen nach. Augenrollend drückte Serdall Daniel an den Schultern zurück in die Senkrechte.
 

„Das heißt aber nicht, dass du deine Manieren vergisst“, zischte Serdall leise und stand dann auf, um sich vor Daniel in Sicherheit zu bringen. Scheinbar stand Daniel darauf, Fei eine Show zu bieten, was aber nicht in Serdalls Interesse lag. Definitiv nicht. „Fei“, wandte sich Serdall an ihn und verzog das Gesicht, als sein Bruder plötzlich feist zu grinsen begann. „Gibt es irgendetwas Bestimmtes oder wolltest du einfach nur ins Wohnzimmer?“
 

„Eigentlich wollte ich dich darum bitten, mir etwas vorzuspielen. Aber wenn du beschäftigt bist, akzeptiere ich das auch“, erwiderte Fei und sah seinem Bruder immer noch süffisant ins Gesicht.
 

„Nein“, murmelte Serdall und sah kurz zu Daniel, der ihn schmollend ansah. „Wir sind gerade fertig geworden“, murmelte er und begab sich zu dem Regal, auf dem seine Geige ruhte, um sie heraus zu holen und an die Schulter zu setzen.
 

„Ach so“, erwiderte Daniel und starrte bezeichnend in Serdalls Schritt, wo allerdings alles wieder zu normaler Größe zurückgekehrt zu sein schien. „Spielverderber“, murrte er noch und lehnte sich dann mit geschlossenen Augen zurück, um den sanften Geigenklängen zu lauschen.
 

Serdall ließ die heutigen Erlebnisse in dieses Lied einfließen. All die Gefühle, die Angst, den Schmerz, die Hoffnungslosigkeit und den Schock. Mit geschlossenen Augen wiegte er sich im Takt und genoss, wie die Klänge seinen Körper zum Vibrieren brachten. Fei beobachtete Serdall, auch als sich dessen Lider halb öffneten und die blaugrünen Augen verklärt zu Daniel sahen. In diesem Moment bemerkte er die feurige Leidenschaft, die Serdall mit seiner Geige zum Erklingen brachte. Erstaunt sah der Oyabun zu Daniel, der gelassen und genießend auf dem Sofa saß und den Tönen lauschte. Fei stockte leicht. Diese Melodie war viel intensiver als all die anderen, die er bisher von seinem Bruder gehört hatte.
 

„Yoshiko hatte recht“, flüsterte er zu sich selbst. Serdall war bei Daniel sehr wohl gut aufgehoben und es beeinträchtigte nicht im Mindesten die Qualität seines Talents. Eher im Gegenteil. Fei schluckte hart. Auch wenn er diese Liebe kaum nachvollziehen konnte und diese Art der Beziehung im schlechten Licht stand… Fei beschloss sie lieber vollkommen zu unterstützen. Das war er ihnen schuldig. Serdall war glücklich mit Daniel und so sollte es auch bleiben.
 

Das Lied endete mit einem Decrescendo und Serdall legte seine Geige tranceartig zurück, ehe er wieder zu Daniel ging und seinen Kopf mit geschlossenen Augen an ihn lehnte. Daniel schlang die Arme um ihn und gähnte leise. Es war seltsam, wie müde er in den letzten Tagen war. Dabei zeigte die Uhr gerade mal auf kurz vor sieben. Er stützte den Kopf auf Serdalls Schulter auf und erinnerte sich an eine Aufgabe, die an diesem Tag noch anstand und die er bislang vollkommen verdrängt hatte.
 

„Serdall?“, flüsterte er leise und zögernd, für Fei unhörbar. „Kommst du mit mir in einer guten Stunde mit zu Kai meine Sachen abholen?“
 

Serdall versteifte sich augenblicklich und hob den Kopf. Während Fei begann auf seinem Laptop irgendetwas zu tippen, sah Serdall wütend zu Daniel.
 

„Was ist denn noch bei ihm, was du unbedingt brauchst?“, zischte er leise. Er hatte genug von diesem Kai. Alles was er noch mit ihm zu tun haben würde, war mit ihm abzurechnen.
 

Seufzend sah Daniel Serdall an. Er konnte verstehen, dass sein Freund kein gesteigertes Interesse daran hatte, mit Kai zusammenzutreffen. Immerhin war der für die ganze Misere vorhin verantwortlich, da er ihm das Kokain zugesteckt hatte. Allein wollte Daniel allerdings auch nicht gehen und Serdall wäre es wohl auch nicht recht.
 

„Mein Handy liegt noch dort“, erklärte Daniel. „Außerdem mein Portemonnaie mit meinen ganzen Papieren und einige wichtige Bücher. Eben alles, was ich nicht mitnehmen konnte, als Kikuchi mich bewusstlos aus der Wohnung geschleppt hat.“
 

„Ich werde dein Zeug holen gehen. Du wartest im Auto“, bestimmte Serdall und wandte sein Gesicht von Daniel ab. Ohne Daniel würde er Kai in Ruhe sagen, was Sache war und das nicht zu knapp. Wütend ballte Serdall die Hände. Es war Kais Schuld, dass Daniel sich verletzt hatte und beinahe schlimmeres passiert wäre.
 

„Ich weiß nicht, ob das die beste Lösung ist“, meinte Daniel mit einem unguten Gefühl im Bauch. So wie Serdall gerade wieder drauf war würde er Kai, wenn er die Gelegenheit dazu hatte, mindestens so zurichten wie Fei und Kikuchi. Gut, Kai hatte einen derben Fehler gemacht, indem er Daniel die Drogen in die Tasche geschmuggelt hatte, aber hatte Daniel nicht einen ebenso großen Fehler gemacht, indem er die ersten Drogen angenommen und mit Kai geschlafen hatte? Kai war ein netter Typ, der aus Verzweiflung dumm gehandelt hatte, aber es wäre nicht gerecht, wenn er dafür extrem bestraft werden würde.
 

„Bestimmt nicht die beste Lösung, aber der effektivste und sicherste Weg“, murrte Serdall leise und sah nur kurz zu Fei, der plötzlich misstrauisch zu ihnen sah. „Wann willst du wieder abreisen, Fei?“, tat Serdall das Thema mit Kai ab und wandte sich nun seinem Bruder zu.
 

„Am Montag“, erwiderte der Oyabun. „Langsam wird es wirklich Zeit, dass ich wieder nach Japan zurückgehe. In Kyoto ist die Hölle los. Leute aus Osaka mischen sich in unseren Bezirk ein.“ Serdall nickte. Diese Machtkämpfe waren normal bei der Yakuza und gerade wenn der Oyabun auswärts war, schienen die anderen ihre Chance zu sehen. Daniel gab sich allerdings nicht mit diesem raschen Themenwechsel zufrieden. Ernst sah er Serdall an.
 

„Du gehst dort rein, holst meine Sachen und verlässt die Wohnung wieder“, meinte er nachdrücklich. „Du lässt Kai in Ruhe, zumindest körperlich. Verbal kannst du ihm von mir aus an den Kopf schmeißen, was du willst.“
 

Serdall schnaubte verächtlich.
 

„Ich hole deine Sachen ja“, erwiderte er nur, stand dann auf und verließ wütend den Raum. Sich bewusst, dass Daniel ihm folgen würde, drehte er sich im Flur um und sah seinem Freund ins Gesicht. „Aber nenn mir einen einzigen Grund, der es rechtfertigen würde, dass ich ihm nicht sämtliche Knochen breche.“
 

„Weil er es nicht verdient hat“, erwiderte Daniel nachdrücklich. „Gut, er hat vorhin scheiße gebaut. Allerdings habe ich mich die ganze letzte Woche über noch schlechter verhalten, mehr als nur einmal einen Fehler gemacht und mir hast du nicht ein Haar gekrümmt. Warum also ihm? Weil er mir ‚wehgetan’ hat? Ich habe mir selbst geschadet und ihn dafür ausgenutzt. Ich will nicht, dass du ihn zusammenschlägst. Versprich mir das.“
 

„Dich liebe ich“, zischte Serdall wütend und sah Daniel aggressiv in die Augen. „Aber er hat nichts Anderes verdient, das versichere ich dir. Du kannst deine Gutmütigkeit für jemand anderes aufsparen, aber nicht für diesen Mistkerl.“ Serdall verstand Daniel nicht. Besonders in dem Punkt nicht, dass er Kai in Schutz nahm.
 

„Was hast du vor?“, fragte Daniel und in seiner Stimme schwang etwas Angst mit. Serdalls Antwort zu Folge würde es gleich bei Kai böse werden. Sehr böse. Und ehrlich gesagt wollte Daniel nicht dabei zusehen, wie Serdall Kai in irgendeiner Weise schadete. Er konnte ihm die Meinung sagen, aber alles Weitere fand Daniel einfach nur brutal und unangebracht.
 

„Das fällt mir ein, wenn ich ihn sehe“, knurrte Serdall. Er wusste noch nicht genau, was er tun würde, wenn er Kai sah, aber es würde hoffentlich sehr schmerzvoll für den Dealer sein. Er nahm Daniel bei der rechten Hand und zog ihn mit sich nach oben. Bis sie zu diesem Kai fuhren, könnten sie auch noch ein wenig Zeit miteinander verbringen. Unbehaglich folgte Daniel ihm nach oben. Er wusste, dass Serdall gerade ziemlich taub war für alles, was er sagen würde. Seufzend resignierte Daniel deswegen. Ihm würde hoffentlich etwas einfallen, wenn sie vor Kais Wohnung standen.
 

Dustin rief gut zehn Minuten später zum Essen. Schweigend saß Daniel neben Serdall am Tisch und löffelte seine Erbsensuppe. Die gedrückte Stimmung schien sich auch auf die Anderen auszuwirken und Dustin sah sie fragend an. Es musste von außen schon seltsam aussehen, dieses andauernde hoch und runter.
 

Nach dem Essen ging Serdall ohne Daniel, der in der Küche beim Abräumen half, ungesehen in sein Zimmer. Er holte seine Waffe aus dem Nachtschrank und steckte sie sich am Rücken in den Hosenbund, worüber er den Pullover zog. Daniel wartete im Flur auf ihn und sah ihn fragend an. Doch Serdall antwortete nicht, sondern zog wortlos seinen langen, schwarzen Wintermantel an und schlüpfte in seine Schuhe. Nicht auf Daniel wartend ging er zum Wagen und blieb kurz an der frischen Luft stehen, um einen klaren Kopf zu bekommen.
 

Schnell stieg Daniel in seinen zweiten Schuh, schnappte sich seine Jacke und eilte Serdall hinterher. Er wollte auf keinen Fall, dass sein Freund allein zu Kai fuhr. Was immer er auch vorhatte, Daniel konnte sagen, dass es ihm nicht passen würde. Hoffentlich konnte er schlichtend einschreiten und dafür sorgen, dass alles glimpflich ausging. Seufzend stieg er zusammen mit Serdall ins Auto und führte sie zu Kais Wohnung. Dort angekommen parkte Serdall an der Straße und stieg aus. Daniel löste ebenfalls seinen Gurt, doch er bekam die Tür nicht auf. Serdall hatte die Zentralverriegelung per Fernbedienung betätigt und von innen gab es keine Möglichkeit, den Wagen ohne Schlüssel zu öffnen. Diese Sondereigenschaft hatte er extra einbauen lassen, falls es wichtig gewesen wäre Taki oder eben jetzt Daniel im Auto zu halten, wenn etwas geschehen sollte.
 

Serdall sah in Daniels geschocktes Gesicht, ehe er sich umwandte und bei Kai Hahn klingelte. Sein Glück war es, dass Kai gleich den Summer drückte, um ihn herein zu lassen. Anscheinend rechnete er fest mit Daniel. Serdalls Blick wurde emotionslos und kalt, als ein Windzug seinen Mantel schwer aufblähte, ehe er die Tür aufdrückte und in den noch dunklen Flur hinein schritt. Die Tür zu Kais Wohnung war angelehnt. Wie vertrauensselig, dachte sich Serdall gehässig, als er die Tür leicht mit dem Fuß aufstieß. Er registrierte nichts von dem Mobiliar, noch irgendetwas anderes. Seine blaugrünen Augen fixierten sich einzig und allein auf den blonden Mann, der geschockt zu ihm sah.
 

„Was wollen Sie?“, fragte Kai ihn und Serdall betrat die Wohnung, schlug hinter sich die Tür zu.
 

„Ich bin hier, um Daniels Sachen abzuholen“, entgegnete Serdall ihm mit leiser, bedrohlicher Stimme.
 

„Jetzt verstehe ich“, zischte Kai plötzlich. „Sie sind sein Freund, nicht? Serdall.“
 

Kalt begann Serdall zu lächeln.
 

„Gut erkannt. Und jetzt geben Sie mir seine Sachen.“
 

Kai fluchte leise und ging in das Schlafzimmer, aus dem er einen Beutel holte und ihn mit ausgestrecktem Arm Serdall gab.
 

„Ich habe ihm noch eine neue Ration mit reingelegt. Sagen Sie ihm das bitte“, meinte Kai lapidar und sah dem Schwarzhaarigen höhnisch entgegen. „Er hält es sonst nur so schlecht mit Ihnen aus, zumindest meinte er das zu mir, als ich mit ihm geschlafen habe.“
 

Ein diabolisches Lächeln breitete sich plötzlich in Serdalls Gesicht aus.
 

„Wie überaus freundlich von Ihnen.“ Serdall legte den Kopf leicht schief. „Gibt es noch etwas, was ich ihm ausrichten sollte?“
 

Kai zog verwirrt die Augenbrauchen zusammen. Er hatte erwartet, dass dieser Mann ihn irgendwie schlagen würde. Dann hätte er Daniel wenigstens einen Grund geben können, warum er sich von ihm trennen müsste.
 

„Ja“, fauchte Kai verzweifelt. „Er kann jederzeit zu mir zurückkommen.“
 

Serdall begann zu lachen.
 

„Danke, aber ich werde dafür sorgen, dass du ihn nie wieder siehst.“ In einer ruhigen Bewegung griff Serdall unter seinem Mantel zu seinem Rücken und zog die Waffe hervor. „Eigentlich müsste ich dir eine Hand abtrennen, dafür dass du Daniel Drogen gegeben hast. Aber Daniel hat mich gebeten dich nicht anzufassen.“ Dabei richtete Serdall den Lauf der Pistole auf Kais geschocktes Gesicht.
 

„Das können Sie nicht tun! Ich verklage sie!“, rief Kai aufgebracht.
 

„Sei froh, dass ich der Polizei nicht per Anruf einen heißen Tipp gebe“, erwiderte Serdall kalt und sah dem Blonden berechnend in die Augen. Er sah es in Kais Gesicht, dass er wusste, was das für Konsequenzen beinhaltete. Eine mehrjährige Haftstrafe war das Mindeste für seinen Fall. Gerade als Kai sich erneut aufregen wollte, zielte Serdall auf dessen Oberschenkel und drückte ab. „Nur eine kleine Warnung“, sagte er, als Kai schreiend zu Boden ging. Die Hände drückte der Medizinstudent reflexartig auf den Durchschuss. Schmerzenstränen begannen über Kais Wangen zu laufen und Serdall ging auf ihn zu. „Ich rate dir von Daniel und den Drogen die Finger zu lassen. Beim nächsten Mal ziele ich auf deinen Kopf.“
 

Kai nickte keuchend. Zufrieden wandte sich Serdall ab. Mehr hatte er hier nicht mehr zu tun und er fühlte sich eindeutig besser. Serdall steckte die Waffe wieder zurück an ihren ursprünglichen Ort, ehe er die Wohnung verließ und zurück zu Daniel ging.
 

Mit angstvoll geweiteten Augen sah Daniel ihm entgegen. Es hatte zu lang gedauert. Jedenfalls länger als man normalerweise bis in die dritte Etage und wieder hinunter benötigen würde. Verzweifelt hatte er versucht, sich aus dem Auto zu befreien, doch zu seinem Leidwesen konnte man es wohl nur mit der Fernbedienung öffnen und das Fenster einzuschlagen war wohl auch utopisch. Womit denn? Außerdem zweifelte Daniel nicht daran, dass die Fenster von Serdalls Wagen nicht gesichert waren.
 

Kurz bevor Serdall ihn erreicht hatte klickte es und die Türen öffneten sich. Sofort sprang Daniel hinaus und starrte Serdall geschockt an. Dessen Gesicht war mit einem zufriedenen Ausdruck geprägt. Entsetzt schüttelte Daniel den Kopf.
 

„Was hast du gemacht?“, fragte er leicht panisch.
 

„Setz dich in den Wagen. Ich hab nur deine Sachen geholt“, erklärte Serdall ruhig und ging auf Daniel zu. „Komm, ich möchte jetzt wieder Heim fahren und diese Episode endlich abschließen.“
 

Skeptisch sah Daniel ihn an. Dafür, dass er nur seine Sachen geholt hatte, war Serdall zu ruhig. Viel zu ruhig. Daniel ging an ihm vorbei. Er wollte nur kurz nach dem Rechten sehen, nachsehen, ob Serdall tatsächlich die Wahrheit sagte. Serdall packte ihn am Arm und hielt ihn zurück. Daniel wollte jetzt doch nicht wirklich nach diesem Mann sehen?
 

„Du sollst einsteigen“, wies Serdall ihn kalt an.
 

„Nein“, erwiderte Daniel nachdrücklich. „Was auch immer du da oben gemacht hast, du hast nicht nur meine Sachen geholt. Dafür warst du viel zu lange weg. Du kannst mir entweder sagen, was du noch getan hast oder ich sehe es mir mit eigenen Augen an.“ Hart riss Daniel sich aus Serdalls Griff los und sah ihn auffordernd an.
 

„Daniel“, meinte Serdall leise. „Wenn du jetzt nicht mit mir kommst, fahre ich ohne dich.“ Als Daniel zögerte, schüttelte Serdall den Kopf, schmiss ihm den Beutel mit seinen Sachen vor die Füße und ging um seinen Wagen herum. „Anscheinend ist er dir wichtiger“, zischte Serdall und setzte sich in seinen Wagen.
 

„Er ist mir nicht wichtiger und das solltest du inzwischen wissen“, keifte Daniel zurück. „Allerdings finde ich es schon krass, wenn du ihm den Arm gebrochen, ihn zusammengeschlagen oder sonst was hast. Das finde ich einfach nicht angemessen und überhaupt ist Selbstjustiz scheiße. Ich will wenigstens mal nachsehen gehen, wie es Kai geht, auch wenn ich nichts mehr mit ihm zu tun habe. Wenn du ihm wirklich was getan hast, bin ich nämlich sehr wohl mit in die Angelegenheit verwickelt.“
 

„Ich sage es zum letzten mal“, rief Serdall Daniel durch die offene Beifahrertür zu. „Steigst du jetzt nicht ein erschieß ich ihn wirklich“, zischte Serdall wütend. Er verstand es nicht. Langsam wünschte er sich wirklich, dass er Daniel einfach daheim gelassen hätte. Sie stritten sich schon wieder nur wegen diesem Kai, nur weil Daniel anscheinend wirklich Gefühle für ihn entwickelt hatte… Kopfschüttelnd startete Serdall den Motor.
 

Daniel fühlte sich, als hätte ihm jemand einen Eimer eiskaltes Wasser über den Kopf gekippt.
 

„Wie, du erschießt ihn wirklich?“, fragte er leise, eine Hand an seiner noch immer offenen Tür. „Hast du ihn angeschossen?“ Ungläubig schüttelte Daniel den Kopf. Selbst Serdall würde nicht so emotional überreagieren, oder? Allerdings sah man allein an dem geplanten Selbstmordversuch und an vielen anderen Situationen zuvor, dass er sehr wohl dazu in der Lage war. „Serdall, du kannst nicht von mir verlangen, dass ich jetzt in das Auto steige. Wie soll ich es mit meinem Gewissen ausmachen, wenn Kai dort oben verletzt in der Wohnung liegt und ich zurück nach Hause fahre?“
 

Serdall antwortet nicht. Stattdessen legte er den Gang ein. Wenn Daniel nicht einstieg hieß das, dass sein Freund Kai ihm gegenüber vorzog, egal wie sehr Daniel seine Liebe beteuerte. Jetzt war die letzte Chance, die Daniel bekommen würde. Stieg er jetzt nicht ein, würde Serdall ohne ihn fahren und es wäre aus zwischen ihnen. Serdall war es gleich. Kais Worte waberten durch seinem Kopf, die er eigentlich nur als Provokation gesehen hatte, jedoch jetzt schienen sie nicht wirklich abwegig.
 

Daniel sah sehnsüchtig in Richtung des Hauses. Er konnte jetzt nicht einfach so fahren. Wenn Kai tatsächlich verletzt war, vielleicht sogar schwer verletzt, dann brauchte er seine Hilfe. Andererseits schien es Serdall wirklich ernst zu sein, dass er nicht zu Kai ging, sondern mit zurück fuhr. Daniels Hand zitterte leicht. Was sollte er tun? Er wollte hier nicht weg, aber genauso wenig wollte er Serdall wieder enttäuschen. Schweren Herzens wandte Daniel den Blick von der Fassade ab und setzte sich ins Auto. Das schlechte Gewissen schien ihn schier zu zerfressen.
 

„Das verzeihe ich dir so schnell nicht“, teilte er Serdall emotionslos mit und schnallte sich an. „Wenn du Kai tatsächlich in irgendeiner Art und Weise verletzt hast, ruf zumindest den Krankenwagen.“
 

Wortlos fuhr Serdall erst einmal an, als Daniel die Tür geschlossen hatte. Als er sich im Abendverkehr eingefädelt hatte, griff er nach seinem Handy und rief den Notruf an.
 

„Guten Tag. Jemand bräuchte einen Krankenwagen.“ Die Frau fragte ihn nach Namen und Adresse des Verletzten. „Er wurde in den Oberschenkel geschossen“, erläuterte Serdall, als er gefragt wurde, was passiert war. Er hörte Daniels entsetztes Zischen, ließ sich aber davon nicht irritieren, bis er auflegte. Serdall war nur unendlich froh, dass Daniel ihn über diesen Kai gewählt hatte… Es war wirklich für ihn der eindeutige Beweis, dass Daniel ihn in keinster Weise mehr hintergehen würde.
 

Daniel sagte nichts weiter zu dem Thema. Eisig schwieg er und stieg wortlos aus dem Wagen, als sie auf dem Hof hielten. Es zu vermuten war eine Sache, es wirklich zu wissen eine andere. Er konnte einfach nicht glauben, dass Serdall Kai tatsächlich derart verletzt hatte. Egal, was er auch getan hatte, wie konnte man kaltblütig einen Menschen anschießen? Wortlos schloss Daniel die Haustür auf und ging in die Küche. Er machte sich einen schnellen Kakao zur Beruhigung doch auch das half nicht wirklich.
 

Serdall verstand, dass Daniel wütend war und er würde es auch akzeptieren, nur schmerzte es ihn schon, dass sein Freund scheinbar nicht mehr mit ihm reden wollte. Seufzend entledigte sich Serdall seines Mantels und ging nach oben, um seine Waffe zurück an den angestammten Platz zu legen. Sie in das Buch legend verstaute er sie wieder in der Schublade. Für ihn war seine Tat gerechtfertigt und das würde er Daniel noch beweisen. Serdall ging wieder hinunter und zu Daniel, der mit blassem Gesicht an der Theke saß.
 

„Ich würde dich bitten, das Kokain, das dir Kai wieder einmal fürsorglich in den Beutel gelegt hat, zu entsorgen“, sagte er zu Daniel, als er sich ein Glas Wasser holte.
 

Kommentarlos kam Daniels Serdalls Bitte nach. Er wusste, dass es kindisch war ihn mit Schweigen zu bestrafen, aber wenn Serdall es dadurch auch nur ein wenig begriff, dass er in Daniels Augen echt Scheiße gebaut hatte, wäre es ihm das wert. Er wühlte kurz in seinen Sachen, die in dem Beutel lagen und fand tatsächlich eine kleine Tüte mit Kokain, das bestimmt für ein paar Bahnen reichen würde. Ohne Reue kippte Daniel es genauso wie Serdall das letzte Mal in den Ausguss und spülte mit viel Wasser nach.
 

Leidlich verzog Serdall den Mund. Wenn Daniel dies wirklich durchziehen wollte, sollte es ihm recht sein. Irgendwann würde er sich auch wieder einkriegen. Kopfschüttelnd ging Serdall aus dem Raum und nach oben, nachdem er das Wasser getrunken hatte. Kurz steckte er den Kopf in Takis Zimmer, doch er schloss die Tür leise wieder, als sein Sohn schon schlief. Sich fahrig durch die Haare streichend, beschloss Serdall zu duschen und sich danach, nur in Shorts bekleidet, ins Bett zu legen und zu lesen. Wenn Daniel nicht reden wollte, würde Serdall ihn nicht zwingen.
 

Daniel hatte sich währenddessen in sein eigenes Zimmer zurückgezogen. Er würde in der Angelegenheit nicht den ersten Schritt machen. Er hatte Serdall gesagt, was er von seiner Aktion hielt und solange der seinen Fehler nicht eingestand, würde Daniel ihm geflissentlich die kalte Schulter zeigen. Zwar war er selbst mit diesem Zustand auch nicht glücklich, aber er würde nicht einfach so akzeptieren, dass Serdall meinte Selbstjustiz zu üben und Kai ins Bein schießen zu müssen. Ein Schlag in den Magen, gut, damit wäre Daniel noch klargekommen, aber das war für seinen Geschmack um ein Vielfaches zu krass. Seufzend zog er die Decke höher. Vorhin war es teilweise so schön gewesen, wenn man mal seine aufgeschnittenen Pulsadern beiseite ließ. Daniel lachte ironisch auf. Okay, alles in allem betrachtet war der Tag ziemlich beschissen gelaufen. Er schloss die Augen und versuchte einschlafen.
 

Serdall legte das Buch beiseite, als er nach der dritten Seite schon nicht mehr wusste, was er gelesen hatte. Er hatte gehört, wie Daniel in sein Zimmer gegangen war. Serdall konnte darüber nur unwillig den Kopf schütteln. Dieses Verhalten war wirklich in seinen Augen nicht angebracht. Kai hätte schlimmeres verdient, als nur diesen einen Schuss. Serdall hätte ihm besser das ganze Leben zerstören sollen. Schließlich hätte er es bei ihm fast geschafft. Das war unverzeihlich. Hellwach lehnte sich Serdall zurück in sein Kissen und starrte die Decke an. Es gefiel ihm nicht, dass Daniel jetzt so war. Er hatte gewusst, dass es Daniel ans Herz gehen würde, aber er war dennoch glücklich, dass Daniel zu ihm in den Wagen gestiegen ist, anstatt zu Kai zu gehen. Brummend legte sich Serdall auf die Seite und knipste das Licht aus. Er würde morgen mit Daniel reden, vielleicht würde er sich dann beruhigt haben.
 


 

Ziemlich unausgeschlafen saß Daniel am nächsten Morgen in der Küche. Es war noch ziemlich früh, aber er hatte es einfach nicht länger im Bett ausgehalten. Bei dem Gedanken an die schlechte Stimmung zwischen ihm und Serdall hatte er einfach keine Ruhe finden können. Er würde mit ihm reden müssen, ansonsten war es fast unmöglich, dass in nächster Zeit auch nur die kleinste Form von Entspannung eintreten würde. Seufzend stützte er sein Kinn auf seiner Hand auf und starrte die Küchentür feindselig an, die sich genau in dem Augenblick öffnete und Dustin offenbarte.
 

„Was für ein lang vermisster Anblick“, lachte Dustin gut gelaunt und stellte die Kaffeemaschine an. „Na, gut geschlafen?“ Dustin runzelte ein wenig die Stirn bei Daniels leidlichem Blick und setzte sich neben ihn.
 

„Nicht wirklich“, gestand Daniel und gähnte wie zur Bestätigung. Mit leicht geschlossenen Augen sah er zu Dustin. „Serdall meinte gestern Rache an Kai üben zu müssen oder so und hat ihm erst mal einen schönen Schuss ins Bein versetzt.“
 

Hustend setzte sich Dustin gerade hin, da er sich bis eben so schön in den Stuhl gelümmelt hatte.
 

„Das ist nicht dein Ernst?“, fragte er perplex und sah Daniel geschockt an. Doch als Daniel ihm freudlos ins Gesicht sah, musste Dustin schlucken. „Oha“, meinte er einfach nur und war etwas sprachlos.
 

„Ja“, erwiderte Daniel seufzend und rührte gedankenverloren in seinem Kakao herum. „Allein das fand ich eigentlich schon schlimm genug. Ich hasse diese Art an Serdall, dieses Yakuzagehabe, diese Selbstjustiz, diese Skrupellosigkeit. Aber fast schrecklicher fand ich die Tatsache, dass ich noch nicht mal hochgehen durfte um nachzusehen, ob es Kai gut geht oder er elendig in seiner Wohnung verblutet.“ Daniel schnaubte bei der Erinnerung. Dustin konnte nur den Kopf schütteln.
 

„Das ist echt heftig“, deklarierte er und stand auf, um sich einen Kaffee zu holen, der mittlerweile durchgezogen war. „Und jetzt?“, fragte er ziemlich hilflos. „Hast du dich mit ihm gestritten oder ihm wenigstens die Meinung gesagt?“
 

„Wenn wir wenigstens richtig gestritten hätten“, meinte Daniel etwas ratlos. „Ehrlich gesagt haben wir uns angeschwiegen. Und richtig die Meinung gesagt habe ich ihm wohl auch nicht. Zumindest nicht so wirklich. Ein wenig direkt vor Kais Wohnung, aber alles weiß er wohl auch nicht.“ Daniel ließ frustriert den Kopf auf den Tisch sinken. „Man, kann es zwischen uns bitte mal wieder einfach normal sein?“
 

„Was glaubst du?“, fragte Dustin ernst. „Du bist mit Serdall zusammen. Da wird es sicherlich nie wirklich normal sein. Und irgendwie kann ich ihn auch verstehen, auf seine seltsame, verkorkste Weise. Ich mein, er hat dir das mit Kai verziehen, aber diesem Kai eben nicht. Und du weißt wie extrem er manchmal sein kann.“ Dustin setzte sich wieder neben Daniel und nippte an seinem heißen Kaffee. „Du kannst auch Schluss machen, wenn es dir nicht gefällt, dass er es so handhabt. Ich versteh nämlich immer noch nicht wirklich, warum er es dir verziehen hat…“
 

Daniel biss sich schmerzhaft auf die Unterlippe. Er hatte gedacht, dass zwischen ihm und Dustin wieder alles in Ordnung war, doch scheinbar hatte er sich da geirrt. Und irgendwie tat es weh, dass Dustin noch dachte, Daniel hätte Serdall vielleicht gar nicht verdient. Schweigend trank Daniel einen Schluck aus seiner Tasse. Dustin hatte wohl nicht nur in dem Punkt bedingt recht, sondern auch darin, dass diese Handlungsweise, die Serdall gestern gezeigt hatte, für seinen, wie Dustin es so schön formuliert hatte, verkorksten Charakter relativ normal war. Nur irgendwie wollte Daniel das nicht akzeptieren.
 

„Daniel“, sagte Dustin plötzlich und legte eine Hand auf seine Schulter. „Du liebst Serdall, oder? Und er dich. Wie es scheint auch so sehr, dass er es einfach übergeht, dass du mit diesem Kai gevögelt hast, was eigentlich sehr untypisch für ihn ist. Ich möchte nicht sagen, dass ich nicht froh bin, dass ihr wieder zusammen seid, aber es ist mir wirklich ein Rätsel, gerade weil ich Serdall, den ich jetzt nun schon jahrelang kenne, der schon wegen dem Kuss zwischen uns so ausgeflippt ist, jetzt eben nicht mehr erkenne. Aber ich glaube, er hat es dir verziehen, weil er einfach in Kai den Schuldigen gesehen hat.“
 

„Und wenn ich ihm erkläre, dass er nicht Schuld ist?“, fragte Daniel leise. „Wenn ich gewusst hätte, dass er tatsächlich in Kai den Schuldigen sieht, hätte ich es vielleicht schon vorher machen müssen. Ich meine, ich habe die Drogen angenommen und ich habe Kai später danach gefragt. Von mir ist hauptsächlich die Initiative für den Sex ausgegangen. Gut, Kai hat mir das Ecstasy das erste Mal angeboten und mir auch die weiteren Drogen beschafft, außerdem ist er auf mein Werben eingegangen, wobei er zu dem Zeitpunkt dachte, dass ich wieder solo wäre, aber die Hauptschuld liegt doch bei mir.“
 

Dustin zuckte mit den Schultern.
 

„Al sieht das wohl ganz anders. Und ich glaub auch, dass es besser wäre, wenn du mit ihm darüber reden würdest und nicht mit mir. Ich steck nun mal nicht in seinem Kopf, aber ich glaube, die ganze Zeit, die er für dich gekämpft hat und dann stellt sich einfach nur raus, dass dieser Kai mit dir rummacht… Ich denke schon, das ihn das schwer in Wut versetzt hat.“
 

„Mag sein“, seufzte Daniel resigniert. „Das ist ja auch verständlich. Trotzdem finde ich es einfach zu krass, wenn er die brutale Seite in sich zum Vorschein kommen lässt. Ich kenne ihn als lieben, sanften Menschen und werde dann mit so was konfrontiert. Das ist einfach unbegreiflich für mich. Ich weiß, dass der Yakuza in ihm steckt, aber trotzdem muss ich es doch nicht gutheißen, dass er ihn auch in der Öffentlichkeit zeigt, oder?“ Fragend sah er Dustin an.
 

„Nein“, meinte Dustin ehrlich. „Es ist wirklich nicht der richtige Weg, dass er Kai angeschossen hat. Aber Serdall wird das nicht einsehen, das möchte ich dir damit bloß sagen. Und rückgängig machen kann man es auch nicht. Rede mit ihm Dan, sonst sitzen wir hier noch bis morgen und du und Serdall werdet euch immer noch nicht ausgesprochen haben.“
 

„Er wird jetzt ohnehin noch schlafen. Außerdem will ich, dass er es einsieht. Es wäre für mich unerträglich, wenn er das nächste Mal, wenn ihn eine Person so extrem ankotzt, wieder mit der Knarre auf sie losgeht. Kai wird ihn nicht verpfeifen, da das Risiko selbst aufzufliegen für ihn viel zu groß wäre. Aber was, wenn es als nächstes jemand ist, der nichts auf dem Kerbholz hat und der Serdall anzeigt? Ich will ihn nicht durch Gitterstäbe sehen müssen.“ Daniel wusste, dass er übertrieb und den Teufel an die Wand malte, aber so konnte er noch in anderer Art und Weise ausdrücken, dass ihm Serdalls in der Hinsicht so impulsive Art alles andere als gefiel. Dustin rollte mit den Augen.
 

„Wir beide kennen Serdall und er wird es von selbst nie einsehen. Wenn du darauf wartest, dann kannst du es gleich vergessen. Das müsste dir eigentlich klar sein.“ Er trank seinen Kaffee aus und stellte die Tasse etwas zu laut auf den Tisch. „Außerdem ist Serdall der Bruder eines Yakuzabosses. Was glaubst du, wie lange er dann im Gefängnis bleiben würde? Falls es überhaupt zu einer Anzeige kommt und Serdall überhaupt noch einmal so austickt.“
 

„Du hast ja recht. Es ist nur so, dass mich der Besuch bei Kai gestern extrem mitgenommen hat. Ich kann es eben einfach nicht mit meinen Idealen und Vorstellungen vereinbaren, dass jemand zu einem anderen Menschen hingeht und ihm ins Bein schießt, weil er wütend auf ihn ist. Ich sollte wirklich mit Serdall reden. Das hatte ich ohnehin vor, aber jetzt ist es mir noch klarer geworden.“
 

„Ja, aber lass uns erst mal frühstücken. Dann kannst du ihm gestärkt gegenübertreten“, meinte Dustin daraufhin. Schnell war der Tisch für sie gedeckt und sie aßen wie in alten Tagen in morgendlicher Stunde. Dustins Laune stieg, wobei Daniels zu sinken schien. Nach einem halben Brötchen ließ Daniel sein Messer sinken. In seinem Bauch kribbelte es unangenehm. Wahrscheinlich die Aufregung vor dem bevorstehenden Gespräch.
 

„Ich gehe lieber gleich, sonst schrecke ich doch noch zurück“, meinte er seufzend und stand auf. „Du räumst ab? Dann decke ich heute den Mittagstisch.“ Dustin winkte ihm lässig und bestätigend zu und Daniel machte sich auf den Weg nach oben.
 

Ende Kapitel 19

Kapitel 20
 

Daniel machte sich gar nicht die Mühe an die Schlafzimmertür zu klopfen, da er sich sicher war, dass Serdall noch schlief. Leise trat Daniel ein und setzte sich an den Bettrand. Leicht fuhr er seinem Freund durch die schwarzen Haare. Murrend öffnete Serdall ein Auge und sah zu Daniel, ehe er sich auf die Seite drehte, wobei er die Decke höher zog und mit beiden Händen umarmte.
 

„Morgen“, nuschelte er schlaftrunken. „Redest du wieder mit mir?“, fragte er heiser und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Daniel zuckte mit den Schultern und lächelte Serdall leicht an. So mit vom Schlaf noch kleinen Augen und total zerknittert sah er einfach nur süß aus und so, als könne er kein Wässerchen trüben.
 

„Nicht?“, fragte er gähnend, langte nach Daniels unverletzter Hand und nahm sie in seine. „Dann lass mich noch ein bisschen schlafen“, meinte er leise. „Von mir aus kannst du auch mit unter die Decke kommen.“
 

„Wie großzügig von dir“, erwiderte Daniel leicht ironisch, aber grinsend. „Allerdings bin ich schon etwas länger auf und mittlerweile ziemlich wach. Anstatt zu schlafen würde ich deswegen lieber ein wenig reden.“ Er wurde wieder ernster.
 

„Jetzt?“, brummte Serdall unwillig und schloss seine Augen. Er öffnete sie jedoch wieder, als er sich auf den Rücken drehte und versuchte wach zu werden. Auch wenn er müde war, war es wohl besser, wenn er mit Daniel redete. Er strich sich genervt die langen Strähnen aus der Stirn und sah in das Gesicht seines Freundes. „Du bist immer noch sauer“, stellte er fest.
 

„Nein“, erwiderte Daniel, überlegte es sich allerdings im nächsten Moment anders. „Ja“, gab er zu. „Und deswegen wollte ich mit dir reden. Aber ich schlage vor, du stehst erst einmal auf und gehst duschen oder so. Dann bist du wacher und aufnahmefähiger.“ Daniel sah Serdall mit schief gelegtem Kopf an. Er wollte wirklich reinen Tisch machen und ihm alles erzählen, was ihm auf dem Herzen lag. Und das wollte er nicht tun, wenn sein Freund gerade erst aufgewacht war und ihn noch mit vom Schlaf verklebten Augen anblickte.
 

Serdall verzog den Mund. Ihm gefiel es zwar nicht, dass Daniel ihn zu dieser frühen Stunde aus dem Bett jagte, aber er sah seinem Freund an, dass es ihm ernst war. Seufzend schob Serdall seine noch schön wärmende Decke von seinen Beinen und fröstelte leicht. Kurz strich er Daniel mit dem Handrücken über die Wange, ehe er ins Bad ging. Serdall hätte ihn lieber geküsst, aber Daniel wäre damit womöglich nicht einverstanden gewesen.
 

Sich im Bad Zeit lassend, versuchte Serdall sich auf ein einigermaßen, nicht so mürrisches Niveau zu bringen. Er wollte sich nicht wirklich mit Daniel streiten und es wäre unvorteilhaft, wenn er gänzlich abblockte. Dennoch war er nicht gerade in bester Stimmung, als er nackt zurück ins Schlafzimmer ging und sich nebenbei noch die Haare abtrocknete. Schnell zog er sich an und setzte sich dann neben Daniel.
 

„So“, meinte er leise und lehnte sich leicht zurück, wobei er sich mit den Händen abstützte.
 

„So“, wiederholte Daniel leise seufzend. Er wusste nicht wirklich, wie er anfangen sollte. Einfach seine Gefühle schildern? Oder die ganze Situation von gestern noch einmal von Grund auf aufarbeiten? Schlussendlich entschied er sich für die direkte Variante. Es brachte wohl nichts, lange um den heißen Brei herumzureden. „Nun, ich denke, dass es klar ist, dass mir die Situation gestern bei Kai nicht so recht gefallen hat. Es ist okay, wenn du wütend auf ihn bist. Das kann ich in gewisser Hinsicht auch nachvollziehen. Allerdings fand ich deine Handlung einfach um ein Vielfaches zu übertrieben. Ihm die Meinung sagen oder ihn schlagen wäre für mich zu verkraften gewesen, aber der Beinschuss war echt total unnötig.“
 

„Das meinst du“, erwiderte Serdall leicht bissig. „In meinen Augen war es genau das, was er verdient hatte.“ Er entsann sich dabei allein an Kais arrogante Haltung, die er ihm gegenüber gezeigt hatte. „Allein, dass er dir wieder Kokain zustecken wollte, reicht ja wohl schon. Glaubst du nicht, dass er dich einfach damit an sich binden wollte? Ehrlich, wenn ich ihn nicht angeschossen hätte, wäre er vielleicht noch viel weiter gegangen und hätte dich irgendwie von Dingen überzeugt, die du selbst nicht willst. Unser nächster Streit wäre das Ende, Daniel“, sagte er ernst und strich Daniel eine Strähne hinter das Ohr.
 

„Ja, vielleicht“, gab Daniel ihm Recht. „Trotzdem denke ich, dass auch ein Schlag in den Magen oder sowas gereicht hätte. Ich bin ohnehin etwas von ihm irritiert. Er ist eigentlich wirklich ein guter Kerl, aber ich glaube, dass die ganzen Niederlagen, die er in Beziehungen bislang eingesteckt hat, ihn etwas extrem reagieren lassen. Es war nicht richtig, das ist klar, doch würde es nicht reichen, sich von ihm fernzuhalten, zumindest bis er über mich hinweg ist? Ich könnte woanders essen und nicht in der Mensa, dann würde ich ihm nie wieder über den Weg laufen. Er weiß beispielsweise gar nicht, wo du wohnst.“
 

Daniel wusste, dass ihm bald die Argumente ausgingen und hoffte, dass Serdall sich bald davon überzeugen ließ, dass er zu krass gehandelt hatte. Denn wenn Daniel noch einmal mitbekommen würde, dass er so ausrastete, womöglich dann dieses Mal vor seinen Augen, wusste er nicht, was er machen würde. Wahrscheinlich würde er Serdall trotzdem die Aktion wieder durchgehen lassen, allein aus dem Grund, damit ihre Beziehung nicht zerbrach, aber gutheißen würde er es nie. Garantiert nicht.
 

„Nein“, erwiderte Serdall schlicht und mit kalter Stimme. „Es hätte nicht gereicht, wenn ich ihm nur einen Schlag verpasst hätte. Denn dann würde er mir gegenüber keine Angst verspüren und es einfach immer wieder bei dir versuchen.“ Serdall ließ sich vollends zurück auf das Bett gleiten und sah an die Decke. „Ich weiß, dass ich es in deinen Augen übertrieben habe, aber das ändert nichts daran, dass ich voll und ganz hinter dieser Handlung stehe. Wenn er dir nicht erneut das Kokain zugesteckt hätte, dann wäre er glimpflicher davongekommen.“
 

„Er hat es wohl als letzten Ausweg gesehen“, versuchte Daniel Kais Handlung zu erklären, doch er sah, dass Serdall sich in keinster Weise dafür interessierte, was Kai dachte und was nicht. Daniel seufzte. „Auf jeden Fall finde ich diese Art an dir schrecklich. Lassen wir Kai jetzt mal aus dem Spiel. Ich finde es einfach nur grausam, einen anderen Menschen wissentlich derart zu verletzten. Auch wenn du hinter dieser Aktion stehst, tue ich das absolut nicht. Dieses Yakuza Gehabe, diese Skrupellosigkeit, damit kann ich dich einfach nicht identifizieren. Das ist sonst überhaupt nicht deine Art und es erschreckt mich zu sehen, dass es auch diese Seite an dir gibt.“
 

Serdall zog eine Augenbraue nach oben. Er zog Daniel am Kragen zu sich auf das Bett zurück, sodass er endlich neben ihm lag. Ratlos sah er ihn in die himmelblauen Augen.
 

„Es gibt diese Seite nun mal. Ich bin der Sohn eines Yakuzas. Auch wenn ich kein Yakuza bin, habe ich es doch in mir. Und du wirst mir zustimmen müssen, dass die letzten Tage sehr extrem waren. Glaubst du ich würde es riskieren, dass ich dich noch einmal verliere und schlussendlich einfach nur an einen Drogendealer? Einem, der andere abhängig werden lässt, nur um sich sein Leben zu finanzieren?“ Serdall rückte näher an Daniel und legte seine Handfläche federleicht an seine Wange. „Du hast doch zu Anfang gewusst, auf was du dich einlässt“, sagte er leise. Schließlich war es nun mal so, dass Serdall sich nicht von heute auf morgen so entwickelt hatte.
 

„Schon“, erwiderte Daniel und sah leicht zur Seite. „Doch das muss noch lange nicht heißen, dass ich diese Seite an dir gutheiße, oder? Ich finde es einfach nur furchtbar, wenn du so bist, so um einhundertachtzig Grad anders, als ich dich kenne. Irgendwie macht mir das Angst und wenn ich mit deinem Opfer in Kontakt stand auch ein schlechtes Gewissen. Denn meiner Meinung nach hat es niemand verdient, blutend in seiner Wohnung zu liegen. Ja ich weiß, du denkst, dass Kai es verdient hat“, fuhr Daniel schnell fort, als Serdall einen Einwand einwerfen wollte. „Das habe ich zur Kenntnis genommen. Darüber möchte ich auch gar nicht mehr mit dir diskutieren. Ich hätte es einfach am liebsten, wenn du anerkennst, dass ich es begrüßen würde, wenn du in der Hinsicht nicht mehr so ausrastest und entsprechende Dinge irgendwie anders löst. Das wäre mein Wunsch.“
 

Ernst sah Daniel Serdall in die Augen. Es gab nur ja oder nein, mit dem Serdall antworten konnte. Sollte er ja sagen, wäre Daniel glücklich, war die Antwort nein, würde er das akzeptieren müssen, weil er wegen so was Serdall nicht verlieren wollte. Vor allem, da gar nicht feststand, ob er noch einmal so handeln würde und nochmals solch eine Situation eintreten würde.
 

„Daniel, es ist doch nur dieses eine Mal gewesen“, murrte Serdall leise. „Ich glaube kaum, dass du mich je wieder auf irgendeine Art und Weise betrügst. Zumindest hoffe ich das“, meinte er und lehnte seine Stirn an Daniels. „Ich werde sicherlich niemanden niederschießen, der mir einfach nur so nicht passt. Ich habe meine Gründe und Kai hat definitiv das Maß überschritten, mit seinen Taten und auch mit den Worten, die er mir entgegnet hat. Und du weißt, wie eifersüchtig ich bin“, flüsterte Serdall resignierend und schob ein Bein zwischen Daniels, als er seine Hand an seinen Hals führte und ihn dort sanft streichelte.
 

Daniel versuchte sich auf etwas anderes zu konzentrieren als auf Serdalls Finger und dessen Oberschenkel in seinem Schritt, doch es fiel im denkbar schwer. Noch dazu die recht beschwichtigenden Worte und er war fast vollständig überzeugt. Das war einfach nicht fair. Serdall wusste, welche Knöpfe er bei ihm drücken musste, um seinen Widerstand erlahmen zu lassen. Auch wenn er es scheinbar eher unbewusst und aus Reflex machte.
 

„Ist ja gut“, grummelte er leise. „Dann versprich mir eben jetzt einfach, dass du wirklich nicht wieder so reagierst, solange ich dich nicht mehr betrüge, denn das kommt einem Versprechen gleich, nie wieder jemanden anzuschießen.“
 

Serdall lächelte glücklich.
 

„In Ordnung“, flüsterte er und küsste sanft Daniels Lippen, um dieses Versprechen zu besiegeln. Solange Daniel ihm treu war, würde er keinen Grund haben überhaupt so zu reagieren. Für alles Andere gäbe es andere Mittel und Wege, auch wenn Daniel dies jetzt nicht zu berücksichtigen schien. „Also liegt alles in deiner Verantwortung“, hauchte Serdall leise und schob eine Hand auf Daniels Hüfte, um sie von dort aus an seinen Seiten entlang wandern und unter den Pulli schlüpfen ließ. Zärtlich fuhr er mit den Fingerspitzen die Rippenbögen nach, während er seine Zunge verspielt über Daniels Ohr gleiten ließ.
 

„Diese Verantwortung nehme ich auf mich“, meinte Daniel schon leicht heiser und schloss, Serdalls Berührungen genießend, die Augen. „Noch ein zusätzlicher Anreiz, dir treu zu bleiben. Auch wenn du eigentlich schon Anreiz genug bietest.“ Lächelnd schlang er die Arme um Serdall und küsste ihn zärtlich. Es war schon okay so. Mit dieser Lösung konnte er eigentlich ganz gut leben. Zumindest schien es ihm im Moment so, als würde Serdall seine zweite Seite nicht mehr zum Vorschein kommen lassen. Was wollte er mehr?
 

Innerlich war Serdall erleichtert. Es hatte ihn schon geschmerzt, dass Daniel seine Entscheidung so dermaßen verurteilt hatte. Gut, Daniel hing einfach zu sehr an seiner Moralvorstellung, die manchmal komplett von Serdalls abwich… Irgendwie kam er sich böse vor, wenn Daniel ihm gegenüber so reagierte und ihn einfach mit Nichtachtung strafte, aber er war im Grunde nun mal so, wenn ihm etwas im Weg stand.
 

Daniel federleichte Küsse auf das Gesicht hauchend schob sich Serdall langsam über ihn und ließ seine Hände zu seiner Hose gleiten. Mit einem Grinsen im Gesicht öffnete Serdall den Hosenknopf.
 

„Ich glaube wir sollten die Tür abschließen“, gab er plötzlich zu bedenken und seine Zunge glitt verführerisch über Daniels Lippen. „Oder spricht jetzt etwas dagegen, dass ich dich vernasche?“
 

Daniel lächelte schon leicht entrückt.
 

„Nein, ich glaube es spricht nichts dagegen. Meine Erlaubnis hast du zumindest. Aber wehe, du bewegst dich auch nur einen Zentimeter von mir weg. Lass die Tür so. Es wollte bislang noch keiner rein, wenn wir miteinander geschlafen haben und ich mag nicht so allein hier liegen. Lieber liege ich hier mit dir. Vorzugsweise nackt.“ Verschmitzt grinsend zog Daniel Serdall sein Shirt über den Kopf, verfuhr mit dem T-Shirt darunter genauso und öffnete auch gleich noch flink die Hose.
 

Unsicher biss sich Serdall auf die Unterlippe und warf kurz einen Blick auf die Tür hinter sich. Er hatte ein schlechtes Gefühl bei der Sache… Es gab für alles ein erstes Mal und warum sollte nicht doch jemand plötzlich etwas von ihnen wollen? Daniel fegte jedoch mit dem nächsten Kuss alle Bedenken aus seinem Kopf und Serdall begann wieder aktiv zu werden. Schnell waren sie nackt und Serdall schmiegte sich eng zwischen Daniels Beine.
 

„Himmel, wie konnte ich nur einen Tag ohne dich auskommen“, keuchte Serdall unterdrückt und rieb sein erigiertes Glied an Daniels, während er sich verzehrend über dessen Oberkörper küsste und leicht über die Brustwarzen leckte.
 

„Das frage ich mich auch immer wieder, wenn du nicht bei mir bist“, entgegnete Daniel. Sein Atem ging etwas schwerer als normalerweise und ein leichter Schweißfilm hatte sich schon auf seiner Brust gebildet. Er bewegte sich ebenfalls gegen Serdall und stöhnte unterdrückt. Mit einer schnellen Drehung hatten sie die Positionen getauscht und Daniel thronte nun grinsend auf Serdall. Langsam schob er sich ein Stück hinab, verteilte kleine Küsse auf der flachen Brust und fuhr mit der Zunge einige Rippen nach, bevor er den Kopf in Serdalls Schoß vergrub und dessen Glied bearbeitete.
 

Leise stöhnend presste sich Serdall eine Hand auf die Stirn und versuchte seiner Sinne Herr zu werden, die sich nach Daniels Berührungen sehnten, wie ein Hoffnungsloser nach dem errettenden Funken. Die geschickte Zunge brachte Serdall schier um den Verstand und sein ganzer Körper wollte mehr von diesen Empfindungen, viel stärker, viel heftiger. Fahrig griff er nach Daniels Haaren und zog ihn wieder zu sich nach oben, um ihn gierig zu küssen und seinen Hintern fest zu massieren. Er wollte ihn. Jetzt! Die Nacht ohne Daniel war einsam gewesen und er wollte nur noch seinen Liebsten spüren, sich versichern, dass Daniel ihn liebte.
 

„Dan, ein Kondom“, hauchte er keuchend in dessen Ohr. Sein ganzer Körper vibrierte vor unterdrückter Begierde und eigentlich wollte er dieses Bett nie wieder mit Daniel verlassen.
 

„Jaja“, erwiderte Daniel selbst ziemlich ungeduldig und kramte in der Nachtischschublade. Das Kondom zog er gleich über Serdalls steifen Penis und betrachtete anschließend das Gleitgel abwägend. Serdall hatte schon die Hand danach ausgestreckt, doch Daniel entzog ihm die Tube. „Nein“, meinte er entschlossen. Wenn er seinen Freund machen ließ, wären sie morgen noch nicht fertig. Schnell bereitete Daniel sich vor und lächelte Serdall dabei unentwegt zu. Schon nach kurzer Zeit ließ er Serdalls Glied in sich gleiten und stöhnte erleichtert auf. Nach der Nacht allein, gleich nachdem sie wieder zusammengekommen waren, hatte er diese Nähe unbedingt gebraucht.
 

„Daniel“, zischte Serdall entsetzt und griff nach dessen Becken, das sich schon vollständig auf ihm niedergelassen hatte. Ein heftiges Ziehen in seinem Bauch hatte diese Aktion begrüßt und Serdall leise keuchen lassen. Doch jetzt fand er, dass Daniel einfach zu schnell machte. „Nicht so hastig“, meinte er tadelnd und legte eine Hand an Daniels Wange. Er wollte nicht, dass sich sein Freund irgendwie wehtat, nur weil er wieder kopflos handelte. Serdall hatte das Gefühl auf Daniel aufpassen zu müssen, ganz besonders nach den Dingen, die geschehen waren und in denen Daniel einfach nur unüberlegt gewesen war.
 

Seufzend lächelte Serdall leicht und ließ seine Hand in Daniels Nacken gleiten. Das war typisch Daniel. Übermütig wie eh und je. Ihn zu sich ziehend, hielt Serdall ihn mit der anderen Hand ruhig, während er seine Zunge leicht über Daniels rote Lippen und spielerisch dazwischen gleiten ließ. Einen Moment erwiderte Daniel den Kuss und löste sich kurz darauf wieder, nur um kurz an Serdalls Unterlippe zu knabbern und dann wieder seine Lippen in Beschlag zu nehmen. Wie Serdall wollte hielt Daniel still, obwohl ihm nur das simple Fühlen des steifen Gliedes in sich nicht ausreichte. Aber er wusste, dass er mal wieder wirklich zu schnell machte und sein Wunsch sich ohnehin auf kurz oder lang erfüllen würde. Daniel ließ seine Hände sanft Serdalls Oberkörper entlang gleiten, die Seiten hinab und über das markante und wunderschöne Gesicht. Verliebt lächelte er und fuhr ein paar mal die Nase sowie die leicht geröteten Lippen entlang. Serdall musste auf Grund der weichen Finger, die ihm im Gesicht kitzelten, leise lachen.
 

„Du sagst ja gar nix mehr“, flüsterte er leise und strich durch Daniels Haare. „Du weißt nicht, wie schön es ist dich wieder so zu spüren, dich so zu sehen“, fuhr Serdall leise fort und seine Hände wanderten an Daniels Seiten hinab zu dessen Becken und strichen leicht über die Oberschenkel. Lächelnd sah Serdall in Daniels Gesicht, in dem die Ungeduld schon geschrieben stand. „Ich liebe es, wenn du so guckst“, hauchte Serdall leise und hob seinen Kopf leicht, um Daniels Lippen zu küssen. „So, als ob du mich gleich lynchen würdest, wenn ich nicht langsam zur Sache komme…“ Serdall lachte leise und ließ seinen Kopf zurück in die Kissen gleiten. Er war so glücklich im Moment. Es war ihm egal, dass er Dinge sagte, die er sonst nie so aussprechen würde, besonders wenn sie gerade Sex hatten. Doch es war ihm egal. Alles. Hauptsache Daniel liebte ihn.
 

„Jaaa, ich kann mir denken, dass du es genießt, mich so zu quälen“, meinte Daniel gedehnt, konnte sich jedoch ein Grinsen nicht verkneifen. „Allerdings habe ich auch so meine Mittel, dich um den Verstand zu bringen.“ Kaum gesagt zog Daniel seine Muskeln einige Male hart um Serdalls Glied zusammen und wartete auf eine Reaktion. Hart biss sich Serdall auf die Lippe, ehe er schelmisch lächelte. Wer hier wohl die bessere Beherrschung hatte? Sie würden es schon herausfinden. Er ließ seine Hände an Daniels Hüfte greifen und hielt seinen Freund so fest.
 

„Und ich liebe es, wenn du mit mir diesen Kleinkrieg ausfechten willst“, meinte er leise und stieß einmal langezogen in Daniel um sanft wieder herauszugleiten und dann in die Ausgangsposition zu verfallen. Daniel hatte sich auf die Lippe gebissen, um ein Stöhnen zu unterdrücken, allerdings verriet ihn der Schauer, der durch seinen Körper rann und ihn leicht zittern ließ. Serdall, dieser kleine intrigante Mistkerl, wusste leider genau, wie er ihn kriegen konnte. Zwar versuchte Daniel wie immer ihm standzuhalten, doch er wusste, dass er den Kampf eigentlich schon verloren hatte. Nichtsdestotrotz blieb er still auf Serdall in halb sitzender, halb liegender Position und blitzte ihn etwas gekränkt an.
 

„So schnell gebe ich heute nicht auf“, verkündete er entschlossen und reizte Serdalls Glied erneut, während seine Hände die empfindlichen unteren Rippenböden entlang glitten. Serdall stöhnte ungehemmt, aber dabei war sein Mund immer noch amüsiert verzogen.

„Na dann lassen wir das Spiel beginnen“, hauchte Serdall an Daniels Ohr und verbiss sich augenblicklich in die empfindliche Stelle darunter und saugte heftig daran, während er Daniel wieder einmal in voller Länge ausmaß und sogleich erneut inne hielt. Eine Hand löste sich von Daniels Hüfte und wanderte zwischen sie, um zaghaft mit einem Finger über Daniels Eichel zu reiben. Serdall rann ein heißer Schauer über die Haut, als ein kehliger Laut zwischen Daniels Lippen hervortrat. „Gibst du auf?“, fragte er verführerisch und leckte über seine Ohrmuschel.
 

„Nie…mals“, keuchte Daniel abgehackt, die Augen fast qualvoll geschlossen. Emotionen schossen durch seinen Körper, Erregung machte sich in stärkstem Maße in ihm breit und er konnte das starke Zittern seiner Hände nicht mehr unterdrücken, die jetzt von Serdalls Körper auf das Laken glitten und sich dort festkrallten. Er durfte Serdall nicht immer seinen Willen durchsetzen lassen, wollte auch mal das Ruder in der Hand haben, aber gerade… Scheiß drauf, er würde es Serdall das nächste Mal beweisen, dass er durchaus über eine starke Selbstbeherrschung verfügte. „Ist ja gut, du hast gewonnen“, verkündete er stöhnend, da Serdall einen weiteren Atem raubenden Stoß ausgeführt hatte. Vergnügt lachte Serdall und küsste sich so gut es ging über Daniels Schulter.
 

„Sieg“, hauchte er leise an Daniels Ohr und gab nun sein Becken frei, um mit den Händen Daniels Gesicht zu umrahmen. „Und du bist meine Trophäe“, wisperte er an den roten Lippen, ehe er Daniel forsch küsste, um endlich die gewünschte Hitze auch in sich zu entfachen, die er so zwanghaft beherrscht und unterdrückt hatte. Seine blaugrünen Augen hefteten sich geradezu auf Daniels Antlitz, trotz ihres innigen Kusses. Serdall begann die ersten, tiefen Stöße, sobald das Blut in seinen Ohren zu rauschen zu begann und seine Sinne nur noch von Daniel ausgefüllt waren. So hörte er auch nicht, wie es an der Tür deutlich klopfte, bis es schon zu spät war und sich ein überdeutliches Räuspern in seinem Gehörgang bemerkbar machte. Geschockt hielt er inne und sah an Daniel vorbei und… „FEI!“, kreischte er geradezu und schnappte sich eine Decke, um sie über Daniel zu werfen und so auch ihre Intimität zu verdecken.
 

Geschockt zuckte Daniel zusammen und verkrampfte sich, als er einen Blick über die Schulter warf und tatsächlich Serdalls Bruder im Türrahmen stehen sah. Serdall selbst stöhnte etwas schmerzvoll und Daniel versuchte sich wieder zu entspannen. Wie eingefroren saß er in Serdalls Schoß und starrte zur Tür, ehe er die Decke etwas fester um sich zog und seinen hochroten Kopf in Serdalls Halsbeuge vergrub. Es war eine Sache, wenn Fei sie dabei erwischte, wie Daniel Serdall befriedigte, aber alles in allem nicht sehr viel sah, eine andere war es, wenn sie beim Sex beobachtet wurden. Dustin war schlimm genug, aber der Typ war ohnehin sexbesessen, dem machte es nichts aus und war deswegen für sie beide nicht so schrecklich gewesen, aber Serdalls Bruder… Das war dann selbst Daniel zu viel.
 

„Serdall, ich habe geklopft, aber…“ Ein Grinsen schlich sich in Feis Züge, als Serdall ihm hochrot über Daniels entblößter Schulter entgegenblickte.
 

„Es ist gerade sehr unpassend“, fauchte der Violinist wütend und legte eine Hand auf Daniels Hinterkopf.
 

„Jetzt reiß dich zusammen, ich brauch nur kurz. Es geht um…“
 

„Hau ab!“, rief Serdall wütend, doch Fei dachte nicht daran und verschränkte die Arme.
 

„Jetzt sei nicht so kindisch. Ihr tut gerade so, als ob ich so etwas noch nie gesehen habe. Macht ruhig weiter, ich muss dir nur sagen… äh, Serdall?“
 

Knurrend schob sich der Schwarzhaarige plötzlich mit Daniel aus dem Bett. Serdall fasste Daniel bei den Oberschenkeln, während jener die Decke fest um sie hielt. Entschieden stand er mit Daniel auf seinen Hüften und knallrotem Gesicht auf. Seinem Bruder einen tötenden Blick zuwerfend, ging er festen Schrittes an ihm vorbei und zum Bad, wo er die Tür hinter sich zutrat und abschloss, nachdem er Daniel gegengelehnt hatte, ihn immer noch festhaltend, wobei Daniel die Arme um seinen Hals geschlungen hatte, um nicht herunter zu fallen.
 

„Scheiße“, zischte Serdall aggressiv. „Warum haben wir nur nicht abgeschlossen?“
 

„Weil ich nicht wollte und es für unnötig hielt“, erwiderte Daniel betrübt und starrte an die Wand. Irgendwie schien in letzter Zeit alles schief zu laufen. Erst ihre durch Fei herbeigeführte Trennung, sein Absturz bei Kai, die vielen Streitereien, als sie endlich wieder zusammen waren, seine Überreaktion und die aufgeschlitzten Pulsadern und jetzt wurden sie auch noch beim Sex gestört, weil er seine Finger nicht für zehn Sekunden von Serdall lassen konnte. „Bin ich nicht schwer?“, fragte Daniel leise, da er immer noch auf Serdalls Hüften saß. Die Decke hing nur noch an einem Zipfel zwischen ihnen.
 

„Ein wenig“, gab Serdall zu und sah Daniel wehmütig ins Gesicht. Er sah es Daniel an, dass er sich die Schuld hierfür gab und das wollte Serdall definitiv nicht. „Guck nicht so“, hauchte er gegen Daniels Lippen und küsste ihn kurz. „Der Weltuntergang ist es auch nicht mehr. Fei ist ein Arsch. Langsam glaub ich, dass er das absichtlich macht“, knurrte er leise und zupfte die Decke von ihnen, um sie mit einer kleinen Verrenkung und ohne Daniel fallen zu lassen auf die Fliesen zu drapieren, um dann seinen Freund darauf zu betten. Dabei glitt er keine Sekunde aus ihm. Er kniete zwischen Daniels Beine, die immer noch um seine Hüften geschlungen waren, ehe er wieder einen leichten Rhythmus aufnahm. „Gib dir nicht für alles die Schuld“, murrte Serdall leise, als Daniel immer noch ziemlich traurig dreinsah und anscheinend seine Stimmung nicht mehr aufkommen wollte. Serdall fragte sich langsam echt, was Fei so wichtig war, das er sie so stören musste.
 

„Ist gut“, murmelte Daniel. Seine Stimmung hellte sich allmählich wieder auf. Einerseits, weil Serdall ihm so gut zuredete, andererseits, weil sich erneut Erregung in ihm breit machte. Er schlang seine Beine um Serdall und webte seine Finger in die schwarzen Haare, bevor er Serdall in einen langsamen Kuss verwickelte. Den doch noch recht guten Ausgang ihres Liebesspieles genießend schloss er die Augen und kam den Stößen leicht entgegen. „Auf dem Badezimmerboden haben wir es auch noch nicht getan“, meinte er leise lachend.
 

„Nicht direkt“, zischte Serdall leise und konzentrierte sich darauf, Daniel wieder stöhnend unter sich liegen zu haben. Er würde Fei zumindest die Meinung sagen, das stand definitiv fest. Er hatte unter Garantie gehört wobei er sie stören würde und war trotzdem reingekommen. Keuchend öffnete Serdall die Augen und sah Daniel in das gerötete Gesicht mit den sanften und schönen Zügen, die er so sehr liebte. Nicht mehr an Fei denkend küsste Serdall Daniel innig. Sein Herz machte einen Hüpfer, schien für einen Moment zu stocken, als Daniel sich stöhnend von ihm löste und die Kehle dabei streckte, als er den Kopf in den Nacken legte. Heißkalte Schauder brannten sich durch Serdalls Körper. Er wurde einfach nur immer wieder schwach bei dieser Stimme. Sich eng an Daniel schmiegend, nutzte Serdall die Reibungsenergie zwischen ihren Körpern, um auch Daniels Glied vermehrt zu reizen, während er sich über den Kehlkopf seines Liebsten leckte und den salzigen Geschmack genoss.
 

Daniel ließ seinen Kopf so überstreckt im Nacken liegen und genoss Serdalls Liebkosungen, während er sich erregt auf die Unterlippe biss. Fahrig wanderten seine Hände über Serdalls leicht feuchten Rücken. Alle Gedanken an die Störung durch Fei waren wie weggeblasen und alles, was seine Sinne beherrschte, hatte mit Serdall zu tun. Seufzend drehte er seinen Kopf ein wenig, als die flinke Zunge, die eben noch an seinem Kehlkopf gewesen war, sich einen Weg zu seinem Ohr bahnte und somit erneute Schauer durch Daniels Körper jagte.
 

„Ich komme gleich“, raunte er heiser in Serdalls Ohr.
 

Erzitternd schloss Serdall die Augen. Himmel, er liebte diese Stimme einfach nur. Stöhnend ließ Serdall seinen Kopf in Daniels Halsbeuge fallen und versuchte seinen eigenen Höhepunkt lang genug zurück zu halten. Er war auch kurz davor sich einfach gehen zu lassen. Sich mit beiden Händen auf der Decke abstützend schlug er einen schnelleren Rhythmus an, bei dem das laute Klatschen von Haut auf Haut im Raum erscholl. Schweiß tropfte von seiner Stirn und vermischte sich mit Daniels auf dessen Brust. Serdall spürte, wie Daniels Körper sich konvulsivisch und pulsierend um ihn herum anspannte. Fingernägel gruben sich an den Schulterblättern in Serdalls Haut und auch er kam nur wenige Sekunden, nachdem Daniels Sperma sich heiß zwischen ihren Bäuchen entladen hatte.
 

„Ich liebe dich“, hauchte Serdall atemlos und wechselte unbewusst wieder ins Japanische, ehe er auf Daniel zusammensank und sich eng an ihn klammerte.
 

„Ich liebe dich auch“, erwiderte Daniel, denn die Bedeutung dieser Worte hatte er dann doch schon etwas länger erschlossen. Ermattet aber glücklich und befriedigt ließ er seine Arme locker auf Serdalls Rücken liegen und schloss seinem Orgasmus nachfühlend die Augen.
 

Etwas später stiegen sie unter die Dusche, bevor sie Hand in Hand zurück ins Schlafzimmer gingen. Fei war nicht mehr zu sehen, was Daniel innerlich aufatmen ließ. Wäre er noch hier gewesen, dann wäre Serdall hundertprozentig wirklich noch auf ihn losgegangen.
 

„Und jetzt?“, fragte Daniel mit leicht schief gelegtem Kopf. „Gehen wir gleich zu Fei oder warten wir, bis er wieder zu uns kommt?“
 

Sich erst einmal anziehend, überlegte Serdall etwas zu lange. Irgendwie war sein Hirn gerade in den Sparmodus gewechselt, nach dem intensivem Sex mit Daniel.
 

„Wir müssen sowieso runter gehen. Taki wird bestimmt auch schon wieder auf dich warten“, meinte er lächelnd und umarmte Daniel nochmal, als jener sich auch endlich komplett angezogen hatte. „Ich dreh Fei den Hals um, wenn es nicht wirklich wichtig ist“, murrte er leise und legte einen Arm um Daniel. Besorgt sah er kurz auf Daniels Handgelenk. Daniel hatte ihm versichert, dass alles okay war, aber Serdall war sich sicher, dass er Schmerzen hatte. Seufzend küsste er Daniels Schläfe. Sie beide waren echt nicht mehr zu retten. Daniel mit sich ziehend gingen sie nach unten. Im Türrahmen zum Wohnzimmer stockte er kurz. Fei und Taki waren anwesend und…
 

„Yoshiko? Was machst du denn hier?“, fragte Serdall auf Japanisch und machte große Augen. Er hätte nicht gedacht sie je wieder zu sehen. Daniel verlegte sich lieber aufs Handeln, statt stocksteif stehen zu bleiben und nur ungläubige Fragen zu stellen. Mit wenigen Schritten war er bei Yoshiko und umarmte sie.
 

„Hey“, grüßte er lächelnd. Er hatte nicht vergessen, was sie für ihn und Serdall getan und auch riskiert hatte. Scheinbar hatte Fei, nachdem er die Beziehung zwischen ihnen doch noch geduldet hatte, auch Yoshiko von ihrer Strafe befreit. Was auch immer sie in Japan jetzt tun musste. Aber bei ihrer Familie zu sitzen und auf den nächsten womöglich schrecklichen Ehemann zu warten, war auch schon schlimm genug.
 

„Wie kommt es, dass sie wieder hier ist“, wollte Daniel ebenfalls wissen, als er sich wieder von Yoshiko gelöst hatte, die doch etwas verdutzt drein sah und leicht gerötete Wangen hatte. Fei lachte amüsiert und Serdall schoss schlagartig das Blut ins Gesicht, als sein Bruder auf sie zukam.
 

„Ich wollte es euch schon vorhin erzählen, doch ihr wolltet mir ja nicht zuhören“, erklärte Fei zwinkernd, wobei Serdall plötzlich die Fäuste ballte. Daniels Hand, die sich auf seine verkrampfte legte, beruhigte ihn jedoch und Fei fuhr auch fort. „Sie ist die Haushälterin, die ich euch an die Seite stellen möchte, bevor ich wieder abreise.“ Serdalls Augen waren schmal. Fei schien wirklich alles wieder gutmachen zu wollen und auch Yoshiko gegenüber gerecht zu sein. So würde die junge Japanerin dem Zwang ihrer Familie entkommen können. Es würde ihr die Freiheit versprechen.
 

„Ich danke dir und ich bin sehr glücklich, dass sie es ist“, sagte er in seiner Muttersprache, damit Yoshiko nicht vollkommen außen vor blieb. „Schön, dass du hier bist“, meinte Serdall lächelnd und sah ihr offen ins Gesicht, ehe er wieder nach Daniels Hand griff, um sie mit seiner zu verschränken.
 

„Also ich finde es klasse, dass sie die angekündigte Haushälterin ist. Ehrlich gesagt war ich etwas skeptisch, was diesen Job angeht, weil wir eigentlich ja ganz gut zurecht kommen, aber bei dir mache ich eine Ausnahme“, meinte Daniel ebenfalls, da er kein Wort von dem verstand, was Serdall gesagt hatte. Als ihm einfiel, dass Yoshiko ihn wohl auch nicht verstanden hatte, wiederholte er sich noch einmal auf Englisch und erntete ein zurückhaltendes Lächeln. Von der zuletzt so impulsiven Yoshiko war nicht mehr wirklich viel zu sehen und Daniel legte etwas skeptisch den Kopf schief.
 

Yoshiko spielte währenddessen unbemerkt mit ihren Fingern. Sie war nervös, da sie keine Ahnung hatte, was sie von dieser Situation halten sollte. Plötzlich kamen alle so gut miteinander aus, sogar Serdall und der Oyabun, die so extrem zerstritten waren, als sie wieder zurück nach Japan geschickt wurde. Warum genau sie jetzt wieder hier war, war ihr auch ein Rätsel, allerdings wollte sie nicht durch eine unbedachte Aussage riskieren, wieder abreisen zu müssen. Nichts wäre schrecklicher, als wieder zurück zu ihrer Familie, vor allem ihrem Vater zu müssen, der ihr deutlich klar gemacht hatte, was er von ihrem aufsässigen Verhalten und der verpassten Chance, den Bruder des Oyabun zu heiraten, hielt. Der Beweis dafür lag gut unter ihrer Kleidung verborgen.
 

Auch Serdall sah Yoshiko nun an, dass sie anders wirkte. Sie hatte einen seltsamen Zug um die Augen herum, der sie unglücklich wirken ließ. Eine Augenbraue nach oben ziehend sah Serdall kurz zu Fei. Er sah es ihm an, dass er etwas ahnte und als Fei den Mund verzog und sich abwandte, wurde auch Serdall klar, was Yoshiko womöglich wiederfahren war. Den Blick abwendend strich Serdall sich einmal durch die Haare. Jeder hier hatte auf gewisse Weise sein Opfer gebracht, egal wie groß, wie klein…
 

„Daniel, ich muss kurz mit ihr allein reden“, meinte er leise zu seinem Freund und sah ihm ernst in die Augen. „Ist das in Ordnung? Wenigstens warum sie nun hier sein darf sollte sie wissen.“ Daniel musste nur kurz überlegen, dann nickte er knapp.
 

„Klar, lasst euch Zeit und sprecht euch in Ruhe aus. Ich bin in meinem Zimmer und arbeite den Stoff für die Uni ein wenig auf.“ Er gab Serdall noch einen kurzen Kuss und ging dann wie angekündigt nach oben. Serdall sah Daniel einen Moment nach ehe er Yoshiko bedeutete ihm zu folgen. Er hatte keine Lust in Feis Anwesenheit mit ihr zu reden. In der Küche holte sich Serdall ein Glas und setzte sich zu ihr an den Tisch. Er griff nach ihren Händen, die auf dem Tisch wieder nervös mit einander zu spielen angefangen hatten.
 

„Keine Sorge, Yoshiko. Es ist alles wieder in Ordnung und du bist hier ab jetzt in Sicherheit. Fei hegt keinerlei Groll mehr gegen mich und lässt mich mein Leben leben.“ Aufmunternd lächelte er sie an und strich mit dem Daumen über ihren Handrücken. „Dein Vater hat dich geschlagen, nicht?“, fragte Serdall gerade heraus und sah das leichte Zucken in ihrer Gestalt. Das war so üblich bei diesen traditionellen Familien in Japan, bei Ungehorsam solche Mittel anzuwenden, besonders in den Kreisen der Yakuza. Zumindest wusste Serdall nur so darum.
 

„Es ist nicht so, als hätte er das nicht schon öfter getan“, versuchte Yoshiko die Sache herunterzuspielen, doch sie konnte das leichte Zittern in ihrer Stimme nicht gänzlich vertreiben. Es stimmte, dass ihr Vater versucht hatte, sie auf diese Weise zu erziehen, doch dieses Mal war seine Wut fast grenzenlos gewesen.
 

„Weißt du“, fuhr sie schnell fort, um Serdall keine Möglichkeit auf einen Einwurf zu lassen, „eigentlich ist es mir fast egal, warum ich jetzt hier bin. Ich bin einfach froh, dass ich hier bin. Nächsten Freitag hätte ich heiraten sollen. Irgendeinen fremden Buchhalter mit Verbindungen zur Yakuza, den mein Vater nicht wirklich kennt, der aber Geld und Einfluss hat und mich davor bewahren sollte, noch einmal so eine Dummheit zu machen und…“ Sie stoppte, als Tränen sich den Weg über ihre Wange bahnten. Peinlich berührt entzog Yoshiko Serdall ihre Hände und wischte sie sich schnellstmöglich weg. „Entschuldige“, murmelte sie mit leicht wacklig. „Du hast bestimmt viel Schlimmere Sachen durchmachen müssen.“
 

Serdall stand auf und nahm sie in den Arm.
 

„Vielleicht“, murmelte er leise und strich ihr über die Wange, wobei er ihr in die braunen Augen sah. „Doch das ist alles vorbei. Du lebst ab jetzt bei uns und du wirst selbst über dich entscheiden. Daniel und ich freuen uns, dass du hier sein kannst und ich wette, du wirst eine nette Haushälterin. Natürlich bezahle ich dich dafür und du musst nur solange hier bleiben, wie es dir gefällt. Ich werde dir absolut freie Hand lassen. Nur bei Taki und Daniel solltest du Rücksicht nehmen. Ich sehe es nicht gern, wenn man meinen Liebsten in irgendeiner Art Ärger bereitet“, meinte er mit einem Zwinkern, ehe er sich ihr wieder gegenüber setzte.
 

Yoshiko zeigte ihr erstes ehrliches Lächeln, seit sie angekommen war. Eine Welle der Erleichterung durchflutete sie. Es wäre für sie schon genug gewesen, wenn sie hier in irgendeinem kleinen Zimmer untergekommen wäre, egal bei was für Leuten, Hauptsache sie war ein für alle Mal weg von ihrer Familie, auch wenn sie ihre Mutter wohl vermissen würde. Sie hatte ihr nie was getan, allerdings stillschweigend den Erziehungsmethoden ihres Vaters zugesehen. Aber was hätte sie auch tun sollen?
 

„Danke“, murmelte sie leise zu Serdall, „dass du mir diese Chance gibst.“
 

„Das Mindeste, was ich dir zurückgeben kann. Und Daniel liegt es scheinbar sehr am Herzen, dass du hier bist“, meinte er versonnen lächelnd und stützte seinen Kopf in eine Hand. „Leider kommst du erst einmal nur wieder in Daniels Zimmer unter, bis Fei weg ist. Dann kannst du das Zimmer in der ersten Etage ganz nach deinen Wünschen einrichten, in Ordnung?“
 

Serdalls Gedanken schweiften schon wieder ab, obwohl er Yoshiko ins Gesicht sah. Daniels Verletzung würde hoffentlich schnell heilen. Er hatte zwar nichts gesagt, aber Serdall hatte es ihm angesehen, dass es wehtat, wenn er seine Hand viel bewegte. Ob auch wirklich alles richtig verheilen würde? Für Serdall wäre eine Verletzung an der linken Hand in dem Ausmaß geradezu der Todesstoß für sein Geigenspiel. Ohne seine Linke konnte er die Saiten nicht greifen, die Essenz für sein Talent. Leise seufzend legte er den Kopf leicht schief und trank einen Schluck Wasser.
 

„Ich denke du wirst dich hier schnell eingewöhnen. Und ich werde dir Deutsch beibringen, damit du besser zurechtkommst, okay?“, führte nach einer kurzen Stille aus und sah Yoshiko wieder offen ins Gesicht.
 

„Das wäre wunderbar“, erwiderte Yoshiko glücklich und stand auf. „Möchtest du einen Tee? Wenn ich schon hier die neue Haushälterin bin, sollte ich mich auch so benehmen.“ Schelmisch zwinkerte sie Serdall zu und alles schien wieder so zu sein, wie vor ihrer kurzen Rückkehr nach Japan.
 


 

Daniel saß an seinem Schreibtisch über seine Bücher gebeugt und schrieb sich einige Sachen auf einen extra Zettel. Er konnte fast gar nicht glauben, wie sehr Fei seine Meinung geändert hatte und das alles dank einer einzigen, wenn auch ziemlich dramatischen Tat von Serdall. Alles, was schlecht gewesen war, war jetzt auf einmal in Ordnung und er akzeptierte alles. Nun, Daniel würde sich nicht beschweren. Seltsam war, dass Yoshiko sich auf einmal so zurückhaltend benahm. Lag es daran, dass Fei anwesend war? Immerhin hatte sie ihm in erster Linie die Hochzeitspläne und später ihr Rückflugticket nach Japan zu verdanken. Serdall sprach gerade mit ihr, er würde Daniel bestimmt nachher über alles in Kenntnis setzten. Es klopfte an der Tür.
 

„Ja?“, rief Daniel und setzte noch schnell einen Punkt an das Ende des Satzes, ehe er sich umdrehte.
 

„Na, du kleiner Pornostar“, grüßte Dustin ihn gut gelaunt und trat in das Zimmer ein. Grinsend ging er zu Daniels Bett und setzte sich darauf. „Ihr habt Fei ja ne ganz schöne Show geboten, was?“ Der Blonde sah belustigt dabei zu, wie Daniels Kopf eine wunderbare Rotfärbung annahm. Das hatte er auch schon ewig nicht mehr bei ihm gesehen, zumal Daniel eh kaum etwas peinlich war.
 

„Woher weißt du das denn jetzt schon wieder?“, fragte Daniel und legte den Kugelschreiber beiseite. Er bettete sein bandagiertes Handgelenk auf seinem Schoß, da es, seit er seine Bücher gewälzt hatte, ziemlich schmerzte. Er wunderte sich immer wieder, warum Dustin über jedes Missgeschick, das in diesem Haus passierte, informiert war. Gerade Feis Unterbrechung ihres Liebesspiels von vorhin hätte er liebend gern für sich behalten.
 

„Kikuchi ist eine alte Tratschtante“, meinte Dustin kichernd. „Fei war wohl ziemlich amüsiert oder so und hat es ihm erzählt. Tja und irgendwie scheint es echt was Besonderes zu sein, wenn Al Sex mit dir hat.“ Lachend wich er dem geworfenen Kugelschreiber aus und zog dann seine Bein zu einem Schneidersitz aufs Bett. Er hatte so das Gefühl, dass endlich fast alles beim Alten war, aber er und Daniel noch ein wenig reden mussten. Sein Blick fiel kurz auf den Verband an Daniels Linken, ehe er wieder unbekümmert in Daniels Gesicht blickte. „Welche Stellung war es denn? Und was hat Serdall gemacht, als er Fei gesehen hat? Echt, eure Gesichter waren bestimmt zum schießen.“
 

„Jaaa, das würdest du gern wissen, was?“, meinte Daniel gedehnt und betrachtete Dustin mit hochgezogener Augenbraue. „Aber mittlerweile solltest du gemerkt haben, dass meine Lippen in der Hinsicht versiegelt sind. Frag doch deinen scheinbar neu gewonnenen Freund. Vielleicht ist der ja auch über die Einzelheiten aufgeklärt.“ Daniel streckte Dustin kurz die Zunge raus, als der beleidigt die Arme verschränkte. „So wie ich dich kenne, hättest du Fei wohl noch eingeladen mitzumachen, anstatt ins Bad zu flüchten.“
 

„Ihr seid ins Bad geflüchtet?“ Dustin warf sich prustend zurück und gackerte mit Tränen in den Augen. Das hätte er zu gern gesehen, wie Serdall und Daniel nackt an Fei vorbeiliefen und dabei kochend rote Köpfe hatten. Plötzlich setzte sich Dustin wieder auf und verschränkte die Arme wieder trotzig, obwohl noch kleine Lachtränen in seinen Augenwinkeln waren. „Aber warum macht ihr immer sowas, wenn ich nicht da bin?“, murrte er genervt. „Und Fei erzählt leider auch keine Details, von daher stütz ich mich auf dich als eine verlässliche Quelle, der ab und zu etwas rausrutscht.“
 

„Ja, leider scheine ich meine Klappe nicht ganz halten zu können“, murmelte Daniel. „Und es ist schlimm genug, wenn irgendwer reinplatzt, wenn wir Sex haben. Von Fei hätte ich eigentlich erwartet, dass er stillschweigt, was er nicht getan hat, aber bei dir weiß ich, dass du uns noch wochenlang mit den Peinlichkeiten aufziehen würdest. Ab jetzt nur noch Sex hinter doppelt verschlossener Tür“, stellte Daniel klar.
 

„Och“, erwiderte Dustin grinsend, „so toll seid ihr dann doch nicht, dass ich bei euch spannen müsste. Ethan ist das absolut Schnuckeligste, was auf unserem Erdball wandert“, stellte er verliebt blickend klar und lachte im nächsten Moment schon wieder vergnügt. „Mensch, du weißt gar nicht wie froh ich bin, dass du wieder hier bist.“
 

„Ich wette du bist nur glücklich, dass du wieder einen mehr hast, der an eurer ganz zufälliger Weise offen gelassenen Zimmertür vorbeikommt und deine famosen Liebeskünste bestaunen kann“, scherzte Daniel. Dustin nickte bestätigend.
 

„Klar, nur deswegen.“ Im nächsten Moment schüttelte er den Kopf und ging ernst auf Daniel zu, um ihn fest zu umarmen. „Ich hab dich auch so vermisst“, meinte er ehrlich und strich Daniel leicht über den Rücken. „Und ich bin wirklich glücklich, dass Serdall mit dir zusammenbleibt und wieder glücklich ist. Ohne dich wäre nie alles die letzten Jahre so gut gegangen.“
 

Daniel erwiderte die Umarmung und stelle peinlich berührt fest, dass seine Augen feucht wurden. Nie hätte er während der Zeit bei Kai gedacht, dass alles so gut ausgehen würde. Dass jetzt wirklich alle für die Fortsetzung seiner Beziehung zu Serdall waren, bedeutete ihm wirklich viel. Er wusste nicht, was er sagen sollte und löste sich deswegen einfach nach einigen Augenblicken wieder von Dustin. Mitfühlend strich Dustin lächelnd mit dem Daumen unter Daniels Augen entlang und setzte sich dann vor ihn auf den Boden.
 

„Wie war das noch? Bis der Tod sie scheidet? Bei euch wird das wohl fast zutreffen, so liebeskrank allein du schon bist. Ich möchte gar nicht wissen, wie Serdall Fei überhaupt umstimmen konnte und bin auch froh, dass ihr es mir nicht wirklich sagt. Ich ahne es doch schon, wenn ich euch beiden Hornochsen ansehe“, murrte er leise und strich sich schwach durch die Haare. Er war froh, dass diese ganzen Horrorszenarien vorbei waren und sie hoffentlich zu ihrem beschaulich verrückten Leben zurückkehren konnten. Plötzlich straffte sich Dustins schlaffe Gestalt wieder und er schob die tristen Gedanken beiseite, als er Daniel wieder schelmisch angrinste.
 

„Sag mal“, fing er an und leckte sich leicht über die Unterlippe, „hast du nun endlich auch mal mit Al geschlafen?“, wollte er interessiert wissen. Gerade nach der Sache mit Kikuchi war Ethan darauf ziemlich scharf gewesen und sie hatten es ein paar Mal ausprobiert. Ethan fand es augenscheinlich zwar nicht schlecht, so als Abwechslung, bevorzugte aber doch den anderen Part. Dustin fragte sich echt, wie das mit ihren beiden Turteltäubchen war. So verklemmt wie Daniel gerade guckte, war das wohl noch nicht Thema gewesen. Innerlich seufzte Dustin abgrundtief. Echt verkorkst, dachte er sich schwer.
 

Zuerst dachte Daniel, dass Dustin ihn verschaukeln wollte, denn natürlich hatte er schon mit Serdall geschlafen, doch dann fiel ihm auf, wie genau Dustin seine Frage betont hatte. Er wollte wissen, ob er selbst schon einmal der aktive Part gewesen war. Geschockt starrte Daniel ihn an.
 

„Nein?“, fragte er eher, als dass er antwortete und schüttelte stark den Kopf. Dustin rollte mit den Augen.
 

„Warum überrascht mich das nur nicht?“, murmelte er zu sich selbst und lehnte sich leicht zurück, um Daniel entspannter entgegenzublicken. „Hast du denn nicht ein einziges Mal die Lust verspürt, Serdall auch so zu fühlen wie er dich? Ehrlich, ihr seid doch nun schon so lang zusammen, da dachte ich, dass ihr es wenigstens probieren würdet.“
 

„Ich weiß nicht“, meinte Daniel unsicher und legte den Kopf leicht schief. „Bislang war ich eigentlich sehr zufrieden. Es fühlt sich so herum einfach richtig an. Ich liebe es, wenn Serdall mich nimmt, diese doppelte Reizung ist einfach irre. Außerdem hätte ich keine Ahnung, was ich machen soll.“
 

„Das ist ‘nen Witz, oder?“, knurrte Dustin leise. „Du bist wohl der, der es wohl am besten weiß. Ich meine, man weiß doch worauf es ankommt, wenn man es selber schon getan hat. Da ist das echt nur eine Ausrede. Selbst Ethan war ganz wunderbar, als er mit mir geschlafen hat“, vertraute Dustin ihm an. „Auch wenn er seine Bedenken hatte, hat er es sich wenigstens getraut. Und du weißt wie schüchtern er gegenüber neuen Dingen ist.“ Die leichte Röte in Daniels Wangen ließ Dustin lachen. Da hatte wohl jemand wieder ein Kopfkino. „Wovor hast du denn Angst?“
 

Kurz schüttelte Daniel den Kopf, um die Bilder von Ethan, der sich mit langsamen Stößen in Dustin vergrub, zu vertreiben. Das wollte er echt nicht sehen. Er bewunderte Ethan heimlich für den enormen Wandel, den er durchgemacht hatte. Vom schüchternen Jungen zum extrovertierten Lover. Unglaublich. Seufzend sah Daniel schließlich zu Dustin.
 

„Ich weiß nicht, warum ich mich davor drücke, Serdall auch mal danach zu fragen“, erwiderte er kleinlaut. „Ich glaube ich habe einfach nur Schiss, dass ich ihm wehtue oder er es total schrecklich findet, weil er nun mal nicht gänzlich schwul ist.“ Resigniert zuckte Daniel mit den Schultern. Dustin biss sich leicht auf die Lippe. Klar, Serdall war in der Hinsicht ziemlich konservativ, aber schließlich war er mit einem Mann zusammen, da gehörte das nun auch mal dazu.
 

„Daniel, wo ist dein Selbstwertgefühl? Er liebt dich doch, sonst hätte er all den Mist nicht für dich durchgestanden und hätte eine dieser japanischen Schnepfen geheiratet. Ihr sollt es doch nur ausprobieren, damit auch Serdall weiß, was du eigentlich genau empfindest und du im Gegenzug, was er bei dir spürt. Ist das denn so schlimm? Und momentan sieht er mir schon so aus, als ob er sich für den Rest seines Lebens dir verschrieben hat“, murrte Dustin noch am Ende und stützte seinen Kopf in beide Hände. „Was soll denn schief gehen?“
 

„Das habe ich dir eben schon beschrieben“, erwiderte Daniel leicht gereizt. Das war einfach kein Thema, das er eigentlich diskutieren wollte. „Außerdem kann noch so vieles passieren. Ich meine, ich bin es gewohnt, mit Serdall zu schlafen, aber das erste Mal ist doch etwas Anderes. Wer weiß, ob ich ihn genug dehne, ob er sich überhaupt entspannen kann, ob es für ihn überhaupt schön ist. Mir gefällt es so, wie es ist, warum sollte ich es riskieren?“
 

„Himmel“, zischte Dustin leise, ließ sich zurückfallen und kam auf dem Teppich zum Liegen. „Liebst du Serdall oder nicht? Bisher ist der Sex höchstwahrscheinlich für Serdall nur wie mit einer Frau“, knurrte Dustin leise. „Ihr seid doch gleichgestellt, oder? Dann solltest du auch mit ihm schlafen und ich wette mit dir, mit den Sorgen, die du jetzt schon hast, wird es schon gutgehen.“ Er sah wieder zu Daniel. Ihm war bewusst, dass er mit seinen Äußerungen zu weit ging, dass er die Sache überspitzte, doch Daniels Einstellung war ja nicht wirklich hilfreich. „Du weißt doch wie schön es ist, wenn du ihn spüren kannst, wieso willst du so egoistisch sein und es ihm vorenthalten?“
 

Dustins Worte spukten in Daniels Kopf umher. Kai hatte auch gesagt, dass Serdall in ihm nur einen Frauenersatz sah. Daniel dachte selbst, dass Serdall sich in ihn als Person verliebt hatte und den Fakt, dass er ebenfalls männlich war, eben einfach hingenommen hatte. Wären sie nicht mehr zusammen, würde Serdall sich wohl wieder nach einer Frau umschauen, statt noch einmal was mit einem Mann anzufangen. Wenn er Daniel allerdings erlaubte, mit ihm zu schlafen, dann wären diese Zweifel, die Daniel hegte, wie weggewischt. Außerdem fragte er sich, ob er Serdall wirklich etwas vorenthielt. Er hatte nie den Anschein gemacht, als ob er ihre Rollen im Bett gerne auch mal tauschen wollte. Allerdings hatte Daniel auch nie etwas in der Richtung verlauten lassen, in Wahrheit aber schon mal darüber nachgedacht. Einfach aus dem Grund, weil er selbst noch nie die Erfahrung gemacht hatte, wie es war, in jemandem zu sein.
 

„Na?“, fragte Dustin ihn spitzbübisch lächelnd. „Klingt doch alles nicht so unlogisch, oder?“ Dustin erhob sich vom Boden und strich sich ein paar Knitterfalten aus der Hose. „Und stell dir mal deinen Schatz einfach nur stöhnend unter dir vor. Ungeduldig bettelnd, sich unter dir windend, weil du ihn mal in der Hand hast“, flüsterte Dustin an Daniels Ohr und kicherte dann vergnügt, als Daniel nach ihm schlug.
 

„Ehrlich, wenn du so was machst entwickle ich teilweise echt einen enormen Hass auf dich“, meinte Daniel düster, doch das Grinsen, das er nicht ganz unterdrücken konnte, strafte seine Worte lügen. Außerdem sah er dank seiner erneut knallroten Wangen, denn leider hatte sich dank Dustins Worten ein ziemlich eindeutiges Bild vor seinem inneren Auge manifestiert, nicht wirklich Furcht erregend aus.
 

„Ach komm, tief im Inneren bist du immer noch der versaute Daniel, den ich als Schüler vernascht habe. Ich weiß doch, was du toll findest“, erklärte Dustin stolz und ging sicherheitshalber ein wenig auf Distanz. Der Kleine schaute sich ab und zu viel zu viel von Serdall ab, da musste man unweigerlich aufpassen. Doch Daniel gab Dustin für diesen Kommentar keinen gespielten Schlag, sondern blieb ruhig auf seinem Stuhl sitzen.
 

„Du hast ja recht“, meinte er und ignorierte Dustins perplexen Gesichtsausdruck. Eigentlich war er tatsächlich ziemlich offen, was Neuerungen in seinem Sexualleben anbelangte, doch Serdall war da eher recht bodenständig. Überrascht zog Dustin eine Augenbraue nach oben.
 

„Also wirst du mit Serdall darüber reden?“ Obwohl Serdall plötzlich von unten zum Essen rief, wartete Dustin auf eine Antwort von Daniel. Das wäre mal ein Fortschritt. Denn was hätte Serdall verpasst, wenn er wirklich wieder geheiratet hätte? Dustin glaubte, dass es eine wichtige Erfahrung war für seinen Schwager und auch für Daniel war, die sie unbedingt machen mussten. Zumindest er und Ethan waren wirklich glücklich darüber, dass sie es getan hatten, das wollte er Serdall und Daniel auch gönnen. Und Daniel würde Serdall nicht vergewaltigen, so wie er sich das wohl schmerztechnisch ausmalte. Es tat weh, wenn man es noch nicht kannte, ja, aber Serdall würde das auch überleben und den anderen Teil genießen.
 

„Ja, ich rede mit ihm“, erwiderte Daniel nach kurzem Zögern. Eigentlich wollte er es echt mal ausprobieren. „Mal sehen, wann sich die passende Gelegenheit bietet.“
 

Dustin begann zufrieden zu grinsen. Er war ja mal gespannt, wie sich das entwickeln würde und auch Serdalls Reaktion würde er auch gern wissen, doch das würde Daniel ihm wohl kaum erzählen. Seufzend legte er einen Arm um Daniels Schultern und gemeinsam gingen sie zum Essen. So zahlreich wie im Moment waren sie wohl noch nie gewesen. Doch es wurde eine ganz nette Runde und bis zum Abend ein relativ entspannter Samstag, im Vergleich zur letzten Zeit.
 

Ende Kapitel 20

Kapitel 21
 

Nachdem Taki ins Bett gegangen war, begannen Serdall und Fei zu trinken, zu Serdalls Glück seinen heißgeliebten Scotch. Sie redeten fast wie in alten Tagen und man sah es dem Violinisten an, dass es ihm gut tat, sich endlich mit seinem Bruder versöhnt zu haben. Als die Flasche Scotch fast leer war, war Fei schon ziemlich betrunken und verließ das Wohnzimmer leicht schwankend. Schließlich war der Oyabun nur in seinem Sake trinkfest. Amüsiert grinsend schenkte sich Serdall nach, wobei er sich nach Daniel umsah, der sich mit Yoshiko und Dustin unterhielt. Lächelnd beobachtete er seinen Freund nun und wartete darauf, dass er zu ihm sah.
 

Als hätte Daniel den Blick auf sich gefühlt, sah er zu Serdall. Es würde ihn mal interessieren, wie sein Freund sich betrunken aufführte, denn die paar Gläser Scotch, die Serdall oft zur Beruhigung trank, führten ihn nicht wirklich in diesen Zustand. Heute allerdings schien er schon einiges intus zu haben, wenn er auch noch nicht so hinüber war wie sein Bruder.
 

Gut gelaunt zwinkerte Serdall Daniel zu und lehnte sich dabei ein wenig zurück. Gemächlich trank er bis zum letzten Rest, der in der Scotchflasche war, ehe er nachdrücklich das Glas auf den niedrigen Tisch vor dem Sofa abstellte. Yoshiko verabschiedete sich in diesem Moment von ihnen und erklärte, dass sie vom Flug noch sehr müde sei. Da nur noch Dustin da war, stand Serdall auf und ging hinüber zu Daniel und legte lächelnd eine Hand in seinen Nacken, bevor er ihm einen Kuss auf die Lippen hauchte.
 

„Ich geh ins Bett“, lallte er leise. „Kommst du mit?“
 

Daniel schoss Dustin einen giftigen Blick zu, der mal wieder nicht anders konnte als anzüglich zu grinsen, und stand dann auf. Es war wirklich schon spät und doch recht angeheitert wollte er Serdall dann auch nicht allein hochgehen lassen. Außerdem bestand immer noch die Möglichkeit, dass Serdall jetzt offener und gesprächiger war. Zumindest zeigte sich dieser Zustand, wenn er angeheitert war. Seufzend verabschiedete er sich von Dustin und ging dann Serdall hinterher, der schon aus der Tür hinaus war.
 

Umständlich schälte sich der Violinist aus seinen Sachen und verteilte sie überall im Zimmer. Nackt ging er ins Badezimmer, putzte sich etwas unkoordiniert die Zähne, wobei er ziemlich viel Zahnpasta auf dem Spiegel verteilte. Schulterzuckend spülte er seinen Mund aus und schmiss sich dann völlig erledigt auf sein Bett. Er wusste jetzt schon, dass er morgen einen schrecklichen Kater haben würde. Als Daniel zur Tür hereinkam, lächelte er seinem Freund wieder glücklich an und drehte sich halb auf die Seite. Leise lachte Daniel und machte sich dann ebenfalls schnell bettfertig.
 

„Ehrlich, ich hätte nicht gedacht, dass ich dich mal so erleben würde“, meinte er und legte sich neben Serdall, der sofort zu ihm rutschte. Daniel schlang die Arme um seinen Freund und räusperte sich leicht, als er merkte, dass Serdall vollkommen unbekleidet war. Nicht, dass sie nicht ab und an mal nackt schliefen, aber Dustins Vorschlag schwirrte immer noch in seinem Kopf umher. Verträumt spielte Serdall mit Daniels Haarsträhnen und küsste seine Nasenspitze.
 

„Du räusperst dich wie Fei“, lachte er leise und schob ein Bein in Daniels Schritt. „Warum bist du denn so rot?“, fragte er lasziv und schob verführerisch eine Hand über Daniels Oberkörper. „Lust auf Sex?“
 

„Serdall, du bist betrunken“, murmelte Daniel und versuchte die leichte Reibung an seinem Schritt zu ignorieren. Das lief überhaupt nicht so, wie er es sich gerade gedacht hatte. Nachdem sich erneut das von Dustin provozierte Bild in seinem Kopf manifestiert hatte, wollte er eigentlich mit Serdall darüber reden, doch sein Freund schien im betrunkenen Zustand körperlich sehr anhänglich zu sein. Serdall hielt in seiner Bewegung inne und sah Daniel verwirrt ins Gesicht.
 

„Stört es dich, wenn ich betrunken bin?“, fragte er ernst und stützte sich auf einen Ellenbogen, wobei er weiter mit einer Hand über Daniels Brust streichelte. „Normalerweise wärst du zumindest jetzt Feuer und Flamme“, nuschelte er überlegend. „Stimmt irgendwas nicht? Deine Hand?“ Besorgt wollte er nach Daniels Linken greifen, doch verschätzte sich, sodass er schwer auf Daniel zum Liegen kam. „Himmel, bin ich voll“, murrte er genervt, kuschelte jedoch seine Wange an Daniel und schob seine Nase in dessen Halsbeuge. Wenn die Situation gerade etwas anders wäre, hätte Daniel sicher auf Grund von Serdalls unbeholfenen Bewegungen gelacht, doch jetzt strich er einfach über den warmen Rücken.
 

„Mit meiner Hand ist alles in Ordnung“, beschwichtige Daniel Serdall nach einigen Augenblicken, in denen sie einfach so da lagen. „Es ist nur… Was würdest dazu sagen, wenn wir etwas beim Sex ändern würden. Also jetzt nicht für immer, sondern nur einmal zum Testen. Also was ich eigentlich sagen will…“ Daniel stockte und atmete genervt aus. „Wäre es für dich in Ordnung, wenn ich mal der aktive Part wäre?“
 

Geschockt hob Serdall den Kopf und sah Daniel fragend an. Jedoch konnte er diese Position nicht lange halten und ließ sich auf den Rücken fallen und zurück in die Laken. Ausgestreckt neben Daniel liegend, strich er sich fahrig durch die Haare.
 

„Du willst mit mir schlafen“, stellte er ungläubig fest und starrte zur Decke. Daniel wollte seinen Penis in ihn stecken? Seine Augen weiteten sich bei dieser Vorstellung und er keuchte unterdrückt. „Gefällt es dir denn nicht, so wie wir es sonst tun?“
 

Daniel biss sich hart auf die Lippe. Serdalls Reaktion hatte ihm schon seine Meinung zu diesem Thema gezeigt. Ehrlich gesagt hatte er es fast nicht anders erwartet. Seufzend drehte er sich ebenfalls auf den Rücken.
 

„Schon gut“, wiegelte er leise ab. „War nur so ein Gedanke.“ Serdall verzog grimmig die Augenbrauen.
 

„Es ist nicht gut“, murmelte er leise und schob sich unkoordiniert über seinen Freund, sodass er auf seinen Lenden zum Sitzen kam. „Du willst es wirklich einmal probieren“, erkannte Serdall in diesem Moment, als er in Daniels verbissenes und trauriges Gesicht sah. Unsicher sah Serdall zwischen sie und starrte kurz auf Daniels Unterleib. „Was versprichst du dir davon?“, fragte er leise und konnte den Blick nicht von jener Region nehmen. Daniel gefiel es, wenn er es mit ihm tat und es tat nur weh, wenn sie es falsch machten, das sah er Daniel danach an. Dennoch verspürte Serdall bei dem Gedanken ein ziemlich komisches Gefühl. Daniel die Kontrolle zu überlassen… Aber zeigte das nicht, dass er ihm komplett vertraute? Nachdenklich legte er den Kopf schief.
 

Daniel starrte an Serdall vorbei an die Decke. Serdall schien tatsächlich bei diesem Thema ziemlich skeptisch zu sein und er wollte ihm seine Meinung nicht aufzwingen. Aber zumindest darstellten sollte er seine Gedanken.
 

„Wie du schon gesagt hast, möchte ich es einfach mal versuchen“, fing er an sich zu erklären. „Ich weiß nicht, warum genau ich auf diesen Trichter gekommen bin. Ich will vielleicht einfach mal sehen, wie es sich anfühlt, auch mal derjenige zu sein, der nimmt und nicht der, der genommen wird. Ich meine, ich bin ein Mann. Normalerweise ist es doch das, was jeder Mann tut, oder? Mit jemandem schlafen. Irgendwie denke ich, dass mir etwas fehlt.“
 

Serdall lehnte sich tiefer zu Daniel und sah ihm ernst ins Gesicht.
 

„Du weißt schon, dass dieses Testen mir die zweite Jungfräulichkeit nimmt?“, murrte er leise. „Ich halte meinen Hintern nicht dafür hin, dass du es einfach nur ausprobieren willst, rein um des Sex Willen“, deklarierte er knurrend und legte sich vollständig auf Daniel. Serdall lehnte seine Wange wieder auf Daniels Brust und ließ seine Hände über dessen Seiten gleiten. „Eigentlich bin ich nicht komplett dagegen, wenn es dir wirklich was bedeutet“, flüsterte er leise und schloss die Augen. Daniel schlang seine Arme um Serdall.
 

„Es ist auch meine zweite Jungfräulichkeit, die auf dem Spiel steht“, gab er zu bedenken. „Aber es ist nicht nur wegen des Sex. Du solltest mich langsam gut genug kennen um zu wissen, dass es mir bei dir nicht nur um das ganze körperliche Zeug geht. Wenn ich mit dir schlafe zeigt das eine Art von erweitertem Vertrauen.“
 

„Hm“, machte Serdall leise und spielte mit dem Zeigefinger an Daniels Brustwarze. Es wäre eine interessante Erfahrung, aber irgendwie war ihm sehr mulmig bei der Sache. Er war es gewöhnt mit Daniel zu schlafen. Es war einfach am bequemsten für ihn und Daniel mochte es. Mit dem Gedanken, dass sein Freund das bei ihm tat, konnte er sich nicht wirklich anfreunden, wenn er ehrlich war. Aber es war ein schöner Gedanke, dass es dahingehend ihre erste gemeinsame Erfahrung sein würde. Serdall begann plötzlich zu lächeln und küsste Daniel auf den Mund.
 

„Meinetwegen, probieren wir es“, murmelte er an Daniels Lippen und sah ihn mit halbgeschlossenen Augen an. „Aber nicht jetzt“, stellte er leise klar. „Bin viel zu besoffen.“ Schwach zog er eine Decke heran und schlug sie über sich und Daniel.

Vertraut legte er seine Stirn in dessen Halsbeuge und atmete einmal tief den so bekannten Duft von ihm ein. „Ich glaub Fei und so sollten dann besser auch aus dem Haus sein“, überlegte er gähnend. „Dabei brauchen wir doch ziemlich Ruhe… Am besten wir gehen in ein Hotel.“ Fahrig begannen Serdalls Hände über Daniels Haut zu streichen und seine Lippen küssten ihn am Hals. Serdall hatte Lust darauf mit Daniel einfach zu schmusen und ihn zu liebkosen, ohne wirklich den Ehrgeiz dabei zu haben mit ihm zu schlafen. Dazu war er zu fertig.
 

Die Berührungen genießend schloss Daniel die Augen und strich ebenfalls über Serdalls warme Haut. Es bedeutete ihm wirklich unglaublich viel, dass Serdall ihm erlaubte, wenigstens einmal den Spieß in ihrer Beziehung umzudrehen und mit ihm zu schlafen. Einerseits war er glücklich, dass er die Erfahrung auch mal machen durfte und andererseits konnte Serdall ihm momentan keinen größeren Vertrauensbeweis erbringen. Jetzt wusste Daniel, dass er ihm tatsächlich verziehen hatte. Lächelnd kuschelte er sich etwas enger an seinen Freund.
 

„Kein Hotel“, meinte er entschlossen. „Das ist irgendwie viel zu unpersönlich. Wir werden schon eine Gelegenheit finden. Auf jeden Fall muss Fei weg sein. Der scheint einen Riecher entwickelt zu haben, wann wir inmitten sexueller Handlungen sind. Und Dustin sollte auch nicht unbedingt anwesend sein. Wird schon klappen.“
 

„Nein, ich möchte dann wirklich nicht hier sein“, erwiderte Serdall nachdrücklich und leckte mit der Zungenspitze über Daniels Schlüsselbein, ehe er weitersprach. „Wir werden nächstes Wochenende eine Suite buchen, okay? Bis dahin hast du deinen Aidstest und wir müssen uns nicht um irgendetwas sorgen“, flüsterte Serdall leise. Er hatte wirklich kein gesteigertes Interesse, dass er dabei von irgendwem erwischt oder gestört würde. Innerlich war es ihm eigentlich wirklich unangenehm, es allein zu denken, was Daniel mit ihm vorhatte und peinlich war es auch irgendwie. Das war schließlich ein Gebiet, wo er so gar keine eigene Erfahrung hatte und sich auf Daniel verlassen musste. Nicht, dass er das nicht konnte, doch trotzdem blieb da eine leise Angst vor dem Unbekannten, wenn er es mal so ausdrücken wollte.
 

Daniel zuckte mit den Schultern.
 

„Wie du meinst.“ Er wollte wirklich nicht riskieren, Serdall zu widersprechen. Ein Rückzieher seitens Serdall, jetzt, wo eigentlich alles beschlossene Sache war, nur weil Daniel eine Kleinigkeit nicht gefiel, war echt nicht das, was Daniel wollte. „Irgendwie war es mir klar, dass du gleich das beste Zimmer nehmen musst, wenn du schon in einem Hotel eincheckst.“ Daniel kicherte und ließ seine Zunge über Serdalls Kinn wandern. „Letztes Mal war es ja genauso. Es war klar, dass wir miteinander schlafen. Von daher hätten wir die anderen Räume überhaupt nicht gebraucht, ein Bett hätte gereicht, aber der feine Herr muss natürlich zeigen, dass er gut betucht ist.“
 

Serdall richtete sich leicht auf und zog eine Augenbraue nach oben.
 

„Ich hätte dich auch auf irgendeiner Pritsche nehmen können. Tut mir leid, dass ich dich gern weich und luxuriös bette“, knurrte er und lehnte seine Stirn an Daniels, um ihm böse in die Augen zu schauen. „Und ich steh eben auf meinen Luxus, da gibt es nichts zu verheimlichen“, stellte er nun leicht lächelnd klar. Seine Hände wanderten über Daniels Oberarme, während er sich nun wieder auf Daniels Lenden aufsetzte. „Außerdem“, hauchte er an Daniels Lippen, wobei er sie leicht berührte, „war es mir total egal, was für ein Zimmer. Die Suite war das Einzige, was mir an dem Mittwoch so schnell eingefallen ist, weil ich schon ganz verrückt nach dir war. Mein Herz hat wie wild geklopft, allein weil ich deine Hand wieder berühren konnte“, flüsterte er weiter und seine Fingerspitzen glitten zu Daniels Hals, strichen sanft hinter dessen Ohren entlang und durch die schwarzen Haare. „Mir war so, als ob es mich zerreißen würde, wenn ich nicht sofort in deine Arme sinken könnte.“ Er küsste Daniel in dem Moment tief und vergrub seine Hände fest in den Haarsträhnen. Allein die Erinnerung an jene Stunden brachte seine Gefühle zum kochen.
 

Mit großen Augen sah Daniel Serdall an. Er war es absolut nicht gewohnt, dass sein Freund so offen war und vor allem in dem Maße über seine Gefühle sprach. Trotzdem konnte Daniel nicht die Schauer unterdrücken, die Serdalls Worte gepaart mit seinen geschickten Händen in ihm auslösten. Leise stöhnte er auf. Es wäre schwachsinnig, jetzt mit Serdall schlafen zu wollen, wenn der wohl noch nicht mal wusste, wo wirklich oben und unten war, so betrunken wie er sich benahm. Trotzdem pulsierte ein unbändiges Verlangen durch Daniels Adern. Verschmitzt lächelte Serdall, als ein Zittern durch Daniels Körper ging.
 

„Sag mal, woran denkst du denn gerade?“, fragte er leise lachend und strich vergnügt über Daniels rote Wangen. „Das sieht echt niedlich aus bei dir, wenn du so rot bist“, stellte er mit schiefgelegtem Kopf fest. „Leider bist du sonst viel zu versaut, um so auszusehen“, seufzte Serdall leidlich und küsste Daniel wieder auf den Mund. Er löste sich wieder von seinem Freund und führte seine Lippen an Daniels Ohr. „Du denkst an den Sex mit mir, stimmt‘s?“, wisperte er. „Tze“, meinte er leise, als er sich wieder aufrichtete und Daniel ins Gesicht sah. „Ich weiß doch, dass du einfach viel zu ungeduldig bist.“
 

Erneut stöhnte Daniel leise auf. Verdammt, warum war Serdall nur so… so eben, wenn er betrunken war. Das war echt nicht zum Aushalten. Er machte ihn mit seinen Kommentaren und dem ganzen Gerede total wuschig und ehrlich gesagt ziemlich geil.
 

„Ja, ich denke an Sex mit dir“, bestätigte Daniel heiser. „Aber ich denke nicht, dass es eine gute Idee wäre, da du garantiert nicht mehr treffen wirst, wenn du überhaupt in der Lage bist, Standfestigkeit zu beweisen. Von daher wäre es wohl fast das Beste, wenn du von mir runter gehst und wir einfach schlafen.“
 

„Du willst so schlafen?“, fragte Serdall überrascht und rutschte nachdrücklich über Daniels schon erwachendes Glied. Sein Freund griff keuchend nach seiner Hüfte, um ihn still zu halten. Serdall grinste gemein und beugte sich wieder zu Daniel herunter, wobei er sich weiter auf Daniel bewegte. „Soll ich dir einen runterholen, mein Schatz?“, fragte Serdall süffisant und stupste seine Nase gegen Daniels. Daniel kniff die Augen zusammen und zitterte leicht. Serdall so direkt und in gewisser Art und Weiser versaut hatte schon was. Hoffentlich konnte er sich morgen noch daran erinnern, damit Daniel dieses Verhalten öfter von ihm fordern konnte.
 

„Nun, wenn du schon so fragst, wäre es wohl ziemlich dumm von mir nein zu sagen, oder?“
 

„Ja“, stellte Serdall fest. „Wäre schön blöd von dir“, meinte er grinsend. Er rutschte etwas tiefer, um seine Hand ungestört in Daniels Schoß zu legen und damit zu beginnen, ihn zu verwöhnen. Sich wieder vorlehnend behielt er seine Handbewegung bei und küsste sich über Daniels Oberkörper, der sich ihm entgegen bog. Fasziniert hielt er kurz inne, als sich Daniel stöhnend unter ihm wand. Seufzend strich Serdall mit seiner anderen Hand über Daniels Schläfe. „Hab ich dir schon mal gesagt, dass mich deine Stimme wahnsinnig macht?“, hauchte er ergriffen und legte seine Lippen wild auf Daniels, um einen tiefen Kuss zu fordern. Keuchend löste er sich von ihm und sah in die himmelblauen Augen, die ihn schon ziemlich lustverhangen ansahen. „Einfach nur sexy“, stellte Serdall lächelnd fest. Seine Zunge über Daniels Unterlippe wandern lassend, genoss er seine Reaktionen und die Lust, die seinen Freund zu fesseln schien.
 

„Das werde ich mir merken“, brachte Daniel mühsam unter seinen schnellen Atemzügen hervor. „Wenn du mir das nächste Mal sagst, ich soll leiser sein, mache ich dich auf deine Aussage von eben aufmerksam.“ Genussvoll verdrehte Daniel die Augen und lehnte sich wieder ganz zurück ins Kissen. Serdalls Technik war nicht von schlechten Eltern und er hatte es gerade auch ziemlich nötig, weswegen alle Emotionen wohl mit doppelter Wucht auf ihn einprasselten. Serdalls Art machte ihn gerade einfach nur kirre. Wenn es nach Daniel ging, konnte sein Freund sich öfter mal so benehmen. Vielleicht sollte er abends etwas Hochprozentiges unter das Glas Wasser mischen?
 

„Deine Stimme soll ja nicht jeder hören“, bestimmte Serdall kindisch. „Das will ich nicht.“ Im nächsten Moment zuckte Daniel stöhnend zusammen und kam keuchend zwischen ihnen. Serdall angelte nach einem Taschentuch und säuberte sich und seinen Freund notdürftig, ehe er wieder die Decke über sie zog und sich eng an ihn kuschelte. Jetzt machte sich echte Müdigkeit in ihm breit, die er einfach nicht mehr ignorieren wollte und auch nicht konnte. „Nacht, Prinzesschen“, hauchte er gähnend und schloss schon die Augen, wobei er sich von Daniels Wärme einlullen ließ. Es dauerte nur eine winzige Sekunden, bis er schon in einen traumlosen Schlaf fiel.
 

Perplex starrte Daniel Serdall an, der schon selig vor sich hin schlummerte. Kopfschüttelnd zog er die Decke noch das letzte kleine Stück über sich, das Serdall wohl nicht mehr bewältigen konnte, und schloss die Arme um den entspannten Körper neben sich. Was für ein Tag. Das, was sie heute alles erlebt hatten, hätte auch für eine Woche Unterhaltung gesorgt. Wenigstens war jetzt so ziemlich alles geklärt. Lächelnd schloss auch Daniel die Augen und folgte Serdall dann einige Minuten später in Morpheus’ Arme.
 


 

Unnatürlich früh wachte Serdall am nächsten Morgen auf. Seine Kehle brannte, weil sie staubtrocken war. Ächzend legte er eine Hand gegen seine leicht schmerzende Stirn.
 

„Nie wieder Alkohol“, murmelte er fertig und sah auf Daniels Schopf, der selig schlafend auf seiner Brust lag. Wehmütig strich er ihm kurz durch die Haare, ehe er sich ziemlich schwach von ihm löste, um ins Bad zu schwanken. Leichenblass sah ihm sein Spiegelbild entgehen. Kopfschüttelnd begann Serdall gierig Wasser zu trinken. Als er seinen Durst gestillt hatte, ging er schleppend zurück ins Bett und kuschelte sich wieder an Daniel. Sein Kopf schmerzte langsam aber sicher unangenehm und ihm war leicht schlecht. Murrend verkroch er sich in Daniels Arme. Er hasste Fei wirklich, diesen Schluckspecht.
 

Grummelnd und unverständliche Sachen murmelnd öffnete Daniel die Augen. Er musste einige Male blinzeln, um sich an das helle Licht im Raum zu gewöhnen, dann sah er etwas überrascht auf Serdall.
 

„Du bist schon wach?“, fragte er mit vom Schlaf noch leicht belegter Stimme und rieb sich die Augen. „Wie kommt’s? Irgendwas passiert?“
 

„Nein. Hab nur einen Kater“, knurrte Serdall unwillig und umschlang Daniel eng mit den Armen. Er wollte nicht aufstehen und auch nicht, dass Daniel womöglich noch aufstand. Warum hatte sein Freund nur die Angewohnheit, dass er das Bett verließ, wenn er wach war? „Trotzdem. Guten Morgen“, murmelte Serdall halbherzig und küsste Daniel auf die Wange, bevor er seine Stirn wieder an Daniels Brust bettete.
 

„Morgen“, gab Daniel zurück und versuchte erst gar nicht, sich in die Senkrechte zu bewegen. Seine lebende Fessel würde das wohl zu verhindern wissen. So genial Serdall gestern drauf gewesen war, so down war er heute Morgen. „Du, gegen Kater kann man was tun. Auf jeden Fall eine Kopfschmerztablette nehmen. Angeblich soll Rollmops auch helfen und was weiß ich was noch. Fragen wir einfach mal Dustin, der kennt sich damit wohl besser aus. Allerdings müssten wir uns dazu erheben.“
 

Daniel war einfach zu hibbelig, als dass er stundenlang im Bett liegen bleiben konnte. Stundenlang im Bett bleiben und mit Serdall schlafen war etwas Anderes, aber wenn er einfach nur an die Decke starren konnte, wurde er mehr als unruhig. Abgrundtief seufzend rollte Serdall mit den Augen. Er hatte es doch gewusst.
 

„Nur noch fünf Minuten, dann kannst du aufstehen. Ich beweg mich keinen Meter heute“, stellte Serdall klar und rieb mit der Nase leicht über Daniels Haut. Er merkte, wie in Daniel die Unruhe aufstieg und er ließ nach der besagten Zeit von ihm ab und rollte sich auf die andere Seite, wobei er die Decke gleich über den Kopf zog. Wenn Daniel abhaute, konnte er auch versuchen seinen Kater einfach zu verschlafen. „Weck mich, wenn es nicht mehr so grell ist“, kam es gedämpft unter seiner Decke hervor und er drehte sich auf den Bauch, um wieder einzuschlafen.
 

„Gut, dann komme ich in ungefähr zwölf Stunden wieder“, kam die etwas undeutliche Antwort von Daniel, da er schon mit dem Kopf im Kleiderschrank steckte. Er verdrehte die Augen, als keine Antwort von Serdall kam, der sich komplett unter Decke und Kissen vergraben hatte, und stieg unter die Dusche. Fertig angezogen ging Daniel nach einiger Zeit in Richtung Küche und suchte aus einem der Schränke als erstes eine Kopfschmerztablette heraus, bevor er ein leichtes Frühstück für Serdall vorbereitete und nebenbei selbst zwei Brötchen aß.
 

„Hallo“, rief Dustin gut gelaunt und steuerte beschwingt die Kaffeemaschine an. Amüsiert betrachtete er das spärlich hergerichtete Tablett, ehe er sich zu Daniel setzte. „Na, der Gifthaken verkatert? Oder ist er einfach nur halbtot, weil du ihn wegen dem Sex gefragt hast?“
 

„Verkatert und im ersten Moment von dem Vorschlag etwas geschockt, schlussendlich hat er allerdings dann aber doch zugestimmt. Du weißt nicht zufälliger Weise ein gutes Mittel gegen einen Kater?“ Daniel schüttete sich unachtsam zu viel Kakaopulver in seine Milch und rümpfte die Nase auf Grund der nun ziemlich tiefbraunen Flüssigkeit.
 

„Du hast also echt mit ihm geschlafen?“, fragte Dustin überrascht, wobei seine Augen sich ziemlich weiteten. „Ich hätte nie erwartete, dass er so schnell nachgibt. Und? Wie war er?“ Daniel verschluckte sich und sah Dustin hustend und verwirrt an.
 

„Ich habe nicht mit ihm geschlafen“, stellte er klar, als er wieder normal Luft bekam. „Wir haben darüber geredet und er hat mir erlaubt, dass wir mal die Rollen tauschen, aber er will lieber ganz allein mit mir sein, wenn es mal soweit sein wird und so betrunken, wie er war, wäre es ohnehin in die Hose gegangen. Also, was hilft bei Kater?“
 

Enttäuscht zog Dustin einen Schmollmund, der ihn ziemlich blöd aussehen ließ.
 

„Und ich dachte, du hättest ihn schon flachgelegt“, murrte er holte sich einen Kaffee, der endlich durchgezogen war. „Ich glaube das, was du bis jetzt hast, reicht erst mal wegen seinem dicken Kopf. Die Übelkeit, hm“, nachdenklich kratze sich Dustin am Kinn. „Grüner Tee soll ganz gut dagegen sein. Hilft bei mir zumindest.“
 

Etwas angewidert verzog Daniel das Gesicht. Er hasste grünen Tee, aber Serdall als Japaner war an dieses Getränk gewöhnt. Zumindest trank er vor allem im Winter ab und an mal eine Tasse von diesem gewöhnungsbedürftigen Gebräu.
 

„Nun, ich werde auf dich vertrauen. Schaden kann der Tee wohl nicht“, meinte er zu Dustin und füllte den Wasserkocher. „Und ich werde Serdall nicht einfach flachlegen. Da steckt mehr dahinter als simpler Sex. Das sollte dir langsam auch mal ins Hirn gedrungen sein.“
 

„Jaa“, meinte Dustin genervt. „Bei euch ist es wieder dieser romantische Touch, ne? Aber hast ja recht. Ich liebe meinen Pumuckel ja auch und Kikuchi war eine Ausnahme, die nur mit Ethans Erlaubnis genutzt wurde.“ Verliebt blickend rührte er in seiner Tasse und leckte sich leicht über die Lippen. „Trotzdem machen wir nicht so einen Wirbel um den Sex. Wer weiß, was Serdall sich wieder ausdenkt?“
 

„Es ist verständlich, oder?“, verteidigte Daniel seinen Freund. „Serdall ist nun mal nicht schwul. Für ihn ist es normal, der aktive Part beim Sex zu sein. Das ist eben die Art, die für ihn schön ist. Sich jetzt nehmen zu lassen ist eine ganz neue Erfahrung, die er wohl nie im Leben machen würde, wenn ich ihn nicht darum gebeten hätte. Es ist klar, dass er mir nicht freudig an den Hals springt und die Beine spreizt.“
 

Daniel schüttete das heiße Wasser in die vorbereitete Tasse mit dem Teebeutel und sah Dustin etwas finster an. Für ihn war Sex etwas sehr Persönliches. Seiner Meinung nach war es normal, über jede Veränderung zu reden, wenn man sich nicht sicher war, ob beide Partner dasselbe wollten. Gut, Dustin und Ethan wollten meist dasselbe, nämlich viel und abwechslungsreichen Sex, aber das hieß ja nicht, dass Serdall und er es genauso handhaben mussten.
 

Dustin rümpfte leicht die Nase. Daniel war wirklich wie gemacht für Serdall. Der Kleine kannte nichts, wenn es um seinen Freund ging, zumindest wenn Dustin etwas spitz über ihn sprach.
 

„Wenn er überhaupt die Beine spreizt“, warf Dustin noch ein. „Ich glaube das nämlich erst, wenn er staksig vor mir herumläuft.“ An seinem Kaffee nippend sah er provokant zu Daniel. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass Serdall es nicht durchziehen würde. Das war einfach nicht seine Art. Unverschämt begann er im nächsten Moment zu grinsen. „Oder du nimmst es per Video auf, das wär mir glatt lieber.“
 

„Das hättest du wohl gerne“, grummelte Daniel. „Ehrlich mal, mit deiner Leidenschaft für Sex und deiner fast schon perversen Freude daran, uns zu bespannen, solltest du vielleicht mal darüber nachdenken deinen Job als Lehrer an den Nagel zu hängen und Pornostar zu werden. Nimm Ethan mit und mach dir dein Leben etwas aufregender.“
 

Dustins Augen begannen zu leuchten.
 

„Das ist die Idee“, rief er aufgebracht und lachte im nächsten Moment. „Ethan würde das aber nie machen. Der ziert sich schon, wenn ich ihn mal nackt mit seiner Kamera fotografiere“, überlegte Dustin gedämpft und ließ den Kopf leicht hängen. „Egal“, meinte er im nächsten Moment. „Ich bespann euch nur zu gerne, weil ihr sonst immer so anständig tut, oder zumindest Serdall. Du bist ja sowieso von Grund auf versaut. Naja, aber das mit dem Pornostar fällt flach, von daher mach doch bitte ein Video von euch“, meinte er mit einem Zwinkern.
 

„Niemals“, lehnte Daniel erneut ab und rettete den Teebeutel vor dem Ertrinken. „Und außerdem bin ich überhaupt nicht von Grund auf versaut. Eigentlich bin ich ganz lieb und brav mit zeitweise kleinen… ähm… Ausfällen.“ Etwas errötend wickelte Daniel den Teebeutel in ein Küchentuch und schmiss dann beides zusammen in den Müll, bevor er Serdalls Frühstück auf ein Tablett stellte.
 

„Na klar“, feixte Dustin grinsend. „Hättest du anderen Einfluss als Serdalls anständige Art, möchte ich nicht wissen, was du alles machen würdest“, überlegte er laut und sah Daniel ernst ins Gesicht. Daniel wandte seinen Blick schnell ab. Er wollte es eigentlich nicht zugeben, aber Dustin hatte schon Recht. So ein Mist, dass sein ehemaliger Lehrer ihn so verdammt gut kannte. Allein was er mit Dustin angestellt hatte, als sie ihre kurze Affäre gehabt hatten, gab einen guten Vorgeschmack darauf, wie sehr anderer Einfluss sich auf Daniels Sexualleben auswirkte.
 

„Ich bin aber nun mal mit Serdall zusammen“, gab er etwas lahm zurück, nahm das Tablett auf und ging zur Tür. „Und es müssen ja nicht alle Leute regelmäßig versauten Sex haben.“
 

„Ach“, tat Dustin überrascht. „Ich dachte zumindest, dass ihr hinter verschlossener Tür ein wenig versaut seid. Ist es echt so schlimm?“ Der Unglaube stand dem Blonden eindeutig ins Gesicht geschrieben. „Serdall ist ja echt anstrengend…“ Dustin sah Daniel ernst an. Normalerweise war er der Überzeugung gewesen, dass die beiden doch nicht sehr jugendfreie Sachen machten, wenn sie allein waren. Schließlich hatte er sie schon ein paar Mal erwischt, wenn er früher Heim kam, als abgemacht. Kurz stoppte Daniel noch einmal und drehte sich um. Leise seufzend sah zu Dustin.
 

„Es ist normaler Sex“, erklärte er und zuckte mit den Schultern. „Wenn mal etwas mehr ist, geht es schief. Wenn wir es mal in der Küche tun, kommst du mit Ethan eher nach Hause. Wenn wir eure tollen Geburtstagsgeschenke für mich ausprobieren, landen wir aneinander gekettet im Bett und haben keinen Schlüssel für die Handschellen. Ich denke, dass das einfach abschreckt.“
 

Schuldbewusst senkte Dustin den Kopf. Er wusste, dass Serdall nicht so extrovertiert in dieser Hinsicht war und es war wohl auch mit seinem Verdienst zu verdanken, dass so vieles mit Daniel schiefgegangen war.
 

„Sorry“, murrte er leise. „Es ist wohl wirklich besser, wenn ihr mal Urlaub macht oder so. Vielleicht kannst du Serdall da zu neuen Dingen bewegen. Ich werde mal mit ihm reden…“ Obwohl das wohl ein leichter Suizidversuch war, wenn er das tat. Serdall hasste solche Gespräche, aber Dustin wollte sich nicht die Schuld aufladen, dass Daniel und sein Schwager so verkrampft in der Hinsicht blieben. Sex war schön und neue Praktiken zu versuchen auch. Was war so schlimm einen Dildo oder so zu benutzen? Wahrscheinlich war es für Serdall der reinste Horror so etwas überhaupt anzusehen, doch er liebte Daniel, vielleicht überwand er sich dahingehend auch einmal? „Aber nicht in nächster Zeit. Versöhnt euch erst mal wieder richtig, ja?“
 

Daniel lächelte leicht. Es spukte ihm schön länger im Kopf herum, dass er mal etwas Neues versuchen wollte. Der Sex mit Serdall war schön, keine Frage, aber warum immer alles beim Alten belassen? Nur hatte er selbst irgendwie gewisse Hemmungen, dieses Thema anzuschneiden. Aber wenn Dustin als nicht betroffener Dritter mit Serdall reden würde…
 

„Nun, wir sind auf dem besten Weg, dass alles so wird wie früher, denke ich. Und damit es noch ein wenig schneller vorangeht, bringe ich meinem Schatz jetzt etwas zu essen und eine Tablette gegen die Kopfschmerzen. Ehrlich, Serdall ist morgens ja so schon schlimm, aber mit Kater kannst du ihn vollkommen vergessen.“ Dustin winkte ab.
 

„Ich bin froh, dass ich ihm noch nicht begegnet bin. Na dann geh und bring deinem Schatz das Lächeln zurück ins Gesicht“, rief Dustin theatralisch und erhob sich, um sich Kaffee nachzuschenken. „Wenn du das nicht schaffst, dann keiner“, erklärte er freundlich und lehnte sich gegen die Anrichte. „Und nun los! Der leidet bestimmt jämmerlich da oben.“ Dustin wechselte kurz einen vielsagenden Blick mit Daniel, ehe der Schwarzhaarige kopfschüttelnd die Küche verließ. Er würde jetzt zu Ethan gehen, der ziemlich erschöpft in seinem Bett schlummerte. Die letzte Nacht war wohl etwas heftig gewesen… Versaut grinsend nippte Dustin an seinem Kaffe. Er liebte seinen kleinen Engländer.
 

Leise klopfte Daniel an die Schlafzimmertür und trat dann in den Raum. Serdall lag noch immer unter dem Decken- und Kissenberg vergraben. Seufzend ging Daniel auf das Bett zu und setzte sich.
 

„Hey“, sprach er leise zu dem unförmigen Etwas. „Ich habe dir Frühstück gemacht und auch eine Kopfschmerztablette mitgebracht.“ Stöhnend linste Serdall unter seiner Decke hervor und seine zusammengekniffenen Augen richteten sich auf Daniel.
 

„Musst du so furchtbar lieb sein?“, murrte er leise und zog die Decke wieder über seinen Kopf. Sein Freund war wirklich viel zu gut für ihn. Sich zusammenreißend schob er die Decke von seinem Kopf, schlug aber sogleich eine Hand über seine Augen. Wieso waren nur die Rollos schon oben?
 

„Nun, das ist halt meine Art. Ich bin immer lieb“, antwortete Daniel grinsend und zuckte mit den Schultern. Er schob seinem momentan blinden Freund die Tablette in den Mund und drückte ihm das Glas Wasser in die Hand, bevor er aufstand und ins Bad ging. Er hatte vergessen sein Tattoo einzucremen und wollte es jetzt nachholen. Eine Minute später kam Daniel mit geöffneter Hose und die Creme vorsichtig auf seinem schwarzen Drachen verteilend wieder zurück ins Zimmer.
 

Das Glas auf den Nachtschrank stellend, traute sich Serdall die Augen zu öffnen, auch wenn ihn der Kopfschmerz plagte. Er setzte sich leicht auf und sah zu Daniel, der ziemlich ungeniert an sich herumstrich. Wage erinnerte sich Serdall an den gestrigen Abend und an das, was er gesagt hatte. Seufzend strich er sich durch die Haare und lehnte vorsichtig seinen Kopf an die Wand.
 

„Tut mir leid, dass ich gestern so einen Mist geredet habe.“
 

Daniel rückte Shorts und Hose wieder an die richtige Stelle und sah Serdall dann amüsiert an.
 

„Also mir hast du gestern recht gut gefallen. So offen und ehrlich.“ Er gluckste leise und setzte sich dann zu seinem Freund auf das Bett. Abschätzig verzog Serdall den Mund. Aber ihm gefiel es im Nachhinein nicht, dass er es Daniel gesagt hatte. Klar, Komplimente waren in Ordnung, aber die Kommentare von gestern konnte man doch in den Wind schießen.
 

„Ich entschuldige mich trotzdem“, murmelte er leise. Plötzlich fiel ihm auch Daniels Frage wieder ein, dass er mit ihm schlafen wollte… Serdall seufzte tief und rieb sich über die Schläfen. Wieso hatte er ja gesagt? Eigentlich wollte er darüber lieber noch einmal nachdenken, doch sein betrunkenes Gemüt war gestern einfach unfähig gewesen.
 

„Nun, wenn du dich besser fühlst, nehme ich deine Entschuldigung an. Aber bereite dich darauf vor, dass du von jetzt an öfter mal abgefüllt wirst. Du bist dann so redselig und sprichst einfach aus, was dir durch den Kopf geht. Das ist mal eine willkommene Abwechslung. Genau das Gegenteil vom eigentlichen Denker Serdall.“ Lächelnd griff Daniel sich eine Toastscheibe vom Tablett.
 

„Ja, das Gegenteil. Ein Lackaffe, der dir ein Ohr abkaut“, zischte Serdall finster und rieb sich leicht über den Magen, den er sich durch den Alkohol verstimmt hatte. Es war denkbar selten, dass er dermaßen viel trank, doch wenn er es tat, bereute er es ungemein und schwor sich jedes Mal aufs Neue, es nie wieder zu tun. Er fand seine lose Zunge einfach nur peinlich, wenn er betrunken war und es mauserte ihn, dass er gestern dieses Versprechen gegeben hatte. Doch er würde jetzt keinen Rückzieher machen, denn er erinnerte sich auch daran, wie wichtig es Daniel gewesen war. Nur hätte er gern im nüchternen Zustand darüber geredet… Murrend nahm er sich die Tasse mit dem Tee und trank wenige Schlucke davon.
 

Daniel schwieg. Es hatte keinen Sinn, jetzt mit Serdall darüber zu streiten. Er hatte sich seine Meinung gebildet und würde sich wohl nicht davon abbringen lassen. Stattdessen reichte er seinem Freund den Teller mit dem restlichen Toast.
 

„Hier, iss etwas. Dir wird es garantiert noch schlechter gehen, wenn du deinem Kater auch noch Hunger dazukommt.“
 

Serdall griff sich eines der Weißbrote und kaute lustlos darauf herum, bis er es nach einer Ewigkeit aufgegessen hatte und wieder an seinem Tee zu nippen begann. Skeptisch betrachtete er seinen Freund. Daniel sagte nicht wirklich etwas dazu, obwohl Serdall gedachte hätte, dass er wenigstens noch einmal dagegen halten würde. Schließlich war er anderer Meinung. Du hast dich verändert, dachte sich Serdall leidlich. Geringfügig fiel es wirklich auf, dass Daniel sich zurückzunehmen schien. Kopfschüttelnd kämpfte sich Serdall nach oben, fror leicht aufgrund seiner Blöße.
 

„Ich gehe schnell duschen und Zähneputzen. Wartest du bitte hier?“ Nach einem kurzen Nicken von Daniel beeilte sich Serdall besagtes zu tun und kam mit einem Handtuch um die Hüften zurück und stellte sich dann vor Daniel. Liebevoll umrahmten Serdalls Hände Daniels Gesicht und er beugte sich zu ihm. „Danke für das Frühstück“, hauchte er und begann Daniel zaghaft zu küssen.
 

„Für dich doch immer“, gab Daniel lächelnd zurück und erwiderte den schüchternen Kuss. Er ließ es zu, dass Serdall ihn vorsichtig rückwärts aufs Bett zurückdrückte und schlang die Arme um ihn. Eine Zeit lang blieben sie in dieser Position, tauschten sanfte Küsse, beließen es allerdings dabei. Irgendwann küsste Daniel Serdall noch abschließend neckisch auf die Nase und sah ihn dann forschend an. „Dir geht es schon wieder ganz gut?“, wollte er wissen. Serdall nickte leicht. Der gröbste Kopfschmerz war fort. Was blieb, war dieses unangenehme Körpergefühl, so als ob er eine schwere Vergiftung hinter sich gebracht hatte.
 

„Geht schon“, murrte er leise und sah Daniel forschend in die Augen. „Nachher wechseln wir den Verband?“ Er sorgte sich um Daniels Verletzung und um Daniel selbst. Er war irgendwie seltsam.
 

„Ist gut“, antwortete Daniel und verschlang noch schnell die Reste von Serdalls Frühstück, die er nicht mehr gegessen hatte. Irgendwie waren die ganzen Geschehnisse um seine Wunde am Handgelenk für ihn schon in weite Ferne gerückt. Ungefähr so wie ein Albtraum, kurze Zeit nach dem Aufwachen schlimm und anschließend nur noch ein böser Schatten, aber nicht mehr unmittelbar greifbar.
 


 

Am nächsten Tag stand Daniel nachmittags am Eingang zur Uni und wartete auf Serdall. Sein Freund hatte darauf bestanden, dass er Daniel hinfuhr und auch abholte. Einmal wohl, damit er sicher sein konnte, dass Daniel heil ankam und zweitens, weil sie danach ins Krankenhaus wollten, damit der Aidstest gemacht werden konnte.
 

Pünktlich um halb vier hielt Serdall am Straßenrand und Daniel stieg in den teuren Wagen, begleitet von einigen neidischen Blicken seiner Kommilitonen. Langsam hatte er sich allerdings daran gewöhnt. Ein Leben mit Serdall hieß nun einmal zwangsweise ein Leben an der Spitze der Gesellschaft. Allerdings würde Daniel sich darüber bestimmt nicht beklagen.
 

Serdall organisierte denselben Test bei Doktor Knusch, den sie schon vor zwei Jahren gemeinsam hatten machen lassen. Es dauerte nicht lange und sie konnten das Krankenhaus nach einer Stunde schon wieder verlassen und nach Hause fahren. Dort war ein ziemliches Chaos. Taschen standen im Flur und Fei kommandierte seine Leute im herben Japanisch herum. Genervt rollte Serdall mit den Augen, als Daniel sich in die Küche verzog und ihn mit seinem Bruder allein ließ. Irgendwie wurde Serdalls Verdacht immer schlimmer, dass mit Daniel etwas nicht stimmte. Irgendwie war er in letzter Zeit etwas zu ruhig für seinen Geschmack.
 

„Serdall!“, schrie Fei plötzlich. Der rollte die Augen und machte wieder kehrt, da er eigentlich die Absicht gehabt hatte, Daniel zu folgen. „Ich muss noch kurz mit dir reden“, erklärte Fei, bedeutete Serdall ihm zu folgen und ging mit ins Wohnzimmer. „Ich möchte, dass du mich irgendwann in Japan besuchen kommst. Nach Weihnachten oder am besten im neuen Jahr. Nimm deinen Freund mit und macht Urlaub, ja? Es wäre schade, wenn wir uns wieder so auseinanderleben.“
 

Nachdenklich verschränkte Serdall die Arme. Ihm gefiel dieser Vorschlag nicht.
 

„Du weißt, dass es gefährlich ist und dass ich genug mit Daniel durchgemacht habe. Du bist hier willkommen, aber bitte zwing mich nicht, mich ins Visier der anderen Clans zu begeben.“ Fei wollte dagegenhalten, doch Serdall schüttelte nur den Kopf. „Du weißt, dass man dich mit mir erpressen kann. Und ich bin auch beeinflussbar, das hast du ja wohl am besten gesehen.“
 

Tief durchatmend nickte Fei.
 

„Ich verstehe deine Vorsicht, aber es gibt vier Inselteile. Wir müssen uns ja nicht auf Honshu treffen. Hokkaido ist auch ganz schön und du wärst wenigstens wieder in deiner Heimat.“
 

„Ich denke darüber nach. Mal sehen was Daniel dazu sagt“, murmelte Serdall mit einem schiefen Lächeln und Fei war zufrieden.
 

„Ruf an, falls du Probleme haben solltest“, meinte Fei, als er seinen Bruder kräftig in die Arme nahm. „Meine beiden Kinder würden dich auch gern einmal wiedersehen“, fügte er an und sah Serdall ernst ins Gesicht. Ja, Serdall würde die beiden auch gern zu Gesicht bekommen.
 

„Nächstes Jahr. Vor Weihnachten verlasse ich das Land nicht mehr. Ich brauche vorerst Ruhe.“
 

Verstehend ließ Fei von ihm ab und verabschiedete sich kurzangebunden von Daniel, ehe er seine Leute zur Eile trieb und das Haus verließ. Serdall und Taki sahen dem abfahrenden Wagen kurz nach, ehe sie zurück ins Haus gingen. Sein Sohn begann mit Mücke zu spielen, wobei Serdall ihm eine Weile zusah. Daniel war sicherlich dabei, den Stoff für die Uni zu bearbeiten, während Yoshiko ihr neues Zimmer in der ersten Etage einrichtete. Er hörte sie mehrmals die Treppen hinauf und hinabgehen, als sie ihre Sachen aus Daniels Zimmer räumte.
 

In Gedanken versunken beobachtete Serdall Taki dabei, wie er sich mit Mücke und Kimba raufte. Ihm ging die Sache mit dem Sex nicht aus dem Kopf, das Daniel wirklich mit ihm schlafen wollte und nicht anderes herum. Er versuchte die komplette Bedeutung dahinter zu sehen und es machte ihm irgendwie eine heftige Angst. Es würde sie womöglich wieder komplett zusammenschweißen, aber was war, wenn etwas schief ging? Wenn es Serdall anekelte? Er wusste nicht, wie er dazu stehen sollte. Musste das denn unbedingt sein? Würde ihr Beziehung darunter leiden, wenn Serdall seine Meinung einfach wieder ändern würde? Er ließ seinem Kopf in die Hände fallen. Natürlich würde ihre Beziehung leiden. Sie litt ja derzeit immer noch unter Feis Einfluss, wie würde es danach aussehen?

Daniel stellte ihn wirklich auf eine harte Probe…
 

Ende Kapitel 21

Kapitel 22
 

Daniel fuhr sein Auto geradewegs in die Garage, die irgendjemand schon in weiser Voraussicht für ihn geöffnet hatte. Er war schon wieder vollkommen im Trott der Uni gefangen, nachdem er fast eine Woche lang nicht dort gewesen war. Zum Glück war es nicht allzu viel Stoff gewesen, den er hatte nachholen müssen und er war recht schnell wieder in alles reingekommen.
 

Doch eigentlich war es nicht die Uni, die Daniels Gedanken fesselte. Viel eher kribbelte sein Magen in Vorfreude auf das kommende Wochenende. Serdall hatte kurz entschlossen eine Suite für sie gemietet. Jetzt schon. Daniel hatte gedacht, er würde sich damit noch Zeit lassen, sich noch an den Gedanken gewöhnen müssen auch mal der Passive zu sein, doch Serdall hatte so ziemlich gleich nachdem Fei weg war mit einem Hotel in der Nähe telefoniert. Dustin und Ethan waren zum Glück so nett gewesen ihnen zu versichern, dass sie auf Taki aufpassen würden und der Aidstest war wie gehofft und erwartete negativ gewesen, von daher stand nichts mehr im Weg.
 

Zwei Tage noch. Daniel konnte sich das Grinsen schon fast nicht mehr aus dem Gesicht wischen. Es bedeutete ihm so wahnsinnig viel, dass Serdall bereit war, diesen Schritt zu wagen. Einen größeren Vertrauensbeweis gab es momentan wohl nicht. Fröhlich vor sich hin summend betrat Daniel das Haus, wo Serdall gerade ziemlich aufgescheucht in die Küche rannte und kurze Zeit später die Treppe hoch hastete, ohne ihn zu begrüßen. Die Stirn runzelnd stieg Daniel aus seinen Schuhen und folgte seinem Freund hin zu Takis Zimmer, wo der Kleine unter einem Berg Decken vergraben im Bett lag.
 

„Was ist denn los?“, fragte Daniel ziemlich verdutzt.
 

Serdall saß unruhig neben Taki und strich ihm unablässig über die Wange. Sein Sohn schlief im Moment, doch er glühte regelrecht vom Fieber.
 

„Taki ist krank. Erkältung“, erwiderte Serdall und ein nachdrückliches Piepen störte die kurze Stille. Serdall nahm das Fieberthermometer unter Takis Arm hervor und deckte ihn wieder fürsorglich zu. „39.2 Grad! Verdammt, wann wirkt denn diese bescheuerte Tablette“, zischte er leise zu sich selbst und sah besorgt auf seinen Sohn. „Machst du einen Tee? Yoshiko und Dustin sind gerade einkaufen und eben hat der Kleine alles ausgetrunken, bevor er eingeschlafen ist.“
 

„Ja, klar. Kein Problem.“ Daniel nahm Takis Tasse und die Teekanne und machte sich auf den Weg nach unten, nachdem er Serdall noch einmal aufmunternd über die Wange gestrichen hatte. Er konnte sich vorstellen, dass es seinem Freund gerade echt bescheiden ging. Er machte sich immer so große Sorgen um seinen Sohn und jetzt war Taki auch noch krank. Der Kleine sah wirklich ziemlich erschöpft aus.
 

Schnell hatte Daniel Tee gekocht und war wieder auf dem Weg nach oben. Er zog sich einen weiteren Stuhl ans Bett und setzte sich neben Serdall, nachdem er die saubere Tasse und die Kanne auf den Nachtschrank gestellt hatte.
 

„Alles klar?“, wollte er leise von Serdall wissen.
 

„Nicht wirklich“, erwiderte Serdall leise und stützte seinen Kopf in die Hände. „Der Arzt war schon da und hat ihm ein paar Medikamente dagelassen. Jetzt heißt es abwarten.“ Den Blick nicht von Taki nehmend seufzte Serdall sorgenvoll. „Er war ewig nicht krank gewesen“, murrte er leise und strich seinem Sohn wieder über die heiße Stirn. In dem Versuch Serdall etwas Halt zu geben, schlang Daniel einen Arm um ihn.
 

„Nun, das zeigt doch wie gut seine Abwehrkräfte sind, wenn er so lange nicht krank war“, meinte Daniel. „Und eine Erkältung ist auch nicht so unsagbar schlimm. Ein paar Tage und dann wird es Taki schon wieder richtig gut gehen, außer dass er sich vielleicht etwas schlapp fühlt.“
 

„Ja.“ Serdall sah weiterhin auf seinen Sohn. Er hatte Angst, dass es doch ernster werden konnte. Ihm graute es davor, dass sich Takis Zustand womöglich verschlimmern könnte… Er wollte es sich gar nicht ausmalen. Serdall machte sich insgeheim Vorwürfe. Er hatte nicht bemerkt, dass es Taki schlecht ging. Erst nachdem die Schule angerufen und er ihn abgeholt hatte, war es ihm bewusst geworden. Warum hatte es Dustin heut Morgen nicht bemerkt, als er den Kleinen zur Schule gebrachte hatte? Serdall fühlte sich sichtlich schlecht. Ich bin ein Rabenvater, klagte er sich selbst an und schüttelte über sich selbst den Kopf. Wie konnte er seinen Sohn nur so vernachlässigen?
 

Unhörbar seufzte Daniel auf. Das war so typisch Serdall. Total die Glucke als Vater. Sobald Taki mal mit ein wenig Fieber und einem Schnupfen im Bett lag machte er sich Sorgen, als würde der Kleine im Sterben liegen. Daniel machte sich wenige Hoffnungen, seinen Freund heute noch mal von Takis Seite wegzubekommen.
 

„Kann ich dir irgendwas zu essen oder zu trinken bringen?“, fragte er Serdall, anstatt sich weiter den Kopf zu zerbrechen.
 

„Nein, danke“, murmelte der Violinist und sah nun endlich einmal zu Daniel. „Du kannst ruhig gehen, wird sonst langweilig für dich“, erklärte Serdall und strich seinem Sohn wieder über die Stirn, als ob er ihm so das Fieber nehmen könnte. Er fragte sich, ob er irgendeine Impfung beim Arzt mit Taki verpasst hatte. „Nur die Hunde müssten nochmal raus, ja?“
 

Leicht zuckte Daniel zusammen. Serdall schien das mit sich ausmachen zu wollen. Er selbst wäre auch noch dageblieben und hätte seinem Freund Gesellschaft geleistet, aber Serdall wollte wohl tatsächlich mit Taki allein sein. Daniel stand auf.
 

„Gut, dann werde ich jetzt wohl mit den Hunden rausgehen.“ Er stand auf und ging ins Wohnzimmer, wo Kimba und Mücke dösend auf ihren Kissen lagen. Als sie ihn sahen, standen sie allerdings auf und kamen mit dem Schwanz wedelnd auf Daniel zu. „Ja, ihr seid immer froh, wenn ich da bin, nicht wahr“, begrüßte er die beiden und legte sie an die Leinen. Er hätte eben bei Serdall einen großen Terz machen können, darauf bestehen, dass er da blieb, doch Daniel riss sich zusammen. Er hatte sich vorgenommen, nicht mehr ganz so hitzig zu sein und vor allem nicht allzu viel zu machen, das Serdall missfiel, damit erst einmal wieder eine Vertrauensbasis aufgebaut werden konnte.
 

Einige Zeit später kam Daniel ziemlich durchgefroren vom Gassi gehen zurück. Er zog sich die dicke Jacke und die Schuhe aus und steckte den Kopf dann kurz zu Takis Zimmertür hinein. Serdall saß unverändert am Bett und Daniel zog sich leise zurück. Er würde für die Uni lernen gehen und den beiden ihre Ruhe lassen.
 

Am späten Abend betrat Serdall endlich das Schlafzimmer. Er hatte die ganze Zeit neben Takis Bett gewacht, ihm Geschichten vorgelesen und war für seinen Sohn dagewesen, um seinen Fehler wieder wett zu machen. Erschöpft gähnend ging Serdall ins Bad und machte sich bettfertig. Sein Freund schlief augenscheinlich schon. Mit einem schwachen Lächeln registrierte Serdall, dass Daniel wieder einmal auf seiner Bettseite schlief, anstatt auf seiner eigenen. Takis Fieber war vor ein paar Stunden gesunken, nun plagte sein Sohn ein starker Husten und Schnupfen. Serdall hatte ihn ständig umsorgt, bis Taki jetzt endlich richtig eingeschlafen war. Sich zu Daniel legend schmiegte er sich an seinen Freund und umarmte ihn. Er würde mit Daniel noch einmal reden müssen. Ihr Vorhaben am Wochenende würde wohl ins Wasser fallen, denn Serdall hatte keinerlei Lust seinen Sohn wegen der Sache allein zu lassen.
 


 

Am nächsten Morgen stand Daniel leise auf, um Serdall nicht zu wecken und ging zur Uni. Als er wiederkam saß sein Freund schon wieder bei seinem Sohn. Daniel stellte sich seufzend die in Tür.
 

„Hey“, grüßte er und Taki antwortete eigentlich schon recht munter, nur etwas verschnupft und von ein paar Hustenanfällen unterbrochen. „Habt ihr Zwei denn beide heute schon gut gegessen?“ Daniel hatte die Befürchtung, dass Serdall sich selbst über seinen Sohn vollkommen vergaß. Kurz lächelte Serdall Daniel zu und deutete dann mit einer Hand auf das Tablett an der Erde, worauf eine leere Schüssel lag.
 

„Dustin hat Taki eine Hühnersuppe gemacht“, meinte er und strich seinem Sohn durch die verschwitzen Haare. Das ganze Zimmer roch nach der Kräutersalbe, die er Taki auf die Brust geschmiert hatte, damit seine Atemwege wieder frei wurden. Auf dem kleinen Schrank neben dem Bett häuften sich die Arzneien und Haushaltsmittelchen, sowie Taschentücher.
 

„Jaaa“, meinte Daniel lang gezogen. „Dustin hat Taki Hühnersuppe gemacht und was hast du gegessen? Ich sehe nur eine Schüssel und glaube nicht, dass du einen große Hilfe bist, wenn du vor Hunger irgendwann umkippst.“ Kurz hielt Daniel inne. Er fiel schon wieder in sein altes, direktes und teilweise sarkastisches Muster zurück. „Ich mach dir was zu essen“, meinte er schnell und verließ das Zimmer. Draußen schlug er hart mit der Faust gegen die Wand. Warum konnte er seine Zunge nicht im Zaum halten? Serdall war gerade garantiert extrem gereizt, da Taki krank war, da konnte jede falsche Aussage zu einem Streit führen. Verwirrt zog Serdall eine Augenbraue nach oben. Taki sah ihn böse an.
 

„Papa, du musst jetzt auch was essen gehen“, meinte er verschnupft. „Sonst wirst du so krank wie ich.“ Serdall schüttelte den Kopf und strich über Takis nun fieberlose Stirn. „Ich bin schon erwachsen. Mir macht das nichts“, erklärte Serdall, doch Taki zog trotzig den Kopf weg. „Dan macht sich Sorgen!“, rief der Kleine. Überrascht nahm Serdall seine Hand fort und sah in das wütende Gesicht seines Sohnes. Trotzig zog der Junge dann die Decke bis zum Kinn und blitzte seinen Vater an. Seufzend erhob sich Serdall und gab Taki noch einen Kuss auf die Stirn. „Ich bin gleich wieder da“, erwiderte er geschlagen und beeilte sich hinunter in die Küche zu gehen, wo Daniel am Herd stand.
 

„Na du“, registrierte Daniel Serdalls Anwesenheit etwas lahm und streute Salz auf die vor sich hin brutzelnden Spiegeleier. „Du kannst auch gern oben essen. Ich räum nachher auch das Geschirr runter, dann musst du nicht von Taki weg.“ Betont gleichgültig rührte Daniel den Spinat um und stellte den Deckel der nun gerade kochenden Kartoffeln auf Kipp. Serdall biss sich auf die Unterlippe. Ihm wurde bewusst, dass er Daniel vernachlässigte, aber das musste nun mal sein. Taki war krank und die paar Tage würde es doch gehen.
 

„Nein, ich esse schnell hier. Außerdem muss ich sowieso noch im Hotel anrufen und die Buchung stornieren.“ Wenn Taki so krank war konnte er sich einfach nicht mit Daniel ein schönes Wochenende machen. Der Kartoffeltopfdeckel landete klappernd ganz auf dem Topf und Daniel sah geschockt zu Serdall.
 

„Du machst was?“, fragte er ungläubig. Es war doch alles schon geplant. Er hatte sich so auf dieses Wochenende gefreut. Nicht nur wegen des Sex, sondern vor allem, weil er und Serdall dann endlich etwas Zeit wirklich nur für sich hatten. Und jetzt wurde alles wegen Takis Erkältung abgeblasen?
 

„Was soll ich denn sonst machen?“, erwiderte Serdall und zog verwirrt eine Augenbraue nach oben. „Ich kann Taki schlecht allein lassen, wenn er krank ist.“ Serdall ging zu Daniel und legte eine Hand an seine Wange. „Wir machen das eben nächstes Wochenende, in Ordnung? Bis dahin ist Taki sicher wieder fit.“ Versöhnlich gab er seinem Freund einen kurzen Kuss, ehe er schon ins Wohnzimmer ging, um das Telefon zu holen.
 

Daniel biss sich auf die Zunge und enthielt sich jeglichen Kommentars. Gut, vielleicht war es wirklich nur um eine Woche verschoben, aber er hatte sich darauf gefreut. Er konnte es irgendwie nicht leiden, wenn Serdall so extrem auf Taki fixiert war. Schön, es konnte sein, dass er eifersüchtig auf den Kleinen war. Na und? Immerhin liebte er Serdall genauso wie Taki seinen Vater liebte und wollte dementsprechend auch einige Zeit am Tag mit ihm verbringen. Und momentan schien jede Minute, die Serdall nicht bei seinem Sohn war, eine verschwendete zu sein.
 

Seufzend legte Serdall auf. Die Stornierung hatte geklappt und er hatte gleich für das nächste Wochenende gebucht. Daniel schien diese Sache wirklich wichtig zu sein und Serdall hatte es ihm nun mal versprochen, auch wenn er insgeheim schon froh war, dass er noch ein wenig Aufschub hatte. Als er zurück in die Küche kam, saß Daniel schon am Tisch, der für sie beide gedeckt war. Im Vorbeigehen strich er Daniel kurz am Hals entlang, ehe er sich setzte und schnell zu essen begann. In Gedanken war Serdall schon wieder bei Taki. Er fragte sich, was er noch tun konnte, damit der Husten des Kleinen besser wurde. Kurz sah er zu Daniel, der ziemlich in seinem Essen herum manschte.
 

„Jetzt zieh nicht so ein Gesicht“, murrte Serdall leise. „Es tut mir auch leid, dass es nichts wird. Taki wird so selten krank, da muss ich wenigstens da sein, wenn er es ist. Ich habe ihn die letzten Tage schon vernachlässigt.“
 

„Taki war die letzten Tage so gut wie gar nicht zuhause“, murrte Daniel und steckte sich ein Stück Spiegelei in den Mund, das jetzt eher an Rührei erinnerte. „Er war entweder sehr lange in der Schule, weil sie für die Projektwoche was machen mussten oder er war bei einem seiner Freunde. Und die Zeit, die Taki hier war, hast du dich mit ihm beschäftigt. Man kann also nicht sagen, dass er vernachlässigt wurde.“
 

Serdall schüttelte missbilligend den Kopf.
 

„Jetzt stell dich nicht so an“, zischte er nur und aß den letzten Happen. „Er ist ein Kind und du solltest es nachvollziehen können, dass ich für ihn als Vater da sein muss.“ Nachdrücklich legte er die Gabel beiseite und trank von dem Glas Wasser, das ihm Daniel schon so routiniert hingestellt hatte.
 

Daniel schwieg. Mal wieder. Kurz saßen sie noch in dieser drückenden Stille zusammen, dann stand Serdall auf und verließ die Küche. Seufzend ließ Daniel die letzten Reste seines Essens im Mülleimer verschwinden und machte sich an den Abwasch, bevor er sich in sein Zimmer begab und an den Schreibtisch setzte. Er war so weit im Stoff für die Uni wie eigentlich noch nie. Normalerweise machte er das Nötigste, um danach mit Serdall zusammen sein zu können und kam mit dieser Methode eigentlich immer ziemlich gut zurecht, jetzt allerdings war er allem sogar schon etwas voraus und konnte wirklich sagen, dass er die Prüfungen zumindest in diesem Themenbereich sehr gut meistern würde. Was tat man nicht alles aus Langeweile?
 

Als er sich einige Zeit später schlafen legte, war Serdall wie am gestrigen Abend immer noch nicht da. Leicht wehmütig robbte Daniel wieder auf die andere Seite des Bettes, um mit dem Duft wenigstens etwas von Serdall zu haben und schloss die Augen.
 

Nachdenklich sah Serdall auf Takis schlafendes Gesicht. Es ging mittlerweile auf Mitternacht zu und Serdall beschloss, endlich ins Bett zu gehen. Er hätte sich seinen Freitagabend wirklich anders vorgestellt, aber man konnte es nicht ändern. Daniel schlief schon, als Serdall zu ihm ins Bett schlüpfte und ihn in die Arme nahm. Sein Freund kuschelte sich sogleich an ihn, ohne aufgewacht zu sein. Seufzend strich Serdall durch die schwarzen Haare und küsste kurz Daniels Lippen. Er würde alles wieder gut machen, wenn Taki gesund war. Daniel murmelte etwas und atmete an Serdalls Brust einmal tief durch. Lächelnd streichelte Serdall über seinen Rücken. Wie lange war es her, dass sie Sex gehabt hatten? Serdall glaubte, dass es schon drei oder vier Tage sein mussten. Irgendwie war immer etwas dazwischen gekommen. Überrascht registrierte er, dass Daniel diesbezüglich gar nichts gesagt hatte. Insgesamt war sein Freund etwas seltsam in der letzten Zeit. Er war irgendwie… Serdall wusste es nicht genau, er sah nur, dass Daniel sich scheinbar zurücknahm, warum auch immer. Müde gähnend kuschelte Serdall weiter mit Daniel, bis er eingeschlafen war.
 


 

Neuer Tag, alter Ablauf. Daniel stand auf, ohne Serdall zu wecken und trollte sich unter die Dusche. Der einzige Unterschied war, dass er nicht zur Uni musste und seine Hormone ihm aus den Ohren heraus quollen. Er wusste nicht, wie lange er sich nicht mehr selbst befriedigt hatte, seit er mit Serdall zusammen war, da sein Freund ihn eigentlich immer voll zufrieden stellte. Nur momentan war komplett tote Hose und die Handarbeit in der Dusche auch nicht im Geringsten befriedigend. Reichlich verstimmt schlurfte Daniel in die Küche und ließ sich auf einen der Hocker an der Theke fallen, nachdem er sich eine Tasse Kakao angerührt hatte. Gähnend schloss er die Augen. Er war irgendwie noch ziemlich müde, obwohl er recht viel geschlafen hatte. Irgendwann hatte er gestern die Nase voll vom Lernen gehabt und war schon um kurz vor halb elf ins Bett gegangen. Wahrscheinlich hatte er einfach zu lange geschlafen.
 

Frühaufsteher, der er war, kam Dustin im nächsten Moment zur Haustür herein und schwenkte eine Tüte mit frischen Brötchen, als er die Küche betrat. Er war schon beim Bäcker gewesen und nun war auch endlich jemand wach mit dem er frühstücken konnte.
 

„Morgen, Dan.“ Dustin stockte im nächsten Augenblick und ließ sich fassungslos Daniel gegenüber auf einen Stuhl fallen. „Eigentlich sollten du und Serdall heute nicht hier sein“, stellte er entgeistert fest. „Sag nichts! Er hat es wegen Taki abgeblasen?“
 

„Du hast es erfasst“, antwortete Daniel murmelnd und nahm einen Schluck aus seiner Tasse. „Wir haben es auf nächste Woche verlegt. Aber scheinbar hattest du ohnehin vergessen, dass wir weg wollten. Oder wolltest du allein eine ganze Tüte Brötchen essen?“ Daniel konnte nicht anders, als leicht zu grinsen. Verlegen kratzte sich Dustin am Kopf.
 

„Irgendwie hab ich nicht mehr dran gedacht“, meinte er schulterzuckend und füllte den Brotkorb, um ihn vor Daniel abzustellen, ehe er die Kaffeemaschine anwarf und sich wieder zu Daniel setzte. „Und? Hockt Serdall schon wieder bei Taki? Ehrlich, man kann es auch übertreiben.“
 

„Er schläft noch. Selbst für Taki scheint er nicht um halb acht aufstehen zu wollen“, meinte Daniel. Es tat ganz gut, dass jemand anders das aussprach, was er selbst sich schon so lange dachte. Es war in Ordnung, wenn Serdall sich um Taki sorgte. Allerdings war es doch etwas krass, dass er bis auf nachts immer bei seinem Sohn war. Serdall benahm sich so, als wäre Taki todkrank.
 

„Naja, aber ich wett mit dir, dass er spätestens um neun wieder bei ihm hockt“, erwiderte Dustin genervt, holte sich wie immer seinen Kaffee und deckte noch schnell den Tisch für sie zwei, ehe sie begannen zu frühstücken. „Ich finde, ihr hättet schon ins Hotel fahren können“, überlegte er laut. „Aber Serdall ist mal wieder auf Gluckenmodus. Er hat mich schon angegiftet, dass ich am Donnerstag nicht mitbekommen habe, das Taki krank ist. Echt, Taki hat sich nichts anmerken lassen, außer dass er ein bisschen wenig gegessen hat. Bei Kindern ist das aber ab und an mal“, stellte Dustin klar und biss in sein Marmeladenbrötchen. Die Situation gerade ging ihm tierisch auf die Nerven. Es wunderte ihn nur, dass Daniel und Serdall sich noch nicht gestritten hatten, das würde das Ganze abrunden.
 

„Ich persönlich mache dir da echt keine Vorwürfe“, stellte Daniel klar. „Es ist nun mal so, dass erst gar nichts ist und mit einmal kommt die ganze Krankheit in geballter Ladung. Außerdem ist Taki nicht die Art von Kind, die gleich herum jammert, nur weil ihm ein wenig kalt ist oder sein Hals ein bisschen kratzt. Mir musst du auch nicht sagen, dass wir hätten fahren können. Ich wette mit dir, dass Taki bei Serdalls Pflege und den tausend Salben und Tees, die dort oben herumliegen, schon fast wieder gesund ist. Das Fieber war gestern schon so gut wie weg. Jetzt ist nur noch etwas Husten und Schnupfen da. Eine kleine Erkältung eben. Aber ehrlich gesagt habe ich momentan nicht die Absicht, mich mit Serdall zu zoffen.“
 

„Na toll“, murrte Dustin. „Wenn nicht du, wer dann? Ich mein, er lässt sich ja sowieso kaum was sagen in der Hinsicht, aber du hättest ihm schon die Meinung geigen können. Ich find es echt bescheuert, dass er dich scheinbar total vernachlässigt. Ist doch so, oder? Ich sehe es dir an, dass du seit mindestens drei Tagen keinen Sex hattest“, eröffnete Dustin mit einem leichten Grinsen im Gesicht.
 

„Exakt drei“, gab Daniel zu. Er fragte sich immer wieder, warum Dustin bei allem, was mit Sex zu tun hatte, so gut informiert war oder auch nur so gut im Raten. Daniel stützte grummelnd den Kopf auf seiner Hand auf. „Ehrlich mal, ich habe mir das erste Mal seit was weiß ich wie langer Zeit in der Dusche einen runtergeholt. Diese lange Abstinenz bin ich einfach nicht mehr gewohnt. Aber ich will es nicht riskieren, mir mit Serdall irgendwas zu verscherzen, nachdem wir uns endlich wieder zusammengerauft haben.“
 

Dustin rollte mit den Augen.
 

„Du wirst also zu seinem Schatten, der zu allem ja sagt? Du warst doch immer der, der ihm wenigstens denn Sinn zur Realität eingebläut hat, wenn er mal sich mal wieder in seinen verkorksten Gedanken verstrickt und in seine kleine Welt verzogen hat.“ Dustin seufzte und strich sich durch die blonden Strähnen. „Ich möchte ja nichts sagen, aber ich glaube, dass du es dadurch nur schlimmer machst. Wer weiß, was ihm jetzt schon wieder in der Birne abgeht?“
 

„Er sorgt sich um Taki, das ist doch verständlich. Es ist wohl etwas extremer, da er nun mal allein erziehender Vater ist“, versuchte Daniel Serdall, aber auch in gewissem Maße sich selbst zu verteidigen. „Gut, ich stecke im Moment etwas mehr zurück als normalerweise, aber auch nur so lange, bis alles wieder einigermaßen normal zwischen uns ist. Ich hatte ja gehofft, dass es das nach diesem Wochenende schon sein wird, aber es hat sich jetzt alles um eine Woche verschoben.“
 

Kopfschüttelnd sah Dustin Daniel in die Augen.
 

„Und jetzt willst du noch eine Woche nach seiner Pfeife tanzen und in Abstinenz leben? Soll ich mal lachen?“
 

„Hallo“, kam plötzlich ein leises Stimmchen von der Küchentür und Taki kam auf sie zugeschlurft. Er krabbelte zu Daniel auf den Schoß und umarmte den Schwarzhaarigen fest. „Ich hab schlecht geträumt“, murmelte er leise und seine Finger gruben sich in Daniels Pullover. Dustin seufzte tief und strich sich über die Augen. Serdall würde austicken, wenn er Taki hier unten fand und das nicht zu knapp.
 

Daniel war froh, dass Taki für Ablenkung sorgte und er nicht weiterhin mit Dustin über dieses Thema reden musste. Er schlang seine Arme ebenfalls um Taki und strich ihm beruhigend durch die vom Schlaf ziemlich durcheinander gebrachten Haare.
 

„Warum gehst du nicht zu deinem Papa?“, fragte er den Kleinen und ließ seine andere Hand langsam den schmalen Rücken hinauf und hinunter wandern. „Der liegt oben im Schlafzimmer im Bett. Dort ist es sicher bequemer und wärmer als hier unten. Nicht, dass du doch noch richtig krank wirst. Wie geht es dir überhaupt?“ Die letzten Tage hatte Daniel Taki kaum gesehen, da Serdall die ganze Zeit bei ihm war und die Atmosphäre im Raum irgendwie gedrückte war, wenn Daniel eintrat. Allerdings machte Taki einen recht fitten Eindruck.
 

„Weil Papa mich dann nur wieder in mein Bett steckt“, erklärte Taki und kuschelte seine Wange an Daniels Brust. „Mir geht’s schon ganz gut“, meinte er leise. „Außerdem hab ich dich vermisst und Mücke.“ Taki begann leicht zu husten und zog geräuschvoll die Nase hoch. „Machst du mir bitte ein Nutellabrötchen?“, fragte er leise und lehnte sich schlapp gegen Daniel. „Und darf ich dann Fernsehen? Es kommen jetzt soooo viele Trickfilme!“
 

Daniel war etwas hin und her gerissen. Er konnte es verstehen, dass Taki es satt hatte, den ganzen Tag mit seinem Vater in seinem Zimmer hocken zu müssen und mal raus wollte, etwas Abwechslung. Nur wie würde Serdall darauf reagieren?
 

„Klar“, meinte er schließlich zu Taki und setzte ihn so hin, dass er die Arme frei hatte, um das Brötchen zu schmieren. Zum gesund werden gehörte nun mal nicht nur gute Pflege, sondern auch die passende Umgebung. Und Langeweile war wohl nicht das, was Taki helfen würde, schnell zu genesen. „Ich hole dir dann noch deine Decke und dein Kissen von oben und du machst es dir im Wohnzimmer gemütlich.“
 

„Au ja!“, rief Taki glücklich und nahm das Brötchen, das ihm Daniel geschmiert hatte, freudig entgegen. Wie versprochen holte Daniel für ihn danach die Decke und das Kissen und Taki mummte sich damit auf dem Sofa ein. Sogleich wurde der Fernseher angestellt und Serdalls Sohn bat Daniel bei ihm zu bleiben und mit ihm zusammen zu schauen.
 

Eine gute Stunde später stolperte jemand gehetzt die Treppen herunter und Serdall erschien im Türrahmen zum Wohnzimmer. Er atmete sichtlich erleichtert auf und lehnte sich gegen den Rahmen, wobei er eine Hand auf seine Brust legte.
 

„Was machst du denn hier unten?“, fragte er seinen Sohn ziemlich außer Atem und Taki sah trotzig zu seinem Vater.
 

„Ich konnte nicht mehr schlafen und wollte Trickfilme gucken.“
 

Serdall schüttelte den Kopf.
 

„Du bist krank, da guckt man keine Trickfilme“ erklärte Serdall und ging auf sie zu.
 

„Ich möchte aber!“, rief Taki und griff ängstlich nach Daniels Hand.
 

Daniel fühlte sich ziemlich zwischen den Stühlen sitzend. Er wusste nicht, ob er lieber zu Taki halten wollte, der wirklich nicht vorhatte, zurück in sein ödes Zimmer zu gehen oder zu Serdall, damit kein Streit vom Zaun gebrochen wurde. Die Entscheidung fiel, indem Daniel sich von allem frei machte und einfach überlegte, was er selbst über diese Situation dachte, ohne darauf zu achten, jemandem mit seiner Entscheidung auf die Füße zu treten.
 

„Serdall“, sprach er schließlich seinen Freund an. „Taki ist dort oben langweilig. Außerdem ist es überall warm, er kann überall liegen, hat immer seine Decke mit dabei und Gesellschaft. Lass ihn doch einfach hier bleiben. Ich kann mich noch erinnern, dass ich früher jedes Mal fast glücklich war, dass ich krank sein konnte, weil ich dann so viel fernsehen konnte wie ich wollte.“
 

Daniel traf ein finsterer Blick, doch bevor Serdall etwas erwidern konnte, setzte sich Taki hustend auf und rückte noch mehr zu Daniel, um sich Halt zu suchen. Trotzig sah er wieder zu seinem Vater.
 

„Ja, Papa. Ich werde auch ganz schnell gesund. Aber im Bett ist es soooo langweilig. Bitte!“ Taki machte wieder seinen Bettelblick und Serdall schnaubte im nächsten Moment. Er konnte nie nein sagen, wenn sein Sohn das tat.
 

„Meinetwegen“, ergab er sich und machte beleidigt auf dem Absatz kehrt, um in die Küche zu gehen. Er drehte den Wasserhahn zu stark auf, als er sich ein Glas füllen wollte und fluchte leise, weil er sich selbst bespritzt hatte. Seufzend lauschte Daniel den gedämpften Geräuschen, die aus der geschlossenen Küchentür kamen. Das hatte er ja toll hinbekommen. Allerdings hätte er, egal zu wem er gehalten hätte, immer irgendwen wütend zurückgelassen.
 

„Leg dich wieder hin und schau weiter, ich geh kurz zu deinen Papa, okay?“, erklärte Daniel Taki und stand auf. Er ging zu Serdall in die Küche und schloss die Tür wieder sorgfältig. „Taki brauchte wirklich etwas Abwechslung“, begann er leise.
 

Wütend drehte sich Serdall um, wobei er das Glas aus seiner Hand, geräuschvoll auf die Anrichte stellte. Er wollte ansetzen etwas zu sagen, doch er biss sich hart auf die Lippe.
 

„Scheint so“, murrte er nach einem Moment und strich sich kraftlos durch die Haare. Daniel war bei der plötzlichen Bewegung erst erschrocken zurückgezuckt, hatte sich jetzt allerdings wieder gefangen. Irgendwie konnte es so nicht weitergehen. Sie waren beide scheinbar nahe dran, einfach zu explodieren.
 

„Ich glaub, wir sollten reden“, murmelte Daniel und fuhr sich ebenfalls einmal fahrig durch die Haare. „Am besten nicht hier. Kommst du mit nach oben? Ich denke, wir können Taki ruhig eine halbe Stunde allein fernsehen lassen.“
 

Serdall nickte abgehackt, griff sich jedoch im Flur Dustin, den er zu Taki abkommandierte. Ganz allein lassen wollte er seinen Sohn nicht, auch wenn er unbedingt mit Daniel reden musste. Wann hatten sie überhaupt das letzte Mal mehr als ein paar Worte miteinander gewechselt? Seufzend setzte sich Serdall auf ihr Doppelbett und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand.
 

Daniel folgte ihm, zog es allerdings vor, an die Tür gelehnt stehen zu bleiben. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass eine bestimmte Distanz im Moment die richtige Wahl war. Nur wie sollte er anfangen? Er hatte diese Aussprache vorgeschlagen, fand allerdings kein Anfang.
 

„Nun“, begann er leicht unsicher, „irgendwie haben wir uns die letzten Tage nicht wirklich gesehen.“
 

„Ja“, erwiderte Serdall. Er wusste nicht was er sagen sollte, noch was Daniel überhaupt hören wollte. Sie hatten sich nicht gestritten, eigentlich war alles in Ordnung. Serdall sah zu Daniel und blickte ihm in die Augen. In dieser Sekunde wurde ihm bewusst, dass eben nichts in Ordnung war. Seufzend erhob sich Serdall und ging auf seinen Freund zu. „Wie geht es dir?“, fragte er und kam sich in diesem Moment bescheuert vor, weil er wirklich nicht wusste, wie es seinem Freund ging. Was war denn nur los mit ihnen? Er legte zaghaft seine Hände auf Daniels Hüften, sah ihm aber nicht in die Augen, sondern nur auf seinen Pullover.
 

Kurz lachte Daniel freudlos auf. Ja, woher sollte Serdall auch wissen, wie es ihm ging, wenn sie sich den ganzen Tag nicht sahen, obwohl sie sich in einem Haus aufhielten? Er ignorierte die fremden Hände an seinem Körper und sah Serdall starr ins Gesicht.
 

„Genau das ist es, was mich stört. Allein diese Frage zeigt doch, dass etwas ganz Entscheidendes schief läuft, oder? Wenn ich irgendein Haustier wäre, würde ich wahrscheinlich von zuhause weglaufen und irgendwer würde mich finden und als armes vernachlässigtes Wesens ins Tierheim bringen.“ Daniel stockte kurz und runzelte die Stirn. „Okay, schlechtes Beispiel. Aber es ist doch so. Du bist rund um die Uhr bei Taki, dabei ist alles, was er jetzt noch hat, etwas Husten und Schnupfen. Ihm geht das wie du siehst selbst auf die Nerven und mich scheinst du gar nicht mehr zu kennen.“
 

Serdalls Hände lösten sich von Daniel und er ballte sie zu Fäusten.
 

„Bist du jetzt etwa eifersüchtig auf Taki?“, zischte er leise und sah Daniel wütend ins Gesicht. „Ich kann mich eben nicht zweiteilen und ich glaube, dass mich Taki im Moment mehr braucht als du. Oder?“ Er wandte sich von Daniel ab und schritt zornig durch den Raum. „Wenn du krank wärst, würde ich dir auch nicht von der Seite weichen“ gab er wenig später leise zu und sah Daniel wieder in die Augen, wobei er immer noch die Hände geballt und einen wütenden Gesichtsausdruck hatte.
 

„Ja, vielleicht bin ich eifersüchtig auf Taki“, gab Daniel nun etwas lauter zurück. „Ich bin ganz sicher eifersüchtig auf Taki, da du mich in den letzten Tagen teilweise noch nicht einmal ansiehst und zu bemerken scheinst. Vielleicht ist der Kleine krank und braucht etwas Fürsorge, aber zu viel ist erstens ebenso scheiße und zweitens gibt es auch, wenn Taki krank ist, eben nicht nur ihn. Wenn ich im krank im Bett liege, will ich auch nicht, dass du Taki vollkommen links liegen lässt. Wobei ich bezweifle, dass du das dann machen würdest. Aber Daniel ist ja groß, der kann für sich selbst sorgen. Ja, vielleicht, aber von wo hole ich mir die ganzen sozialen Sachen, die Streicheleinheiten, den Sex? Du würdest wahrscheinlich schon nach einem Tag Terror machen, wenn ich dich einfach nicht beachte und Charline gesund pflege oder was weiß ich.“
 

Serdall wandte schnaubend den Blick ab. Es klang einleuchtend, was Daniel sagte, das musste er leider zugeben. Aber er war nun mal so. Wenn Taki etwas geschehen würde, würde er sich aufhängen. Es war ihm auch bewusst, dass er es ab und an übertrieb, aber er hatte nicht gewusst, dass es Daniel schon nach den paar Tagen so extrem überforderte.
 

„Und warum sagst du mir das nicht? Ich kann dir auch nicht alles vom Gesicht ablesen, Herrgott nochmal.“ Fahrig strich sich Serdall mit beiden Händen über seine Schläfen und richtete seine Augen wieder auf Daniel. „Und was erwartest du jetzt von mir? Dass ich doch noch mit dir in dieses Hotel fahre, oder was? Du bist immer noch sauer deswegen, oder?“, zischte er nun wieder in Rage.
 

„Teilweise bist du so engstirnig“, grollte Daniel, wandte sich von Serdall ab und tigerte durch das Schlafzimmer. „Es geht mir nicht um dieses verdammte Hotel. Klar war ich im ersten Moment enttäuscht, dass es nicht geklappt hat, aber ich verkrafte es. Wir fahren halt nächste Woche. Was mich so extrem ankotzt ist, dass du teilweise echt in deiner eigenen Welt zu leben scheinst. Schaltest du eigentlich auch mal dein Gehirn an? Denn dann solltest du vielleicht auch mal selbst merken, dass es echt scheiße kommt, den Freund tagelang noch nicht mal mit dem Arsch anzusehen, obwohl man sogar im selben verdammten Haus lebt.“
 

Serdall biss sich auf die Lippe. Er wusste was Daniel wollte, warum sie sich hier gerade so beharkten. Aber wieso fiel es ihm erst jetzt so offensichtlich auf, erst nachdem Daniel ihn regelrecht mit der Nase drauf gestoßen hatte? Was war er eigentlich für ein Geliebter?
 

„Tut mir leid“, meinte er plötzlich leise, als er Daniel überraschend an den Schultern griff und auf das Bett warf. Kommentarlos schob er sich zwischen Daniels Beine, verschränkte seine Hände mit Daniels, ehe er ihn forsch küsste. Überrascht und erschrocken blieb Daniel einige Momente untätig liegen, bevor er Serdall recht hart von sich stieß und sich mit seinem Pulloverärmel über den Mund wischte.
 

„Was sollte das denn?“, zischte er. „Ein billiges tut mir leid und dann etwas harten Sex für mich und das war es oder wie? Es wäre vielleicht recht förderlich, wenn das Gespräch auch ein richtiges Ende bekommt. Schön, du hast dich entschuldigt. Die Frage ist jetzt nur, ob du es auch ernst meinst oder weiterhin den ganzen Tag bei Taki bist. Ehrlich, meinst du, nur weil mir der Sex gefehlt hat ist alles wieder gut, wenn du es einmal hinter dich gebracht hast?“ Daniel war extrem angepisst und er wusste, dass eine Wortwahl vielleicht nicht gerade die schönste war, allerdings ging ihm Serdalls Verhalten gerade wirklich gegen den Zeiger.
 

„Was gibt es denn zu bereden?“, schrie Serdall Daniel wütend zu und stand wieder auf. So abgewiesen zu werden, schmerzte ihn. „Soll ich dich beknien, weil ich mich um meinen Sohn gesorgt habe? Weil ich eine Scheißangst habe, ihn zu verlieren? Mehr als dir sagen, dass es mir leid tut, kann ich nicht und das weißt du. Aber anscheinend hast du jetzt wirklich vor, dir mit mir einen Kleinkrieg zu liefern. Nur weiß ich nicht worüber!“ Wild gestikulierte Serdall mit den Händen und trat schlossendlich mit dem bloßen Fuße gegen den Bettrahmen. In der nächsten Sekunde vergrub er seine Hände in seinen Hosentaschen. Jetzt war ihm sein Ausbruch schon fast peinlich. Er redete doch sonst nicht so viel. Aufgebracht war Daniel ebenfalls aufgestanden. In der gleichen Lautstärke wie Serdall zuvor setzte er das Gespräch fort.
 

„Ich habe dir gesagt, was es zu bereden gibt“, keifte er. „Es interessiert mich einfach, ob du deinen Fehler eingesehen hast oder ob ich mein Leben in den nächsten Tagen wieder allein fristen und in der Dusche wichsen muss. Du solltest dir vielleicht erst mal darüber klar werden, wie du deine Prioritäten setzt. Wenn du meinst, nicht mit mir reden zu können und es bei dieser halbherzigen Entschuldigung bleibt, dann weiß ich ja, woran ich bei dir bin.“ Daniel stapfte aus dem Zimmer und die Treppe hinunter, schnappte sich Kimba aus dem Wohnzimmer, wo er Dustins und Takis fragende Blicke ignorierte, zog sich Schuhe und Jacke an und verließ das Haus. Fassungslos sah Serdall noch kurz auf die Stelle, wo Daniel eben gestanden hatte.
 

„Was soll dieser Mist?“, fragte er sich leise. Seit wann war Daniel denn so? Wütend ging Serdall zum Balkon und sah, wie Daniel die Einfahrt herunter stampfte, zusammen mit Kimba, die mit wedelndem Schwanz neben ihm herlief. Er sah dabei zu, wie Daniel um die Ecke bog und fluchte leise. Was sollte er denn jetzt tun? Würde Daniel zurückkommen? Oder hatte Daniel gerade mit ihm Schluss gemacht? Für einen Moment setzte Serdalls Herzschlag aus. Das konnte nicht sein… Nach alldem ging Daniel einfach so? Kopfschüttelnd setzte er sich in Bewegung und hetzte nach unten in den Flur, wo er sich nur eilig seine Schuhe anzog und seinen Hausschlüssel schnappte, ehe er schon nach draußen lief und Daniel hinterher.
 

Leise Verwünschungen vor sich hin murmelnd ging Daniel in Richtung Park. Es musste jetzt fast Mittag sein, allerdings war es trotzdem schweinekalt. Er fragte sich, warum er so überreagiert hatte. Er war noch nie einfach so weggegangen, ohne mit Serdall alles zu klären. Aber sein Freund machte ihn gerade einfach nur wahnsinnig. Serdall schien überhaupt nicht zu sehen, worum es Daniel überhaupt ging und das diese leise gemurmelte Entschuldigung eigentlich nicht wirklich viel an dem Hauptproblem änderte. Daniel hätte nämlich die Befürchtung, dass Serdall erneut so handeln würde, wie er es jetzt getan hatte, wenn Taki wieder irgendwie krank werden würde.
 

Keuchend holte Serdall Daniel ein, doch sein Freund ignorierte ihn, als er neben ihm herging.
 

„Jetzt bleib stehen“, fauchte er Daniel an und packte ihn an der Schulter. „Hast du dich gerade von mir getrennt oder wie soll ich deine Worte werten?“, fragte er ihn laut, obwohl um sie herum lauter Menschen waren, die sie nun schief anblickten.
 

„Schwuchtel“, ertönte es plötzlich von irgendwoher und Serdall zuckte sichtlich zusammen. Er nahm seine Hand von Daniels Schulter und biss sich auf die Lippe. Er war noch nie in der Öffentlichkeit damit konfrontiert worden, doch jetzt war ihm das einfach zu viel.
 

„Ich warte zuhause auf dich“, murmelte er geschlagen und wandte sich ab. Frierend verschränkte er die Arme vor der Brust und schlug den Weg nach Hause ein.
 

Daniel hatte die Quelle für diesen unflätigen Ruf ausgemacht und gab dem Kerl mit einer bezeichnenden Geste zu verstehen, was er von ihm hielt. Anschließend war er es dieses Mal, der hinter Serdall herlief.
 

„Warte“, meinte Daniel recht leise und Serdall blieb leicht zögernd stehen. Seufzend fuhr sich Daniel durch die Haare. „Man, natürlich habe ich mich nicht von dir getrennt“, grummelte er und zog Serdall auf eine Parkbank in der Nähe. „Was meinst du, warum ich die ganze letzte Zeit die Klappe gehalten habe? Eben damit es nicht zu so einem Streit wie jetzt kommt. Aber irgendwann ist mir eben der Kragen geplatzt. Mir ist klar, dass du dich mehr um Taki kümmerst, weil er krank ist, aber dass du mich deswegen vollkommen vergisst ist eben schon ziemlich extrem. Was mich aber wirklich aufgeregt hat war eben, dass du einfach kurz eine Entschuldigung gemurmelt hast und meintest, dass damit alles gut sei. Das, worum es mir allerdings ging, war nicht nur diese Entschuldigung, sondern ich wollte, dass du auch vor mir über dein Verhalten in den letzten Tagen nachdenkst und mir einfach mal sagst, dass du es nicht mehr in der Art und Weise wiederholen wirst.“
 

Serdall verzog unwillig den Mund. Ihm war kalt und er wurde von Daniel zu Recht gewiesen. Irgendwie fühlte er sich fehl am Platz.
 

„Die bringen dir in der Uni echt zu viel bei“, murrte Serdall leise. „Ich wusste gar nicht, dass man diese Lehrerstandpauken schon in der Ausbildung lernt.“ Verärgert rieb er sich über die Oberarme und sah Daniel ins Gesicht. „Du hast die letzten Tage nicht einmal gesagt, dass es dir nicht passt. Ich habe einfach angenommen, dass du einverstanden bist, dass ich mich so um Taki kümmere.“
 

„Wie gesagt, ich habe mich nicht beschwert, weil ich nicht wusste, wie du darauf reagieren würdest und keinen Streit haben wollte. Aber von meinem Standpunkt aus hättest du erkennen müssen, dass man den Freund eben nicht tagelang vollkommen missachten sollte.“
 

„Du weißt, dass das eine einmalige Sache ist“, erwiderte Serdall stur. „Und ich würde das jetzt wirklich lieber ins Warme verlegen. Wie du siehst ist mir kalt und ich habe keine Jacke an“, murrte er trotzig. Er hatte kein gesteigertes Interesse, das hier zu diskutieren. Er sah es ja ein, dass Daniel sich vernachlässigt gefühlt hatte, doch mehr als entschuldigen konnte er sich dafür nicht.
 

„Na dann“, meinte Daniel und stand auf. Er pfiff nach Kimba und sie machten sich auf den Weg zurück ins Warme. Daniel hatte zwar nicht vor, dieses Mal nachzugeben, allerdings sah er ein, dass Serdalls Laune wohl durch die klamme Kälte noch zusätzlich getrübt wurde. „Gleich folgt noch ein kleines Frage-Antwort-Spiel“, kündigte Daniel an. „Nachdem wir uns einigermaßen aufgewärmt haben.“
 

„Aha“, murrte Serdall leise und meldete sich kurz bei Taki und Dustin zurück, ehe er mit Daniel wieder nach oben in ihr Schlafzimmer ging. Langsam schlug ihn dieser Streit auf den Magen. „Dann fang mit deinen Fragen an“, brummte Serdall, als er sich seine Bettdecke um die Schultern wickelte und sich im Schneidersitz auf das Bett setzte.
 

„Gut“, meinte Daniel entschlossen und setzte sich Serdall gegenüber. Wenn sein Freund ihm schon nicht von sich aus die Antworten geben wollte, die er sich erhoffte, dann würde Daniel es eben aus Serdall herauskitzeln. „So, zum Aufwärmen: Liebst du mich?“
 

Verwirrt zog Serdall eine Augenbraue nach oben.
 

„Ist das dein Ernst?“, knurrte er mürrisch und zog die Decke enger um sich. „Natürlich liebe ich dich“, erwiderte er fest. „Und das weißt du nur zu gut.“ Daniel grinste.
 

„Nun, wie gesagt, das war eine Frage zum Aufwärmen. So wie bei einem Lügendetektortest um zu sehen, ob das Ding funktioniert. Dann kann es ja losgehen.“ Er sah, wie Serdall sich etwas anspannte und irgendwie bereitete es Daniel eine fast diebische Freude, seinen Freund ein wenig zappeln zu sehen. „Hast du mich in den letzten Tagen vermisst?“
 

Serdall senkte den Blick. Schuldbewusst schüttelte er mit dem Kopf. Er war viel zu sehr mit Taki beschäftigt gewesen, als dass er einen Gedanken an Daniel verschwendet hätte.
 

„Taki hat mir viel zu viel Sorge bereitet“, gab er offen zu, hob dabei jedoch nicht den Kopf.
 

Daniel schluckte schwer. Ehrlich gesagt hätte er das jetzt nicht erwartet. Immerhin hatten sie trotzdem noch zusammen in einem Bett geschlafen. Zumindest dann mussten Serdall doch einige Gedanken durch den Kopf gegangen sein, die mit ihm zu tun gehabt hatten, oder? Daniel räusperte sich leicht.
 

„Also gut“, murmelte er leise. „Nächste Frage. Wenn Taki das nächste Mal krank wird, bleibst du dann wieder die ganze Zeit bei ihm?“
 

Unwohl rutschte Serdall ein wenig herum und zog die Decke noch enger um sich herum.
 

„Ich weiß, was du hören willst, aber ich kann einfach nicht anders. Taki ist mein Sohn und ich muss mich um ihn kümmern“, erwiderte er und begegnete kurz Daniels Blick. „Also, ja. Ich würde wieder die ganze Zeit bei ihm sein.“
 

„Er ist dein Sohn und ich bin dein Freund“, erwiderte Daniel. Die Fragerunde war für den Moment vergessen. „Ich denke, dass beide Rollen in deinem Leben wohl sehr wichtig sind. Ich kann ja verstehen, dass du bei Taki sein willst. Wenn irgendwer krank ist, der mir nahe steht, möchte ich mich auch um ihn kümmern. Aber du hast so eine Art an dir, dass du alles immer übertreiben musst. Taki ist genervt, weil du die ganze Zeit bei ihm bist und er dumm im Bett herumliegen muss. Er kam heute Morgen von sich aus zu mir, nachdem er einen Albtraum hatte und nicht zu dir, weil er dachte, du würdest ihn gleich wieder ins Bett stecken, womit Taki ja augenscheinlich richtig lag. Wie er es genossen hat, endlich mal etwas Abwechslung zu haben. Er leidet und dass ich leide, ist jetzt wohl klar. Also, denkst du, dass du deinen Gluckenzwang mal unterdrücken kannst und das nächste Mal nicht nur bei Taki bist?“
 

Ungläubig sah Serdall Daniel an und schüttelte leicht den Kopf. Taki hatte sich wirklich von ihm genervt gefühlt? Er hatte sich lieber an Daniel gewandt als an ihn? Keuchend schlug er eine Hand über die Augen. Warum machte er plötzlich alles falsch mit seinem Sohn?
 

„Ich bin ein Rabenvater und ein unsensibler Idiot“, zischte er leise. Sprachlos schüttelte er einfach nur den Kopf und begrüßte den Magenschmerz, der sich nun heftig bemerkbar machte. Er hatte Daniel enttäuscht und Taki mochte ihn nicht… Genervt stöhnte Daniel auf. Serdall war in letzter Zeit echt schwierig.
 

„Du bist kein Rabenvater, wobei ich dir bei dem unsensiblen Idiot fast zustimme. Allerdings nur manchmal, beispielsweise vorhin. Was ich aber eigentlich sagen wollte ist, dass du immer alles gut meinst, eben nur übertreibst. Aber lieber etwas zu fürsorglich, als zu wenig. Du hast ja mich, der dich stoppt, falls es zu viel werden sollte. Lass Taki jetzt einfach ein wenig mehr Freiraum für sich und alles ist wieder in Ordnung.“
 

„Ich fühl mich so scheiße“, eröffnete Serdall leise und sah Daniel leidlich in die Augen. Langsam wusste er gar nichts mehr. Die letzten Tage und die Sorge um Taki hatten ihn ziemlich geschlaucht und jetzt dieser Streit gab ihm auch noch den Rest. Dieser ganze Monat war einfach nur ein Reinfall gewesen. Erst der Horror mit Fei und jetzt, nachdem er Daniel endlich wieder hatte, stritten sie sich und er vernachlässigte Daniel. Serdall ließ die Decke von seinen Schultern gleiten und fasste zaghaft nach Daniels Händen. „Kannst du mir verzeihen, dass ich dich so schrecklich behandelt habe?“
 

„So gefällst du mir schon besser. Krieche zu meinen Füßen“, lachte Daniel, umarmte Serdall allerdings dann. „Klar kann ich dir verzeihen. Immerhin habe ich jetzt scheinbar wirklich meinen alten, kitschigen Serdall wieder.“ Lächelnd küsste Daniel ihn einmal kurz und seufzte dann glücklich auf. „Gut, was steht als nächstes auf der Liste mit den Sachen, die unbedingt erledigt werden müssen?“
 

„Wie wär‘s, wenn wir jetzt das machen, was wir eigentlich vorhatten?“, antwortete Serdall und ließ seine Hände sanft über Daniels Rücken gleiten. Er wollte seinen Fehler wieder gut machen. Liebevoll begann er sich an Daniels Hals entlang zu küssen und zog ihn mit sich in die Horizontale. Schlagartig begann sein Herz einen schnelleren Rhythmus einzuschlagen, als er Daniel auf sich spürte und dessen Geruch und Wärme ihn einzuhüllen begannen. „Ich liebe dich“, sagte er endlich und küsste Daniel tief. Er hatte das echt schon viel zu lange nicht mehr gesagt.
 

„Ich liebe dich auch“, kam Daniels prompte Antwort und er grinste Serdall anschließend keck an. „Man merkt, dass wir abstinent gelebt haben in den letzten Tagen. Dass du mal richtig gehend nach Sex verlangst, hätte ich auch nicht gedacht.“ Er fing sich für den frechen Kommentar einen spielerischen Schlag in die Seite von Serdall ein, küsste seinen Freund allerdings zur Ablenkung. Serdall seufzte in ihren Kuss und griff fest in Daniels Haare, um sich nachdrücklich von ihm zu lösen.
 

„Die Tür…“, murmelte er atemlos und rollte sich mit Daniel herum, um noch einmal aufzustehen, obwohl sein Freund unzufrieden seufzte. Er schloss ab. Lasziv blickend ging Serdall wieder zu Daniel und schob sich über ihn.
 


 

„Da seid ihr ja endlich“, entgegnete Dustin Daniel und Serdall, die gerade ins Wohnzimmer kamen, ziemlich glücklich im Gesicht. Mit den Augen rollend erhob sich Serdalls Schwager vom Sofa, auf dem Taki immer noch lag und fern sah. „Dafür kümmert ihr euch heute um das Mittagessen“, murrte er im Vorbeigehen und ignorierte Serdalls genervten Blick. Als Dustin auf Daniels Höhe war, gab er ihm einen Klaps auf den Po und registrierte mit sadistischer Genugtuung das leichte Zusammenzucken. „Ah ja. Der Himmel auf Erden ist wieder hergestellt“, zischte er ihm grinsend zu, ehe er weiterging. Daniel schüttelte grinsend den Kopf. Ehrlich, wann immer es um Sex ging, war Dustin auf dem Laufenden. Das war fast schon unheimlich.
 

„Setz dich zu Taki, ich mache essen“, meinte Daniel zu Serdall und verschwand in Richtung Küche. Er wollte ein paar Kompromisse eingehen und Serdall nicht die ganze Zeit von Taki fernhalten. Außerdem wäre sein Freund ihm, auch wenn er mit in die Küche kommen würde, ohnehin mehr im Weg als in irgendeiner Art und Weise helfen zur Hand. Als Daniel allerdings die Tür öffnete, stand Yoshiko schon am Herd und rührte in der Soße umher, während die Kartoffeln vor sich hin kochten.
 

„Hey, wie geht es dir?“, erkundigte sich Daniel auf Englisch und Yoshiko drehte sich etwas überrascht zu ihm um.
 

„Danke, eigentlich ziemlich gut“, kam die leise Antwort begleitet von einem schüchternen Lächeln.
 

„Kann ich dir irgendwie helfen?“, wollte Daniel wissen und sah in den dritten Topf, wo ein ziemlich gut duftender Braten vor sich hin brodelte.
 

„Nein, eigentlich nicht.“ Yoshiko schüttelte verneinend den Kopf. „Ich komm ganz gut klar, weiß ja schon, wo alles ist und muss auch etwas dafür tun, dass ich hier wohnen darf und bezahlt werde.“
 

„Gut, wie du meinst. Aber ruf mich zum Tisch decken.“ Daniel ging zurück ins Wohnzimmer und setzte sich neben Serdall auf das zweite Sofa, das nicht von Taki belegt war. Serdall legte einen Arm um ihn und hauchte einen sanften Kuss auf seine Wange.
 

„Scheint ja, als ob jemand dir zuvor gekommen ist“, meinte er leise lachend und sah kurz zu Taki, der schläfrig zum Fernseher schielte und zum Teil immer wieder die Augen schloss. Vielleicht war es wirklich nicht schlecht, dass Taki sich hier unten ein wenig Ablenkung suchte. So würde er sich nicht die ganze Zeit auf seine Krankheit konzentrieren können. Seufzend hauchte Serdall noch einen Kuss auf Daniels Ohrmuschel. Warum war er selbst nur immer so kurzsichtig, wenn es um seine Liebsten ging? Es tat ihm wirklich leid, was er Daniel wohl die letzten Tage angetan hatte mit seiner Ignoranz und er wollte es wieder gut machen. Daniel hatte sich so auf ihr Wochenende gefreut… „Wollen wir doch noch heut Nachmittag wegfahren?“, fragte Serdall ihn flüsternd. Kurz stockte Daniel.
 

„Du meinst das ernst, oder?“, fragte er etwas verwirrt. „Du meinst es echt ernst, was du sagst.“ Leise lachend schüttelte er den Kopf. „Also meinetwegen können wir fahren. Ich bin ja ohnehin ein sehr spontaner Mensch und ich wette, dass auch noch irgendwo eine Suite für uns frei sein wird.“
 

Serdall begann zu schmunzeln, auch wenn ihm schon wieder unwohl wurde. Es war ihm egal. Er vertraute Daniel und es würde schon gutgehen.
 

„Also, dann fahren wir nach dem Essen“, meinte er mit einem Zwinkern und platzierte einen Kuss an Daniels Hals. „Vorher gehe ich aber noch ein wenig Spielen. Sonst komme ich nicht mehr dazu.“ Serdall erhob sich und holte seine Geige vom Regal. „Willst du mit hochkommen?“, fragte er Daniel, als er vor ihm noch einmal stehen geblieben war.
 

Ein kurzer Blick zu Taki, der auf dem Sofa eingeschlafen war, genügte und Daniel stand nickend auf. Er ließ sich von Serdall an die Hand nehmen und nach oben führen. Im Schlafzimmer angekommen, wo die Decken auf dem Bett noch immer reichlich zerwühlt waren, setzte er sich in den bequemen Sessel in der Ecke und schloss schon einmal erwartungsvoll die Augen.
 

Serdall lächelte, als er Daniel so sitzen sah. Obwohl er seine Geige und den Bogen schon in den Händen hielt, schlich er sich an Daniel heran, nahm sein Instrument in eine Hand und beugte sich dann zu Daniels Gesicht. Sanft legte er eine Hand an seine Wange. Er liebte es, wenn Daniel so ruhig und entspannt seinem Geigenspiel zuhörte und schon davor so erwartungsvoll dasaß. Lächelnd legte er seine Lippen auf Daniels und ließ seine Hand in seinen Nacken wandern.
 

Daniel erwiderte den sanften Kuss und öffnete prüfend ein Auge. Er war im ersten Moment etwas erschrocken gewesen, nicht irgendeine faszinierende Melodie zu hören, sondern Serdalls Hand und dessen Lippen zu fühlen, doch der erste Moment des Schreckens war schnell vorüber.
 

„Wolltest du nicht spielen?“, fragte er Serdall leise.
 

„Nicht ohne mir noch eine kleine Inspiration zu holen“, erwiderte er sanft und ließ dann von Daniel ab, um ein paar Schritte zurück zu gehen. Seine Augen mit Daniels fixierend legte Serdall seine Geige auf seine Schulter und begann eine beschwingte Melodie, die sich in ihrer Virtuosität selbst übertraf. Flink tanzten Serdalls Finger über die Saiten, als ob sie nie etwas anderes getan hätten. Serdall verlor sich leicht in diesem Lied, ließ seine Gefühle mit den Tönen verschmelzen und begann verträumt zu lächeln. Er spürte, dass er seine Geige in den letzten Tagen zu selten gespielt hatte. Seine Finger brannten vor Freude und sein Körper kribbelte an jeder erdenklichen Stelle. Das war nur, wenn er zu wenig spielte und die letzten beiden Tage hatte er seine Geige nicht einmal angesehen.
 

Leicht erschauernd seufzte Daniel auf. Man merkte regelrecht, dass er nicht der Einzige war, der Serdall vermisst hatte, sondern auch die Geige hatte ihren Meister vermisst. Daniel musste auf Grund seiner Gedanken leicht lächeln und bewegte seine Finger im Takt der Melodie mit. Einige Zeit später, als auch die letzten Klänge in den Weiten des Zimmers verschollen waren, öffnete Daniel die Augen langsam einen Spalt breit und sah direkt in Serdalls Gesicht. Er fuhr etwas erschrocken zusammen.
 

„Man, warne mich das nächste Mal vor“, maulte er aus seiner Entspannung gerissen und setzte sich wieder normal hin.
 

„Prinzesschen“, murmelte Serdall leicht und küsste Daniel auf die gerunzelte Stirn. „Yoshiko ruft zum Essen“, meinte er schmunzelnd und nahm Daniel bei der Hand. Seine Geige hatte er schon wieder in seinem Geigenkoffer verstaut. Daniel hatte einige wenige Minuten einfach stillschweigend der Melodie nachgeträumt, wie es schien. Überglücklich legte Serdall einen Arm um Daniels Hüfte. Langsam wurde ihm wirklich klar, dass in den letzten Tagen etwas extrem falsch gelaufen war mit ihm. Aber sein Sohn hatte nun mal das Talent, ihn völlig vor Sorge aus der Bahn zu werfen. Daniel ja auch.
 

Eine Gänsehaut bildete sich auf Serdalls Armen, als er daran dachte, wie brutal er gegenüber Fei geworden war, weil er ihm mit Daniels Tod gedroht hatte. Daniel hatte irgendwo Recht. Vielleicht war er manchmal wirklich zu heftig in seinen Aktionen, aber er wusste sich eben nicht besser zu helfen. Wenn er es mal objektiv betrachtete, war er schon immer so gewesen. Er sah kurz auf seinen Geigenkoffer. Ja, er war schon als Kind so gewesen. Es grenzte wohl geradezu an Besessenheit, wie er sich in die Welt der Geigenklänge zurückgezogen hatte, nur um dieses Instrument perfekt zu beherrschen, die Töne aus seinem Kopf zu kanalisieren und sich mit seiner Geige einen Fluchtpunkt zu suchen. Genauso war es mit seiner Liebe. Wenn er liebte, dann ohne Zweifel, ohne Pause und ohne Unterlass. Nur stritt sich das Ganze, weil er eben Daniel und Taki hatte, die er über alles liebte. Nun, er hatte sich im ersten Moment für Taki entscheiden, als er krank wurde, doch das war unfair gegenüber Daniel gewesen… Er musste sich wirklich in dieser Hinsicht zusammenreißen.
 

Ende Kapitel 22
 


 

Und an dieser Stelle noch einmal ganz lieben Dank für all eure Reviews. ^^

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Kapitel 24
 

Daniel seufzte leise. Ehrlich, ab und an beneidete er Ethan und Dustin um ihre absolute Freizügigkeit wenn es um Sex ging. Die Zwei waren bestimmt nicht zum Kartenspielen nach oben gegangen. Er stellte seine Tasse in die Spülmaschine und kam dann Dustins Ratschlag nach, zu Serdall zu gehen. Kurz warf er noch einen Blick ins Wohnzimmer, wo sich Taki immer noch gut mit Yoshiko zu amüsieren schien, und ging dann in Richtung Schlafzimmer.
 

„Na du“, grüßte er Serdall, als er eintrat.
 

Serdall hob leicht den Kopf und sah zu Daniel. Er lag entspannt auf dem Bett und versuchte sich so ein wenig zu schonen. Seufzend ließ er sich wieder zurücksinken und streckte eine Hand nach Daniel aus. Er kam auf ihn zu und Serdall zog ihn zu sich. Daniel legte sich bequem neben ihn und sogleich umschlang der Violinist ihn mit den Armen.
 

„Hat er viel Mist gelabert?“, fragte er ihn leise, wobei seine Hände sich unter Daniels Pullover stahlen und federleicht über die weiche Haut strichen.
 

„Naja, es ging“, antwortete Daniel schulterzuckend. „Zumindest weiß er nicht sehr viel über die Einzelheiten, eben nur, dass wir mal die Positionen getauscht haben, was ihm aber schon von Anfang an klar gewesen sein muss. Als er zu aufdringlich wurde, kam Ethan und hat ihn mitgenommen.“ Daniel wurde leicht rot und grinste etwas verlegen.
 

„Wie zuvorkommend“, meinte Serdall leise und küsste Daniel auf die errötende Wange. „Ich hoffe für ihn, dass er dir nicht zu aufdringlich geworden ist“, zischte er eifersüchtig und schummelte ein Bein zwischen Daniels. Mit einem Ruck zog er Daniel eng an sich und fasste ihm besitzergreifend in die schwarzen Haare, um sein Gesicht in seine Richtung zu heben. „Oder warum bist du so rot?“
 

„Einerseits, weil ich weiß, was die beiden jetzt wohl gerade eine Etage tiefer treiben und andererseits… Dustin eben. Er kann seinen Mund nun mal nicht halten, aber heute meinte er wohl, mich auf alle Fälle in Verlegenheit bringen zu müssen. Aber wenn ich es mir jetzt von weitem betrachte, war es schon recht lustig irgendwie.“ Lächelnd schloss Daniel die letzte Distanz zwischen ihnen und küsste Serdall kurz auf die einladenden Lippen. „Na, schon so fit, dass wir Dustin und Ethan nacheifern können?“
 

„Müssen wir uns denn mit ihnen messen?“, fragte Serdall verwirrt und schob sich über Daniel und zwischen seine Beine. „Oder machst du mit Dustin eine Strichliste, wie oft ihr es im Jahr treibt?“ Grinsend verschränkte Serdall seine Hände mit Daniels und pinnte sie so über seinen Kopf fest. „Diese Vorstellung gefällt mir ganz und gar nicht, Daniel Erhard“, raunte Serdall bedrohlich und sah seinem Freund ernst in die Augen, wobei er sein Becken ganz bewusst eng an Daniels presste.
 

„Nein, ich…“ Daniel sah Serdall verwirrt an und ignorierte die körperlichen Reize erst einmal. „Ich wollte nur irgendwie neckend fragen, ob du dich gut genug für Sex fühlst oder nicht.“
 

„Ah ja“, zischte Serdall lasziv. „Es macht dich also an, wenn Dustin zur selben Zeit Sex mit Ethan hat wie du mit mir“, stellte er leise fest und ließ seine Zunge leicht über Daniels Oberlippe wandern. „Hier tun sich ja gerade Abgründe auf…“, flüsterte er gespielt empört und schüttelte leicht den Kopf.
 

„Was denkst du denn von mir?“, fragte Daniel halb amüsiert und halb verdutzt. „Was soll ich denn sonst denken, wenn du dich so auf mich legst, dein Bein an meinem Schritt, als dass du nicht scharf auf Sex bist? Zum Kuscheln legt man sich normalerweise anders hin.“ Er lachte kurz auf und küsste Serdall dann. Nachdrücklich stemmte sich Serdall ein wenig nach oben und entzog so seine Lippen.
 

„Ich will wissen, ob du wirklich so versaut bist, wie ich gerade vermute“, meinte er ernst und legte den Kopf leicht schief. „Ich finde es nämlich ziemlich abtörnend zu wissen, dass Dustin gerade mit Ethan rummacht“, gestand er ehrlich und rollte sich wieder von Daniel herunter, um sich neben ihn zu legen. Grummelnd drehte Daniel sich ebenfalls auf die Seite. Er hätte nichts gegen ein wenig Sex gehabt, aber wenn Serdall das klären wollte, klärten sie das eben.
 

„Ich denke, ich bin recht versaut, wenn ich die Gelegenheit dazu habe“, gab Daniel zu. „Allerdings ist es mir ziemlich egal, was Dustin und Ethan unter uns machen, ob sie überhaupt was machen und ob sie es allein machen oder mit noch irgendwem. Ich bekomme davon ja nicht wirklich was mit und darum beschäftigt es mich nicht.“
 

„Wenn es dich nicht beschäftigt, warum erwähnst du es dann?“, entgegnete Serdall. Die Welt funktionierte eben in seine Augen nach dem Ursache-Wirkungsprinzip. Irgendwas musste ja Daniel dazu bewegt haben, dass er es ihm erzählen musste, sonst hätte er dieses Detail auch auslassen können. Langsam etwas genervt setzte Daniel sich auf.
 

„Ich habe dir doch gesagt, warum ich die beiden mit eingebracht habe. Sie schlafen nun mal wahrscheinlich gerade miteinander und ich habe sie deswegen einfach in meinen Satz integriert, weil ich dachte, dass wir auch demnächst Sex haben werden. Man.“ Fahrig fuhr er sich durch die Haare.
 

„Tolle Assoziationen“, knurrte Serdall beleidigt. Er hasste es immer noch, wenn Daniel über Dustin sprach, wenn sie zusammen in diesem Zimmer waren. Überhaupt hasste er es, wenn Daniel über andere Männer sprach. Er dachte, das wüsste Daniel, aber er war wohl selbst wieder nur zu empfindlich. Daniel massierte sich kurz den Nasenrücken, um wieder runterzukommen und sah dann wieder zu Serdall.
 

„Du warst noch gar nicht bei Taki“, stellte er fest, um das Thema zu wechseln. „Er ist im Wohnzimmer und Yoshiko beschäftigt sich mit ihm. Ich habe gehört, dass er in ihr eine richtige Konkurrenz bei den Videospielen gefunden hat.“
 

„Schön“, kommentierte Serdall diese Feststellung neutral und musterte Daniel genau. „Du weißt, dass ich eifersüchtig bin?“, fragte er seinen Freund und sah ihm offen in die Augen. Er würde das Thema jetzt nicht so einfach vorbeigehen lassen, ohne es zufriedenstellend geklärt zu haben. „Und ich bin enttäuscht, weil du wieder einfach ablenkst, anstatt mit mir zu reden.“
 

Etwas verwirrt sah Daniel seinen Freund an.
 

„Eifersüchtig?“, fragte er. „Aber warum denn und auf wen überhaupt? Es besteht ja wohl noch nicht mal mehr ein Prozent Gefahr, dass ich mit irgendwem aus diesem Haus etwas anfangen würde. Außerdem habe ich das nie gesagt, sondern einfach Dustin und Ethan in einen meiner Sätze mit eingebracht. Außerdem finde ich es unnötig über etwas zu streiten, das wohl ohnehin zu keinem Ergebnis kommt.“
 

Serdall nickte und stand auf, um nachdenklich zur Balkontür zu gehen. Er sah kurz hinaus, um die Gedanken in seinem Kopf zu ordnen, ehe er sich wieder zu Daniel umdrehte.
 

„Also ist es sinnlos mit mir über Dinge zu sprechen, die ich vielleicht als wichtig erachte?“, meinte er leise. „Und ich bin nicht grundlos eifersüchtig. Mit Dustin scheinst du ja über alles reden zu können. Mit mir scheinbar nicht mehr.“ Das nagte schon seit Samstag an ihm. Irgendwie kam es ihm wirklich so vor, dass Daniel mit Dustin besser sprechen konnte als mit ihm. „Ich sehe das erst jetzt, nachdem du mich diese Sache mit dem Sex gefragt hast. Selbst da musste ich betrunken sein und trotzdem hast du noch vor meiner Reaktion Angst gehabt. Bin ich denn echt so schlimm?“
 

„Irgendwie schon“, nuschelte Daniel. „Es ist nicht so, dass ich mit Dustin besser reden kann, sondern über andere Dinge. Ich habe das Gefühl, dass das Thema Sex bei dir okay ist, wenn man ihn praktiziert, aber verbal ist es ein Tabuthema. Mit Dustin kann ich eben darüber reden. Er ist da lockerer. Das kann wohl keiner bestreiten.“ Daniel hoffte, dass er seine Ansichten einigermaßen gut klargemacht hatte. Es war nun mal so, dass Sex für ihn ein Thema war, über das man auch mal sprechen musste. Zumindest bei Dustin führte es zu lockeren Diskussionen und gut gemeinten Neckereien. Das wollte er nicht missen. Wütend verschränkte Serdall die Arme.
 

„Und das ist das, was mich eifersüchtig macht“, zischte er leise. „Klar bin ich in der Hinsicht nicht so offen wie Dustin, trotzdem finde ich es unangebracht, dass du erst zu Dustin rennst, bevor du überhaupt im Ansatz mit mir darüber redest. Ich liebe dich und wenn du dir etwas wünschst, dann möchte ich dir diesen Wunsch auch erfüllen, solange es machbar ist. Auch wenn es solche Dinge sind, wie das du mit mir mal schlafen willst. Aber ich finde es furchtbar, wenn du mich lieber außen vor lässt und mir vorgaukelst, dass alles heile Welt ist, nur um dein Harmoniebedürfnis zu befriedigen. Solange es um uns geht, werde ich dir sicherlich nicht den Kopf abreißen, wenn du mich was fragst.“
 

„Es hatte sich halt zu dem Zeitpunkt ergeben, dass Dustin und ich auf das Thema zu sprechen gekommen sind. Ich bin nicht zu ihm gerannt, um ihn zu fragen, was er davon hält, wenn ich mal mit dir schlafe. So krass bin dann selbst ich nicht. Aber selbst wenn ich zu ihm gegangen wäre, ich wette, dass du mir garantiert den Vogel gezeigt hättest, wenn ich einfach so mit dir darüber gesprochen hätte, oder?“
 

„Hätte ich nicht!“, rief Serdall aufgebracht. „Ich sehe ein, dass ich manchmal engstirnig bin, aber hast du echt solch eine Angst mit mir über Dinge zu reden? Langsam befürchte ich nämlich, dass die ganze Sache uns schon zeigt, wie viel wir in der Hinsicht besprechen. Nämlich gar nichts“, zischte er über sich selbst angeekelt. „Vielleicht möchtest du mal Dustins Zeug ausprobieren, das er dir zum Geburtstag geschenkt hat? Oder irgendetwas Anderes, was dir gefallen würde, aber bei dem du einfach denkst, ich bin zu konservativ und unschwul, um das zu tun?“ Nervös ging Serdall auf Daniel zu und setzte sich wieder neben ihn. „Ich habe Angst, dass du wieder irgendwie leidest, nur weil du dich nicht traust, mir etwas zu sagen. Genauso wie die letzten Tage, wo ich dich kaum beachtet hab.“ Zaghaft griff er nach Daniels Hand und nahm sie in seine, wobei seine Augen verfolgten, wie sein Daumen über Daniels Handrücken strich. „Versprich mir, dass du nicht immer alles in dich hineinfrisst wenn was ist, okay?“
 

Eine Zeit lang sah Daniel Serdall in die Augen und nickte dann.
 

„Tut mir leid“, meinte er zögernd. „Ich glaube, ich hätte dich wirklich mehr mit einbeziehen sollen. Mehr als nein sagen kannst du auch nicht, stimmt’s?“ Er atmete kurz tief durch und sammelte seine Gedanken. Da war tatsächlich so einiges, über das er eigentlich mal mit Serdall sprechen wollte. „Also“, fing er zögernd an und bekam die Bestätigung aus Serdalls noch immer über seinen Handrücken fahrende Finger. „Du hast eigentlich den Nagel schon ziemlich gut auf den Kopf getroffen. Ich wäre wirklich nicht dagegen abgeneigt, wenn wir mal etwas Neues ausprobieren. Deswegen ja auch mal der Rollentausch gestern. Der Sex mit dir ist schön, daran besteht kein Zweifel, aber etwas frischer Wind wäre mal ganz angenehm, denke ich.“
 

Serdall nickte. So war das schon besser.
 

„Gut. Und was schwebt dir ungefähr vor?“ Er war irgendwie schon neugierig, was Daniel sich denn so vorstellte. Natürlich konnte er nein sagen, wenn es ihm absolut nicht behagte, aber er würde nicht von vornherein alles ablehnen. „Aber“, fügte er noch leise an, bevor Daniel zu sprechen ansetzen konnte, „kein sadomasochistisches Zeug und irgendwelche Dinge, die andere Personen mit einschließt, ja? Übertreiben müssen wir es ja nicht.“
 

„Nein, ich möchte auch lieber mit dir allein bleiben“, erwiderte Daniel. Er war etwas überrascht, dass Serdall die ganze Sache so gut aufnahm. Scheinbar hätte er tatsächlich einfach mal vernünftig mit seinem Freund sprechen sollen, anstatt alles mit sich selbst auszumachen. „Die Handschellen haben wir beispielsweise einmal benutzt, danach aber nie wieder, da Dustin beim ersten Mal den Schlüssel bei sich behalten hatte. Aber jetzt haben wir ihn ja, also steht doch eigentlich nichts mehr im Weg. Oder die Augenbinde. Ich finde es ist was total anderes, wenn man eben gezwungen ist nichts zu sehen und nicht nur, weil man die Augen freiwillig schließt. Naja, oder vielleicht könnten wir auch, aber das ist schon ein wenig extremer, mal einen Dildo ausprobieren. Es ist bestimmt ziemlich klasse, wenn du mir einen bläst und gleichzeitig…“ Daniel brach errötend ab. Jetzt merkte man garantiert, dass er sich ziemlich viele Gedanken über das Thema gemacht hatte.
 

Serdall atmete tief durch, ehe er leicht lächelte. Das war also das, was Daniel wollte. Eigentlich alles noch ziemlich harmlos, wenn man es mal so betrachtete.
 

„Es ist bestimmt sehr anziehend, wenn ich dich oral verwöhne“, flüsterte Serdall anzüglich und legte seine Hand auf Daniels Brust, um ihn rückwärtig auf das Bett zu drücken, „und du dir noch dazu vorstellen kannst, dass ich in dir bin.“ Trotz seiner gefassten Art, verrieten seine roten Wangen, dass er es wirklich versuchen wollte. „Und die Handschellen finde ich auch gar nicht schlecht. Ich mag es, wenn du glaubst die Kontrolle über mich zu haben“, meinte er schäkernd und seine Hände wanderten unter Daniels Pullover, um aufreizend über die flache Brust zu streichen. „Wann willst du denn was ausprobieren?“, fragte er ihn flüsternd und küsste sich neckisch über Daniels Halspartie.
 

„Du willst das echt durchziehen“, stellte Daniel leicht erstaunt fest und legte den Kopf schief. „Nun, in Anbetracht deines angeschlagenen körperlichen Zustandes würde ich mal davon abraten, alles noch heute zu machen, da dann der ganze Spaß ja auch auf einmal weg ist. So nach und nach ist wohl das Beste und vielleicht fällt uns auch noch etwas ein.“
 

„Vielleicht sollten wir lieber selbst einen Katalog bestellen und uns etwas aussuchen? Finde ich besser, als auf die Dinge zu vertrauen, die Dustin dir geschenkt hat“, meinte Serdall ehrlich und etwas peinlich berührt. In einen Sexshop würde er unter Garantie nicht gehen, aber wozu gab es denn das Internet, um irgendetwas zu bestellen? Da blieb einem zumindest jegliche Peinlichkeit erspart. Seufzend machte sich Serdall an Daniels Hose zu schaffen und zog sie forsch nach unten. „In Anbetracht meines angeschlagenen körperlichen Zustandes“, fügte Serdall noch an, „blas ich dir jetzt einen“, sagte er ziemlich versaut, ehe er begann Daniel oral zu verwöhnen.
 

Daniel konnte gar nicht so schnell gucken, wie er Serdalls Mund an seinem Glied fühlte. Stöhnend griff er mit einer Hand ins Kopfkissen und ließ die andere durch den schwarzen Haarschopf in seinem Schoß gleiten.
 

„Ich glaube, das ist ein guter Anfang“, stellte er abgehackt keuchend fest und schloss genießend die Augen. Serdall war einfach unglaublich talentiert oder zumindest im Laufe der Jahre schon sehr geübt in dem, was er tat und so dauerte es nicht lange, bis Daniel in Serdalls Mund kam. Serdall schluckte das Sperma, ehe er Daniels Hose wieder hoch und ihn ordentlich anzog. Lächelnd legte er sich neben Daniel, der noch ziemlich keuchend dalag und dann sofort in seine Arme kroch. Liebevoll strich Serdall über seinen Rücken und küsste den schwarzen Haarschopf. Irgendwie fühlte er sich erleichtert, dass sie endlich richtig miteinander gesprochen hatten. Es war doch zu merken gewesen, dass es zwischen ihnen gestanden hatte, nur richtig aufgefallen war es Serdall in der letzten Woche. Er hoffte, dass Daniel nun öfter von sich aus zu ihm kam und er selbst auch nicht immer alles allein zu klären versuchte.
 

„Das war schön“, murmelte Daniel jetzt total entspannt. „Hast du heute noch irgendwas vor? Denn wenn nicht möchte ich jetzt einfach ein wenig so liegen bleiben.“ Er zog die dünne Tagesdecke über sie beide und machte es sich wieder halb neben, halb auf Serdall bequem. Er konnte sich dafür in den Hintern treten, dass er versucht hatte alles mit sich selbst auszumachen. Serdall und er waren jetzt fast zwei Jahre zusammen und immer noch wussten sie nicht gänzlich, was genau man mit dem jeweils Anderen besprechen konnte und was nicht. Aber das würde sich jetzt ändern. Bestimmt.
 

„Ich bin auch dafür, dass wir uns ein wenig entspannen. Meinem Hintern zuliebe“, entgegnete Serdall grinsend und ließ seine Hände beruhigend über Daniels Körper gleiten. „Gibt es noch etwas außer dem Sex, was du mit mir besprechen willst?“, fragte Serdall leise. Er wollte einfach auf Nummer sicher gehen, dass Daniel auch wirklich glücklich mit ihm war, jetzt wo endlich wieder alles in Ordnung war zwischen ihnen.
 

Daniel atmete einmal tief durch. Serdall ließ wieder diverse Themen in seine Gedanken springen, über die er öfter mal nachgedacht hatte, die aber in dem ganzen Trubel der letzten Zeit untergegangen waren.
 

„Nun, da gibt es um ehrlich zu sein so einiges. Am besten ich zähle alles mal auf und du suchst dir aus, womit wir anfangen. Da wäre einmal der Punkt, dass wir öfter zusammen weggehen wollten. Vielleicht könnten wir in eine Disko oder irgendeine Bar gehen. Dann wollte ich die Sache mit einem Adoptivkind noch mal ansprechen und zum Schluss wäre da noch Kai.“ Er wusste, dass es ziemliche Brocken waren, die er Serdall vor die Füße warf. Alle drei Themen schienen ihm nicht besonders angenehm zu sein, aber wenn sein Freund schon fragte, ob er noch über etwas sprechen wollte, dann konnte er auch ehrlich darauf antworten, gerade nach ihrem Gespräch von eben.
 

Serdall verspannte sich leicht, doch er versuchte innerlich Ruhe zu bewahren. Sie würden nur darüber reden, das hieß nicht, dass man etwas beschloss. Er wollte mit dem Thema anfangen, das ihn am meisten verwirrte, dass Daniel darauf noch einmal zu sprechen kommen wollte.
 

„Was ist mit Kai“, fragte er und spuckte diesen Namen regelrecht aus. Er seufzte im nächsten Moment jedoch. Wenn er genauer darüber nachdachte und Daniels Wesen dabei einbezog, dann kam er ganz allein darauf, was Daniel da noch wollte. „Lass mich raten, du willst dich erkundigen, wie es ihm geht?“
 

Daniel seufzte und nickte leicht.
 

„Weißt du, trotz allem was war hatten wir in der Woche doch so was wie Freundschaft geschlossen. Wir haben viel unternommen und die ganze Zeit aufeinander gehockt. Ich weiß, dass Kai viel Scheiße gemacht hat, aber auch bei solchen Sachen wie Drogen gehören dazu eben immer zwei. Mit seinen letzten Taten hat er versucht, mich irgendwie an sich zu binden. Er hat sich in mich verliebt, ich glaube, das ist wohl klar geworden. Es war wohl nicht die glücklichste und beste Art und Weise, aber wer handelt aus Verzweiflung heraus noch logisch?“
 

„Und was willst du damit bezwecken, wenn du ihn noch einmal besuchst?“, fragte Serdall sachlich und starrte an die Decke. „Ehrlich, wenn ich mich nun in seine Situation reinversetze, tust du ihm nur mehr weh, als es der Schuss ins Bein getan hat. Sieh es doch mal so. Du setzt ihm dich vor, du entschuldigst dich bei ihm und er ist vielleicht gerade dabei über dich hinwegzukommen. Es wäre sehr egoistisch, wenn du das tust“, erklärte er seinem Freund und strich ihm durch die Haare. Kai schien jemand zu sein, der sich an das letzte Fünkchen Hoffnung klammerte, so wie er es mit der Kokaintüte versucht hatte. Aber Serdall hatte ihm diese Hoffnung sicherlich zerschlagen. Wenn Daniel nun aber wieder zu Kai rannte, würde da wieder etwas keimen, was diesem Wunschdenken nahekam.
 

„Ich weiß nicht“, murmelte Daniel überlegend. „Ich glaube er fände es schon ganz gut, wenn ich vorbeikommen würde. Auf einmal weg vom Fenster ist auch etwas krass. Außerdem denkt er, dass du ein ganz böser Kerl bist, der mir zuhause irgendwas antut und ehrlich gesagt hast du diese Meinung mit deinem Auftritt auch bestätigt.“ Daniel funkelte Serdall kurz böse an, beschloss aber, dass sie dieses Thema ausführlich diskutiert hatten. Jetzt standen andere Dinge im Vordergrund. „Jedenfalls will ich eigentlich nicht nur hin, um mich zu entschuldigen. Ich weiß gar nicht, ob ich mich überhaupt entschuldigen soll, denn ich habe weder Kokaintütchen in fremde Jackentaschen geschmuggelt, noch habe ich andere Leute angeschossen. Eher möchte ich wirklich sehen, wie es ihm geht und ehrlich gesagt die Freundschaft trotz allem auch weiterführen, egal was du sagst. An und für sich ist Kai nämlich echt in Ordnung.“
 

„Ich weiß, dass ich dir nicht vorschreiben kann mit wem du befreundet sein willst, aber ich sage dir gleich, er wird sicherlich nicht klein bei geben, wenn du ihm jetzt die Hand reichst.“ Serdall seufzte leise. Eigentlich wollte er Daniel lieber anschreien, ihm eine Ohrfeige geben, damit er einsah, was dieser Kai fast provoziert hatte. „Du weißt ja, was du aufs Spiel setzt. Aber ich verstehe nicht, dass dir diese Freundschaft das Risiko wert ist, mich zu verlieren. Wer sagt dir denn, dass Kai dir nicht irgendwann mal etwas heimlich in deinen Kakao in der Mensa mixt? Du vertraust den Leuten viel zu schnell, Daniel“, murrte Serdall traurig und strich Daniel weiterhin durch die Haare. „Und ich gebe dir nur noch diese Chance. Noch einmal irgendwelche Drogen, Sex oder Küsse mit anderen Personen als mir…“, drohte er leise, brach jedoch letzten Endes ab. Daniel wusste, worum es ging.
 

„Ja, ich weiß“, meinte Daniel leise und fuhr Serdall einmal wehmütig lächelnd über das Gesicht. „Doch ich bin wohl so eine Person, die teilweise einfach alles haben will. Diese Freundschaft und dich. Ich werde aufpassen und du bist ja auch noch da, der mich zurechtweist, wenn ich es doch übertreiben sollte. Außerdem ist noch nichts entschieden. Wir müssen einfach mal sehen wie das Gespräch verläuft. Wenn du magst, kannst du mitkommen, aber ich würde doch lieber allein mit ihm reden. Aber ich denke, es spricht nichts dagegen, wenn du im Auto wartest, falls du mich nicht allein lassen möchtest.“
 

„Ich möchte nicht, dass du allein mit ihm bist. Kai ist eine von den Personen, denen ich keinen Meter traue“, erwiderte Serdall sauer. Er würde es nicht noch einmal riskieren, dass sich Daniel irgendetwas von diesem Kai andrehen ließ. Er wäre vollkommen bescheuert, wenn er Daniel allein mit diesem Kai ließe und im Wagen dann Däumchen drehte. „Und dir kann ich in Bezug auf ihn auch nicht trauen. Ehrlich, nach all dem, was du mit ihm getrieben hast… Daniel ich habe es auf den Bildern gesehen, da kann ich nicht einfach irgendwo warten, während du mit ihm allein bist.“
 

Verdutzt sah Daniel Serdall an.
 

„Welche Bilder?“
 

„Welche Bilder wohl? Die von Feis Detektiv“, murrte Serdall und sah finster zu Daniel. „Bilder, auf denen du dir Koks durch die Nase ziehst, dich mit Kai küsst und er dich in irgendeiner runtergekommenen Toilettenkabine vögelt“, zischte er wütend und ballte augenblicklich die Hände. All dies sprang ihm wieder vor die Augen und es machte ihn minder gesagt rasend vor Wut, dass Daniel allein dachte, wieder in die Nähe von diesem Kerl zu gehen. „Was glaubst du denn, warum ich mir eine Kugel in den Kopf jagen wollte? Sicher nicht, weil ich nur einen Bericht darüber gelesen habe“, zischte er richtiggehend verärgert.
 

„Davon gab es Bilder?“, fragte Daniel ziemlich geschockt und setzte sich jetzt doch auf. Sowas konnte er schlecht im Liegen diskutieren. Es war schon schlimm genug gewesen zu wissen, dass Serdall irgendwie davon erfahren hatte, aber es war logisch. Wenn jemand sie gesehen hatte, dann bestimmt nicht zufällig. Jetzt konnte er Serdalls Ausraster wenigstens ein klein wenig verstehen, wenn er ihn auch immer noch für unverhältnismäßig hielt.
 

„Nein, ich reime mir das gerade zusammen“, erwiderte Serdall zynisch und starrte weiterhin an die Decke. Es hatte ihm sozusagen das Herz gebrochen, als er Daniel so sehen musste, gerade nachdem er so viel für ihn erdulden musste. „Deswegen kann ich diesen Kai nur hassen“, flüsterte er wütend und schloss unruhig die Augen. Seine Hände waren immer noch geballt und lagen zitternd zu seinen Seiten.
 

Daniel war jetzt doch langsam etwas unsicher. Er konnte verstehen, wie schwer es für Serdall sein musste, dass er immer noch zu Kai gehen wollte. Allerdings würde es sein Gewissen ungemein beruhigen, wenn er Kai zumindest noch einmal sah.
 

„Langsam wird mir klar, wie schwer das alles für dich war. Mehr als ohnehin schon“, wandte Daniel sich wieder an seinen Freund. „Trotzdem würde ich mich viel besser fühlen, wenn ich wenigstens weiß, dass es Kai gut geht. Also bitte lass mich zu ihm gehen. Begleite mich, wenn du willst, aber bitte tu ihm nichts, okay? Bitte?“
 

Es trat eine kurze Stille ein, in der Serdall nachdrücklich seine Hände etwas lockerte und seine Augen wieder öffnete. Er setzte sich ebenfalls leicht auf, wobei er sich auf die Ellen stützte, ehe er Daniel endlich ins Gesicht sah. Seine Augen wanderten einen Moment unstet über das hübsche Gesicht, das nun ein Bettelblick zierte.
 

„In Ordnung. Ich werde ihm nichts tun, solange er dir nichts tut“, erwiderte Serdall ergeben. Ein glückliches Lächeln breitete sich auf Daniels Gesicht aus.
 

„Danke, das bedeutete mir wirklich viel“, flüsterte er leise und hauchte einen kleinen Kuss auf Serdalls Lippen, bevor er sich wieder neben seinen Freund legte. Er war echt froh, dass er für sich das Thema Kai abhaken konnte. Oder eben weiterführen, je nachdem, wie sich das Gespräch entwickelte. Mit Serdall in seinem Rücken würde es wohl etwas zwanghaft werden, aber besser als gar nichts.
 

„Wenn du meinst.“ Serdall hatte ein ungutes Gefühl dabei, doch es wäre schlimmer, wenn Daniel nur wieder unglücklich war, weil sein schlechtes Gewissen ihn plagte. „Und das mit dem Adoptivkind ist hoffentlich nicht dein Ernst“, lenkte Serdall zum nächsten Punkt, den Daniel angesprochen hatte. „Du bist schließlich gerade noch ein Student, ohne Mittel und mit begrenzter Freizeit“, erklärte er. Serdall würde selbst nicht die Sorge von diesem Kind übernehmen. Taki war sein Sohn und damit war er vollkommen zufrieden. Daniel verzog etwas unglücklich das Gesicht. So genau hatte er ehrlich gesagt noch nicht darüber nachgedacht, aber zumindest schon ein wenig.
 

„Wenn ich ehrlich bin hatte ich gedacht, dass alles ähnlich wie bei Taki laufen könnte, also dass du dich um das Kind kümmerst, wenn ich nicht da bin. Und an einen Säugling habe ich ohnehin nicht gedacht. Außerdem dauert es wenn man Pech hat ohnehin ein paar Jahre, bevor es letztendlich zur Adoption kommt. Vor allem bei einem schwulen Pärchen“, grummelte Daniel und rümpfte die Nase.
 

„Da muss ich dich leider enttäuschen, Daniel. Es wäre eine Zumutung für mich, dass ich mich um ein sozusagen fremdes Kind kümmern müsste, das nicht so pflegeleicht ist wie Taki. Schließlich sind Kinder aus dem Waisenhaus wohl eher Rabauken und sehr anstrengend. Überleg dir das bitte gut. Du wirst als Lehrer irgendwann genug Kinder um dich herum haben und Taki liebt dich doch auch, zwar nicht als Mutter, aber wohl wie eine zweite Vaterfigur. Das hast du ja am Samstag gesehen, oder?“
 

„Ja, du hast wohl recht“, erwiderte Daniel seufzend. Er hatte in seinem weiteren Leben wohl wirklich mit genug Kindern zu tun, momentan ohnehin keine Zeit und Taki war auch noch da, wie Serdall schon gesagt hatte. Nur irgendwie hatte er kurzzeitig das Verlangen nach etwas eigenem gehabt. Also jetzt nicht von einer eigenen Vaterschaft her gesehen, aber sein Name auf den Adoptionspapieren hätte schon etwas hergemacht. Auch wenn der Zeitpunkt nicht ganz so günstig war, wollte er dann auch nicht als Mittdreißiger Adoptivvater werden und auf die Rente zustreben, wenn sein Kind gerade mal erwachsen wurde. Es war aber wohl gut so, wie es im Moment war.
 

„Kommen wir dann zum dritten Punkt?“, fragte Daniel grinsend. Serdall knurrte leise.
 

„Du weißt, dass die Musik in einer Disko mir echt einen Hörsturz gibt?“ Er zog Daniel am Kragen zu sich und küsste ihn auf die Lippen. „Und ich nehme an, dass wir in eine dieser Schwuppenläden gehen, wenn wir denn gehen?“
 

„Erstens gibt es nützliche Erfindungen wie zum Beispiel Ohropax, wenn deine armen Ohren es tatsächlich nicht aushalten sollten. Zweitens gehen wir natürlich in eine Schwulenbar oder eine Schwulendisko, wenn wir schon gehen. Da kannst du dann mal deine Aggressionen ausleben.“ Lachend wich Daniel dem gespielten Schlag aus.
 

„Welche Aggressionen?“, murrte Serdall und legte seine Hand an Daniel Hinterkopf, um ihn zu sich zu ziehen. „Wir können es ja einmal probieren. Aber rechne nicht damit, dass ich tanze oder dich von meiner Seite weichen lasse.“
 

„Nun, ich würde mal sagen entweder oder. Du wirst doch wohl nicht von mir erwarten, dass ich den ganzen Abend an der Bar stehe, wenn ich dich auf der Tanzfläche schwitzen sehen kann?“
 

„Vergiss es. Du kannst von mir aus vor der Bar rumhopsen wenn es sein muss, aber ich lass dich doch nicht zu den ganzen Typen auf die Tanzfläche.“ Serdall zeigte Daniel einen Vogel. „Und mich spastisch bewegen werde ich auch nicht. Wir können ja Dustin und Ethan mitnehmen. Aber du darfst dann nur mit Ethan tanzen“, meinte er leise. Das war dann aber auch eine Ausnahme. Ethan würde Daniel nicht unnötig anfassen. Zum Glück hatte der Kleine noch Respekt vor Serdall.
 

„Das ist zumindest ein kleiner Kompromiss. Aber was passiert in der Zwischenzeit mit Dustin? Willst du echt den ganzen Abend mit ihm an der Bar sitzen?“ Neckisch pikste Daniel Serdall in die Seite.
 

„Solange es Scotch gibt und ich ein Auge auf dich habe, ist mir das alles egal“, meinte Serdall ernst und stach Daniel ebenfalls mit dem Finger in die Seite. „Und Dustin kriegt eins auf die Nase, wenn er mir zu blöd wird“, murrte er weiter und ließ sich wieder in die Kissen sinken.
 

„Das wird dort wahrscheinlich keinen stören. Ich glaube, die sind das gewohnt, dass es ab und an mal etwas handgreiflich wird. Am liebsten würde ich heute schon los, aber wir verlegen es wohl auf nächstes Wochenende. Schließlich habe ich Uni. Aber zu Kai würde ich morgen gern. Ist das okay?“
 

„Erst nachdem wir beim Arzt waren und die Fäden von deinem Handgelenk entfernt sind“, murmelte Serdall und fasste Daniels Linke, um vorsichtig über das Pflaster zu streichen. „Du hast keine Schmerzen oder so, wenn du sie bewegst?“
 

„Nein, eigentlich nicht mehr. Ab und an ziept es ein wenig, aber das liegt wohl an den Fäden. Wann sollten sie gezogen werden? Ich habe das letzte Mal beim Arzt irgendwie nicht so richtig zugehört. War wohl zu abgelenkt von der Impfung, die er mir gleich noch verpasst hat.“ Schaudernd schüttelte Daniel sich kurz.
 

„Naja, nach anderthalb Wochen solltest du sie entfernen lassen, meinte er. Wir lassen

das halt gleich morgen machen.“ Daniel an sich ziehend schloss Serdall ihn in die Arme. Die Erinnerung an jenen Tag machten ihn immer noch Magenschmerzen und es war einfach nur wieder Kais Schuld, dass Daniel so weit gehen musste, um Serdall von dem Wahrheitsgehalt seiner Aussagen zu überzeugen.
 

„Hm, hoffentlich tut es nicht weh. Es gibt doch diese selbstauflösenden Fäden, warum wenden sie die nicht an? Wäre doch um ein Vielfaches praktischer.“ Grummelnd kuschelte Daniel sich in Serdalls Arme und gähnte verhalten. Es war erst früher Abend, aber er war trotzdem irgendwie müde.
 

Liebevoll strich Serdall mit den Fingerspitzen über Daniels Rücken, während er nachdenklich an die Decke sah. Er wollte diese ganze letzten Wochen, in denen Daniel mit diesem Kai angebandelt hatte, einfach nur vergessen und es nicht immer wieder vorgehalten bekommen, nur weil sein Freund in diesem Dealer einen guten Kumpel gefunden hatte. Minder gesagt machte es ihn fast wahnsinnig, dass Kai Daniel noch so wichtig war. Warum? Das konnte Serdall gefühlsmäßig rein gar nicht nachvollziehen. Dieser Kai war Abschaum, mehr nicht.
 

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Der Montag kam nach Serdalls Geschmack viel zu schnell. Er war schon am Vormittag schrecklich gereizt und Daniel mied ihn in dieser Phase. Sein Freund machte gerade das Mittagessen zusammen mit Yoshiko, als es an der Haustür klingelte. Serdall ging mit finsterem Blick zur Tür und sah sich dann einem Postboten gegenüber, der ein kleines Paket in den Händen hielt. Mit hochgezogener Augenbraue registrierte Serdall die japanischen Schriftzeichen auf dem Päckchen, nachdem er dem Postboten die Übernahme bestätigt hatte. Verwirrt ging Serdall ins Wohnzimmer und setzte sich auf das Sofa. Er war allein und so konnte er ungestört das an ihn adressierte Paket öffnen. Was zum Vorschein kam, gab ihn einen mittelschweren Schock. Das Paket war natürlich von Fei, aber der Inhalt… Warum schickte sein Bruder ihm Schmuck? Ziemlich verdutzt öffnete Serdall die kleine Schatulle und starrte nun fassungslos auf die zwei gleichen Ringe in Platin, die Daniels und Serdalls Namen in Kanji auf jeder Ringinnenseite beherbergten.
 

„Bist du jetzt total verrückt?“, fragte Serdall leise in den Raum. Was dachte sich Fei denn bei diesem Mist? Eilig schloss Serdall die Schatulle, als er Schritte auf dem Flur hörte. Die Bedeutung, die dahinter stand war klar, aber was mischte sich Fei da ein?
 

Kopfschüttelnd ging Serdall zu seinem Geigenkoffer und legte das kleine Kästchen hinein. Hier würde es Daniel wenigstens nicht finden und kein anderer außer ihm selbst berührte seine Geige. Er presste die Lippen hart zusammen, als er zum Telefon griff und Fei anrief. Es war ihm bewusst, dass es schon Abend in Japan war, doch das störte ihn im Moment überhaupt nicht. Doch statt Fei ging irgendein Untergebener ran. Fauchend verlangte Serdall nach seinem Bruder.
 

„Der Oyabun ist verhindert“, erklärte der Mann, den Serdall nicht kannte.
 

„Er soll mich anrufen, sobald er Zeit hat“, erwiderte Serdall, ehe er auflegte und das schnurlose Telefon auf das Sofa feuerte. „Scheiße“, zischte er genervt. Was erwartete sein Bruder denn jetzt von ihm? Das er sich mit Daniel verlobte? War er denn von Sinnen? Serdall strich sich fahrig durch die Haare, als er sich kraftlos in den Sessel sinken ließ. Erst machte Fei alles zwischen ihnen kaputt und jetzt das?
 

Er konnte nicht behaupten, dass ihm das gefiel. Klar liebte er Daniel, aber irgendwie hatte er das Gefühl, dass dieser Kai immer noch zwischen ihnen stand, besonders weil Daniel darauf zu bestehen schien, weiter mit ihm befreundet zu sein. Mittlerweile war das Gefühl der Eifersucht in ihm schier unermesslich. Daniel hatte ihm zwar bewiesen, dass er ihn liebte, auch wenn es auf drastische Weise geschehen war, aber diese Geschichte mit Kai machte Serdall fertig.
 

Wären es nur die Drogen gewesen, die er Daniel gegebene hätte, hätte Serdall der Freundschaft nicht im Weg gestanden, auch wenn es ihm trotzdem nicht gefallen hätte. Daniel hatte aber mit Kai Sex. Das war der Punkt, der Serdall verunsicherte. Sie hatten schon immer kleine Differenzen gehabt in der Hinsicht und irgendwie glaubte er, dass es Daniel bei Kai womöglich besser gefallen hatte. Schließlich war Kai sicherlich nicht so ein idiotischer Romantiker wie Serdall es war und war hundertprozentig schwul und bestimmt in sexueller Hinsicht sehr begabt.
 

Seufzend vergrub Serdall seinen Kopf in die Hände und versuchte sich selbst zu beruhigen. Wieso hatte er nur diese schrecklichen Zweifel? Daniel wollte Kai besuchen. Gut. Doch Serdall wollte es insgeheim nicht, das er es tat. Er hatte einfach Angst, dass Daniel sich vielleicht in diesen Kai verliebt hatte. Warum sonst müsste er sich nach diesem ganzen Mist unbedingt noch einmal mit ihm treffen? Schließlich war es auch gut möglich, dass Kai Daniel andere Dinge bieten könnte. Serdall war nun mal verquer im Kopf und ziemlich kurz temperiert. War Daniel das über? Und wieso dachte er erst jetzt so darüber?
 

Serdall musste sich selbst eingestehen, dass er im ersten Moment einfach nur froh gewesen war Daniel wiederzuhaben und ihm so womöglich alles verziehen hätte, aber jetzt fragte er sich wirklich, ob das so eine gute Idee gewesen war. Ja, er war glücklich wieder mit Daniel zusammen zu sein. Sah Daniel das genauso? Serdall würde ja sagen, wenn er nicht diese andere Seite von Daniel kennengelernt hätte. Die, die Drogen nahm, sich in Diskos vergnügte und Sex auf öffentlichen Toiletten hatte. Außerdem war da noch die Sache, dass sie erst gestern richtig miteinander geredet hatten. Daniel hatte sich vor ihm gefürchtet oder zumindest Angst vor seiner Reaktion gehabt. Zeugte das nicht davon, dass ihre Beziehung irgendwo falsch gelaufen war?
 

Kimba kam im nächsten Moment zu ihm und legte ihre Schnauze auf sein Knie. Leicht lächelnd kraulte Serdall sie auf dem Kopf. Er bekam das Gefühl, dass Daniel vielleicht unzufrieden war oder sich womöglich doch gezwungen sah, mit ihm zusammenzubleiben. Die Ringe konnte er deswegen jetzt gar nicht gebrauchen. Das würde Daniel vielleicht noch mehr belasten. Serdall war sich nicht einmal sicher, ob Daniel überhaupt daran dachte, mit ihm die Ringe zu tauschen. Nicht, dass sie sich offiziell ehelichen würden, das wollte Serdall nicht, aber so für sich wäre es doch ein schönes Zeichen, wenn sie die Ringe an der rechten Hand trugen.
 

„Schön für dich“, zischte Serdall leise, „weil du ein rettungsloser Romantiker bist.“ Hart biss er sich auf die Lippe, als er jemanden kichern hörte. Finster sah er seinem Schwager entgegen, der amüsiert im Türrahmen lehnte, ehe er im Schlendergang auf ihn zukam und sich in den zweiten Sessel neben Serdall setzte.
 

„Worüber denkst du schon wieder nach?“, fragte Dustin geradeheraus und sah ihn ernst von der Seite her an.
 

„Nichts“, erwiderte Serdall kalt und kraulte weiter Kimba, die ihn mit treuen Augen ansah.
 

„Weißt du, nach all den Jahren, die wir uns jetzt kennen, weiß ich, was dieses Gesicht bedeutet, nämlich dass du es dir wieder irgendwie schwer machst. Du verrennst dich in deinen Gedanken und tust dir nur selber weh.“ Dustin seufzte leise, als Serdall abweisend schnaubte. Da brannte ja mal wieder die Luft. „Du fängst schon wieder so an wie damals“, meinte er leise und seine Augenbrauen zogen sich nicht begeistert zusammen.
 

Serdall rollte mit den Augen und wandte den Kopf ab. Er wollte nicht mit Dustin reden. Irgendwie konnte er einfach nicht, auch wenn sein Schwager in der Hinsicht eigentlich immer recht hilfreich gewesen war. Wenn Dustin ernst war, dann konnte man wirklich mit ihm über solche Dinge sprechen, auch wenn ihre Ansichten meist weit auseinandergingen.
 

„Serdall“, murrte Dustin neben ihn plötzlich, „du kannst nicht alles mit dir selbst abklären.“
 

Ja, das wusste Serdall nur zu gut. Sich über den Nasenrücken reibend fing Serdall leise an, seine Gedanken in Worte zu fassen, was ihm, wie immer, viel zu schwer fiel.
 

„Ich glaube, dass ich zu voreilig war. Dass ich Daniel viel zu schnell verziehen habe…“
 

Dustins Augen weiteten sich ein Stück und er nickte abwesend. Er hatte geahnt, dass so etwas noch einmal kommen würde. Das Ganze war einfach viel zu schnell abgeklärt gewesen und das war normalerweise nicht Serdalls Art. Womöglich war es einfach die Liebe zu Daniel, die ihn voreilig handeln lassen hatte.
 

„Du bereust es?“, fragte Dustin seinen Schwager und sah ihm forschend in die Augen, als jener sich ihm wieder zuwandte. Viel zu gefasst für diese Frage.
 

„Nicht unbedingt. Eigentlich nur, weil ich vermute, dass Daniel mit mir nicht glücklich ist. Er will Kai besuchen, weiter mit ihm befreundet sein. Das will ich aber nicht, was doch eigentlich verständlich ist, oder?“ Dustin musste nicken. Aus Serdalls Sicht war es verständlich, schließlich hatte Daniel nichts Anderes getan, als ihn mit Kai zu betrügen.
 

„Und du glaubst, dass Daniel wieder etwas mit Kai haben könnte, weil?“
 

„Weil ich für seinen Geschmack zu beherrscht bin, nicht seine Ansichten teile und er mit mir unzufrieden ist. Dustin, er hat selbst Angst mit mir vernünftig über Dinge zu reden, die ihn wirklich beschäftigen, wohl sogar länger beschäftigen. Ich hingegen sehe nicht, dass er etwas auf dem Herzen hat. Außerdem geht er zu dir, wenn er wirklich über intimere Sachen reden möchte. Meinst du nicht, dass da was falsch läuft bei uns? Dass Kai ihm gezeigt hat, was ihm eigentlich fehlt?“
 

Dustin stieß geräuschvoll die Luft aus. Serdalls Zweifel waren vielleicht begründet, auch wenn Daniel sich sicherlich nicht in diesen Kai verliebt hatte.
 

„Serdall, wenn er es wirklich so sehr bei dir vermissen würde, würde er es dir sagen“, wandte Dustin ein.
 

„Würde er nicht! Das ist es ja, er redet nicht wirklich mit mir, aus Angst vor meiner Reaktion.“
 

„Da bist du ja auch selber Schuld. Schließlich bist du ziemlich drastisch in deinen Maßnahmen. Allein, dass du diesem Kai ins Bein geschossen hast, hat Daniel heftig geschockt.“
 

„Er hat Daniel Drogen gegeben und dann mit ihm geschlafen. Was hätte ich denn sonst tun sollen? Warten bis Daniel wieder zu ihm läuft und mich betrügt?“, zischte Serdall wütend und schüttelte leicht den Kopf.
 

„Wieso vertraust du ihm nicht?“
 

„Wie sollte ich das können, nach alldem?“, erwiderte Serdall schwach. Es nagte einfach viel zu sehr an ihm. Dustin strich sich nachdenklich übers Kinn. Serdall machte sich wirklich das Leben schwer.
 

„Deine Zweifel können auch alles kaputt machen. Gut, Kai war ein Ausrutscher, aber sieh doch mal, in welcher Situation das Ganze geschehen ist. Daniel wusste sich einfach nicht mehr zu helfen. Du kennst ihn. Er kann nicht einfach dumm zuhause rumhocken, während du womöglich verheiratet wirst.“
 

„Trotzdem muss er nicht mit irgendeinem Penner ficken!“, schrie Serdall plötzlich wütend und Dustin riss die Augen auf. So vulgär kannte er Serdall nicht. Es musste ihn wirklich enorm stören, wenn er so ausrastete. „Entschuldige“, zischte der Violinist im nächsten Moment und sackte in sich zusammen. Er wusste einfach nicht mehr ein, noch aus. Ob er Daniel Kai gegenüber trauen konnte, oder eben nicht. Er hatte einfach eine riesige Angst, Daniel zu verlieren. Und mehr, als es ihm zu verzeihen, was er getan hatte, konnte er nicht. Dass Daniel aber nicht auf ihn zukam, sondern lieber mit Kai befreundet sein wollte, machte ihm schwer zu schaffen. „Ich glaube es ist besser, ich warte das Ganze einfach ab. Entweder es passiert was oder nicht. Was anderes bringt jetzt nichts“, meinte er lahm und schloss die Augen.
 

Dustin nickte leicht, als er sich mit der flachen Hand einmal über das Gesicht wischte. Was sollte er auch dazu sagen? Serdalls Gedanken war diesmal wohl berechtigt. Dass Daniel in Kai einen Freund sah, war für Daniel typisch. Aber alles Weitere? Es war schon mal geschehen, wieso nicht noch einmal? Dustin seufzte. Zweifelte er jetzt etwa auch schon an Daniel?
 

„Serdall, er wird dich nicht enttäuschen. Er liebt dich und sein schlechtes Gewissen würde ihn fertig machen. Er ist viel zu ehrlich, um dich vielleicht heimlich zu betrügen. Und wenn er es tun würde, würde er dir nicht mehr unter die Augen treten können.“
 

Serdall stand wütend auf und ging aufgebracht durch den Raum.
 

„Gerade das will ich ja nicht. Denn dann wird es aus sein zwischen uns“, gestikulierte er wild vor seinem Schwager. „Ich will nicht, dass es aus ist“, meinte er halblaut und verschränkte die Arme vor der Brust. Dustin seufzte. Klar wollte Serdall das nicht.
 

„Er wird dich nicht enttäuschen, Serdall. Glaub mir, er ist froh dich wiederzuhaben.“
 

Serdall nickte ergeben, aber Dustin sah es ihm an, dass ihn seine Gedanken immer noch quälten. Seufzend stand er ebenfalls auf und klopfte seinen Schwager auf die Schulter. Mehr konnte er auch nicht tun. Es lag nun mal bei Daniel.
 

Gerade in diesem Moment betrat der junge Mann, um den sich das Gespräch drehte, den Raum. Etwas verwirrt sah Daniel zwischen Dustin und Serdall hin und her. Die Spannung, die in der Luft hin, war fast greifbar und Daniel vermutete, dass es wieder irgendeinen Streit zwischen den beiden gegeben hatte. Aus diesem Grund war er froh, dass er einen Vorwand hatte, um sie voneinander zu trennen.
 

„Kommt ihr Zwei? Das Essen ist fertig.“
 

Serdall warf noch einen Blick auf Dustin, ehe er nickte und Daniel in die Küche folgte. Er zwang sich vernünftig zu essen und nicht wieder so sparsam, damit Daniel keinen Verdacht schöpfen konnte, dass ihn etwas störte. Er wollte nicht über Daniel bestimmen und er konnte es ihm auch nicht verbieten Kai zu sehen. Trotz seines Willens, schaffte er gerade mal die Hälfte des Essens und stocherte bis zum Schluss lustlos darin herum.
 

Später wartete Serdall im Flur auf Daniel. Er selbst war schon in seine Schuhe geschlüpft und hatte seinen Mantel an. Nervös blickte er zur Uhr, rein aus dem Reflex heraus und öffnete schon einmal die Haustür, um zu seinem Wagen zu gehen. Daniel würde schon noch kommen. Traurig blickte Serdall in den aschgrauen Himmel. Es hatte leicht zu schneien angefangen, doch bis jetzt blieb der Schnee nicht liegen.
 

„Schnee“, stellte auch Daniel fest, als er leicht lächelnd neben Serdall trat. Er nahm seine Hand und sah ihn fragend mit leicht schief gelegtem Kopf an. „Ist alles in Ordnung“, wollte er wissen. Er konnte sich denken, dass es Serdall etwas auf die Stimmung schlug, dass sie zu Kai fuhren. Das Verhältnis der beiden war von Anfang an nicht wirklich das Beste gewesen, wenn man es so sagen wollte. Verständlich war es, schließlich war Kai in Serdalls Augen wohl der Feind schlechthin. Daniel seufzte. Es war noch überhaupt nicht geklärt, was sich aus der ganzen Sache ergeben würde, aber Daniel wollte wenigstens sehen wie es Kai ging.
 

„So halbwegs“, entzog sich Serdall einer klaren Aussage und küsste Daniel auf die lächelnden Lippen. Er zog ihn zum Wagen und sie stiegen ein. Wie sollte auch irgendetwas in Ordnung sein, wenn sie zu diesem Typen fuhren? Vorher würden sie noch die Fäden ziehen lassen, dann erst zu Kai gehen. Wenn er überhaupt noch im Krankenhaus war, oder wo auch immer. Serdall wäre es nur recht, wenn er in seiner Wohnung verblutete wäre. Verbissen den Blick auf die Straße wendend, fuhr Serdall an und zum Krankenhaus. Wie oft würden sie noch diesen Weg fahren müssen? Wann würde der nächste Aidstest bei Daniel auf dem Plan stehen…? Serdall schüttelte leicht den Kopf. Wenn es so weit kommen würde, hatte er nichts mehr mit Daniel zu tun.
 

Daniel sah mit einem ziemlichen Stimmungsdämpfer aus dem Fenster. Es nahm ihn mit, dass Serdall der Besuch bei Kai so gegen den Strich ging, aber zumindest um seines Seelenfriedens Willen bestand Daniel innerlich darauf. Außerdem äußerte sein Freund seine Bedenken nicht mehr laut, von daher war es recht leicht, sie zu ignorieren, auch wenn das im Moment ziemlich egoistisch klang.
 

Ende Kapitel 24
 


 


 

Entschuldigt, dass die Kapitel nicht mehr so schnell gekommen sind, aber die Weihnachtszeit ist doch jedes Jahr wieder aufs Neue stressig. ^^°

Kapitel 25
 

Die Fäden ziehen zu lassen stellte sich als kurz und recht schmerzlos heraus. Daniel war selbst davon überzeugt, dass er nur was gemerkt hatte, weil er sich so derart auf sein Handgelenk konzentriert hatte. Ehrlich, bei solchen Kleinigkeiten war er total die Mimose. Er konnte mit einem gebrochenen Arm gut leben, wie er früher mal herausgefunden hatte, aber Fäden ziehen oder impfen war einfach schrecklich.
 

Schrecklich war auch der Weg zu Kais Zimmer. Serdall ging eisig schweigend neben ihm her und führte Daniel mit seinem Verhalten fast in die Versuchung, auf den letzten Metern doch noch kehrt zu machen. Schließlich standen sie vor der Tür, neben der als einziger Name ‚Hahn‘ vermerkt war. Daniel atmete tief durch und war erleichtert, dass Kai scheinbar in einem Einzelzimmer lag. So war die Gefahr, dass jemand ihr Gespräch und eventuelle pikante Informationen mitbekam, gleich null.
 

„Serdall, bitte versuch ruhig zu bleiben und nicht auszuflippen, ja?“, wandte Daniel sich an seinen Freund.
 

Klar, dachte sich Serdall angepisst, schön bei Fuß Bello. Serdall wollte Daniel am liebsten einen Tritt dafür geben, dass er das zu ihm sagte. Er bedeutet Daniel nur voranzutreten und nach einem kurzen Klopfen gingen sie in Kais Krankenzimmer. Dort wurde ihnen eine deftige Kussszene zwischen Kai und einem Pfleger geboten. Serdall warf die Tür lauter als nötig in die Angeln und die beiden Köpfe ruckten bei dem Geräusch in ihre Richtung. Der Krankenpfleger wurde knallrot und verschwand nach einer kurzen Entschuldigung, während Kai nur starr zu ihnen sah, wobei sein Blick sich eisig auf Serdall richtete, was jener finster erwiderte.
 

„Was wollt ihr hier“, fragte er abweisend. Neben seinem Bett standen Krücken und sein Oberschenkel war immer noch dick bandagiert. Schnaubend schüttelte Daniel den Kopf. Diese Szene eben war so typisch Kai gewesen, wenn man die Zeit, in der er ihn als Beschäftigung hatte, beiseite schob. Er ging ein paar Schritte auf das Bett zu, bevor er zu reden anfing.
 

„Eigentlich bin ich in erster Linie gekommen um zu sehen wie es dir geht. Darf ich mich setzten?“, fragte Daniel und deutete mit einem Kopfnicken auf einen der Stühle, die an einem kleinen Tisch in der Nähe des Bettes standen. Kai nickte abgehackt, wobei sein Blick wieder kurz zu Daniels Freund wanderte, der sich weit entfernt an eines der Fenster stellte und versucht desinteressiert hinaussah.
 

„Wie du siehst lebe ich zum Glück noch. Und wie das Schicksal so will werde ich auch irgendwann wieder richtig laufen, ohne ein taubes Bein zu haben, weil dein Freund so gnädig war, keinen wichtigen Nerv durchzuschießen.“ Der Blonde wandte den Blick von dem Mann ab, als keinerlei Reaktion kam und sah zu Daniel. Ein leichtes Lächeln bildete sich um seine Mundwinkel, ehe er kurz über Daniels Handrücken strich, ohne dass es dessen Freund sehen konnte. „Mich würde es eher interessieren, wie es dir geht“, fragte er leise und sah sanft in Daniels Gesicht. „Wie es scheint bist du wieder rund um die Uhr in seinen Klauen“, flüsterte er und musste dabei den bitteren Blick vertreiben, der sich kurz in seine Züge schummelte. Daniel entzog Kai seine Hand und sah ihn etwas verstimmt an.
 

„Ich kann verstehen, dass du ihn nicht leiden kannst. Sehr erfreulich war eure erste und bis jetzt einzige Begegnung ja nicht. Aber was immer du auch von ihm halten magst, ich liebe Serdall und befinde mich deswegen nicht in seinen Klauen, sondern ich verbringe den Tag mit ihm“, stellte Daniel flüsternd klar. Serdall würde es sicher nicht sonderlich gut finden, dass sie die Köpfe zusammensteckten, doch er würde vielleicht noch verstimmter sein, wenn er das Thema ihres Gespräches erfuhr. Kai schüttelte leicht den Kopf.
 

„Er ist ein Verbrecher!“, führte er lauter aus, sodass Serdall es unweigerlich hören musste. „Ein gefühlskaltes Monster. Wer sonst könnte einen Menschen fast umbringen und dich so vereinnahmen? Ehrlich, du hast mir bestätigt, dass der Sex mit mir tausendmal besser ist, dass du diesen Typen nicht brauchst. Du hast Spaß gehabt, als du zum ersten Mal in einer Disko warst. Er hält dich doch nur in seinem Haus gefangen, bei seinem vielen Geld…“ Kai strich sich fahrig durch die Haare. „Du bist doch total verblendet von dem Kerl! Er ist eine verdammte Hete, die dich nur als Trophäe sieht und dich wahrscheinlich mit der Waffe bedroht“, zischte Kai wütend und fasste nach Daniels Wange. „Das ist keine Liebe, Daniel, und das weißt du“, zischte er ihm zu und sah mit Genugtuung, wie dessen Freund plötzlich wütend den Raum verließ. Abrupt schlug Daniel die Hand weg, noch bevor sie ihn berühren konnte.
 

„Du hast vollkommen falsche Vorstellungen“, zischte Daniel wütend. Serdall hatte noch immer mit dem Rücken zu ihnen gestanden, doch Daniel hätte schwören können, dass er bei Kais Worten zusammengezuckt war. Das ließ auch der wortlose Abgang erkennen. Daniel stand ebenfalls auf. „Scheiße, ja, es war eine Abwechslung mit dir Sex zu haben, aber es hinterlässt einen extrem bitteren Nachgeschmack, wenn man den eigenen Freund dabei betrügt. Außerdem solltest du seine Tat nicht verurteilen, denn du hast dich auf deine Art und Weise vollkommen daneben benommen, als du mir heimlich das Kokain zugesteckt hast. Du hast auf deine Art übertrieben, Serdall auf seine. Außerdem bin ich freiwillig bei ihm und werde nie an seiner Liebe zu mir zweifeln. Ich dachte echt, dass es zwischen uns wenigstens sowas wie eine Freundschaft geben könnte, da ich mich in der Zeit, in der ich bei dir war, doch irgendwie an dich gewöhnt habe, doch das ist wohl pures Wunschdenken.“ Daniel drehte sich auf dem Absatz herum und stürmte zur Tür.
 

Serdall war indes schon zum Parkplatz gestürmt. Zittrig öffnete er die Wagentür seines Autos und setzte sich aufgelöst auf die Fahrerseite. Er hatte es doch gewusst. Wieso schockten ihn Kais Worte nur so? Würde Daniel jetzt bei ihm bleiben?
 

„Scheiße“, flüsterte er fertig und ließ seinen Kopf gegen das Lenkrad sinken. Er glaubte in diesem Moment sterben zu müssen, so sehr schmerzte es ihn in der Brust. Wie hatte er auch nur zustimmen können, dass sie zu diesem Kai gingen? Er hätte doch sehen müssen, was dahinter stand. Keuchend versuchte Serdall zu Atem zu kommen, weil es ihm schier die Luft abschnürte.
 

Zögernd trat Daniel an das Auto heran. Er hatte sich gedacht, dass Serdall hierhin gegangen war. Der vertraute Innenraum bot durch die teilweise getönten Scheiben etwas Privatsphäre und hatte etwas Vertrautes. Ehrlich gesagt war er ziemlich froh, dass Serdall nicht schon einfach ohne ihn weggefahren war. So aufgelöst hatte Daniel seinen Freund noch nie zuvor gesehen. Zusammengesunken auf dem Fahrersitz kauernd vermittelte Serdall einen so schutzbedürftigen Eindruck, dass Daniel davon vor schlechtem Gewissen fast schlecht wurde. Es waren Kais Worte, ja, aber er hatte ihn durch seine Erzählungen überhaupt erst auf diese verquerern Gedanken gebracht.
 

Langsam öffnete Daniel die Tür und stieg ebenfalls ein. Sein Körper schrie danach, Serdall in den Arm zu nehmen, aber er war sich so unsicher, ob das in dieser Situation das Beste war oder nicht. Serdall versteifte sich, als er mitbekam, dass Daniel doch noch zu ihm gekommen war. Er richtete sich auf und sah Daniel unglücklich an.
 

„Warum bist du überhaupt mit mir zusammen?“, fragte er Daniel leise und lehnte seinen Kopf gegen den Sitz, wobei er seine Arme enger um seinen Bauch zog. „Er hatte doch in jedem Punkt recht, oder nicht?“, meinte er brüchig und sah wieder nach vorne. „Wenn du zu ihm gehen willst, dann geh. Ich will nicht, dass du dich zwingst bei mir zu bleiben.“
 

„Bist du vollkommen übergeschnappt?“, fuhr Daniel heftig auf. Er konnte nicht glauben, war er von Serdall zu hören bekam. „Scheiße, ich dachte, dass die letzten Tage gezeigt hätten, dass ich nichts mehr will als mit dir zusammen zu sein. Hast du Kai mal zugehört? Angeblich bedrohst du mich unter anderem mit einer Waffe und zwingst mich, in deinem Haus zu bleiben. Nicht gerade die Realität, oder?“
 

Serdall schüttelte den Kopf. Nicht gerade das, aber die anderen Dinge waren wohl wahr.
 

„Und der Rest? Das Geld, der Sex, dein Freiraum? Du hast doch Angst mit mir wirklich über Dinge zu reden, ich bin nicht so wie Kai oder Dustin, die deinem Geschmack eher entsprechen. Wem willst du was vormachen? Unsere Beziehung war nie so, wie sie sein sollte. Wir hatten immer unsere Differenzen und ich war immer Schuld daran. Die ganze Sache hat mir nur die Augen geöffnet, dass ich ein mieser Egoist bin, wenn es um dich geht. Ich kümmere mich doch nicht wirklich um dich!“
 

„Was soll das Alles jetzt? Ein paar Worte von Kai und du zweifelst an allem? An uns? Wir haben über den Sex geredet, oder nicht? Da stimmt jetzt alles. Ich kann mir meinen Freiraum nehmen, wenn ich ihn brauche. Du hast nicht und würdest mir nie verbieten wegzugehen, wenn ich das möchte. Und dein Geld macht mir zwar einiges leichter, aber meinst du ehrlich, dass ich mich deswegen in irgendeiner Art und Weise abhängig machen lasse?“ Perplex schüttelte Daniel den Kopf. Spukten diese Zweifel schon länger in Serdalls Kopf herum oder wo kamen sie auf einmal so plötzlich her? Nur durch Kai konnte solch ein Stein nicht ins Rollen geraten, oder? Aber warum hatte er dann nicht bemerkt, dass Serdall etwas belastete?
 

„Es sind nicht nur seine Worte!“, rief Serdall aufgebracht. „Du hast mit ihm geschlafen. Mehrmals. Das hättest du nicht, wenn es dir nicht gefallen hätte. Du würdest auch nicht mit Kai befreundet sein wollen, wenn du ihn nicht gut leiden könntest. Daniel, sieh es doch ein. Ich bin ein Arschloch. Alle anderen scheinen es zu sehen, dass es dir besser gehen würde ohne mich, nur ich nicht.“ Verzweifelt vergrub Serdall seinen Kopf in den Händen. Er wusste nicht mehr, was er denken sollte. Er liebte Daniel, aber war seine Liebe echt so schrecklich, wie er gerade sagte? Er wünschte sich einfach, dass Daniel ihn in den Arm nahm und ihm versicherte, dass es Humbug war, was er dachte, doch das würde er sicher nicht tun.
 

Daniel schwieg einige Zeit lang. Er musste erst einmal seine Gedanken ordnen und sich sammeln. Leider stimmte zumindest der Anfang von dem, was Serdall gesagt hatte. Zu behaupten, dass der Sex mit Kai schlecht gewesen war, kehrte die Wahrheit zu Daniels Unmut genau ins Entgegengesetzte. Kai verstand durch seine zahllosen Affären und One-Night-Stands sein Handwerk wirklich gut und war ähnlich wie Daniel recht spontan und meistens nicht so der Kuscheltyp, wenn es um den Sex an sich ging. Andererseits war es auch nicht so, dass der Sex mit Serdall schlecht war. Er war anders, aber auf seine eigene Art und Weise super schön und süchtig machend. Vor allem, und hier kam Daniels romantische Ader zum Tragen, war er eben so schön, weil Liebe mit im Spiel war. Es war etwas Anderes, wenn Serdall ihn berührte, als wenn Kai oder David ihn berührt hatten. Außerdem würde jetzt, wo sie offen über Daniels Wünsche gesprochen hatten, alles garantiert noch besser werden.
 

Der zweite Punkt war, dass er Kai tatsächlich ziemlich gut leiden konnte. Zumindest so generell. Momentan war er einfach zum Kotzen, aber jeder hatte mal so eine Phase. Bei Kai war es im Moment wohl die Eifersucht auf Serdall und der Schmerz, dass er in der Liebe schon wieder in gewisser Hinsicht betrogen wurde. Daniel selbst hatte auch gerade erst so eine Zeit hinter sich, nämlich genau die, als er mit Kai beziehungstechnisch angebandelt hatte. Ließ man das außer acht, war Kai nun mal ein ziemlich netter Kerl. Und verdammt nochmal, Daniel hatte sich wirklich eine Freundschaft gewünscht, da er mit Kai andere Dinge machen konnte als eben mit Serdall. Das hieß nicht, dass er es bei seinem Freund total vermisste, dass er nicht der Partygänger war. Dafür hatte Serdall viele andere Qualitäten. Trotzdem wollte Daniel eben ab und an mal weggehen und wenn sein Freund lieber zuhause blieb, was sprach dagegen, wenn er dann mit jemand anderem ging? Das Leben bestand nun einmal nicht nur aus einem anderen Menschen. Serdall hatte noch seinen Sohn und er hatte eben ein paar Kumpel. Oder jetzt eben einen Kumpel. Aber das Thema hatte sich jetzt ja erledigt.
 

Das, was Daniel an Serdalls Worten allerdings am meisten beschäftigte, war die Tatsache, dass er es so darstellte, als wäre er ein total schlechter Mensch, der Daniel in seinem Leben nur behinderte und unglücklich machte. Alles traf zu, aber das garantiert nicht. Wie konnte Serdall auch nur einen Moment daran zweifeln, dass er nicht das Beste war, was Daniel in seinem Leben jemals passieren konnte? Hatte er nicht gesehen, wie schlimm es für Daniel war, von ihm getrennt zu sein, als er sich die Pulsadern aufgeschlitzt hatte, weil Serdall ihm bei der Sache mit Kai nicht geglaubt hatte und sich von ihm trennen wollte? Und trotzdem sagte er sowas.
 

„Wie kannst du nur so über dich selbst reden?“, wollte Daniel mit erstickter Stimme wissen und lehnte seinen Kopf kraftlos gegen das Fenster. „Wie kannst du nur glauben, dass du schlecht für mich sein könntest? Ich habe in den letzten knapp zwei Jahren die schönste Zeit meines Lebens gehabt und du stellst es so dar, als ob ich mich in der Zeit nur gequält hätte. Es ist im Moment schwierig. Es ist viel Scheiße passiert, angefangen von der Aktion deines Bruders bis hin zu meiner Kurzzeitbeziehung mit Kai. Aber an nichts von dem bist du Schuld, sondern es waren andere, die für diese Krisen gesorgt haben. Also warum gibst du dir selbst die Schuld?“
 

Serdall strich sich fahrig übers Gesicht, bevor Daniel matt ansah.
 

„Was soll ich denn sonst denken? Daniel, ich weiß echt nicht mehr, was ich denken soll. Mir ist bewusst, dass du den Sex mit Kai genossen hast, dass du gerne ausgehst und dir Kai womöglich gerne Gesellschaft leistet. Und wären nicht die Drogen gewesen“, Serdall holte kurz tief Luft, um die eiserne Hand zu vertreiben, die sich schmerzlich um sein Herz legen wollte, „vielleicht hättest du dich dann wirklich in Kai verliebt? So hast du einer Beziehung zu ihm ja auch schon zugestimmt, oder nicht?“ Er musste die Augen schließen, als alle Anspannung von ihm fiel und er einfach in sich zusammensackte. Langsam aber sicher wurde ihm das einfach alles zu viel. „Ich glaube, ich habe dir das mit Kai zu schnell verziehen“, hauchte er kraftlos, ohne den Blick auf Daniel zu richten.
 

Daniel spürte wie sein Magen sich schmerzhaft zusammenzog. Serdall bereute also, dass er ihm verziehen hatte. Er war noch lange nicht über Daniels Betrug hinweg, wenn er es je sein würde. Reglos starrte Daniel auf seine ineinander verkrallten Hände, bevor seine Stimme leise und reichlich wacklig durch den Wageninnenraum glitt.
 

„Ich hätte erst gar nicht mit Kai geschlafen, wenn die Drogen nicht gewesen wären. Wie hätte ich mich dann in ihn verlieben sollen? Weiß der Himmel, warum ich dieser Beziehung zugestimmt habe, aber es war nichts Anderes als freundschaftliche Sympathie im Spiel.“ Er hob seinen Blick und wollte eigentlich Serdall ansehen, starrte stattdessen allerdings aus dem Fahrerfenster. Wären sie doch nur nie hierhergekommen. Warum hatte er nur darauf bestanden? „Was schwebt dir jetzt vor? Du willst keine Auszeit oder sowas... oder?“, fragte er Serdall zittrig.
 

„Eine Auszeit?“, entsetzt sah Serdall zu Daniel. „Damit du dir wieder irgendwelche Drogen nimmst, oder wie? Dich an den nächsten Kerl wirfst?“ Serdall schüttelte nachdrücklich den Kopf. Trotz seinem aufgewühlten Inneren wusste er, dass er Daniel nicht wieder verlieren wollte. Er biss sich hart auf dir Unterlippe. „Verstehst du nicht, dass ich einfach nicht einsehen kann, dass du gerade mit diesem Kai befreundet sein willst? Mit dem du mich betrogen hast? Was soll ich denn denken, wenn du unbedingt darauf bestehst, bei ihm zu sein? Dann fühle ich mich einfach hintergangen, okay?“
 

Wieder nur matt den Kopf schüttelnd schnallte sich Serdall an und startete den Motor. Er wollte einfach nur nach Hause, bevor er nicht mehr in der Lage war sie hinzufahren. Dann würde er sehen, was er tun würde. Er konnte Daniel nicht vorschreiben mit wem er sich traf, aber bei gerade dieser einen Person wurde es ihm schmerzlich bewusst, dass für Daniel in ihrer Beziehung etwas grundlegend falsch laufen musste. Und das konnte nur Serdall sein.
 

Daniel zog es vor, vorerst zu diesem Thema zu schweigen. Er musste seine Gedanken erst einmal ordnen, bevor er sich zu diesem Thema äußerte. Er musste zugeben, dass er sich noch nie in dieser Richtung Gedanken über Serdalls Gefühle gemacht hatte, als Daniel den Wunsch äußerte, trotz allem eine Freundschaft zu Kai zu pflegen. Wenn er sich mal in Serdalls Situation hineinversetzte, wenn Serdall ihn betrogen hätte und dann noch mit dem Kerl befreundet sein wollte, wenn trotz allen Beteuerungen zumindest gedanklich immer wieder die Gefahr bestand, dass es eben doch mehr als zu einer Freundschaft kam, das würde ihn irre machen. Warum hatte er nicht früher mal aus dieser Perspektive gedacht?
 

Während Serdall den Wagen zurück nach Hause lenkte, war sein Kopf seltsam leer. Er hatte sich schon den ganzen Tag viel zu viele Gedanken gemacht und es tat ihm einfach nur weh, wenn er noch irgendwelche neue Schlüsse wegen Daniel zog. Er hatte einfach das Bedürfnis sich irgendwie abzureagieren, denn langsam machte sich Wut in ihm breit. Wut auf Kai, Daniel und auch Fei, wegen diesem schwachsinnig unpassenden Geschenk.
 

Sofort, nachdem er den Wagen in der Auffahrt vor seinem Haus geparkt hatte, verließ er wortlos das Auto, sich bewusst, dass Daniel ihm folgen würde. Er streifte sich im Flur achtlos die Schuhe von den Füßen und warf seinen Mantel auf einen Haken, ehe er schon nach oben ging. Langsam versuchte er einfach die Tatsachen herauszukristallisieren, die wie Dornen ihre Beziehung belasteten. Das war zu allererst Daniels Betrug, der Drogenkonsum, Daniels unangebrachter Wille zur Freundschaft zu Kai und Serdalls eigene seltsame Art, die Daniel manchmal ziemlich zu belasten schien. Serdall wartete, dass sein Freund in den Raum trat und schloss die Tür hinter ihm ab, ehe er unschlüssig im Zimmer auf und ab ging. Er hatte keine Ahnung, wie er jetzt anfangen sollte, oder überhaupt. Seit der Stille, die im Wagen zwischen ihnen gelastete hatte, wartete er eigentlich nur auf Daniel, dass er mit ihm sprach.
 

Unsicher stand Daniel mitten im Raum und fühlte sich auf seltsame Art und Weise eingesperrt. Die Stimmung war derart angespannt, dass ihm eine Gänsehaut den Rücken hinunterlief und er wollte eigentlich nichts lieber, als dieser Atmosphäre einfach zu entkommen. Er war verwirrt. Was wollte Serdall jetzt? Daniels schlimme Befürchtung, dass sein Freund vielleicht an eine Auszeit dachte, hatte Serdall mit harten Worten niedergeschmettert. Daniel war an und für sich recht glücklich, dass er Serdalls Meinung in dem Punkt wohl negieren konnte. Nie wieder würde er anfangen Drogen zu nehmen, da er genau wusste, dass es für sie beide keine Zukunft mehr gab. Trotzdem blieb jetzt die Frage, auf was Serdall wartete. Im Auto hatte es etwas wie eine Aussprache gegeben, zumindest hatte Daniel einige Punkte, die in Serdalls Kopf herumgeschwirrt waren, nichtig erklärt. Das ganze Thema um Kai herum schien ihn extrem zu belasten, aber wie sollte Daniel damit anfangen? Wäre es nicht einfacher, wenn Serdall selbst dieses für ihn schlimme Thema ansprach?
 

„Du hattest recht. Es war eine dumme Idee, heute zu Kai zu gehen“, fing Daniel nach einiger Zeit zögernd an.
 

„Jetzt vielleicht“ zischte Serdall wütend und sah Daniel grimmig in die Augen. Er verzog den Mund zu einem blutleeren Strich, indem er seine Lippen hart aufeinander presste. Er war kurz davor wirklich furchtbar auszurasten und jegliche Beherrschung fahren lassen. Vorerst bemühte er sich jedoch ruhig zu bleiben. Er vergrub seine Hände in den Hostentaschen und begann unruhig auf und ab zu gehen, um so sich wenigstens ein wenig zu beruhigen. „Du sagst das doch nur, weil ich jetzt so austicke“, meinte er grollend und sah kurz zu Daniel, der sich unwohl auf das Bett gesetzt hatte. Warum war er nur plötzlich so unendlich aufgebracht? Er hatte Daniel doch eigentlich verziehen… Eigentlich, aber da war Daniel unendlich verzweifelt gewesen, hatte ihn zu einer Antwort gedrängt… Serdall hatte es doch geahnt, dass Daniel dadurch vielleicht das Ganze zu leicht nehmen würde.
 

„Weißt du warum ich denke, dass ich dir viel zu schnell vergeben habe?“, fragte Serdall leise und blieb abrupt vor Daniel stehen. „Weil du das jetzt alles viel zu leicht nimmst, besonders mit Kai. Ich hätte ihn erschießen sollen, als ich die Chance dazu hatte. Dann wäre dir wenigstens klar gewesen, dass ich ihn nie wieder in deiner Nähe sehen will, dass es mir unendlich wehgetan hat, dass du mich betrogen hast, dass ich dich am liebsten windelweich dafür schlagen möchte…“ Kurz wandte Serdall den Blick ab, ehe er weiter auf Daniel zuging und ihn am Kragen packte. „Du nutzt es aus, dass ich dich so schrecklich liebe, dass ich nicht anders kann, als dir jeden Wunsch zu erfüllen.“ Seine Hand lockerte sich, ehe sie wieder von Daniels Kragen abfiel und kraftlos neben Serdalls Körper hing. „Ich weiß nicht mehr, was ich von mir halten soll“, meinte er leise und legte eine Hand gegen seine Stirn. „Ich hätte dich nie zurücknehmen dürfen“, meinte er halblaut und versuchte den Schwindel in sich zu unterdrücken, der sich rasend schnell auszubreiten schien. Langsam ging er zur anderen Bettseite und setzte sich keuchend hin.
 

Schwer schluckte Daniel an dem Klos, der sich in seinem Hals gebildet hatte. Er hatte das Gefühl, zu ersticken. Mühevoll drängte er die Tränen zurück, die sich in seinen Augen zu sammeln begannen. Es war schlimm, so extrem schlimm diese Worte aus Serdalls Mund zu hören. In einem Anflug von plötzlichen Zynismus fragte Daniel sich, warum sie hier noch saßen, wenn Serdall doch dachte, dass er Daniel lieber abserviert hätte, nachdem er ihn mit Kai betrogen hätte, doch diese kurzen Gedanken wurden von der Welle Traurigkeit und Schock hinfort gespült, die sich im nächsten Moment über Daniel ausbreitete.
 

„Ich muss Kai nicht wiedersehen“, meinte er schwach und mit heiserer Stimme. Etwas Besseres fiel ihm im Moment nicht ein und Daniel könnte sich für seine Sprachlosigkeit verfluchen. „Ich meine, ich habe gesehen, wie er drauf ist“, fügte er noch schnell hinzu.
 

Das war alles? Serdall fragte sich wirklich, ob Daniel überhaupt eine Ahnung hatte, wo sie im Moment gerade standen, was Serdall gerade durch den Kopf ging. Sein Freund schien die Situation rein gar nicht zu verstehen, dass es schon lange nicht wirklich um Kai, sondern um ihn ging. Und so wie Daniel sich gerade anhörte, war es für ihn ganz einfach Kai nicht zu sehen, was ihm reichlich früh einfiel. Serdall fühlte sich richtiggehend bescheuert und unverstanden.
 

Kopfschüttelnd stand er auf und ging zur Balkontür um nachdenklich durch das Glas zu schauen, wo sich schon ein reges Schneetreiben aufwirbelte. Er schwieg einfach auf Daniels Worte hin. Für ihn gab es dazu nichts mehr zu sagen. Er hatte seinen Standpunkt mehr als einmal deutlich gemacht heute und mittlerweile ging ihm auch die Willenskraft aus. Vielleicht war eine Auszeit keine schlechte Idee. Dann würde er wenigstens sehen, ob Daniel wirklich gewillt war mit ihm zusammenzubleiben. Serdall hatte eigentlich gedacht, dass irgendwo noch der alte Daniel war, der wirklich um sie gekämpft hatte, doch scheinbar gab es für seinen Freund keinen Grund sich um Serdall zu bemühen, obwohl er es war, der den Fehler begangen hatte.
 

Seufzend lehnte Serdall seine Stirn an das kühle Fenster. Was dachte er hier für einen Mist zusammen? Zählte denn für ihn nicht mehr, dass Daniel ihn liebte? Doch, musste Serdall sich eingestehen, wenn er sich wirklich sicher sein konnte, dass Daniel es tat. Aber mehr als sich selbst fast umbringen konnte Daniel doch nicht als Beweis bringen wieso zweifelte Serdall denn nur schon wieder? Kai, dachte sich Serdall finster. Weil es einfach an ihm nagte, was dieser Kerl zu ihm gesagt hatte, vorhin und auch damals.
 

Das Schweigen traf Daniel mehr, als es irgendein Kommentar von Serdall hätte tun können. Wie sollten sie diese Situation klären, wenn Serdall nicht sagte, was er dachte? Aber eigentlich hatte er das schon getan, stellte Daniel zögernd für sich fest. Serdall hatte Daniel gesagt, was ihm gegen den Strich ging und das war in erster Linie sein Verhalten Kai gegenüber, obwohl Serdall ihm mehrmals gesagt hatte, dass er sich eigentlich wünschte, dass es überhaupt kein Verhalten Kai gegenüber mehr gab, weil er in Daniels Leben einfach keine Rolle mehr spielen sollte. Und trotzdem hatte Daniel sich über diesen Wunsch hinweggesetzt.
 

Daniel stand auf und ging unsicher zu Serdall hinüber. Er war nicht gut in solchen Situationen. Oft machte er alles noch schlimmer, aber es wäre wohl am Fatalsten, wenn er einfach nur dumm sitzen bleiben würde. Seufzend trat er neben Serdall und sah ebenfalls aus dem klaren Glas hinaus in das dichte Schneetreiben.
 

„Bereust du es?“, fragte er leise. „Bereust du, dass wir nach der ganzen Sache wieder so schnell zusammengekommen sind? Ich meine, ich habe dir nicht wirklich eine andere Wahl gelassen, oder?“, meinte Daniel zynisch und dachte an seinen Stunt mit dem aufgeschlitzten Handgelenk. „Ich will dich nicht verlieren“, fuhr er fort und holte für seine nächsten Worte einmal tief Luft. „Aber wenn du meinst, dass du irgendwie Zeit zum Nachdenken benötigst…“ Daniel stockte. Er wollte keine Auszeit. Wer wusste schon, was Serdall in der Zeit alles durch den Kopf gehen würde? „Ich will dich nicht ausnutzen. Die angestrebte Freundschaft mit Kai war so ein extremer Punkt, das ist mir jetzt auch klar geworden. Und wenn du sagst, dass ich es noch auf andere Art und Weise tue, weil ich zum dir zum Beispiel diese Zeit zum Nachdenken eigentlich nicht einräumen will…“ Daniel schwieg wieder und folgte mit seinen Augen starr den herunterfallenden Schneeflocken.
 

„Ich hab dir doch auch keine Wahl gelassen“, murmelte Serdall leise und verfluchte immer noch insgeheim Fei, der Daniel berichtet hatte, was er beabsichtigt hatte zu tun. Zaghaft fasste Serdall nach Daniels Hand und nahm sie in seine. Kurz strich Daniel mit dem Daumen über seinen Handrücken. Allein bei dieser Berührung wurde Serdall wohler und er fühlte sich nicht mehr so schrecklich bescheuert. „Aber ich bereue es schon ein wenig“, meinte er vorsichtig und sah weiterhin starr hinaus. „Eine Auszeit halte ich jedoch für total idiotisch. Ich liebe dich und ich habe mich für dich entschieden, trotz der ganzen Sache, nur“, Serdall stockte leicht und sein blaugrünen Augen wanderten unstet über den Balkon vor sich, „bin ich unsicher. Was siehst du in mir, was in Kai? Warum ist er dir nur so verdammt wichtig?“ Er seufzte leise und drehte sich leicht, sodass nun seine Schulter gegen die Glastür lehnte und er Daniel ansehen konnte.
 

„Ich frage mich die ganze Zeit, was du an mir vermisst, was er dir womöglich geben könnte und komme nur zu den Punkten, die er vorhin ausgesprochen hat. Der Sex und deine Freizeit, die du fast immer bei mir fristest. Ich kann nicht alles an mir ändern…“, meinte er halblaut und schloss die Augen. Er wollte nicht, dass Daniel unzufrieden war, dass er sich unwohl oder schlecht mit ihm fühlte. Das Einzige, was er wollte war, dass sein Freund glücklich war, wenn das mit Serdall nicht ging… Oh, Serdall wollte sich das gar nicht ausmalen.
 

Allein diese kleine Berührung ihrer Hände ließ Daniel wieder etwas Kraft schöpfen. Andererseits wurde er auch dadurch auch ziemlich sentimental und konnte nichts dagegen tun, dass eine Träne seine Wange hinunterlief. Schnell wandte er das Gesicht ab und tat so, als würde er seinen Blick durch eines der anderen Fenster schweifen lassen, damit Serdall das nicht sah.
 

„Du sollst auch gar nichts an dir ändern“, meinte Daniel mit versucht fester Stimme. „Du bist der Mann, den ich liebe, gerade durch deine Art und wohl auch durch deine Macken. Ich kann mir nicht vorstellen, dich wieder zu verlassen. Kai ist… war jemand zum Spaß haben. Ich weiß, dass du dich nicht in allem ändern kannst. Das kann ich ja auch nicht. Kai war wohl irgendwie das, was mir bei dir fehlte“, gestand Daniel ehrlich. „Recht locker und eben auch jemand, der in Diskos geht und Party macht. Jedoch wiegt das in keinster Weise das auf, was ich an dir habe. Es ergänzt es höchstens. Deswegen habe ich wohl auch darauf bestanden, dass wir ihn besuchen gehen.“
 

Serdall versuchte die hochkochende Wut in sich niederzuringen und ballte seine freie Hand zur Faust. Es gab keinerlei Grund zur Panik. Daniel hatte sich für ihn entschieden und Kai war… Serdall verzog grimmig das Gesicht. Kai war genau das, wonach sich Daniel wohl gesehnt hatte. Serdall schüttelte wirr den Kopf. Nein, danach würde sich Daniel nicht sehnen, oder? Gut, er wusste, dass Dustin für Daniel wohl einen ähnlichen Stellenwert hatte, dass sein Schwager locker war, eben ein simpel gestrickter Mensch, der das Leben genoss und sich nicht zu viele Gedanken um die Zukunft machte. Aber Dustin war nicht wie Kai. Kai war ein Drogendealer und immer noch in Daniel verliebt.
 

„Und du willst immer noch seine Freundschaft“, stellte Serdall leise fest. Er sah wieder zu Daniel, der noch starr aus dem Fenster blickte, die Augen leicht feucht. „Du willst diese Freundschaft insgeheim immer noch, auch wenn du es jetzt abstreiten wirst, um mich zu besänftigen“, konstatierte er leise und löste seine Hand von Daniels, um einen Schritt von ihm fortzugehen, ehe er sich umwandte und wieder auf ihr Bett setzte, da er langsam seinen Beinen nicht mehr traute. Kurz schloss Daniel die Augen und atmete einmal tief durch.
 

„Ja“, antwortete er dann ehrlich. „Irgendwie schon. Wenn er so ist wie heute, dann kann ich mit gutem Gewissen mit nein antworten, aber wenn er irgendwann wieder von seinem Trip runterkommt, dann schon. Ich will nichts weiter mit ihm machen, als um die Häuser zu ziehen, eben mal in irgendeine Kneipe zu gehen, etwas zu tanzen, was weiß ich. Ich weiß, dass du das nicht magst und will nicht, dass du dich dazu zwingst, nur damit ich zufrieden bin. Allein ist es aber eben ziemlich langweilig und öde. Aber vielleicht könnte ich einfach Dustin mal fragen. Ich weiß nicht.“ Irgendwie wusste er gerade gar nichts mehr.
 

Serdall nickte abgehackt. Tief in ihm drin hatte er sich gewünscht, dass Daniel es abstritt, dass er auf ihn zukommen würde, ihn einfach in die Arme schloss und sagte, dass Kai total egal war. So kann man sich irren, dachte er bitter und schluckte an dem Knoten, der sich in seine Luftröhre schnüren wollte. Er richtete seine Augen auf den Boden, als er sich schwer mit den Ellen auf seine Oberschenkel stützte. Die Hände knetend suchte Serdall nach Worten.
 

„Daniel“, meinte er ernst, „ich kann das so nicht mehr.“ Serdall hob das Gesicht an und sah zu seinem Freund. „Vielleicht ist es doch besser, wenn wir eine kurze Pause einlegen, in der wir uns beide darüber klar werden, was wichtig ist.“ Einmal tief durchatmend wandte er den Blick ab, als Daniel ihn entsetzt ansah. „Ich komme einfach nicht mit dem Gedanken klar, dass dieser Kai dir irgendetwas bedeutet, okay?“, meinte er leise und strich sich fahrig durch die noch zu langen, schwarzen Haare. „Wir legen eine Pause ein. Du kannst hier weiter wohnen, nur bitte ich dich in deinem Zimmer zu schlafen, bis das geklärt ist.“
 

Nicht verstehend schüttelte Daniel den Kopf. Eben hatte Serdall noch gesagt, dass er keinesfalls eine Auszeit wollte und jetzt das. Kälte schien sich in Daniel auszubreiten und er hatte Mühe richtig zu atmen.
 

„Da ist nichts zwischen Kai und mir“, versuchte Daniel verzweifelt die Situation doch noch rumzureißen. „Soll ich dich anlügen und sagen, dass mir Kai total egal ist, wenn ich in ihm eben doch in normalem Zustand sowas wie einen Kumpel sehe? Aber er ist nur jemand, mit dem man mal abends weggehen kann, nicht mehr. Verdammt, wenn es das ist, was dich stört, dann sehe ich ihn nie wieder. Vielleicht geht Dustin wirklich mit mir am Wochenende auf Tour oder ich frage irgendwen von meinen Kommilitonen, die mir über den Weg laufen.“
 

Serdall schüttelte den Kopf.
 

„Ich weiß, dass zwischen dir und Kai nichts mehr ist“, meinte er leise und fuhr sich erneut durch die schwarzen Haare. Daniel schien absolut nicht zu sehen, worum es Serdall ging. „Denk die Tage einfach einmal darüber nach. Über uns, die ganze Sache und dann werden wir sehen. Ich brauch jetzt wirklich ein bisschen Zeit für mich, in der ich ohne dich ein wenig klarer werden kann. Vielleicht ist es auch genau das, was du brauchst“, sagte er laut und gefasster, als er innerlich war. „Von mir aus triff dich auch mit Kai oder was weiß ich. Hauptsache du machst keine Dummheiten“, entgegnete Serdall seinem Freund und legte leicht den Kopf schief. „Und jetzt lass mich bitte allein“, befahl er Daniel und richtete dabei wieder seine Augen auf seinen Freund.
 

Fassungslos schüttelte Daniel den Kopf. Es war gerade wieder alles gut gewesen, dann kam schon wieder der nächste Störfaktor, dieses Mal in der Gestalt von Kai. Was war nur momentan los zwischen ihnen? Was genau fand Serdall so schlimm, dass er sich kurzzeitig von ihm trennte? Was genau hatte Daniel nicht mitbekommen? Serdalls stechender Blick ließ ihn schließlich wirklich umdrehen und das Zimmer verlassen. Immer noch ungläubig starrte er auf die nun wieder geschlossene Tür, bevor ihn die Trauer überwältigte. Ohne Halt liefen Daniel nun die Tränen über das Gesicht, doch er unterdrückte jeden Laut, während er die Treppe hinunterging.
 

Er wusste nicht, was er machen sollte, in so vieler Hinsicht. Erst einmal hatte er keine Ahnung, wie er die Sache mit Serdall wieder hinbiegen sollte. Das war wohl die Schlimme von allem. Außerdem hatte er keine Ahnung, ob er gehen oder bleiben sollte. Er könnte es nicht ertragen, wieder so lange gänzlich von Serdall getrennt zu sein, andererseits war es für ihn genauso unerträglich, ihn in dieser Situation jeden Tag zu sehen und neben ihrem Schlafzimmer allein in seinem eigenen Raum zu liegen. Schwer lehnte Daniel sich unten im Flur gegen die Wand und lehnte seinen Kopf gegen die kühle Tapete. Was sollte er nur machen?
 

„Daniel?“ Dustin legte nachdrücklich eine Hand auf die Schulter des Schwarzhaarigen. Er kam gerade mit Ethan aus dem Wohnzimmer. Mit einem Kopfnicken bedeutete er seinem Freund nach oben zu gehen, was der Rothaarige nach einem kurzen Kuss auf Dustins Wange auch tat. Seufzend schlang Dustin einen Arm um Daniels Taille und führte ihn ins Wohnzimmer, wo sie im Moment ungestört sein würden. „Was ist denn los?“, fragte er Daniel, als er sie zum Sofa geführt hatte.
 

„Ich weiß es nicht“, erwiderte Daniel leise und erstickt. Erschöpft lehnte er sich an Dustin und krallte sich Halt suchend in dessen Pullover, als sie sich hingesetzt hatten. Er war so froh, dass Dustin mal wieder genau im richtigen Augenblick gekommen war. Ab und an fragte er sich, woher er dieses Gespür hatte, aber dass er es besaß, verschaffte Daniel mal wieder pure Erleichterung. Er brauchte jetzt jemanden zum Reden, jemanden, der Serdall kannte und die Situation zumindest in Ansätzen nachvollziehen konnte.
 

Dustins Augenbrauen zogen sich nachdenklich zusammen. Warum war Daniel denn so aufgelöst? Ein schrecklicher Gedanke kam ihm, als er an das Gespräch von Serdall am heutigen Morgen dachte, doch er versuchte ruhig zu bleiben, um Daniel nicht noch mehr aufzuregen.
 

„Ist was mit Serdall?“, versuchte er eine Unterhaltung in Gang zu bekommen. Beruhigend strich Dustin durch Daniels Haare und über seinen Rücken. Daniel seufzte, holte zittrig Luft und nickte dann. Er wischte sich so gut wie möglich die Tränen aus den Augen und versuchte sich zu beruhigen. Mal wieder sagte er sich, dass er viel zu nahe am Wasser gebaut war und dass es niemandem half, wenn er Badewannen vollheulte.
 

„Er braucht eine Auszeit“, erklärte Daniel.
 

„Wovon?“, fragte Dustin sofort perplex, als es ihm bei Daniels Blick wie Schuppen von den Augen fiel. „Eine Beziehungspause?“, fragte er überrascht und schüttelte ungläubig den Kopf. „Warum denn das? Wegen diesem Kai?“
 

„Ich weiß es nicht“, meinte Daniel ziemlich verzweifelt und vergrub seinen Kopf in den Händen. „Ich dachte es erst, aber scheinbar liege ich da zumindest teilweise vollkommen falsch. Da ist irgendwas, was ihn stört, aber ich habe keine Ahnung, was genau es ist. Und bis ich das nicht herausgefunden habe…“ Daniel schwieg. Den Rest konnte Dustin sich wohl denken. Dustin verzog abschätzig den Mund. Sowas war nicht Serdalls Art und das verhieß schon nichts Gutes.
 

„Dann solltest du mal scharf nachdenken“, rutschte es Dustin versehentlich etwas zu scharf heraus und er biss sich auf die Lippe. Das war jetzt wirklich kein angebrachter Kommentar gewesen. „Daniel“, flüsterte er versöhnlicher, „meinst du nicht, dass es nötig ist, dass ihr euch etwas zurücklehnt und die ganze Sache mit Fei mal verarbeitet? Serdall hat dich, ganz gegen seine Art, wieder zu sich genommen. Wenn er so gehandelt hätte, wie er seine Prinzipien hält, hätte er dich eigentlich nie mehr angucken dürfen. Sei doch froh, dass er sich die Mühe mit dir macht, auch wenn du schon wieder unmögliche Dinge von ihm verlangt hast, wie es scheint. Meiner Meinung ist es vielleicht gar nicht schlecht, dass du dir mal darüber klar wirst, was die letzten Wochen eigentlich geschehen ist.“
 

„Falsch!“, zischte Daniel aufgebracht. „Ich weiß verdammt nochmal sehr gut, wie beschissen ich mich verhalten habe und was ich Serdall damit angetan habe. Wir hatten das geklärt, es war wieder alles gut. Was jetzt anders war ist einfach, dass ich Kai wieder ins Spiel gebracht habe. Aber das scheint es eben nicht zu sein, was Serdall in erster Linie zu stören scheint. Außerdem habe ich keine Ahnung, zu was für Gedanken und Schlüssen Serdall während dieser Trennungsphase kommt.“ Aufgebracht fuhr sich Daniel durch die Haare und sah Dustin dann scharf an. „Du weißt was“, stellte er fest. „Dein Kommentar eben, dass ich scharf nachdenken soll, lässt das mehr als vermuten. Was übersehe ich?“
 

Dustin schüttelte den Kopf.
 

„Du weißt wohl mehr als ich“, meinte er halblaut und zuckte kurz mit den Schultern. „Serdall hasst Kai einfach, was wohl eindeutig berechtigt ist, oder nicht? Und ich verstehe auch diese Auszeit, weil er wohl nicht darüber fertig werden kann, dass du immer noch an diesem Kai hängst. Er ist heut morgen regelrecht ausgerastet, als wir miteinander gesprochen haben. Ehrlich, Daniel, es ist wirklich unfair von dir, Kai überhaupt noch zu erwähnen. Du weißt doch wie emotional Serdall ist.“
 

„Ich habe ihm gesagt, dass ich mit Kai nichts mehr zu tun haben werde, aber das ist ihm auch nicht recht. Im Gegenteil. Er hat mich sogar aufgefordert, dass ich ihn während unserer Auszeit ja besuchen könnte“, begehrte Daniel auf, wobei er dachte, dass zumindest der letzte Punkt eher ironisch gemeint war. Wenn Serdall wirklich gegen Kai war, war wohl das Letzte, was er wollte, dass Daniel ihn weiterhin sah, oder?
 

Ungläubig schüttelte Dustin den Kopf. Daniel war gerade ziemlich stur.
 

„Wahrscheinlich weiß er einfach, dass du eigentlich doch gern mit Kai befreundet sein möchtest? Vielleicht ist es ja das, was ihn so verletzt?“, fragte Dustin schneidend und sah Daniel ernst in die Augen. „Und Serdall hat es vielleicht ernst gemeint, dass du zu Kai gehen solltest. Wahrscheinlich wird dir dann klar, was du an Kai und was du an Serdall hast. Ich glaube fast, dass Serdall möchte, dass du mal in dich horchst, was du für Kai wirklich empfindest. Er will alles, aber nur nicht, dass du irgendwie unglücklich bist.“
 

Daniel ließ ein Geräusch halb Schrei und halb Stöhnen hören, bevor er Dustin einen wütenden Blick zuwarf.
 

„Ich empfinde nichts für Kai!“, rief er aufgebracht. „Warum denkt ihr alle, ich würde irgendwas für ihn empfinden? Ich sehe in ihm nicht mehr als vielleicht einen Kumpel, mit dem man am Wochenende mal in die Disko gehen kann. Das war es! Genauso wenig wie mich Serdalls Familie stört, macht es mir jetzt was aus, dass Kai Drogen verkauft. Klar ist das scheiße, aber es ist seine Entscheidung und er muss damit klarkommen. Zwischen mir und ihm wird nie wieder was sein. Wenn es die Tatsache ist, dass ich mit ihm geschlafen habe oder dass er so eine Scheiße gemacht hat, um mich nicht wieder zu verlieren, dann lasse ich das mit ihm, aber ich scheine es keinem Recht machen zu können und keiner trifft eine klare Aussage, damit ich überhaupt weiß, was ich tun muss, um mich zu bessern!“
 

Freudlos lachte Dustin auf und konnte Daniel nur abschätzig in die Augen sehen. Er atmete einmal tief durch und konnte dann nur mit den Schultern zucken.
 

„Wenn alles so einfach und unkompliziert wäre, müsste Serdall sich ja nicht dazu gezwungen fühlen, eine Pause mit dir einzulegen oder?“, fragte er zischend und verschränkte die Arme. „Wenn es aber umgekehrt wäre, wenn Serdall sich eine Freundin suchen würde, mit der ins Konzert oder Theater geht, dann wäre die Hölle los, wie ich dich kenne. Besonders dann, wenn Serdall sogar schon mal mit dieser Frau geschlafen hätte, obwohl ihr zusammen wart.“ Dustin stand kopfschüttelnd auf und sah zu Daniel.
 

„Scheiße, seit wann verstehst du denn Al nicht mehr? Er hat für dich alles getan, sogar Louise endlich losgelassen und so willst du es ihm danken? Mit einer Freundschaft zu der Person, die Serdall wohl im Moment am meisten verachten muss? Klar sagst du jetzt, dass du diese Freundschaft lassen könntest, aber das hätte dir verdammt nochmal auch eher einfallen können, oder? Bevor du mit Serdall diesen Typen besuchen musstest und Serdall mit dem ganzen Mist nochmal konfrontierst“, zischte Dustin wütend. Er tippte Daniel gegen die Brust. „Serdall hat dir verziehen, du hättest im Gegenzug den Kontakt zu Kai abbrechen können. Hast du nicht. Das war scheiße“, erklärte Dustin energisch und schüttelte wieder den Kopf. „Und dass ich dir das erst einbläuen muss zeigt auch, dass du dir mal wieder alles viel zu einfach gemacht hast.“
 

Daniel sah Dustin nur ziemlich sprachlos an. Seine Gedanken fuhren gerade Achterbahn während er versuchte, das Alles zu verarbeiten. Erschöpft lehnte er sich in die Polster zurück.
 

„Ich war fertig, nachdem Serdall mich von Kai weggeholt hatte“, versuchte Daniel sich Dustin und auch sich selbst gegenüber zu erklären. „Und ich war total erleichtert, als sich dann doch wieder alles eingerenkt hat. Ich weiß nicht, nach dem klärenden Gespräch mit Serdall habe ich wohl gedacht, dass ich jetzt alles haben könnte. Die Sache mit Kai war für mich irgendwie gegessen. Keine Ahnung. Irgendwie habe ich nicht wirklich wahrgenommen, wie schlimm das für Serdall sein muss.“ Daniel schloss frustriert über seine eigene Blindheit die Augen.
 

„Mir würde es nichts ausmachen, wenn Serdall abends in Begleitung weggeht, wenn es beispielsweise Yoshiko wäre. Ich weiß, dass ich bei den beiden nicht zu befürchten habe und ihnen in der Hinsicht vertrauen kann, aber wenn eben doch was gewesen wäre… Du hast recht, ich würde es nicht wollen. Es ist schön, wenn Serdall jemanden hat, mit dem er seine Interessen teilt, die er mit mir nicht teilen kann, aber es gibt eben Grenzen.“ Tief atmete Daniel durch und sah Dustin dann verzweifelt an. „Trotzdem weiß ich nicht, was ich machen soll. Ich weiß nicht, was er von mir erwartet, auch wenn das alles irgendwann richtig in meinen Schädel gedrungen ist.“
 

„Serdall hat deswegen ein wenig bereut, dass er dir so früh alles verziehen hat“, murmelte Dustin leise, mehr zu sich selbst, als zu Daniel. Weil Daniel eben nicht eingesehen hatte, was es wirklich in seinen Augen bedeutet hatte. Vielleicht war es auch der Entzug, der Daniel das nicht so richtig realisieren lassen hatte und Serdall hatte einfach nicht mit ansehen können, wie Daniel vielleicht einfach wieder zu Kai rannte, nur um erneut an Drogen zu gelangen. Denn das wäre hundertprozentig der Fall gewesen, wenn Serdall nicht gleich eingelenkt hätte. Er biss sich kurz auf die Lippe und sah nachdenklich zu dem Schwarzhaarigen.
 

„Ich kann dir leider auch nicht sagen, was er erwartet. Du liebst ihn, wenn du es wirklich tust, dann wirst du auch das Richtige tun, wenn es drauf ankommt. Vorerst denk ich aber, dass du diese kleine Pause als Strafe dafür sehen solltest, dass du so einen Mist verzapft hast.“ Dustin ging wieder zu Daniel und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Glaub mir, Serdall braucht auch ein wenig Zeit zum Nachdenken. Auch wenn ihm ein paar dumme Gedanken kommen werden, er liebt dich viel zu sehr, als dass er dich ganz gehen lassen könnte und das weißt du.“ Plötzlich begann Dustin leicht zu lächeln und setzte sich neben Daniel. „Aber spätestes nach drei Tagen ist genug der Auszeit und du solltest dir bis dahin was überlegt haben. Er erwartet wohl, dass du auf ihn zukommst, nur wäre zu früh ziemlich schlecht und würde nur Streit provozieren“, überlegte Dustin laut und beobachtete Daniel von der Seite.
 

Daniel konnte das Lächeln nicht wirklich erwidern. Drei Tage waren drei Tage zu viel, aber er sah ein, dass es in der jetzigen Situation wohl tatsächlich das Beste wäre. Sowohl er als auch Serdall mussten sich wohl über ein paar Dinge klar werden.
 

„Vielleicht hast du Recht, dass er mich nicht gehen lassen wird. Ich hoffe es zumindest, dass seine Gedanken nicht wieder in negative Richtungen abschwenken. Trotzdem nimmt mich das Ganze ziemlich mit und ich weiß ehrlich gesagt nicht, wo ich in der Zeit hin soll. Einerseits möchte ich nicht nach Hause gehen, weil mir die Distanz viel zu groß wäre, aber in meinem Zimmer direkt Wand an Wand mit ihm halte ich auch nicht aus.“ Daniel sah auf die große Couch rechts von ihnen. „Ich glaube, ich richte mich einfach hier häuslich ein oder so.“
 

Dustin seufzte tief.
 

„Du bist ein ganz schöner Feigling“, murrte er leise und legte wieder einen Arm um Daniels Schultern. „Aber ich glaube es würde euch beiden wohl leichter fallen die drei Tage durchzuziehen, wenn euch eine Etage trennt. Schlaf doch in Ethans Zimmer. Er überlässt dir das sicher für die Nacht, wenn du magst. Ethan schläft sowieso immer bei mir“, meinte er mit einem versauten Grinsen und dachte schon rollig an die heutige Nacht. Plötzlich hörte man Schritte auf der Treppe, bevor Taki kurz hereingestürmt kam.
 

„Onkel Dustin, ich soll sagen, dass wir zu Mama fahren und dann Essen“, versuchte der Kleine so zu erklären, dass man sie nicht für das Abendbrot einplanen sollte. Dustin nickte und sah kurz zur Tür, in der Serdall schon in seinem Mantel stand. Taki lief wieder auf ihn zu und zog seine Schuhe an, während Serdalls Augen kurz an Daniel hingen blieben, ehe er sich abwandte und die Wohnzimmertür hinter sich zuzog. Die Haustür klappte und kurze Zeit später hörte man Serdalls Wagen aufbrummen und die Einfahrt herunterfahren.
 

„Ich glaube, dass du Serdall die nächsten Tage nicht viel in der dritten Etage antriffst“, meinte Dustin entschieden und zog eine Augenbraue nach oben. Serdall würde diese Auszeit wohl ziemlich ernst nehmen.
 

Nickend wandte Daniel seinen Blick von der Tür ab, aus der Serdall schon lange verschwunden war. Er wollte es am liebsten nicht zugeben, aber es hatte wehgetan, dass Serdall ohne wenigstens ein Wort des Abschieds gegangen war. Genauso wie sein Blick, der so unergründlich auf ihm gelegen hatte. Ob Serdall es schlimm fand, dass Daniel mit Dustin geredet hatte? Letzten war es ihm gegen den Strich gegangen, aber da ging es um Gespräche, die er eben nicht mit Serdall selbst führte und das hier war eines, bei dem noch nicht mal im Geringsten die Option bestand, das Thema mit seinem Freund zu diskutieren. Konnte man noch sagen, sein Freund? Sie waren noch zusammen, aber dann eben doch nicht. Stöhnend rieb Daniel sich die Schläfen. Es ging ihm außerdem gegen den Strich, dass Serdall genau jetzt zu seiner verstorbenen Frau fahren musste. Er besuchte ihr Grab regelmäßig, oft auch mit Taki oder eben allein, aber Daniel war sich ziemlich sicher, dass Serdall diesen Zeitpunkt bewusst ausgesucht hatte. Ob er ihm damit wehtun wollte, ob er sich davon Trost versprach oder was auch immer, konnte Daniel nicht sagen. Er sah Dustin wieder an.
 

„Ich weiß nicht, ob ich so begeistert bin, euch im Nebenraum zu hören, wenn ich in Ethans Zimmer schlafe“, murrte er und versuchte seine Gefühle damit zu überspielen.
 

„Du könntest auch Yoshiko fragen und mit ihr für die Tage tauschen“, meinte Dustin schulterzuckend und legte den Kopf schief. Er wusste, dass Ethan nicht leise sein konnte wenn sie Sex hatten und da sie Sex haben würden, konnte er Daniel verstehen.
 

„Oder aber du schläfst in deinem Zimmer und zeigst Serdall, dass du mit dieser Pause umgehen kannst und nicht wieder wegläufst und vor ihm flüchtest“, überlegte Dustin laut und war von diesem Gedanken eigentlich ziemlich angetan. „Dann sieht er wenigstens, dass du keine Angst vor ihm und auch keinerlei Befürchtungen hast, dass eure Beziehung keine Hoffnung hat.“
 

„Ich habe keine Angst vor ihm“, grummelte Daniel. „Allerdings sind die Befürchtungen eben da. Du kennst ihn doch. Sobald man Serdall allein lässt fängt er an, alles und jeden infrage zu stellen. Ich weiß nicht, wie extrem es jetzt noch ist, weil es doch etwas länger her ist, seit wir in dieser Situation waren und bei Fei war ohnehin alles anders. Nur nimmt mich das alles eben ziemlich mit und in meinem Zimmer zu liegen, wenn ich genau weiß, dass er nebenan schläft. Wobei… Wenn ich hier unten schlafe, werde ich denken, dass Serdall ein paar Stockwerke über mir schläft, von daher… Ich glaube du hast recht. Es ist wohl egal, wo ich schlafe, die Gedanken bleiben.“
 

„Trotzdem denkt er, dass du irgendwie Angst hast“, murmelte Dustin halblaut und verzog leicht den Mund. Daniels Kampfgeist würde hoffentlich bald aus seinem Winterschlaf aufwachen. Aber erste Anzeichen gab es ja schon, dass dieser Wille noch existierte. „Es wäre einfach kindisch, wenn du ins Wohnzimmer umziehen würdest“, meinte er dann jedoch lauter und lehnte sich entspannt zurück. „Und irgendwie vertrau ich Serdall diesmal, dass er sich nicht einfach so extrem gehen lässt. Das hat er in den letzten Wochen wohl oft genug an Fei ausgelassen. Trennen kann er sich von dir nicht, sonst hätte er es längst getan. Aber“, Dustin beugte sich wieder ernst vor, „das heißt nicht, dass du es wieder auf die leichte Schulter nehmen darfst.“
 

„Nicht diesmal“, meinte Daniel fest. „Und auch nie wieder. Ich weiß, dass ich Mist gebaut habe und dank dir weiß ich auch langsam, aus welcher Richtung dieser Mist kommt. Ich hoffe, dass es tatsächlich nur drei Tage sind. Allerdings habe ich irgendwie Schiss, dass ich eben doch nicht den richtigen Moment abpasse, um mit Serdall zu reden und alles nach hinten losgeht.“ Seufzend ließ Daniel den Kopf hängen.
 

Nickend verschränkte Dustin seine Unterarme auf seinen Oberschenkeln und lehnte sich so vor.
 

„Meinst du nicht, dass du dein Gefühl dir sagen wird, wann Serdall dich braucht? Hast du darauf die letzten Tage mal geachtet? Serdall beobachtet? Ich sehe Ethan es an, wenn er etwas unbedingt möchte, wenn er etwas auf dem Herzen hat. Das hat was mit Aufmerksamkeit und Liebe zu tun. Ich glaube, das hat bei dir und Serdall ziemlich gelitten, denkst du nicht auch?“ Dustin war gerade über sich selbst verwundert. Er hätte vor zwei Jahren auch nie gedacht, dass er so über seine Beziehung mit Ethan reden würde. Glücklich begann Dustin wieder zu lächeln. Er war so froh, dass alles mit seinem Freund so wunderbar lief, auch wenn dass Daniel gegenüber gerade ziemlich gemein war, konnte er sich den Gedanken nicht verwehren.
 

Daniel schnaubte auf Grund von Dustins Lächeln. Toll, wenn er ihm demonstrieren musste, wie es in einer glücklichen Beziehung zu laufen hatte. Allerdings wusste Daniel, dass er Dustin damit Unrecht tat und ignorierte den glücklichen Gesichtsausdruck einfach.
 

„Du hast recht“, gab er seufzend zu. „Früher wusste ich wenigstens meistens, wenn etwas nicht gestimmt hat aber in letzter Zeit war ich da wohl ziemlich ignorant. Wobei das wohl zumindest ein wenig auf Gegenseitigkeit beruht hat.“ Daniel dachte an die vielen Dinge, über die er mit Serdall nicht geredet hatte, weil er mit negativen Reaktionen gerechnet hatte. „Wir müssen wohl echt sowas wie einen Neuanfang machen. Und jetzt“, Daniel stand abrupt auf, „lass uns Abendessen machen. Ich möchte ehrlich gesagt nicht in die Verlegenheit kommen, dass wir noch nicht fertig damit sind, wenn Serdall und Taki wiederkommen. Denn es ist wohl am besten, wenn wir uns erst mal nicht so häufig sehen."
 

Dustin nickte. Anscheinend hatte Daniel jetzt verstanden, worum es Serdall ging.
 

„Na dann mal los“, meinte er energiegeladen und zog Daniel mit sich in die Küche.

Es würde zwischen Daniel und Serdall schon alles wieder ins Lot kommen. Es war denkbar hirnlos, wenn sie sich nach alldem jetzt trennen würden.
 

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Langsam begann der Schnee millimeterdick liegen zu bleiben. Serdall hatte das Gefühl, dass der Friedhof seine triste Atmosphäre verlor, weil der Schnee zuckerartig über den Grabsteinen niederging und das Weiß unschuldig schien. Taki an seiner Hand sah sich wie immer ziemlich ehrfürchtig um. Er schien zu wissen, dass der Gang zum Grab seiner Mutter immer noch etwas Bedeutendes für seinen Vater war. Momentan war es Serdall einfach nur wichtig, seine Frau zu besuchen. Wegen Daniel. Er seufzte innerlich tief, als sie vor ihrem Grab standen. Es war schon lange für die Winterzeit hergerichtet. Wintergestecke und winterharte Pflanzen hatte er gesetzt, dennoch fand er die kalte Jahreszeit am widerlichsten. Seine Frau hatte Blumen geliebt und nicht irgendwelches Tannengrün. Seufzend hockte sich Serdall hin und legte einen Arm um seinen Sohn, der mit einem schmalen Lächeln zu dem Bild von Louise sah. Die Tränen waren schon vor Jahren versiegt, es blieb aber immer noch das grausige Gefühl des Verlustes. Taki wandte sich im nächsten Moment zu Serdall und vergrub seinen Kopf an seiner Schulter. Die Augen niederschlagend strich Serdall über den schwarzen Lockenschopf.
 

„Hey“, flüsterte er leise und befürchtete, dass Taki doch wieder weinte, doch sein Sohn sah ihn dann nur mit einem schiefen Lächeln an. Serdall erwiderte es und strich nachdrücklich über Takis Schopf, sodass seine Haare noch wüster aussahen als sonst immer.
 

Sie winkten zum Grab, als sie sich wieder aufmachten zu gehen. Antworten würde Serdall hier keine finden. Daniel und er mussten sich zusammenraufen. Wenn sein Freund das wirklich wollte, würden sie es auch schaffen.
 

Nach dem Essen beim Italiener war Taki schon reichlich müde. Schließlich war er noch ziemlich angeschlagen von seiner Erkältung und die Schule musste wohl auch anstrengend gewesen sein. Aber Taki ging es sonst gut. Sein Husten war auf ein Minimum zurückgegangen und sein Schnupfen war auch kaum vorhanden, auch wenn die Nase manchmal noch lief. Serdall musste ihn aus dem Auto tragen, weil er während der Rückfahrt eingeschlafen war. Umständlich befreite er seinen Sohn von seinen Schuhen, wobei Taki kurzzeitig noch einmal aufwachte.
 

Leise zog er die Tür von Takis Zimmer hinter sich zu, nachdem er ihn bettfertig gemacht hatte und Taki nun selig schlief. Serdall merkte, dass ihm diese Dinge mit seinem Sohn manchmal schon fehlten. Er hatte das Gefühl, dass Taki einfach viel zu schnell wuchs. Er wollte gar nicht wissen wie es war, wenn Taki dann dreizehn oder vierzehn war. Wann er seine erste Liebe heimbringen würde und so weiter. Tief seufzend strich sich Serdall über die Augen. Wieso flog die Zeit nur so schnell dahin? Entscheiden schüttelte Serdall den Kopf. Sowas musste ihm jetzt auch nicht durch den Kopf gehen.
 

Zurück in Daniel und sein Schlafzimmer gehend, fing Serdall an darüber nachzudenken, wie es mit seinem Freund und ihm weitergehen sollte. Er hatte gesehen, dass Dustin mit Daniel geredet hatte. Was dabei rausgekommen war, konnte er sich fast denken, aber das gefiel ihm auch nicht wirklich. Es schmerzte ihn schon, dass Daniel nicht von allein darauf kam, was er falsch gemacht, dass er sich Serdall gegenüber ungerecht verhalten hatte. Wie sonst sollte er es werten, dass Daniel ihm vorhielt, ihm nicht genug Beachtung zu schenken und dann selbst Serdall ein Messerstich nach dem anderen versetzte? Serdall hatte sich für Daniel zurückgenommen, hatte Taki am Wochenende alleine gelassen und war mit ihm weggefahren. Er sah es ja auch ein, dass er sich Daniel gegenüber schlimm verhalten hatte, dass er ihn einfach nicht beachtete, weil sein Sohn krank war.
 

Nachdenklich blickend begann Serdall sich auszuziehen. Nach einer Katzenwäsche im Bad kehrte er zurück ins Schlafzimmer und kroch müde unter die Decke auf seiner Bettseite. Er ignorierte es, dass ihm sofort Daniels Geruch in die Nase stieg. Es war schon seltsam, dass sie getrennt schliefen, doch so würde er wenigstens einmal ein wenig Abstand von den ganzen Dingen bekommen und besonders von Daniel. In letzter Zeit hatte er sich einfach so gefühlt, als ob Daniel ihn einfach um den kleinen Finger wickelte. Ein Blick hatte gereicht und Serdall hätte ihm alles erfüllt. Nicht, dass es sonst anders gewesen wäre, aber gerade nach der Sache mit Kai befürchtete Serdall, dass Daniel all das, was er für ihn getan hatte, falsch verstand. Wie sonst hatte Daniel es als fast selbstverständlich sehen können, dass er noch mit Kai befreundet sein könnte? Es war einfach zu schnell gegangen, gestand sich Serdall ein. Er hatte Daniel viel zu viel in der kurzen Zeit verziehen. Jedoch war er da auch selber Schuld dran. Er hatte es gewollt, dass alles so schnell wie möglich wie früher wurde, was sich als Fehler herausstellte.
 

Er konnte eben nicht so einfach damit umgehen, wie er es sich vielleicht gedachte hatte, besonders dann nicht, wenn Daniel immer noch an diesem Kai hing. Daniel hatte ihn betrogen. Das war das Schlimmste, was Daniel ihm gegenüber hatte tun können. Und Serdall bezweifelte, dass Daniel ständig high gewesen war. Irgendwann ließ eine Droge auch mal nach und genau dann hätte Daniel die Notbremse ziehen müssen, doch das hatte er nicht getan und wieder weitergemacht. Serdall zog die Decke enger um seinen Körper, als ein eisiger Schauer über seine Haut rann und eine Gänsehaut prickelnd folgte. Allein Daniels aufgelöster Zustand und die Situation, in der sie sich befanden, hatte Serdall besänftig. Trotzdem belastete ihn das Ganze noch viel zu sehr und wenn sie sich nicht endlich wirklich darüber aussprachen, würde es immer irgendwo in Serdalls Kopf rumlungern.
 

Ja, Daniel hatte geschworen ihn nie wieder zu betrügen, aber war die Freundschaft zu Kai nicht das Mieseste, was Daniel ihm antun konnte? Und das war der Punkt, der Serdall so störte. Er hatte Kai sogar ins Bein geschossen um zu verdeutlichen, wie sehr ihn allein die Existenz von diesem Mann schmerzte. Was tat Daniel? Er wollte sogar wieder zu ihm gehen, um zu sehen wie es ihm ging. Das war das erste Mal, wo Serdall glaubte, dass Daniel den Ernst nicht sah, der hinter der Tat steckte. Nicht den Ernst, dass er einen Menschen angeschossen hatte, sondern den Ernst, dass Serdall zu solchen Mitteln griff, weil sein Freund schon wieder in der Uni mit Kai in Kontakt getreten war. Serdall hatte es Daniel gegenüber oft genug gesagt, was er von Kai hielt, doch sein Freund hatte immer noch den Wunsch verspürt, diesen Mann wiederzusehen. Wenn Serdall ehrlich war, fühlte er sich schlichtweg verarscht und vielleicht sah das Daniel auch endlich mal ein.
 

Sich hin und her wälzend versuchte Serdall Schlaf zu finden, doch erst Stunden später ließ der Gedankenstrom in seinem Kopf nach und schien endlich die Güte zu haben, Serdall seine Ruhe zu gönnen.
 

Ende Kapitel 25

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

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Kapitel 28
 

Vor sich hin summend räumte Daniel am nächsten Morgen durch die Küche. Serdall war auch schon wach, wenn er auch noch ein wenig Zeit brauchte, um wirklich richtig in die Welt der Lebenden einzutauchen. Diese Minuten nutzte Daniel allerdings, um den Frühstückstisch zu decken, auch wenn Serdall wohl lieber den Morgen mit ihm im Bett verbracht hätte. An Daniels Abneigung gegen unnützes Herumliegen nach dem Aufwachen hatte sich allerdings noch nichts geändert.
 

Yoshiko schien ihren Job als Haushälterin und ein Stück weit auch Takis Babysitterin ziemlich ernst zu nehmen. Zumindest hatte sie den Kleinen an die Hand genommen und machte mit ihm einen Morgenspaziergang zusammen mit den Hunden. Daniel sollte es recht sein. Bei der Kälte musste er nicht unbedingt raus. Ziemlich müde schlurfte dann auch schon Dustin in die Küche, mit tiefen Augenringen und verstrubbelten Haaren.
 

„Kaffee“, heulte er gequält und schleppte sich zur Kaffeemaschine, um mit kleinen Augen das Gebräu vorzubereiten und dann das Gerät anzustellen. „Hallo, Dan“, meinte er gähnend, als er sich umwandte und zu dem Schwarzhaarigen sah. „Ihr seid ja früh gegangen gestern. Habt ihr euch noch gestritten?“, fragte er leise und rieb sich übers Gesicht. Sie hätten nicht so lange feiern sollen. Gerade jetzt merkte Dustin, dass er das einfach nicht mehr gewohnt war, besonders dann nicht, wenn er danach Ethan noch ein paar Mal beglücken musste. Versaut musste er bei dem Gedanken wieder grinsen. Daniel schüttelte ebenfalls grinsend den Kopf über Dustins Verhalten. Ehrlich, bei dem Vorbild merkte er immer wieder, wie harmlos Serdall und er doch waren.
 

„Nein, wir haben uns nicht gestritten. Nun, ich bin ein wenig ausfallend geworden, aber generell ist die Nacht sehr schön und sehr befriedigend verlaufen. Du hingegen scheinst langsam alt zu werden.“
 

„Pah“, murrte Dustin angefressen und funkelte Daniel böse an. „Es ist eben ermüdend den ganzen Abend auf seinen Schatz aufzupassen, Spaß zu haben, zu trinken und dann mit Ethan noch dreimal zu vögeln“, erklärte er knurrend und verschränkte die Arme. „Schließlich habe ich die ganze Woche gearbeitet, nicht so wie du oder Serdall“, erklärte er gähnend und holte sich noch eine Tasse für seinen Kaffee. „Ich möchte dich mal bei diesem Fulltimejob sehen.“ Dustin drehte sich nun schon wieder grinsend zu Daniel und ließ seinen Blick über ihn wandern. „Übrigens hab ich nicht gewusst, dass du tätowiert bist. Sieht echt gut aus. Was hat Al dazu gesagt?“
 

„Ach, im ersten Moment war er natürlich nicht so davon begeistert“, meinte Daniel schulterzuckend. „Vor allem, weil ich es mir während der Zeit mit Kai habe stechen lassen. Aber als er die Bedeutung dann auch mal verstanden hat, war es für ihn so zwischen egal und okay schwankend, denke ich mal. Ich finde es toll und rückgängig machen kann man es ohnehin nicht mehr so wirklich.“
 

„Zeig doch nochmal. Ich hab es gestern ja nur halb gesehen. Dann kannst du mir auch gleich erklären, was es bedeutet“, meinte Dustin grinsend und schenkte sich die erste Tasse Kaffee ein. Daniel knöpfte seine Hose auf und schob sie lässig zusammen mit seinen Shorts ein gutes Stück nach unten, sodass der gesamte Drache zu sehen war.
 

„Das Motiv habe ich auf einem Plakat in dem Studio gesehen, wo ich das Tattoo habe machen lassen. Es ist mir gleich ins Auge gesprungen. Einerseits wegen des Drachens, den ich eben mit Japan assoziiere, andererseits wegen dem S, das er mit seinem Körper bildet“, erklärte er.
 

„Uh“, meinte Dustin entzückt und sah ziemlich überrascht auf Daniels bloßen Unterleib, der nicht nur mit dem Tattoo, sondern auch ein paar Kussmalen versehen war. Daniel rasierte sich! Dustin begann lasziv zu lächeln, vergrub aber die Hände in den Hosentaschen, um nicht in Versuchung zu kommen. „Wow, da hast du Serdalls Revier ja gründlich gezeichnet“, meinte er überrascht und nickte irgendwie abwesend. Er stockte kurz, als er auf Daniels rechte Hand sah und zog verwirrt eine Augenbraue nach oben. „Gestern hattest du den Ring aber noch nicht“, sagte er eindeutig perplex. Den Reisverschluss schließend sah Daniel ebenfalls auf den Ring und lächelte selig.
 

„Nun, es kommt darauf an, wie man gestern definiert“, stellte er verschmitzt grinsend klar. „Denn kurz vor zwölf hatte ich ihn wohl schon. Aber du hast recht, er ist neu.“
 

„Ahja“, meinte Dustin unzufrieden und setzte sich zu Daniel an den Frühstückstisch, da der sich nun einen Stuhl geschnappt hatte. Dustin griff nach Daniels rechter Hand und begutachtete das Schmuckstück. „Das Ding hat doch sicherlich eine Bedeutung“, stellte er leise fest und sah Daniel dann fest in die Augen. „Sag nicht, dass Serdall dir einen Antrag gemacht hat? Du weißt schon, dass der Ring dann an die Linke gehört?“
 

„Er hat mir keinen Antrag gemacht. Ehrlich, kannst du dir Serdall in so einer Situation vorstellen? Okay, so romantisch wie er ist wäre das ein extrem klischeehafter Antrag, aber Serdall würde mich nicht fragen, ob ich ihn heiraten will. Die Ringe sind einfach dazu da um zu zeigen, dass wir zusammengehören, wie Serdall das so schön ausgedrückt hat. Noch eine Steigerung zu den Armbändern. Fei hat sie uns übrigens geschickt. Unsere Namen sind innen eingraviert.“ Daniel nahm seinen Ring vorsichtig ab und zeigte ihn Dustin.
 

„Ich bin echt sprachlos“, gab Dustin zu und besah sich kurz die fein eingearbeitete Gravur mit den japanischen Zeichen. „Hätte nie gedacht, dass Fei überhaupt so nett sein könnte und auch nicht, dass Serdall dir diesen Ring anlegt. Irgendwie sind die beiden echt vom gleichen Schlag, oder? Beide können sich um hundertachtzig Grad drehen, wenn sie wollen“, seufzte Dustin und lächelte, als Daniel seinen Ring wieder ansteckte. „Was ist das für Material? Silber?“, fragte er nachdenklich. Die Ringe schienen wie passend gemacht für die Armbänder.
 

„Jaa, man merkt echt, dass die beiden Brüder sind. Und Ringe und Armbänder sind aus Platin, meinte Serdall. Ich dachte erst, es wäre ebenfalls Weißgold, genauso wie seine Kette, aber irgendwie sieht es doch etwas anders aus.“ Entrückt lächelnd drehte Daniel den Ring an seinem Finger etwas hin und her. Dustin verschluckte sich an seinem Kaffee, als er das Wort Platin hörte.
 

„Himmel, die beiden schmeißen echt mit ihrem Geld um sich“, stellte er keuchend fest und sah ungläubig auf Daniels Arm und Hand. „Ring und Armband ergeben bestimmt ein paar tausend Euro“, meinte er ziemlich neidisch und legte leicht den Kopf schief. „Vielleicht sollte ich dich erschlagen und das Zeug verkaufen“, meinte er belustigt und sah Daniel ins Gesicht, das doch etwas schockiert dreinsah. „Sag jetzt nicht, du wusstest nicht, wie teuer Platin ist“, sagte er und begann leise zu lachen. Das war so typisch für Daniel.
 

Daniel schüttelte nur vollkommen baff den Kopf. Er musste schlucken wenn er sich vorstellte, dass er gerade sein erstes Auto an Finger und Handgelenk trug. Im übertragenen Sinne. Oh, wenn er Serdall erwischte, würde er ihm was erzählen. Er hatte seinem Freund klar und deutlich gesagt, nachdem er ihm den neuen Wagen geschenkt hatte, dass er nie wieder ein extrem teures Geschenk haben wollte und dann kam ein Armband aus Platin?
 

Nun musste Dustin wirklich lachen.
 

„Nun ja, das ist natürlich doch schon ziemlich ignorant“, sagte er glucksend und duckte sich leicht bei Daniels bösem Blick. „Du hättest doch ahnen müssen, dass dein Geburtstagsgeschenk nicht von der Stange ist“, meinte er augenrollend. „Schließlich kennst du doch Serdall. Für sein Prinzesschen nur das Beste.“
 

„Und wenn es eine Sonderanfertigung aus Weißgold gewesen wäre, hätte er garantiert trotzdem nur einen Bruchteil des Preises bezahlt“, beschwerte Daniel sich und sah etwas abwertend auf das Armband. Es war schön, ja, und es hatte eine sehr wichtige Bedeutung für ihn, trotzdem würde er es Serdall am liebsten dafür um die Ohren pfeffern, dass er sich über ihre Absprache hinweggesetzt hatte. Daniel wollte nicht, dass sein Freund alles irgendwie für ihn bezahlte und ihm solche Geschenke machte. Er fühlte sich dabei irgendwie minderwertig und so, als würde er Serdall nur ausnutzen, was ihm einige Leute schon vorgeworfen hatten. Aber er meinte es ja eigentlich nur gut. Daniel seufzte.
 

Verlegen kratzte sich Dustin am Kopf. Was sollte er auch sagen? Serdall war nun mal so, dass er für seine Liebsten eben alles gab.
 

„Sei froh, dass er dir noch kein Haus geschenkt hat, wie er es bei Louise getan hat“, gab er zu bedenken und lächelte schief. „Daniel, er würde da noch ganz andere Sachen anbringen, wenn du ihn lassen würdest. Da sind ein Hund, ein Auto und ein Platinarmband noch gar nichts.“
 

„Sollte er es wagen mir ein Haus zu schenken, was er nicht tun würde, weil er schon hier eines hat und ein weiteres für mich sinnlos wäre, würde ich die Schlüssel im Klo versenken“, grummelte Daniel und kratzte mit seinem Messer auf dem Teller herum. Irgendwie hatte es ihm einen ganz schönen Dämpfer versetzt, dass er doch wieder sowas Teures bekommen hatte, aber es war nun einmal unter anderem Serdalls Art um auszudrücken, dass er ihn liebte. Egal wie verquer das war.
 

„Dann wäre er ziemlich gekränkt, vermute ich mal“, grinste Dustin und schmierte sich eines der Brötchen. Es war schon krass, wie Serdall es mit seinem Geld hielt, aber er hatte es ja auch. Dustin wollte nicht wissen, wie viel sich da auf seinen Konten häufte und was er alles schon für Taki und vielleicht sogar für Daniel angelegt hatte. Serdall hatte sicherlich eine satte Lebensversicherung. Selbst bei Louise war eine enorme Menge Geld von der Versicherung gekommen, wie Dustin in einem der Briefe zufällig gesehen hatte. Dafür hatte Serdall aber viel für eine ordentliche Beerdigung und Totenfeier ausgegeben. Trotzdem war es für eine Person allein wohl zu viel Geld, besonders bei Serdall. Er machte sich ja nicht unbedingt überteure Luxusanschaffungen, aber lebte eben doch recht angenehm und leistete sich ab und an mal etwas. In den zwei Jahren nach Louises Tod hatte sich Serdall gar nichts Großes gekauft, zumindest nicht dass Dustin wusste. „Serdall pennt wohl noch, oder? War bestimmt eine heiße Nacht“, meinte er und lächelte versaut.
 

„Er pennt wohl wieder“, korrigierte Daniel. „Eigentlich war er schon wach und wollte nur noch etwas liegenbleiben, aber so wie ich ihn kenne, hat er sich noch einmal umgedreht und weilt wieder im Land der Träume. Das würde er aber wohl auch machen, wenn die Nacht nicht so heiß gewesen wäre. Wobei mir einfällt, dass ich meine Klamotten im Wohnzimmer noch aufsammeln muss.“ Daniel griff jetzt ebenfalls nach einem Brötchen und schmierte es sich. Es hatte wohl wirklich keinen Zweck auf Serdall zu warten. Bekam er eben erst zum Mittag etwas zu essen.
 

„Im Wohnzimmer? Habt ihr es etwa gestern noch da getrieben?“, fragte Dustin nun doch neugierig und biss von seinem Brötchen ab. „Es scheint ja nun doch ein bisschen besser im Bett zu laufen, oder? Ist er jetzt ein wenig offener?“
 

„Ja, das kann man wohl so sagen“, meinte Daniel glücklich und dachte an die letzte Nacht, in der Serdall die Abmachung tatsächlich eingehalten hatte und sie beim vierten Mal getauscht hatten. Und er konnte Daniel sagen, was er wollte, aber es war dieses mal ziemlich stressfrei und unkompliziert abgelaufen und es hatte Serdall sehr wohl fast von Anfang an eine Menge Spaß gemacht. „Und nein, wir haben es nicht im Wohnzimmer getrieben. Ich habe nur geputzt, weil ich Serdalls Scotch durch die Gegend geworfen habe.“
 

„Ah ja, du hast also nackt geputzt“, stellte Dustin grinsend fest und stützte seinen Kopf in eine Hand. „Und dann gab’s Versöhnungssex“, meinte er weiter grinsend und sah Daniel ernst in die Augen, als ob er etwas in ihnen zu suchen schien. „Aber da ist irgendwie noch etwas. Etwas mit Serdall.“
 

Daniel kniff abschätzig die Augen zusammen.
 

„Du machst mir Angst“, stellte er ernst fest. Ehrlich, bei Dustin dachte er echt oft, dass der Kerl ihm durch die Augen in das Innerste seiner Seele sehen konnte. Oder eher in das Innerste seiner Gedanken und Erinnerungen. „Frag doch einfach. Das macht dich weniger unheimlich“, fügte Daniel noch murmelnd hinzu.
 

Dustin begann abschätzend zu überlegen und legte den Kopf leicht schief. Er sah Daniel fest an und begann plötzlich zu grinsen.
 

„Du wirst rot, also hat er dich wieder rangelassen“, flötete Dustin amüsiert und schlug Daniel leicht auf die Schulter, als er noch eine Nuance röter wurde. Der Blonde gluckste vergnügt und schmierte sich ein neues Brötchen. Daniel war echt zu leicht zu durchschauen. Die Nase rümpfend stützte Daniel sein Kinn auf den Armen ab.
 

„Ich glaube du verrätst mir dein Geheimnis nicht, wie du mich immer wieder durchschaust, sodass ich diese Technik auch mal bei Serdall anwenden könnte, oder?“, wollte er wissen.
 

„Nein. Betriebsgeheimnis“, summte Dustin und biss von seinem Brötchen ab. „Außerdem“, nuschelte er mit vollem Mund, „muss man bei Serdall einfach gucken, wie er sich gibt. Da merkt man, wenn was faul ist. Weißt du doch“, zwinkerte er und grinste mit vollen Backen. Schnell machte er noch zwei weitere Brötchen und machte eine Tasse Tee. „Ethan ist gerade etwas bewegungsunfähig“, erklärte er verträumt lächelnd. „Ich werd ihn mal ein bisschen auf Touren bringen.“
 

„Hm“, meinte Daniel nur unbestimmt und schmierte Serdall ein paar Brötchenhälften. Der würde wohl auch nicht von allein runterkommen, aus mehreren Gründen. Außerdem brachte Dustins Rat, Serdall etwas zu beobachten und zu sehen, wie er sich gab, ihm nicht sehr viel, da Serdall sich hauptsächlich in Situationen, die Daniel ohnehin selbst ausgelöst hatte, anders verhielt. Es ging Daniel um die anderen Gelegenheiten, bei denen er eben nicht Auslöser war. Seufzend lud er alles auf ein Tablett und ging nach oben. Egal, momentan war ohnehin alles zwischen ihnen geklärt.
 

Leise trat Daniel ins Schlafzimmer und wartete einen Moment, bis sich seine Augen an das spärliche Licht, das gerade so durch die Ritzen der Jalousien drang, gewöhnt hatten. Leicht lächelte Daniel als er sah, dass Serdall tatsächlich wieder schlief. In den ganzen zwei Jahren hatte er aus seinem Freund immer noch nicht ganz die Angewohnheit des lange Schlafens vertreiben können. Vorsichtig stellte er das Tablett auf der leeren Bettseite ab und beugte sich über Serdall.
 

„Aufwachen“, hauchte er leise und küsste sich über die von der Decke freigelegte Brust. Nur langsam regte sich Serdall ein wenig und schien endlich aus dem Land der Träume zu gleiten. Er seufzte müde und schlug halb die Augen auf.
 

„Daniel“, stellte er heiser fest und gähnte verhalten. „Ich steh gleich auf“, meinte er nicht sehr überzeugend und legte einen Arm über seine Augen. Die sanften Küsse auf seinem Brustkorb genießend seufzte Serdall leise und zog die Nase leicht kraus. Er streckte die Arme über seinen Kopf und knurrte leicht dabei, ehe er sie um Daniels Oberkörper legte und ihn zu sich zog, um sich an seinen Freund zu kuscheln. „Noch fünf Minuten“, flüsterte er halblaut und hauchte einen Kuss auf Daniels Kinn.
 

„Das hast du auch schon vor einer Stunde gesagt“, seufzte Daniel und brachte wieder etwas Distanz zwischen sich und Serdall. Sein Blick glitt zum Tablett und er griff guten Mutes nach der Tasse darauf, um sie Serdall neben den Kopf zu halten, sodass der Geruch zu seinem Freund herüberzog. „Kaffee?“, fragte er hoffnungsvoll.
 

„Jetzt nicht“, meinte Serdall nun, trotz Daniels hoffnungsvollen Blickes und kuschelte sein Gesicht wieder in die Decke. „Aber gleich“, meinte er gähnend und griff nach Daniels freier Hand, um sie mit seiner zu verweben, ehe er wieder ruhig dalag und eingeschlafen zu sein schien.
 

Frustriert aufstöhnend fuhr Daniel sich durch die Haare. Oh wie er es hasste, Serdall morgens nicht aus dem Bett zu kriegen. Es gab jetzt noch zwei Notlösungen für solch eine Situation. Die eine war der kalte Waschlappen. Das hatte Daniel einmal gemacht und dann nie wieder. Streit war dabei vorprogrammiert, da Serdall sehr empfindlich auf einen solchen Start in den Morgen reagierte. Die zweite Möglichkeit… Seufzend zog Daniel sich bis auf die Shorts aus und krabbelte dann unter die Decke. Er zog Serdalls Pyjamahose ein Stück nach unten und legte seine Hand um das halberigierte Glied.
 

„Na wenigstens einer von euch scheint zumindest teilweise wach zu sein“, murrte er, bevor er seinem Mund um die Eichel legte.
 

„Daniel“, stöhnte Serdall, halb erregt, halb genervt und biss sich im nächsten Moment auf die Lippe. Wieso war sein Freund nur so ein kleiner Schleicher und viel zu talentiert mit der Zunge? Keuchend kam Serdall wenig später und setzte sich dann halb auf. „Das war unfair“, stellte Serdall klar und hob die Decke an, unter der ihn Daniel unschuldig guckend angrinste. Augenrollend ließ sich Serdall nun wieder zurückfallen, als ihm das leichte Puckern in seinem Hintern bewusst wurde. Er hatte es wirklich noch einmal mit Daniel getan. Leicht begann er zu lächeln. Es war um ein Vielfaches besser gewesen, als beim ersten Mal. Serdall zog Daniel zu sich und sah ihm fragend in die Augen. Warum musste Daniel nur immer so früh aufstehen? Seufzend küsste er Daniels Lippen. „Du hast gewonnen. Ich geh duschen“, murrte er und machte sich daran, die Beine aus dem Bett zu schieben.
 

„Ich komm mit. Es war doch recht stickig und ziemlich heiß unter der Decke“, erwiderte Daniel um einiges enthusiastischer und war sogar noch vor Serdall im Bad, der sich erst einmal ausgiebig strecken musste und dann langsam auf ihn zu schlurfte. Vor sich hin summend schlüpfte Daniel aus seinen Shorts und stellte das Wasser auf eine angenehme Temperatur. „Kommst du?“, fragte er Serdall, der immer noch in der Tür stand und ihn einfach nur beobachtet hatte.
 

Serdall begann zu lächeln. Zwar nervte ihn Daniels energetische Art ein wenig, doch dass sein Freund so glücklich zu sein schien, zählte für Serdall mehr. Kurz blieb sein Blick an Daniels rechter Hand hängen und an dem Ring. Ein warmes Gefühl breitete sich in ihm aus, als er auf Daniel zuging und ihn umarmte.
 

„Ich glaube, wir hätten gestern noch eine Runde machen können“, meinte er gähnend, während er fahrig über Daniels Körper strich und sich über seinen Nacken küsste.
 

„Hätten wir?“, fragte Daniel gespielt neugierig und zog Serdall mit sich unter die Dusche. Seine Pyjamahose hatte Serdall im Schlafzimmer gelassen. „Nun, ich denke wenn wir noch eine Runde drangehängt hätten, dann hätte ich dich vor dem Mittagessen auf gar keinen Fall gesehen. Von daher denke ich, dass das schon ganz gut so war. Außerdem ist es auch nicht so, dass wir nicht da weitermachen könnten, wo wir gestern aufgehört haben.“ Grinsend lehnte er sich gegen die etwas kühle Duschwand und zog Serdall zu sich, um ihn leidenschaftlich zu küssen.
 

Überrascht wanderten Serdalls Augenbrauen in die Höhe, bevor er den Kuss erwiderte. Daniel schien wirklich gut gelaunt zu sein, so freizügig wie er wieder war. In den Kuss lächelnd fasste Serdall an dessen Po und brachte ihre Becken eng gegeneinander.
 

„Du hättest mich auch so vor dem Mittagessen nicht gesehen, wenn du mich weiterschlafen lassen hättest“, murrte Serdall gespielt säuerlich und umschlang Daniel an der Taille, während sein Freund seine Arme um seinen Nacken schlang. Lächelnd küsste er die rosigen Lippen. „Aber so finde ich das auch gar nicht schlecht“, hauchte er leise und drückte Daniel forsch gegen die Wand.
 

„Ich hätte auch nicht erwartet, dass du mir und den Reizen meines Körpers widerstehen kannst“, neckte Daniel. Er steckte einen Arm unter der Duschstange hindurch, um einen gesicherten Halt zu haben und ließ seine Hände Serdalls Rücken hinab wandern. Nachdrücklich zog er ihn ganz an sich, sodass ihre Körper sich in der ganzen Länge berührten.
 

„Niemals“, bestätigte Serdall und griff in Daniels Knie, um ihn sich auf die Hüfte zu heben. „Du und deine Reize, ihr seid unwiderstehlich“, hauchte er grinsend und küsste Daniel tief. Seine rechte Hand schummelte er zu Daniels Hintern, während er seinen Freund mit der anderen sicher stützte. Serdall schüttelte innerlich über sie den Kopf. Sie hatten schon vor ein paar Stunden phänomenalen Sex gehabt und jetzt würden sie wieder miteinander schlafen. Waren sie süchtig? Ja, dachte sich Serdall entschieden. Er war süchtig. Nach Daniel, seiner Liebe, seinem Körper und den göttlichen Gefühlen, die er mit ihm hatte.
 


 

Einige Zeit später stand Daniel in einer frischen Shorts und sich mit einem Handtuch die Haare trocken rubbelnd vor dem großen Fenster im Schlafzimmer. Für einen Spätherbsttag war es ziemlich hell und es sah nicht so aus, als würde es in nächster Zeit einen Schneesturm oder ähnliches geben.
 

Serdall kam aus dem Badezimmer und umarmte ihn von hinten, den Kopf auf seiner Schulter aufstützend. Daniel ließ das Handtuch auf den Boden gleiten und legte seine Arme auf Serdalls.
 

„Sieht so aus, als wäre heute wirklich der perfekte Tag, um auf irgendeinem See oder so etwas Schlittschuh zu laufen“, meinte er. Serdall strich mit einem Finger über den Ring an Daniels Hand und verzog leicht mürrisch das Gesicht.
 

„Auf einem See? Da kann ich mich ja gar nicht an den Seiten abstützen. Ich bin kein guter Eisläufer“, gab er zu und seufzte leise, bevor er mit dem Mund über Daniels Hals wanderte. Daniel und Taki zuliebe würde er trotzdem mitkommen, auch wenn er befürchten musste, dass er sich vielleicht die Hand brach… Nun ja, vielleicht sollte er doch versuchen, Daniel auf eine andere Idee zu bringen, denn mit dieser Aussicht wurde ihm schon leicht schlecht. „Wie wäre es denn mit einem Spaziergang im Wald? So verschneit ist das doch sehr romantisch“, schlug Serdall vor. Daniel legte leicht den Kopf schief.
 

„Ich glaube nicht, dass ich diesem feigen Fluchtversuch zustimmen kann“, meinte er grinsend. „Außerdem hast du mir gestern zugesichert, dass wir Eislaufen gehen im Austausch dafür, dass ich dich küsse. Erinnerst du dich?“ So ganz ohne Hintergedanken hielt Daniel nicht an diesem Tagesplan fest. Ein Waldspaziergang wäre auch nicht schlecht, aber dort bestand wohl kaum die Möglichkeit, dass ein beinahe aufs Eis fallender Serdall sich hilfesuchend an seinen Freund klammerte und ihn anschließend vor Dankbarkeit besinnungslos küsste. Daniel seufzte. Man durfte ja wohl noch träumen. „Aber wir gehen in irgendeine Eishalle, wenn dir das lieber ist. Aber eine mit offenem Dach oder so, damit wir wenigstens etwas von diesem recht schönen Tag haben.“
 

Serdall seufzte leise an Daniels Ohr.
 

„Bevor wir eine Eishalle ohne Dach gefunden haben, ist es Abend“, meinte er leise und schloss sich seinem Schicksal ergebend die Augen. „Es gibt einen ziemlich schönen See ein paar Kilometer außerhalb der Stadt. Der wird im Winter fürs Eislaufen bewacht. Da brauchen wir keine Angst haben, einzubrechen“, meinte er halblaut. Auf diesem See war Dustin einmal gewesen und Serdall konnte sich daran entsinnen, dass sein Schwager davon begeistert war. Zumindest hatte er noch tagelang davon geschwärmt. „Taki freut sich bestimmt“, versuchte er sich selbst noch ein wenig zu überzeugen, was ihm auch halbwegs gelang.
 

„Genau, Taki freut sich bestimmt“, stimmte Daniel lächelnd zu und löste sich dann von Serdall. „Und genau deswegen sollten wir auch dafür sorgen, dass wir schnell loskommen, da es, wie du sicherlich weißt, im Winter sehr früh dunkel wird und ich nicht nur eine Stunde dort bleiben will. Mittag essen wir einfach dort. Die haben garantiert eine Pommesbude oder ähnliches, wenn sie den See schon extra bewachen lassen. Taki wird sich auch über Fastfood freuen. Also auf geht’s.“ Daniel griff sich wahllos ein paar Sachen aus dem Schrank, zog sich zweischichtig an, damit ihm nicht zu schnell zu kalt wurde und sah dann erwartungsvoll auf Serdall. Sein Blick blieb auf dem Armband und dem Ring hängen, die sein Freund genauso wie er jetzt beide rechts trug. „Was ich dich noch fragen wollte“, murmelte er ernst und fast schon bedrohlich. „Was“, er hob seinen rechten Arm, um das Armband vor Serdalls Augen zu halten, „ist das?“
 

„Wie, was ist das?“, fragte Serdall verwirrt und ging auf Daniel zu, um an ihm vorbeizulangen und sich ebenfalls warme Sachen herauszusuchen. „Bist du jetzt total abgedreht?“
 

„Nun, ich werde meine Frage dann selbst beantworten. Das ist ein Armband“, erklärte Daniel schnaubend. „Und wie du mir gestern erklärt hast, ist es aus Platin. Erkennst du jetzt, worauf ich hinaus will?“ Mit zusammengezogenen Augenbrauen sah er Serdall dabei zu, wie er sich seine ausgewählte Kleidung auf die Arme lud. Kopfschüttelnd zog sich Serdall im nächsten Moment an.
 

„Nein, aber ich befürchte langsam wirklich, dass du irgendetwas zu sehr gegen den Kopf bekommen hast“, sagte er schmunzelnd und ging auf Daniel zu, als er sich gerade einmal Shorts und Hose angezogen hatte. „Hast du dich gestern irgendwie gestoßen?“, fragte er besorgt und strich Daniel einmal durch die Haare, um nach einer Beule zu fühlen.
 

„Hände weg“, zischte Daniel und wich einen Schritt zurück. Bei Serdalls Gesicht, das von Schock und Unverständnis gekennzeichnet war, senkte er den Kopf und seufzte frustriert auf. „Tut mir leid“, murmelte er. „Aber“, Daniels Kopf schoss wieder in die Höhe und er näherte sich Serdall, um ihm mit dem Finger anklagend auf die Brust zu stechen, „wie kannst du es erstens wagen, mir dieses verdammte Armband zu schenken, nachdem ich dir schon bei dem Auto fast den Kopf umgedreht hätte und wir ausgemacht hatten, dass ich keine teuren Geschenke mehr bekomme, mir dann nicht zu sagen, dass das Armband aus Platin ist und als ich es dann erfahren habe und augenscheinlich nicht wusste, dass es aus Platin ist, mir dann nicht zu sagen, wie teuer dieses verfluchte Armband durch dieses Material ist!“
 

Augenrollend ließ sich Serdall auf ihr gemeinsames Bett fallen, zu dem Daniel ihn gedrängt hatte. Ziemlich baff sah er Daniel an und schüttelte den Kopf. Er wusste im ersten Moment nicht was er sagen sollte. Gut, er hatte sich über ihre Vereinbarung hinweggesetzt, aber dass Daniel deswegen so wütend wurde, hätte Serdall nicht gedacht.
 

„Daniel“, fing Serdall ernst an, „spielt das denn jetzt noch eine Rolle? Nach der ganzen Zeit, in der du und ich dieses Armband glücklich getragen haben?“ Lächelnd stand Serdall auf und fasste nach Daniels Händen. „Ich habe es dir damals nicht unter die Nase gerieben, dass es solch ein teures Material ist, damit wir uns nicht den schönen Abend versauen. Du siehst doch, wie du dich jetzt schon wieder aufregst. Es ist doch keine große Sache.“
 

Serdall die Hände entziehend begann Daniel durch den Raum zu tigern und immer wieder böse und wütende Blicke in Serdalls Richtung abzufeuern.
 

„Es ist eine große Sache“, stellte er klar. „Und es spielt jetzt auch noch eine Rolle. Denn es geht nicht um dieses Armband oder mein Auto, sondern es geht ums Prinzip. Erstens, wie soll ich wissen, ob du dich nicht auch über andere Vereinbarungen hinwegsetzt, wenn du meinst, dass deine Meinung dann schließlich doch wichtiger ist, weil du eben diese oder jene Aktion ausführen kannst, wie zum Beispiel dieses Armband kaufen, weil du das Geld hast? Zweitens, was meinst du, wie ich mich dabei fühle, wenn ich andauernd solche Geschenke bekomme? Ich will auf eigenen Beinen stehen, will nicht, dass mir irgendwer vorwirft, dass ich mich von meinem Freund reich beschenken lasse, dass ich nur mit dir zusammen bin, weil du so viel Geld hast. Diese Anschuldigungen wurden gemacht, vor mir und auch vor dir.“
 

Daniel schoss dieses Mal einen verzweifelten Blick in Serdalls Richtung und dachte an Kais Worte, als er versucht hatte, Daniel allein und auch ihm und Serdall zusammen im Krankenhaus klarzumachen, dass ihre Beziehung eigentlich nur auf Äußerlichkeiten basierte. Daniel wusste, dass Kai das nur gesagt hatte, um sie auseinanderzubekommen, damit er bei Daniel wieder Chancen hatte, aber sah es nicht für Außenstehende genau danach aus? Serdall war nun einmal gegenüber fremden Leuten eher zurückhaltend bis unfreundlich, wer dachte denn dann daran, dass Daniel sich das den ganzen Tag lang freiwillig und ohne Hintergedanken antat?
 

Serdall wandte verletzt den Blick ab. Daniels Sicht dieser Dinge tat irgendwie weh. Serdall meinte es nur gut, in jeglicher Hinsicht. Er wollte Daniel eben etwas bieten, er hatte schließlich das Geld dazu und er hatte Daniel sicherlich nie das Gefühl gegeben, gekauft zu sein. Schließlich geschahen diese Geschenke nur zu besonderen Anlässen und wenn Daniel sich selbst da schlecht fühlte, dann wusste Serdall auch nicht weiter. Warum musste er denn auf andere hören? Besonders auf diesen Kai, der Daniel wohl noch im Hinterkopf klang. Mit diesen Argumenten hatte Kai also Daniel von seiner Seite getrieben. Serdalls Blick wurde hart, als er seine Hand austreckte.
 

„Dann gib mir das Armband zurück“, sagte er kalt und sah Daniel ernst in die Augen. „Ich dachte, dass zumindest du mehr dahinter siehst als das Geld, was darin steckt. Meinetwegen gib mir auch das Auto zurück. Dann schenke ich dir eben nichts mehr. Schließlich würden alle meine Geschenke eben über deinem Budget liegen. Und die Sache, dass ich mich über dich hinweggesetzt habe“, Serdall biss sich leicht auf die Lippe, ehe er sich zwang weiterzusprechen, „das tut mir leid. Aber wenn man dich beschenkt, kann man es dir anscheinend nie recht machen.“ Serdall schluckte an dem Klos, der sich in seiner Kehle bilden wollte, während er immer noch darauf wartete, dass Daniel ihm das Armband gab. „Und wenn du auf eigenen Beinen stehen willst, solltest du vielleicht auch nicht in diesem Haus wohnen. Es wäre besser, wenn du wieder zu deiner Mutter ziehst. So können wir wenigstens die Mäuler stopfen, die neidisch darauf sind, dass ich dich eben liebe, mit allem was ich habe. Ich dachte zumindest bis jetzt, dass du nicht das Gefühl hättest gekauft zu sein. Wenn es doch so ist, dann sollten wir diese ganze Sache schleunigst ändern.“
 

Geschockt sah Daniel ihn an.
 

„Das ist nicht dein Ernst, oder?“, fragte er heiser, doch Serdall machte den Anschein, als würde er es sehr wohl so meinen, wie er es sagte. Daniel warf einen Blick auf sein Armband, dann auf Serdall, bevor er es schließlich mit deutlich beschleunigtem Atem abnahm und in Serdalls wartende Hand legte. Er fühlte sich, als würde ein großes Stück von ihm jetzt fehlen und er starrte auf sein nun so leer wirkendes Handgelenk. Versucht tief einatmend schloss Daniel kurz die Augen.
 

„Ich habe nicht das Gefühl, gekauft zu sein“, flüsterte er. „Und ich sehe sehr wohl die Bedeutung hinter diesen Geschenken. Aber nachdem ich dir gesagt hatte, dass ich nicht damit klarkomme, dass alles so teuer ist, hättest du mir nach diesem voll ausgestatteten Auto nicht einfach ein Armband aus Weißgold kaufen können, wie es deine Kette ist? Ist die Bedeutung, die es damit erfüllen soll, nicht dieselbe? Es kommt mir nicht nur darauf an, was die Leute denken, wenn sie sehen, dass ich so reich beschenkt werde. Es geht auch darum, was ich dabei fühle. Du lässt mich hier einfach so wohnen, ohne dass ich einen Cent hinzu bezahle, du bezahlst mein Studium, meine Kleidung, einfach alles. Ich komme mir so abhängig vor und an Festtagen steigert sich dieses Gefühl ins Unermessliche, weil ich einfach nicht weiß, wie ich das wieder aufwiegen soll. Und dann versuche ich mit dir darüber zu reden, aber über Vereinbarungen dieser Art setzt du dich hinweg. Wenn das also wirklich der einzige Weg ist und du so denkst, wie du es eben ausgeführt hast…“
 

Daniel beendete seinen Satz nicht, sondern holte sich eine Reisetasche aus dem Kleiderschrank und begann einige Sachen darin einzupacken. Tränen hatten sich in seinen Augen gebildet, wofür er sich schon wieder verfluchen konnte. Wenn Serdall ihn so sah, würde er alles sagen, nur damit es Daniel wieder besser ging und es ging hier nicht um irgendwelches Mitleid, das zu irgendwelchen Aktionen und Beteuerungen führte, sondern es ging ihm darum, dass Serdall tatsächlich verstand, um was es ihm ging.
 

Serdalls Finger schlossen sich fest um das Armband, das Daniel tatsächlich abgenommen hatte. Er hätte nie gedacht, dass Daniel so weit gehen würde, dass er das tatsächlich einfach so wegwerfen würde…
 

„Wenn du nicht siehst, dass es eben zu mir gehört…“, zischte Serdall wütend und warf Daniels Armband auf das Bett, ehe er an Daniel vorbei und auf die Tür zuging. „Deswegen habe ich es dir verschwiegen. Und jetzt, wo wir gerade mal wieder wirklich zusammen sind, da musst du das ausgraben. Daniel“, Serdall blickte zur Seite und sah kurz auf seinen weinenden Freund, „ich liebe dich. Aber ich scheine mal wieder deinen Vorstellungen nicht zu entsprechen.“ Serdall drehte sich nun vollends noch einmal zu Daniel und sah ihm kalt in die Augen. „Das alles, was in den letzten Wochen passiert ist, das ist mehr als eine Beziehung vertragen kann. Und wieder gibt es etwas, was nicht stimmt. Es soll wohl nicht sein“, meinte leise, ehe er sich umwandte und das Zimmer verließ. Irgendwann war es auch einfach mal genug. Wütend auf sich selbst und auf Daniel machte sich Serdall auf dem Weg nach draußen. Er griff nach seinem Mantel, stieg in seine Schuhe, bevor er sich seinen Schlüssel nahm und durch den Schnee zur Garage lief, ohne sich verabschiedet zu haben. Er brauchte jetzt seine Ruhe, ohne irgendwen, ohne Daniel.
 

Daniels Atem flog, als wäre er gerade einen Marathon gelaufen und seine Augen sprangen im halben Sekundentakt von der Tür zu seiner halbgepackten Tasche und dem Armband. Es brauchte einige Zeit, bis sich der erste Schock gelegt hatte, doch dann traf ihn die Realität umso härter. Serdall hatte Schluss gemacht. Das war der Gedanke, der ihm gerade die ganze Zeit hämmernd im Kopf herumschwirrte. Nur noch Sekunden konnte er seine Maske aufrecht erhalten, dann brach er schluchzend über seiner Reisetasche zusammen.
 

Er hatte alles falsch gemacht. Mal wieder. Warum hatte er auch dieses Thema zur Sprache bringen müssen? Er wusste doch, wie schwer es war, Serdall von seinen Ansichten abzubringen. Oder waren es seine eigenen Ansichten, die falsch waren? Ehrlich gesagt war Daniel nicht davon überzeugt, dass darin sein Fehler lag. Vielleicht war es begründet gewesen, Serdall darauf anzusprechen, das Problem war nur, eben ‚Serdall‘ darauf anzusprechen, da eine negative Reaktion absehbar war. Nur wie negativ sie war, hätte Daniel sich nie im Leben ausmalen können.
 

Kraftlos schleppte er sich kurz zur Tür, um den Schlüssel herumzudrehen und kroch dann auf Serdalls Bettseite, nachdem er das Armband hochgenommen und auf das Kopfkissen gelegt hatte. Ein Entschluss hatte sich in seinem Kopf gebildet und er brauchte Kraft, um ihn ausführen zu können. Viel Kraft, die er sich hier zu holen versuchte. Seine Augen waren wieder trocken und Daniel wischte sich die letzten Tränenspuren von den Wangen, während er hinaus in den nun grauen Himmel starrte und die Schneeflocken betrachtete, die leise gen Boden fielen.
 

Stundenlang war Serdall einfach herumgefahren, immer konzentriert auf die Straße sehend, damit er bei der Glätte nicht noch im Graben landete. In ihm schien die gleiche Kälte zu herrschen, die der Winter sie mit seinem Eis und dem Schnee verkörperte.

Hatte er wirklich gerade mit Daniel Schluss gemacht? Es fühlte sich zumindest so an. Was hatte es auch für einen Zweck, diese Beziehung fortzuführen? Irgendwann würde Daniel immer mehr stören, denn jetzt schien er gerade damit anzufangen alles zu äußern, was ihn störte. Sei es der zu anständige Sex, Serdalls Verschlossenheit gegenüber anderen, seine Brutalität gegen Kai und nun sogar sein Geld. Was kam als nächstes? Dass er zu viel geigte? Dass er einen Sohn hatte, dass er viel zu viel Serdall Agamie war?
 

Gerade bog Serdall wieder in der Einfahrt vor seinem Haus ein, als der Schnee stärker wurde. Serdall kam sich mittlerweile ziemlich herzlos vor. Nicht eine Träne bisher, keine Magenschmerzen, nichts. Daniel war sicherlich schon weg. Seufzend stieg Serdall aus und ignorierte die fragenden Blicke von Yoshiko, als er an der Küche vorbeiging und nach oben. In seinem Zimmer stockte er kurz. Das Bett war gemacht, der Schrank geschlossen und Daniel war weg. Verwirrt ging er auf den Kleiderschrank zu und öffnete ihn. Daniels Seite war leer. Weg. Alles. Daniels Sachen waren komplett ausgeräumt. Serdall presste die Lippen zusammen. Also war es wirklich aus zwischen ihnen. Ob Daniel wohl schon bei Kai war?
 

Kopfschüttelnd schloss Serdall die Tür wieder und drehte sich herum. Seine Augen blieben an seinem Nachtschrank hängen. Es gab ihm einen Stich als er sah, dass dort das Armband und der Ring ordentlich hingelegt worden waren. Die Stirn runzelnd ging Serdall darauf zu, als er den Brief entdeckte, der neben den beiden Sachen lag. Er nahm ihn in die Hände und öffnete ihn. Es war Daniels Handschrift.
 

Serdall,
 

ich kann nachvollziehen, dass du wütend bist, vor allem auf mich, und ich kann dich ehrlich gesagt gut verstehen. Du hast wohl recht, dass in den letzten Wochen mehr passiert ist, als eine Beziehung vertragen kann und mir ist bewusst, dass ich für all das verantwortlich bin. Immer warst du derjenige, der verzeihen musste und ich sehe ein, dass es irgendwann nicht mehr möglich ist und ich werde dieses Mal nichts gegen deinen Entschluss, unsere Beziehung zu beenden, sagen. Vor allem werde ich nicht wieder so einen Stunt bringen wie das letzte Mal.
 

Ich werde nicht noch einmal für diese Beziehung kämpfen da ich gemerkt habe, dass dich jegliche Fortführung irgendwann immer wieder verletzt hat, was ich ein für alle Mal vermeiden will. Scheinbar war ich einfach nicht in der Lage, dich und deinen Charakter vollständig zu verstehen, auch nach fast zwei Jahren Beziehung nicht, sodass ich immer wieder in diverse Fettnäpfchen getreten bin.
 

Ich habe die Sachen, die praktisch dir gehören, hiergelassen. Kimba ist wohl in der Hinsicht eher an der Grenze, aber hier ist sie wohl besser aufgehoben als sonst irgendwo, mit all dem Platz, den sie hier hat, der vertrauten Umgebung und Mücke als Spielkameradin.
 

Mir tut es für Taki leid, der sich wohl ziemlich vor den Kopf geschlagen fühlen muss. Sag ihm einfach die Wahrheit, nämlich dass ich dich nur unglücklich gemacht habe und du jetzt für ihn eine neue nette Mom suchst, über die er in der Schule dann auch etwas erzählen kann, ohne Angst zu haben, diskriminiert zu werden, nur weil sein Vater in seinem Leben eine falsche Entscheidung getroffen hat.
 

Das obligatorische ‚such nicht nach mir‘, das oft in solchen klischeehaften Briefen vorkommt, spare ich mir, da ich einerseits nicht daran glaube, dass du überhaupt auf die Idee kommen wirst, weil du nach diesen Brief wahrscheinlich die Wände hochgehst, ich andererseits auch nicht unbedingt will, dass es nach diesem klischeehaften Brief mit so einem obligatorischen Ende dann zu einem dieser obligatorischen, klischeehaften Hollywood-Happy-Ends kommt. Das wäre wieder der Anfang des Teufelskreises.
 

Vergib mir, aber ich kann nicht anders, als dir trotzdem noch einmal zu sagen, dass ich dich liebe.
 

Daniel
 

Serdall ließ den Brief sinken. Es war vorbei. Eine Weile starrte er einfach vor sich hin und ließ diese Worte in seinem Kopf nachhallen, wie ein endloses Mantra. Das Stück Papier glitt aus Serdalls Händen und fiel zu Boden. Er hätte nie in seinem Leben geglaubt, dass er Daniel einfach so gehen lassen würde, doch jetzt… Serdall schüttelte den Kopf und rieb sich freudlos lachend über die Stirn.
 

„Das ist doch alles so bescheuert“, meinte er zu sich selbst, ehe ihm einige Tränen über die Wangen rannen. Er hatte so sehr gekämpft, hatte sich mit Fei geschlagen, hatte Daniel alles gegeben und es endete so? Daniel hatte Recht, Serdall hatte ihm viel zu viel verziehen und jetzt ging es wohl einfach nicht mehr. Nachdrücklich rieb sich Serdall über die Augen. Was war das für eine Dankbarkeit? Hart biss er sich auf die Lippe. Vielleicht hatte Daniel das auch alles nie gewollt? Serdall schüttelte den Kopf. Nein, Daniel hatte das gewollt. Serdall wusste, dass Daniel ihn liebte, aber sie konnten wohl einfach nicht miteinander, was wohl Serdalls Schuld war. Er war schließlich der, der anscheinend nicht sah, dass er Daniel eine Last zu sein schien. Gerade wegen seinem Charakter und seinem Geld. Auch wenn Daniel sagte, dass er Serdall liebte, waren da immer Dinge gewesen, die sie nicht wirklich miteinander überwinden konnten. All das schien in der letzten Zeit hochgekommen zu sein, jetzt, wo sie nicht mehr nur durch die rosarote Brille sahen, wo ihre Beziehung am seidenen Faden gehangen hatte. Und wie man sah war es eben wirklich die verklärte Liebe gewesen, die sie so lange aneinander geschweißt hatte. Anders konnte sich Serdall das nicht erklären.
 

Seufzend legte er Daniels Ring und Armband in die Nachtschublade und den Brief dazu. Warum hatte er sich nur auf Daniel eingelassen? Langsam wurde diese Frage in ihm immer lauter. Sie waren so schrecklich verschieden gewesen, schon immer. Es hätte ihm doch klar sein müssen, dass es zum Scheitern verdammt war. Serdall ließ sich auf sein Bett fallen, doch als ihm Daniels Geruch in die Nase stieg, sprang er schlagartig wieder auf. Er riss das gesamte Bettzeug und die Kissen herunter, nur die blanken Matratzen blieben. Serdall holte Säcke, in denen er das Bettzeug stopfte und verdammte diese dann in die Abstellkammer. Er holte ein frisches Kissen und eine Bettdecke aus dem Schrank im Flur und bezog beides mit blütenweißer Bettwäsche. So würde es ihm leichter fallen, Daniel zu vergessen.
 

Ende Kapitel 28

Kapitel 29
 

„Wie lange wollen Sie bleiben?“, fragte die junge Frau an der Rezeption und Daniel legte nachdenklich den Kopf schief.
 

„Ich weiß es noch nicht. Erst einmal wohl zwei Wochen. Ich muss sehen, wie es dann mit diversen anderen Dingen aussieht. Besteht die Möglichkeit, dass ich noch einmal verlängere?“
 

„Natürlich“, kam die achselzuckende Erwiderung. „Momentan ist ohnehin nicht die Zeit, in der so viele Schulklassen oder so hier sind. Das bringt für Sie gleich mehrere Vorteile. Erstens ist es nicht so laut in der Nacht und in den nicht vollgestopften Speisesälen und zweitens ist wohl immer irgendwie ein Zimmer frei, zumindest bis Mitte März.“
 

Daniel lächelte schwach.
 

„Das klingt doch nicht schlecht.“
 

„Bezahlen Sie alles gleich bar oder erst mal eine Anzahlung?“, fragte sie geschäftsmäßig.
 

„Erst mal eine Anzahlung wäre mir lieber. Der Rest kommt dann demnächst nach. Ich muss vorher allerdings erst noch einmal zur Bank.“ Er grinste etwas schief.
 

„Mit den Hausregeln von Jugendherbergen im Allgemeinen sind Sie vertraut? Nachtruhe um zweiundzwanzig Uhr, Essenszeiten ab sieben, ab zwölf und ab neunzehn Uhr. Keine Schmierereien irgendwo, kein Alkohol, keine Drogen, keine Zigaretten im Gebäude“, zählte sie auf.
 

„Ja, das ist mir noch im Hinterkopf geblieben“, meinte Daniel. „Es ist noch nicht so lange her, dass ich noch mitten in der Zeit der Jugendherbergen und Klassenfahrten steckte.“ Er nahm den Schlüssel entgegen und betrat dann sein Zimmer im Erdgeschoss. Ehrlich, dafür hatte er seine Lehrer immer beneidet, dass ihr Einzelzimmer fast genauso groß war wie ihre Viererzimmer, in denen sie zwischen den Betten gerade mal einen schmalen Durchgang hatten. Aber wie wurde ihnen immer gesagt: „Ihr seid hier zum Essen und Schlafen, den Rest des Tages wandert ihr und besichtigt Museen.“
 

Seufzend ließ sich Daniel auf das Bett fallen und seine Tasche neben sich. Scheiße, anstatt so verdammt sarkastisch zu sein, sollte er vielleicht lieber seiner verlorenen Liebe hinterher trauern. Wobei, wenn er zulassen würde, dass er jetzt in Selbstmitleid verfiel, würde er so wie er sich kannte doch wieder zu Serdall rennen und das wollte er in erster Linie seinem Freund – Ex-Freund – nicht antun.
 

Daniel streckte sich lang aus und starrte an die Decke. Wer hätte gedacht, dass er mal hier landen würde? Aber er hatte gerade echt nicht das Verlangen danach, wieder nach Hause zu gehen. Es gab dafür mehrere Gründe. Er wollte nicht erklären müssen, warum er wieder zuhause war, dass er sich von Serdall getrennt hatte. Das zu erklären hieß, auch einige andere Dinge zur Sprache zu bringen, über die er selbst mit seiner Familie lieber nicht reden wollte. Denn, so leid es ihm auch tat, waren sie nicht mehr diejenigen, die sein Denken und sein Leben bestimmten, seit er zu Serdall gezogen war.
 

Desweiteren wollte Daniel jetzt auf eigenen Beinen stehen, sich selbst zeigen, dass er nicht abhängig von Serdalls Geld war, dass er gut allein klarkam und kein mieser kleiner Schleicher war. Er ignorierte das stechende Gefühl in seiner Brust, das ihn glauben ließ, jeden Moment verrückt zu werden, wenn er es nicht hinausließ, und schlug die Zeitung auf, die er sich an der Rezeption gekauft hatte, bevor er die Stellenanzeigen durchging und sein Handy zückte. Er hatte gerade ein paar Anzeigen durchtelefoniert und zumindest eine erst einmal recht positive Antwort bekommen, als sein Handy klingelte. Dustin.
 

„Daniel hier“, meldete er sich seufzend. Hatte der Kerl also schon Wind von allem bekommen. Wahrscheinlich wollte er ihn jetzt zurückholen.
 

„Hey, Dan“, rief Dustin gut gelaunt in den Hörer. „Sag mal, wo bist du denn? Wir wollten einen Fernsehabend machen, aber Serdall meinte du wärst unterwegs. Kommst du bald wieder? Sollen wir auf dich warten?“
 

Daniel schnaubte. Scheinbar hatte Serdall Dustin doch nichts erzählt. Das beklemmende Gefühl in seiner Brust verstärkte sich, doch er ignorierte es weiterhin.
 

„Nun, er hat recht, ich bin nicht da. Folglich solltet ihr einfach anfangen und euch einen schönen Abend machen.“
 

„Sag mal, was ist los? Serdall verhält sich komisch und du auch“, zischte Dustin misstrauisch und lehnte sich gegen die Wand im Flur. „Was ist denn heut morgen passiert?“
 

Seufzend beschloss Daniel, dass es keine Sinn hatte, Dustin irgendwas zu verschweigen, da er ohnehin spätestens im Laufe des Abends extrem misstrauisch werden würde, wenn Daniel nicht auftauchte.
 

„Ich würde sagen, dass das Übliche passiert ist, mit etwas mehr Endgültigkeit“, erwiderte er, konnte sich allerdings vorstellen, dass Dustin keine Ahnung hatte, was er ihm damit sagen wollte. „Serdall und ich haben uns getrennt, endgültig. Du wirst mich heute leider nicht mehr zu eurem Fernsehabend begrüßen dürfen, da ich ausgezogen bin.“ Daniel ignorierte weiterhin den immer stärker werdenden Druck in seiner Brust.
 

„Was?“, schrie Dustin in das Handy und sah fassungslos vor sich hin. „Wieso das? Ihr wart doch zusammen, habt die Ringe getragen. Scheiße, was soll der Mist? Nach all dem ist Schluss? Das ist ein schlechter Scherz, Daniel. Bitte sag mir, dass das nicht dein Ernst ist“, sagte er laut und strich sich fahrig durch die blonden Haare. „Wo bist du überhaupt? Darf ich zu dir kommen?“
 

„Nein, ich denke nicht, dass das so eine gute Idee ist. Ich…“ Sich unterbrechend fuhr Daniel sich über das Gesicht und änderte seine Meinung noch einmal. Ihm war klar, dass er es nicht ganz allein schaffen konnte und wenn er schon nicht vorhatte, seine Familie damit zu belasten, wobei es in erster Linie darum ging, sich nicht damit zu belasten, seiner Familie sein Leben in den vergangenen zwei Monaten aufzutischen, brauchte er wohl oder übel jemand anderen zum Reden. „Ich bin momentan in der Jugendherberge am Ende der Weststadt. Zimmer dreizehn, wie es der Zufall so will. Klopf einfach.“
 

„Gut, ich bin in ein paar Minuten da“, meinte Dustin und legte auf. Er sagte schnell Ethan bescheid. Sein Freund guckte skeptisch, doch willigte schlussendlich ein. Mittlerweile hatte sich der Schnee gelegt und Dustin kam gut mit seinem Wagen durch die Straßen, da die Räumfahrzeuge die erforderlichen Dienste leisteten. Ziemlich verwirrt klopfte er dann an der Zimmertür, die Daniel ihm genannt hatte. Er verstand einfach nicht, warum sich Daniel und Serdall so plötzlich getrennt hatten. Das war doch alles einfach nur albtraumhaft, was die beiden durchmachten.
 

„Hey“, meinte er halblaut, als Daniel ihm öffnete. Er nahm den Schwarzhaarige in seine Arme, nachdem sie die Tür wieder geschlossen hatten und Dustin eingetreten war. „Was macht ihr bloß für Sachen?“, fragte er leise und strich Daniel über den Rücken.
 

Daniel spürte, wie der Knoten in seiner Brust aufsprengte und eine wahre Flut an Tränen über sein Gesicht rann. Er schlang seine Arme um seinen besten Freund, der scheinbar immer wusste, wie er sich fühlte, wann Hilfe angebracht war und was und was er nicht in welcher Situation sagen musste. Sie standen lange Zeit so da, Daniel in Dustins Armen, geräuschlos vor sich hin weinend und Dustin ihn einfach schweigend etwas hin und her wiegend und über den Rücken streichend. Irgendwann löste Daniel sich und setzte sich auf das Bett. Dustin machte es sich neben ihm bequem.
 

„Tja, dieses Mal ist es endgültig“, meint Daniel schulterzuckend und versuchte ein Grinsen, das verunglückter nicht hätte sein können. Dustin strich ihm mitfühlend über die Wange.
 

„Aber warum?“ fragte er verständnislos. „Heute Morgen warst du noch glücklich mit ihm. Was ist denn nur passiert, dass es soweit kommen konnte?“ Dustin verstand schlichtweg die Welt nicht mehr. Serdall war nicht aufgelöst oder am Boden zerstört, sondern nur etwas kühl und Daniel schien erst jetzt richtig geweint zu haben. Es musste wirklich ein schlimmer Streit gewesen sein, denn Daniel trug den Schmuck nicht mehr, den Serdall ihm geschenkt hatte, obwohl Serdall im Gegensatz dazu kaum verändert schien. Hatte etwa Serdall sich von Daniel getrennt? Das konnte doch nicht sein, nicht sein Schwager, der verklärte Romantiker, der Daniel selbst einen Seitensprung verziehen hatte.
 

Leise und an einigen Stellen etwas stockend, erzählte Daniel Dustin alles seit dem Augenblick, als er Serdall auf die Sache mit dem Armband angesprochen hatte. Er gab ihren Streit wieder, Serdalls Worte zum Schluss und zitierte den Brief ziemlich wortwörtlich. Anschließend atmete er einmal tief durch.
 

„Nun, für Serdall scheint die Sache damit wohl auch gegessen zu sein, wenn er es noch nicht einmal für nötig befindet, dir Bescheid zu sagen, dass ich nicht mehr da bin, sondern einfach unterwegs“, meinte Daniel mit einem schwachen Lächeln. Er sollte glücklich sein, dass er Serdall so enttäuscht hatte, dass es ihm scheinbar nicht schwer fiel, Daniel gehen zu lassen, doch innerlich Riss dieser Gedanke tiefe Wunden.
 

„Ich glaube echt, dass dieser Streit einfach zu viel für euch beide war“, gab Dustin zu und seufzte leise. Das war wirklich eine bescheidene Situation für die beiden und Dustin gab ehrlich für sich zu, dass das hatte kommen müssen. Er wusste wirklich keinen Rat für Daniel. „Du weißt doch selbst, dass nach der ganzen Sache mit Fei schon ein kleiner Sprung bei euch drin war, aber ich hatte wenigstens gehofft, dass ihr das beide kitten könntet, aber irgendwie ist das nicht ganz gelungen.“ Ratlos strich sich Dustin durch die Haare. „Aber ich verstehe nicht, warum du Serdall das Armband gegeben hast, um die Wahrheit zu sagen. Ich mein, das war doch fast wie ein Antrag für dich gewesen, damit hat er Louise hinter sich gelassen, um zu dir zu stehen. Egal wie scheiße teuer das Teil war, das hättest du nicht tun sollen. Klar, war es unfair von Serdall das er überhaupt sowas Teures dafür gekauft hat, aber naja. Du kennst Serdall. Und er hat mir sicher nicht gesagt, dass es aus ist zwischen euch, weil ich dann mit ihm geredet hätte.“
 

„Ja, das wollte er sicherlich vermeiden. Wahrscheinlich kapselt er sich jetzt wieder vollkommen ab“, schnaubte Daniel, lehnte sich dann allerdings wieder kraftlos an die Wand zurück. „Frag mich mal, warum ich in Extremsituationen reagiere, wie ich reagiere. Ich weiß nur, dass ich immer falsch reagiere, aber warum ich so reagiere…“ Daniel stöhnte, als er sich selbst zuhörte. „Ich war wohl einfach überfordert“, fuhr er schließlich fort. „Ich hätte wissen müssen, dass Serdall nicht so reagiert, wie man sich das vielleicht generell vorstellen würde, dass er sich entschuldigt und sagt, dass er meine Wünsche anerkennt und das in Zukunft sein lässt. Stattdessen haben wir uns mal wieder gegenseitig hochgeschaukelt und dann hat er irgendwann das Armband gefordert und dass ich zu meiner Mutter ziehe und dumm wie ich bin habe ich natürlich genau falsch gehandelt und ihm dieses verdammte Armband auch noch gegeben.“ Er seufzte. „Nun, es war wohl ganz gut so. Jetzt ist es vorbei und ich kann Serdall nicht mehr gut alle drei Tage aufs Neue irgendwie verletzten.“
 

„Mal ehrlich, was hast du Serdall in den ganzen letzten Wochen nicht schon abverlangt? Und jetzt hast du ihm noch vorgeworfen, dass er eben so ist wie er ist, eben ein Mensch, der auf Luxus abfährt. Daniel, ich denke ihr beide seht einfach nicht mehr, was wirklich wichtig ist. Keine Ahnung, aber seit wann redet ihr nur so beschissen aneinander vorbei?“ Seufzend lehnte sich Dustin neben Daniel. Irgendwie war er wütend auf die beiden und hätte sie am liebsten gemeinsam gegen eine Wand gehauen. Wie konnte man nur so schrecklich kurzsichtig sein? Serdall war doch immer sehr berechnend gewesen, wieso jetzt nicht mehr? Gut, er verstand, dass sein Schwager wohl schwer mit dieser Situation umgehen konnte, besonders da er Daniel liebte und immer nur das Beste gewollte hatte. „Und du willst dir jetzt eine eigene Wohnung suchen, nehme ich an?“, fragte er nach einer kurzen Stille. „Soll ich dir ein bisschen Geld leihen, bis sich das mit Serdall wieder eingerenkt hat?“
 

„Nein“, antwortete Daniel prompt. „Ich bleibe erst einmal hier, bis ich genug zusammen habe. Ein wenig habe ich gespart, aber das reicht vielleicht gerade mal für die Kaution und um das Nötigste mit den ganzen Möbeln einzurichten. Möblierte Zimmer oder WG-Zimmer gibt es mitten im Semester auch nicht. Ich bin gerade dabei, mir einen Job zu suchen.“ Er deutete auf die Zeitung, die mit aufgeschlagenen und teilweise markierten Stellenanzeigen auf dem Boden lag. „In vier Tagen habe ich ein Vorstellungsgespräch in dem Restaurant gegenüber der Post in der Innenstadt. In der Zwischenzeit werde ich mal wieder meine Gitarre rauskramen und einen auf Straßenmusiker machen. Der Verdienst ist gar nicht mal so schlecht.“
 

Dustin schluckte. Irgendwie hatte es schon etwas Endgültiges, wenn Daniel so sprach, dass er sich nun ein neues Leben aufzubauen schien, ohne Serdall.
 

„Du hast wirklich mit ihm abgeschlossen, oder?“, fragte Dustin ungläubig und sah Daniel von der Seite her an. „Du wirst nicht mehr um ihn kämpfen, hab ich Recht?“
 

„Ich muss mit allem abschließen“, meinte Daniel leise und schloss kraftlos die Augen. „Wir können nicht ewig so weitermachen. Irgendwer würde irgendwann zusammenbrechen und ich fürchte, dass Serdall der Erste von uns sein wird. Das will ich mir und vor allem ihm ersparen. Nenn mich feige, aber ich habe den scheinbar günstigen Moment genutzt, um ihm einmal wehzutun, danach aber nicht mehr. Und scheinbar haben die letzten Male schon gereicht, sodass er den Schmerz gewohnt ist und sich über das jetzt nicht mehr wirklich aufregt.“
 

Dustin schüttelte den Kopf. Serdall würde auch ohne Daniel zusammenbrechen.
 

„Ich weiß nicht, ob dass das Beste für euch beide ist. Keine Ahnung, aber ich glaube für Serdall wird es wohl das letzte Mal für immer sein, dass er sich verliebt hat. Niemand wird ihm mehr so nahe gehen wie du. Wer will sich auch die Mühe machen? Ehrlich, auch wenn er gut aussieht, sein Charakter wird jetzt nach diesem Rückschlag noch eine Spur ekliger werden und er wird selbst auch keine Lust auf irgendjemanden mehr haben“, meinte Dustin leise. Diesmal hatte nicht der Tod Serdall seinen Liebsten genommen, sondern das Leben und all seine Hürden. Dustin seufzte tief. Was dachte er hier für einen Mist zusammen? Daniel war nicht aus der Welt und Serdall auch nicht. Es bestand immer noch Hoffnung für die beiden. „Überleg dir das alles noch einmal. Schließlich liebt ihr euch.“
 

„Du hast doch selbst gesagt, dass die ganze vergangene Zeit zu viel für uns war und so wie es scheint, wird es auch so weitergehen. Ich weiß nicht, was besser ist, vor allem für Serdall: Eine Beziehung wie unsere, in der wir uns scheinbar momentan in regelmäßigen kurzen Abständen in die Haare kriegen und immer kurz vor einer Trennung sind oder eben ein endgültiges Aus, wobei ich letzteres zurzeit bevorzuge, sonst hätte ich nicht so gehandelt. Nach Louise hättest du auch nicht gedacht, dass er noch einmal jemanden findet und hier war ich. Außerdem gibt es genug Leute, die zumindest temporär an ihm interessiert sind und mit denen er seinen Spaß haben kann.“ Daniel dachte finster an diesen Luka aus dem Kammerorchester der Universität. Dieser Gedanke schmerzte, jeder Gedanke, der Serdall mit jemand anderem zeigte, schmerzte, doch es war seine Entscheidung gewesen, das Ganze endgültig zu beenden.
 

Stöhnend rieb sich Dustin über die Schläfe. Serdall würde sicherlich nie wieder jemanden an sich ranlassen. Rein aus dem Grund heraus, weil Daniel ihn hiermit schon genug verletzt hatte. Serdall würde sich einreden, dass es keinen Zweck mehr für irgendeine Beziehung gab und würde wieder Louise zu seiner Göttin stilisieren.
 

„Gut, es ist deine Entscheidung und ich möchte dir da nicht reinreden. Trotzdem wäre ich wirklich glücklich, wenn du sagen würdest, dass du es mit Serdall irgendwann mal wieder versuchst, falls er nicht wirklich jemand anderes hat, okay? Das ist nämlich jetzt auch scheiße. Klar, ihr hattet eure Differenzen, aber im Moment ist das Ganze einfach viel zu sehr aufeinander geknallt. Irgendwo war Serdall sicher noch gereizt wegen der Sache mit Kai und Fei und du ziemlich fertig und unsicher. Das verstehe ich ja, aber ich kann nicht mit ansehen, wie das Alles zwischen euch komplett in die Brüche geht, denn eines kannst du nicht bestreiten. All die Zeit vor Fei, da wart ihr glücklich, mehr als das.“
 

Getroffen und traurig schloss Daniel wieder die Augen. Dustin hatte Recht. Die Zeit, bevor Fei sie damals recht gewaltsam voneinander getrennt hatte, war wohl ohne zu lügen die schönste seines Lebens gewesen. Er war glücklich mit Serdall, sie hatten sich eigentlich super verstanden, wenn es auch mal ein paar kleinere Streits gab, die aber wohl normal waren und waren einfach verliebt gewesen. Jetzt war alles nur noch ein einziger Kampf mit kleinen Lichtblicken, die in dem stressigen Alltag allerdings unterzugehen schienen.
 

„Was erwartest du von mir?“, fragte er Dustin. „Dass ich Mitleid mit Serdall habe, weil er als einsamer Witwer und verstoßener Ex-Freund jetzt vielleicht keine neue Beziehung eingeht? Es bringt nichts, es jetzt noch einmal miteinander zu versuchen, da das gleiche Chaos erneut stattfinden würde und in einem Monat ist es auch hoffnungslos, da Serdall mich dann von Tag zu Tag mehr vergessen und verdrängt haben wird. Aber wenn es dich glücklich macht, warte ich halt ab, ob er in einem halben Jahr oder einem Jahr immer noch keinen Partner hat und klingel dann an der Haustür und frage, ob er mich nicht doch ganz gern zurückhaben will.“
 

Wütend sprang Dustin auf.
 

„Genau das ist die Einstellung, die euch auseinander gebracht hat“, zischte er wütend. „Dieser Zynismus, diese ganze Hoffnungslosigkeit. Ehrlich, mir kommt es so vor, dass du gerade ziemlich auf Serdall pfeifst. Wenn du dich wirklich um ihn sorgen würdest, hättest du es jetzt nicht so dämlich formuliert. Mitleid mit Serdall haben… Hast du anscheinend nicht. Serdall hat viel Scheiße durchgemacht, hat das alleine durchgestanden. Klar, er hat viel Geld, hat einen wunderbaren Sohn, scheint auf der Sonnenseite des Lebens zu stehen. Trotzdem wird er sich jetzt verdammt noch mal nur einsam fühlen und sich wieder zurückziehen, während du weiter schön zur Uni gehst, dir nebenbei Geld verdienst und lustig freudig vielleicht einen neuen Mann triffst, der dich liebt. Serdall aber, der wird dich leider nie vergessen können, wie du denkst und das weißt du ganz genau.“ Zittrig holte Dustin Luft. Warum machte er Daniel nur solche Vorwürfe? Er wusste warum, weil Daniel gerade so abwertend über Serdall geredet hatte, dass er seine Liebe einfach so schnell vergessen könnte.
 

„Meinst du, dass ich ihn so leicht vergessen kann“, rief Daniel ebenfalls wütend, aber auch verzweifelt und verließ ebenfalls seinen Platz auf dem Bett. „Meinst du, es ist mir nicht schwergefallen, diesen verdammten Brief zu schreiben und mich von ihm zu trennen, nach all dem, was wir durchgemacht haben, mir bewusst, dass ich damit meine erste richtige Liebe und Beziehung verliere? Ich habe nie für jemanden auch nur ansatzweise diese Gefühle entwickelt und du als Zuschauer in der ersten Reihe wirst mit am besten wissen, wie wichtig mir Serdall ist. Genau deswegen ist es für mich unerträglich zu wissen, dass ausgerechnet ich derjenige bin, der ihm am meisten wehtut und das auch noch regelmäßig. Ich kann einfach so nicht weitermachen und er scheinbar auch nicht, da er meinte, dass es aus ist und ich ihn in meinem Brief nur noch einmal bestätigt habe.“
 

„Dann sag es doch einfach so, wie du es jetzt getan hast“, zischte Dustin wütend. „Deine zynische Seite kannst du stecken lassen, denn jetzt ist es auf jeden Fall ernst und ich verstehe keinen Spaß mehr!“, schrie Dustin wütend und ging nahe an Daniel heran. „Sag mir einfach klar, dass du aufgibst, dass du jetzt nach all dem aufgibst und Serdall für immer in Ruhe lässt. Entweder das oder du gehst wieder zu Serdall, wenn die Zeit reif ist, wenn ein wenig Gras über das Ganze gewachsen ist.“ Dustin beugte sein Gesicht näher zu Daniel, während seine Augen Daniels festhielten. „Du weißt selber, dass ihr beide ohne einander nicht könnt und dass eine Trennung nur übergangsmäßig wirklich Sinn macht. Glaubst du denn echt, dass du es nicht ewig bereuen wirst, dass du ihn einfach verlassen hast, nur weil er mal wieder emotional überreagiert hat?“
 

„Ich bereue es jetzt schon“, seufzte Daniel und starrte lieber auf Dustins Nase, als direkt in dessen Augen. Er seufzte erneut. „Ich glaube, dass ich es nicht hinbekommen werde, ihn für immer in Ruhe zu lassen. Von daher bleibt wohl nur noch die Option, es irgendwann noch einmal zu versuchen und zu hoffen, dass ich nicht wieder ganz von vorn bei ihm anfangen muss.“ Daniel lächelte schief, war aber schon etwas besser gelaunt und froheren Mutes als noch zu Anfang ihres Gespräches. „Du hältst mich ein wenig auf dem Laufenden, oder?“
 

Dustin trat nickend einen Schritt zurück.
 

„Ich komme ab und zu vorbei und sehe nach, wie du dich hier hältst“, bestimmte er leicht lächelnd und schlug Daniel auf die Schulter. „Und falls du bei irgendwas Hilfe brauchst“, ernst suchte Dustin wieder Daniels Blick, „bitte scheue dich nicht, mich zu fragen, ja? Ich bin immer für dich da und kümmere mich auch um Serdall.“
 

Daniel schaffte ein ehrliches Lächeln.
 

„Danke“, erwiderte er leise. „Ich weiß langsam gar nicht mehr, wie ich das Alles wieder gutmachen soll.“ Er umarmte Dustin kurz und brachte ihn noch bis zu den Eingangstoren der Jugendherberge, dann ging er wieder in sein Zimmer zurück und machte sich seufzend auf die weitere Suche nach Aushilfsjobs, das Thema Serdall für den Moment verdrängend.
 

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Daniel stand an seinem mittlerweile schon üblichen Platz in der Fußgängerzone, vor sich sein offener Gitarrenkasten, seine Gitarre in der Hand und sang bekannte und beliebte Lieder aus diversen Jahrzehnten. Er hätte Winter- und Weihnachtslieder singen können, aber die hingen ihm echt zum Hals raus. Es reichte, wenn er sie im Radio auf und ab dudeln hörte, da musste er nicht noch selbst du dieser lästigen Sitte beitragen. Außerdem schien vor allem das jüngere Publikum ihm dafür dankbar zu sein. Es war schon Mitte Dezember und die Temperaturen und das Wetter hatten sich der Jahreszeit angepasst. Aus diesem Grund machte er zwischen seinem Spiel immer mal wieder einen kurze Pause, um sich im Café nebenan etwas aufzuwärmen und wieder Gefühl in seine Hände zu bekommen. Schnee war ja schön, aber nicht, wenn er gerade am Spielen war.
 

Sein zweiter Job, wenn man das hier überhaupt als einen Job bezeichnen konnte, brachte etwas mehr Geld und war im Vergleich zum Musizieren auf der Straße um einiges angenehmer was die Temperaturen anging, aber dafür machte Daniel das Singen und Gitarre spielen mehr Spaß, als das Kellnern im Restaurant. Die Entscheidung beides zu machen war ihm recht leicht gefallen, da er nur von Freitag bis Samstag im Restaurant arbeitete, eben dann, wenn die Stoßzeiten waren und Aushilfe gebraucht wurde. Den Rest der Zeit verbrachte er eben in der Fußgängerzone, zumindest bis er vielleicht noch etwas gefunden hatte, das er parallel neben dem Studium laufen lassen konnte. Genau das war nämlich das Problem.
 

Wie er sich schon gedacht hatte, suchten die Meisten entweder Vollzeitkräfte, Personal mit flexibleren Arbeitszeiten als er sie bieten konnte oder mit Erfahrung, die Stelle war schon besetzt oder erst in drei oder mehr Monaten zugänglich. Diese Umstände machten es Daniel nicht unbedingt leicht, das nötige Kleingeld zu verdienen, aber er war optimistisch, dass er Ende Januar dann seine Wohnung mieten konnte. Anzeigen hatte er schon durchgelesen und auch eine ganz schöne Einzimmerwohnung gefunden. Er musste eben nur noch zusagen. Solange tat es auch noch die Jugendherberge.
 

Daniels Leben verlief also in recht geordneten Bahnen. Er ging zur Uni und arbeitete anschließend, bevor er sich dann abends an die Stoffwiederholung machte und dann am nächsten Tag wieder zur Uni aufstand. Seine Tage waren durchgeplant und er war froh darüber, da ihm so nicht allzu viel Zeit blieb, über Serdall nachzudenken. Der Schmerz der Trennung war noch immer in ihm und brannte in seiner Brust wie ein glühender Feuerhaken, doch er würde damit klarkommen. Er musste damit klarkommen. Außerdem bestand noch immer die Option, wieder zu ihm zu gehen, nachdem, wie Dustin es so schön formuliert hatte, etwas Gras über die Sache gewachsen war. Knapp zwei Wochen waren dafür wohl zu wenig und Daniel hatte gelernt, sich zu gedulden.
 

„Dan!“ schrie es plötzlich aus der Masse und ein schwarzhaariger Lockenschopf kam auf Daniel zugerast. Freudig umklammerte Taki ihn und sah ihn glücklich an. „Warum spielst du denn hier Gitarre?“
 

„Nun, es macht mir Spaß und ich kann damit auch gleich ein wenig Geld verdienen“, antwortete Daniel und sah sich nervös um. Taki würde nicht allein gekommen sein. Innerlich war seine Hoffnung zweigespalten in einmal den Wunsch, dass Yoshiko mit ihm hier war, sodass er eine Konfrontation mit Serdall vermeiden konnte und andererseits dem Verlangen, Serdall nach knapp zwei Wochen wiederzusehen. Taki kurz bei sich zu haben war auf jeden Fall schön, doch als Daniel Serdall tatsächlich auf sie zukommen sah, sank ihm doch das Herz in die Hose. „Hey“, grüßte er ziemlich schwach. Serdalls blaugrüne Augen musterten Daniel emotionslos.
 

„Hallo“, sagte er kalt und scheinbar ohne Bedeutung. „Taki, komm her“, meinte er zu seinem Sohn, der tatsächlich von Daniel abließ und zu seinem Vater ging, der ihm einmal liebevoll durch die Haare strich. „Gehst du dir bitte schon einmal deine Zuckerwatte holen?“ Er gab ihm Geld und jauchzend sprang Taki los zu dem Stand, der unweit von ihnen war. Serdall richtete sich auf und sah Daniel wieder so gefühllos an. Plötzlich schüttelte er den Kopf. „Von mir wolltest du kein Geld und jetzt erbettelst du dir es“, stellte er fest und sah Daniel starr in die Augen. Er holte sein Portemonnaie aus der Manteltasche und schmiss dann einen Cent in Daniels Gitarrentasche, die offen auf der Erde lag, für diverse Geldgaben. „Hier, so viel bist du mir noch wert.“
 

Sprachlos und vollkommen geschockt sah Daniel auf den Cent, der so gefallen war, dass er einsam auf dem Samt des Gitarrenkoffers lag. Etwas schien in seinem Inneren zu zerbrechen und Daniel erkannte, dass es wohl die Hoffnung war, die er erst einmal sicher in seinem Inneren eingeschlossen hatte, bis er seine Dinge geregelt und seine Wohnung gemietet hatte und auf einen Beinen stand. Doch soweit war es jetzt gar nicht erst gekommen. Entschieden schob er die Traurigkeit beiseite, die ihn zu übermannen drohte. Er wollte nicht hier vor Serdall zusammenbrechen und ihm auch noch diesen Triumpf gönnen. Einen Triumph, an dessen Anfang Daniel selbst stand, da er für Situation, wie sie jetzt war, der Hauptverantwortliche war. Nichtsdestotrotz erwiderte er Serdalls Blick fest, egal wie es in seinem Inneren aussah.
 

„Willst du vielleicht gleich für Taki mit bezahlen?“, fragte er. „Normalerweise ist das bei Eltern so üblich, soviel ich weiß. Mal sehen, was du meinst, dass ich ihm noch wert bin.“
 

Schnaubend stieg Serdall plötzlich in Daniels Gitarrenkoffer und stand dann dicht vor ihm, sah ihm kalt ins Gesicht.
 

„Viel, wie du siehst. Eben ein Leben für einen Liebsten“, knurrte Serdall leise und sah Daniel ohne mit der Wimper zu zucken ins Gesicht. „Aber diese Art von Bezahlung ist bei dir ja nicht üblich“, hauchte er selbstgefällig und stieg wieder aus dem Koffer heraus. Er zerknüllte einen Geldschein und warf ihn Daniel vor die Füße. Es folgte noch ein abfälliger Blick, bevor er sich umwandte und zu seinem Sohn ging. Taki wartete schon auf ihn, um weiter über den Weihnachtsmarkt zu gehen.
 

Ungläubig sah Daniel in seinen Gitarrenkoffer und starrte auf den fünfhundert Euro Schein. In einer schnellen Bewegung hob er ihn auf und sah sich dann nach Serdall um, der gerade in schon recht weiter Entfernung an einer Spielzeugbude stand.
 

„Behalt dein verficktes Geld. Ich will es nicht!“, schrie er ihn an, doch Serdall zog Taki einfach mit sich um die Ecke und sie verschwanden aus Daniels Blickfeld. „Verdammtes Arschloch“, setzte Daniel noch nach und war nahe dran, das Geld einfach in den nächsten Mülleimer zu werfen, doch schließlich zog er es doch vor, es sich in die Tasche zu stecken. Scheiße, wenn er es nicht dringend brauchen würde, hätte er das Zeug verbrannt. Wo war nur sein verfluchter Stolz hin?
 

Daniel schnappte sich das restliche Geld, verstaute seine Gitarre im Koffer und machte sich auf den Weg zurück zur Jugendherberge. Er würde sich den restlichen Tag freinehmen. War ja schließlich nicht so, als hätte er heute nicht gut verdient. Noch extrem wütend stapfte er den Rückweg durch den Schnee hindurch, bis er in seinem Zimmer war. Allerdings hatte Daniel in den letzten zehn Minuten dann doch einiges von seiner Wut eingebüßt und jetzt, wo er alleine war, brach die darunter verborgene Trauer über ihn herein.
 

Schwer atmend legte er sich auf das Bett uns spürte die Tränen über seine Wangen laufen. Klarer hätte Serdall es nicht machen können, dass er mit ihm abgeschlossen hatte und Daniel jetzt nicht mehr für ihn war, als irgendein Fremder, wenn überhaupt. Wohl eher ein stinkender Bettler, der sein Leben momentan in einer Jugendherberge fristete. Daniel wollte es nicht zugeben, aber er vermisste den Luxus von Serdalls Haus schon ein wenig, vor allem aber vermisste er Taki, die Hunde, Dustin und Ethan und natürlich Serdall. Den lieben Serdall und nicht das Arschloch, das er heute wieder dargestellt hatte. Seufzend schloss er die Augen und fiel bald in einen erschöpften Schlaf.
 

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Argwöhnisch beobachtete Dustin Serdall beim Telefonieren. Sein Schwager sprach mit einem Luka und Dustin vermutete, dass es dieser Blonde aus der Disko war, mit dem er sich gerade unterhielt.
 

„Gut, ich werde am Mittwoch da sein“, erklärte Serdall gerade mit dieser eiskalten Stimme, die Dustin immer noch die Nackenhaare hochstellte.
 

Seit der Trennung von Daniel war Serdall der alte Eisblock wie früher, nach Louises Tod, nur schien er nun noch ein paar mehr Grad unter Null zu sein und die Säureschicht um einiges dicker als damals. Serdalls Bick traf Dustins, als er das Gespräch beendete und auflegte. Offensiv zog Dustin eine Augenbraue nach oben, doch sein Schwager ging nicht darauf ein, sondern wandte sich wortlos ab. Doch bevor er das Wohnzimmer verlassen konnte, sprach Dustin ihn an.
 

„Serdall, du bist wieder wie damals“, meinte er laut. Serdall lächelte plötzlich schmal zu Dustin, als er leicht den Kopf wandte.
 

„Nicht ganz“, erwiderte er leise und ging dann hinaus. Schwer nahm er jede Treppe einzeln, als er nach oben und in sein Schlafzimmer trottete. Kurz nur sah er auf das Doppelbett, das nur noch auf einer Seite bezogen war. Die andere Seite blank. Nur eine Matratze. Unbedeutend. Serdall schloss die Augen, versuchte die Bilder zu verdrängen, die ihm Daniel zeigten, wie er auf dieser Seite ruhig geschlafen hatte, wie er mit Serdall dort gelegen hatte und wie sie sich dort geliebt hatten. Energisch schüttelte Serdall den Kopf und öffnete die Augen, um diese ganzen Szenen von sich zu schieben. Dennoch sah er wieder Daniel vor sich, wie er in dicken Sachen im Schnee stand, Gitarre spielte und dazu melodisch sang. In diesem Moment war Serdall das Herz stehengeblieben. Taki war sofort auf Daniel losgegangen, aber er selbst hatte mit sich kämpfen müssen. Hatte kurz noch dieser Stimme gelauscht, die dann so abrupt geendet hatte.
 

Seufzend setzte sich Serdall gegen die Heizung und zog die Beine an seinen Leib. Warum war ihm nur so furchtbar kalt? Er glaubte, dass er langsam erfror. Jämmerlich erfror, ohne dass sich jemand darum kümmerte. Zu Daniel war er auch so kalt gewesen. Gepeinigt schloss Serdall die Augen. Es hatte so weh getan, Daniel so zu sehen. Warum nur hatte Daniel so etwas über ihn gewählt? Das nannte er auf eigenen Beinen stehen? Kopfschüttelnd lehnte Serdall seine Stirn gegen seine Knie. Das konnte doch nicht Daniels Ernst sein. Wut war mit jedem Schritt, den er auf Daniel zugegangen war, in ihm gewachsen. Wie konnte er ihm das antun? Sich wie ein Bettler vor ihm präsentieren! Sorge machte sich in Serdall breit, doch er kämpfte sie nieder. Daniel wollte ihn nicht und ganz besonders seine Fürsorge nicht. Daniel kam nicht mit ihm klar, das hatte der Brief eindeutig bewiesen. Hatte Daniel ihn denn niemals verstanden? Das war nicht wahr. Aber die letzte Zeit hatten sie sich wohl auseinandergelebt.
 

Reiß dich zusammen, zischte Serdall sich innerlich an. Das mit Daniel war vorbei. Wieso ließ er sich wegen diesem kurzen Wiedersehen wieder aus der Bahn werfen? Die ganzen letzten zwei Wochen hatte er keinen einzigen Gedanken an diesen Mann verschwendet, doch jetzt materte er sein Hirn wieder mit Erinnerungen und Fragen. Immer wieder spielte sich in seinen Träumen die Szene ab, wie Daniel ihm das Armband wiedergab. Das war auch das Einzige, was Serdall in den letzten zwei Wochen zugelassen hatte, zulassen musste. Er verstand es immer noch nicht, warum Daniel es abgenommen hatte. Für Serdall war es das Gleiche gewesen, als wenn Daniel ihm sein Herz aus der Brust gerissen und zertreten hätte. Daniel hatte seine Liebe abgewiesen. Das setzte Serdall damit gleich.
 

„Du warst so dumm“, flüsterte er plötzlich und schlug sich gegen die Schläfen. Er hätte sich wirklich nie auf Daniel einlassen sollen. Dann wäre ihm all der Schmerz erspart geblieben. Für Daniel hatte ja auch nicht die schöne Zeit gezählt, die sie miteinander verbracht hatten. Er war schließlich einfach gegangen, hatte aufgegeben.
 

Als sich Tränen in Serdalls Augen bilden wollten, stand er abrupt auf und trat auf den Balkon, ließ die Kälte das Alles wieder in ihm einfrieren und Serdall wieder klar denken.

Daniel war Geschichte. Serdall würde ihn das nächste Mal, wenn er ihn sah, einfach komplett ignorieren. Er würde keine Worte mehr an ihn verschwenden. Das heute war eine bescheuerte Ausnahme gewesen. Ein Zeichen, dass er eben noch nicht wirklich über Daniel hinweg war. Wie auch? Keuchend lehnte sich Serdall gegen das schneebedeckte Geländer. Er liebte Daniel immer noch, egal wie sehr er es verdrängen wollte. Er liebte Daniel so furchtbar, dass es ihn zerfraß, dass es er Daniel fasst schon hasste dafür, dass er gegangen war und ihm so einen bescheuerten Brief hinterlassen hatte.
 

Mit einem erstickten Laut ging Serdall in die Knie und lehnte die Stirn gegen das kühle Geländer. Wann würde all der Schmerz in ihm aufhören? Wann würde er seine Gefühle wieder verschließen?
 

„Nur noch ein Bisschen“, sagte er leise, stand auf und ging zurück in sein Zimmer. Wütend ließ er den Blick über die Wände und die kleine Kommode schweifen, an denen neben Louises und Takis Bildern auch Daniels hingen. Entschieden ging er auf diese zu und sammelte jedes einzelne von den Wänden. Er stapelte sie in seinen Armen, während er nach und nach hektisch jedes Einzelne abnahm. Er fragte sich, warum er das noch nicht eher getan hatte, als er sich einen Karton holte und die Bilder dann ebenfalls in die Abstellkammer verbannte. So wie er diese Tür nun verschloss, so würde er Daniel in sich aussperren. Die Gefühle für diesen Mann waren vergebens und wenn Serdall nicht wollte, dass er kaputt ging, musste er sie verbannen und nie wieder heraufbeschwören.
 

Kalt begann er zu lächeln. In ihm war nur noch das dumpfe Schlagen seines Herzen, aber kein Daniel. Das war besser als der Schmerz, beschied er und machte sich dann bettfertig. Morgen würde er wieder in die Universität gehen und mit dem Kammermusikensemble helfen. Das lenkte ihn ab und es machte ihm Spaß, mit anderen Streichern zu spielen. Luka war ein recht aufgeschlossener Mann und himmelte Serdalls Künste geradezu an. Auch die Anderen beiden von den momentan drei Streichern waren begeistert. Serdall würde nur für die Monate aushelfen, die der Violinist ihres kleinen Quartetts gerade im Ausland studierte. Leider bekam er in der Universität zu viel Aufmerksamkeit. Die ganze Musikfachschaft schien ständig mit ihm die Hände schütteln zu wollen, was Serdall enorm störte, doch eben einfach erduldete, um in diesem Quartett zu spielen. Natürlich merkte man die Unterschiede in seinem Können und dem der Anderen, doch es machte ihm Spaß und er brauchte die Ablenkung im Moment.
 

Ende Kapitel 29
 


 


 

Mal wieder Dankeschön für all eure lieben Kommentare. :)

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Kapitel 31
 

Daniel warf sich seinen Schal um und schnappte sich seine Gitarre. So gern er auch spielte, aber jeden Tag bei diesem verdammt kalten Wetter war es nach einiger Zeit dann doch eher Qual als Freude. Grummelnd hatte er gerade die Hand an der Türklinke, als sein Handy klingelte. Dustin.
 

„Hey, was ist los?“, fragte er.
 

„Daniel!“, rief der Blonde aufgebracht und schüttelte ungläubig den Kopf. „Wir müssen was tun. Du musst herkommen oder diesen Blonden umbringen. Serdall hat sich sicher gestern mit dem rumgebissen!“, meinte er empört und linste noch einmal ins Wohnzimmer, wo Serdall schon wieder geigte. Der Hals war übersät mit Knutschflecken, was Dustin einfach nur aus der Bahn warf. „Scheiße, das kann er dir doch nicht antun!“
 

Stöhnend ließ sich Daniel wieder auf sein Bett sinken. Musste er Dustin jetzt etwas alles erklären? Er seufzte frustriert.
 

„Nun, diesen Blonden, namentlich Luka, umzubringen, habe ich schon übernommen. Zumindest habe ich ihm die Nase blutig geschlagen und dadurch meinen Job verloren“, berichtete er neutral.
 

„Na und? Serdall hat Knutschflecke! Scheiße, die können doch nur von diesem Luka sein, von wem denn sonst? Schließlich waren die gestern in so einem Restaurant, um zu spielen. Man Daniel, interessiert dich das denn gar nicht?“
 

„Es würde mich interessieren, wenn die Dinger nicht von mir sind. Unter den gegebenen Umständen kann ich allerdings sagen, dass es mir so ziemlich egal ist“, meinte Daniel sarkastisch.
 

Dustin schien einen Moment zu überlegen und Daniels Worte zu durchdenken, so wie er es als anständiger Lehrer auch bei seinen Schülern tat, um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen. Als ihn die Erkenntnis traf, keuchte er überrascht.
 

„Wie kommst du dazu, dich mit Serdall rumzubeißen?“, fragte er scharf.
 

„Ich habe keine Ahnung, was da verdammt nochmal in mich gefahren ist“, zischte Daniel zurück. „Serdall hat mich gestern nach Hause gefahren nachdem ich meinen Job los war, weil Luka Serdall aufs Übelste beleidigt hat und ich ihm als Dank dafür eine reingehauen habe und dann standen wir auf dem Parkplatz der Jugendherberge und da ist es passiert. Ende der Geschichte.“
 

„Ihr habt im Auto gevögelt?“, quietschte Dustin glücklich und jauchzte im nächsten Moment auf, sodass sogar Serdall kurz in seinem Geigenspiel inne hielt. Sich zurückhaltend lief Dustin zur Treppe und ging nach oben. „Aber das ist doch toll! So weißt du wenigstens, dass du immer noch bei ihm ankommst! Und was hat er gesagt? Wann trefft ihr euch wieder?“
 

„Er hat gar nichts gesagt und wir werden uns nicht treffen“, grummelte Daniel. „Das war bedeutungsloser Sex und auch wenn es zwischen uns aus ist, kann man nun mal nicht verleugnen, dass es zumindest körperlich noch zu funken scheint. Das hatte keinerlei Bedeutung. Zumindest für ihn nicht.“ Daniel seufzte frustriert.
 

„Das glaubst du wohl selber nicht!“, rief Dustin wieder viel zu laut und sah Yoshiko entschuldigend an, die gerade überrascht die Treppe herunterkam. ‚Daniel‘, formte er lautlos mit den Lippen und deutete auf sein Handy. Yoshiko lächelte glücklich und nickte, ehe sie mit der Wäsche, die sie in einem Korb trug, nach unten ging. „Man, versuch es doch bitte noch einmal. Scheiße, das kann doch jetzt erst Recht nicht einfach auseinander gehen.“
 

„Dustin“, grummelte Daniel ungeduldig, „ich weiß ja nicht, ob du es schon gemerkt hast, aber es ist schon vor einigen Wochen auseinander gegangen. Serdall hatte einen guten Grund Schluss zu machen und ich habe ihn in diesem Vorhaben unterstützt, um ihm nicht weiterhin wehzutun. In der letzten Zeit hatte ich viel Zeit zum Nachdenken und meine zu wissen, wo meine Fehler lagen, doch wenn Serdall mich nicht zurückhaben will, muss ich das akzeptieren, auch wenn ich ihn noch immer mehr als alles Andere liebe und alles dafür geben würde, ihn wieder zurückzubekommen. Scheiße.“ Wütend auf sich selbst wischte Daniel sich die Tränen aus dem Gesicht und starrte mit zusammengebissenen Zähnen an die gegenüberliegende Wand.
 

„Serdall hatte diese Trennung sicher nicht gewollt, egal wie sehr du ihn verletzt hast. Er hat dich auch nur geliebt, dich und eben all deine Fehler“, knurrte Dustin wütend. „Im Grunde hast du ihn verlassen! Er wollte doch nur die Bestätigung, dass du ihn liebst, aber nein, da hatte er auf einmal zu viel Geld, war zu großzügig dir gegenüber. Ich möchte nicht wissen, was du ihm noch alles vor Augen gehalten hast, wie schlecht er eigentlich ist, aber glaubst du nicht, dass es mal an der Zeit für dich ist, ihn so zu akzeptieren? Du hättest das Armband nicht zurückgeben sollen, nur weil es aus Platin ist, aber du hast es, wegen der Meinung anderer. Und weißt du was?“, rief Dustin wütend und trat gegen die Bodenleiste an der Wand. „Jetzt bist du verdammt nochmal an der Reihe, auf Serdall zuzugehen und dir das Armband zurückzuholen. Nur dass du diesmal die Augen offen hältst und dir deine Worte überlegst. Wenn Serdall dann immer noch auf diese Trennung besteht, dann fresse ich meine eigenen Haare.“
 

Daniel schloss erledigt die Augen. Dustin hatte wohl im Prinzip recht mit dem, was er sagte. Er hatte Serdall in letzter Zeit wirklich nur kritisiert. Angefangen damit, dass der Sex mit ihm zu langweilig war, wenn man es mal krass ausdrückte, bis zum letzten Streit über die immer wieder auftauchende Geldfrage. Kein Wunder, dass es ihm in diesem Augenblick zu viel geworden war. Wahrscheinlich hatte Serdall seine Worte zu dem Zeitpunkt gar nicht so ernst gemeint. Vielleicht wollte er sich tatsächlich nicht von ihm trennen und Daniel hatte eben mit seinem Brief alles beendet. Leise stöhnend rieb er sich über den Nasenrücken. Wer wusste schon, wie Serdall es interpretierte, dass Daniel ihm das Armband zurückgegeben hatte? Daniel hatte es in der Situation nur getan, weil Serdall so ernst danach verlangt hatte. Vielleicht hatte Serdall es als Aus ihrer Beziehung gesehen, als Symbol dafür.
 

„Warum ist nur immer alles so kompliziert?“, fragte er erschöpft und ließ sich in die Kissen fallen.
 

„Weil ihr beide sture Dummköpfe seid, manchmal“, zischte Dustin immer noch ziemlich aufgebracht. „Wie wäre es, wenn du gleich vorbeikommst? Taki ist nicht da und Serdall“, kurz lauschte Dustin von seinem Zimmer aus auf die Treppen, „der geht gerade auf sein Zimmer.“ Dustin ließ sich auf sein Bett fallen und starrte an die Decke. „Am besten du nimmst dir ein Taxi ich warte auf dich und mache dir dann die Tür auf.“
 

„Ich habe Angst“, gestand Daniel, vergrub den Kopf einmal kurz im Bettzeug und richtete sich dann doch recht entschlossen auf. „Aber ich komme trotzdem. Zumindest, um dich zu besuchen. Ich denke, dass ich in gut zwanzig Minuten da sein werde.“
 

„Gut und mach dich hübsch. Das erleichtert vielleicht manches. Und wenn wir erst mal nur reden, ist das auch in Ordnung. Dann bist du halt mein Gast“, meinte Dustin entschieden. Er wollte einfach nur, dass Serdall und Daniel wieder zusammenkamen und einsahen, dass sie füreinander bestimmt waren. Dustin wünschte es sich einfach, für sie und für sich selbst. Schließlich wollte er Serdall wirklich nicht verlassen müssen und ihn ganz sich selbst überlassen, nur weil die beiden sich selbst geißelten. „Bis gleich.“
 

Wie abgesprochen rief sich Daniel ein Taxi und ließ sich zu Dustin fahren. Hübsch gemacht hatte er sich nicht wirklich. Er war schon fertig und auf dem Weg nach draußen gewesen, bevor Dustin angerufen hatte. Noch einmal tief durchatmend klingelte Daniel. Himmel, er hatte total Bammel, in dieses Haus zu gehen da er befürchtete, dass ihn die Erinnerungen erschlagen würden.
 

Dustin riss auch sogleich die Tür auf und zog Daniel in den Flur. Bevor Daniel auch nur zu Wort kommen konnte, hatte Dustin die Arme um ihn geschlungen und ihn fest an sich gedrückt.
 

„Na endlich! Ich dachte schon, dass du unterwegs einen Rückzieher gemacht hast“, meinte er und ließ wieder von Daniel ab. „So, denkst du, dass du bereit bist für Serdall?“
 

„Nein“, erwiderte Daniel und stieß zischend die Luft aus. „Aber lässt du mir eine Wahl?“ Schief grinste er Dustin an.
 

„Niemals“, deklarierte Dustin grinsend und zog Daniel schneller die Jacke von den Armen, als der gucken konnte. „Ich meine, was hast du zu verlieren? Serdall und du seid schon getrennt. Wenn dann tut es jetzt eben noch einmal weh oder ihr kommt wieder zusammen. Aber ich bin optimistisch. Wird schon schief gehen“, erwiderte er noch lächelnd und strich Daniel durch die Haare. Sofort zog er geschockt seine Unterlippe nach unten und richtete Daniels Haare wieder. „Himmel, ich fühl mich wie ein Vater, der seinen Sohn auf sein erstes Date schickt“, meinte Dustin nun leise lachend.
 

„Das hier ist schlimmer als ein erstes Date“, seufzte Daniel und fuhr sich selbst noch einmal durch die Haare. „Da ist man sich wenigstens einhundert prozentig sicher, dass beide dasselbe wollen. Hier bin ich eher skeptisch.“ Daniel folgte Dustins Druck an seinem Rücken und ging in Richtung Treppe. Er stockte vor den letzten Stufen. „Weißt du, vielleicht sollte ich einfach mit ihm telefonieren. Oder noch besser ich schreibe ihm einen Brief. Damit hat alles geendet, damit fängt es wieder an. Ja, die Idee ist wirklich gar nicht mal so schlecht.“
 

„Auf keinen Fall“, knurrte Dustin und schob Daniel weiter vor Serdalls Tür. „Ihr werdet miteinander reden. Von Angesicht zu Angesicht. Dann siehst du wenigstens, ob du das Richtige sagst“, murrte Dustin und grinste im nächsten Moment diabolisch. „Du kleiner Feigling wirst jetzt reinen Tisch machen“, flüsterte er und klopfte nun laut an Serdalls Tür. Sofort hastete er die Treppen runter und ließ Daniel verwirrt stehen.
 

„Dustin, du kleiner, fieser, abgebrühter…“ Daniel stoppte in seinem Fluchen und drehte sich geschockt um, als die Tür aufging und er sich mit Serdall konfrontiert sah. Mit großen Augen starrte Daniel ihn an. „Äh, hallo“, stotterte er durcheinander.
 

Serdall musste den Impuls unterdrücken die Tür vor Daniels Nase zuzuschlagen. Was machte der überhaupt hier? Vor allem, was machte er hier vor seiner Tür?
 

„Was willst du hier?“, fragte Serdall auch sogleich. „Falls du wegen gestern hier bist, muss ich dich enttäuschen. Wegen dem Sex kommen wir sicher nicht wieder zusammen“, sagte er kühl und gratulierte sich selbst dazu, dass er so gefasst dabei war. Er hatte das gestern einfach nur als Fehltritt abgetan. Wie man sah, war es wirklich ein enormer Fehler gewesen. Er hatte mit Daniel abgeschlossen. Zumindest bis gestern. Dieser Ausrutscher würde ihm jetzt nicht noch einmal passieren.
 

Schnaubend stieß Daniel Serdall ein Stück zur Seite und betrat unaufgefordert das Zimmer. Im ersten Moment blieb er erstarrt mitten auf der Stelle stehen. Es zu befürchten und es tatsächlich in allen Ausmaßen zu sehen, waren zwei ganz unterschiedliche Dinge. Man hätte anhand dieses Raumes nicht sagen können, dass sie überhaupt einmal zusammen gewesen waren, dass hier zwei Menschen gelebt hatten. Alles, was irgendwie mit ihm zusammenhing, war verschwunden. Die Bilder, kleinere Geschenke, die Bettwäsche. Daniel räusperte und sammelte sich.
 

„Wie du bestimmt auch bemerkt hast, war der Sex bedeutungslos“, murrte Daniel und machte es sich auf dem Stuhl in der Ecke bequem. „Das hatte nichts mit Beziehung oder so zu tun, sondern einfach mit Frust- und Lustabbau. Trotzdem hat das gezeigt, dass zumindest auf einer Ebene zwischen und noch nicht alles eingefroren ist.“
 

Gelassen schloss Serdall die Tür und wandte sich dann zu Daniel. Er blieb in einer angemessenen Entfernung stehen und musterte ihn.
 

„Und welche wäre das? Die Ebene in unserer Schwanzregion?“, fragte Serdall wütend und verschränkte die Arme. „Falls du es nicht mitbekommen hast, wir sind geschiedene Leute und ich glaube nicht, dass du dem gestern zu viel beimessen solltest. Wir hätten uns beide beherrschen müssen“, zischte er wütend. „Ich bitte dich zu gehen, falls du nur hergekommen bist, um das von gestern zu wiederholen. Ich für meinen Teil glaube mit dir durch zu sein.“
 

Jetzt schon mit den Nerven am Ende für sich Daniel durch das Gesicht.
 

„Es war scheiße, dass ich die ganze Sache so angefangen habe“, seufzte er. „Vielleicht würde es mein Anliegen verdeutlichen, wenn ich sagen würde, dass ich eigentlich nie wirklich eine Trennung wollte, dass ich mich nur von dir getrennt habe, damit ich dir nicht noch mehr wehtue, dass ich gemerkt habe, dass ich ohne dich nicht kann, weil ich dich einfach viel zu sehr vermisse und die Sache gestern es nicht unbedingt leichter gemacht hat, dich doch mal irgendwann in zehn Jahren vielleicht vergessen zu können, was ich aber eigentlich gar nicht will.“
 

Serdall schüttelte den Kopf.
 

„Daniel, du weißt selbst, dass das zwischen uns nie gutgehen wird. Wir sind schlichtweg zu verschieden. Ich kann dich nicht verstehen und du mich nicht. Es ist nicht umsonst zu einer Trennung gekommen.“ Serdalls Finger bohrten sich in seine Oberarme, als er die Arme vor seiner Brust verschränkte. „Glaubst du echt, dass wir einfach wieder zusammenkommen können und eben auf den nächsten Krach warten? Du musst einfach einsehen, dass wir nicht füreinander gemacht sind. Jetzt nicht und auch nicht in der Zukunft. Du liebst eben nicht alles an mir und das wird immer ein Problem bleiben. Und ewig nur Kompromisse machen geht auch nicht, wie du gesehen hast.“
 

Daniel gab einen erstickten Laut von sich. Wie sollte er Serdall alles erklären und ihn überzeugen?
 

„Die Streits sind hauptsächlich durch meine Schuld entstanden“, fing er einfach irgendwo an. „Ich liebe dich, aber ich muss doch nicht alles gut finden, was du tust, oder? Nur habe ich in letzter Zeit einfach viel zu schnell und viel zu viel kritisiert, wobei ich eigentlich der Erste hätte sein müssen, der bei sowas ruhig ist. Schließlich habe ich genug Mist gebaut. Das habe ich eingesehen. Kernpunkt in den Streits war beispielsweise die Sache mit deinem Geld. Es ist okay, wenn deine Geschenke etwas größer ausfallen. Wenn ich das Geld hätte, würde ich dir bestimmt auch nur das Beste kaufen. Es war wohl nur mein Stolz, der mich daran gehindert hat, das anzunehmen. Ich meine, ein Geschenk, das deinem Geldbeutel nicht wehtut ist mehr, als ich auf meinem Sparbuch habe. Aber ich weiß, dass man eben alles aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten muss.“ Daniel seufzte und stand auf. Er ging auf Serdall zu, der starr an seinem Platz stehen blieb. Mit einer schnellen Bewegung griff Daniel das rechte Handgelenk und hielt es eisern fest. „Warum trägst du eigentlich noch Armband und Ring, wenn du angeblich über mich hinweg bist?“, fragte er. Schnell entzog Serdall seine Hand und vergrub sie in seiner Hosentasche.
 

„Fass mich nicht an“, zischte er wütend und ging einen Schritt zurück, um Distanz zwischen sie zu bringen. „Du hast mir in der letzten Zeit wohl oft genug gezeigt, dass ich eben nicht deiner Liebe wert bin, okay?“, fauchte er nun wirr und wandte konsequent den Blick ab. „Jetzt, wo ich nicht daran vergehe von dir getrennt zu sein, da kommst du wieder an. Nachdem du mir das Armband einfach zurückgegeben hast, weil es einfach zu kostbar für dich war“, zischte Serdall wütend und blickte wieder kalt in Daniels Augen. „Und jetzt sagst du mir, dass es ja alles ein Fehler war, dass es dir Leid tut? Du hast nie alles gut gefunden, was ich getan habe und du hast es mir auch gesagt, aber so extrem wie in den letzten Tagen unserer Beziehung war es nie gewesen. Und ich bin immer fair geblieben, habe dir das mit Kai nicht dafür vorgehalten, den wohl größten Fehler deines Lebens. Warum bist du jetzt so unfair und kommst zu mir? Warum, wenn du in Gedanken doch nur glaubst, dass es wieder in die Brüche geht?“
 

„Meinst du, wenn ich denken würde, dass alles wieder in die Brüche geht, würde ich mir das hier antun?“, schrie Daniel wütend. „Ganz bestimmt nicht. Aber da der größte Fehler dieser Beziehung wohl mein Verhalten war und ich positiv gestimmt bin, dass ich es in den letzten drei Wochen, in denen ich viel Zeit zum Nachdenken hatte, doch ziemlich geändert habe, sehe ich keinen Grund, dass irgendwas die Harmonie wieder gefährden sollte. Nur du musst wieder alles mies machen und scheinst lieber mal wieder dein Leben lang Single bleiben zu wollen. Super.“
 

Serdall schüttelte den Kopf.
 

„Du brauchst mich nicht anzuschreien“, knurrte er vernehmlich und trat noch einen Schritt zurück, von Daniel weg. „Ich glaube ich bin lieber Single, wenn du nur ‚positiv gestimmt‘ bist dich geändert zu haben.“ Sich gegen die Wand in seinem Rücken lehnend versuchte Serdall Halt zu bekommen, da seine Beine langsam ziemlich weich wurden. Daniel wollte ihn jetzt wieder umstimmen, nach all dem wollte er einfach wieder mit ihm zusammen sein, nur weil sie gestern Sex gehabt hatten? Serdall wollte gerade einfach nur weg von Daniel, weil er ihn viel zu sehr in die Mangel nahm, zu aufbrausend war in diesem Moment, was Serdall dicht machen ließ. „Außerdem geht es nicht darum, dass du dich änderst. Es geht ums Verstehen, verdammt. Wir verstehen uns eben nicht mehr. Das solltest du einsehen.“
 

Eine Zeit lang vergrub Daniel sein Gesicht in den Händen und blieb still im Sessel sitzen, zu dem er nach Serdalls Worten wieder zurückgegangen war. Irgendwann sah er wieder zu Serdall auf. Ernst. Erschöpft. Einfach vollkommen mit den Nerven am Ende.
 

„Ich glaube einfach nicht daran, dass es noch einmal so schlimm werden wird. Diese drei Wochen haben mir dann doch einiges gebracht, vor allem bei meiner mir selbst auferlegten Fehlersuche. Außerdem habe ich das Gefühl, dass ich es ohne dich keinen Tag länger aushalte.“ Langsam ging er wieder auf Serdall zu und lehnte sich einfach nur müde gegen ihn. Daniel umarmte ihn nicht, verlangte von Serdall auch nichts in die Richtung. Er brauchte gerade einfach nur etwas Halt. Serdall verspannte sich dabei jedoch augenblicklich. Er ballte die Hände zu Fäusten. So konnte er nicht mit Daniel nicht reden. Jener war viel zu nah und Serdalls Mauer zerfiel, wie ein Gebilde aus Sand im Regen.
 

„Daniel…“ Serdall verstummte als Daniel federleicht eine Hand an seine Wange legte und ihn kurz küsste. Augenblicklich schob Serdall Daniel ein Stück von sich, beließ seine Hände aber auf Daniels Schultern. Wenn Daniel so weiter machte, würde Serdall ihm alles glauben. Es war fast wie zu Anfang, wo Daniel eben instinktiv machte, was Serdall aus der Bahn warf. „Bitte, ich will das nicht wieder überstürzen. Lass es uns langsam angehen. Ich denke, dass du erst mal wieder hier einziehst? Trotzdem kann ich nicht einfach sagen, dass wir wieder zusammen sind“, stammelte Serdall etwas unbeholfen und biss sich auf die Lippe. Er nahm seine Hände von Daniel und rang nach seiner Fassung.
 

Daniel lächelte leicht und legte den Kopf schief. Seine Hände hatten währenddessen den Weg über Serdalls Arme zu seinem Rücken aufgenommen, wo sie jetzt hauchzart auf und ab strichen.
 

„Danke“, murmelte Daniel leise und küsste Serdall wieder vorsichtig, bevor er ihn glücklich umarmte.
 

Überfordert ließ Serdall es geschehen und lächelte schief. So konnte er Daniel weder böse sein, noch ihm nicht glauben. Aber noch waren sie eben erst am Anfang. Bis sie sich wirklich wieder zusammengerauft hatten, würde es wohl ein wenig dauern.
 

„Du schläfst dann in deinem Zimmer?“, fragte Serdall nun nach. Das verstand Serdall nämlich darunter, es langsam angehen zu lassen. Seufzend löste Daniel sich wieder ein Stück von Serdall.
 

„Ist okay“, meinte er. „Besser als gar nichts, denke ich.“ Unentschlossen trat er etwas auf der Stelle herum. Irgendwie wurde er gerade etwas aus der Bahn geworfen. „Und jetzt?“, wollte er wissen. „Irgendwelche besonderen Vorschläge?“
 

„Wie wäre es, wenn wir erst einmal deine Sachen wieder herschaffen?“, murmelte Serdall und fasste nach Daniels Hand, um sie mit seiner zu verschränken. Völlig voneinander abzulassen war Blödsinn, aber Serdall wollte lieber langsam wieder dazu übergehen mit Daniel wieder zusammen zu sein. Er lächelte Daniel ehrlich an. In ihm begann es sanft zu kribbeln, allein durch diese kleine Berührung ihrer Hände. „Ich fahre dich, okay?“
 

Daniel lachte leise.
 

„Das letzte Mal, als du das gesagt hast, hast du mich mehr als nur gefahren. Wobei ich ehrlich gesagt nichts gegen eine Wiederholung hätte. Dieses Mal allerdings auf anderem Niveau.“ Grinsend zog er Serdall mit sich die Treppe hinunter. Dustin streckte seinen Kopf neugierig aus der Küche hinaus und Daniel ging zu ihm. Glücklich schlang er seine Arme um Dustin und gab ihm einen feuchten Schmatzer, bevor er sich wieder grinsend von ihm löste und zu Serdall zurücktrottete. „Danke“, meinte er ehrlich.
 

Dustin grinste überdimensional, als Serdall etwas eifersüchtig zu ihm blickte und Daniel wieder bei der Hand nahm. Etwas angeekelt wischte er Daniels Speichel von seiner Wange.
 

„Das wäre auch weniger nass gegangen“, meinte er lachend und streckte Daniel die Zunge heraus.
 

„Wir fahren kurz Daniels Sachen holen“, meinte Serdall nun zu seinem Schwager und jener nickte glücklich.
 

„Hach, unsere Turteltäubchen sind wieder in Aktion“, rief Dustin euphorisch und Serdall verdrehte die Augen, musste aber lächeln, als er einen Arm um Daniels Schultern schlang. Er zog ihn mit sich zur Garderobe und wenig später saßen sie schon in Serdalls Wagen und fuhren in Richtung Jugendherberge. Daniel ging mit Serdall in sein Zimmer und packte seine Sachen zusammen. Seufzend zog er noch sein Bett ab und fegte einmal durch, während Serdall es sich auf einem der Stühle am Tisch bequem gemacht hatte.
 

„Füße hoch“, befahl Daniel, als er mit dem Besen in Serdalls Reichweite kam und beseitigte den ganzen Dreck dann schließlich im Mülleimer. Er sah sich noch ein letztes Mal prüfend um, ob er auch nichts vergessen hatte und machte sich dann wieder auf den Weg zur Rezeption.
 

Wortlos sah Serdall dabei zu, wie Daniel bezahlte. Seufzend nahm er Daniels Tasche, als der noch irgendetwas unterschreiben musste und machte sich auf zu seinem Wagen. Er verstaute die Tasche im Kofferraum und lehnte sich, auf Daniel wartend, an die Fahrertür. Nachdenklich richtete Serdall seinen Blick gen Himmel. Schneeflocken fielen träge auf die Erde und verfingen sich zum Teil in seinen Haaren. Er beobachtete wie sein Atem kondensierte und sich dann verflüchtigte. Im Moment fühlte er sich mit Daniel wieder irgendwie in einer Schwebe. Er war sich nicht sicher, ob es das Richtige war, was er tat und er wusste auch nicht, ob es gutgehen würde, aber das Risiko musste er wohl eingehen. Er hoffte wirklich, dass sie wieder glücklich wurden, dass er selbst nicht mehr zweifeln musste und Daniel endlich zufrieden war mit dem, was sie hatten.
 

Leise trat Daniel auf Serdall zu und umarmte ihn von hinten. Er stellte sich auf Zehenspitzen, damit er sein Kinn auf Serdalls Schulter ablegen konnte. Schnell schob er seine kalten Finger durch einen der Schlitze zwischen den Knöpfen von Serdalls Mantel und seufzte zufrieden.
 

„Hast du Lust Schlittschuh zu laufen“, wollte er grinsend wissen.
 

„Nur wir beide?“, fragte Serdall und lächelte etwas gezwungen. Er sah sich wirklich schon auf dem Eis mit einer plattgedrückten Nase, weil er aufs Gesicht gefallen war. Serdall schnappte sich Daniels Hände aus seinem Mantel, drehte sich zu ihm um und vergrub Daniels und seine Hände in seinen Manteltaschen, während er seine Nase an Daniels stupste. „Aber nur für eine Stunde in einer Eishalle“, bestimmte Serdall und küsste Daniel kurz auf die kalten Lippen. Je weniger Zeit sie auf dem Eis verbrachten, umso geringer war hoffentlich auch die Unfallgefahr. Lächelnd ließ Serdall von Daniel ab und ging um den Wagen herum, um sich hineinzusetzen. Die Heizung aufdrehend wartete Serdall kurz, dass Daniel einstieg und fuhr dann an. Es war ein ganz schöner Weg von der Jugendherberge zur Eishalle und sie brauchten so, da die Straßen in manchen Teilen der Stadt ziemlich glatt und nicht gestreut waren, relativ lange.
 

Euphorisch zog Daniel Serdall zum Schlittschuhverleih und anschließend auf eine Bank am Rand der Eisfläche. Schnell hatte er die Schnürsenkel zugebunden und stakste schon auf das Eis zu, während Serdall sich noch in seine Schuhe kämpfte. Grinsend lief Daniel die ersten Schritte und genoss das Gefühl des mühelosen vor sich hin Gleitens.
 

Länger als nötig verbrachte Serdall damit, die Schuhe anzuziehen und linste dabei immer wieder zu Daniel, der ihm schon grinsend zusah. Doch irgendwann musste Serdall zugeben, dass seine Schnürsenkel fest verzurrt waren und er eigentlich bereit dafür war, um sich aufs Eis zu Wagen. Daniel einen mürrischen Blick zuwerfend machte er sich nun auch auf den Weg zum Eis, wo er sich dort angekommen immer mit einer Hand an der Berandung festhielt. Daniel hielt neben ihm und sah Serdall mit schiefgelegtem Kopf an.
 

„Also wenn du absolut nicht hättest laufen wollen, hättest du auch einfach nein sagen können“, meinte er überlegend und zuckte dann mit den Schultern. „Allerdings bist du jetzt schon mal hier, da kannst du auch gleich ein paar Runden drehen. Du kannst doch Schlittschuhlaufen, oder?“
 

Serdall verdrehte die Augen.
 

„Ich kann, aber man kann sich da auch verletzen und ganz besonders die Hand brechen“, erwiderte Serdall stur und stieß sich, nach einem forschen Blick über die Eisfläche die halbwegs gut besucht war, von der Seite ab und lief dann langsam und bedacht neben Daniel her. „Außerdem hatte ich diese Rechnung ja noch bei dir offen“, murrte er leise.
 

„Nun, das ist richtig“, erwiderte Daniel abwägend. „Allerdings hatte ich schon damals nicht daran gedacht, was dabei alles passieren kann. Aber ein unglücklicher Sturz und der schlimmste Fall könnte eintreten. Ich werde mich dann allerdings vor dich schmeißen und dich abfangen, also immer schön nahe bei mir bleiben.“ Lächelnd nahm Daniel Serdalls Hand.
 

Serdall zuckte bei dieser Berührung ein wenig zusammen und brachte Daniel leicht ins Trudeln. Erschrocken wandte er den Blick etwas um sich herum, doch biss er sich dann hart auf die Lippe. Was war er denn für ein Feigling? Schief lächelte er Daniel an und strich leicht mit dem Daumen über Daniels Handrücken, ehe er weiter mit ihm Hand in Hand lief, sich dabei zwang ruhig zu bleiben. Er war es immer noch nicht gewöhnt, dass man sich nach ihm umwandte, nur weil er mit Daniel zusammen war. Manchmal kam auch ein böses Wort oder Beschimpfungen und das hatte er einfach noch nicht wirklich verarbeitet.
 

„Sorry“, murmelte er nur halblaut während sie weiter ihre Runden zogen. Lächelnd schüttelte Daniel den Kopf.
 

„Ist schon in Ordnung. Ehrlich gesagt bin ich froh, dass du nicht ganz zurückgeschreckt bist. Ich kann verstehen, wenn du nicht mit der abwertenden Meinung anderer konfrontiert sein möchtest, bin allerdings glücklich, wenn du dich dem stellst. Aber es ist letztendlich deine Entscheidung.“
 

Serdall nickte nur. Es war eben einfach nicht normal, für andere Leute. Er selbst hatte es zu Anfang ja auch für nicht normal gehalten. Seufzend hielt er mit Daniel an. Er wollte nicht, dass das ewig so weiterging, dass er zu feige für dieses ganze Leben war. Entschlossen schlang er einen Arm um Daniels Hüfte, sah ihm lächelnd in die Augen, bevor er sanft seine Lippen auf Daniels legte. Hier kannte ihn doch keiner und es war ein unbeschreibliches Gefühl, Daniel hier zu küssen.
 

Daniel keuchte kurz überrascht. Er hätte nie damit gerechnet, dass Serdall sich ihm von selbst so nähern würde. Allerdings hatte er damit ehrlich gesagt auch kein Problem und es war unbeschreiblich schön, dass Serdall für ihn über seinen eigenen Schatten sprang. Besser gesagt für sie. Für ihre Beziehung, die scheinbar tatsächlich wieder intakt war. Zumindest langsam und allmählich. Aufseufzend legte Daniel seine Hände in Serdalls Nacken und erwiderte den Kuss. Serdall löste sich von Daniel und räusperte sich leicht.
 

„Wir müssen ja nichts provozieren, nicht wahr?“, murmelte er leise und registrierte mit roten Wangen die etwas skeptischen Blicke, die ihnen zugeworfen wurden. Er wollte sich nicht zu sehr darüber aufregen, aber ganz konnte er es eben nicht ignorieren. „Lass uns noch ein wenig herumlaufen“, meinte er leiser und nahm nun Daniel bei der Hand.
 

„In Ordnung“, gab Daniel sein Einverständnis und sie zogen noch ein paar langsame Runden, bevor sie ihre Schlittschuhe wieder abgaben und in Richtung Auto gingen. „Das war schön“, meinte Daniel lächelnd und lehnte sich etwas an Serdall. Hier auf dem Parkplatz war fast niemand und er war sich ziemlich sicher, dass Serdall ihn dann, nachdem er Daniel in der Eishallte sogar geküsst hatte, nicht von sich wegstoßen würde.
 

„Ja“, bestätigte Serdall lächelnd, schnappte sich Daniel und drückte ihn küssend gegen die Wagentür. Schließlich hatten sie in dieser Hinsicht noch drei Wochen Pause wieder aufzuholen. Zumindest das Küssen würde Serdall jetzt nicht mehr zurückhalten, mit dem Sex würden sie sich noch ein wenig Zeit lassen müssen. Serdall hatte Angst, dass es genau so wie am gestrigen Abend laufen würde. Einfach schnell und ohne Gefühl. Nachdem er sich seufzend von Daniel gelöst hatte, schob er Daniel zur Beifahrerseite, als jener seine Finger schon wieder in tiefere Regionen gleiten lassen wollte. Daniels Ungeduld hatte sich wohl in den letzten Wochen kein Deut gebessert. Tief seufzend fuhr Serdall vom Parkplatz und machte leise das Radio an.
 

Daniel seufzte ebenfalls, allerdingst aus Frust. Er war nach dieser langen enthaltsamen Zeit ziemlich heiß auf körperliche Nähe, aber Serdall wollte es einerseits langsam angehen lassen und andererseits waren sie nicht wie gestern mitten in der Nacht auf einem verlassenen Parkplatz, sondern am Tag vor einer belebten Eishalle. Keine gute Idee, hier und jetzt etwas zu versuchen. Er ruckelte sich etwas bequemer in seinem Sitz zurecht und hielt seine kalten Finger direkt vor die Heizung.
 

Serdall sah es Daniel an, dass ihm diese Abweisung nicht wirklich passte und er wohl lieber wieder hemmungslos von null auf hundert gegangen wäre, aber Serdall konnte eben nicht so schnell umschalten. An einer roten Ampel glaubte Serdall kaum, was Daniel tat. Plötzlich beugte sich sein Freund in seinen Schoß und öffnete Serdalls Hose.
 

„Spinnst du?“, rief er perplex und zog Daniel an den Haaren von dieser Region weg.

Daniel wollte doch nicht echt…?
 

Zischend rieb sich Daniel seine malträtierte Kopfhaut und sah ziemlich schuldbewusst drein. Er hatte wenigstens einen Versuch starten wollen, auch wenn er sich schon gedacht hatte, dass Serdall ihn abweisen würde. Scheinbar war die Devise wirklich, dass sie es langsam angehen würden. Obwohl, auch unter normalen Umständen wäre ein Blowjob im Auto an einer roten Ampel wohl kaum etwas gewesen, das Serdall mit Freuden angenommen hätte. Seufzend schüttelte Daniel über sich den Kopf. Warum handelte er mal wieder so komplett hirnlos.
 

„Entschuldige“, murmelte er leise.
 

Serdall beließ es dabei. Er wusste zwar nicht, was Daniel sich dabei gedacht hatte, aber er kannte seinen Freund und seine schreckliche Ungeduld. Ein wenig war Daniel ja auch experimentierfreudig, aber sowas würde Serdall sicherlich nicht mitmachen, dass sie es hier am helllichten Tage soweit treiben mussten. Nachsichtig lächelnd strich Serdall Daniel über den Oberschenkel, als schon die Ampel auf grün schaltete und er weiterfuhr.
 

Daheim in der Zikadillenstraße half Serdall Daniel seine Sachen wieder nach oben zu bringen. Einräumen ließ er ihn selbst. Etwas unbehaglich sah Serdall auf die halbleeren Wände, an denen sonst die Bilder von ihnen gehangen hatten, besonders die von Daniel. Kurz küsste er Daniel in den Nacken, als der die ersten Shirts in den Schrank räumte, bevor er schnell zur Abstellkammer ging und die Kiste mit den Photos zu holen.
 

Daniel sah Serdall neugierig hinterher, zuckte dann allerdings mit den Schultern und leerte seine Tasche nach und nach vollständig. Als Serdall schließlich wiederkam und Daniel sah, was sein Freund in den Händen trug, konnte er sich sein glückliches Lächeln nicht verkneifen. Er warf einen Blick in die Kiste und holte einige Sachen heraus.
 

„Ganz meine Meinung“, meinte Daniel freudig grinsend. „Ich finde auch, dass es ohne diese Sachen ziemlich leer wirkt. Mein Anblick hellt doch gleich jedes Zimmer etwas auf.“
 

Serdall kniff Daniel in die Nase.
 

„Einbildung“, meinte er leise lachend und begann die Bilder wieder sorgfältig an ihren angestammten Platz zurück zu hängen. Nachdenklich betrachtete er jedes Einzelne und ein warmes Gefühl breitete sich in ihm aus und ließ ihn sich glücklich fühlen. Daniel und zum Teil auch sie gemeinsam lächelten freudig in die Kamera. Und Daniel lächelte jedes Mal überbreit, bis auf dem Bild, das zu seinem zwanzigsten Geburtstag gemacht wurde, wo er gerade vor dem neuen Wagen stand. Da waren ihm die Gesichtszüge total entgleist. Lächelnd hängte Serdall das letzte Bild an die Wand und ging dann zu Daniel, der wieder dabei war seine Sachen einzuordnen.
 

„Hast du dich eigentlich mit Kai getroffen, in den letzten drei Wochen?“, fragte Serdall plötzlich. Irgendwie kam ihm das gerade in den Sinn. Hatte sich Daniel mit Kai getröstet? Serdall konnte sich nicht vorstellen, dass Daniel die Nächte allein in diesem kahlen Zimmer in der Jugendherberge verbracht hatte.
 

Etwas unbehaglich sah Daniel Serdall an. Er fand es seltsam, dass sie jetzt über dieses Thema sprachen, nachdem Serdall das letzte Mal doch überdeutlich gemacht hatte, dass er darüber nicht mehr nachdenken wollte. Allerdings war die Frage nicht eifersüchtig gestellt, sondern eher neutral und Daniel musste in der Hinsicht ohnehin kein schlechtes Gewissen haben.
 

„Nein, ich habe ihn nicht gesehen“, erwiderte er. „Irgendwann kam mal eine sms, dass er aus dem Krankenhaus raus ist, aber das ist auch alles, was es zu dem Thema zu sagen gibt.“
 

Serdall sah Daniel eine Spur zu überrascht an. Er hätte wirklich gedacht, dass Daniels erstes Ziel nach ihrer Trennung Kai gewesen wäre. Zumal es dieses Mal auch wirklich ernst gewesen war. Ungläubig setzte sich Serdall aufs Bett und sah nachdenklich auf den Boden.
 

„Hast du dann jemand anderes gehabt?“, fragte Serdall nüchtern und legte leicht den Kopf schief. „Entschuldige, eigentlich geht es mich auch nichts an“, meinte Serdall schnell, als er Daniels skeptischen Blick sah, „aber es würde mich schon interessieren.“
 

Im ersten Moment baute sich in Daniel das Verlangen auf, stinksauer zu werden. Dann allerdings seufzte er und ließ sich schwer ebenfalls auf das Bett plumpsen. Serdall hatte eigentlich jedes Recht, so von ihm zu denken. Er hatte während ihrer Beziehung in der Hinsicht bei Zeiten voller Probleme diverse Ausreißer gehabt. Sei es David, Dustin oder Kai. Kein Wunder also, dass Serdalls Gedanken in diese Richtung schweiften.
 

„Ist schon okay“, meinte er und ließ sich ganz zurücksinken. „Ich habe mich bislang nicht unbedingt so benommen, dass du anders von mir denken könntest. Allerdings hatte ich niemand anderen. Erstens war ich dafür zu beschäftigt und zweitens habe ich die ganze Zeit gehofft, eben doch noch zu dir zurückkommen zu können.“
 

Serdall biss sich auf die Lippe. Er fühlte sich irgendwie schlecht, da er Daniel so falsch eingeschätzt hatte. Aber es beruhigte ihn ungemein, dass Daniel sich nicht gleich wieder in fremden Betten Trost gesucht hatte. Das bedeutete Serdall so viel, dass er nur glücklich lächeln konnte. Sein Herz machte freudige Hüpfer, als er sich zu Daniel drehte und nach seiner Hand griff. Erleichtert sah er Daniel in die Augen. Er wusste nicht was er sagen sollte, was überhaupt angebracht wäre. Serdall lehnte sich einfach vor und küsste Daniel, um ihn an seiner Freude teilhaben zu lassen.
 

Sie ließen sich in die Kissen fallen und Serdall zog Daniel eng gegen sich, während seine Finger sich unter Daniels Pulli stahlen und die warme Haut in der Rückenmitte bestrichen. Die Augen halb geöffnet, versuchte sich Serdall zu versichern, dass dies hier kein Traum war, dass er wirklich wieder mit Daniel zusammen war. Er hatte in den letzten Tagen nicht wirklich daran geglaubt, dass sie jemals wieder zusammenkamen, doch jetzt war es einfach nur unfassbar. Sanft ließ Serdall seine Zunge zwischen Daniels Lippen gleiten. Kurz nur fuhr er über Daniels gerade Zähne, ehe er die andere Zunge bestrich und sie dazu animierte mitzumachen.
 

Zufrieden seufzend schloss Daniel die Augen und erwiderte den sanften Kuss. Seine Hände machten sich auf Wanderschaft über Serdalls Körper. Einige Zeit lagen sie so da, den Anderen einfach küssend und leicht berührend. Allerdings ließ auch das Daniel nach der langen Zeit ohne Serdall nicht kalt und er schob seinen Freund schweren Herzens ein Stück von sich weg.
 

„Wenn du es langsam angehen willst, sollten wir hier lieber abbrechen“, erklärte er etwas peinlich berührt, als er Serdalls verdatterten und fragenden Blick sah. Serdall seufzte. Daniels Beherrschung war wie immer kaum vorhanden.
 

„Okay“, murmelte Serdall und richtete sich wieder auf, wobei er sich die Haare wieder zurückstrich, die nun wieder ein kleines Chaos waren. „Wenn du deine Sachen einsortiert hast, können wir nach unten gehen. Yoshiko hat bestimmt gleich das Abendbrot fertig und Taki ist auch gleich von Kevin wieder da.“ Er zog Daniel vom Bett hoch und küsste ihn noch einmal auf die Lippen. Es wäre zwar schön, wenn sie sich einfach wieder hemmungslos in den Laken wälzen würden, aber diese drei Wochen hatten bei Serdall Spuren hinterlassen und er wollte es eben wirklich nicht wie beim letzen Mal überstürzen. Jetzt würden sie sich Zeit lassen und auch ruhig zu ihrem normalen Alltag zurückkehren. So würde hoffentlich alles wieder in Ordnung kommen und sie wieder glücklich miteinander sein und nicht einfach die Probleme beiseite schieben und übereinander herfallen.
 

Daniel nickte und packte weiter seine Kleidung in den Schrank. Er würde jetzt ein paar Minuten brauchen, um wieder runterzukommen. Es tat ihm leid, dass er ihre Zweisamkeit hatte unterbrechen müssen, aber er war so schnell von null auf hundertachtzig, dass es ihm ab und an selbst unheimlich war. Allerdings ging ihm das hauptsächlich nur bei Serdall so, es sei denn, Daniel hatte es wirklich nötig.
 

„Gut, wir können“, verkündete er, als auch die letzte Hose ordentlich auf ihrem Bügel hang und der Schrank endlich geschlossen war.
 

Taki, der Yoshiko schon beim Tischdecken half, war wirklich glücklich, dass Daniel wieder da war und er beanspruchte ihn das ganze Abendbrot über und auch danach noch. Serdall wurde dabei leicht außen vor gelassen, weil Taki vorrangig mit Daniel Videospiele spielte und erzählte, wie es mit seinen Freunden lief. Serdall nutzte die Zeit nach dem Abendbrot, um wieder zu geigen. Dustin und Ethan waren nach dem Abendessen auf ihre Etage verschwunden. Serdall hatte für sich bestimmt, dass er sich wegen den beiden etwas einfallen lassen musste, als Entschuldigung dafür, dass er so unerträglich zu ihnen gewesen war. Jetzt im Rückblick tat es ihm schon leid, was er ihnen zugemutet hatte.
 

Ende Kapitel 31

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Kapitel 33
 

„Meinst du nicht, dass das ein bisschen übertrieben ist?“, murrte Serdall enerviert und sah an der Leiter hinauf, die er sichernd hielt. Daniel war gerade dabei, den Engel auf die Spitze des völlig überladen wirkenden Weihnachtsbaums zu setzen. Taki warf immer noch Lametta auf die Tannenzweige und irgendwie war das Serdall einfach eine Spur zu stressig. Vor allem weil mehr Lametta auf dem Boden lag, als auf den Zweigen und Taki und Daniel gemeinsam die Weihnachtslieder rauf und runter trällerten, was ihm langsam Kopfschmerzen bereitete.
 

Ethan und Dustin waren währenddessen dabei, jeden einzelnen Mistelzweig, welche nahezu über jedem Türrahmen in der unteren Etage hingen, auszutesten. Der Engländer hatte darauf bestanden diese Tradition hier fortzuführen, wenn man schon alles Andere abgelehnt hatte. Serdall beschloss für sich, konsequent die Türen alleine oder gemeinsam mit Daniel zu passieren. Er wollte keinen der Anderen küssen. Nicht, dass er es dann tun würde, falls er doch einmal mit Dustin oder Ethan unter einem Zweig stand. Er war schließlich kein Engländer und er hatte keine Lust, diesen Brauch mitzumachen. Maximal bei Daniel. Nun auf jeden Fall bei Daniel. Das wäre ein Lichtblick an diesem stressigen Weihnachtstag. Serdall war wirklich froh, wenn sie diesen vierundzwanzigsten Dezember schnell rumgebracht hatten und der Weihnachtstrubel vorbei war.
 

„Ich finde überhaupt nicht, dass das übertrieben ist“, meldete sich Daniel zu Wort, nachdem er konzentriert den Engel auf der Tannenspitze ausgerichtet hatte, damit er auch exakt gerade stand. „Wenn es nach Dustin gegangen wäre, der das Haus so gestalten wollte wie es in den USA üblich ist, hätten wir jetzt leuchtende Rentiere im Garten stehen, zwei Dutzend blinkende Lichterketten auf dem Dach und noch einen sich selbst aufblasenden Schneemann sowie diverse andere Sachen. Da kannst du mit einem gut geschmücktem Weihnachtsbaum und ein paar leuchtenden Büschen im Garten noch glücklich sein.“
 

Daniel kletterte die Leiter herunter und sah Serdall prüfend an. Man merkte, dass das Alles schon wieder zu viel für ihn war und er Weihnachten am liebsten gleich gestrichen hatte. Vor allem, weil sich Daniels Mutter noch für heute angekündigt hatte und das Haus dieses Jahr noch voller war als sonst, jetzt, wo Yoshiko auch noch hier war. Ob sie Heiligabend allerdings hier verbringen würde, wusste Daniel nicht. Sie hatte sich die letzten Wochen, wie er erfahren hatte, mit einem Mitarbeiter der japanischen Botschaft getroffen, den sie kennengelernt hatte, als sie ihn und Serdall gedeckt und den Abend im Hotelrestaurant verbracht hatte, damit sie sich, während Fei noch da war, einmal ungestört hatten treffen können. Vielleicht würde sie auch bei ihm sein. Für Serdall wäre diese Lösung wohl besser. Eine Person weniger. Daniel seufzte und strich seinem Freund einmal aufmunternd über die Wange.
 

„Noch ist das mein Haus“, knurrte Serdall finster. „Und ich glaube die Dekoration ist ausreichend.“ Seufzend umarmte Serdall Daniel kurz und küsste ihn. In der letzten Woche hatten sie sich wieder zusammengerauft und es war auch wirklich alles zwischen ihnen geklärt. Serdall war froh: sie hatten wieder eine feste und zweifelfreie Beziehung. Und das Wichtigste war, Serdall vertraute Daniel wieder und Daniel war scheinbar auch wieder zufrieden, dazu auch frech wie zur Anfangszeit.
 

Taki ging nun dazu über ‚O Tannenbaum‘ zu singen und Serdall seufzte überaus angetan. Was für ein Geplärr, dachte er leidlich und lächelte Daniel schief an. So sehr er seinen Sohn auch liebte, zu Weihnachten war er einfach nicht zu bremsen und leider auch ziemlich anstrengend. Als Taki gerade den Refrain wiederholte, reichte es Serdall. Er schnappte sich seinen Sohn, stemmte ihn sich über den Kopf und wirbelte sich mit ihm herum, sodass Taki nun nicht mehr sang, sondern ausgiebig lachte.
 

Lächelnd sah Daniel den beiden zu. Serdall wusste wirklich, wie er mit seinem Sohn umgehen musste. Langsam wurde Taki allerdings ziemlich groß und würde wohl auch bald zu schwer sein, um ihn wie Serdall im Moment durch die Luft zu wirbeln. Allem Anschein nach würde er das Format seines Vaters auf jeden Fall erreichen. Daniel dachte schon wehmütig an den Tag, an dem Taki wohl auf ihn von oben herab ansehen würde.
 

„Na das kann ja was werden“, grummelte er seufzend vor sich hin und winkte unbedeutend ab, als Serdall, der Taki wieder auf den Boden gesetzt hatte, ihn fragend ansah. „Was ist eigentlich mit Yoshiko? Bleibt sie heute Abend hier oder geht sie zu Robin und feiert dort? Denn ehrlich gesagt frage ich mich, wer heute zum Kochen eingeteilt ist und ob überhaupt schon klar ist, was wir essen oder ob wir uns irgendwas bestellen“, wandte er sich an Serdall.
 

Serdall rollte mit den Augen. Es war gerade noch früh am Morgen, aber trotzdem kamen diese Überlegungen reichlich spät.
 

„Das Mittagessen ist schon bestellt“, murmelte Serdall und strich Taki einmal durch die Haare. „Und Yoshiko geht heut Abend zu ihm, ja.“ Vorher hat sie jedoch noch etwas anders für mich zu erledigen, dachte sich Serdall ernst und blickte kurz zur Uhr. Er hoffte, dass bis heute Abend alles glatt ging und Weihnachten bald vorbei war. Irgendwie war ihm das einfach zu viel Rummel an einem Tag. Früher war es doch auch nicht so stressig gewesen, aber irgendwie wurde die ganze Sache von Jahr zu Jahr chaotischer. Serdall seufzte tief. Das lag wohl auch an dem Zuwachs an Leuten und auch daran, dass Taki Weihnachten abgöttisch liebte, so wie Daniel, Ethan und Dustin wohl auch. Nun gut, Serdall gab zu, er mochte Weihnachten auch. Wenn es dann an den besinnlichen Teil des Tages ging, war das romantische Flair wirklich schön. Aber dazu müsste er mit Daniel allein vor einem Kamin sitzen und ungestört mit ihm kuscheln und küssen. Leidlich sah Serdall dabei zu, wie Taki aufgeschreckt mit den Hunden umher jagte und Dustin dann lachend Taki verfolgte, um ihn dann auszukitzeln. Ethan fiel ihm jedoch in den Rücken und alsbald wurde Dustin von Taki und dem Rothaarigen attackiert und zum Lachen und Weinen gebracht. Serdall schmunzelte leicht, während er einen Arm um Daniels Hüfte schlang.
 

„Ob wir die Drei nochmal groß kriegen?“, fragte er leise lachend.
 

„Nun, ich finde sie haben sich schon gebessert“, erwiderte Daniel amüsiert. „Naja, zumindest bei Taki kann man praktisch zusehen, wie er wächst und Ethan und Dustin entwickeln sich charakterlich weiter. Von daher würde ich schon sagen, dass wir unsere Sachen ganz gut machen“, fügte er noch nachdenklich an. Sie waren tatsächlich alle ziemlich zusammengewachsen, Dustin war nicht mehr der skrupellose Aufreißer, Ethan hatte einiges an Selbstbewusstsein zugelegt und Serdall war nicht mehr der kühle Eisblock. Meistens.
 

„Anscheinend“, stimmte Serdall zu und sah der raufenden Bande zu. Mücke und Kimba sprangen bellend um die Drei herum und schoben ihre Schnauzen auch ab und zu vor, um ein wenig mit ihren Zungen herum zu schlabbern. Angeekelt zog Serdall leicht die Nase kraus. Das Gesabber war immer noch viel zu widerlich in seinen Augen, auch wenn ihm die beiden Hündinnen auch ziemlich ans Herz gewachsen waren. Seufzend löste sich Serdall von Daniel, um sich auf das Sofa zu setzen und den Fernseher anzustellen. Vielleicht kam für Taki ein schönes Märchen, was ihn in den nächsten Stunden etwas ruhig stellte.
 

Daniel entschloss sich den Trubel währenddessen etwas aufzulösen und hob Taki ächzend von Dustin herunter. Ethan hörte auf Dustin zu kitzeln und die beiden gingen stufenlos in eine heftige Knutscherei über. Das war auch etwas, worin sich Serdall weiterentwickelt hatte. Normalerweise hätte er Dustin fluchend und um sich tretend aus dem Wohnzimmer befördert, weil Taki sowas nicht sehen sollte, aber jetzt war er in der Hinsicht recht lässig geworfen.
 

„Möchtest du was trinken?“, fragte Daniel Serdall und setzte Taki neben ihn auf die Couch, wo der Kleine schon im nächsten Moment gebannt auf den Fernseher starrte. Kinder. Wenn man wusste, wie man sie ruhig bekam, waren sie sehr einfach zu handhaben.
 

„Ja, ein Wasser“, meinte Serdall lächelnd und strich Taki über den Kopf. Es war schon verrückt, wie so ein Wintermärchen den Kleinen fesseln konnte. Serdall sah dabei zu wie Daniel sich an Dustin und Ethan vorbeischob, die sich gerade noch etwas kurzatmig, aber nicht mehr küssend, umarmten.
 

„Ich muss Abigail noch anrufen“, meinte Ethan plötzlich, löste sich entschuldigend lächelnd von Dustin und schnappte sich das schnurlose Telefon, um seine Schwester anzurufen. Schmollend blieb Dustin im Türrahmen stehen und sah zu seinem, ihm einen Handkuss zuwerfenden Freund. Beleidigt streckte er ihm die Zunge raus und begann plötzlich überbreit zu grinsen, als Daniel wieder aus der Küche zurückkam. Er hielt ihn am Arm fest, als er ihn einfach passieren wollte. Unverschämt lächelnd deutete Dustin nach oben auf den Mistelzweig.
 

„Du weißt doch, was das heißt?“, fragte er Daniel amüsiert und spitzte die Lippen.
 

„Ähm“, meinte Daniel unbeholfen und sah leicht panisch zu Serdall hinüber. Er persönlich hätte keine großen Probleme damit, Dustin zu küssen, da sie beide in einer festen Beziehung waren und alle wussten, dass es hier nur um freundschaftlichen Spaß und nicht mehr ging. Allerdings konnte Daniel sich auch vorstellen, dass Serdall nicht gerade sehr angetan war, wenn er Dustin küssen würde. Auch nicht freundschaftlich. Fragend sah Daniel deswegen zu seinem Freund hinüber und hielt Dustin noch kurz auf Abstand.
 

Erst bekam Serdall das Ganze nicht richtig mit, doch als er dann zu Daniel sah, zog er überrascht die Augenbrauen nach oben. Ihm war unwohl bei dem Gedanken, dass Daniel Dustin küsste, doch… Seufzend nickte Serdall. Dustin war mit Ethan zusammen und zwar glücklich, mehr als das. Er war ihm absolut treu und eigentlich brauchte sich Serdall da keine Sorgen machen. Nur war es eben noch die alte Angst und jetzt, wo Daniels und Dustins Lippen sich kurz berührten, verzog er dennoch leidlich das Gesicht. Kurz schüttelte er den Kopf und vertrieb diese Miene. Das bedeutete nichts. Daniel liebte ihn und das war absolut sicher. Trotzdem würde er Dustin noch eine Kopfnuss dafür geben.
 

Um Serdall zu beruhigen wischte Daniel sich einmal kurz mit dem Ärmel über den Mund, worauf von Dustin ein verletztes Schnauben kam. Augenrollend ging Daniel zur Couch zurück. Man konnte es in diesem Haus auch nie allen recht machen. Er reichte Serdall sein Wasser und nippte selbst kurz an seinem Kakao, während er sich die dicke Wolldecke über die Beine legte.
 

„Ist dir schon wieder kalt?“, fragte Serdall verwundert und sah bezeichnend auf die Decke. Aber was fragte er überhaupt? Daniel war schon immer eine Frostbeule gewesen, egal wie warm geheizt war. Kurzerhand legte Serdall einen Arm um Daniels Schulter und küsste seinen Mund nachdrücklich, als ob er so Dustins Spuren verwischen könnte. Er vertiefte den Kuss in ein inniges Zungenspiel, ehe er schweratmend wieder von Daniel abließ und scheinbar unschuldig und völlig fasziniert von dem Märchen sein Gesicht abwandte.
 

Mit großen Augen sah Daniel Serdall an. Warum ließ er ihn einfach so links liegen? Eben noch im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und jetzt nicht mehr interessant? Grummelnd zog Daniel die Decke noch ein Stück höher und ließ sich dann an der Lehne hinab gleiten, sodass er irgendwann mit dem Kopf auf Serdalls Schoß zum Liegen kam. Er holte sich seine körperliche Nähe schon allein. Unschuldig rutschte er an Serdalls Oberschenkeln hoch, bis er mit dem Hinterkopf am Bauch ankam und schob eine Hand zwischen Serdalls Beine. So, und wenn er ihn jetzt noch ignorieren konnte, musste er wirklich eine sehr starke Selbstbeherrschung haben.
 

Serdall zog nur eine Augenbraue nach oben, sah jedoch nicht vom Film weg. Stattdessen legte er seine Hand in Daniels Nacken und streichelte ihn liebevoll. Ihm ging sein Geschenk für Daniel nicht aus dem Kopf. Gerade fragte er sich, ob es das richtige war, was er für Daniel besorgt hatte, ob es seinem Freund auch gefallen würde. Etwas abwesend legte er den Kopf schief und dachte nach, wobei seine Finger besonders an Daniels Kehlkopf entlang strichen. Die Gedanken von sich schiebend wandte sich Serdall wieder Daniel zu, als dessen Hand deutlich an seinem Innenschenkel auf und ab wanderte. Daniel war wohl wirklich von dem ganzen Weihnachtskitsch angetan. Besonders mit dem ‚Fest der Liebe‘ Teil. Lächelnd ließ Serdall seine Hand von Daniels Schulter hinab zu dessen Taille wandern und kraulte ihn sanft am Bauch, wobei er sich sogleich unter den Pullover stahl und die warme Haut koste.
 

Genießend schloss Daniel die Augen und konzentrierte sich ganz auf Serdalls Berührungen, wobei er die Bewegung seiner Hand irgendwann vollkommen vernachlässigte. Sie hatten vorhin vor dem Aufstehen schon miteinander geschlafen, von daher war Daniel in der Richtung erst einmal ausgelastet und das Streicheln gerade einfach nur entspannend. Kurz gähnte er leise. Ja, geschlafen hatten sie miteinander und das nicht nur heute Vormittag, sondern eigentlich so ziemlich bei jeder Gelegenheit die letzten Tage. Jetzt hatten sie garantiert langsam alles Verpasste nachgeholt. Das Einzige, was jetzt noch nachgeholt werden musste, war der Schlaf. Daniel bemerkte, wie er langsam wegdriftete.
 

Zufrieden sah Serdall auf Daniel hinab. Sein Freund war tatsächlich eingeschlafen, trotz der Laustärke im Raum. Serdall ließ ihn. Sie hatten eine anstrengende Woche hinter sich. Nun grinste Serdall in sich hinein und kraulte Daniel nebenbei weiter. Er ließ Daniel eine Stunde schlafen, da klingelte es auch an der Tür und das Mittagessen wurde von einer angesehenen Restaurantküche angeliefert. Während Dustin die Tür aufmachte, weckte Serdall Daniel sanft, indem er ihn leicht an der Schulter rüttelte und seinen Namen rief. Ihm wurde augenblicklich warm im Gesicht, als Daniel so verschlafen und zerknittert zu ihm sah und sich mit einer Hand über die Augen rieb.
 

„Hey Prinzesschen, es gibt Essen“, flüsterte Serdall und küsste Daniel auf die Lippen. Daniel streckte sich kurz und setzte sich dann ziemlich erschöpft auf. Er fühlte sich absolut erschlagen. Gähnend kam er auf die Beine.
 

„Ich geh erst mal kurz ins Bad“, verkündete er und spritzte sich dort etwas kaltes Wasser ins Gesicht, bevor er zurück ins Wohnzimmer kam, wo am festlich gedeckten Esstisch schon das Essen aufgebaut war.
 

Serdall strich ihm kurz über den Oberschenkel, als Daniel sich neben ihn setzte. Amüsiert sahen sie dabei zu, wie Dustin das tranchieren der großen Ente übernahm, wobei er sich wirklich Mühe gab, nicht alle Stücke schrecklich zu zerpflücken. Den Wein genießend ließ sich Serdall von Daniel auftun und sie aßen allesamt erzählend und in Eintracht. Gemeinsam wurde auch abgeräumt, wobei Serdall auch reichlich half, was bei dem alten Serdall undenkbar gewesen wäre. Dabei geschah es leider auch, dass er kurz im Türrahmen mit Ethan zusammenstieß. Schlagartig wurde der Engländer knallrot und Serdall sah geschockt auf den Mistelzweig. Auf keinen Fall, dachte er.
 

„Vergiss es“, zischte Serdall auch im gleichen Moment, was Ethan zusammenzucken ließ.
 

„Komm runter und reiß dich zusammen“, zischte Daniel leicht ungehalten. Er hasste es, wenn Serdall in dieses alte Muster zurückfiel und andere Menschen in seinem Umfeld derart behandelte. „Es ist nur ein kurzer kleiner Kuss, es ist Tradition und ich habe nichts dagegen, also erledige deine Pflicht und sieh zu, dass du die Türen nur noch mit mir durchquerst, wenn dir das so unangenehm ist. Du hast dir das selbst eingebrockt.“ Ungerührt ging Daniel mit den letzten Schüsseln an den beiden vorbei in die Küche.
 

Finster sah Serdall Daniel kurz hinterher. Er hasste diese Tradition und auch, dass Daniel jetzt scheinbar sauer auf ihn war. Wieder sah Serdall zu Ethan, der still neben ihm stand und auf seine Fußspitzen starrte. Wenn Daniel es unbedingt wollte, würde er Dustins Freund eben küssen. Zischend fasste Serdall Ethan leicht am Kinn und zwang ihn aufzusehen und in seine Augen zu blicken. Serdall war sich bewusst, dass Daniel und Dustin sich nun eins ins Fäustchen lachten, doch er küsste Ethan trotzdem leicht auf einen Mundwinkel, ehe er wieder von ihm abließ und sofort ins Wohnzimmer ging, um sich beleidigt auf das Sofa zu setzen. Ethan war indes rot bis unter die Haarspitzen, als Dustin grinsend einen Arm um ihn legte. Das war für Ethan wohl der schrecklichste Moment im Leben gewesen, besonders weil er immer noch Angst vor Serdall und seiner Art hatte. Sogleich schlang Ethan die Arme um ihn und vergrub sein rotes Gesicht an seiner Halsbeuge.
 

„Was denn, so ein Kuss wirbelt dich so auf?“, fragte Dustin nun neckisch, was Ethan sofort dazu veranlasste, die Arme enger um seinen Nacken zu schlingen und ihn forsch zu küssen. In den Kuss grinsend schlang Dustin die Arme um seinen Engländer. Ethan war wohl eher der Kuss peinlich, weil er Serdall gegenüber eben einfach nicht wusste wie er sich zu verhalten hatte, auch nach all der Zeit nicht.
 

Seufzend stellte Daniel die Schüsseln erst einmal einfach nur auf der Spüle ab und ging dann gleich wieder an dem knutschenden Pärchen vorbei zurück ins Wohnzimmer. Er würde wohl gleich nochmal mit Serdall reden müssen, damit der Haussegen nicht schon wieder schief hing. Für Daniel war die Aktion eben nicht schlimm gewesen. Eher fand er es gut, um Serdall generell mal etwas lockerer solchen Sachen gegenüber zu machen, aber der schien sich von allen hintergangen zu fühlen und war mürrisch, weil er etwas machen musste, wozu er eigentlich keine Lust gehabt hatte.
 

„Sauer?“, wollte er leise wissen, als er sich neben Serdall auf die Couch fallen ließ.
 

Serdall nickte nur. Er fand es eben bescheuert, wenn er bei diesen Kindereien mitmachen musste, gerade wenn es um solche intimen Dinge ging. Dann war er eben ein Miesepeter oder was auch immer. Es gefiel ihm eben nicht, auch wenn es anderen vielleicht Spaß machte und sie es ulkig fanden. Er verband mit einem Kuss eben andere Dinge als das, was mit diesen Mistelzweigen verbunden wurde.
 

„Scheiß Tradition“, knurrte er fast unhörbar und verschränkte die Arme. Daniel seufzte leise und umarmte seinen Freund anschließend.
 

„Es ist einmal im Jahr, es macht allen anderen Spaß und Freude, also wäre es schön, wenn du dich da freiwillig durchbeißen würdest. Wenn du möchtest bezahle ich dich auch für die großen Opfer, die du für uns bringen musst.“ Grinsend fing Daniel Serdalls Lippen zu einem sanften Kuss ein. Serdall löste sich sogleich und drehte Daniel seine Wange zu.
 

„Mir macht es aber keinen Spaß und es ist das letzte Mal, dass ich hier irgendwen außer dich geküsst habe“, knurrte er und behielt seine Arme immer noch überkreuz vor seiner Brust, obwohl Daniel ihn umarmte. „Meinst du nicht auch, dass deine Bezahlung für so etwas irrsinnig ist?“, zischte er danach noch. Das war doch paradox. Daniel wollte ihn dafür belohnen, dass er wild in der Gegend rum küsste.
 

„Man kann alles aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten“, erwiderte Daniel selbst langsam etwas gereizt, da Serdall mal wieder so extrem stur war, doch er versuchte noch so gut es ging die Ruhe zu bewahren. „Ich hätte dich jetzt aus dem Grund bezahlst, da du dich überwindest, um allen anderen ein schönes und einmaliges Weihnachten zu machen, aber du sitzt mal wieder lieber in der Ecke und schmollst. Das ist genau der Serdall von vor zwei Jahren. Klasse.“
 

„Seltsam, dass ein schönes und einmaliges Weihnachten an Rumgeknutsche unter beschissenen Mistelzweigen liegt“, zischte Serdall nun richtig wütend. „Und zu schade, dass Serdall eben nicht aus seiner Haut kann“, fauchte er noch, ehe er knurrend aufstand, um nach oben zu gehen. Der Stress der letzten beiden Monate, der ganze Weihnachtsrummel, mochte ihn vielleicht etwas empfindlich reagieren lassen, aber Serdall war das gerade einfach egal. Zornig trat er in ihrem Schlafzimmer gegen den Bettrahmen und biss sich auf die Unterlippe. Er hasste es mit Daniel zu streiten, doch er tat es immer wieder und scheinbar aus Daniels Sicht aus banalen Gründen.
 

Daniel hatte den Kopf in den Händen vergraben und saß noch immer auf der Couch. Es war einfach verrückt, wegen welchen Sachen er sich mit Serdall in die Wolle bekam und jetzt hatte er gerade keine Ahnung, ob er ihm hinterher gehen oder hierbleiben sollte. Wenn er nach oben ging, würde der Streit dann eskalieren? Es schien mal wieder jeder seine Meinung zu haben. Allerdings, wenn er nicht zu Serdall gehen würde, würde der dann noch wütender werden, weil keiner da war, um ihn zu beschwichtigen? Schnaubend schmiss Daniel seinen Kopf nach hinten ans Polster.
 

Serdall ging mit grimmigem Gesicht ins angrenzende Badezimmer. Er wusste nicht woher das Gefühl kam, doch noch immer fühlte er sich so, als ob er richtig wütend war, was er aber nicht wollte. Gut, Daniels Worte hatten ihn ziemlich vor den Kopf gestoßen. Wieso lag es an ihm, dass Weihnachten schön wurde? Wieso musste er dafür irgendjemanden außer Daniel küssen? Und überhaupt wusste doch Daniel wohl am besten, dass ihm diese ganze soziale Sache schwer fiel, dass er eben nicht einfach mal irgendjemand küssen konnte. Er konnte und wollte es nicht. Frustriert wischte sich Serdall einmal übers Gesicht. Er musste sich einkriegen, sonst provozierte er hier noch einen unsinnigen Streit. Bitter blickend ging Serdall zur Dusche, nahm sich den Duschkopf und drehte das kalte Wasser an. Er beugte sich vor und ließ es über seinen Kopf laufen, um diese verdammten Gedanken auszumerzen und sein Gemüt abzukühlen.
 

Daniel kam zur Tür rein und umarmte ihn leise seufzend von hinten. Ethan und Dustin hatten sich nach oben verzogen und wollten es wohl vermeiden, in diese Meinungsverschiedenheit mit hineingezogen zu werden und Taki hatte Daniel mit den Hunden nach draußen in den Garten zum Spielen geschickt, während er noch einmal zu Serdall ging. Er hatte für sich beschlossen, dass es nur besser werden konnte und er auch nicht mit Serdall über das Thema reden musste. Er konnte ihn zu nichts zwingen. Wenn er nicht wollte, wollte er nicht und das, was Daniel jetzt tun konnte, war zu helfen, Serdall wieder von seiner Wut herunterzubekommen.
 

Serdall stellte das rauschende Wasser ab und verharrte kurz so, mit Daniel an seinem Rücken geschmiegt, dessen Wärme im krassen Gegensatz zur beißenden Kälte stand, die sich stechend in die Haut an seinem Kopf fraß.
 

„Es tut mir leid“, flüsterte er leise und seufzte. „Ich bin wohl wieder empfindlich gewesen.“ Das Wasser hatte ihm gut getan. Er fühlte sich nicht mehr so, dass er gleich vor Wut platzen musste. Es blieb jedoch das unangenehme Gefühl, dass er Daniel damit wehgetan hatte, nur weil er selbst so ein Ekel war. Serdall richtete sich auf, schluckte kurz, ehe er sich ein Handtuch griff und es sich über seine triefnassen Haare warf, sich kommentarlos abtrocknete.
 

„Ich denke es steht mal wieder unentschieden in Punkto Dickköpfigkeit“, erwiderte Daniel schulterzuckend und setzte sich auf den Toilettendeckel. „Ich hätte dich nicht halb zu etwas zwingen sollen, was du nicht möchtest und du solltest einfach mal versuchen etwas lockerer zu werden. Von daher vergessen wir das Thema am besten einfach. Es ist Weihnachten. Das Letzte, was ich zu so einem Zeitpunkt möchte, ist mich mit dir streiten.“ Sich immer noch etwas mulmig fühlend sah Daniel Serdall zu, wie er das Handtuch wieder an seinen angestammten Platz hing.
 

Serdall nickte. Auch wenn ihm diese Pattsituation nicht gefiel, musste er diesen Kompromiss eben eingehen, dass sie es einfach vergaßen und sich nicht unnötig darüber aufregten. Bei Serdall ging es eben nicht einfach mit ein bisschen locker werden, wie Daniel sich das vielleicht vorstellte. Nun, vielleicht Schritt für Schritt war er in den letzten Monaten offener geworden, aber in solchen Situationen und auch gegenüber Fremden war es eben nicht besser als damals. Küsse waren für ihn zu intim und irgendwie auch zu schade, um sie für einen Spaß zu vergeuden, wenn er in der Zeit auch Daniel nahe sein und ihn spüren könnte.
 

Seufzend ging Serdall auf Daniel zu, beugte sich zu ihm und schlang die Arme um die schmaleren Schultern. Daniel erwiderte die Umarmung. Er war froh, dass jetzt zumindest der Frieden erst einmal wieder hergestellt war. Alles Weitere würde irgendwann ohnehin noch mal wieder aufkommen. Zu dem Zeitpunkt war es immer noch früh genug, alles im Detail zu besprechen.
 

„Gehen wir wieder runter? Taki ist momentan allein mit den Hunden im Garten. Vielleicht könnten wir mit ihm einen Schneemann bauen oder so. Wenn wir schon weiße Weihnachten haben, sollten wir das auch nutzen.“
 

„Ich föhn nur kurz noch meine Haare“, murmelte Serdall halblaut und stimmte Daniels Vorschlag zu, nur wollte er nicht mit der nasskalten Haut nach draußen. Es war schon eine dumme Idee sich im Winter den Kopf kalt abzuduschen. Hoffentlich wurde er nicht krank, das würde ihm noch am meisten fehlen.
 

Gerade als Serdall fertig geworden war und sie in den Flur gingen, um nach unten zu wechseln, fiel Serdall Daniels etwas unglücklicher Blick auf und ihm wurde bewusst, dass dieser kleine Streit ihm wohl Angst gemacht hatte, dass es vielleicht wieder eskalieren würde, wie zuletzt.
 

„Daniel“, hielt Serdall seinen Freund im nächsten Moment zurück und lehnte ihn gegen die Wand, um Daniel tief zu küssen. So wollte er verdeutlichen, dass dieses Thema abgehakt war, dass sie eben eine kleine Meinungsverschiedenheit in dieser Hinsicht hatten.
 

Dankbar erwiderte Daniel den Kuss. Er hatte das Gefühl gehabt, dass Serdall immer noch mitten im Streit hängen geblieben und seine Stimmung immer noch gedrückt war, doch diese Handlung zeigte ihm deutlich, dass er falsch vermutet hatte. Ein paar Minuten standen sie einfach küssend im Flur, bevor Daniel sich ein Herz fasste und sich von Serdall löste. Er wollte Taki nicht so lange allein lassen, damit dem Kleinen nicht langweilig wurde. Taki hatte zwar Kimba und Mücke an seiner Seite, aber mit denen konnte er keinen Schneemann bauen, Schneeballschlachten oder andere Dinge veranstalten.
 

„Lass uns gehen“, forderte er Serdall lächelnd auf und zog ihn an der Hand hinter sich her.
 

Serdall folgte ihm. Im Flur zogen sie Jacke und Handschuhe an, ehe sie nach draußen gingen, wo Taki schon dabei war eine Schneekugel zu rollen. Doch sie war schon halb so groß wie der Kleine selbst und Serdall half ihm, sie größer werden zu lassen. Zufrieden ließen sie die erste Kugel dann inmitten des Gartens stehen, als sie groß genug war und wollten sich gerade der nächsten zuwenden, als ein Schneeball Serdall an der Schulter traf. Erschrocken wandte sich um und seine Augen wurden schmal, als er Dustin und Ethan entdeckte, die schon die nächsten Bälle formten und dann eine kleine Schlacht anzettelten, die unfairer nicht ablaufen konnte. Es war wohl eher ein jeder gegen jeden als ein zweiparteiischer Kampf und Serdall stellte zu seinem Unmut fest, dass er ein sehr beliebtes Ziel diverser Schneekugeln war.
 

Daniel hatte dann irgendwann ein Einsehen, nachdem er selbst einige Schneebälle auf Serdall abgefeuert hatte und eilte ihm zu Hilfe. Schützend stellte er sich vor seinen Freund und nahm dann das Feuer auf Dustin und Ethan auf, die mittlerweile auch noch Unterstützung von Taki bekommen hatten. Verzweifelt versuchte Daniel der geballten Front standzuhalten, doch mit Ethan im Hintergrund, der die Bälle formte und an Taki und Dustin weiterreichte, die sie dann gnadenlos in seine Richtung warfen, war Daniel schon sehr bald total überfordert.
 

„Hilfe!“, rief er Serdall zu, der sich dezent etwas weiter weg verzogen hatte und puhlte sich den Schnee aus seinem rechten Ohr, der von einem Schneeball herrührte, der ihn mitten im Gesicht getroffen hatte.
 

Serdall rollte mit den Augen. Eigentlich hatte er vorgehabt jetzt wieder reinzugehen, doch stattdessen schlug er seinen Mantelkragen hoch, öffnete die Knöpfe und lief auf Daniel zu, um ihn in seine Arme zu ziehen, die Mantelseiten um ihn zu schlingen und sich schützend vor ihn zu stellen. Schließlich hatte sein Freund sich auf seine Seite gestellt.
 

„Denen wird die Lust schon vergehen“, meinte Serdall grinsend und wurde sich dieser engen, warmen Nähe bewusst, da Daniel nun auch seine Arme um seinen Rücken schlang. „Du hast mich gut verteidigt“, lachte er leise, ehe er Daniels Mund mit seinem verschloss. Und tatsächlich stöhnte Dustin im nächsten Moment genervt, was sich wie ‚Spielverderber‘ anhörte.
 

„Lasst uns den Schneemann weiterbauen“, meinte Ethan und Taki hüpfte los und begann die nächste Kugel zu formen, mit tatkräftiger Unterstützung der anderen. Zufrieden sahen allesamt zum Schluss auf den mannshohen, waschechten Schneemann.
 

„Ich taufe dich Herbert!“, rief Taki glucksend und rotwangig von der Kälte, wobei er mit der Hand gegen Herberts Bauch schlug. Daniel zog eine Augenbraue hoch.
 

„Herbert“, murmelte er leise und ungläubig und schnaubte leise. „So würde vielleicht meine Großmutter ihren Hund nennen, wenn sie einen hätte, aber doch nicht ein Neunjähriger seinen Schneemann.“
 

Allerdings schien keiner Daniels genuschelten Einwurf gehört zu haben, da Dustin und Ethan dazu übergegangen waren, mit Taki Schneeengel in die unberührte Fläche unter dem Obstbäumen zu machen.
 

Serdall verzog sich indes wieder in die warme Stube und brachte seinen Mantel zurück in den Flur. Er hatte genug von der Kälte und seinen Fingern tat das Ganze auch nicht wirklich gut. Seufzend ging Serdall zum Barschrank. Ein kleiner Scotch wäre zum Aufwärmen vielleicht gar nicht schlecht und würde ihn ein wenig beruhigen. Zumal Daniels Verwandtschaft auch noch zum Kaffee kam und Serdall langsam aber sicher keine Lust mehr auf Weihnachten hatte. Angst und bange wurde ihm sowieso, wenn er an die Bescherung dachte.
 

„Hoffentlich gefällt es ihm“, murmelte er leise und goss sich ein Glas mit Scotch voll, um es gleich an die Lippen zu setzen.
 

Daniel kam ein paar Minuten später rein, über und über mit Schnee bedeckt. Grummelnd schüttelte er seine durchweichten Klamotten so gut es ging über der Terrassentür aus und stapfte dann nur noch in Shorts vor den Kamin. Leicht zitternd rieb er sich seine klammen Hände und sah zu Serdall. In sich hinein grinsend stellte Daniel für sich fest, dass zumindest ein Teil seiner Geschenke Serdall gefallen würde.
 

„Ist etwas?“, fragte Serdall verwirrt bei Daniels Blick und ging mit seinem halbvollen Glas zu Daniel, um sich hinter ihm niederzulassen und ihn in seine Arme zu schließen. So konnte Daniel seinen Rücken an Serdalls Rücken lehnen. „Deine Mutter kommt gleich. Es wäre vielleicht besser, du ziehst dir frische Sachen an“, murmelte er und nahm Daniels kalte Finger in seine, um sie zu wärmen.
 

„Nö, es ist nichts. Und ich gehe gleich hoch, nachdem ich mich kurz aufgewärmt habe. Hier ist es wenigstens warm“, erwiderte Daniel und hob seinen linken Fuß an, um ihn noch etwas näher an den Kamin zu halten. „Ich hasse Dustin und seine dumme Definition von Spaß und Vergnügen“, grummelte er und seufzte frustriert auf, als es an der Tür klingelte. „Das wird dann wohl auch schon meine Mutter sein“, meinte Daniel mit einem schnellen Blick zur Uhr. „Warum sie immer über zehn Minuten früher kommt, ist mir selbst heute noch schleierhaft.“ Er löste sich von Serdall und ging in den Flur, um seiner Mutter samt Anhang die Tür aufzumachen. Ein schneller Blick durch den Türspion und Daniel sah sich in seiner Vermutung bestätigt. „Hey ihr“, grüßte er und umarmte seine Mutter herzlich, ehe er George einen kräftigen Handschlag gab und auch Charline kurz in die Arme schloss. Alle Drei sahen ihn auf Grund seiner geringen Bekleidung etwas verwirrt an. „Geht schon mal ins Wohnzimmer, ich komme auch gleich. Bin nur draußen im Garten etwas nass geworden und brauche neue Klamotten.“ Er schob sie, nachdem alle ihre Jacken und Schuhe abgelegt hatten, durch den Flur und düste dann schnell nach oben.
 

Serdall begrüßte indes auch Daniels Familie. Er sah Daniels Mutter an, dass irgendetwas gerade nicht stimmte. So wie sie ihn ansah, schien sie gleich schrecklich schimpfen zu wollen und Serdall ahnte warum. Wenn man sich den Ring an seiner Rechten ansah, war das Frau Erhard sicher schon aufgefallen. Das gibt Ärger, dachte sich Serdall schwer und Frau Erhard sah noch böser drein als sie sah, wie Serdall zum Scotchglas griff. Gerade wollte sie ansetzen etwas zu sagen, als Taki hereingestürmt kam und sie überschwänglich begrüßte. Hilflos sah Serdall zu Daniel, der endlich zurück war und wartete sehnsüchtig darauf, dass Daniel sich zu ihm setzte. Seine Mutter war gerade wirklich zu viel für ihn.
 

Etwas stutzig setzte Daniel sich neben Serdall auf die Couch und sah in die Runde. Er fragte sich, was vorgefallen war, dass sich so viele Emotionen in einer kleinen Gesellschaft widerspiegeln konnten. Serdall sah ziemlich unglücklich drein, seine Mutter wütend, Charline neugierig, George schien ziemlich neutral zu sein und Taki hüpfte immer noch glücklich und aufgekratzt durch die Menge.
 

„Was ist denn los?“, raunte Daniel Serdall leise zu. Serdall griff nach Daniels rechter Hand und berührte unauffällig den Ring.
 

„Die Ringe“, murmelte Serdall Daniel unhörbar für die anderen zu und stellte sich Daniels Mutter mit einem schmalen Lächeln, weil sie argwöhnisch von ihr beobachtet wurden.
 

„Jetzt wo ihr beide da seid“, fing sie plötzlich energisch an, als Taki wieder nach draußen zu Ethan und Dustin gelaufen war, „könntet ihr mir ja mal erklären, warum ihr Eheringe tragt. Ich wurde zu eurer Hochzeit jedenfalls nicht eingeladen.“
 

Daniel stöhnte auf. Darauf wollte seine Mutter hinaus. Gut, für Außenstehende musste es tatsächlich etwas seltsam wirken, dass sie dieselben Ringe an der rechten Hand trugen.
 

„Das sind keine Eheringe, Mom“, versuchte Daniel sie zu beschwichtigen und verkreuzte seine und Serdalls Finger miteinander. „Das sind nur – keine Ahnung, wie ich das nennen soll – Sympathieringe oder so. Wir haben nicht geheiratet, sondern die Ringe sind einfach, kitschig gesagt, ein Symbol unserer Liebe.“ Etwas peinlich berührt zuckte Daniel mit den Schultern. Irgendwie hörte sich diese Erklärung ziemlich dumm an.
 

Serdall senkte augenblicklich unter Frau Erhards stechendem Blick betreten den Kopf. So wie Daniel es erklärte, hörte es sich an wie ein dummer Jungenstreich, den sie da gemacht hatten. Serdall wusste auch nicht was er sagen sollte. Es war eben schwer zu erklären und Daniels Mutter schien mit Daniels Erklärung nicht sehr einverstanden.
 

„Dann hättet ihr sie auch links tragen können“, meinte sie ernst und verschränkte die Arme. „Normal ist es jedenfalls nicht, wenn ihr sie beide einfach rechts tragt, das wisst ihr doch“, belehrte sie Daniel und Serdall. Serdall biss sich auf die Lippe.
 

„Es wäre aber nicht das Gleiche“, zischte er eine Spur zu bissig und sah ihr finster ins Gesicht. Was bildete sie sich überhaupt ein? Serdall war wütend, gerade weil sie das in Frage stellte, was ihm im Moment am wichtigsten war. Und Charline sowie diesem George schien diese offene Unterredung auch etwas peinlich zu sein. „Auch wenn Daniel es herunterspielt, dass es nur etwas mit Sympathie zu bedeuten hätte, sehe ich das ganz anders“, knurrte er. „Diese beiden Ringe sind für mich gleichwertig mit Eheringen. Das ich mit Daniel zusammenbleibe, in guten und in schlechten Zeiten, dass ich mich nicht mehr von ihm trenne. Oder wäre es Ihnen lieber, wenn ich ihn wirklich heiraten würde? Gut, dann fahren wir gleich nach den Feiertagen zum Standesamt.“ Wütend stand Serdall auf und ging aus dem Wohnzimmer, um sich in der Küche ein Glas Wasser zu füllen. Wieso mischte sich Daniels Mutter überhaupt ein?
 

Während Serdall sich in der Küche versuchte abzureagieren, sah Frau Erhard erstaunt zu ihrem Sohn. Sie hätte nicht gedacht, dass Serdall so empfindlich darauf reagieren würde. Sie wurde leicht rot.
 

„Entschuldige, ich hab nicht gewusst, dass es euch so wichtig ist“, meinte sie halblaut.
 

„Schon in Ordnung“, seufzte Daniel und fuhr sich fahrig mit der Hand durch die Haare. „Du hast nur irgendwie einen wunden Punkt getroffen. Unsere Beziehung ist nicht so öffentlich wie vielleicht andere. Das liegt einmal daran, dass es eben eine gleichgeschlechtliche Beziehung ist und in den Augen einiger Leute somit nicht normal und andererseits an Serdall, der ohnehin eher der Typ ist, der sein Leben für sich oder eher im kleinen Kreis lebt. Deswegen auch keine Hochzeit. Das wäre einfach vollkommen nicht seinem Charakter entsprechend und deine geradlinige Angangsweise hat ihn auch gereizt, wie man gesehen hat.“ Daniel rieb sich kurz über die Nasenwurzel und stand dann auf. Das war gleich mal wieder ein super Start in ein beschauliches Weihnachten gewesen. „Ich gehe mal kurz zu ihm und kläre das“, verkündete er und ging dann zu Serdall in die Küche.
 

„Ihre direkte Art und die Frage an sich tun ihr leid“, meinte Daniel leise, nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte.
 

Fertig mit den Nerven ging Serdall auf Daniel zu und umarmte ihn fest, vergrub seine Stirn in Daniels Halsbeuge. Das ganze würde zur Bescherung noch eine Spur schlimmer werden, das wusste er. Doch er würde die Zähne zusammenbeißen.
 

„Schon gut, sie hat ja irgendwie Recht. Wir sind in der Hinsicht eigensinnig“, flüsterte er halblaut. „Mir wird das nur langsam zu viel“, gab er zu und schloss die Augen.
 

Seufzend schlang Daniel seine Arme ebenfalls um Serdall und lehnte den Kopf gegen dessen Schulter. Irgendwie kam es ihm fast so vor, dass sie immer, wenn Besuch kam, hier zu zweit in der Küche landeten.
 

„Du kannst auch einfach eine Zeit lang nach oben gehen. Meinetwegen musst du dich nicht durch den Tag quälen. Solange du hier bist wenn es Geschenke gibt, reicht mir das. Taki ist auch draußen und die anderen Weihnachtstage haben wir dann ganz für uns.“
 

„Nein“, entschied Serdall und sah Daniel schief lächelnd in die Augen. „Ich überleb das schon. Nur würde ich gern noch ein bisschen Geige spielen. Leise im Hintergrund sollte euch das nicht stören beim Erzählen. Aber wenn ich heut nicht mindestens eine Stunde spiele, werde ich wirklich wahnsinnig“, murmelte er an Daniels Lippen, bevor er sie mit seinen verschloss und ihn innig küsste. Er wollte Daniel auch nicht mit seiner Familie alleine lassen, schließlich war Weihnachten und Daniel wollte sicherlich auch mit ihm zusammen sein. Serdall zumindest wollte bei ihm bleiben.
 

Zufrieden aufstöhnend erwiderte Daniel den Kuss und löste sich nach kurzer Zeit wieder von Serdall. Er freute sich darüber, dass sein Freund sich durch den Tag durchbeißen wollte und nicht einfach hochging. Die Geige war zu verkraften.
 

„Dann spiel aber nachdem wir Kaffee getrunken haben. Der Tisch ist ja schon gedeckt, fehlen nur noch Kaffee und Kuchen und die Rasselbande von draußen.“
 

Nickend schob Serdall Daniel noch einmal kurz gegen die Tür, um ihn forsch zu küssen, sich etwas zu beruhigen für die nächste Zeit. Keuchend löste sich Serdall und lächelte Daniel nun zufrieden an. Er half dann dabei, den Kuchen ins Wohnzimmer zu bringen. Bis der Kaffe durchgezogen war blieben sie noch in der Küche und wechselten dann zu den Anderen zurück. Dustin, Ethan und Taki hatten sich in der Zeit trockene Sachen angezogen und saßen nun fein säuberlich am Tisch und beteiligten sich an der Unterhaltung. Serdall saß etwas abwesend neben Daniel und sah immerzu auf die Uhr. Immer wieder verabschiedete er sich kurz unter dem Vorwand auf Toilette zu müssen und kam dann wieder etwas ruhiger zurück. Er lächelte Daniel entschuldigend an und stocherte ein wenig lustlos in dem Stück Kuchen herum, das ihm nicht schmeckte. Er hasste diesen Süßkram, aber es war unhöflicher nichts zu essen, vor allem wo davor schon so eine gespannte Stimmung gewesen war.
 

Daniel nahm Serdall den Kaffee aus der Hand, als der sich gerade eine Tasse nachschenken wollte und holte ihm stattdessen ein Wasser. „Das Koffein scheint sich negativ auf deine Blase auszuwirken“, kommentierte er seine Aktion und aß dann genüsslich sein Stück Kuchen auf.
 

Der Rest des Tages verlief nach dem doch recht angespannten Beginn des Besuches ziemlich entspannt. Serdall zog sich eine gute Stunde lang in die Küche zurück und spielte Geige. Anschließend kam er sehr viel ruhiger und entspannter wieder ins Wohnzimmer zurück und beteiligte sich jetzt etwas reger an verschiedenen Gesprächen. Daniel hatte sich mit seiner Schwester in eine Ecke des Wohnzimmers verzogen, wo sie die Köpfe zusammensteckten und sich eher pikantere Details aus ihrem Leben erzählten. Da sie sich schon länger nicht mehr gesehen hatten, gab es doch eine ganze Menge auszutauschen. Die ‚Erwachsenen‘ saßen noch immer am Kaffeetisch und unterhielten sich über irgendwelche anderen Dinge.
 

Irgendwann gesellte Taki sich noch zu Daniel und Charline und Ethan hielt es auch irgendwann nicht mehr am Tisch. Zu viert kramten sie eines der vielen Gesellschafsspiele aus dem Schrank und vertrieben sich damit die Zeit bis zum Abend und der damit verbundenen Bescherung. Lächelnd sah Daniel dabei zu, wie Taki von Stunde zu Stunde immer nervöser wurde und erinnerte sich an seine eigene Kindheit, wo ihn fast nichts auf der Couch gehalten hatte und er am liebsten schon am frühen Morgen seine Geschenke auspacken wollte. Taki hingegen verhielt sich eigentlich, wenn man ihn mit Daniel früher verglich, relativ ruhig.
 

Gegen Abend dann verließ Daniel zusammen mit dem Kleinen das Wohnzimmer, damit Serdall die Geschenke aufbauen konnte. Seine eigenen Geschenke hatte Daniel seinem Freund in die Hand gedrückt, damit er sie ebenfalls unter den Baum legen konnte und jetzt saß Daniel zusammen mit Taki in dessen Zimmer und versuchte mit dem nun doch reichlich aufgedrehten Neunjährigen noch die letzten Minuten herumzubekommen.
 

Und dann war es endlich soweit. Serdall begann gleich mit seinem Sohn, der schon hibbelig vor dem Weihnachtsbaum saß und auf die bunten Geschenke starrte, wobei seine meerblauen Augen tellergroß waren. Taki bekam natürlich all die Spielzeuge, die er sich gewünscht hatte, unter anderem auch einige Videospiele und viele Süßigkeiten. Yoshiko war wie gesagt zur Bescherung nicht anwesend, sondern schon beim Kaffee zu ihrem neuen Freund gegangen. Serdall und Daniel schenkten Ethan und Dustin zwei Tickets nach Kalifornien in Dustins Heimatstadt. Das Gesicht, das Serdalls Schwager dabei machte, war überraschend gerührt und wurde sogleich von Ethan mit der Kamera festgehalten. Serdall wusste, dass Dustin das viel bedeutete. Auch wenn er nie über sich und seine Vergangenheit sprach, würde es ein großer Schritt für ihn sein dorthin zurückzufliegen.
 

Lächelnd sah Daniel dabei zu, wie die Anderen sich über ihre Geschenke freuten. Scheinbar hatte Serdall mal wieder Fingerspitzengefühl bewiesen und wusste genau, womit er den Menschen in seiner Umgebung eine Freude machen konnte. Daniel legte das Geschenk, das er von Taki bekommen hatte – ein paar selbstgemalte Bilder und etwas, das aussah wie ein kleines Holzschwein, allerdings Kimba darstellen sollte, aber nichtsdestotrotz total süß war – zur Seite und warf einen kurzen Blick durch die Ecke in das schuhkartongroße Päckchen, das er von Dustin und Ethan bekommen hatte. Tja, wie nicht anders zu erwarten noch originalverpackte Sexspielzeuge aus dem Katalog, den Serdall irgendwann mal nach ihrem Gespräch versehentlich in der Küche liegengelassen hatte. Auf jeden Fall nichts, was seine Familie zu Gesicht bekommen sollte. Gespannt beobachtete Daniel Serdall dabei, wie er sich jetzt daran machte, Daniels Geschenk auszupacken.
 

Serdall lächelte glücklich, als er die gute Flasche Scotch auspackte, die das erste Geschenk darstellte. Bei dem flachen Päckchen, das er nun in den Händen hielt, vermutete er ein Buch, doch als er es auspackte weiteten sich seine Augen leicht. Ein 365-Tage Kalender für das nächste Jahr. Doch das war nicht das Besondere, sondern das Bild, das ihm schon auf dem Cover entgegen blitzte, zeigte einen grinsenden Daniel, der ein Victory-Zeichen in die Kamera machte. Lächelnd blätterte er den Kalender durch und konnte seinen Augen kaum glauben. Für jeden einzelnen Tag gab es ein Bild von Daniel mit einem typischen Spruch von ihm. In Position gestellt oder aber ganz zufällig, lustige und erotische Bilder, alles schien vertreten zu sein. Daniel in allen Formen, in denen es ihn gab. Glücklich lehnte sich Serdall zu ihm und umarmte Daniel fest.
 

„Das ist wirklich schön. Vielen Dank“, meinte er ehrlich und küsste Daniel kurz und tief. Das war das beste Geschenk, das ihm Daniel machen konnte.
 

„Freut mich, dass es dir gefällt“, flüsterte Daniel glücklich und warf dann einen etwas skeptischen Blick unter den Weihnachtsbaum. Taki packte gerade das allerletzte seine unzähligen Geschenke aus und die Anderen waren damit beschäftigt, sich ihre neuen Errungenschaften in Ruhe zu betrachten, doch generell war unter dem Baum alles weg und ausgepackt. Daniel wunderte sich doch etwas, dass kein Geschenk von Serdall dabei gewesen war. Nun, vielleicht hatte sein Freund wieder so ein Geschenk wie die Armbänder vorbereitet, das er Daniel lieber geben wollte, wenn sie unter sich waren. Schulterzuckend tat Daniel das Thema damit für sich erst einmal ab.
 

„Du, ich geh noch einmal auf Toilette“, entschuldigte Serdall sich im nächsten Moment und verließ den Raum. Er hatte die Verwunderung in Daniels Augen lesen können, dass er eben kein Geschenk bekommen hatte, doch das würde jetzt noch kommen. Nervös biss sich Serdall auf die Lippe, als er anstatt auf die Toilette zu gehen in Yoshikos Zimmer wechselte. Unschlüssig sah er kurz einmal durch den Raum, ehe sein Blick an dem kleinen Kinderreisebett hängen blieb, das vorläufig in Yoshikos Zimmer untergestellt war. Er atmete noch einmal tief durch.
 

„Ihm wird’s gefallen“, redete er sich gut zu, als er auf das kleine Bett zuging und lächelnd hinein sah. „Hey Kleines“, flüsterte er leise und braune Augen und ein Lächeln richteten sich auf sein Gesicht. Vorsichtig nahm er das kleine Mädchen heraus und hob es sich väterlich auf den Arm. „Ich stell dir jetzt deinen Papa vor“, meinte er leise und trug das achtzehn Monate alte Kind in das Wohnzimmer. Es war laut als er eintrat, alle erzählten noch, doch als man Serdall entdeckte, wurde es schlagartig still im Raum. Nervös senkte Serdall den Blick, als sich so viele Augenpaare auf ihn richteten, doch er ließ sich jetzt nicht mehr beirren. Er ging mit dem kleinen Mädchen auf seinem Arm zu Daniel und setzte sich neben ihn, auch wenn sein Freund ihn gerade fassungslos anstarrte. „Daniel, das ist Jana Erhardt“, flüsterte er ihm zu und sah ihm schief lächelnd ins Gesicht, während Jana kleine Geräusche machte.
 

Sprachlos starrte Daniel erst Serdall und dann das kleine schwarzhaarige Mädchen in dessen Armen an. Gedankenfetzen rasten durch seinen Kopf. Zuerst hatte Daniel keine Ahnung, was sein Freund von ihm wollte, doch dann setzten sich die Puzzleteile langsam in seinem Kopf zusammen. Nein. Serdall konnte doch nicht… Er würde doch nicht wirklich… Automatisch nahm Daniel die Kleine entgegen, als Serdall sie ihm reichte. Mit großen Augen sah er ihr in das hübsche Gesicht und regte sich nicht weiter. Er stand eindeutig unter Schock und hatte keine Ahnung, was er fühlen, sagen oder denken sollte.
 

„Ey“, meinte Dustin plötzlich als erster, der sich aus seiner Starre löste, „du hast doch jetzt nicht echt ein Kind für Daniel adoptiert, oder Serdall? Das ist ein Scherz, nicht wahr? Sag mir, dass das ein Scherz ist!“
 

Serdall zuckte mit den Schultern und strich der kleinen Jana vorsichtig über den kleinen Kopf.
 

„Daniel hat sich ein Kind gewünscht und nun hat er eins. Das ist sein Adoptivkind, ich hab nur die Wege dafür erledigt“, meinte er halblaut und wich den entsetzten Blicken aus, die nun auf ihn geworfen worden.
 

„Du kannst ihm doch kein Kind schenken!“, rief frau Erhard nun vollkommen fertig. So etwas war doch absolut geschmacklos.
 

Serdalls wütender Blick legte sich auf Daniels Mutter, doch er sagte nichts. Es war wohl offensichtlich, dass er es konnte und so wie Daniels Augen strahlten, war er gerade wirklich glücklich. Besonders als die kleine Jana lächelnd nach seinem Finger griff und ihn fest umklammerte. Trotzdem war Serdall irgendwie unwohl. Daniel sagte gar nichts dazu. Freute er sich wirklich oder war er einfach gerade geschockt?
 

„Daniel?“, sprach er ihn behutsam an. „Alles okay?“
 

Daniel löste seinen Blick von dem Kind in seinen Armen, von seiner… Tochter, und sah hoch zu Serdall. Fragend starrte er ihn erst kurz an, bis die Frage richtig in sein Hirn gedrungen war.
 

„Ja“, meinte er nach einigen Augenblicken leise. „Es ist nur… Oh man.“ Fahrig wischte Daniel sich über die Wangen, wo erste Tränen hinunter liefen und sah peinlich berührt in die Runde. Er lehnte seine Stirn an Serdalls und sah ihm tief in die Augen. „Danke“, flüsterte er gerührt und küsste seinen Freund leidenschaftlich. Nie im Leben hätte er gedacht, dass Serdall für ihn ein Kind adoptieren würde. Nicht zu Weihnachten und auch sonst zu keinem Zeitpunkt. Eigentlich standen ihre Positionen zu diesem Thema doch fest. Sie hatten zweimal über Daniels Wunsch gesprochen, eventuell ein Kind zu adoptieren. Normalerweise dauerte so ein Verfahren wenn man Pech hatte auch einige Jahre, von daher hatte er sich jetzt schon darum kümmern wollen und nun saß ein kleines Mädchen auf seinem Schoß.
 

Erleichtert erwiderte Serdall den Kuss. Er hatte schon geglaubt, dass Daniel jetzt wieder mit ihm streiten würde, weil er ihm so ein großartiges Geschenk gemacht hatte, doch er schien wirklich gerührt zu sein. Glücklich strich Serdall die folgenden Tränen von Daniels Wangen und lächelte ihn an.
 

„Auf sowas kannst nur du kommen, Serdall“, meinte Dustin plötzlich fassungslos und lachte im nächsten Moment. „Guck mal Taki, das ist jetzt fast deine Schwester. Du bist ein großer Bruder, Taki“, meinte er zu seinem Enkel und Taki sah verdutzt von seinen Geschenken auf und ging dann zu seinem Vater und Daniel. Mit großen Augen sah er zu dem Kleinkind und lächelte dann breit.
 

„Ich werde ein ganz lieber Bruder sein“, meinte er ernst und strich Jana vorsichtig über die Stirn.
 

Sprachlos sah Frau Erhard Daniel an, während ihr selbst nun Tränen in die Augen stiegen. Dustin lachte über Frau Erhards Verhalten, erst geschockt und dann sentimental.
 

„Du bist jetzt eine Oma“, meinte er zu ihr und sie schluchzte gerührt, sodass George sie in den Arm nahm und ihr lächelnd über den Rücken strich. „Und Dan ist nun ein Papa“, lachte Dustin und sah dabei zu, wie Serdall Jana kurz auf den Arm nahm, damit Daniel sich ein Taschentuch holen konnte.
 

„Und Charline ist Tante und damit Ethan und du nicht zu kurz kommt, werdet ihr Paten“, meinte Daniel schon wieder grinsend, als er mit seinem Taschentuch aus der Küche kam. Der erste Schock war abgeklungen und er war einfach nur noch glücklich, fassungslos, gerührt und irgendwie alles auf einmal. „Himmel, du bist sowas von verrückt“, murmelte Daniel und lehnte sich an Serdall, als er sich wieder neben dem Baum niedergelassen hatte. „Was hat dich eigentlich deine Meinung zu diesem Thema ändern lassen?“
 

„Das war der einzige Punkt damals gewesen, den ich dir gleich ausgeschlagen habe, obwohl das dir wohl mit am wichtigsten gewesen war“, murmelte er leise und wiegte Jana leicht hin und her. „Mir ist eben klar geworden, dass ein Kind zu adoptieren das Einzige war, was wohl ein tieferer Wunsch von dir sein musste. Schließlich ist das eine riesige Verantwortung, die du jetzt übernehmen musst. Und vielleicht will ich dir auch einfach mal zeigen, wie es sich als eine Glucke anfühlt“, scherzte Serdall gut gelaunt und gab Jana wieder an Daniel zurück.
 

„Wie aufmerksam von dir“, meinte Daniel gespielt ernst und sah sich Jana das erste Mal ganz genau an. „Sie passt wirklich gut in unsere Familie mit ihrem schwarzen Haaren“, stellte er fest. „Und ich glaube ich möchte gar nicht wissen, wie du das ganze Adoptionsverfahren so extrem beschleunigt hast. Ich lebe lieber einfach mit dem Ergebnis.“ Grinsend küsste Daniel Serdall noch einmal.
 

Serdall hielt es auch für das Beste, Daniel mit den ganzen Verfahren nicht zu konfrontieren. Nur war viel Geld geflossen, um Jana ihnen vollständig und ohne Daniels Wissen zu überschreiben und Daniel als Vater einzutragen. Serdall war immer noch ziemlich fertig von dem ganzen Stress, aber all die Vormittage, die er extra früh aufgestanden war während Daniel in der Uni saß, hatten sich gelohnt. Dafür würde er die nächsten Tage marathonschlafen. Sogleich gähnte er auch verhalten.
 

„Ich bin froh, dass du dich freust“, meinte Serdall leise und ignorierte die Übrigen, die langsam etwas lockerer wurden.
 

Lächelnd reichte Daniel Jana an Dustin weiter, der die Kleine auch unbedingt mal halten wollte. Im Laufe des Abends hatte sie jeder mal auf dem Schoß und irgendwann war sie in Daniels Armen eingeschlafen.
 

„Wie sieht es eigentlich mit Sachen für sie aus?“, erkundigte sich Daniel bei Serdall. „Hast du noch was von Taki über oder schon alles besorgt?“
 

Tief seufzte Serdall.
 

„Das ist alles schon besorgt und steht im Keller. Zumindest das Meiste, was man zum Anfang alles braucht. Sachen und so weiter möchtest du vielleicht lieber aussuchen. Aber das Nötigste an Kleidung und so weiter ist da. Und das Kinderbett ist auch schon in unserem Schlafzimmer oder dachtest du wirklich, dass ich an Blasenschwäche leide?“, fragte er lachend. „Du solltest sie ins Bett bringen, es war wirklich ein langer Tag für sie und es ist auch gleich halb neun, das ist viel zu spät für sie.“
 

Ungläubig sah Daniel seinen Freund an. Eigentlich hatte er tatsächlich gedacht, dass Serdall etwas zu viel Kaffee getrunken hatte. Normalerweise hing er ja nur an seinem Wasser, da wäre es möglich, dass er deswegen öfter auf Toilette musste.
 

„Man, irgendwie unheimlich, dass ich echt überhaupt nichts mitbekommen habe“, murmelte Daniel. „Du könntest was weiß ich was machen und ich würde es noch nicht mal bemerken.“
 

Serdall rollte mit den Augen. Das war typisch Daniel. Als ob er gleich etwas Kriminelles tun würde oder vielleicht fremdging.
 

„Es sollte ja schließlich eine Überraschung werden und die Ämter haben eh alle am Vormittag offen, da warst du ja in der Uni“, meinte Serdall schulterzuckend und stand dann auf. Langsam wollten die Erhards auch los und er brachte sie zur Tür, während Daniel mit Jana nach oben ging. Dustin und Ethan räumten freundlicherweise noch ab und Serdall half Taki seine ganzen Geschenke nach oben zu bringen.
 

Daniel hatte Jana und sich selbst schon bettfertig gemacht, als Serdall schließlich ebenfalls das Schlafzimmer betrat. Lächelnd hatte Daniel den Kopf auf eine Hand gestützt und sah vom großen Bett aus Jana beim Schlafen zu. Serdall ging kurz ins Bad und zog sich um, bevor er neben ihn unter die Decke schlüpfte.
 

„Tja, unserem Liebesleben wird die Kleine zumindest anfangs wohl einen Dämpfer geben“, meinte Daniel grinsend und kuschelte sich an Serdall. „Da kommen Dustins und Ethans nette kleine Geschenke gar nicht zum Einsatz. Übrigens war in dem Päckchen so ziemlich alles aus dem Katalog drin, wo wir die Seiten markiert hatten.“
 

Serdall murrte leise, dass Dustin und Ethan das eigentlich nicht hätten wissen sollen. Aber warum waren sie auch nur so zerstreut gewesen und hatten den Katalog liegen lassen? Ach ja, Daniel war mal wieder zu ungeduldig gewesen.
 

„Die Gelegenheiten werden sich trotzdem finden, schließlich würde sich Yoshiko auch um die Kleine kümmern, hat sie ja heute auch schon den ganzen Tag lang sehr gut gemacht.“ Serdall strich Daniel eine Haarsträhne aus der Stirn und sah ihn forschend an. „Und du bist wirklich glücklich?“
 

„Natürlich bin ich glücklich. Ich kann gar nicht glauben, dass ich jetzt auch Papa bin. Es wird bestimmt anfangs recht stressig werden, bis ich mich in meine neue Rolle eingefunden habe, aber die schlimmste Zeit der ersten Monate hat Jana ja schon hinter sich. Vormittags sind zumindest immer zwei Leute da, die auf sie aufpassen und nachmittags kümmere ich mich dann um sie. Ehrlich gesagt hätte ich mir kein schöneres Weihnachtsgeschenk vorstellen können. Normalerweise dauert so ein Adoptionsverfahren so lange, wenn ich überhaupt dafür in Frage gekommen wäre und jetzt erfüllt sich mein Traum schon so früh. Ich wollte schon immer wenn dann ein junger Papa werden, damit ich mein Kind später besser verstehen kann und nicht zu alt für die meisten Dinge bin.“
 

Serdall lächelte. Daniel schien wirklich in die Vaterrolle hineinschlüpfen zu wollen und hatte die kleine Jana wohl schon ins Herz geschlossen. Zufrieden sah Serdall auf das kleine Kinderbettchen neben ihrem Bett. Jana lag ordentlich zugedeckt in ihrem Strampelanzug darin und ihr Nuckel bewegte sich ganz sachte an ihrem Mund.
 

„Ich werde dir so gut es geht zur Seite stehen, Daniel. Schließlich bin ich ja auch nicht unschuldig daran, dass du dich jetzt um sie kümmern musst“, seufzte er leise und streichelte Daniels Rücken. Er gähnte wieder verhalten und schloss schon müde die Augen. „Der Kinderwagen steht noch im Keller, wenn du morgen früh mit ihr spazieren willst“, murmelte Serdall müde und sein Kopf sackte schon leicht zu Seite gegen Daniels Haarschopf.
 

„Auf jeden Fall. Gleich nach dem Aufstehen“, antwortete Daniel, doch er glaubte nicht, dass Serdall es noch mitbekommen hatte. Lächelnd zog er die Decke ganz bis über Serdalls Schultern und legte sich dann selbst richtig hin. Scheinbar schien der Tag seinen Freund ganz schön geschafft zu haben. Der ganze Stress mit Jana, die vielen Leute bei der Weihnachtsfeier, das Alles hatte bestimmt ganz schön geschlaucht. Daniel strich Serdall einmal über die Wange.
 

„Gute Nacht. Und danke nochmal“, flüsterte er und schloss dann ebenfalls die Augen.
 

Ende Die Magie der Musik 2 – Die Fürsorge eines Bruders
 


 


 


 

So, hier wären wir also: Am Ende des zweiten Teiles. Schön, dass ihr mit uns bis hierhin gekommen seid und Serdall, Daniel und die anderen Charaktere auf ihrem – man muss anhand des zweitens Teils schon fast sagen Leidensweg – begleitet habt. Jetzt ist erst einmal Weihnachtspause, aber voraussichtlich am 27. startet dann Teil drei, wer sich dazu noch aufraffen kann. ;)
 

Auf jeden Fall vielen Dank an euch, dass ihr die Geschichte bis hierhin gelesen habt.
 

Euch allen noch fröhliche Weihnachten und lasst euch reich beschenken.
 

Liebe Grüße!



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Kommentare zu dieser Fanfic (84)
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Von:  LittleAngel
2008-03-23T23:07:25+00:00 24.03.2008 00:07
man das versprochene drama ist ja super süß ausgegangen auch wenn ich mich daniels mutters erstem komentar anfangs angeschloßen habe, das man doch keinen mensch zu weihnachten verschenkt :-) Aber ich freu mich jetzt schon auf den dritten teil und da ich die geschichte leider erst so spät endeckt habe kann ich jetzt einfach weiterlesen, bin gespannt wie daniel sich als papa macht und taki als bruder :-D
Von:  LittleAngel
2008-03-23T20:01:56+00:00 23.03.2008 21:01
daher kommt wohl auch der satz manche können einfach nicht miteinander aber auch nicht ohne :-) super geschrieben.
Von:  LittleAngel
2008-03-15T12:45:58+00:00 15.03.2008 13:45
richtig geiles kapitel :-)
das Serdall so reagiert hätte ich auch nicht gedacht, aber im nachhinein ist es schon logisch, was blieb serdall den ?
ich hätte jedoch gedacht das er wegen taki gar nicht auf selbstmord gedanken kommen würde. aber selbst wenn daniel jetzt zurück kommt ist nicht alles gut, warscheinlich ist der schon ernsthaft süchtig, das versprochene drama ist echt super, deine armen chars :-)
Von:  kuestenfee1
2007-12-26T14:44:18+00:00 26.12.2007 15:44
Das hätte ich jetzt wirklich nicht von Serdal gedacht.
Damit hat er Daniel wirklich sehr glücklich gemacht.
Ich hoffe, dass es mit den Vieren harmonisch weitergeht und freue mich schon sehr auf den Dritten Teil.

lg kuestenfee
Von:  Amigrith
2007-12-26T01:56:53+00:00 26.12.2007 02:56
Ein wunderschönes Ende^^ Einfach irre!!!!! Vielen Dank für die tolle Story ich freu mich schon riesig auf die Fortsetzung^^
Von: abgemeldet
2007-12-25T22:25:27+00:00 25.12.2007 23:25
Die Geschichte ist wunderschön und sie wird immer besser! Freue mich schon auf teil drei!Vlg
Von:  Allmacht
2007-12-25T20:28:58+00:00 25.12.2007 21:28
Schade, dass dieser Teil schon wieder aus ist.
Doch das letzte Kapitel ist echt der Hammer.
Daniel als Daddy.
Da dürfen aber keine schwerwiegenden Probleme mehr kommen.

lg
Von:  shiroi
2007-12-25T10:03:05+00:00 25.12.2007 11:03
Oh.. wow.. was für ein schönes Ende. Und auch ich hätte niemals damit gerechnet, das Serdall für Daniel ein Kind adoptiert. Das ist wirklich einfach nur Zucker! Sehr gelungen. ^^

Ich freu mich schon auf den drtitten Teil und bin gespannt, was für Schwierigkeiten und schöne Momente noch auf die liebenswerten Charaktere zukommen werden.

Liebe Grüße und noch schöne Restweihnachten!
shi
Von: abgemeldet
2007-12-24T20:11:38+00:00 24.12.2007 21:11
Das ist sooo süß!
Serdall hat sich echt um 180 grad gewendet.Ich hätte nie mit so einem Weihnachtsgeschenk gerechnet, nie!Aber die kleine Jana ist das Beste was Daniel hätte bekommen können.
Ich bin mal gespannt wie es mit Yoshiko weiter geht und wie Fei auf Jana reagiert.
ICh glaube ja das er erstmal einen Sake braucht um das zu verdauen.

Ich wünsche dir schöne Weihnachten und einen guten Rutsch ins neue Jahr 2008!
Geniesse deine Winterpause, denn niemand anders hätte sie mehr verdient als du!
Von: abgemeldet
2007-12-22T22:03:53+00:00 22.12.2007 23:03
Ach die beiden sind zum knutschen.
ich hoffe das Fest der Liebe bleibt auch so wie es heißt.
Bitte keinen Streit!
mach weiter so,.


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