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Die Magie der Musik 2

Die Fürsorge eines Bruders
von

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Kapitel 3
 

Apathisch blickend saß Serdall auf seinem Bett. Er hatte das kurze Klopfen gehört, doch er war nicht gewillt, die Tür zu öffnen. Wenn es Taki war, würde er hereinkommen. Aber dieses Klopfen war nicht von seinem Kleinen. Taki klopfte ungeduldiger und nicht so zaghaft. Serdall wollte einfach nur noch seine Ruhe. Er fühlte sich so bescheiden und verdammt einsam ohne Daniel. Er musste irgendwie einen Weg finden, wie er Fei dazu bringen konnte, wieder nach Japan zu gehen, ohne dass er Yoshiko heiraten musste. Serdall ließ sich rücklings auf das Bett fallen. Sein Bruder hatte vorhin an alles gedacht. Er hatte ihm sogar sein Handy abgenommen und ihm verboten, ohne ihn oder Kikuchi das Haus zu verlassen! Gefangen in seinem eigenen Haus, dachte Serdall sich wütend und starrte die Decke böse an. Noch heute Morgen hatte er mit Daniel auf diesem Bett Sex gehabt, jetzt lag er hier alleine und kämpfte mit Kopf- und Magenschmerzen.
 

Verkrampft rollte er sich auf die Seite und zog die Beine eng an seinen Körper. Er vermisste Daniel so furchtbar sehr und der Gedanke, dass er ihn vielleicht nie wieder sehen würde, machte ihn fast wahnsinnig. Hass auf Fei machte sich langsam in seinem Inneren breit. Fei wollte ihn wirklich zwingen zu heiraten. Er erpresste ihn damit, Daniel zu töten, wenn er es nicht tat. Verzweifelt legte Serdall eine Hand über die Augen. Das machte ihn mehr fertig, als alles andere. Daniel könnte sterben, wenn er einen Fehler machte.
 

Erneut klopfte Yoshiko kurz an die Tür. Sie glaubte nicht, dass Serdall schon schlief. Sie waren erst vor kurzem in ihre Zimmer gegangen und so aufgewühlt, wie er nach dem Gespräch mit seinem Bruder war, würde Serdall bestimmt noch lange keine Ruhe finden. Folglich wollte er ihr Klopfen nicht hören. Trotz ihres aufgeregt schnellen Pulses drückte sie betont ruhig die Klinke hinunter. Serdall lag zusammengerollt auf seinem Bett. Das schlechte Gewissen machte sich in Yoshiko breit. Sie sollte diese Situation nicht ausnutzen. Allerdings wäre es so vielleicht auch leichter für Serdall, über seine wohl verlorene Liebe hinwegzukommen.
 

„Hast du mich nicht gehört?“, fragte sie mit leiser, melodischer Stimme, als sie behutsam die Tür hinter sich schloss. Das Erste, was sie gemacht hatten, als sie sich vorgestellt worden waren, war zur vertrauten Anrede zu wechseln. Es war nur der äußere Schein, der dadurch für alles Kommende positiver gemacht wurde, doch das schien niemanden zu stören.
 

Serdall blieb liegen, sah nicht zu Yoshiko. Konnte diese Frau ihn nicht wenigstens noch heute in Ruhe lassen? Er hieß ihre Gesellschaft im Moment nun wirklich nicht willkommen.
 

„Ich möchte meine Ruhe haben. Geh, Yoshiko“, wies er sie kalt an und setzte sich nun doch auf, um ihr eisig entgegen zu blicken. Auch wenn sie sich augenscheinlich hübsch für ihn gemacht hatte, interessierte ihn dies nicht im Geringsten. Wut und Hass zogen sich langsam durch seinen ganzen Körper und er verhehlte diese Gefühle nicht, als er sie aus seinen blaugrünen Augen ansah.
 

Emotionslos sah Yoshiko zurück und ließ sich in keinster Weise von der geballten Ladung Ablehnung, die ihr entgegen geworfen wurde, abschrecken. Stattdessen setzte sie sich leicht auf der anderen Seite des Bettes nieder und sah Serdall forschend an. Es war klar, wie er sich fühlte. Seine Augen zeigten deutlich das Gefühlschaos in seinem Inneren, die Verwirrung, die Angst, die Resignation. Seufzend ließ sie ihre steife Haltung ein wenig fallen und machte es sich ein bisschen bequemer. Sie hatte nicht wirklich damit gerechnet, aber Serdalls Haltung beseitigte auch noch die letzten Zweifel, dass heute Nacht in diesem Raum nichts geschehen würde.
 

„Du vermisst ihn jetzt schon, hab ich Recht?“, fragte sie leise, wobei sie ihren Blick nach draußen aus dem Fenster wandte, wo ein Vogel schnell an der Straßenlaterne vorbei flog.
 

Schluckend wandte Serdall sein Gesicht von der Frau ab. Hatte er wirklich vorhin gesagt: von meinem Freund? Bisher hatte noch kein anderer als der engste Bekanntenkreis von ihm und Daniel erfahren. Yoshiko darüber sprechen zu hören, dass er Daniel vermisste, ließ ihn noch wütender werden.
 

„Du hast keine Ahnung“, sagte er tonlos und verschränkte die Arme. Er wollte seine Ruhe haben.
 

„Nein, wohl nicht“, meinte sie schlicht und wandte ihren Blick immer noch nicht vom Fenster ab. „Vielleicht hilft es dir ja zu wissen, dass ich mir die Situation auch nicht ausgesucht habe. Es ist berechtigt, dass du wütend und enttäuscht bist, aber du solltest darauf achten, an wem du diese Gefühle auslässt.“
 

„Tja“, zischte Serdall leise. „An dich wäre jedes Gefühl eine Verschwendung.“ Er musste es sich nicht bieten lassen, von ihr auch noch zurechtgewiesen zu werden. Sie würde wieder nach Japan gehen können, wenn diese Hochzeit nicht stattfand. Wenn sie aber stattfand, würde er den Menschen verlieren, den er mehr als sich selbst liebte. Du hast ihn schon verloren, dachte Serdall sich verzweifelt. So sah nun mal die momentane Lage aus. Er hatte keine Wahl. Er musste Yoshiko heiraten, ansonsten würde Fei Daniel töten. Und wenn er Yoshiko als Frau hatte, war es undenkbar, dass er noch mit Daniel zusammen sein konnte. Wahrscheinlich würde er dann nach Japan gehen müssen. Langsam fragte er sich wirklich, wieso sich das Schicksal wieder einmal nur gegen ihn wendete. Erst hatte er Louise vor fast vier Jahren verloren und jetzt sollte er auch noch Daniel verlieren? Kam dann Taki als nächstes? Leise keuchend stand Serdall auf und ging eilig ins Bad. Er vertrug diesen nervlichen Stress rein gar nicht. Sich übergebend, beugte er sich über die Toilettenschüssel.
 

Besorgt ging Yoshiko Serdall nach. Er schien jemand zu sein, bei dem sich Gefühle sehr schnell auch körperlich äußerten. Sie griff sich einen Zahnputzbecher, füllte diesen mit Wasser und gab ihn zusammen mit einem Handtuch an Serdall weiter, als sich dessen Magen etwas beruhigt hatte.
 

„Ich denke, dass wir wenigstens versuchen sollten, einigermaßen miteinander auszukommen, damit die Situation nicht noch schlimmer wird, als sie es ohnehin schon ist“, meinte sie neutral. Auf Serdalls fiesen Kommentar von vorhin ging sie nicht weiter ein. Wer konnte es ihm verübeln, dass er gerade etwas überreagierte? Serdall trank einen Schluck von dem Wasser und versuchte seine Gedanken zu beruhigen.
 

„Und was soll mir das bringen? Für mich ist das Schlimmste passiert, was ich mir vorstellen konnte. Das würdest du noch nicht mal verstehen“, knurrte er sie an und ging wieder zurück ins Schlafzimmer. Er hatte keine Lust sich mit ihr zu unterhalten. Yoshiko schien wirklich zu glauben, dass ihr Leid mit seinem auf irgendeine Art und Weise zu vergleichen wären. Er hatte im Moment auch noch nicht die Ruhe, sich überhaupt mit ihr zu arrangieren. Warum war diese Frau denn nicht müde von dem langen Flug? Serdall war sich langsam sicher, dass sich alles gegen ihn und Daniel stellen wollte. Im Grunde waren es ja eigentlich nur Fei und sein Yakuzaclan. Ermattet setzte er sich wieder auf sein Bett. Er hielt das langsam nicht mehr aus. Er sah Yoshiko dabei zu, wie sie sich wieder neben ihn setzte.
 

„Ich kann es vielleicht nicht gänzlich verstehen, da ich nun mal nur meine Familie, aber keinen Geliebten in Japan zurücklasse, aber ich kann es mir zumindest in Ansätzen vorstellen, wie du dich fühlst“, erklärte sie ruhig. „Und genau deswegen finde ich es unnötig, dass wir uns noch zusätzlich bekriegen. Als wären die Umstände nicht auch so schon schwer genug. Da müssen wir uns nicht noch zusätzliche Feinde schaffen.“
 

Ernst sah sie ihn an. Vielleicht vertiefte Serdall sich gerade etwas zu sehr in seinem Leid. Natürlich war die Situation, in der er sich gegenwärtig befand, schrecklich. Doch statt sich gegen sein Schicksal zu stellen, sollte man es lieber akzeptieren, wenn man nichts dagegen tun konnte – Yoshiko konnte nur ahnen, dass Fei Serdall bei Widerstand schlimme Konsequenzen angedroht hatte – oder kämpfen, wenn es noch einen Ausweg gab. Momentan machte er sich mit seinem Verhalten nur kaputt.
 

Serdall konnte nur unwillig den Kopf schütteln.
 

„Du kannst es vielleicht einfach hinnehmen, aber ich nicht“, zischte er leise und stützte seinen Kopf in die Hände. Sein silbernes Armband fiel ihm vor die Augen, als es an seinem Unterarm entlang rutschte und er betrachtete es wehmütig. Er vermisste ihn so schrecklich sehr und er kam sich schäbig vor, dass er hier mit Yoshiko mehr als drei Worte wechselte. Daniel würde ausrasten, wenn er ihn hier so sehen würde. Wieder machte sich einfach nur der Schmerz in Serdall breit, wenn er daran dachte, Daniel für immer zu verlieren.
 

Die Hände zu Fäusten ballend schlug er sie heftig mehrmals gegen seine Schläfen, als sich Tränen in seinen Augen bilden wollten. Jetzt reiß dich zusammen, fauchte er sich in Gedanken an. Wütend stand er auf und blendete Yoshiko komplett aus, als er im Raum auf und ab ging, wie ein Tiger gefangen in einem Käfig. Er musste einen Weg finden mit Daniel zu reden, ihm die Situation zu erklären. Irgendeinen Weg musste es doch geben, wie er Fei von seinem Willen abbringen konnte. Verdammt, da muss doch etwas sein!, dachte er verzweifelt und ging mittlerweile zum sechsten Mal den Weg einmal quer durch sein Zimmer. Wieso hatte er nichts gegen Fei in der Hand? Wieso nur hatte Daniel überhaupt an sein Handy gehen müssen?
 

Fahrig strich Serdall sich durch die Haare und ging erneut den Weg bis zur Balkontür und riss sie wütend auf, um frische Luft zu schnappen und nicht ständig Yoshikos Blick auf sich fühlen zu müssen. Schwer stützte er sich auf das Geländer und sah in die Tiefe. Die Kälte, die ihm eine Gänsehaut über die Arme trieb und der leichte Novemberregen, der auf ihn niederging, halfen ihm dabei, sein Gemüt zu beruhigen. Er würde daran kaputt gehen, wenn er Daniel für immer verlieren würde. Er überstand es nicht noch einmal, einen Menschen zu verlieren, der ihm dermaßen viel bedeutete, den er über alles liebte. Er wünschte sich, Daniel würde ihn wieder umarmen, ihm Halt geben in seinem Gedankenchaos.
 

Erste Tränen bildeten sich nun doch in Serdalls Augen, doch sie mischten sich mit dem Regen, der über seine Wangen tropfte. Er hasste sich selbst dafür, dass er Fei überhaupt in sein Haus gelassen und Daniel weggeschickt hatte. Er hatte es doch geahnt, wie sein Bruder reagieren würde. Er biss sich auf die Unterlippe und schloss gepeinigt die Augen. Serdall schnürte es langsam die Kehle zu, aber er wollte nicht auch noch aufschluchzen. Es musste doch irgendeine sinnvolle Lösung geben. Er wollte Yoshiko nicht heiraten! Er wollte niemanden heiraten, sondern mit Daniel zusammen sein. Wieso durfte er das denn nur nicht? Fei lebte doch in Japan. Kaum jemand wusste dort von Serdall. Wieso war es plötzlich so wichtig, dass er an die Familienehre dachte? Seine Finger krallten sich schmerzhaft in das Steingeländer. Überrascht nahm er sie fort von dem Stein, als er es bemerkte und verschränkt die Arme vor der Brust.
 

Yoshiko ließ ihn sich draußen abreagieren und nachdenken. Vielleicht fand er doch noch einen Ausweg oder immerhin einen Mittelweg, mit dem er sich arrangieren konnte. Es würde schwer werden, aber er kannte seinen Bruder wohl besser als einige andere. Und wenn nicht half ihm die zeitweilige Einsamkeit vielleicht, zumindest erst einmal einigermaßen mit der Situation klarzukommen.
 

Entschlossen stand Yoshiko auf und ging kurz in ihr Zimmer, um aus ihrem Koffer eine Schlaftablette zu holen. Anders würde Serdall wohl keine Ruhe finden. Er tat ihr wirklich leid, stellte sie fest, als sie den Zahnbecher ein zweites Mal an diesem Tag mit Wasser füllte. Sie war daran gewöhnt, dass andere Leute ihr das Leben diktieren und hatte einen eigenen Weg dort hindurch gefunden, mit dem sie eigentlich recht gut klar kam. Serdall hingegen hatte hier in Deutschland seine grenzenlose Freiheit gehabt, die ihm jetzt mit einem Ruck komplett entzogen wurde. Natürlich brauchte er seine Zeit, bevor er das zumindest einigermaßen verkraftet hatte, damit er wieder recht klar denken und seine Möglichkeiten abschätzen konnte, die ihm noch offen standen.
 

Nach einiger Zeit, die sie noch grübelnd im Bad verbracht hatte, trat Yoshiko zu Serdall, der immer noch auf dem Balkon stand. Mittlerweile war er komplett durchnässt. Sorgsam drapierte sie ihm das Handtuch, das sie wohlweißlich mitgenommen hatte, auf den Schultern und hielt ihm die Tablette und den Becher unter die Nase.
 

„Hier, ein Schlafmittel“, meinte sie. „Du nützt keinem was, wenn du leichenartig und unausgeschlafen durch das Haus wanderst.“
 

Böse blitzte Serdall sie an.
 

„Willst du mir auch noch meine letzte Freiheit nehmen? Behalt deinen Mist, ich brauch es nicht“, fauchte er. Er sah ihr kalt in die braunen Augen. Sie hatten diese typische Mandelform und wirkten so normal, dass es Serdall schon nervte. Er wollte Daniels himmelblaue sehen. Seinen Freund wieder an sich fühlen. „Wieso lässt du mich nicht einfach in Ruhe? Ich werde dich bestimmt nicht vögeln, auch wenn du dich so billig anziehst. Hat dir Fei vielleicht noch befohlen, das zu tun? Oder deine Familie?“, fuhr Serdall sie weiter an. Er war so dermaßen sauer, weil sie ihn ständig irgendwie bemuttern wollte, auch wegen ihrer Beherrschtheit die im Gegensatz zu seinen Gefühlsausbrüchen stand. Er wollte jetzt nicht das Ganze erdulden, wie sie es vielleicht tat. Er wollte darüber nachdenken und wenigstens seine Gefühle frei lassen. „Ich komme alleine zurecht.“
 

„Das merke ich“, meinte Yoshiko jetzt eine minimale Spur kühler wirkend als bislang. „Wenn ich mich umdrehe, wirst du dich hier runterstürzen nehme ich an? Oder bevorzugst du den traditionellen Tod durch das Schwert“, fragte sie sarkastisch. Sie trat jetzt ganz neben Serdall und stellte den Becher auf das Steingeländer. „Falls es dich interessieren sollte, wurde mir nur die Hochzeit befohlen. Alles Weitere ist meine Entscheidung. Aber normalerweise mache ich die Sachen, die ich einmal angefangen habe, auch vollständig und ohne Abstriche.“
 

Yoshiko hatte sich gegen den kalten Stein gelehnt und starrte in den Regen hinaus, der im Schein der Straßenlaternen zu erkennen war. Die Nässe hatte ihren Morgenmantel schon längst durchdrungen und ihn hauteng an ihren Körper gepresst.
 

Serdall schnaubte genervt. Er hatte absolut keine Lust sich mit ihr hier irgendwie auseinanderzusetzen, besonders in dem Punkt, wie sie es handhaben wollte mit ihm umzugehen. Serdall stieß sich vom Geländer ab und ging zurück in sein Zimmer. Er hatte sicher nicht die Absicht sich umzubringen, schließlich ging das Sterben von ganz allein, wenn er Daniel nicht mehr sehen konnte.
 

„Wenn du dich jetzt bitte aus meinem Zimmer entfernen würdest“, entgegnete er ihr kühl und ging zu seinem Kleiderschrank. „Ich möchte schlafen, jedoch ohne deine Gesellschaft.“
 

Kurz blieb Yoshiko noch draußen stehen, dann wollte sie ebenfalls reingehen. Skeptisch sah sie auf ihren tropfenden Morgenmantel. Schulterzuckend entledigte sie sich kurzerhand von ihm und wrang ihn aus, bevor sie nackt durch Serdalls Zimmer hin zur Tür ging. Sie schämte sich ihres Körpers nicht und Serdall war, wenn alles so kommen würde, wie sein Bruder sich das vorstellte, in Kürze ohnehin ihr Ehemann.
 

„Gut, wie du meinst“, meinte sie schlicht. „Du weißt ja, wo du mich findest, wenn etwas sein sollte. Auch wenn du nur jemanden brauchst, der unparteiisch ist und mit dem du reden kannst.“ Ohne eine Antwort abzuwarten drehte sie sich um und ging in ihr vorläufiges Zimmer.
 

Angewidert schüttelte Serdall den Kopf. Er hatte nichts mit ihr zu bereden. Dass sich diese Frau so präsentieren musste, zeugte für Serdall nur von ihrer gesteigerten Gleichgültigkeit gegenüber ihrem Schicksal. Und als unparteiisch sah er Yoshiko nicht. Sie hatte in seinen Augen einfach keine Meinung. Genervt ging er zur Tür, um sie abzuschließen. Er würde Taki ab morgen mit zu sich ins Zimmer nehmen, bevor er irgendwann noch einmal aufwachte und diese Frau plötzlich neben ihm lag. Er liebte Daniel, da interessierte er sich ganz sicher nicht für diese ihm eigentlich Unbekannte, auch wenn er sie heiraten musste.
 

Wütend ging Serdall ins Badezimmer und entledigte sich zitternd seiner nassen Klammotten. Er musste unbedingt mit Dustin reden. Vielleicht konnte sein Schwager ihm helfen, dass Serdall es wenigstens schaffte mit Daniel zu telefonieren. Serdall schlüpfte in seine Schlafsachen, die er, seit er mit Daniel zusammen war, eigentlich tief in den Schrank verbannt hatte. Daniel liebte es mit ihm Haut an Haut zu schlafen und Serdall fand es so auch viel angenehmer. Ohne Daniel jedoch würde ihm wohl in der Nacht viel zu kalt sein.
 

Als er aus dem Bad zurück in sein Bett ging, fiel mit jedem Schritt die Anspannung und wich der Angst und Einsamkeit. Er zog sich die Decke über den Kopf, als er das Licht ausgeschaltet hatte und versuchte die Gedankenspirale, die sich langsam in seinem Kopf bildete, zu verdrängen. Unruhig begann er sich hin und her zu drehen, schaffte es aber nicht zur Ruhe zu kommen. Irgendwann gab er es auf und dachte nur noch an Daniel. An sein Lächeln, an seine Stimme und die Wärme, die er Serdall immer vermittelte, wenn er bei ihm war. Serdall schaffte es so wirklich, wenigstens für ein paar Stunden in einen Albtraum begleiteten Schlaf zu fallen.
 


 

Am nächsten Morgen stand Yoshiko in der Küche und machte Frühstück. Es schien keiner hier im Haus wach zu sein, abgesehen von Dustin und Taki, die schon in der Schule waren. Serdall schien entweder entkräftet länger zu schlafen oder er wollte einfach nicht aus seinem Zimmer herauskommen. Verständlich, denn immerhin erwartete ihn hier nichts anderes als sein Bruder mit seiner Truppe und seine verhasste zukünftige Ehefrau. Yoshiko seufzte. Sie hatte schon vor längerer Zeit gelernt, sich mit allem zu arrangieren, was von ihr verlangt wurde, solange sie ihre nötigen Freiräume eingeräumt bekam. Vielleicht war es feige, aber das Leben war, wenn man in einer eingeschworenen Gemeinschaft wie die Yakuza es war, aufwuchs, so nun mal bedeutend einfacher.
 

Der Oyabun, Kikuchi und die Bodyguards schliefen noch. Der Jetlag hing noch nach und die Reise war anstrengend gewesen. Ganz die anständige und wohlerzogene Frau, die sie nun mal laut ihrer Erziehung war, hatte sie sich den Wecker gestellt und bereitete den Herren nun ihr Essen zu. Sie machte eine große Platte für den Oyabun und seine Männer und einen separaten Teller für Serdall, der wohl lieber nicht runterkommen würde. Als sie fertig war, brachte Yoshiko Serdalls Essen nach oben.
 

„Serdall, ich habe dir Frühstück gemacht“, meinte sie halblaut, nachdem sie an seiner Zimmertür geklopft hatte.
 

Jener saß im Schneidesitz auf seinem Bett und starrte unbestimmt in den Raum. Ihm war nicht nach essen, eher im Gegenteil. Ihm war speiübel und sein Magen krampfte sich nur noch zusammen, seit er aufgewacht war. Es war derselbe Schmerz wie damals, als er sich strikt gegen Daniel gewehrt hatte, nur schlimmer. Er hatte ständig den Gedanken im Hinterkopf, dass Fei Daniel töten würde. Nach dieser halbdurchwachten Nacht war er blass und fühlte sich wie der letzte Dreck, aber es war besser, als sich seinem Schicksal einfach zu fügen. Er klammerte sich an den Gedanken, Dustin irgendwie mitzuteilen, dass er sich sein Handy leihen musste. Mittlerweile war er soweit, dass er sich überlegt hatte, ihm einen Zettel zukommen zu lassen, aber Serdall schreckte noch, dass Fei es vielleicht mitbekommen könnte und Daniel umbringen würde, wenn er es erfuhr.
 

Nachdem auch nach einer Minute kein Geräusch aus dem Zimmer gekommen war, stellte Yoshiko seufzend das Tablett auf den Boden. Sie glaubte nicht, dass Serdall noch schlief, aber scheinbar hatte er kein gesteigertes Interesse daran, jemanden zu sehen.
 

„Ich lasse dir das Frühstück hier. Wenn du Hunger haben solltest, musst du es dir nur holen“, sprach sie noch kurz gegen die geschlossene Tür und machte sich dann auf den Weg nach unten. Sie würde langsam schon mal damit anfangen Mittag zu machen. Bis sie das ganze Gemüse geschnitten hatte, würde einiges an Zeit vergehen und gar werden musste das Alles auch noch.
 

Yoshiko ging wieder in die Küche und machte sich tatkräftig an die Arbeit. Das hatte außerdem den netten Nebeneffekt, dass sie sich ablenken konnte, denn, obwohl sie es sich verbot, zu oft daran zu denken, vermisste sie ihre Heimat und vor allem ihre Freunde schon ein wenig. Immerhin konnte keiner sagen, ob sie hier bleiben oder Serdall nach Japan gehen würde.
 

Genau eine Stunde später ging die Tür der Küche auf und Fei Agamie trat fein säuberlich angezogen in den Raum und ließ seinen Blick über die Einrichtung schweifen.
 

„Guten Morgen, Yoshiko“, grüßte er sie freundlich, schließlich würde sie seine zukünftige Schwägerin sein. „Ich hoffe, du hattest eine angenehme Nacht?“, fragte er, setzte sich an den Tisch und stützte sein Kinn in die Hände.
 

„Ja, nach dem doch recht spontanem Aufbruch und dem langen Flug habe ich sehr tief und gut geschlafen“, bestätigte sie und ließ die gerade eben geschälte Kartoffel ins Wasser gleiten. „Auf der Theke steht eine Platte mit Frühstück, falls Sie Hunger haben sollten. Mittag wird es wohl erst in eineinhalb Stunden geben.“
 

Fei nickte, stand auf und holte sich von dem Frühstück etwas, sowie eine Tasse Tee.
 

„Hast du dich mit Serdall unterhalten?“ Er wusste um Yoshikos Art. Ihr Vater hatte ihm versichert, dass sie auf jeden Fall ehrgeizig sein würde und das brauchte er, um seinen Bruder von seinem Wahn abzubringen.
 

„Ja habe ich“, bestätigte sie und legte das Messer zur Seite. Es gehörte sich nicht, vor dem Oyabun zu sitzen und durch irgendwas abgelenkt zu sein. „Er schien… nun… nicht besonders angetan zu sein von Ihrem Vorschlag, demnächst zu heiraten“, meinte sie vorsichtig. Yoshiko hatte keine Ahnung was passieren würde, wenn sie dem Oyabun sprichwörtlich auf den Schlips trat. Sie hatte einige Geschichten über ihn gehört, die fast alle garantiert maßlos übertrieben waren, damit sein Ansehen außerhalb gewahrt und er gefürchtet blieb, allerdings konnte sie selbst nicht bestätigen, ob sie tatsächlich unwahr waren, da sie Serdalls Bruder vorher noch nie direkt begegnet war. Fei lächelte geringschätzig.
 

„Es ist mir bewusst, wie er dem Ganzen gegenüber steht, doch seine Meinung zählt nicht mehr. Er hat sich dieses Recht selbst genommen, als er sich mit einem Mann eingelassen und mich jahrelang belogen hat.“ Er sah ihr freundlich in die braunen Augen und legte eine Hand auf ihre. „Ich möchte nur noch, dass er mit deiner Hilfe wieder den rechten Weg findet und erneut mein kleiner Bruder ist, der er einmal war. Du verstehst mich, nicht wahr?“
 

Skeptisch betrachtete Yoshiko ihn. Das war also wirklich der Grund? Die Tatsache, dass sich Serdall in einen Mann verliebt hatte, zeichnete ihn jetzt für sein Leben und es bedurfte der Unterstützung seines Bruders, um ihn wieder auf den rechten Weg zu bringen?
 

„Nun, ich fürchte, ich verstehe Sie nicht so ganz“, erwiderte Yoshiko, während sie Fei fest in die Augen sah. Wenn sie schon gefragt wurde, würde sie mit ihrer Meinung nicht hinter dem Berg halten. „Ich persönlich finde es nicht schlimm, wenn man sich in dasselbe Geschlecht verliebt. Sie beschäftigen Leute, die selbst diese Neigung haben, aber sie werfen sie nicht raus. Ihren Bruder hingegen zwingen Sie in eine Ehe. Das ist für mich etwas widersprüchlich.“
 

Fei atmete ruhig durch und verschränkte gelassen die Hände auf dem Tisch.
 

„Yoshiko“, begann er väterlich und sah ihr offen in die Augen. „Er ist nach dem Tod seiner Frau in ein Tief gefallen, das sich dieser Daniel zu Nutze gemacht hat. Serdall ist nicht einer dieser Perversen, die auch in den Kreisen der Yakuza vorkommen. Er ist ein Agamie, der einen Sohn hat und zu Besserem bestimmt ist, als zum Liebhaber eines Mannes“, erklärte er ruhig und hielt kurz inne, um von seinem Tee zu trinken, ehe er fortfuhr. „Du musst wissen, Serdall ist ein sehr feinsinniger und künstlerischer Mensch. Er kann sich nur wirklich entfalten, wenn er sich in den Armen einer Frau niederlassen kann. Dieser Daniel hingegen war mir gegenüber unverschämt und hat sich gegen mein Wort gestellt. Nur Serdall zuliebe habe ich ihn nicht schon bei meinem letzten Besuch getötet. Da wusste ich aber noch nicht, dass Serdall sich je auf diesen Jungen einlassen würde.“ Fei verzog leidlich das Gesicht. „Wie du siehst kann sich selbst der Oyabun nicht auf die Personen verlassen, denen er mehr als nur vertraut. Jedoch begehe ich diesen Fehler nicht noch einmal. Entweder Serdall heiratet dich oder ich töte diesen Abschaum.“
 

Yoshikos Augen weiteten sich minimal, bevor sie sich wieder im Griff hatte und eine neutrale Maske aufsetzte. Damit wurde Serdall also zu der Hochzeit gezwungen. Mit der Drohung, dass ihm der Mensch, den er momentan wohl mit am meisten liebte, genommen werden sollte. Der schnelle Tod eines geliebten Menschen oder langes Leid für beide. Was waren das für zwei grausame Optionen, aus denen er wählen musste? Ihr Mitgefühl für Serdall wurde noch größer und sie verstand nicht, wie der Oyabun so extrem handeln konnte. Der Tod eines Menschen war das allerletzte Mittel der Yakuza. Normal wurde verhandelt und vielleicht mal gedroht, aber nur selten wirklich Gewalt angewandt. Es schien Serdalls Bruder tatsächlich ernst zu sein. Er glaubte wirklich, dass Serdall einen äußerst falschen Weg beschritt und Hilfe brauchte.
 

„Meinen Sie nicht, dass Sie ihm gerade sehr viel mehr Leid antun, als ihm durch die Beziehung zu diesem Daniel passieren könnte?“, versuchte sie es vorsichtig. Fei schüttelte gutmütig den Kopf.
 

„Er wird in der Anfangszeit noch sehr stur sein, aber ich bin davon überzeugt, dass er einsehen wird, wie gut die Hochzeit mit dir ist. Besonders für Taki. Mein Neffe braucht eine Mutter und Serdall braucht die Weichheit einer Frau, nicht diesen groben und schlechten Mann. Und ich bin mir sicher, dass du nach bestem Wissen deine Pflichten für mich erfüllen wirst, damit er glücklich wird. Verstanden, Yoshiko?“ Fei sah sie mit einem ernsten Blick an, der ihr bedeuten sollte, dass diese Unterredung nun beendet war. Sie nickte ergeben und Fei stand nun auf. „Ich werde im Wohnzimmer noch ein paar Anrufe erledigen“, erklärte er ihr, bevor er den Raum mit seiner Teetasse verließ.
 

Yoshiko richtete sich wieder aus der Verbeugung auf, in die sie gefallen war. Etwas bedrückt nahm sie ihre Schälarbeit wieder auf. Es war nicht nur für Serdall schlimm, in diese Ehe gezwungen zu werden. Ihn traf es bestimmt am härtesten, aber es litten so viele Leute darunter. Sein Freund wäre als zweites zu nennen. Er wusste wahrscheinlich noch gar nicht, was überhaupt los war. Er wartete bestimmt darauf, demnächst von Serdall angerufen zu werden und die Erlaubnis zu bekommen, zurückzukommen. Denn, soviel hatte sie mitbekommen, Serdall hatte ihn irgendwo in Sicherheit gebracht. Sie wollte gar nicht wissen, was mit ihm passiert wäre, wenn er sich hier aufgehalten hätte, als ihre kleine Reisegruppe eingetroffen war.
 

Taki würde auch unter der ganzen Situation leiden. Gerade hatte er sich an diesen Daniel gewöhnt, dann wurde er ihm auch schon wieder weggerissen, ohne dass er verstand warum und sich von ihm hätte verabschieden können. Und dann war auch noch sie da. Doch über sie dachte wohl keiner nach. Sie war die Ware, die gehandelt wurde. Allerdings stellte sich die Frage, wie sie damit klarkommen sollte, dass ihre Ehe auf dem Unglück anderer gegründet wurde und wohl nur auf dem Papier bestehen würde. Sie war gerade mal zweiundzwanzig und ihr Leben dann jetzt schon in der Art und Weise besiegelt.
 

„Autsch“, zischte sie leise, als ein scharfer Schmerz ihre Handfläche durchfuhr. So in ihre Gedanken vertieft hatte sie keine Konzentration und war unglücklich mit dem Messer an der Kartoffel abgerutscht. Ein recht tiefer Schnitt prangte in ihrer Haut und Blut quoll hervor.
 

„Deswegen hasse ich die Küche“, meinte jemand emotionslos von der Tür herüber. Serdall schritt mit dem noch gefüllten Teller zu Yoshiko herüber, stellte ihn auf die Anrichte und dirigierte sie zum Spülbecken. Er ließ kaltes Wasser über den Schnitt laufen und ging währenddessen zum Erste-Hilfe-Kasten, um Yoshiko ein Pflaster zu holen. Mit Küchenrolle tupfte er den Schnitt trocken. „Du solltest besser aufpassen“, murmelte er kühl, als er das Pflaster vorsichtig auf die Wunde klebte und kurz darüber strich, um es festzudrücken. Serdall ließ wieder von ihr ab, um sich ein Glas mit Wasser zu füllen und sich an die Theke zu setzen. Er wollte gleich wieder nach oben gehen nachdem er etwas getrunken hatte und seinen Geigenkoffer holen konnte. Serdall wartete nur auf die Gelegenheit, dass Fei aus dem Wohnzimmer ging, denn er hatte keinen Bedarf, seinem Bruder gegenüberzutreten.
 

„Danke“, murmelte Yoshiko leise und setzte sich wieder. Obwohl Serdall sie nicht zu mögen schien, was nicht an ihrem Charakter lag, denn kennen gelernt hatten sie sich noch nicht wirklich, sondern eher an dem, was sie für ihn darstellen sollte, hatte er dennoch einen gewissen Anstand ihr gegenüber und war hilfsbereit. Das war ein Punkt, der für ihn sprach.
 

Yoshiko seufzte leise auf. Wenn Serdall ein Kerl gewesen wäre, der keine Gefühle hatte und zu jedem nur unfreundlich war, wäre es vielleicht nicht so schlimm gewesen, ihn in sein Unglück rennen zu sehen. Nur war ihr wohl zukünftiger Ehemann allerdings scheinbar ein richtig netter Kerl, auch wenn Serdall sich auf Grund dieser besonderen Umstände bislang noch nicht von seiner besten Seite gezeigt hatte. Trotzdem machte diese Erkenntnis es ihr noch schwerer die Tatsache zu verkraften, dass sie Mitschuld am Zerbrechen dieser Beziehung hatte. Wenn sie könnte würde sie versuchen ihm zu helfen. Nur wie sollte sie das anstellen?
 

Müde sah Serdall ihr bei der Arbeit zu, jedoch war er in Gedanken nur wieder bei Daniel. Er hatte es nicht mehr in seinem Zimmer ausgehalten, wo jede Stelle ihn nur an seinen Freund erinnerte. Auch hier in der Küche war es kaum besser. Allein der Tisch, auf dem sie mehrmals Sex gehabt hatten, erweckte in ihm die unendliche Sehnsucht nach seinem Freund. Apathisch ließ Serdall seinen Blick auf die Theke schweifen und spielte abwesend mit dem Wasserglas in seinen Händen. Er wollte seine Geige spielen, seine Emotionen bannen, damit sie ihn nicht zerfraßen. Aber er wollte nur für sich spielen, nicht für Fei oder Yoshiko.
 

Tief stieß er die Luft aus seinen Lungen, ehe er den letzten Schluck aus seinem Glas trank und wieder zu Yoshiko sah. Wer hatte ihr eigentlich gesagt, dass sie kochen sollte? Sollten Fei und Kikuchi doch verhungern oder woanders essen. Serdall passte es nicht, dass er seinem vermaledeiten Bruder auch noch den Aufenthalt genehm machte, indem er sie hier arbeiten ließ. Aber er konnte dagegen wohl auch nichts tun. Jedes Mal würde Fei ihm nur mit derselben Drohung kommen und Serdall wollte kein Risiko eingehen. Seufzend ließ er den Kopf hängen. Er hoffte, dass Dustin bald kam.
 

In der Zwischenzeit war Yoshiko mit schälen und schneiden fertig geworden und stellte sich jetzt an den Herd, um richtig mit dem Kochen anzufangen. Immer wieder sah sie verstohlen zu Serdall. Ihr ging nicht aus dem Kopf, mit was ihm gedroht wurde, wenn er sich seinem Bruder nicht unterordnete.
 

„Serdall…“, begann sie zögernd. Sie wollte ihm sagen, wie leid ihr das Ganze tat, ihn fragen, ob sie etwas tun könnte um die Katastrophe zu verhindern und er ihre Hilfe vielleicht sonst irgendwie gebrauchen konnte, doch in dem Moment kam Fei wieder in die Küche und Yoshiko verstummte abrupt. Sie wollte lieber nicht wissen, was der Oyabun mit ihr machen würde, wenn er wüsste, dass sie sich gegen ihn stellte und mit seinem Bruder verbündete.
 

Fei ging auf Serdall zu, der ihn nicht zu registrieren schien. Er stellte sich vor die Theke, ihm genau gegenüber. Serdall gab ihm nicht die Ehre, ihn zuerst zu grüßen. Stattdessen hob er den Kopf und sah Fei emotionslos in die Augen. Ich hasse dich, dachte er, doch Serdalls Wut wollte sich nicht einstellen. Es war einfach die Erkenntnis, dass Fei nicht mehr sein Bruder war, sondern nur der Oyabun, der über ihn bestimmen wollte.
 

„Serdall, ich möchte, dass du für mich spielst“, sagte Fei freundlich und lächelte seinen Bruder an, obwohl ihm ein eiskalter Schauer über den Rücken rann, als er diesen Blick sah. Er wusste, dass Serdalls Unmut vergehen würde, sobald er den wahren Wert von Yoshiko erkannte. Serdall schüttelte langsam den Kopf.
 

„Ich spiele nicht für den Oyabun“, hauchte Serdall kalt und lächelte Fei ebenfalls an, jedoch war es nur das Zucken seiner Mundwinkel entgegen der Erdanziehungskraft, als ein wirkliches Lächeln. Feis Lippen wurden schmal und blutleer, als er sie zusammenpresste. In diesem Punkt schien Serdall engstirnig zu sein und Fei gestand sich ein, dass er es Serdall nicht verübeln konnte. Kimba und Mücke begannen plötzlich an der Haustür zu bellen.
 

„Wenn du mich entschuldigst. Ich gehe meinen Sohn begrüßen“, erklärte Serdall kalt und ging zur Haustür, die er sogleich öffnete. Taki kam freudig auf ihn zugelaufen und schmiss sich in seine Arme. Serdall hob ihn glücklich hoch und stupste mit dem Zeigefinger gegen die kleine Nase. „Na Großer, wie war dein Tag?“, fragte Serdall seinen Lockenschopf und lächelte nun wirklich, als Taki ihn freudig anlachte.
 

„Der war super cool! Wir haben heut zwei Stunden lang nur Geschichten von unserer Lehrerin erzählt bekommen und dabei Kekse gegessen, die Lukas mitgebracht hat, weil er heute Geburtstag hat. Und wir haben einen neuen Spielturm auf dem Pausenhof gekriegt! Da kann man klettern und rutschen!“
 

Serdall war froh, dass es seinem Sohn gut ging und ihm die Schule so sehr gefiel. Dustin kam nun auch endlich zur Haustür und sah ihn besorgt an. Er konnte erkennen, dass es Serdall schlecht ging und es wohl immer schlimmer wurde. Die Wange hatte immer noch die Blaufärbung, nun aber in einem tieferen Violett, was sich krass von der hellen Haut abhob. Taki lief mit Mücke und Kimba in den Garten, als Serdall ihn herabgesetzt hatte. Die Gelegenheit nutzend legte Dustin besorgt eine Hand auf Serdalls Unterarm.
 

„Daniel hat mich gestern Abend angerufen“, flüsterte er Serdall zu. „Du sollst dich bei ihm melden.“
 

„Ich kann nicht. Fei hat mein Handy“, zischte Serdall ihm zu und wandte abrupt den Kopf, als Fei sich im Türrahmen zu Küche laut räusperte. Finster sah Dustin zu dem Yakuza. So war das also. Fei kontrollierte Serdall. Stellte sich nur die Frage womit?
 

Missbilligend den Kopf schüttelnd schloss Dustin die Haustür, als Serdall wie ein getretener Hund an Fei vorbeitrottete, um zum Wohnzimmer und womöglich hinaus zu Taki zu gehen. Fei ging ebenfalls ins Wohnzimmer und setzte sich zurück auf das Sofa, vor seinem Laptop, den er wohlweißlich für seine Geschäfte mitgebracht hatte. Dustin lief jedoch eilenden Schrittes die Treppen hinauf. Er musste Daniel wenigstens Bescheid geben, dass Serdall wohl keine Möglichkeit hatte ihn zu erreichen. Schnell war die Nummer gewählt und er wartete ungeduldig darauf, dass Daniel abnahm. Es kotzte ihn an, dass Fei anscheinend Serdalls derzeitiges Glück mit einer Zwangsehe zerstören wollte, aus Gründen, die wahrscheinlich nur er wusste.
 

„Hey Dustin“, kam es vom anderen Ende der Leitung. Daniel befand sich gerade auf dem Rückweg von der Uni nach Hause und hatte am Straßenrand gehalten, um das Gespräch anzunehmen. Sein Magen hatte einen kleinen Hüpfer gemacht als er gesehen hatte, wer genau ihn anrief. Zwar war es nicht Serdall persönlich, aber auch Dustin würde ihm neue Informationen geben können.
 

„Wie sieht es aus? Hat Fei sich inzwischen schon etwas beruhigt?“, wollte er wissen.
 

„Eher nicht, Daniel“, erwiderte Dustin finster. „Fei scheint Serdall zu kontrollieren. Er hat ihm jedenfalls sein Handy weggenommen und uns unterbrochen, als wir miteinander reden wollten. Serdall fügt sich ihm. Keine Ahnung warum.“
 

„Wie, er fügt sich ihm?“ Daniel war bei Dustins Worten fast das Handy aus der Hand gefallen. Sein Puls raste und er konnte das Blut in seinen Ohren pochen hören. „Fei will ihn von mir fernhalten, soviel kann ich mir denken. Und Serdall gibt seinem Bruder gegenüber in dem Aspekt klein bei?“ Seine Stimme war lauter geworden. Er konnte einfach nicht glauben, dass Serdall zurücksteckte. Daniel hätte gedacht, dass er seinem Bruder die Meinung sagen würde und dass dann hoffentlich alles gut wäre. War es vielleicht nur eine Taktik von Serdall, um seinen Bruder zu beruhigen und sobald er abgereist war, würde er Daniel wieder zu sich holen?
 

Dustin seufzte. Wie sollte er Daniel das denn erklären? Er verstand selber kaum, was hier überhaupt ablief.
 

„Naja, er hat eben einfach aufgehört sich mit mir über dich zu unterhalten, nur weil sich Fei zwei Meter von uns entfernt geräuspert hat. Ich hab keinen Schimmer, warum Serdall hier leichenblass und kommentarlos durch die Bude streift, ich weiß nur, dass Fei daran schuld ist. Ich mache mir Sorgen, Daniel“, meinte Dustin leise. Egal wie fies Serdall manchmal war, er war sein Schwager und er fühlte sich immer noch irgendwie ihm gegenüber verantwortlich.
 

In Daniel krampfte sich alles zusammen. Wenn der immer optimistische Dustin sich schon Sorgen machte, musste es wirklich schlimm sein. Er startete den Wagen wieder und fuhr mit einer Hand am Lenkrad und der anderen am Handy Richtung Serdalls Haus. Er musste wenigstens einen Blick riskieren, sonst würde er keine ruhige Minute haben.
 

„Was veranstaltet Fei denn bei euch?“, fragte er perplex. Was war es, dass Serdall derart aus der Bahn werfen konnte?
 

„Was weiß ich? Ich krieg hier selber kaum etwas mit“, zischte Dustin genervt und ließ sich auf sein Bett fallen. „Ich weiß nur, dass definitiv etwas faul ist und du besser nicht herkommen solltest, bis sich die Situation entspannt hat. Schließlich warst du doch der Auslöser dafür, dass Fei überhaupt nach Deutschland gekommen ist, oder nicht?“ Er hatte gehört, wie Daniel den Motor gestartet hatte und hoffte wirklich, dass Daniel jetzt nicht den Wahnsinn beging herzukommen. Langsam glaubte Dustin, dass Serdalls Entscheidung, Daniel wegzuschicken, die Richtige gewesen war. „Ich versuch derweil Serdall mein Handy zuzuspielen, okay? Oder mit ihm irgendwie zu reden oder etwas heraus zu bekommen.“
 

Daniel ignorierte die Warnung und bog auf eine der letzten Straßen ein.
 

„Ist Serdall gerade in der Nähe?“, fragte er etwas nervös. Ihm war es selbst nicht ganz geheuer, sich jetzt bei Serdall blicken zu lassen, allerdings wäre es für ihn noch schlimmer, wenn er gar nicht wissen würde, was los war. Wenn noch nicht einmal Dustin mitbekam, was zwischen Serdall und seinem Bruder lief, wie sollte Daniel dann überhaupt etwas mitbekommen? Und so ganz ohne Informationen, mit dem neuen Wissen im Hinterkopf, dass Serdall seinem Bruder scheinbar gehorchte, hätte er keine Ruhe mehr.
 

„Er ist unten, wie gestern auch. Ständig bei Fei halt. Ich bekomm ihn nur zu Gesicht, wenn ich runtergehe. Sag mal, wo fährst du jetzt gerade hin?“, fragte er Daniel misstrauisch. Er kannte seinen ehemaligen Schüler doch, besonders seine überstürzte Art in manchen Dingen.
 

„Nach Hause, wohin denn sonst?“, meinte Daniel ausweichend. Diese Aussage war doppeldeutig, da er Serdalls Haus inzwischen mehr als sein Zuhause betrachtete wie die Wohnung, in der seine Mutter mit Charline lebte. „Ich muss jetzt auflegen. Während des Autofahrens telefoniere ich nicht so gern. Ist mir zu unsicher. Melde dich sofort, wenn du neue Informationen hast.“
 

Daniel legte auf und stoppte das Auto eine Straße vor seinem eigentlichen Ziel. Er wollte nicht sofort gesehen werden. Er stieg aus und ging die letzten Meter zu Fuß. Aus der Ferne sah er schon die griechische Villa und beschleunigte seinen Schritt noch mal. Eine nicht zu identifizierende Angst hatte sich in ihm breit gemacht. Angst um Serdall. Warum kuschte er vor seinem Bruder, wenn er doch zu Anfang gesagt hatte, dass er sich ihm entgegenstellen würde?
 

Zischend sprang Dustin von seinem Bett.
 

„Dieser Vollidiot“, rief er leise und rannte aus seinem Zimmer und die Treppen runter. Er kannte den Kerl doch und er verwettete seine Potenz, dass Daniel gleich an der Tür klingeln würde, wenn er überhaupt an den Bodyguards vorbeikam. Gezwungen ruhig ging er die Treppe zügig hinab und ging normalen Schrittes an der Wohnzimmertür vorbei. Sofort hastete er dann in seine Schuhe, schnappte sich seinen Schlüssel und eilte aus der Tür, um sich in seinen Wagen zu schmeißen und eilig die Einfahrt herauszufahren. Er sah Daniels schwarzen Schopf bedrohlich nah bei ihnen und bretterte auf ihn zu, um mit quietschenden Reifen neben ihm zu halten.
 

„Steig ein“, zischte Dustin ihn durch das offene Fenster an.
 

„Bestimmt nicht“, raunzte Daniel zurück und schritt stramm weiter aus. Dustin fuhr rückwärts vor ihm her. „Ich habe keine Ahnung, was hier vor sich geht. Das Einzige, was ich weiß ist, dass Fei Serdall scheinbar irgendwie erpresst. Ansonsten würde er nicht vor seinem Bruder zurückzucken. Und da verlangst du von mir, dass ich ruhig zuhause sitzen bleibe und Däumchen drehe? Das kannst du vergessen!“ Daniels Stimme hallte über die Straße. Er hatte sich in Rage geschrien. Mittlerweile waren sie nur noch drei Häuser von seinem Ziel entfernt. Sofort hielt Dustin seinen Wagen an, stieg aus und griff Daniel hart an der Schulter, stoppte ihn so in seinem Aufmarsch.
 

„Bist du denn komplett bescheuert? Diesmal wir Fei dich bestimmt nicht nur grün und blau schlagen wie beim letzten Mal.“ Wütend zerrte er Daniel zum Auto und verfrachtete ihn auf den Beifahrersitz. Schnell sprintete er auf den Fahrersitz und zog Daniel wieder zurück, als er nach kurzem Zögern wieder aussteigen wollte. „Jetzt reiß dich zusammen!“, schrie Dustin ihn an, verriegelte die Tür und fuhr an und aus der Wohngegend heraus.
 

„Lass mich sofort aussteigen!“, raunzte Daniel ihn aufgebracht an und hatte zuerst seine liebe Mühe, die Verriegelung wieder aufzubekommen. Da fuhren sie jedoch schon so schnell, dass er es sich dann doch nicht traute, einfach rauszuspringen. „Du weißt doch überhaupt nicht, wie es mir geht!“, schrie er jetzt fast in Dustins Ohr und trat wütend gegen das Handschuhfach. „Außerdem wäre es mir scheißegal, ob Fei mich verprügelt, wenn ich bei euch ankomme. Ich will gefälligst wissen, was er mit Serdall macht. Und abknallen wird er mich schon nicht. Würde einige unschöne Fragen aufwerfen, wenn ich tot auf euren Wohnzimmerteppich liege.“ Schnaubend und immer noch mit extrem angestauter Energie rammte Daniel seinen Ellenbogen gegen die Tür, die unschön knallte.
 

„Sag mal, hast du sie noch alle? Das ist die Yakuza!“, schrie Dustin ebenso laut und bretterte nun wütend über eine Landstraße. „Die töten dich und es erfährt kein Schwanz, in welchem Land sie dich verscharren oder an wen sie deine Organe verscherbeln! Glaubst du Serdall ist geholfen wenn du reinplatzt, den Retter spielen willst und Fei dir eine Kugel in den Kopf jagt?“, zischte Dustin wütend und bog auf einen Feldweg ein, auf dem er nun, weit genug von der Stadt entfernt, anhielt. Ruppig zog er die Handbremse an, nachdem er dem Motor ausgestellt hatte und wandte sich Daniel zu. „Reg dich erst mal ab, bevor du Serdall noch Kopf und Kragen kostest!“
 

Daniel kam langsam wirklich von seinem Trip wieder herunter. Da er seinem Ärger erst einmal Luft gemacht hatte, fühlte er sich nur noch leer und ausgelaugt.
 

„Ich habe Angst um ihn“, flüsterte er und sah mit leicht feuchten Augen aus dem Fenster. „Er hat mir versprochen, dass er Fei die Stirn bietet und mich anruft und nichts ist bislang passiert. Was, wenn er seinem Bruder wirklich nicht nur zum Schein, sondern tatsächlich nachgibt und ich ihn verliere. Was tut Fei ihm an, dass er auf einmal alle seine Prinzipien über Bord schmeißt?“
 

Dustin strich Daniel mitfühlend durch die Haare. Jetzt, wo er das mit Daniel dermaßen emotional besprochen hatte, kam ihm eine Idee, womit Serdall von seinem Bruder erpresst wurde. Aber es war so absurd, dass er es nicht glauben wollte.
 

„Hat Serdall dir nicht irgendetwas gesagt, gestern? Ich meine, warum hat er dich denn sonst fortgeschickt? Klar, kann dich Fei nach eurer Auseinandersetzung vom letzen Mal nicht leiden, aber diesmal ist es wohl ein Tick extremer oder?“
 

„Ach, du kennst Serdall doch“, meinte Daniel mit einer wegwerfenden Handbewegung. „Er macht sich immer viel zu viele Sorgen. Hat etwas davon geredet, dass Fei mich umbringt, wenn er mich sieht und so. Deswegen würde er mich wegschicken. Wobei es mit Fei und mir nicht gut geht, auch wenn wir uns nur sehen. Warum Serdall so dramatisiert, ist für mich wirklich unverständlich.“
 

Dustin riss die Augen auf.
 

„Und warum glaubst du ihm diesmal nicht?“, zischte er Daniel genervt an. „Schließlich ist Fei skrupellos und ein mehrfacher Mörder, wenn man es so sieht. Ich verstehe langsam, warum Serdall vor Fei den Buckel macht und sich von ihm alles gefallen lässt. Nämlich deinetwegen.“
 

„Meinetwegen?“, schnaubte Daniel witzlos. Im nächsten Moment allerdings flackerte Erkenntnis in seinen Augen auf. „Meinetwegen…“, hauchte er entsetzt. Hatte Fei Serdall tatsächlich damit gedroht, Daniel umzubringen? Er war in höchstem Maße wütend gewesen. Außerdem konnte er Daniel nicht leiden. Noch dazu würde es alles erklären. Serdall kannte seinen Bruder. Deswegen hatte er auch damit gerechnet, dass er es auf Daniel abgesehen hatte. Er meldete sich nicht, weil Fei ihm mit so ziemlich dem einzigen erpresste, für das Serdall wirklich zugänglich war und das ihm nicht direkt selbst schadete.
 

„Dustin“, fing Daniel schwach an. „Wird Serdall irgendwie erpresst? Was ist bei euch los?“
 

Dustin seufzte schwer und lehnte sich nun, da die Anspannung von ihm fiel, matt zurück.
 

„Mehr als das, was ich dir schon erzählt habe, kann ich dir auch nicht sagen. Aber ich glaube wirklich, dass Serdall von Fei zu manchem gezwungen wird. Es geht ihm schlecht, Daniel, aber er scheint Zeit schinden zu wollen. Wir müssen abwarten. Eine Hochzeit mit dieser Japanerin geschieht dann doch nicht so schnell wie vielleicht in Las Vegas“, murmelte er und sah Daniel von der Seite her an. „Außerdem musst du Ruhe bewahren. Fei ist wirklich kein Mensch, mit dem man sich einfach anlegen kann. Er ist nun mal ein Krimineller, auch wenn er eigentlich Serdall gegenüber nie gewalttätig geworden ist, bis auf gestern, soweit ich weiß.“
 

„Was?“, keuchte Daniel erschrocken. Er erinnerte sich daran, dass Dustin ihm das eine Mal am Telefon erzählt hatte, dass Fei jemanden mitgebracht hatte, der das Essen machte und sich um Taki kümmerte, doch er realisierte erst jetzt, wo Dustin ihn mit der Nase darauf stieß, dass es tatsächlich geplant war, dass Serdall diese Frau heiratete. Davor hatte Daniel zwar auch schon kurz daran gedacht, doch nie im Leben damit gerechnet, dass an diesen Plan von Fei auch nur mehr als ein amüsierter Gedanke verschwendet wurde.
 

Sein Magen drehte sich um. Wenn Serdall sich schon davon abbringen ließ sein Versprechen zu halten oder ihn zu sehen, dann würde Fei mit seinem Zwangsmittel garantiert auch dafür sorgen können, dass Serdall zumindest über diese Hochzeit nachdachte. Und wenn Daniel richtig lag und Fei seinem Bruder tatsächlich mit Daniels Tod drohte, dann war es durchaus wahrscheinlich, dass Serdall diese Hochzeit auch durchführen würde. Denn nichts wäre ihm wichtiger, als dass Daniel am Leben blieb. Daniel selbst würde ja auch nicht anders handeln.
 

Schwer nach Atem ringend versuchte Daniel ruhig zu bleiben. Er wäre gerade wieder in der Lage aus Dustins Auto zu springen und den gesamten Weg bis zu Serdalls Haus zu hetzen, doch damit wäre keinem geholfen. Er musste sich einen Ausweg überlegen.
 

„Sie dürfen nicht heiraten“, hauchte er mit aufgerissenen Augen. „Fei wird dafür sorgen, dass sie es tun. Irgendwie muss ich ihn davon abhalten. Vielleicht kann ich ihm irgendwas anbieten.“
 

„Und was?“, fragte Dustin zweifelnd. „Ich glaube nicht, dass du ihm irgendetwas geben könntest, was er nicht schon hätte. Wir müssen irgendwie mit Serdall reden. Dann sehen wir weiter. Jedenfalls können wir nicht zulassen, dass Fei ihn und dich auseinander bringt.“
 

Fahrig strich sich Dustin durch die kurzen, blonden Haare. Er hatte keine Ahnung, wie sie das hinbiegen sollten. Fei war unberechenbar. Genauso wie Serdall es teilweise mit seinen wirren Gedankengängen war, schien Fei diese Eigenschaft in seinen Handlungen zu zeigen. Wer hätte denn je geahnt, dass Fei wirklich solche Mittel zum Einsatz brachte, nur um seinen Bruder zu kontrollieren? Dass er überhaupt Serdall kontrollieren wollte, war schon eine Wucht. Dabei hatten sich Serdall und Fei immer gut verstanden, ganz ohne die Yakuza-Hierarchie. Beruhigend griff Dustin nach einer von Daniels zitternden Händen und umschloss sie fest.
 

„Wir machen das schon irgendwie, Dan“, meinte er leise und strich Daniel über eine vor Aufregung gerötete Wange.
 

„Und wie?“, fragte Daniel schwach. Er musste mehrmals an dem Klos schlucken, der sich in seinem Hals gebildet hatte. Die Situation war aussichtslos. „Noch nicht einmal du schaffst es gerade mit Serdall zu sprechen und du wohnst mit ihm im Gegensatz zu mir noch in einem Haus. Ich kann nicht zu euch kommen, ohne womöglich mein Leben zu riskieren, so wie Fei momentan drauf zu sein scheint und telefonisch kann ich ihn auch nicht erreichen. Außerdem habe ich wirklich nichts, womit ich Fei überzeugen könnte, wieder zurück nach Japan zu gehen und mich und Serdall in Ruhe zu lassen.“
 

Krampfhaft biss sich Daniel auf die Lippe, doch er konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten, die sich den Weg über seine Wangen bahnten. Zum ersten Mal hatte er vollständig begriffen, dass Fei gerade derjenige war, der das Zepter in der Hand hielt und der nicht eher gehen würde, bis Serdall sich von Daniel gelöst hatte und erneut verheiratet war.
 

Himmel. Dustin fragte sich wirklich, warum es gerade Daniel und Serdall traf. Warum sie nicht einfach glücklich sein konnten. Tröstlich schlang er die Arme um Daniel und zog ihn in eine Umarmung.
 

„Ich verspreche dir, ich werde Serdall schon irgendwie eine Möglichkeit einräumen, um mit dir zu reden und wir werden sehen, ob Serdall Fei nicht doch noch davon überzeugen kann, euch in Ruhe zu lassen“, flüsterte Dustin an Daniels Ohr und streichelte ihm über den Kopf. „Serdall will vielleicht erst mal warten bis sich Fei beruhigt hat, um dann vernünftig mit ihm zu reden. Das letzte Gespräch scheint wohl eskaliert zu sein, sonst hätte Fei Serdall nicht geschlagen. Du musst jetzt stark sein, okay, Dan? Für Serdall“, meinte Dustin leise und klopfte sich gedanklich auf die Schulter. Normalerweise war er im Trösten nicht sonderlich gut. Jemanden auf andere Gedanken zu bringen war da einfacher, als ihm gut zuzusprechen. Aber mit dem Alter kam wohl die Reife… Dustin seufzte bei dem Gedanken daran schwer, dass er im Januar neunundzwanzig Jahre alt wurde. Wo war nur die Zeit geblieben?
 

„Du hast ja recht“, meinte Daniel und wischte sich entschlossen die Tränen aus dem Gesicht. „Es ist nur so schwer zu wissen, dass ich nichts Anderen tun kann, als dumm herumzusitzen und zu warten, während Serdall gegen seinen Bruder um unsere Beziehung kämpft.“ Kurz schwieg er. Dann hob Daniel den Kopf und sah Dustin mit noch leicht glasigen Augen an. „Fährst du mich gleich nach Hause? Ich fühle mich gerade nicht in der Lage, noch mal so nahe zu Serdall zu fahren und mich dann wieder von ihm zu entfernen, ohne ihn gesehen zu haben.“
 

Dustin nickte. Daniel war mit den Nerven am Ende, das wusste und sah er.
 

„Ja, kein Problem“, murmelte er, küsste Daniel auf die Stirn und strich ihm noch einmal durch die Haare, ehe er sich wieder richtig hinsetzte. Er wendete geschickt und fuhr zurück auf die Landstraße. Während der Fahrt sah er immer wieder besorgt zu Daniel, der seinen Kopf stillschweigend an das Fenster lehnte und die vorbeiziehende Landschaft wohl kaum wahrnahm. Es musste richtig hart für ihn sein, wieder diese Angst fühlen zu müssen, Serdall zu verlieren. Unwillkürlich grub Dustin seine Finger stärker als nötig ins Lenkrad. Diese Situation ärgerte ihn. Serdall hatte es endlich komplett aus seinem Sumpf von damals heraus geschafft und nun kam der nächste Tiefschlag. Wie lange hielt sein Schwager das überhaupt aus?
 

Ende Kapitel 3



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von: abgemeldet
2007-11-22T16:38:04+00:00 22.11.2007 17:38
Ich hab total verpennt das du ein neuses ff machst zur Fortführung.
na egal, jetzt hab ich es auch gelesen!
Und eins kann ich dir sagen:
ICH HASSE FEI!
Das ist doch kein Bruder mehr.Nein das ist ein Monster.
Sieht er den nicht was er Serdall antut? Er quält ihn.
Die Japanerin kann ich auch nicht leiden....obwohl sie mitfühlend ist.
Außerdem wird sie auch zu dieser ehe gezwungen.
Es liegt einfach daran das sie der geheiratete Keil zwischen Serdall und Daniel werden soll.
Von:  shiroi
2007-11-22T14:04:46+00:00 22.11.2007 15:04
Hallo,

ich habe diese FF entdeckt, als ich das Kapitel 40 des 1.Teils zum Freischalten vor mir hatte. Dieses Kapitel hat mich so neugirig gemacht, dass ich die komplette FF lesen musste bzw. wollte. Allerdings war sie so schnell zu Ende das ich gar nicht dazu kam einen Kommentar zu hinterlassen. Und nun ist schon der Zweite Teil raus. xD Über den ich mich sehr freue. *g*

Zum ersten Teil:
Ich war wirklich beeindruckt vom Inhalt und vom Schreibstil. Es war nicht dieses typische: zwei Kerle lernen sich kennen und es funkt sofort, sondern es waren so viele "alltägliche" und auch "nichtalltägliche" Hindernisse eingebaut, die diese Story sehr realistisch werden ließen. Ich fand es toll, wie jede Figur einen ausgereiften Charakter erhalten hat - mit Stärken und Schwächen. Wie sich die Beziehung zwischen Serdall und Daniel entwickelt hat, wie sie darum gekämpft haben, war einfach nur spannend. (Mal davon abgesehen, dass ich zwischezeitlich ziemlich genervt von Serdalls Sturheit gewesen bin. *lach*)Ganz zu schweigen von den tollen Lemons. ^_~ Selbst die Nebencharaktere (die eigentlich kein neben verident haben *g*) sind so liebevoll gestaltet worden. Wie man sieht gerate ich ins schwärmen. *hüstel*
Lange Rede kurzer Sinn: Ich liebe den ersten Teil und fand ihn richtig klasse.

Zum zweiten Teil:
Auch die bis her erschienen Kapitel sind sehr gut geschrieben, nur leider sehr depremierend. Man leidet wirklich mit den beiden mit und möchte Fei 'nen Arschtritt zurück nach Japan verpassen. *fg* Ich denke es wird sehr nervenaufreibend werden, aber ich bin wirklich sehr gespannt. ^_^

Liebe Grüße
shiroi
Von:  Allmacht
2007-11-21T19:51:10+00:00 21.11.2007 20:51
Na, da hagelt es ja schon wieder Kapitel.
Fei sollte mal einen ebenbürtigen Gegener bekommen der ihm mal in den Arsch tritt.
Dann wäre er vielleicht etwas freundlicher gegenüber seiner Familie.



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