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Die Magie der Musik 2

Die Fürsorge eines Bruders
von

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Kapitel 29
 

„Wie lange wollen Sie bleiben?“, fragte die junge Frau an der Rezeption und Daniel legte nachdenklich den Kopf schief.
 

„Ich weiß es noch nicht. Erst einmal wohl zwei Wochen. Ich muss sehen, wie es dann mit diversen anderen Dingen aussieht. Besteht die Möglichkeit, dass ich noch einmal verlängere?“
 

„Natürlich“, kam die achselzuckende Erwiderung. „Momentan ist ohnehin nicht die Zeit, in der so viele Schulklassen oder so hier sind. Das bringt für Sie gleich mehrere Vorteile. Erstens ist es nicht so laut in der Nacht und in den nicht vollgestopften Speisesälen und zweitens ist wohl immer irgendwie ein Zimmer frei, zumindest bis Mitte März.“
 

Daniel lächelte schwach.
 

„Das klingt doch nicht schlecht.“
 

„Bezahlen Sie alles gleich bar oder erst mal eine Anzahlung?“, fragte sie geschäftsmäßig.
 

„Erst mal eine Anzahlung wäre mir lieber. Der Rest kommt dann demnächst nach. Ich muss vorher allerdings erst noch einmal zur Bank.“ Er grinste etwas schief.
 

„Mit den Hausregeln von Jugendherbergen im Allgemeinen sind Sie vertraut? Nachtruhe um zweiundzwanzig Uhr, Essenszeiten ab sieben, ab zwölf und ab neunzehn Uhr. Keine Schmierereien irgendwo, kein Alkohol, keine Drogen, keine Zigaretten im Gebäude“, zählte sie auf.
 

„Ja, das ist mir noch im Hinterkopf geblieben“, meinte Daniel. „Es ist noch nicht so lange her, dass ich noch mitten in der Zeit der Jugendherbergen und Klassenfahrten steckte.“ Er nahm den Schlüssel entgegen und betrat dann sein Zimmer im Erdgeschoss. Ehrlich, dafür hatte er seine Lehrer immer beneidet, dass ihr Einzelzimmer fast genauso groß war wie ihre Viererzimmer, in denen sie zwischen den Betten gerade mal einen schmalen Durchgang hatten. Aber wie wurde ihnen immer gesagt: „Ihr seid hier zum Essen und Schlafen, den Rest des Tages wandert ihr und besichtigt Museen.“
 

Seufzend ließ sich Daniel auf das Bett fallen und seine Tasche neben sich. Scheiße, anstatt so verdammt sarkastisch zu sein, sollte er vielleicht lieber seiner verlorenen Liebe hinterher trauern. Wobei, wenn er zulassen würde, dass er jetzt in Selbstmitleid verfiel, würde er so wie er sich kannte doch wieder zu Serdall rennen und das wollte er in erster Linie seinem Freund – Ex-Freund – nicht antun.
 

Daniel streckte sich lang aus und starrte an die Decke. Wer hätte gedacht, dass er mal hier landen würde? Aber er hatte gerade echt nicht das Verlangen danach, wieder nach Hause zu gehen. Es gab dafür mehrere Gründe. Er wollte nicht erklären müssen, warum er wieder zuhause war, dass er sich von Serdall getrennt hatte. Das zu erklären hieß, auch einige andere Dinge zur Sprache zu bringen, über die er selbst mit seiner Familie lieber nicht reden wollte. Denn, so leid es ihm auch tat, waren sie nicht mehr diejenigen, die sein Denken und sein Leben bestimmten, seit er zu Serdall gezogen war.
 

Desweiteren wollte Daniel jetzt auf eigenen Beinen stehen, sich selbst zeigen, dass er nicht abhängig von Serdalls Geld war, dass er gut allein klarkam und kein mieser kleiner Schleicher war. Er ignorierte das stechende Gefühl in seiner Brust, das ihn glauben ließ, jeden Moment verrückt zu werden, wenn er es nicht hinausließ, und schlug die Zeitung auf, die er sich an der Rezeption gekauft hatte, bevor er die Stellenanzeigen durchging und sein Handy zückte. Er hatte gerade ein paar Anzeigen durchtelefoniert und zumindest eine erst einmal recht positive Antwort bekommen, als sein Handy klingelte. Dustin.
 

„Daniel hier“, meldete er sich seufzend. Hatte der Kerl also schon Wind von allem bekommen. Wahrscheinlich wollte er ihn jetzt zurückholen.
 

„Hey, Dan“, rief Dustin gut gelaunt in den Hörer. „Sag mal, wo bist du denn? Wir wollten einen Fernsehabend machen, aber Serdall meinte du wärst unterwegs. Kommst du bald wieder? Sollen wir auf dich warten?“
 

Daniel schnaubte. Scheinbar hatte Serdall Dustin doch nichts erzählt. Das beklemmende Gefühl in seiner Brust verstärkte sich, doch er ignorierte es weiterhin.
 

„Nun, er hat recht, ich bin nicht da. Folglich solltet ihr einfach anfangen und euch einen schönen Abend machen.“
 

„Sag mal, was ist los? Serdall verhält sich komisch und du auch“, zischte Dustin misstrauisch und lehnte sich gegen die Wand im Flur. „Was ist denn heut morgen passiert?“
 

Seufzend beschloss Daniel, dass es keine Sinn hatte, Dustin irgendwas zu verschweigen, da er ohnehin spätestens im Laufe des Abends extrem misstrauisch werden würde, wenn Daniel nicht auftauchte.
 

„Ich würde sagen, dass das Übliche passiert ist, mit etwas mehr Endgültigkeit“, erwiderte er, konnte sich allerdings vorstellen, dass Dustin keine Ahnung hatte, was er ihm damit sagen wollte. „Serdall und ich haben uns getrennt, endgültig. Du wirst mich heute leider nicht mehr zu eurem Fernsehabend begrüßen dürfen, da ich ausgezogen bin.“ Daniel ignorierte weiterhin den immer stärker werdenden Druck in seiner Brust.
 

„Was?“, schrie Dustin in das Handy und sah fassungslos vor sich hin. „Wieso das? Ihr wart doch zusammen, habt die Ringe getragen. Scheiße, was soll der Mist? Nach all dem ist Schluss? Das ist ein schlechter Scherz, Daniel. Bitte sag mir, dass das nicht dein Ernst ist“, sagte er laut und strich sich fahrig durch die blonden Haare. „Wo bist du überhaupt? Darf ich zu dir kommen?“
 

„Nein, ich denke nicht, dass das so eine gute Idee ist. Ich…“ Sich unterbrechend fuhr Daniel sich über das Gesicht und änderte seine Meinung noch einmal. Ihm war klar, dass er es nicht ganz allein schaffen konnte und wenn er schon nicht vorhatte, seine Familie damit zu belasten, wobei es in erster Linie darum ging, sich nicht damit zu belasten, seiner Familie sein Leben in den vergangenen zwei Monaten aufzutischen, brauchte er wohl oder übel jemand anderen zum Reden. „Ich bin momentan in der Jugendherberge am Ende der Weststadt. Zimmer dreizehn, wie es der Zufall so will. Klopf einfach.“
 

„Gut, ich bin in ein paar Minuten da“, meinte Dustin und legte auf. Er sagte schnell Ethan bescheid. Sein Freund guckte skeptisch, doch willigte schlussendlich ein. Mittlerweile hatte sich der Schnee gelegt und Dustin kam gut mit seinem Wagen durch die Straßen, da die Räumfahrzeuge die erforderlichen Dienste leisteten. Ziemlich verwirrt klopfte er dann an der Zimmertür, die Daniel ihm genannt hatte. Er verstand einfach nicht, warum sich Daniel und Serdall so plötzlich getrennt hatten. Das war doch alles einfach nur albtraumhaft, was die beiden durchmachten.
 

„Hey“, meinte er halblaut, als Daniel ihm öffnete. Er nahm den Schwarzhaarige in seine Arme, nachdem sie die Tür wieder geschlossen hatten und Dustin eingetreten war. „Was macht ihr bloß für Sachen?“, fragte er leise und strich Daniel über den Rücken.
 

Daniel spürte, wie der Knoten in seiner Brust aufsprengte und eine wahre Flut an Tränen über sein Gesicht rann. Er schlang seine Arme um seinen besten Freund, der scheinbar immer wusste, wie er sich fühlte, wann Hilfe angebracht war und was und was er nicht in welcher Situation sagen musste. Sie standen lange Zeit so da, Daniel in Dustins Armen, geräuschlos vor sich hin weinend und Dustin ihn einfach schweigend etwas hin und her wiegend und über den Rücken streichend. Irgendwann löste Daniel sich und setzte sich auf das Bett. Dustin machte es sich neben ihm bequem.
 

„Tja, dieses Mal ist es endgültig“, meint Daniel schulterzuckend und versuchte ein Grinsen, das verunglückter nicht hätte sein können. Dustin strich ihm mitfühlend über die Wange.
 

„Aber warum?“ fragte er verständnislos. „Heute Morgen warst du noch glücklich mit ihm. Was ist denn nur passiert, dass es soweit kommen konnte?“ Dustin verstand schlichtweg die Welt nicht mehr. Serdall war nicht aufgelöst oder am Boden zerstört, sondern nur etwas kühl und Daniel schien erst jetzt richtig geweint zu haben. Es musste wirklich ein schlimmer Streit gewesen sein, denn Daniel trug den Schmuck nicht mehr, den Serdall ihm geschenkt hatte, obwohl Serdall im Gegensatz dazu kaum verändert schien. Hatte etwa Serdall sich von Daniel getrennt? Das konnte doch nicht sein, nicht sein Schwager, der verklärte Romantiker, der Daniel selbst einen Seitensprung verziehen hatte.
 

Leise und an einigen Stellen etwas stockend, erzählte Daniel Dustin alles seit dem Augenblick, als er Serdall auf die Sache mit dem Armband angesprochen hatte. Er gab ihren Streit wieder, Serdalls Worte zum Schluss und zitierte den Brief ziemlich wortwörtlich. Anschließend atmete er einmal tief durch.
 

„Nun, für Serdall scheint die Sache damit wohl auch gegessen zu sein, wenn er es noch nicht einmal für nötig befindet, dir Bescheid zu sagen, dass ich nicht mehr da bin, sondern einfach unterwegs“, meinte Daniel mit einem schwachen Lächeln. Er sollte glücklich sein, dass er Serdall so enttäuscht hatte, dass es ihm scheinbar nicht schwer fiel, Daniel gehen zu lassen, doch innerlich Riss dieser Gedanke tiefe Wunden.
 

„Ich glaube echt, dass dieser Streit einfach zu viel für euch beide war“, gab Dustin zu und seufzte leise. Das war wirklich eine bescheidene Situation für die beiden und Dustin gab ehrlich für sich zu, dass das hatte kommen müssen. Er wusste wirklich keinen Rat für Daniel. „Du weißt doch selbst, dass nach der ganzen Sache mit Fei schon ein kleiner Sprung bei euch drin war, aber ich hatte wenigstens gehofft, dass ihr das beide kitten könntet, aber irgendwie ist das nicht ganz gelungen.“ Ratlos strich sich Dustin durch die Haare. „Aber ich verstehe nicht, warum du Serdall das Armband gegeben hast, um die Wahrheit zu sagen. Ich mein, das war doch fast wie ein Antrag für dich gewesen, damit hat er Louise hinter sich gelassen, um zu dir zu stehen. Egal wie scheiße teuer das Teil war, das hättest du nicht tun sollen. Klar, war es unfair von Serdall das er überhaupt sowas Teures dafür gekauft hat, aber naja. Du kennst Serdall. Und er hat mir sicher nicht gesagt, dass es aus ist zwischen euch, weil ich dann mit ihm geredet hätte.“
 

„Ja, das wollte er sicherlich vermeiden. Wahrscheinlich kapselt er sich jetzt wieder vollkommen ab“, schnaubte Daniel, lehnte sich dann allerdings wieder kraftlos an die Wand zurück. „Frag mich mal, warum ich in Extremsituationen reagiere, wie ich reagiere. Ich weiß nur, dass ich immer falsch reagiere, aber warum ich so reagiere…“ Daniel stöhnte, als er sich selbst zuhörte. „Ich war wohl einfach überfordert“, fuhr er schließlich fort. „Ich hätte wissen müssen, dass Serdall nicht so reagiert, wie man sich das vielleicht generell vorstellen würde, dass er sich entschuldigt und sagt, dass er meine Wünsche anerkennt und das in Zukunft sein lässt. Stattdessen haben wir uns mal wieder gegenseitig hochgeschaukelt und dann hat er irgendwann das Armband gefordert und dass ich zu meiner Mutter ziehe und dumm wie ich bin habe ich natürlich genau falsch gehandelt und ihm dieses verdammte Armband auch noch gegeben.“ Er seufzte. „Nun, es war wohl ganz gut so. Jetzt ist es vorbei und ich kann Serdall nicht mehr gut alle drei Tage aufs Neue irgendwie verletzten.“
 

„Mal ehrlich, was hast du Serdall in den ganzen letzten Wochen nicht schon abverlangt? Und jetzt hast du ihm noch vorgeworfen, dass er eben so ist wie er ist, eben ein Mensch, der auf Luxus abfährt. Daniel, ich denke ihr beide seht einfach nicht mehr, was wirklich wichtig ist. Keine Ahnung, aber seit wann redet ihr nur so beschissen aneinander vorbei?“ Seufzend lehnte sich Dustin neben Daniel. Irgendwie war er wütend auf die beiden und hätte sie am liebsten gemeinsam gegen eine Wand gehauen. Wie konnte man nur so schrecklich kurzsichtig sein? Serdall war doch immer sehr berechnend gewesen, wieso jetzt nicht mehr? Gut, er verstand, dass sein Schwager wohl schwer mit dieser Situation umgehen konnte, besonders da er Daniel liebte und immer nur das Beste gewollte hatte. „Und du willst dir jetzt eine eigene Wohnung suchen, nehme ich an?“, fragte er nach einer kurzen Stille. „Soll ich dir ein bisschen Geld leihen, bis sich das mit Serdall wieder eingerenkt hat?“
 

„Nein“, antwortete Daniel prompt. „Ich bleibe erst einmal hier, bis ich genug zusammen habe. Ein wenig habe ich gespart, aber das reicht vielleicht gerade mal für die Kaution und um das Nötigste mit den ganzen Möbeln einzurichten. Möblierte Zimmer oder WG-Zimmer gibt es mitten im Semester auch nicht. Ich bin gerade dabei, mir einen Job zu suchen.“ Er deutete auf die Zeitung, die mit aufgeschlagenen und teilweise markierten Stellenanzeigen auf dem Boden lag. „In vier Tagen habe ich ein Vorstellungsgespräch in dem Restaurant gegenüber der Post in der Innenstadt. In der Zwischenzeit werde ich mal wieder meine Gitarre rauskramen und einen auf Straßenmusiker machen. Der Verdienst ist gar nicht mal so schlecht.“
 

Dustin schluckte. Irgendwie hatte es schon etwas Endgültiges, wenn Daniel so sprach, dass er sich nun ein neues Leben aufzubauen schien, ohne Serdall.
 

„Du hast wirklich mit ihm abgeschlossen, oder?“, fragte Dustin ungläubig und sah Daniel von der Seite her an. „Du wirst nicht mehr um ihn kämpfen, hab ich Recht?“
 

„Ich muss mit allem abschließen“, meinte Daniel leise und schloss kraftlos die Augen. „Wir können nicht ewig so weitermachen. Irgendwer würde irgendwann zusammenbrechen und ich fürchte, dass Serdall der Erste von uns sein wird. Das will ich mir und vor allem ihm ersparen. Nenn mich feige, aber ich habe den scheinbar günstigen Moment genutzt, um ihm einmal wehzutun, danach aber nicht mehr. Und scheinbar haben die letzten Male schon gereicht, sodass er den Schmerz gewohnt ist und sich über das jetzt nicht mehr wirklich aufregt.“
 

Dustin schüttelte den Kopf. Serdall würde auch ohne Daniel zusammenbrechen.
 

„Ich weiß nicht, ob dass das Beste für euch beide ist. Keine Ahnung, aber ich glaube für Serdall wird es wohl das letzte Mal für immer sein, dass er sich verliebt hat. Niemand wird ihm mehr so nahe gehen wie du. Wer will sich auch die Mühe machen? Ehrlich, auch wenn er gut aussieht, sein Charakter wird jetzt nach diesem Rückschlag noch eine Spur ekliger werden und er wird selbst auch keine Lust auf irgendjemanden mehr haben“, meinte Dustin leise. Diesmal hatte nicht der Tod Serdall seinen Liebsten genommen, sondern das Leben und all seine Hürden. Dustin seufzte tief. Was dachte er hier für einen Mist zusammen? Daniel war nicht aus der Welt und Serdall auch nicht. Es bestand immer noch Hoffnung für die beiden. „Überleg dir das alles noch einmal. Schließlich liebt ihr euch.“
 

„Du hast doch selbst gesagt, dass die ganze vergangene Zeit zu viel für uns war und so wie es scheint, wird es auch so weitergehen. Ich weiß nicht, was besser ist, vor allem für Serdall: Eine Beziehung wie unsere, in der wir uns scheinbar momentan in regelmäßigen kurzen Abständen in die Haare kriegen und immer kurz vor einer Trennung sind oder eben ein endgültiges Aus, wobei ich letzteres zurzeit bevorzuge, sonst hätte ich nicht so gehandelt. Nach Louise hättest du auch nicht gedacht, dass er noch einmal jemanden findet und hier war ich. Außerdem gibt es genug Leute, die zumindest temporär an ihm interessiert sind und mit denen er seinen Spaß haben kann.“ Daniel dachte finster an diesen Luka aus dem Kammerorchester der Universität. Dieser Gedanke schmerzte, jeder Gedanke, der Serdall mit jemand anderem zeigte, schmerzte, doch es war seine Entscheidung gewesen, das Ganze endgültig zu beenden.
 

Stöhnend rieb sich Dustin über die Schläfe. Serdall würde sicherlich nie wieder jemanden an sich ranlassen. Rein aus dem Grund heraus, weil Daniel ihn hiermit schon genug verletzt hatte. Serdall würde sich einreden, dass es keinen Zweck mehr für irgendeine Beziehung gab und würde wieder Louise zu seiner Göttin stilisieren.
 

„Gut, es ist deine Entscheidung und ich möchte dir da nicht reinreden. Trotzdem wäre ich wirklich glücklich, wenn du sagen würdest, dass du es mit Serdall irgendwann mal wieder versuchst, falls er nicht wirklich jemand anderes hat, okay? Das ist nämlich jetzt auch scheiße. Klar, ihr hattet eure Differenzen, aber im Moment ist das Ganze einfach viel zu sehr aufeinander geknallt. Irgendwo war Serdall sicher noch gereizt wegen der Sache mit Kai und Fei und du ziemlich fertig und unsicher. Das verstehe ich ja, aber ich kann nicht mit ansehen, wie das Alles zwischen euch komplett in die Brüche geht, denn eines kannst du nicht bestreiten. All die Zeit vor Fei, da wart ihr glücklich, mehr als das.“
 

Getroffen und traurig schloss Daniel wieder die Augen. Dustin hatte Recht. Die Zeit, bevor Fei sie damals recht gewaltsam voneinander getrennt hatte, war wohl ohne zu lügen die schönste seines Lebens gewesen. Er war glücklich mit Serdall, sie hatten sich eigentlich super verstanden, wenn es auch mal ein paar kleinere Streits gab, die aber wohl normal waren und waren einfach verliebt gewesen. Jetzt war alles nur noch ein einziger Kampf mit kleinen Lichtblicken, die in dem stressigen Alltag allerdings unterzugehen schienen.
 

„Was erwartest du von mir?“, fragte er Dustin. „Dass ich Mitleid mit Serdall habe, weil er als einsamer Witwer und verstoßener Ex-Freund jetzt vielleicht keine neue Beziehung eingeht? Es bringt nichts, es jetzt noch einmal miteinander zu versuchen, da das gleiche Chaos erneut stattfinden würde und in einem Monat ist es auch hoffnungslos, da Serdall mich dann von Tag zu Tag mehr vergessen und verdrängt haben wird. Aber wenn es dich glücklich macht, warte ich halt ab, ob er in einem halben Jahr oder einem Jahr immer noch keinen Partner hat und klingel dann an der Haustür und frage, ob er mich nicht doch ganz gern zurückhaben will.“
 

Wütend sprang Dustin auf.
 

„Genau das ist die Einstellung, die euch auseinander gebracht hat“, zischte er wütend. „Dieser Zynismus, diese ganze Hoffnungslosigkeit. Ehrlich, mir kommt es so vor, dass du gerade ziemlich auf Serdall pfeifst. Wenn du dich wirklich um ihn sorgen würdest, hättest du es jetzt nicht so dämlich formuliert. Mitleid mit Serdall haben… Hast du anscheinend nicht. Serdall hat viel Scheiße durchgemacht, hat das alleine durchgestanden. Klar, er hat viel Geld, hat einen wunderbaren Sohn, scheint auf der Sonnenseite des Lebens zu stehen. Trotzdem wird er sich jetzt verdammt noch mal nur einsam fühlen und sich wieder zurückziehen, während du weiter schön zur Uni gehst, dir nebenbei Geld verdienst und lustig freudig vielleicht einen neuen Mann triffst, der dich liebt. Serdall aber, der wird dich leider nie vergessen können, wie du denkst und das weißt du ganz genau.“ Zittrig holte Dustin Luft. Warum machte er Daniel nur solche Vorwürfe? Er wusste warum, weil Daniel gerade so abwertend über Serdall geredet hatte, dass er seine Liebe einfach so schnell vergessen könnte.
 

„Meinst du, dass ich ihn so leicht vergessen kann“, rief Daniel ebenfalls wütend, aber auch verzweifelt und verließ ebenfalls seinen Platz auf dem Bett. „Meinst du, es ist mir nicht schwergefallen, diesen verdammten Brief zu schreiben und mich von ihm zu trennen, nach all dem, was wir durchgemacht haben, mir bewusst, dass ich damit meine erste richtige Liebe und Beziehung verliere? Ich habe nie für jemanden auch nur ansatzweise diese Gefühle entwickelt und du als Zuschauer in der ersten Reihe wirst mit am besten wissen, wie wichtig mir Serdall ist. Genau deswegen ist es für mich unerträglich zu wissen, dass ausgerechnet ich derjenige bin, der ihm am meisten wehtut und das auch noch regelmäßig. Ich kann einfach so nicht weitermachen und er scheinbar auch nicht, da er meinte, dass es aus ist und ich ihn in meinem Brief nur noch einmal bestätigt habe.“
 

„Dann sag es doch einfach so, wie du es jetzt getan hast“, zischte Dustin wütend. „Deine zynische Seite kannst du stecken lassen, denn jetzt ist es auf jeden Fall ernst und ich verstehe keinen Spaß mehr!“, schrie Dustin wütend und ging nahe an Daniel heran. „Sag mir einfach klar, dass du aufgibst, dass du jetzt nach all dem aufgibst und Serdall für immer in Ruhe lässt. Entweder das oder du gehst wieder zu Serdall, wenn die Zeit reif ist, wenn ein wenig Gras über das Ganze gewachsen ist.“ Dustin beugte sein Gesicht näher zu Daniel, während seine Augen Daniels festhielten. „Du weißt selber, dass ihr beide ohne einander nicht könnt und dass eine Trennung nur übergangsmäßig wirklich Sinn macht. Glaubst du denn echt, dass du es nicht ewig bereuen wirst, dass du ihn einfach verlassen hast, nur weil er mal wieder emotional überreagiert hat?“
 

„Ich bereue es jetzt schon“, seufzte Daniel und starrte lieber auf Dustins Nase, als direkt in dessen Augen. Er seufzte erneut. „Ich glaube, dass ich es nicht hinbekommen werde, ihn für immer in Ruhe zu lassen. Von daher bleibt wohl nur noch die Option, es irgendwann noch einmal zu versuchen und zu hoffen, dass ich nicht wieder ganz von vorn bei ihm anfangen muss.“ Daniel lächelte schief, war aber schon etwas besser gelaunt und froheren Mutes als noch zu Anfang ihres Gespräches. „Du hältst mich ein wenig auf dem Laufenden, oder?“
 

Dustin trat nickend einen Schritt zurück.
 

„Ich komme ab und zu vorbei und sehe nach, wie du dich hier hältst“, bestimmte er leicht lächelnd und schlug Daniel auf die Schulter. „Und falls du bei irgendwas Hilfe brauchst“, ernst suchte Dustin wieder Daniels Blick, „bitte scheue dich nicht, mich zu fragen, ja? Ich bin immer für dich da und kümmere mich auch um Serdall.“
 

Daniel schaffte ein ehrliches Lächeln.
 

„Danke“, erwiderte er leise. „Ich weiß langsam gar nicht mehr, wie ich das Alles wieder gutmachen soll.“ Er umarmte Dustin kurz und brachte ihn noch bis zu den Eingangstoren der Jugendherberge, dann ging er wieder in sein Zimmer zurück und machte sich seufzend auf die weitere Suche nach Aushilfsjobs, das Thema Serdall für den Moment verdrängend.
 

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Daniel stand an seinem mittlerweile schon üblichen Platz in der Fußgängerzone, vor sich sein offener Gitarrenkasten, seine Gitarre in der Hand und sang bekannte und beliebte Lieder aus diversen Jahrzehnten. Er hätte Winter- und Weihnachtslieder singen können, aber die hingen ihm echt zum Hals raus. Es reichte, wenn er sie im Radio auf und ab dudeln hörte, da musste er nicht noch selbst du dieser lästigen Sitte beitragen. Außerdem schien vor allem das jüngere Publikum ihm dafür dankbar zu sein. Es war schon Mitte Dezember und die Temperaturen und das Wetter hatten sich der Jahreszeit angepasst. Aus diesem Grund machte er zwischen seinem Spiel immer mal wieder einen kurze Pause, um sich im Café nebenan etwas aufzuwärmen und wieder Gefühl in seine Hände zu bekommen. Schnee war ja schön, aber nicht, wenn er gerade am Spielen war.
 

Sein zweiter Job, wenn man das hier überhaupt als einen Job bezeichnen konnte, brachte etwas mehr Geld und war im Vergleich zum Musizieren auf der Straße um einiges angenehmer was die Temperaturen anging, aber dafür machte Daniel das Singen und Gitarre spielen mehr Spaß, als das Kellnern im Restaurant. Die Entscheidung beides zu machen war ihm recht leicht gefallen, da er nur von Freitag bis Samstag im Restaurant arbeitete, eben dann, wenn die Stoßzeiten waren und Aushilfe gebraucht wurde. Den Rest der Zeit verbrachte er eben in der Fußgängerzone, zumindest bis er vielleicht noch etwas gefunden hatte, das er parallel neben dem Studium laufen lassen konnte. Genau das war nämlich das Problem.
 

Wie er sich schon gedacht hatte, suchten die Meisten entweder Vollzeitkräfte, Personal mit flexibleren Arbeitszeiten als er sie bieten konnte oder mit Erfahrung, die Stelle war schon besetzt oder erst in drei oder mehr Monaten zugänglich. Diese Umstände machten es Daniel nicht unbedingt leicht, das nötige Kleingeld zu verdienen, aber er war optimistisch, dass er Ende Januar dann seine Wohnung mieten konnte. Anzeigen hatte er schon durchgelesen und auch eine ganz schöne Einzimmerwohnung gefunden. Er musste eben nur noch zusagen. Solange tat es auch noch die Jugendherberge.
 

Daniels Leben verlief also in recht geordneten Bahnen. Er ging zur Uni und arbeitete anschließend, bevor er sich dann abends an die Stoffwiederholung machte und dann am nächsten Tag wieder zur Uni aufstand. Seine Tage waren durchgeplant und er war froh darüber, da ihm so nicht allzu viel Zeit blieb, über Serdall nachzudenken. Der Schmerz der Trennung war noch immer in ihm und brannte in seiner Brust wie ein glühender Feuerhaken, doch er würde damit klarkommen. Er musste damit klarkommen. Außerdem bestand noch immer die Option, wieder zu ihm zu gehen, nachdem, wie Dustin es so schön formuliert hatte, etwas Gras über die Sache gewachsen war. Knapp zwei Wochen waren dafür wohl zu wenig und Daniel hatte gelernt, sich zu gedulden.
 

„Dan!“ schrie es plötzlich aus der Masse und ein schwarzhaariger Lockenschopf kam auf Daniel zugerast. Freudig umklammerte Taki ihn und sah ihn glücklich an. „Warum spielst du denn hier Gitarre?“
 

„Nun, es macht mir Spaß und ich kann damit auch gleich ein wenig Geld verdienen“, antwortete Daniel und sah sich nervös um. Taki würde nicht allein gekommen sein. Innerlich war seine Hoffnung zweigespalten in einmal den Wunsch, dass Yoshiko mit ihm hier war, sodass er eine Konfrontation mit Serdall vermeiden konnte und andererseits dem Verlangen, Serdall nach knapp zwei Wochen wiederzusehen. Taki kurz bei sich zu haben war auf jeden Fall schön, doch als Daniel Serdall tatsächlich auf sie zukommen sah, sank ihm doch das Herz in die Hose. „Hey“, grüßte er ziemlich schwach. Serdalls blaugrüne Augen musterten Daniel emotionslos.
 

„Hallo“, sagte er kalt und scheinbar ohne Bedeutung. „Taki, komm her“, meinte er zu seinem Sohn, der tatsächlich von Daniel abließ und zu seinem Vater ging, der ihm einmal liebevoll durch die Haare strich. „Gehst du dir bitte schon einmal deine Zuckerwatte holen?“ Er gab ihm Geld und jauchzend sprang Taki los zu dem Stand, der unweit von ihnen war. Serdall richtete sich auf und sah Daniel wieder so gefühllos an. Plötzlich schüttelte er den Kopf. „Von mir wolltest du kein Geld und jetzt erbettelst du dir es“, stellte er fest und sah Daniel starr in die Augen. Er holte sein Portemonnaie aus der Manteltasche und schmiss dann einen Cent in Daniels Gitarrentasche, die offen auf der Erde lag, für diverse Geldgaben. „Hier, so viel bist du mir noch wert.“
 

Sprachlos und vollkommen geschockt sah Daniel auf den Cent, der so gefallen war, dass er einsam auf dem Samt des Gitarrenkoffers lag. Etwas schien in seinem Inneren zu zerbrechen und Daniel erkannte, dass es wohl die Hoffnung war, die er erst einmal sicher in seinem Inneren eingeschlossen hatte, bis er seine Dinge geregelt und seine Wohnung gemietet hatte und auf einen Beinen stand. Doch soweit war es jetzt gar nicht erst gekommen. Entschieden schob er die Traurigkeit beiseite, die ihn zu übermannen drohte. Er wollte nicht hier vor Serdall zusammenbrechen und ihm auch noch diesen Triumpf gönnen. Einen Triumph, an dessen Anfang Daniel selbst stand, da er für Situation, wie sie jetzt war, der Hauptverantwortliche war. Nichtsdestotrotz erwiderte er Serdalls Blick fest, egal wie es in seinem Inneren aussah.
 

„Willst du vielleicht gleich für Taki mit bezahlen?“, fragte er. „Normalerweise ist das bei Eltern so üblich, soviel ich weiß. Mal sehen, was du meinst, dass ich ihm noch wert bin.“
 

Schnaubend stieg Serdall plötzlich in Daniels Gitarrenkoffer und stand dann dicht vor ihm, sah ihm kalt ins Gesicht.
 

„Viel, wie du siehst. Eben ein Leben für einen Liebsten“, knurrte Serdall leise und sah Daniel ohne mit der Wimper zu zucken ins Gesicht. „Aber diese Art von Bezahlung ist bei dir ja nicht üblich“, hauchte er selbstgefällig und stieg wieder aus dem Koffer heraus. Er zerknüllte einen Geldschein und warf ihn Daniel vor die Füße. Es folgte noch ein abfälliger Blick, bevor er sich umwandte und zu seinem Sohn ging. Taki wartete schon auf ihn, um weiter über den Weihnachtsmarkt zu gehen.
 

Ungläubig sah Daniel in seinen Gitarrenkoffer und starrte auf den fünfhundert Euro Schein. In einer schnellen Bewegung hob er ihn auf und sah sich dann nach Serdall um, der gerade in schon recht weiter Entfernung an einer Spielzeugbude stand.
 

„Behalt dein verficktes Geld. Ich will es nicht!“, schrie er ihn an, doch Serdall zog Taki einfach mit sich um die Ecke und sie verschwanden aus Daniels Blickfeld. „Verdammtes Arschloch“, setzte Daniel noch nach und war nahe dran, das Geld einfach in den nächsten Mülleimer zu werfen, doch schließlich zog er es doch vor, es sich in die Tasche zu stecken. Scheiße, wenn er es nicht dringend brauchen würde, hätte er das Zeug verbrannt. Wo war nur sein verfluchter Stolz hin?
 

Daniel schnappte sich das restliche Geld, verstaute seine Gitarre im Koffer und machte sich auf den Weg zurück zur Jugendherberge. Er würde sich den restlichen Tag freinehmen. War ja schließlich nicht so, als hätte er heute nicht gut verdient. Noch extrem wütend stapfte er den Rückweg durch den Schnee hindurch, bis er in seinem Zimmer war. Allerdings hatte Daniel in den letzten zehn Minuten dann doch einiges von seiner Wut eingebüßt und jetzt, wo er alleine war, brach die darunter verborgene Trauer über ihn herein.
 

Schwer atmend legte er sich auf das Bett uns spürte die Tränen über seine Wangen laufen. Klarer hätte Serdall es nicht machen können, dass er mit ihm abgeschlossen hatte und Daniel jetzt nicht mehr für ihn war, als irgendein Fremder, wenn überhaupt. Wohl eher ein stinkender Bettler, der sein Leben momentan in einer Jugendherberge fristete. Daniel wollte es nicht zugeben, aber er vermisste den Luxus von Serdalls Haus schon ein wenig, vor allem aber vermisste er Taki, die Hunde, Dustin und Ethan und natürlich Serdall. Den lieben Serdall und nicht das Arschloch, das er heute wieder dargestellt hatte. Seufzend schloss er die Augen und fiel bald in einen erschöpften Schlaf.
 

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Argwöhnisch beobachtete Dustin Serdall beim Telefonieren. Sein Schwager sprach mit einem Luka und Dustin vermutete, dass es dieser Blonde aus der Disko war, mit dem er sich gerade unterhielt.
 

„Gut, ich werde am Mittwoch da sein“, erklärte Serdall gerade mit dieser eiskalten Stimme, die Dustin immer noch die Nackenhaare hochstellte.
 

Seit der Trennung von Daniel war Serdall der alte Eisblock wie früher, nach Louises Tod, nur schien er nun noch ein paar mehr Grad unter Null zu sein und die Säureschicht um einiges dicker als damals. Serdalls Bick traf Dustins, als er das Gespräch beendete und auflegte. Offensiv zog Dustin eine Augenbraue nach oben, doch sein Schwager ging nicht darauf ein, sondern wandte sich wortlos ab. Doch bevor er das Wohnzimmer verlassen konnte, sprach Dustin ihn an.
 

„Serdall, du bist wieder wie damals“, meinte er laut. Serdall lächelte plötzlich schmal zu Dustin, als er leicht den Kopf wandte.
 

„Nicht ganz“, erwiderte er leise und ging dann hinaus. Schwer nahm er jede Treppe einzeln, als er nach oben und in sein Schlafzimmer trottete. Kurz nur sah er auf das Doppelbett, das nur noch auf einer Seite bezogen war. Die andere Seite blank. Nur eine Matratze. Unbedeutend. Serdall schloss die Augen, versuchte die Bilder zu verdrängen, die ihm Daniel zeigten, wie er auf dieser Seite ruhig geschlafen hatte, wie er mit Serdall dort gelegen hatte und wie sie sich dort geliebt hatten. Energisch schüttelte Serdall den Kopf und öffnete die Augen, um diese ganzen Szenen von sich zu schieben. Dennoch sah er wieder Daniel vor sich, wie er in dicken Sachen im Schnee stand, Gitarre spielte und dazu melodisch sang. In diesem Moment war Serdall das Herz stehengeblieben. Taki war sofort auf Daniel losgegangen, aber er selbst hatte mit sich kämpfen müssen. Hatte kurz noch dieser Stimme gelauscht, die dann so abrupt geendet hatte.
 

Seufzend setzte sich Serdall gegen die Heizung und zog die Beine an seinen Leib. Warum war ihm nur so furchtbar kalt? Er glaubte, dass er langsam erfror. Jämmerlich erfror, ohne dass sich jemand darum kümmerte. Zu Daniel war er auch so kalt gewesen. Gepeinigt schloss Serdall die Augen. Es hatte so weh getan, Daniel so zu sehen. Warum nur hatte Daniel so etwas über ihn gewählt? Das nannte er auf eigenen Beinen stehen? Kopfschüttelnd lehnte Serdall seine Stirn gegen seine Knie. Das konnte doch nicht Daniels Ernst sein. Wut war mit jedem Schritt, den er auf Daniel zugegangen war, in ihm gewachsen. Wie konnte er ihm das antun? Sich wie ein Bettler vor ihm präsentieren! Sorge machte sich in Serdall breit, doch er kämpfte sie nieder. Daniel wollte ihn nicht und ganz besonders seine Fürsorge nicht. Daniel kam nicht mit ihm klar, das hatte der Brief eindeutig bewiesen. Hatte Daniel ihn denn niemals verstanden? Das war nicht wahr. Aber die letzte Zeit hatten sie sich wohl auseinandergelebt.
 

Reiß dich zusammen, zischte Serdall sich innerlich an. Das mit Daniel war vorbei. Wieso ließ er sich wegen diesem kurzen Wiedersehen wieder aus der Bahn werfen? Die ganzen letzten zwei Wochen hatte er keinen einzigen Gedanken an diesen Mann verschwendet, doch jetzt materte er sein Hirn wieder mit Erinnerungen und Fragen. Immer wieder spielte sich in seinen Träumen die Szene ab, wie Daniel ihm das Armband wiedergab. Das war auch das Einzige, was Serdall in den letzten zwei Wochen zugelassen hatte, zulassen musste. Er verstand es immer noch nicht, warum Daniel es abgenommen hatte. Für Serdall war es das Gleiche gewesen, als wenn Daniel ihm sein Herz aus der Brust gerissen und zertreten hätte. Daniel hatte seine Liebe abgewiesen. Das setzte Serdall damit gleich.
 

„Du warst so dumm“, flüsterte er plötzlich und schlug sich gegen die Schläfen. Er hätte sich wirklich nie auf Daniel einlassen sollen. Dann wäre ihm all der Schmerz erspart geblieben. Für Daniel hatte ja auch nicht die schöne Zeit gezählt, die sie miteinander verbracht hatten. Er war schließlich einfach gegangen, hatte aufgegeben.
 

Als sich Tränen in Serdalls Augen bilden wollten, stand er abrupt auf und trat auf den Balkon, ließ die Kälte das Alles wieder in ihm einfrieren und Serdall wieder klar denken.

Daniel war Geschichte. Serdall würde ihn das nächste Mal, wenn er ihn sah, einfach komplett ignorieren. Er würde keine Worte mehr an ihn verschwenden. Das heute war eine bescheuerte Ausnahme gewesen. Ein Zeichen, dass er eben noch nicht wirklich über Daniel hinweg war. Wie auch? Keuchend lehnte sich Serdall gegen das schneebedeckte Geländer. Er liebte Daniel immer noch, egal wie sehr er es verdrängen wollte. Er liebte Daniel so furchtbar, dass es ihn zerfraß, dass es er Daniel fasst schon hasste dafür, dass er gegangen war und ihm so einen bescheuerten Brief hinterlassen hatte.
 

Mit einem erstickten Laut ging Serdall in die Knie und lehnte die Stirn gegen das kühle Geländer. Wann würde all der Schmerz in ihm aufhören? Wann würde er seine Gefühle wieder verschließen?
 

„Nur noch ein Bisschen“, sagte er leise, stand auf und ging zurück in sein Zimmer. Wütend ließ er den Blick über die Wände und die kleine Kommode schweifen, an denen neben Louises und Takis Bildern auch Daniels hingen. Entschieden ging er auf diese zu und sammelte jedes einzelne von den Wänden. Er stapelte sie in seinen Armen, während er nach und nach hektisch jedes Einzelne abnahm. Er fragte sich, warum er das noch nicht eher getan hatte, als er sich einen Karton holte und die Bilder dann ebenfalls in die Abstellkammer verbannte. So wie er diese Tür nun verschloss, so würde er Daniel in sich aussperren. Die Gefühle für diesen Mann waren vergebens und wenn Serdall nicht wollte, dass er kaputt ging, musste er sie verbannen und nie wieder heraufbeschwören.
 

Kalt begann er zu lächeln. In ihm war nur noch das dumpfe Schlagen seines Herzen, aber kein Daniel. Das war besser als der Schmerz, beschied er und machte sich dann bettfertig. Morgen würde er wieder in die Universität gehen und mit dem Kammermusikensemble helfen. Das lenkte ihn ab und es machte ihm Spaß, mit anderen Streichern zu spielen. Luka war ein recht aufgeschlossener Mann und himmelte Serdalls Künste geradezu an. Auch die Anderen beiden von den momentan drei Streichern waren begeistert. Serdall würde nur für die Monate aushelfen, die der Violinist ihres kleinen Quartetts gerade im Ausland studierte. Leider bekam er in der Universität zu viel Aufmerksamkeit. Die ganze Musikfachschaft schien ständig mit ihm die Hände schütteln zu wollen, was Serdall enorm störte, doch eben einfach erduldete, um in diesem Quartett zu spielen. Natürlich merkte man die Unterschiede in seinem Können und dem der Anderen, doch es machte ihm Spaß und er brauchte die Ablenkung im Moment.
 

Ende Kapitel 29
 


 


 

Mal wieder Dankeschön für all eure lieben Kommentare. :)



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von: abgemeldet
2007-12-21T21:14:34+00:00 21.12.2007 22:14
Viel kann ich nicht sagen, denn ich trauere richtig mit.
Du schreibst es echt realistsisch , so könnte ich glatt mitheulen.
mach weiter so!
Von:  Allmacht
2007-12-20T15:29:31+00:00 20.12.2007 16:29
Ich hoffe sehr, dass Serdall jetzt keinen Mist mit Luka baut.
Aber genau wie meine Vorgängerin verzweifle ich schön langsam an dieser Geschichte.
Das ganze Gefühlsauf und -ab ist ganz schön heftig.
Von:  shiroi
2007-12-20T14:55:26+00:00 20.12.2007 15:55
Oh man.. das kann doch alles nicht wahr sein... Solangsam verzweifle ich an dieser Story. Dieses ständige Hin- und Her war ja schon schwer, aber jetzt das?! Wenn sie nicht so toll geschrieben wär und ich nicht immer noch auf ein Happy End hoffen würde, ich würde aufhören zu lesen. Aber ich kann nicht.. >_<

Großes Lob an eure (deine?) Schreibweise!!!

Nun steht ja in der Übersicht, dass es schon zu 90% abgeschlossen ist. Ich würd gern wissen wieviele Teile es denn noch geben wird???

Liebe Grüße
shi


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