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Die Magie der Musik 2

Die Fürsorge eines Bruders
von

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Kapitel 25
 

Die Fäden ziehen zu lassen stellte sich als kurz und recht schmerzlos heraus. Daniel war selbst davon überzeugt, dass er nur was gemerkt hatte, weil er sich so derart auf sein Handgelenk konzentriert hatte. Ehrlich, bei solchen Kleinigkeiten war er total die Mimose. Er konnte mit einem gebrochenen Arm gut leben, wie er früher mal herausgefunden hatte, aber Fäden ziehen oder impfen war einfach schrecklich.
 

Schrecklich war auch der Weg zu Kais Zimmer. Serdall ging eisig schweigend neben ihm her und führte Daniel mit seinem Verhalten fast in die Versuchung, auf den letzten Metern doch noch kehrt zu machen. Schließlich standen sie vor der Tür, neben der als einziger Name ‚Hahn‘ vermerkt war. Daniel atmete tief durch und war erleichtert, dass Kai scheinbar in einem Einzelzimmer lag. So war die Gefahr, dass jemand ihr Gespräch und eventuelle pikante Informationen mitbekam, gleich null.
 

„Serdall, bitte versuch ruhig zu bleiben und nicht auszuflippen, ja?“, wandte Daniel sich an seinen Freund.
 

Klar, dachte sich Serdall angepisst, schön bei Fuß Bello. Serdall wollte Daniel am liebsten einen Tritt dafür geben, dass er das zu ihm sagte. Er bedeutet Daniel nur voranzutreten und nach einem kurzen Klopfen gingen sie in Kais Krankenzimmer. Dort wurde ihnen eine deftige Kussszene zwischen Kai und einem Pfleger geboten. Serdall warf die Tür lauter als nötig in die Angeln und die beiden Köpfe ruckten bei dem Geräusch in ihre Richtung. Der Krankenpfleger wurde knallrot und verschwand nach einer kurzen Entschuldigung, während Kai nur starr zu ihnen sah, wobei sein Blick sich eisig auf Serdall richtete, was jener finster erwiderte.
 

„Was wollt ihr hier“, fragte er abweisend. Neben seinem Bett standen Krücken und sein Oberschenkel war immer noch dick bandagiert. Schnaubend schüttelte Daniel den Kopf. Diese Szene eben war so typisch Kai gewesen, wenn man die Zeit, in der er ihn als Beschäftigung hatte, beiseite schob. Er ging ein paar Schritte auf das Bett zu, bevor er zu reden anfing.
 

„Eigentlich bin ich in erster Linie gekommen um zu sehen wie es dir geht. Darf ich mich setzten?“, fragte Daniel und deutete mit einem Kopfnicken auf einen der Stühle, die an einem kleinen Tisch in der Nähe des Bettes standen. Kai nickte abgehackt, wobei sein Blick wieder kurz zu Daniels Freund wanderte, der sich weit entfernt an eines der Fenster stellte und versucht desinteressiert hinaussah.
 

„Wie du siehst lebe ich zum Glück noch. Und wie das Schicksal so will werde ich auch irgendwann wieder richtig laufen, ohne ein taubes Bein zu haben, weil dein Freund so gnädig war, keinen wichtigen Nerv durchzuschießen.“ Der Blonde wandte den Blick von dem Mann ab, als keinerlei Reaktion kam und sah zu Daniel. Ein leichtes Lächeln bildete sich um seine Mundwinkel, ehe er kurz über Daniels Handrücken strich, ohne dass es dessen Freund sehen konnte. „Mich würde es eher interessieren, wie es dir geht“, fragte er leise und sah sanft in Daniels Gesicht. „Wie es scheint bist du wieder rund um die Uhr in seinen Klauen“, flüsterte er und musste dabei den bitteren Blick vertreiben, der sich kurz in seine Züge schummelte. Daniel entzog Kai seine Hand und sah ihn etwas verstimmt an.
 

„Ich kann verstehen, dass du ihn nicht leiden kannst. Sehr erfreulich war eure erste und bis jetzt einzige Begegnung ja nicht. Aber was immer du auch von ihm halten magst, ich liebe Serdall und befinde mich deswegen nicht in seinen Klauen, sondern ich verbringe den Tag mit ihm“, stellte Daniel flüsternd klar. Serdall würde es sicher nicht sonderlich gut finden, dass sie die Köpfe zusammensteckten, doch er würde vielleicht noch verstimmter sein, wenn er das Thema ihres Gespräches erfuhr. Kai schüttelte leicht den Kopf.
 

„Er ist ein Verbrecher!“, führte er lauter aus, sodass Serdall es unweigerlich hören musste. „Ein gefühlskaltes Monster. Wer sonst könnte einen Menschen fast umbringen und dich so vereinnahmen? Ehrlich, du hast mir bestätigt, dass der Sex mit mir tausendmal besser ist, dass du diesen Typen nicht brauchst. Du hast Spaß gehabt, als du zum ersten Mal in einer Disko warst. Er hält dich doch nur in seinem Haus gefangen, bei seinem vielen Geld…“ Kai strich sich fahrig durch die Haare. „Du bist doch total verblendet von dem Kerl! Er ist eine verdammte Hete, die dich nur als Trophäe sieht und dich wahrscheinlich mit der Waffe bedroht“, zischte Kai wütend und fasste nach Daniels Wange. „Das ist keine Liebe, Daniel, und das weißt du“, zischte er ihm zu und sah mit Genugtuung, wie dessen Freund plötzlich wütend den Raum verließ. Abrupt schlug Daniel die Hand weg, noch bevor sie ihn berühren konnte.
 

„Du hast vollkommen falsche Vorstellungen“, zischte Daniel wütend. Serdall hatte noch immer mit dem Rücken zu ihnen gestanden, doch Daniel hätte schwören können, dass er bei Kais Worten zusammengezuckt war. Das ließ auch der wortlose Abgang erkennen. Daniel stand ebenfalls auf. „Scheiße, ja, es war eine Abwechslung mit dir Sex zu haben, aber es hinterlässt einen extrem bitteren Nachgeschmack, wenn man den eigenen Freund dabei betrügt. Außerdem solltest du seine Tat nicht verurteilen, denn du hast dich auf deine Art und Weise vollkommen daneben benommen, als du mir heimlich das Kokain zugesteckt hast. Du hast auf deine Art übertrieben, Serdall auf seine. Außerdem bin ich freiwillig bei ihm und werde nie an seiner Liebe zu mir zweifeln. Ich dachte echt, dass es zwischen uns wenigstens sowas wie eine Freundschaft geben könnte, da ich mich in der Zeit, in der ich bei dir war, doch irgendwie an dich gewöhnt habe, doch das ist wohl pures Wunschdenken.“ Daniel drehte sich auf dem Absatz herum und stürmte zur Tür.
 

Serdall war indes schon zum Parkplatz gestürmt. Zittrig öffnete er die Wagentür seines Autos und setzte sich aufgelöst auf die Fahrerseite. Er hatte es doch gewusst. Wieso schockten ihn Kais Worte nur so? Würde Daniel jetzt bei ihm bleiben?
 

„Scheiße“, flüsterte er fertig und ließ seinen Kopf gegen das Lenkrad sinken. Er glaubte in diesem Moment sterben zu müssen, so sehr schmerzte es ihn in der Brust. Wie hatte er auch nur zustimmen können, dass sie zu diesem Kai gingen? Er hätte doch sehen müssen, was dahinter stand. Keuchend versuchte Serdall zu Atem zu kommen, weil es ihm schier die Luft abschnürte.
 

Zögernd trat Daniel an das Auto heran. Er hatte sich gedacht, dass Serdall hierhin gegangen war. Der vertraute Innenraum bot durch die teilweise getönten Scheiben etwas Privatsphäre und hatte etwas Vertrautes. Ehrlich gesagt war er ziemlich froh, dass Serdall nicht schon einfach ohne ihn weggefahren war. So aufgelöst hatte Daniel seinen Freund noch nie zuvor gesehen. Zusammengesunken auf dem Fahrersitz kauernd vermittelte Serdall einen so schutzbedürftigen Eindruck, dass Daniel davon vor schlechtem Gewissen fast schlecht wurde. Es waren Kais Worte, ja, aber er hatte ihn durch seine Erzählungen überhaupt erst auf diese verquerern Gedanken gebracht.
 

Langsam öffnete Daniel die Tür und stieg ebenfalls ein. Sein Körper schrie danach, Serdall in den Arm zu nehmen, aber er war sich so unsicher, ob das in dieser Situation das Beste war oder nicht. Serdall versteifte sich, als er mitbekam, dass Daniel doch noch zu ihm gekommen war. Er richtete sich auf und sah Daniel unglücklich an.
 

„Warum bist du überhaupt mit mir zusammen?“, fragte er Daniel leise und lehnte seinen Kopf gegen den Sitz, wobei er seine Arme enger um seinen Bauch zog. „Er hatte doch in jedem Punkt recht, oder nicht?“, meinte er brüchig und sah wieder nach vorne. „Wenn du zu ihm gehen willst, dann geh. Ich will nicht, dass du dich zwingst bei mir zu bleiben.“
 

„Bist du vollkommen übergeschnappt?“, fuhr Daniel heftig auf. Er konnte nicht glauben, war er von Serdall zu hören bekam. „Scheiße, ich dachte, dass die letzten Tage gezeigt hätten, dass ich nichts mehr will als mit dir zusammen zu sein. Hast du Kai mal zugehört? Angeblich bedrohst du mich unter anderem mit einer Waffe und zwingst mich, in deinem Haus zu bleiben. Nicht gerade die Realität, oder?“
 

Serdall schüttelte den Kopf. Nicht gerade das, aber die anderen Dinge waren wohl wahr.
 

„Und der Rest? Das Geld, der Sex, dein Freiraum? Du hast doch Angst mit mir wirklich über Dinge zu reden, ich bin nicht so wie Kai oder Dustin, die deinem Geschmack eher entsprechen. Wem willst du was vormachen? Unsere Beziehung war nie so, wie sie sein sollte. Wir hatten immer unsere Differenzen und ich war immer Schuld daran. Die ganze Sache hat mir nur die Augen geöffnet, dass ich ein mieser Egoist bin, wenn es um dich geht. Ich kümmere mich doch nicht wirklich um dich!“
 

„Was soll das Alles jetzt? Ein paar Worte von Kai und du zweifelst an allem? An uns? Wir haben über den Sex geredet, oder nicht? Da stimmt jetzt alles. Ich kann mir meinen Freiraum nehmen, wenn ich ihn brauche. Du hast nicht und würdest mir nie verbieten wegzugehen, wenn ich das möchte. Und dein Geld macht mir zwar einiges leichter, aber meinst du ehrlich, dass ich mich deswegen in irgendeiner Art und Weise abhängig machen lasse?“ Perplex schüttelte Daniel den Kopf. Spukten diese Zweifel schon länger in Serdalls Kopf herum oder wo kamen sie auf einmal so plötzlich her? Nur durch Kai konnte solch ein Stein nicht ins Rollen geraten, oder? Aber warum hatte er dann nicht bemerkt, dass Serdall etwas belastete?
 

„Es sind nicht nur seine Worte!“, rief Serdall aufgebracht. „Du hast mit ihm geschlafen. Mehrmals. Das hättest du nicht, wenn es dir nicht gefallen hätte. Du würdest auch nicht mit Kai befreundet sein wollen, wenn du ihn nicht gut leiden könntest. Daniel, sieh es doch ein. Ich bin ein Arschloch. Alle anderen scheinen es zu sehen, dass es dir besser gehen würde ohne mich, nur ich nicht.“ Verzweifelt vergrub Serdall seinen Kopf in den Händen. Er wusste nicht mehr, was er denken sollte. Er liebte Daniel, aber war seine Liebe echt so schrecklich, wie er gerade sagte? Er wünschte sich einfach, dass Daniel ihn in den Arm nahm und ihm versicherte, dass es Humbug war, was er dachte, doch das würde er sicher nicht tun.
 

Daniel schwieg einige Zeit lang. Er musste erst einmal seine Gedanken ordnen und sich sammeln. Leider stimmte zumindest der Anfang von dem, was Serdall gesagt hatte. Zu behaupten, dass der Sex mit Kai schlecht gewesen war, kehrte die Wahrheit zu Daniels Unmut genau ins Entgegengesetzte. Kai verstand durch seine zahllosen Affären und One-Night-Stands sein Handwerk wirklich gut und war ähnlich wie Daniel recht spontan und meistens nicht so der Kuscheltyp, wenn es um den Sex an sich ging. Andererseits war es auch nicht so, dass der Sex mit Serdall schlecht war. Er war anders, aber auf seine eigene Art und Weise super schön und süchtig machend. Vor allem, und hier kam Daniels romantische Ader zum Tragen, war er eben so schön, weil Liebe mit im Spiel war. Es war etwas Anderes, wenn Serdall ihn berührte, als wenn Kai oder David ihn berührt hatten. Außerdem würde jetzt, wo sie offen über Daniels Wünsche gesprochen hatten, alles garantiert noch besser werden.
 

Der zweite Punkt war, dass er Kai tatsächlich ziemlich gut leiden konnte. Zumindest so generell. Momentan war er einfach zum Kotzen, aber jeder hatte mal so eine Phase. Bei Kai war es im Moment wohl die Eifersucht auf Serdall und der Schmerz, dass er in der Liebe schon wieder in gewisser Hinsicht betrogen wurde. Daniel selbst hatte auch gerade erst so eine Zeit hinter sich, nämlich genau die, als er mit Kai beziehungstechnisch angebandelt hatte. Ließ man das außer acht, war Kai nun mal ein ziemlich netter Kerl. Und verdammt nochmal, Daniel hatte sich wirklich eine Freundschaft gewünscht, da er mit Kai andere Dinge machen konnte als eben mit Serdall. Das hieß nicht, dass er es bei seinem Freund total vermisste, dass er nicht der Partygänger war. Dafür hatte Serdall viele andere Qualitäten. Trotzdem wollte Daniel eben ab und an mal weggehen und wenn sein Freund lieber zuhause blieb, was sprach dagegen, wenn er dann mit jemand anderem ging? Das Leben bestand nun einmal nicht nur aus einem anderen Menschen. Serdall hatte noch seinen Sohn und er hatte eben ein paar Kumpel. Oder jetzt eben einen Kumpel. Aber das Thema hatte sich jetzt ja erledigt.
 

Das, was Daniel an Serdalls Worten allerdings am meisten beschäftigte, war die Tatsache, dass er es so darstellte, als wäre er ein total schlechter Mensch, der Daniel in seinem Leben nur behinderte und unglücklich machte. Alles traf zu, aber das garantiert nicht. Wie konnte Serdall auch nur einen Moment daran zweifeln, dass er nicht das Beste war, was Daniel in seinem Leben jemals passieren konnte? Hatte er nicht gesehen, wie schlimm es für Daniel war, von ihm getrennt zu sein, als er sich die Pulsadern aufgeschlitzt hatte, weil Serdall ihm bei der Sache mit Kai nicht geglaubt hatte und sich von ihm trennen wollte? Und trotzdem sagte er sowas.
 

„Wie kannst du nur so über dich selbst reden?“, wollte Daniel mit erstickter Stimme wissen und lehnte seinen Kopf kraftlos gegen das Fenster. „Wie kannst du nur glauben, dass du schlecht für mich sein könntest? Ich habe in den letzten knapp zwei Jahren die schönste Zeit meines Lebens gehabt und du stellst es so dar, als ob ich mich in der Zeit nur gequält hätte. Es ist im Moment schwierig. Es ist viel Scheiße passiert, angefangen von der Aktion deines Bruders bis hin zu meiner Kurzzeitbeziehung mit Kai. Aber an nichts von dem bist du Schuld, sondern es waren andere, die für diese Krisen gesorgt haben. Also warum gibst du dir selbst die Schuld?“
 

Serdall strich sich fahrig übers Gesicht, bevor Daniel matt ansah.
 

„Was soll ich denn sonst denken? Daniel, ich weiß echt nicht mehr, was ich denken soll. Mir ist bewusst, dass du den Sex mit Kai genossen hast, dass du gerne ausgehst und dir Kai womöglich gerne Gesellschaft leistet. Und wären nicht die Drogen gewesen“, Serdall holte kurz tief Luft, um die eiserne Hand zu vertreiben, die sich schmerzlich um sein Herz legen wollte, „vielleicht hättest du dich dann wirklich in Kai verliebt? So hast du einer Beziehung zu ihm ja auch schon zugestimmt, oder nicht?“ Er musste die Augen schließen, als alle Anspannung von ihm fiel und er einfach in sich zusammensackte. Langsam aber sicher wurde ihm das einfach alles zu viel. „Ich glaube, ich habe dir das mit Kai zu schnell verziehen“, hauchte er kraftlos, ohne den Blick auf Daniel zu richten.
 

Daniel spürte wie sein Magen sich schmerzhaft zusammenzog. Serdall bereute also, dass er ihm verziehen hatte. Er war noch lange nicht über Daniels Betrug hinweg, wenn er es je sein würde. Reglos starrte Daniel auf seine ineinander verkrallten Hände, bevor seine Stimme leise und reichlich wacklig durch den Wageninnenraum glitt.
 

„Ich hätte erst gar nicht mit Kai geschlafen, wenn die Drogen nicht gewesen wären. Wie hätte ich mich dann in ihn verlieben sollen? Weiß der Himmel, warum ich dieser Beziehung zugestimmt habe, aber es war nichts Anderes als freundschaftliche Sympathie im Spiel.“ Er hob seinen Blick und wollte eigentlich Serdall ansehen, starrte stattdessen allerdings aus dem Fahrerfenster. Wären sie doch nur nie hierhergekommen. Warum hatte er nur darauf bestanden? „Was schwebt dir jetzt vor? Du willst keine Auszeit oder sowas... oder?“, fragte er Serdall zittrig.
 

„Eine Auszeit?“, entsetzt sah Serdall zu Daniel. „Damit du dir wieder irgendwelche Drogen nimmst, oder wie? Dich an den nächsten Kerl wirfst?“ Serdall schüttelte nachdrücklich den Kopf. Trotz seinem aufgewühlten Inneren wusste er, dass er Daniel nicht wieder verlieren wollte. Er biss sich hart auf dir Unterlippe. „Verstehst du nicht, dass ich einfach nicht einsehen kann, dass du gerade mit diesem Kai befreundet sein willst? Mit dem du mich betrogen hast? Was soll ich denn denken, wenn du unbedingt darauf bestehst, bei ihm zu sein? Dann fühle ich mich einfach hintergangen, okay?“
 

Wieder nur matt den Kopf schüttelnd schnallte sich Serdall an und startete den Motor. Er wollte einfach nur nach Hause, bevor er nicht mehr in der Lage war sie hinzufahren. Dann würde er sehen, was er tun würde. Er konnte Daniel nicht vorschreiben mit wem er sich traf, aber bei gerade dieser einen Person wurde es ihm schmerzlich bewusst, dass für Daniel in ihrer Beziehung etwas grundlegend falsch laufen musste. Und das konnte nur Serdall sein.
 

Daniel zog es vor, vorerst zu diesem Thema zu schweigen. Er musste seine Gedanken erst einmal ordnen, bevor er sich zu diesem Thema äußerte. Er musste zugeben, dass er sich noch nie in dieser Richtung Gedanken über Serdalls Gefühle gemacht hatte, als Daniel den Wunsch äußerte, trotz allem eine Freundschaft zu Kai zu pflegen. Wenn er sich mal in Serdalls Situation hineinversetzte, wenn Serdall ihn betrogen hätte und dann noch mit dem Kerl befreundet sein wollte, wenn trotz allen Beteuerungen zumindest gedanklich immer wieder die Gefahr bestand, dass es eben doch mehr als zu einer Freundschaft kam, das würde ihn irre machen. Warum hatte er nicht früher mal aus dieser Perspektive gedacht?
 

Während Serdall den Wagen zurück nach Hause lenkte, war sein Kopf seltsam leer. Er hatte sich schon den ganzen Tag viel zu viele Gedanken gemacht und es tat ihm einfach nur weh, wenn er noch irgendwelche neue Schlüsse wegen Daniel zog. Er hatte einfach das Bedürfnis sich irgendwie abzureagieren, denn langsam machte sich Wut in ihm breit. Wut auf Kai, Daniel und auch Fei, wegen diesem schwachsinnig unpassenden Geschenk.
 

Sofort, nachdem er den Wagen in der Auffahrt vor seinem Haus geparkt hatte, verließ er wortlos das Auto, sich bewusst, dass Daniel ihm folgen würde. Er streifte sich im Flur achtlos die Schuhe von den Füßen und warf seinen Mantel auf einen Haken, ehe er schon nach oben ging. Langsam versuchte er einfach die Tatsachen herauszukristallisieren, die wie Dornen ihre Beziehung belasteten. Das war zu allererst Daniels Betrug, der Drogenkonsum, Daniels unangebrachter Wille zur Freundschaft zu Kai und Serdalls eigene seltsame Art, die Daniel manchmal ziemlich zu belasten schien. Serdall wartete, dass sein Freund in den Raum trat und schloss die Tür hinter ihm ab, ehe er unschlüssig im Zimmer auf und ab ging. Er hatte keine Ahnung, wie er jetzt anfangen sollte, oder überhaupt. Seit der Stille, die im Wagen zwischen ihnen gelastete hatte, wartete er eigentlich nur auf Daniel, dass er mit ihm sprach.
 

Unsicher stand Daniel mitten im Raum und fühlte sich auf seltsame Art und Weise eingesperrt. Die Stimmung war derart angespannt, dass ihm eine Gänsehaut den Rücken hinunterlief und er wollte eigentlich nichts lieber, als dieser Atmosphäre einfach zu entkommen. Er war verwirrt. Was wollte Serdall jetzt? Daniels schlimme Befürchtung, dass sein Freund vielleicht an eine Auszeit dachte, hatte Serdall mit harten Worten niedergeschmettert. Daniel war an und für sich recht glücklich, dass er Serdalls Meinung in dem Punkt wohl negieren konnte. Nie wieder würde er anfangen Drogen zu nehmen, da er genau wusste, dass es für sie beide keine Zukunft mehr gab. Trotzdem blieb jetzt die Frage, auf was Serdall wartete. Im Auto hatte es etwas wie eine Aussprache gegeben, zumindest hatte Daniel einige Punkte, die in Serdalls Kopf herumgeschwirrt waren, nichtig erklärt. Das ganze Thema um Kai herum schien ihn extrem zu belasten, aber wie sollte Daniel damit anfangen? Wäre es nicht einfacher, wenn Serdall selbst dieses für ihn schlimme Thema ansprach?
 

„Du hattest recht. Es war eine dumme Idee, heute zu Kai zu gehen“, fing Daniel nach einiger Zeit zögernd an.
 

„Jetzt vielleicht“ zischte Serdall wütend und sah Daniel grimmig in die Augen. Er verzog den Mund zu einem blutleeren Strich, indem er seine Lippen hart aufeinander presste. Er war kurz davor wirklich furchtbar auszurasten und jegliche Beherrschung fahren lassen. Vorerst bemühte er sich jedoch ruhig zu bleiben. Er vergrub seine Hände in den Hostentaschen und begann unruhig auf und ab zu gehen, um so sich wenigstens ein wenig zu beruhigen. „Du sagst das doch nur, weil ich jetzt so austicke“, meinte er grollend und sah kurz zu Daniel, der sich unwohl auf das Bett gesetzt hatte. Warum war er nur plötzlich so unendlich aufgebracht? Er hatte Daniel doch eigentlich verziehen… Eigentlich, aber da war Daniel unendlich verzweifelt gewesen, hatte ihn zu einer Antwort gedrängt… Serdall hatte es doch geahnt, dass Daniel dadurch vielleicht das Ganze zu leicht nehmen würde.
 

„Weißt du warum ich denke, dass ich dir viel zu schnell vergeben habe?“, fragte Serdall leise und blieb abrupt vor Daniel stehen. „Weil du das jetzt alles viel zu leicht nimmst, besonders mit Kai. Ich hätte ihn erschießen sollen, als ich die Chance dazu hatte. Dann wäre dir wenigstens klar gewesen, dass ich ihn nie wieder in deiner Nähe sehen will, dass es mir unendlich wehgetan hat, dass du mich betrogen hast, dass ich dich am liebsten windelweich dafür schlagen möchte…“ Kurz wandte Serdall den Blick ab, ehe er weiter auf Daniel zuging und ihn am Kragen packte. „Du nutzt es aus, dass ich dich so schrecklich liebe, dass ich nicht anders kann, als dir jeden Wunsch zu erfüllen.“ Seine Hand lockerte sich, ehe sie wieder von Daniels Kragen abfiel und kraftlos neben Serdalls Körper hing. „Ich weiß nicht mehr, was ich von mir halten soll“, meinte er leise und legte eine Hand gegen seine Stirn. „Ich hätte dich nie zurücknehmen dürfen“, meinte er halblaut und versuchte den Schwindel in sich zu unterdrücken, der sich rasend schnell auszubreiten schien. Langsam ging er zur anderen Bettseite und setzte sich keuchend hin.
 

Schwer schluckte Daniel an dem Klos, der sich in seinem Hals gebildet hatte. Er hatte das Gefühl, zu ersticken. Mühevoll drängte er die Tränen zurück, die sich in seinen Augen zu sammeln begannen. Es war schlimm, so extrem schlimm diese Worte aus Serdalls Mund zu hören. In einem Anflug von plötzlichen Zynismus fragte Daniel sich, warum sie hier noch saßen, wenn Serdall doch dachte, dass er Daniel lieber abserviert hätte, nachdem er ihn mit Kai betrogen hätte, doch diese kurzen Gedanken wurden von der Welle Traurigkeit und Schock hinfort gespült, die sich im nächsten Moment über Daniel ausbreitete.
 

„Ich muss Kai nicht wiedersehen“, meinte er schwach und mit heiserer Stimme. Etwas Besseres fiel ihm im Moment nicht ein und Daniel könnte sich für seine Sprachlosigkeit verfluchen. „Ich meine, ich habe gesehen, wie er drauf ist“, fügte er noch schnell hinzu.
 

Das war alles? Serdall fragte sich wirklich, ob Daniel überhaupt eine Ahnung hatte, wo sie im Moment gerade standen, was Serdall gerade durch den Kopf ging. Sein Freund schien die Situation rein gar nicht zu verstehen, dass es schon lange nicht wirklich um Kai, sondern um ihn ging. Und so wie Daniel sich gerade anhörte, war es für ihn ganz einfach Kai nicht zu sehen, was ihm reichlich früh einfiel. Serdall fühlte sich richtiggehend bescheuert und unverstanden.
 

Kopfschüttelnd stand er auf und ging zur Balkontür um nachdenklich durch das Glas zu schauen, wo sich schon ein reges Schneetreiben aufwirbelte. Er schwieg einfach auf Daniels Worte hin. Für ihn gab es dazu nichts mehr zu sagen. Er hatte seinen Standpunkt mehr als einmal deutlich gemacht heute und mittlerweile ging ihm auch die Willenskraft aus. Vielleicht war eine Auszeit keine schlechte Idee. Dann würde er wenigstens sehen, ob Daniel wirklich gewillt war mit ihm zusammenzubleiben. Serdall hatte eigentlich gedacht, dass irgendwo noch der alte Daniel war, der wirklich um sie gekämpft hatte, doch scheinbar gab es für seinen Freund keinen Grund sich um Serdall zu bemühen, obwohl er es war, der den Fehler begangen hatte.
 

Seufzend lehnte Serdall seine Stirn an das kühle Fenster. Was dachte er hier für einen Mist zusammen? Zählte denn für ihn nicht mehr, dass Daniel ihn liebte? Doch, musste Serdall sich eingestehen, wenn er sich wirklich sicher sein konnte, dass Daniel es tat. Aber mehr als sich selbst fast umbringen konnte Daniel doch nicht als Beweis bringen wieso zweifelte Serdall denn nur schon wieder? Kai, dachte sich Serdall finster. Weil es einfach an ihm nagte, was dieser Kerl zu ihm gesagt hatte, vorhin und auch damals.
 

Das Schweigen traf Daniel mehr, als es irgendein Kommentar von Serdall hätte tun können. Wie sollten sie diese Situation klären, wenn Serdall nicht sagte, was er dachte? Aber eigentlich hatte er das schon getan, stellte Daniel zögernd für sich fest. Serdall hatte Daniel gesagt, was ihm gegen den Strich ging und das war in erster Linie sein Verhalten Kai gegenüber, obwohl Serdall ihm mehrmals gesagt hatte, dass er sich eigentlich wünschte, dass es überhaupt kein Verhalten Kai gegenüber mehr gab, weil er in Daniels Leben einfach keine Rolle mehr spielen sollte. Und trotzdem hatte Daniel sich über diesen Wunsch hinweggesetzt.
 

Daniel stand auf und ging unsicher zu Serdall hinüber. Er war nicht gut in solchen Situationen. Oft machte er alles noch schlimmer, aber es wäre wohl am Fatalsten, wenn er einfach nur dumm sitzen bleiben würde. Seufzend trat er neben Serdall und sah ebenfalls aus dem klaren Glas hinaus in das dichte Schneetreiben.
 

„Bereust du es?“, fragte er leise. „Bereust du, dass wir nach der ganzen Sache wieder so schnell zusammengekommen sind? Ich meine, ich habe dir nicht wirklich eine andere Wahl gelassen, oder?“, meinte Daniel zynisch und dachte an seinen Stunt mit dem aufgeschlitzten Handgelenk. „Ich will dich nicht verlieren“, fuhr er fort und holte für seine nächsten Worte einmal tief Luft. „Aber wenn du meinst, dass du irgendwie Zeit zum Nachdenken benötigst…“ Daniel stockte. Er wollte keine Auszeit. Wer wusste schon, was Serdall in der Zeit alles durch den Kopf gehen würde? „Ich will dich nicht ausnutzen. Die angestrebte Freundschaft mit Kai war so ein extremer Punkt, das ist mir jetzt auch klar geworden. Und wenn du sagst, dass ich es noch auf andere Art und Weise tue, weil ich zum dir zum Beispiel diese Zeit zum Nachdenken eigentlich nicht einräumen will…“ Daniel schwieg wieder und folgte mit seinen Augen starr den herunterfallenden Schneeflocken.
 

„Ich hab dir doch auch keine Wahl gelassen“, murmelte Serdall leise und verfluchte immer noch insgeheim Fei, der Daniel berichtet hatte, was er beabsichtigt hatte zu tun. Zaghaft fasste Serdall nach Daniels Hand und nahm sie in seine. Kurz strich Daniel mit dem Daumen über seinen Handrücken. Allein bei dieser Berührung wurde Serdall wohler und er fühlte sich nicht mehr so schrecklich bescheuert. „Aber ich bereue es schon ein wenig“, meinte er vorsichtig und sah weiterhin starr hinaus. „Eine Auszeit halte ich jedoch für total idiotisch. Ich liebe dich und ich habe mich für dich entschieden, trotz der ganzen Sache, nur“, Serdall stockte leicht und sein blaugrünen Augen wanderten unstet über den Balkon vor sich, „bin ich unsicher. Was siehst du in mir, was in Kai? Warum ist er dir nur so verdammt wichtig?“ Er seufzte leise und drehte sich leicht, sodass nun seine Schulter gegen die Glastür lehnte und er Daniel ansehen konnte.
 

„Ich frage mich die ganze Zeit, was du an mir vermisst, was er dir womöglich geben könnte und komme nur zu den Punkten, die er vorhin ausgesprochen hat. Der Sex und deine Freizeit, die du fast immer bei mir fristest. Ich kann nicht alles an mir ändern…“, meinte er halblaut und schloss die Augen. Er wollte nicht, dass Daniel unzufrieden war, dass er sich unwohl oder schlecht mit ihm fühlte. Das Einzige, was er wollte war, dass sein Freund glücklich war, wenn das mit Serdall nicht ging… Oh, Serdall wollte sich das gar nicht ausmalen.
 

Allein diese kleine Berührung ihrer Hände ließ Daniel wieder etwas Kraft schöpfen. Andererseits wurde er auch dadurch auch ziemlich sentimental und konnte nichts dagegen tun, dass eine Träne seine Wange hinunterlief. Schnell wandte er das Gesicht ab und tat so, als würde er seinen Blick durch eines der anderen Fenster schweifen lassen, damit Serdall das nicht sah.
 

„Du sollst auch gar nichts an dir ändern“, meinte Daniel mit versucht fester Stimme. „Du bist der Mann, den ich liebe, gerade durch deine Art und wohl auch durch deine Macken. Ich kann mir nicht vorstellen, dich wieder zu verlassen. Kai ist… war jemand zum Spaß haben. Ich weiß, dass du dich nicht in allem ändern kannst. Das kann ich ja auch nicht. Kai war wohl irgendwie das, was mir bei dir fehlte“, gestand Daniel ehrlich. „Recht locker und eben auch jemand, der in Diskos geht und Party macht. Jedoch wiegt das in keinster Weise das auf, was ich an dir habe. Es ergänzt es höchstens. Deswegen habe ich wohl auch darauf bestanden, dass wir ihn besuchen gehen.“
 

Serdall versuchte die hochkochende Wut in sich niederzuringen und ballte seine freie Hand zur Faust. Es gab keinerlei Grund zur Panik. Daniel hatte sich für ihn entschieden und Kai war… Serdall verzog grimmig das Gesicht. Kai war genau das, wonach sich Daniel wohl gesehnt hatte. Serdall schüttelte wirr den Kopf. Nein, danach würde sich Daniel nicht sehnen, oder? Gut, er wusste, dass Dustin für Daniel wohl einen ähnlichen Stellenwert hatte, dass sein Schwager locker war, eben ein simpel gestrickter Mensch, der das Leben genoss und sich nicht zu viele Gedanken um die Zukunft machte. Aber Dustin war nicht wie Kai. Kai war ein Drogendealer und immer noch in Daniel verliebt.
 

„Und du willst immer noch seine Freundschaft“, stellte Serdall leise fest. Er sah wieder zu Daniel, der noch starr aus dem Fenster blickte, die Augen leicht feucht. „Du willst diese Freundschaft insgeheim immer noch, auch wenn du es jetzt abstreiten wirst, um mich zu besänftigen“, konstatierte er leise und löste seine Hand von Daniels, um einen Schritt von ihm fortzugehen, ehe er sich umwandte und wieder auf ihr Bett setzte, da er langsam seinen Beinen nicht mehr traute. Kurz schloss Daniel die Augen und atmete einmal tief durch.
 

„Ja“, antwortete er dann ehrlich. „Irgendwie schon. Wenn er so ist wie heute, dann kann ich mit gutem Gewissen mit nein antworten, aber wenn er irgendwann wieder von seinem Trip runterkommt, dann schon. Ich will nichts weiter mit ihm machen, als um die Häuser zu ziehen, eben mal in irgendeine Kneipe zu gehen, etwas zu tanzen, was weiß ich. Ich weiß, dass du das nicht magst und will nicht, dass du dich dazu zwingst, nur damit ich zufrieden bin. Allein ist es aber eben ziemlich langweilig und öde. Aber vielleicht könnte ich einfach Dustin mal fragen. Ich weiß nicht.“ Irgendwie wusste er gerade gar nichts mehr.
 

Serdall nickte abgehackt. Tief in ihm drin hatte er sich gewünscht, dass Daniel es abstritt, dass er auf ihn zukommen würde, ihn einfach in die Arme schloss und sagte, dass Kai total egal war. So kann man sich irren, dachte er bitter und schluckte an dem Knoten, der sich in seine Luftröhre schnüren wollte. Er richtete seine Augen auf den Boden, als er sich schwer mit den Ellen auf seine Oberschenkel stützte. Die Hände knetend suchte Serdall nach Worten.
 

„Daniel“, meinte er ernst, „ich kann das so nicht mehr.“ Serdall hob das Gesicht an und sah zu seinem Freund. „Vielleicht ist es doch besser, wenn wir eine kurze Pause einlegen, in der wir uns beide darüber klar werden, was wichtig ist.“ Einmal tief durchatmend wandte er den Blick ab, als Daniel ihn entsetzt ansah. „Ich komme einfach nicht mit dem Gedanken klar, dass dieser Kai dir irgendetwas bedeutet, okay?“, meinte er leise und strich sich fahrig durch die noch zu langen, schwarzen Haare. „Wir legen eine Pause ein. Du kannst hier weiter wohnen, nur bitte ich dich in deinem Zimmer zu schlafen, bis das geklärt ist.“
 

Nicht verstehend schüttelte Daniel den Kopf. Eben hatte Serdall noch gesagt, dass er keinesfalls eine Auszeit wollte und jetzt das. Kälte schien sich in Daniel auszubreiten und er hatte Mühe richtig zu atmen.
 

„Da ist nichts zwischen Kai und mir“, versuchte Daniel verzweifelt die Situation doch noch rumzureißen. „Soll ich dich anlügen und sagen, dass mir Kai total egal ist, wenn ich in ihm eben doch in normalem Zustand sowas wie einen Kumpel sehe? Aber er ist nur jemand, mit dem man mal abends weggehen kann, nicht mehr. Verdammt, wenn es das ist, was dich stört, dann sehe ich ihn nie wieder. Vielleicht geht Dustin wirklich mit mir am Wochenende auf Tour oder ich frage irgendwen von meinen Kommilitonen, die mir über den Weg laufen.“
 

Serdall schüttelte den Kopf.
 

„Ich weiß, dass zwischen dir und Kai nichts mehr ist“, meinte er leise und fuhr sich erneut durch die schwarzen Haare. Daniel schien absolut nicht zu sehen, worum es Serdall ging. „Denk die Tage einfach einmal darüber nach. Über uns, die ganze Sache und dann werden wir sehen. Ich brauch jetzt wirklich ein bisschen Zeit für mich, in der ich ohne dich ein wenig klarer werden kann. Vielleicht ist es auch genau das, was du brauchst“, sagte er laut und gefasster, als er innerlich war. „Von mir aus triff dich auch mit Kai oder was weiß ich. Hauptsache du machst keine Dummheiten“, entgegnete Serdall seinem Freund und legte leicht den Kopf schief. „Und jetzt lass mich bitte allein“, befahl er Daniel und richtete dabei wieder seine Augen auf seinen Freund.
 

Fassungslos schüttelte Daniel den Kopf. Es war gerade wieder alles gut gewesen, dann kam schon wieder der nächste Störfaktor, dieses Mal in der Gestalt von Kai. Was war nur momentan los zwischen ihnen? Was genau fand Serdall so schlimm, dass er sich kurzzeitig von ihm trennte? Was genau hatte Daniel nicht mitbekommen? Serdalls stechender Blick ließ ihn schließlich wirklich umdrehen und das Zimmer verlassen. Immer noch ungläubig starrte er auf die nun wieder geschlossene Tür, bevor ihn die Trauer überwältigte. Ohne Halt liefen Daniel nun die Tränen über das Gesicht, doch er unterdrückte jeden Laut, während er die Treppe hinunterging.
 

Er wusste nicht, was er machen sollte, in so vieler Hinsicht. Erst einmal hatte er keine Ahnung, wie er die Sache mit Serdall wieder hinbiegen sollte. Das war wohl die Schlimme von allem. Außerdem hatte er keine Ahnung, ob er gehen oder bleiben sollte. Er könnte es nicht ertragen, wieder so lange gänzlich von Serdall getrennt zu sein, andererseits war es für ihn genauso unerträglich, ihn in dieser Situation jeden Tag zu sehen und neben ihrem Schlafzimmer allein in seinem eigenen Raum zu liegen. Schwer lehnte Daniel sich unten im Flur gegen die Wand und lehnte seinen Kopf gegen die kühle Tapete. Was sollte er nur machen?
 

„Daniel?“ Dustin legte nachdrücklich eine Hand auf die Schulter des Schwarzhaarigen. Er kam gerade mit Ethan aus dem Wohnzimmer. Mit einem Kopfnicken bedeutete er seinem Freund nach oben zu gehen, was der Rothaarige nach einem kurzen Kuss auf Dustins Wange auch tat. Seufzend schlang Dustin einen Arm um Daniels Taille und führte ihn ins Wohnzimmer, wo sie im Moment ungestört sein würden. „Was ist denn los?“, fragte er Daniel, als er sie zum Sofa geführt hatte.
 

„Ich weiß es nicht“, erwiderte Daniel leise und erstickt. Erschöpft lehnte er sich an Dustin und krallte sich Halt suchend in dessen Pullover, als sie sich hingesetzt hatten. Er war so froh, dass Dustin mal wieder genau im richtigen Augenblick gekommen war. Ab und an fragte er sich, woher er dieses Gespür hatte, aber dass er es besaß, verschaffte Daniel mal wieder pure Erleichterung. Er brauchte jetzt jemanden zum Reden, jemanden, der Serdall kannte und die Situation zumindest in Ansätzen nachvollziehen konnte.
 

Dustins Augenbrauen zogen sich nachdenklich zusammen. Warum war Daniel denn so aufgelöst? Ein schrecklicher Gedanke kam ihm, als er an das Gespräch von Serdall am heutigen Morgen dachte, doch er versuchte ruhig zu bleiben, um Daniel nicht noch mehr aufzuregen.
 

„Ist was mit Serdall?“, versuchte er eine Unterhaltung in Gang zu bekommen. Beruhigend strich Dustin durch Daniels Haare und über seinen Rücken. Daniel seufzte, holte zittrig Luft und nickte dann. Er wischte sich so gut wie möglich die Tränen aus den Augen und versuchte sich zu beruhigen. Mal wieder sagte er sich, dass er viel zu nahe am Wasser gebaut war und dass es niemandem half, wenn er Badewannen vollheulte.
 

„Er braucht eine Auszeit“, erklärte Daniel.
 

„Wovon?“, fragte Dustin sofort perplex, als es ihm bei Daniels Blick wie Schuppen von den Augen fiel. „Eine Beziehungspause?“, fragte er überrascht und schüttelte ungläubig den Kopf. „Warum denn das? Wegen diesem Kai?“
 

„Ich weiß es nicht“, meinte Daniel ziemlich verzweifelt und vergrub seinen Kopf in den Händen. „Ich dachte es erst, aber scheinbar liege ich da zumindest teilweise vollkommen falsch. Da ist irgendwas, was ihn stört, aber ich habe keine Ahnung, was genau es ist. Und bis ich das nicht herausgefunden habe…“ Daniel schwieg. Den Rest konnte Dustin sich wohl denken. Dustin verzog abschätzig den Mund. Sowas war nicht Serdalls Art und das verhieß schon nichts Gutes.
 

„Dann solltest du mal scharf nachdenken“, rutschte es Dustin versehentlich etwas zu scharf heraus und er biss sich auf die Lippe. Das war jetzt wirklich kein angebrachter Kommentar gewesen. „Daniel“, flüsterte er versöhnlicher, „meinst du nicht, dass es nötig ist, dass ihr euch etwas zurücklehnt und die ganze Sache mit Fei mal verarbeitet? Serdall hat dich, ganz gegen seine Art, wieder zu sich genommen. Wenn er so gehandelt hätte, wie er seine Prinzipien hält, hätte er dich eigentlich nie mehr angucken dürfen. Sei doch froh, dass er sich die Mühe mit dir macht, auch wenn du schon wieder unmögliche Dinge von ihm verlangt hast, wie es scheint. Meiner Meinung ist es vielleicht gar nicht schlecht, dass du dir mal darüber klar wirst, was die letzten Wochen eigentlich geschehen ist.“
 

„Falsch!“, zischte Daniel aufgebracht. „Ich weiß verdammt nochmal sehr gut, wie beschissen ich mich verhalten habe und was ich Serdall damit angetan habe. Wir hatten das geklärt, es war wieder alles gut. Was jetzt anders war ist einfach, dass ich Kai wieder ins Spiel gebracht habe. Aber das scheint es eben nicht zu sein, was Serdall in erster Linie zu stören scheint. Außerdem habe ich keine Ahnung, zu was für Gedanken und Schlüssen Serdall während dieser Trennungsphase kommt.“ Aufgebracht fuhr sich Daniel durch die Haare und sah Dustin dann scharf an. „Du weißt was“, stellte er fest. „Dein Kommentar eben, dass ich scharf nachdenken soll, lässt das mehr als vermuten. Was übersehe ich?“
 

Dustin schüttelte den Kopf.
 

„Du weißt wohl mehr als ich“, meinte er halblaut und zuckte kurz mit den Schultern. „Serdall hasst Kai einfach, was wohl eindeutig berechtigt ist, oder nicht? Und ich verstehe auch diese Auszeit, weil er wohl nicht darüber fertig werden kann, dass du immer noch an diesem Kai hängst. Er ist heut morgen regelrecht ausgerastet, als wir miteinander gesprochen haben. Ehrlich, Daniel, es ist wirklich unfair von dir, Kai überhaupt noch zu erwähnen. Du weißt doch wie emotional Serdall ist.“
 

„Ich habe ihm gesagt, dass ich mit Kai nichts mehr zu tun haben werde, aber das ist ihm auch nicht recht. Im Gegenteil. Er hat mich sogar aufgefordert, dass ich ihn während unserer Auszeit ja besuchen könnte“, begehrte Daniel auf, wobei er dachte, dass zumindest der letzte Punkt eher ironisch gemeint war. Wenn Serdall wirklich gegen Kai war, war wohl das Letzte, was er wollte, dass Daniel ihn weiterhin sah, oder?
 

Ungläubig schüttelte Dustin den Kopf. Daniel war gerade ziemlich stur.
 

„Wahrscheinlich weiß er einfach, dass du eigentlich doch gern mit Kai befreundet sein möchtest? Vielleicht ist es ja das, was ihn so verletzt?“, fragte Dustin schneidend und sah Daniel ernst in die Augen. „Und Serdall hat es vielleicht ernst gemeint, dass du zu Kai gehen solltest. Wahrscheinlich wird dir dann klar, was du an Kai und was du an Serdall hast. Ich glaube fast, dass Serdall möchte, dass du mal in dich horchst, was du für Kai wirklich empfindest. Er will alles, aber nur nicht, dass du irgendwie unglücklich bist.“
 

Daniel ließ ein Geräusch halb Schrei und halb Stöhnen hören, bevor er Dustin einen wütenden Blick zuwarf.
 

„Ich empfinde nichts für Kai!“, rief er aufgebracht. „Warum denkt ihr alle, ich würde irgendwas für ihn empfinden? Ich sehe in ihm nicht mehr als vielleicht einen Kumpel, mit dem man am Wochenende mal in die Disko gehen kann. Das war es! Genauso wenig wie mich Serdalls Familie stört, macht es mir jetzt was aus, dass Kai Drogen verkauft. Klar ist das scheiße, aber es ist seine Entscheidung und er muss damit klarkommen. Zwischen mir und ihm wird nie wieder was sein. Wenn es die Tatsache ist, dass ich mit ihm geschlafen habe oder dass er so eine Scheiße gemacht hat, um mich nicht wieder zu verlieren, dann lasse ich das mit ihm, aber ich scheine es keinem Recht machen zu können und keiner trifft eine klare Aussage, damit ich überhaupt weiß, was ich tun muss, um mich zu bessern!“
 

Freudlos lachte Dustin auf und konnte Daniel nur abschätzig in die Augen sehen. Er atmete einmal tief durch und konnte dann nur mit den Schultern zucken.
 

„Wenn alles so einfach und unkompliziert wäre, müsste Serdall sich ja nicht dazu gezwungen fühlen, eine Pause mit dir einzulegen oder?“, fragte er zischend und verschränkte die Arme. „Wenn es aber umgekehrt wäre, wenn Serdall sich eine Freundin suchen würde, mit der ins Konzert oder Theater geht, dann wäre die Hölle los, wie ich dich kenne. Besonders dann, wenn Serdall sogar schon mal mit dieser Frau geschlafen hätte, obwohl ihr zusammen wart.“ Dustin stand kopfschüttelnd auf und sah zu Daniel.
 

„Scheiße, seit wann verstehst du denn Al nicht mehr? Er hat für dich alles getan, sogar Louise endlich losgelassen und so willst du es ihm danken? Mit einer Freundschaft zu der Person, die Serdall wohl im Moment am meisten verachten muss? Klar sagst du jetzt, dass du diese Freundschaft lassen könntest, aber das hätte dir verdammt nochmal auch eher einfallen können, oder? Bevor du mit Serdall diesen Typen besuchen musstest und Serdall mit dem ganzen Mist nochmal konfrontierst“, zischte Dustin wütend. Er tippte Daniel gegen die Brust. „Serdall hat dir verziehen, du hättest im Gegenzug den Kontakt zu Kai abbrechen können. Hast du nicht. Das war scheiße“, erklärte Dustin energisch und schüttelte wieder den Kopf. „Und dass ich dir das erst einbläuen muss zeigt auch, dass du dir mal wieder alles viel zu einfach gemacht hast.“
 

Daniel sah Dustin nur ziemlich sprachlos an. Seine Gedanken fuhren gerade Achterbahn während er versuchte, das Alles zu verarbeiten. Erschöpft lehnte er sich in die Polster zurück.
 

„Ich war fertig, nachdem Serdall mich von Kai weggeholt hatte“, versuchte Daniel sich Dustin und auch sich selbst gegenüber zu erklären. „Und ich war total erleichtert, als sich dann doch wieder alles eingerenkt hat. Ich weiß nicht, nach dem klärenden Gespräch mit Serdall habe ich wohl gedacht, dass ich jetzt alles haben könnte. Die Sache mit Kai war für mich irgendwie gegessen. Keine Ahnung. Irgendwie habe ich nicht wirklich wahrgenommen, wie schlimm das für Serdall sein muss.“ Daniel schloss frustriert über seine eigene Blindheit die Augen.
 

„Mir würde es nichts ausmachen, wenn Serdall abends in Begleitung weggeht, wenn es beispielsweise Yoshiko wäre. Ich weiß, dass ich bei den beiden nicht zu befürchten habe und ihnen in der Hinsicht vertrauen kann, aber wenn eben doch was gewesen wäre… Du hast recht, ich würde es nicht wollen. Es ist schön, wenn Serdall jemanden hat, mit dem er seine Interessen teilt, die er mit mir nicht teilen kann, aber es gibt eben Grenzen.“ Tief atmete Daniel durch und sah Dustin dann verzweifelt an. „Trotzdem weiß ich nicht, was ich machen soll. Ich weiß nicht, was er von mir erwartet, auch wenn das alles irgendwann richtig in meinen Schädel gedrungen ist.“
 

„Serdall hat deswegen ein wenig bereut, dass er dir so früh alles verziehen hat“, murmelte Dustin leise, mehr zu sich selbst, als zu Daniel. Weil Daniel eben nicht eingesehen hatte, was es wirklich in seinen Augen bedeutet hatte. Vielleicht war es auch der Entzug, der Daniel das nicht so richtig realisieren lassen hatte und Serdall hatte einfach nicht mit ansehen können, wie Daniel vielleicht einfach wieder zu Kai rannte, nur um erneut an Drogen zu gelangen. Denn das wäre hundertprozentig der Fall gewesen, wenn Serdall nicht gleich eingelenkt hätte. Er biss sich kurz auf die Lippe und sah nachdenklich zu dem Schwarzhaarigen.
 

„Ich kann dir leider auch nicht sagen, was er erwartet. Du liebst ihn, wenn du es wirklich tust, dann wirst du auch das Richtige tun, wenn es drauf ankommt. Vorerst denk ich aber, dass du diese kleine Pause als Strafe dafür sehen solltest, dass du so einen Mist verzapft hast.“ Dustin ging wieder zu Daniel und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Glaub mir, Serdall braucht auch ein wenig Zeit zum Nachdenken. Auch wenn ihm ein paar dumme Gedanken kommen werden, er liebt dich viel zu sehr, als dass er dich ganz gehen lassen könnte und das weißt du.“ Plötzlich begann Dustin leicht zu lächeln und setzte sich neben Daniel. „Aber spätestes nach drei Tagen ist genug der Auszeit und du solltest dir bis dahin was überlegt haben. Er erwartet wohl, dass du auf ihn zukommst, nur wäre zu früh ziemlich schlecht und würde nur Streit provozieren“, überlegte Dustin laut und beobachtete Daniel von der Seite.
 

Daniel konnte das Lächeln nicht wirklich erwidern. Drei Tage waren drei Tage zu viel, aber er sah ein, dass es in der jetzigen Situation wohl tatsächlich das Beste wäre. Sowohl er als auch Serdall mussten sich wohl über ein paar Dinge klar werden.
 

„Vielleicht hast du Recht, dass er mich nicht gehen lassen wird. Ich hoffe es zumindest, dass seine Gedanken nicht wieder in negative Richtungen abschwenken. Trotzdem nimmt mich das Ganze ziemlich mit und ich weiß ehrlich gesagt nicht, wo ich in der Zeit hin soll. Einerseits möchte ich nicht nach Hause gehen, weil mir die Distanz viel zu groß wäre, aber in meinem Zimmer direkt Wand an Wand mit ihm halte ich auch nicht aus.“ Daniel sah auf die große Couch rechts von ihnen. „Ich glaube, ich richte mich einfach hier häuslich ein oder so.“
 

Dustin seufzte tief.
 

„Du bist ein ganz schöner Feigling“, murrte er leise und legte wieder einen Arm um Daniels Schultern. „Aber ich glaube es würde euch beiden wohl leichter fallen die drei Tage durchzuziehen, wenn euch eine Etage trennt. Schlaf doch in Ethans Zimmer. Er überlässt dir das sicher für die Nacht, wenn du magst. Ethan schläft sowieso immer bei mir“, meinte er mit einem versauten Grinsen und dachte schon rollig an die heutige Nacht. Plötzlich hörte man Schritte auf der Treppe, bevor Taki kurz hereingestürmt kam.
 

„Onkel Dustin, ich soll sagen, dass wir zu Mama fahren und dann Essen“, versuchte der Kleine so zu erklären, dass man sie nicht für das Abendbrot einplanen sollte. Dustin nickte und sah kurz zur Tür, in der Serdall schon in seinem Mantel stand. Taki lief wieder auf ihn zu und zog seine Schuhe an, während Serdalls Augen kurz an Daniel hingen blieben, ehe er sich abwandte und die Wohnzimmertür hinter sich zuzog. Die Haustür klappte und kurze Zeit später hörte man Serdalls Wagen aufbrummen und die Einfahrt herunterfahren.
 

„Ich glaube, dass du Serdall die nächsten Tage nicht viel in der dritten Etage antriffst“, meinte Dustin entschieden und zog eine Augenbraue nach oben. Serdall würde diese Auszeit wohl ziemlich ernst nehmen.
 

Nickend wandte Daniel seinen Blick von der Tür ab, aus der Serdall schon lange verschwunden war. Er wollte es am liebsten nicht zugeben, aber es hatte wehgetan, dass Serdall ohne wenigstens ein Wort des Abschieds gegangen war. Genauso wie sein Blick, der so unergründlich auf ihm gelegen hatte. Ob Serdall es schlimm fand, dass Daniel mit Dustin geredet hatte? Letzten war es ihm gegen den Strich gegangen, aber da ging es um Gespräche, die er eben nicht mit Serdall selbst führte und das hier war eines, bei dem noch nicht mal im Geringsten die Option bestand, das Thema mit seinem Freund zu diskutieren. Konnte man noch sagen, sein Freund? Sie waren noch zusammen, aber dann eben doch nicht. Stöhnend rieb Daniel sich die Schläfen. Es ging ihm außerdem gegen den Strich, dass Serdall genau jetzt zu seiner verstorbenen Frau fahren musste. Er besuchte ihr Grab regelmäßig, oft auch mit Taki oder eben allein, aber Daniel war sich ziemlich sicher, dass Serdall diesen Zeitpunkt bewusst ausgesucht hatte. Ob er ihm damit wehtun wollte, ob er sich davon Trost versprach oder was auch immer, konnte Daniel nicht sagen. Er sah Dustin wieder an.
 

„Ich weiß nicht, ob ich so begeistert bin, euch im Nebenraum zu hören, wenn ich in Ethans Zimmer schlafe“, murrte er und versuchte seine Gefühle damit zu überspielen.
 

„Du könntest auch Yoshiko fragen und mit ihr für die Tage tauschen“, meinte Dustin schulterzuckend und legte den Kopf schief. Er wusste, dass Ethan nicht leise sein konnte wenn sie Sex hatten und da sie Sex haben würden, konnte er Daniel verstehen.
 

„Oder aber du schläfst in deinem Zimmer und zeigst Serdall, dass du mit dieser Pause umgehen kannst und nicht wieder wegläufst und vor ihm flüchtest“, überlegte Dustin laut und war von diesem Gedanken eigentlich ziemlich angetan. „Dann sieht er wenigstens, dass du keine Angst vor ihm und auch keinerlei Befürchtungen hast, dass eure Beziehung keine Hoffnung hat.“
 

„Ich habe keine Angst vor ihm“, grummelte Daniel. „Allerdings sind die Befürchtungen eben da. Du kennst ihn doch. Sobald man Serdall allein lässt fängt er an, alles und jeden infrage zu stellen. Ich weiß nicht, wie extrem es jetzt noch ist, weil es doch etwas länger her ist, seit wir in dieser Situation waren und bei Fei war ohnehin alles anders. Nur nimmt mich das alles eben ziemlich mit und in meinem Zimmer zu liegen, wenn ich genau weiß, dass er nebenan schläft. Wobei… Wenn ich hier unten schlafe, werde ich denken, dass Serdall ein paar Stockwerke über mir schläft, von daher… Ich glaube du hast recht. Es ist wohl egal, wo ich schlafe, die Gedanken bleiben.“
 

„Trotzdem denkt er, dass du irgendwie Angst hast“, murmelte Dustin halblaut und verzog leicht den Mund. Daniels Kampfgeist würde hoffentlich bald aus seinem Winterschlaf aufwachen. Aber erste Anzeichen gab es ja schon, dass dieser Wille noch existierte. „Es wäre einfach kindisch, wenn du ins Wohnzimmer umziehen würdest“, meinte er dann jedoch lauter und lehnte sich entspannt zurück. „Und irgendwie vertrau ich Serdall diesmal, dass er sich nicht einfach so extrem gehen lässt. Das hat er in den letzten Wochen wohl oft genug an Fei ausgelassen. Trennen kann er sich von dir nicht, sonst hätte er es längst getan. Aber“, Dustin beugte sich wieder ernst vor, „das heißt nicht, dass du es wieder auf die leichte Schulter nehmen darfst.“
 

„Nicht diesmal“, meinte Daniel fest. „Und auch nie wieder. Ich weiß, dass ich Mist gebaut habe und dank dir weiß ich auch langsam, aus welcher Richtung dieser Mist kommt. Ich hoffe, dass es tatsächlich nur drei Tage sind. Allerdings habe ich irgendwie Schiss, dass ich eben doch nicht den richtigen Moment abpasse, um mit Serdall zu reden und alles nach hinten losgeht.“ Seufzend ließ Daniel den Kopf hängen.
 

Nickend verschränkte Dustin seine Unterarme auf seinen Oberschenkeln und lehnte sich so vor.
 

„Meinst du nicht, dass du dein Gefühl dir sagen wird, wann Serdall dich braucht? Hast du darauf die letzten Tage mal geachtet? Serdall beobachtet? Ich sehe Ethan es an, wenn er etwas unbedingt möchte, wenn er etwas auf dem Herzen hat. Das hat was mit Aufmerksamkeit und Liebe zu tun. Ich glaube, das hat bei dir und Serdall ziemlich gelitten, denkst du nicht auch?“ Dustin war gerade über sich selbst verwundert. Er hätte vor zwei Jahren auch nie gedacht, dass er so über seine Beziehung mit Ethan reden würde. Glücklich begann Dustin wieder zu lächeln. Er war so froh, dass alles mit seinem Freund so wunderbar lief, auch wenn dass Daniel gegenüber gerade ziemlich gemein war, konnte er sich den Gedanken nicht verwehren.
 

Daniel schnaubte auf Grund von Dustins Lächeln. Toll, wenn er ihm demonstrieren musste, wie es in einer glücklichen Beziehung zu laufen hatte. Allerdings wusste Daniel, dass er Dustin damit Unrecht tat und ignorierte den glücklichen Gesichtsausdruck einfach.
 

„Du hast recht“, gab er seufzend zu. „Früher wusste ich wenigstens meistens, wenn etwas nicht gestimmt hat aber in letzter Zeit war ich da wohl ziemlich ignorant. Wobei das wohl zumindest ein wenig auf Gegenseitigkeit beruht hat.“ Daniel dachte an die vielen Dinge, über die er mit Serdall nicht geredet hatte, weil er mit negativen Reaktionen gerechnet hatte. „Wir müssen wohl echt sowas wie einen Neuanfang machen. Und jetzt“, Daniel stand abrupt auf, „lass uns Abendessen machen. Ich möchte ehrlich gesagt nicht in die Verlegenheit kommen, dass wir noch nicht fertig damit sind, wenn Serdall und Taki wiederkommen. Denn es ist wohl am besten, wenn wir uns erst mal nicht so häufig sehen."
 

Dustin nickte. Anscheinend hatte Daniel jetzt verstanden, worum es Serdall ging.
 

„Na dann mal los“, meinte er energiegeladen und zog Daniel mit sich in die Küche.

Es würde zwischen Daniel und Serdall schon alles wieder ins Lot kommen. Es war denkbar hirnlos, wenn sie sich nach alldem jetzt trennen würden.
 

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Langsam begann der Schnee millimeterdick liegen zu bleiben. Serdall hatte das Gefühl, dass der Friedhof seine triste Atmosphäre verlor, weil der Schnee zuckerartig über den Grabsteinen niederging und das Weiß unschuldig schien. Taki an seiner Hand sah sich wie immer ziemlich ehrfürchtig um. Er schien zu wissen, dass der Gang zum Grab seiner Mutter immer noch etwas Bedeutendes für seinen Vater war. Momentan war es Serdall einfach nur wichtig, seine Frau zu besuchen. Wegen Daniel. Er seufzte innerlich tief, als sie vor ihrem Grab standen. Es war schon lange für die Winterzeit hergerichtet. Wintergestecke und winterharte Pflanzen hatte er gesetzt, dennoch fand er die kalte Jahreszeit am widerlichsten. Seine Frau hatte Blumen geliebt und nicht irgendwelches Tannengrün. Seufzend hockte sich Serdall hin und legte einen Arm um seinen Sohn, der mit einem schmalen Lächeln zu dem Bild von Louise sah. Die Tränen waren schon vor Jahren versiegt, es blieb aber immer noch das grausige Gefühl des Verlustes. Taki wandte sich im nächsten Moment zu Serdall und vergrub seinen Kopf an seiner Schulter. Die Augen niederschlagend strich Serdall über den schwarzen Lockenschopf.
 

„Hey“, flüsterte er leise und befürchtete, dass Taki doch wieder weinte, doch sein Sohn sah ihn dann nur mit einem schiefen Lächeln an. Serdall erwiderte es und strich nachdrücklich über Takis Schopf, sodass seine Haare noch wüster aussahen als sonst immer.
 

Sie winkten zum Grab, als sie sich wieder aufmachten zu gehen. Antworten würde Serdall hier keine finden. Daniel und er mussten sich zusammenraufen. Wenn sein Freund das wirklich wollte, würden sie es auch schaffen.
 

Nach dem Essen beim Italiener war Taki schon reichlich müde. Schließlich war er noch ziemlich angeschlagen von seiner Erkältung und die Schule musste wohl auch anstrengend gewesen sein. Aber Taki ging es sonst gut. Sein Husten war auf ein Minimum zurückgegangen und sein Schnupfen war auch kaum vorhanden, auch wenn die Nase manchmal noch lief. Serdall musste ihn aus dem Auto tragen, weil er während der Rückfahrt eingeschlafen war. Umständlich befreite er seinen Sohn von seinen Schuhen, wobei Taki kurzzeitig noch einmal aufwachte.
 

Leise zog er die Tür von Takis Zimmer hinter sich zu, nachdem er ihn bettfertig gemacht hatte und Taki nun selig schlief. Serdall merkte, dass ihm diese Dinge mit seinem Sohn manchmal schon fehlten. Er hatte das Gefühl, dass Taki einfach viel zu schnell wuchs. Er wollte gar nicht wissen wie es war, wenn Taki dann dreizehn oder vierzehn war. Wann er seine erste Liebe heimbringen würde und so weiter. Tief seufzend strich sich Serdall über die Augen. Wieso flog die Zeit nur so schnell dahin? Entscheiden schüttelte Serdall den Kopf. Sowas musste ihm jetzt auch nicht durch den Kopf gehen.
 

Zurück in Daniel und sein Schlafzimmer gehend, fing Serdall an darüber nachzudenken, wie es mit seinem Freund und ihm weitergehen sollte. Er hatte gesehen, dass Dustin mit Daniel geredet hatte. Was dabei rausgekommen war, konnte er sich fast denken, aber das gefiel ihm auch nicht wirklich. Es schmerzte ihn schon, dass Daniel nicht von allein darauf kam, was er falsch gemacht, dass er sich Serdall gegenüber ungerecht verhalten hatte. Wie sonst sollte er es werten, dass Daniel ihm vorhielt, ihm nicht genug Beachtung zu schenken und dann selbst Serdall ein Messerstich nach dem anderen versetzte? Serdall hatte sich für Daniel zurückgenommen, hatte Taki am Wochenende alleine gelassen und war mit ihm weggefahren. Er sah es ja auch ein, dass er sich Daniel gegenüber schlimm verhalten hatte, dass er ihn einfach nicht beachtete, weil sein Sohn krank war.
 

Nachdenklich blickend begann Serdall sich auszuziehen. Nach einer Katzenwäsche im Bad kehrte er zurück ins Schlafzimmer und kroch müde unter die Decke auf seiner Bettseite. Er ignorierte es, dass ihm sofort Daniels Geruch in die Nase stieg. Es war schon seltsam, dass sie getrennt schliefen, doch so würde er wenigstens einmal ein wenig Abstand von den ganzen Dingen bekommen und besonders von Daniel. In letzter Zeit hatte er sich einfach so gefühlt, als ob Daniel ihn einfach um den kleinen Finger wickelte. Ein Blick hatte gereicht und Serdall hätte ihm alles erfüllt. Nicht, dass es sonst anders gewesen wäre, aber gerade nach der Sache mit Kai befürchtete Serdall, dass Daniel all das, was er für ihn getan hatte, falsch verstand. Wie sonst hatte Daniel es als fast selbstverständlich sehen können, dass er noch mit Kai befreundet sein könnte? Es war einfach zu schnell gegangen, gestand sich Serdall ein. Er hatte Daniel viel zu viel in der kurzen Zeit verziehen. Jedoch war er da auch selber Schuld dran. Er hatte es gewollt, dass alles so schnell wie möglich wie früher wurde, was sich als Fehler herausstellte.
 

Er konnte eben nicht so einfach damit umgehen, wie er es sich vielleicht gedachte hatte, besonders dann nicht, wenn Daniel immer noch an diesem Kai hing. Daniel hatte ihn betrogen. Das war das Schlimmste, was Daniel ihm gegenüber hatte tun können. Und Serdall bezweifelte, dass Daniel ständig high gewesen war. Irgendwann ließ eine Droge auch mal nach und genau dann hätte Daniel die Notbremse ziehen müssen, doch das hatte er nicht getan und wieder weitergemacht. Serdall zog die Decke enger um seinen Körper, als ein eisiger Schauer über seine Haut rann und eine Gänsehaut prickelnd folgte. Allein Daniels aufgelöster Zustand und die Situation, in der sie sich befanden, hatte Serdall besänftig. Trotzdem belastete ihn das Ganze noch viel zu sehr und wenn sie sich nicht endlich wirklich darüber aussprachen, würde es immer irgendwo in Serdalls Kopf rumlungern.
 

Ja, Daniel hatte geschworen ihn nie wieder zu betrügen, aber war die Freundschaft zu Kai nicht das Mieseste, was Daniel ihm antun konnte? Und das war der Punkt, der Serdall so störte. Er hatte Kai sogar ins Bein geschossen um zu verdeutlichen, wie sehr ihn allein die Existenz von diesem Mann schmerzte. Was tat Daniel? Er wollte sogar wieder zu ihm gehen, um zu sehen wie es ihm ging. Das war das erste Mal, wo Serdall glaubte, dass Daniel den Ernst nicht sah, der hinter der Tat steckte. Nicht den Ernst, dass er einen Menschen angeschossen hatte, sondern den Ernst, dass Serdall zu solchen Mitteln griff, weil sein Freund schon wieder in der Uni mit Kai in Kontakt getreten war. Serdall hatte es Daniel gegenüber oft genug gesagt, was er von Kai hielt, doch sein Freund hatte immer noch den Wunsch verspürt, diesen Mann wiederzusehen. Wenn Serdall ehrlich war, fühlte er sich schlichtweg verarscht und vielleicht sah das Daniel auch endlich mal ein.
 

Sich hin und her wälzend versuchte Serdall Schlaf zu finden, doch erst Stunden später ließ der Gedankenstrom in seinem Kopf nach und schien endlich die Güte zu haben, Serdall seine Ruhe zu gönnen.
 

Ende Kapitel 25



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Allmacht
2007-12-19T11:06:34+00:00 19.12.2007 12:06
Tja, hier hat sich Daniel als vollkommener Idiot herausgestellt.
Also ich selbst wär mit Kai nicht mehr befreundet.
Hoffentlich sieht das Daniel ein.
Von: abgemeldet
2007-12-18T20:49:55+00:00 18.12.2007 21:49
Die Aktion mit Kai war wirklich doof von Daniel.
Es war doch offensichtlich , dass das nach hinteln los geht.
ich persönlich würde nciht nochmla mit dem Typen zusammenkommen , kai ist doch einfach ein Arsch!


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