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Methadon

Kyo x Kaoru x Ryo
von

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~1~
 

Beängstigend laut quietschend und ächzend rollte das eiserne Gitter des Tores beiseite und gab den Weg für die beiden gigantischen Busse frei, die wenige Augenblicke später auf dem weitläufigen Parkplatz zum Stehen kamen. Bei dem hinteren öffnete sich die Tür sofort und alle Roadies kamen heraus, um das Gepäck und Equipment zu entladen. Kurz darauf zeigten sich auch die Bewohner des ersten Busses, sie traten einer nach dem anderen hinaus in die Nachmittagssonne und genossen die frische Luft, an der es ihnen unterwegs des öfteren gemangelt hatte. Kein Wunder, bei fünf Kerlen und einem Hund auf engstem Raum. "Na endlich..." seufzte Die erleichtert während er sich, die Arme zum Himmel gerichtet, ausgiebig streckte. Seine Bemerkung ließ Toshiya grinsen. "Wenn dich das Touren so stört, dann genieße mal schön die nächsten zehn Wochen. Du weißt ja, im Juli geht's wieder los." Seine Anspielung auf die geplante 'Keen under the sun' Tour hatte allerdings nicht den gewünschten Effekt, denn der Rothaarige zuckte nur gelassen mit den Schultern. "Ja schon, aber das sind immerhin nur drei Wochen. Diese Tour hat dagegen ganze fünf Wochen gedauert, das ist ja wohl ein Unterschied." Da tippte ihm jemand von hinten auf die Schulter und der Gitarrist drehte sich zu einem kritisch dreinblickenden Kaoru um. "Du redest so, als wäre sie schon vorbei. Darf ich dich daran erinnern, dass wir noch zwei Auftritte vor uns haben, den ersten davon übermorgen und den zweiten am Tag darauf?! Nur weil sie hier in Tokyo stattfinden heißt das noch lange nicht, dass wir nicht mehr auf Tour sind. Oder soll ich mich jetzt schnell nach einem Ersatz für dich umsehen, hm?" Die's Reaktion auf die Worte seines Leaders war ein breites Grinsen, welches Toshiya's bei weitem übertraf, und er legte einen Arm um Kaoru. "Ach Kao, als könntet ihr mich jemals ersetzen." Dabei zwinkerte er dem Älteren zu und dieser musste schmunzeln. "Ganz schön eingebildet, der Herr..."
 

"Stimmt, aber er kann es sich auch leisten." meldete sich nun der Kleinste von ihnen zu Wort, der mit verschränkten Armen an der Außenwand des Busses gelehnt und seine Bandkollegen beobachtet hatte. "Siehst du, wenn Kyo das sagt, dann muss es wohl stimmen!" flötete Die glücklich, Kaoru sah darin allerdings wenig Logik. "Kyo hat, abgesehen von Shinya, am wenigsten Ahnung vom Gitarrespielen, also würde ich auf seine Meinung nicht allzu viel geben." Beleidigt zog der Sänger eine Schnute, doch da kam auch schon Die freudestrahlend auf ihn zu und Kyo's Gesicht hellte sich wieder etwas auf... allerdings nur so lange, bis der Größere ihm mit den Worten "Ach hör nicht hin, der ist ja bloß eifersüchtig weil du so lieb zu mir bist!" durch die Haare wuschelte. Aber er schluckte seinen Ärger über die mutwillige Zerstörung seiner Frisur hinunter und lächelte zurück. "Genau. Und weil ich so lieb zu dir bin, macht es dir doch sicher nichts aus, meine beiden Koffer zu meinem Wagen zu schlepp- ähm, ich meine zu tragen, ne?!" Die's Grinsen fiel augenblicklich in sich zusammen und der Gitarrist trottete wenige Augenblicke später, begleitet von Toshiya's schadenfrohem Gelächter und Kaoru's gemurmeltem "Das ist mein Wagen...", zum Gepäckraum, der bereits offen stand. Als er den ersten schweren Koffer über den Parkplatz wuchtete, kam ihm Shinya entgegen, der mit Miyu gleich nach ihrer Ankunft eine kleine Runde gedreht und die Hündin dann schon mal im Wagen gelassen hatte. Beim Anblick seines sich abrackernden Kollegen schüttelte der Drummer ungläubig, aber dennoch belustigt, den Kopf. "Hat er es etwa schon wieder geschafft? Du fällst aber auch wirklich jedes Mal darauf rein, Die."
 

"Gar nicht wahr, ich mache das aus reinster Gutherzigkeit und Nächstenliebe!" entgegnete dieser wenig überzeugend und marschierte erhobenen Hauptes weiter, Shinya ging in die entgegengesetzte Richtung zurück zu den anderen. Die waren ebenfalls dabei, ihr Gepäck zusammen zu suchen und zu verstauen, außer Kyo natürlich, der jetzt nur noch eine Tasche mit Kleinkram zu tragen hatte und seinen Freunden daher gutgelaunt zusah und eine Zigarette rauchte. Etwa zehn Minuten später war es vollbracht, auch die Roadies waren in dieser Zeit mit ihrer Arbeit fertig geworden, und nachdem Dir en grey's Mitglieder sich von ihrer Crew verabschiedet hatten, wollten auch sie für die nächsten zwei Tage getrennter Wege gehen. Doch Kaoru erinnerte seine Schäfchen vorsorglich noch einmal an die genaue Uhrzeit, zu der sie sich übermorgen in der Halle zum Soundcheck einfinden sollten. Leicht genervt verdrehte Toshiya die Augen. "Das sagst du uns jetzt schon zum hundertsten Mal, Kao. Denkst du nicht, dass wir es langsam begriffen haben?" Der Leader schüttelte als Antwort auf diese eher rhetorische Frage aber lediglich den Kopf, weshalb der Bassist erst einmal gar nicht wusste, was er sagen sollte. Auf einen sarkastischen Spruch hätte er problemlos ebenso schlagfertig reagieren können, aber was erwiderte man denn bitteschön auf ein einfaches Kopfschütteln? Alles, was ihm schließlich einfiel, war ein schwaches "Haben wir aber.", dann winkte er einmal in die Runde, drehte sich um und schlenderte zu seinem Wagen. Shinya verabschiedete sich ebenfalls und ließ Kaoru, Kyo und Die stehen, um endlich nach Hause zu fahren. Auch den Rothaarigen zog es heimwärts, aber vorher musste er unbedingt noch etwas loswerden. "Du, Kyo..." Als der Angesprochene zu Die aufsah, verfinsterte sich dessen Blick etwas. "Vor der nächsten Tour besorgst du dir aber gefälligst Rollkoffer, verstanden?" Er wirkte allerdings nicht wirklich angsteinflößend auf den Sänger, denn dieser konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen (abgesehen davon, dass er es sich auch gar nicht verkneifen wollte) und antwortete mit einem lässigen "Mal sehen." Damit musste Die sich wohl oder übel zufrieden geben, und nachdem er seinen beiden Kollegen noch kurz zugenickt hatte, machte auch er sich auf den Weg.
 

Kyo sah dem Gitarristen schmunzelnd hinterher, drehte sich dann zu Kaoru um und wollte etwas sagen, doch es stellte sich heraus, dass die Luft sein einziger Gesprächspartner war. Also klappte er den Mund schnell wieder zu und ließ seinen Blick suchend über den Parkplatz schweifen, entdeckte den anderen auch gleich auf dem Weg zu ihrem Wagen und folgte ihm zähneknirschend. 'Frechheit, mich einfach so stehen zu lassen...' Dort angekommen stiegen sie wortlos ein und der Ältere startete den Motor, woraufhin Kyo sich sofort am Autoradio zu schaffen machte. Aber statt von Musik wurden sie während der Fahrt von den Nachrichten unterhalten, die ihnen mitteilten was zur Zeit in der Welt vor sich ging und dass das Leben in Tokyo trotz Dir en grey's Abwesenheit nicht zum Stillstand gekommen war. Sie hatten es nicht weit bis zu ihrer Wohnung, und gerade als der Nachrichtensprecher das Wort an seinen Kollegen vom Wetterdienst übergeben wollte, bog Kaoru in die Einfahrt zur Tiefgarage ein. So begann die Wettervorhersage mit einem sehr informativen Rauschen und Kyo schaltete das Radio wieder aus. Nachdem Kaoru eingeparkt hatte und sie ausgestiegen waren, starrte der Jüngere von beiden nachdenklich in den vollgepackten Kofferraum. "Ich vermisse Die..." murmelte er und sah seinen Freund dann mit großen, flehenden Augen an. Dieser war dagegen zum Glück schon längst immun. "Brauchst mich gar nicht so ansehen, ich denke gar nicht daran. Du trägst deinen Kram, und ich trage meinen." Der bettelnde Ausdruck auf Kyo's Gesicht verschwand augenblicklich und er runzelte die Stirn. "Aber du hast Rollkoffer!" zischte er mit der Absicht, bedrohlich zu wirken, und seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Völlig unbeeindruckt davon hievte Kaoru einen der besagten Koffer heraus, den anderen hatte er wegen Kyo's sperrigem Gepäck auf der Rückbank verstauen müssen. Und einen links und den anderen rechts hinter sich herrollend ging er, nachdem er dem schmollenden Sänger noch die Wagenschlüssel in die Hand gedrückt hatte, hinüber zur Garagentür. Ein kurzer Blick über die Schulter ließ seine gleichgültige Miene allerdings sofort verschwinden, und ein kleines Grinsen fand seinen Weg auf die Lippen des Leaders. Es war aber auch zu drollig mitanzusehen, wie der Kleinere sich mit den beiden schweren Gepäckstücken abmühte. Aber er war ja selbst Schuld, und Kaoru vermutete stark, dass Kyo sich vor der nächsten Tour freiwillig nach neuen Koffern umsehen würde.
 

Es dauerte tatsächlich ganze fünf Minuten, in denen Kaoru sich bereits ans Auspacken gemacht hatte, bis ein Keuchen aus dem Flur zu hören war und die Wohnungstür nicht gerade sanft geschlossen wurde. Kurz darauf betrat ein erschöpfter Sänger ihr Schlafzimmer, eines der beiden Ungetüme hinter sich herschleifend. "Sei so gut und erklär mir doch noch mal, warum wir nicht in einem Gebäude mit Lift, dafür aber im fünften Stock wohnen." schnaufte er und ließ sich wie ein Stein aufs Bett fallen, während sein Freund sich weiter mit dem Verstauen seiner Sachen beschäftigte. "Weil dir die Gegend und besonders die Nähe zu Gara so gefällt und du dich immer geweigert hast, auszuziehen." erinnerte Kaoru ihn ganz beiläufig und ein gedämpftes "Ach stimmt ja..." drang an sein Ohr, da das Gesicht des Jüngeren zur Zeit in ein Kissen vergraben war. Kyo blieb auch noch eine ganze Weile so liegen, er dachte offensichtlich nicht daran, in den nächsten Minuten aufzustehen, geschweige denn seine Koffer auszupacken. Kaoru dagegen war inzwischen fertig, es hatte auch nicht allzu lange gedauert weil der Hauptteil seiner Wäsche benutzt war und jetzt in einem großen Haufen auf dem Boden lag. Dieser würde noch beachtlich anwachsen, sobald Kyo sich irgendwann aufraffte und Kaoru's gutem Beispiel folgte. Mit einem Fuß schob der Gitarrist den Wäscheberg etwas beiseite, warf noch einen Blick auf den anderen, um abzuschätzen ob er schon schlief, und meinte dann "Ich geh Tee kochen." Das Grummeln, welches sein Freund als Antwort von sich gab, brachte ihn zum schmunzeln, und damit verließ er das Zimmer. Auf seinem Weg machte er noch einen kurzen Abstecher ins Bad, um Shampoo, Duschgel und was er sonst noch alles mit auf Tour genommen hatte, wieder an ihren gewohnten Platz zu stellen, anschließend setzte er in der Küche Teewasser auf. Nichts davon ahnend, dass Kyo sich gerade mal wieder wegen ihm den Kopf zerbrach.
 

****
 

Satt und zufrieden schob Kaoru an diesem Abend die leere Schüssel von sich, in der vor wenigen Minuten noch dampfende Nudeln geschwommen hatten, lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und schloss kurz die Augen. Er war froh, wieder zuhause zu sein. Auch wenn ihm das Touren Spaß machte, so hatte Die doch nicht ganz Unrecht damit gehabt, dass fünf Wochen ziemlich lang waren. Immerhin bestand so ein Tourtag nur aus Schlafen, Essen, Soundcheck, Umziehen, Schminken und Auftritt, man hatte für nichts anderes Zeit, und das ging nach einer Weile wirklich ganz schön an die Substanz. Also würde er, sobald die letzten beiden Konzerte hinter ihnen lagen, erst einmal nichts machen, was auch nur im Entferntesten etwas mit Arbeit und Verpflichtung zu tun hatte, und das mindestens einen Monat lang. Zum Glück war für dieses Jahr kein neuer Album-Release geplant, es standen lediglich die Aufnahmen für ihre nächste Single an, und Mitte Juli gingen sie wieder auf Tour. Eventuell auch noch mal kurz im Herbst, aber das war noch nicht sicher. Also stand ihm relativ viel Freizeit bevor, und bei dem Gedanken daran lächelte er, ohne sich dessen bewusst zu sein. Sein Gegenüber war so freundlich, ihn darauf hinzuweisen. "Was grinst du denn so blöd?" Kaoru öffnete die Augen und sah Kyo an, der seine Portion Nudeln auch endlich geschafft hatte und ihn nun skeptisch musterte. "Sehr charmant, wirklich. Aber wenn es dich so brennend interessiert... Ich habe mich gerade an der Vorstellung erfreut, wie du morgen unseren Berg an Dreckwäsche zur Reinigung bringst und danach einkaufen gehst, weil wir nichts mehr im Kühlschrank haben und das hier die letzten Nudeln waren." kam die trockene (und nicht ganz wahrheitsgetreue) Antwort des Älteren, die Kyo aber offensichtlich überhaupt nicht in den Kram passte, wie man seiner verbalen Reaktion entnehmen konnte. "Wie bitte?! Geht's noch?! Dich hat man wohl bei deiner Geburt auf den Kopf fallen lassen!! Wie kommst du auf die selten dämliche Idee, dass ich das alles mache??" wetterte er los und starrte seinen Freund dabei mit einem entgeisterten, aber zugleich auch drohenden Blick an, der jedem anderen das Blut in den Adern hätte gefrieren lassen. Kaoru aber nahm es gewohnt gelassen hin und zuckte einfach mit den Schultern. "Aber du bist dran, ich war nämlich das letzte Mal einkaufen, das weiß ich genau. Und die Reinigung liegt auf dem Weg, also-"
 

"Nichts 'also', ich denke gar nicht dran!! Ist das wirklich das einzige, was dich interessiert, sobald wir wieder zurück sind?? Essen und Wäsche?? Ist das dein Leben??" keifte Kyo, inzwischen anscheinend wirklich sauer, weiter und seinem Freund stand nun doch die Verwirrung ins Gesicht geschrieben. "Was ist denn jetzt kaputt? Wieso regst du dich deswegen gleich so auf?" Da hielt der Angesprochene in seinem kleinen Ausbruch inne und man sah ihm an, dass ihm etwas auf der Zunge lag und wie er mit sich kämpfte, die Worte zurückzuhalten. Schließlich hatte Kyo seine Beherrschung wiedererlangt, stützte die Ellbogen auf der Tischplatte ab und massierte mit beiden Händen seine Stirn. "Sorry, ich wollte nicht so austicken. Ich geh raus und dreh mal 'ne kleine Runde..." Damit stand er langsam auf und schlurfte, ohne Kaoru noch einmal anzusehen, aus der Küche. Dieser hörte kurz darauf die Wohnungstür ins Schloss fallen und starrte nachdenklich auf die leeren Schüsseln vor ihm auf dem Tisch. Er konnte sich Kyo's Überreaktion nur damit erklären, dass er erschöpft und müde von der Tour war, also nahm er sich dessen Worte – deren Bedeutung überhaupt nicht zu ihm durchgedrungen war - auch nicht weiter zu Herzen. Und so fand der Jüngere ihn ganz sorglos und unbeschwert am PC im Wohnzimmer sitzend vor, als er etwa eine Stunde später zurückkam. Der zweite seiner beiden Monsterkoffer stand noch immer im Flur und wurde auch diesmal nicht beachtet, stattdessen hockte Kyo sich vor das CD-Regal neben ihrer unverschämt teuren Stereoanlage und zog nach kurzer Suche eine Hülle heraus. Während er die CD einlegte, sah Kaoru zu ihn hinüber. "Alles klar?" fragte er nur und Kyo nickte, ohne den Blick von der Anlage zu wenden, an der er gerade die Lautstärke einstellte. Das genügte seinem Freund offenbar, denn er widmete sich sogleich wieder dem Internet. Kaoru vermutete – nein, eigentlich wusste er es sogar ganz genau – dass Kyo sein Lieblingsalbum von X Japan eingelegt hatte und sich gleich mit seinen Kopfhörern auf ihre Couch legen und die Zimmerdecke anstarren würde. Das tat er immer, um sich zu beruhigen oder zu entspannen. Und der Gitarrist behielt Recht.
 

Als Kyo aber nach einer Weile plötzlich neben ihm stand und meinte, er würde schon mal ins Bett verschwinden, war Kaoru doch überrascht. Er hatte beim Surfen jegliches Zeitgefühl verloren und merkte erst jetzt, dass es draußen bereits dunkel war. Die Uhr in der unteren Ecke seines Monitors zeigte 22:15 an, normalerweise noch nicht wirklich ihre Zeit, um schlafen zu gehen, aber nach einer Tour war es durchaus verständlich. Kaoru nickte, murmelte "Ich mach auch nicht mehr lange..." und drehte sich dabei schon wieder zu seinem PC um. Der erwartungsvolle Blick des Jüngeren entging ihm komplett, ebenso wie die Tatsache, dass dieser noch ganze fünf Minuten im Türrahmen zwischen Wohnzimmer und Flur stand und seinen vernachlässigten Koffer anstarrte, bevor er sich ins Bad trollte. Eine halbe Stunde später konnte Kaoru sich endlich von dem Rechner losreißen, den er während seiner Abwesenheit ziemlich vermisst hatte, und schaltete das Licht im Zimmer aus. Kopfschüttelnd registrierte er den Koffer, der seit Stunden keinen Zentimeter mehr bewegt worden war, ließ ihn aber ebenso zurück wie Kyo es zuvor getan hatte. War schließlich nicht seine Aufgabe, das Ding wegzuräumen. Im Schlafzimmer versuchte er ganz leise zu sein, um Kyo nicht zu wecken, bis dieser mit müder Stimme darauf hinwies, dass er noch wach war. Also zog Kaoru sich nicht mehr ganz so langsam und vorsichtig um, kroch dann ins Bett und hauchte seinem Freund flüchtig einen kleinen Kuss auf die Lippen. "Gute Nacht." war alles, was dieser noch zu hören bekam, und schon hatte der Größere sich auf die andere Seite gedreht und in seine Decke gekuschelt. Die in der Dunkelheit funkelnden Augen des Sängers bohrten sich in seinen Hinterkopf, aber davon bemerkte er nichts und war bald darauf tief und fest eingeschlafen. Im Gegensatz zu Kyo.
 

****
 

Was Kaoru am nächsten Morgen weckte war nicht etwa das Ruckeln des Tourbusses oder Toshiya's merkwürdiges Gebrabbel, das der Bassist im Schlaf des öfteren von sich gab, sondern der ungewohnte aber zugleich wundervolle Zustand des Ausgeschlafen-Seins. Gähnend streckte der Gitarrist sich und genoss das Gefühl eines richtigen Bettes mit bequemer Matratze, anstatt in der wenig komfortablen Schlafkoje ihres mobilen Hotels zu liegen und noch dazu all seine Bandmitglieder um sich herum schnarchen zu hören. Kyo's leises Schnorcheln, wie Kaoru es liebevoll nannte, war ja in Ordnung, aber die geballte Ladung Dir en grey gab ein wahres Konzert an nasalen und oralen Geräuschen unterschiedlichster Lautstärke, und das in diesem Fall nicht auf der Bühne. Aber apropos Kyo, wo war der eigentlich? Denn mittlerweile hatte Kaoru seine Augen weit genug aufbekommen um zu entdecken, dass der Jüngere nicht mehr neben ihm lag. Er wagte einen vorsichtigen Blick über das Fußende des Bettes hinaus und grinste zufrieden. Der Wäscheberg in der Ecke war tatsächlich über Nacht doppelt so groß geworden. 'Er konnte wohl nicht richtig schlafen, weil er ein schlechtes Gewissen hatte.' Eine Sekunde später schüttelte Kaoru feixend den Kopf, da dieser Gedanke wirklich mehr als absurd war. Es musste schon so etwas wie eine in Flammen stehende Wohnung oder ein geschrotteter Wagen sein, damit Kyo mal ein schlechtes Gewissen bekam. Aber wie dem auch sei, er hatte es offensichtlich geschafft, seine Koffer auszupacken und wegzuräumen, und hatte seinem Freund damit einen schönen Morgen beschert. Auch wenn Kaoru bezweifelte, dass das Kyo's Absicht gewesen war.
 

Nach zehn Minuten konnte Kaoru sich endlich dazu durchringen, die angenehme Wärme seines Bettes zu verlassen, tapste in den Flur... und stutzte. Der zweite Koffer stand noch immer an seinem alten Platz neben der Garderobe. 'Wahnsinn... Kyo muss ja ein wahres Einpack-Wunder sein, wenn er es schafft, so viel Wäsche in einem einzigen Koffer unterzubringen. Und ich kann mich nicht erinnern, dass er außer Klamotten noch großartig viel anderes Zeug mitgenommen hatte...' Verwirrte beäugte der Gitarrist das Gepäckstück noch einen Moment, zuckte dann aber mit den Schultern und setzte seinen Weg in die Küche fort. Dort traf er, wie erwartet, auf Kyo, welcher bereits komplett angezogenen war und gedankenverloren an seinem Kaffee nippte. Kaoru goss sich ebenfalls etwas von dem braunen Muntermacher in eine Tasse, setzte sich dann seinem Freund gegenüber an den Tisch und öffnete nach kurzem Zögern den Mund. "Also ich übernehme das mit dem Einkaufen und so, aber es wäre wirklich toll wenn du es schaffen würdest, dieses Monster im Flur vorher noch auszupacken, damit ich nicht zweimal zur Reinigung fahren muss." Bei seinen Worten, denen er nicht einmal ein kleines "Guten Morgen." oder "Gut geschlafen?" vorangeschickt hatte, sah Kyo ihn ausdruckslos an und antwortete schließlich "Hab ich schon." Kaoru hob eine Augenbraue. "Eh? Soll das heißen, du hast den Koffer ausgepackt und dann wieder zurück in den Flur gestellt? Wieso denn das?" Langsam schüttelte Kyo den Kopf als Zeichen dafür, dass der Leader ihn nicht richtig verstanden hatte, und sah diesem fest in die Augen.
 

"Ich muss mit dir reden."
 

Anm.: Ich möchte darauf hinweisen, dass mir sehr wohl bewusst ist, wie unspektakulär und langweilig der Inhalt dieses Kapitels ist, weil außer Alltagstralala nix weiter passiert! Das ist Absicht!! Die Story wird noch interessant, versprochen!^^

~2~
 

"Er hat WAS???"
 

"Du hast es doch gehört."
 

"Ja, aber das heißt noch lange nicht, dass ich es auch glauben kann!!"
 

"Dann noch mal für dich zum mitschreiben: Er hat Schluss gemacht."
 

"Aber... aber... du ohne Kyo, das wäre wie... wie Sushi ohne Reis!! Wie Misosuppe ohne Miso, wie Taiyaki ohne Füllung, wie-"
 

"Es reicht, Totchi! Denkst du, dass du es damit besser machst?" unterbrach Die das entsetzte Kreischen ihres Bassisten, dessen Vorliebe für Vergleiche mit Gerichten mal wieder durchgekommen war, und schaute Kaoru dann mitleidig an. Der Leader saß neben ihm auf der Couch, war wie die anderen noch ganz verschwitzt von ihrem eben beendeten letzten Konzert der Tour, und bemühte sich darum, einen möglichst gelassenen Eindruck zu machen – was aber nur so lange funktionierte, bis der andere Gitarrist einen Arm um ihn legte und näher zu sich zog. Weinen konnte er nicht, weder jetzt noch während der letzten zwei Tage, denn dazu war er noch zu betäubt und obendrein verbot es ihm sein Stolz. Aber der lähmende Schmerz war da und fraß sich wie ein Parasit unaufhaltsam durch sein Inneres, und Kaoru gönnte sich einen Moment der Schwäche, indem er etwas in sich zusammensackte und seinen Kopf gegen Die's Schulter lehnte. Dieser strich ihm tröstend über den Arm. "Erzählst du uns, was Kyo gesagt hat, oder willst du lieber nicht darüber sprechen?" Auf die zögerlich gestellte Frage antwortete Kaoru zunächst nicht, stattdessen wanderte sein Blick langsam zu den Gesichtern seiner beiden anderen Bandkollegen, die ihnen gegenübersaßen. Toshiya, das emotionalste Mitglied Dir en grey's, war offensichtlich noch immer zutiefst schockiert über die Neuigkeit, und auch Shinya, der seine wahren Gefühle meist hinter einer ausdruckslosen Miene verbarg, starrte ihn fassungslos an. Immerhin waren Kyo und Kaoru bereits vor acht Jahren zusammengekommen, als sie noch unter dem Bandnamen La:Sadie's gespielt hatten, und es war kaum vorstellbar, dass sie nach so langer Zeit plötzlich nicht mehr Tisch und Bett teilen würden. Es war fast so, als ginge eine Ära zu Ende. Ganz ähnlich sah das auch Kaoru, und als ein leichtes Stupsen von Die's Hand ihn daran erinnerte, dass er diesem noch nicht geantwortet hatte, schloss er die Augen und schüttelte den Kopf. Er wollte nicht erzählen, was genau an diesem Tag gesagt worden war, konnte aber nicht verhindern, dass die Erinnerung daran ihn wieder einholte und unter sich begrub.
 

~flashback~
 

"Ich muss mit dir reden."
 

Kyo's Blick war ernst, zu ernst für Kaoru's Geschmack, also stellte der Gitarrist seine Kaffeetasse ab und sah seinen Freund aufmerksam an, und das zum ersten Mal seit langer Zeit. 'Wie ironisch...' dachte Kyo in diesem Moment bitter, ließ sich dadurch aber nicht von seiner Entscheidung abbringen, hier und jetzt für klare Verhältnisse zu sorgen. Denn das war schon längst überfällig. "Du wirst bestimmt ziemlich überrascht sein, weil ich glaube, dass du dich vor der Realität und unseren Problemen verschließt, aber es geht leider nicht anders." Wie zu erwarten gewesen war, hatte Kaoru nicht die geringste Ahnung, wovon der Jüngere da sprach, das verriet sein irritierter Blick mehr als deutlich. Kyo seufzte innerlich, fühlte sich aber gleichzeitig in seiner Vermutung bestätigt, weshalb ihm die nächsten Worte nun auch nicht mehr ganz so schwer fielen. "Ich habe lange genug den Mund gehalten, aber es kann so einfach nicht mehr weitergehen. Ich will, dass wir uns trennen, Kaoru." Die absolute Stille, die daraufhin eintrat, war beängstigend. Kaoru hielt, ohne es zu merken, den Atem an, versuchte sich einzureden, dass er sich verhört hatte, und schüttelte ungläubig den Kopf. "Das... das hast du doch nicht wirklich gerade gesagt, nicht wahr?" Seine Hoffnung wurde allerdings sofort von Kyo zerstört, dessen Blick sich nicht verändert hatte. "Doch, ich habe es gesagt, und ich meine es auch so. Es ist aus."
 

"Ja aber warum denn??" rief der Ältere da aufgebracht und starrte seinen Gegenüber mit weit aufgerissenen Augen an. "Ich versteh nur Bahnhof!! Was ist denn los?? Und welche Probleme sollen wir deiner Meinung nach haben?? Kannst du vielleicht mal Klartext reden??" Und obwohl Kyo sich vorgenommen hatte, ganz ruhig zu bleiben, so war er doch auch nur ein Mensch und – angesichts Kaoru's Blindheit und Ignoranz - zudem noch verletzt, weshalb sein Temperament nun ebenfalls etwas mit ihm durchging. "Ich... Ach Kao, sieh's endlich ein! Bei uns ist total die Luft raus, und das nicht erst seit gestern! Wir leben doch nur noch aus Gewohnheit zusammen, oder eher nebeneinander her, und wenigstens hat einer von uns den Mut, das mal laut auszusprechen! Denn so stelle ich mir keine Beziehung vor, du etwa?" Perplex blinzelte Kaoru ihn bei diesen Worten an, er konnte dem Sänger offenbar nicht ganz folgen. "Wie... wie kommst du darauf, dass bei uns die Luft raus ist?" Kyo widerstand dem Drang, die Augen zu verdrehen und sich mit der flachen Hand gegen die Stirn zu schlagen, und zwang sich stattdessen mit erstaunlicher Willensstärke wieder zu der Ruhe, die ihm kurz aus den Fingern geglitten war. "Der beste Beweis ist ja wohl der gestrige Tag, obwohl das leider bei weitem nicht der einzige ist. Denk mal drüber nach. Wir sind nach fünf Wochen endlich wieder hier, verbringen aber den Tag und die Nacht wie ein altes Ehepaar, das sich nichts mehr zu sagen hat. Wie oft hast du mich gestern wirklich angesehen, hm? Wie oft hast du darüber nachgedacht, was wir in den nächsten Wochen zusammen unternehmen könnten? Und wie oft hast du dich darüber gefreut, dass wir endlich wieder Zeit füreinander haben? Ich reiß mich wirklich nicht um die Rolle der nörgelnden Ehefrau, aber ich hab doch Recht, oder kannst du das Gegenteil behaupten?"
 

"Also ist das Problem, dass du dich vernachlässigt fühlst?!" schlussfolgerte Kaoru da etwas überstürzt und beschwor erneut Kyo's Zorn herauf. "Was heißt denn hier FÜHLST? Ich WERDE vernachlässigt, und zwar weil du kein Interesse mehr an mir hast! Oder hast du gestern auch nur ein einziges Mal an Sex gedacht? Wir haben vor sieben Wochen das letzte Mal miteinander geschlafen, Kao, das sind fast zwei Monate! Und komm mir jetzt bloß nicht mit Sprüchen wie 'Ich mach es wieder gut und verspreche, jede Nacht mit dir zu schlafen', ich will nicht Sex haben um ruhig gestellt zu werden oder weil es wieder mal an der Zeit ist, sondern weil mein Partner mich wirklich begehrt!" Der Sänger hielt kurz inne um sich wieder zu beruhigen und seinen Freund über die eben gesagten Worte nachdenken zu lassen, dann fuhr er fort - und holte zum weitaus größeren Schlag aus. "Aber nein, das ist nicht das Problem, jedenfalls nicht das einzige. Du solltest besser zuhören, denn ich habe von Problemen gesprochen. Umgekehrt ist es nämlich genauso, und das hat mir diese Tour nur noch bestätigt. Wir hatten während der ganzen fünf Wochen überhaupt keine Gelegenheit, mal ungestört ein bisschen Zeit miteinander zu verbringen, aber das hat mir gar nichts ausgemacht. Verstehst du, was ich sage? Ich habe es nicht vermisst, mit dir zusammen zu sein! Und ich finde, das sagt ziemlich viel über unsere Beziehung aus." Gekränkt sah der Gitarrist den Jüngeren an, blickte dann hinunter auf seine ineinander verschränkten Hände und erwiderte leise "Nein, das sagt nur etwas über deine Gefühle für mich aus. Mit meinen Gefühlen für dich hat es rein gar nichts zu tun, die haben sich nämlich nicht verändert."
 

"Dir das weiter einzureden ändert nichts an den Tatsachen, Kao. Wir haben das, was wir früher einmal füreinander empfanden, verloren. Und ich will mich, im Gegensatz zu dir, nicht verzweifelt an die Vergangenheit klammern. Die Zeit mit dir war sehr schön, und ich zähle sie auf jeden Fall zu der besten meines Lebens, aber jetzt ist sie vorbei. Je eher du das begreifst, desto besser ist es für dich, für mich, und auch für die Band." Kyo wusste, dass seine Worte hart und ziemlich gefühllos waren, aber die Situation ließ leider kein anderes Verhalten zu. Er musste Kaoru unmissverständlich klarmachen, dass er von seiner Entscheidung nicht abzubringen war, sonst würde der Gitarrist sich weiterhin Hoffnungen machen, und das wollte Kyo auf keinen Fall. Er liebte diesen Mann, mit dem er so viele Jahre zusammen gewesen war, zwar noch immer, aber eben nicht mehr so leidenschaftlich und bedingungslos wie damals. Ein Zustand, den zu verschweigen er nicht länger ertrug. Und der Sänger war felsenfest davon überzeugt, dass Kaoru, auch wenn er es abstritt, tief in seinem Inneren genauso oder zumindest ähnlich empfand.
 

~end flashback~
 

"Hat er dir denn wenigstens gesagt, warum er sich trennen will? Hat er etwa einen anderen?" Toshiya's Worte rissen den Gitarristen unvermittelt aus seinen trüben Gedanken und er blinzelte den Größeren irritiert an. "Was?" Geduldig wiederholte dieser seine Fragen und Kaoru nickte als Antwort auf die erste, was die anderen aber falsch deuteten. "Echt, er hat schon einen neuen?? Das kann ja wohl nicht wahr sein!! Weißt du auch, wen??" rief Toshiya empört und verwirrte seinen Leader damit erneut. "Wie? Was... Ach so, nein, das meinte ich damit nicht. Er hat nichts von einem anderen erzählt, und ich glaube auch nicht, dass es da jemanden gibt. Aber er hat mir seine Gründe genannt, und ich kann sie inzwischen auch nachvollziehen. Ich bin kein Opfer, eigentlich trage ich sogar die Hauptschuld an allem, also seid bitte nicht abweisend zu ihm. Er hat richtig gehandelt." Diese Einsicht hatte Kaoru viel Zeit und Mühe gekostet, und es nun laut auszusprechen fiel ihm ebenfalls nicht leicht, aber was sollte er denn sonst tun? Gegenargumente zu Kyo's Anschuldigungen waren ihm keine eingefallen, auch wenn er verzweifelt danach gesucht hatte, also war der Jüngere eindeutig im Recht. Und Kaoru musste seine Entscheidung akzeptieren, ob es ihm nun gefiel oder nicht. Und natürlich gefiel es ihm überhaupt nicht. Auch die anderen schienen von der Vorstellung, dass ihr Leader und Kyo von jetzt an nur noch Freunde waren, nicht besonders angetan, und tauschten fragende Blicke aus. Bis Shinya sich schließlich räusperte. "Und wo wohnt er jetzt?" Da starrte Kaoru mit gemischten Gefühlen auf den Boden und murmelte "Natürlich bei-"
 

"Ich wohne bei Gara." Toshiya und Shinya drehten sich überrascht um, Die und Kaoru sahen auf. Mit langsamen Schritten schlenderte Kyo auf sie zu und ließ sich neben Kaoru auf der Couch nieder. Er war sofort nach ihrem Auftritt ans Telefon gerufen worden und kam deshalb erst jetzt – mit einem Handtuch über den schweißnassen Schultern - zu seinen Bandkollegen in die Garderobe. "Aber nur vorübergehend, ich suche mir bald etwas eigenes." fügte er seiner Antwort noch hinzu und sah Kaoru dann prüfend an. "Ich dachte wir hatten ausgemacht, es ihnen gemeinsam zu sagen." Darauf reagierte sein Ex-Freund zunächst nur mit einem Schulterzucken, er hatte keine Lust, sich zu rechtfertigen. Als Kyo's Blick aber immer eindringlicher wurde, gab er schließlich nach. "Was hätte ich denn machen sollen? Die hat mich gleich nach der Show gefragt, warum ich so deprimiert aussehe und ob was passiert sei, da konnte ich ihn ja wohl schlecht anlügen." Das war zwar eine eher schwache Begründung, denn Kaoru hätte in dieser Situation einfach sagen können, dass er darauf antworten würde, sobald Kyo auch anwesend war, aber der Sänger wollte keine Diskussion anfangen und beließ es bei einem Nicken. Während er nach seiner Phillip Morris Schachtel auf dem Tisch griff und sich anschließend eine Zigarette zwischen die Lippen schob und anzündete, waren die ganze Zeit drei Augenpaare auf ihn gerichtet, und dessen war er sich auch sehr wohl bewusst. Es war immerhin nicht gerade eine unbedeutende Kleinigkeit, die seine Bandmitglieder eben erfahren hatten, daher konnte er ihre Verwirrung gut verstehen. Aber sie würden sich daran gewöhnen...
 

Toshiya war der erste, der nach einer Weile die Stille durchbrach. "Warum habt ihr uns das nicht schon gestern gesagt, sondern einen auf heile Welt gemacht?" schmollte der Bassist und sah plötzlich richtig beleidigt aus. Er war manchmal nicht unbedingt der Hellste, sonst hätte er sich diese Frage auch ganz leicht selbst beantworten können. Kaoru übernahm es, seinem Kollegen auf die Sprünge zu helfen. "Weil wir nicht wollten, dass unsere Neuigkeit euch von den beiden letzten Auftritten ablenkt. Wir hielten es einfach für klüger, zu warten bis die Tour vorbei ist, verstehst du?" Toshiya nickte langsam, sah aber trotzdem nicht viel glücklicher aus. "Ihr seid echt gute Schauspieler, habt euch gestern wirklich gar nichts anmerken lassen. Und heute auch kaum, bis auf Kao..." Er nahm Kyo und Kaoru ihr Schweigen offensichtlich noch immer etwas übel. "Lass gut sein, Totchi, es ist schließlich ganz allein ihre Sache, ob und wann sie uns davon erzählen." versuchte Die den Bassisten zu besänftigen, dann wandte er sich mit unsicherem Blick an Kyo. "Und das ist jetzt wirklich endgültig? Ich meine, ist es ausgeschlossen dass ihr wieder zusammen kommt, oder ist das hier eher so eine Art Auszeit?" Kaoru presste die Lippen aufeinander. Wenn es nach ihm ginge, dann wäre die zweite Variante der Fall, aber er wusste ja, dass Kyo das etwas anders sah. Dieser fuhr sich mit einer Hand durch die verschwitzten Haare, die beim gestrigen Konzert noch blond, heute dagegen schwarz gefärbt waren, und schüttelte den Kopf. "Nein, keine Auszeit. Ich-" Abrupt hielt er inne und sah von Die zu Kaoru, der noch immer an der Schulter des anderen Gitarristen lehnte. "Hast du ihnen erzählt, warum ich..."
 

"Nein, ich habe nur gesagt, dass du deine guten Gründe hast, mehr nicht." beantwortete Kaoru die unvollständige Frage seines Ex-Freundes und richtete sich wieder etwas auf. Sein Blick veränderte sich dabei, der Moment der Schwäche war vorüber. "So, und jetzt wird es langsam Zeit, zu duschen und unseren Kram zu packen, wir haben hier lange genug rumgehockt." sprach der Leader und sah dann schmunzelnd in die Runde. "Oder habt ihr etwa keine Lust auf die After Show Party?" Shinya hob bei diesen unerwarteten Worten eine Augenbraue, sagte aber weiterhin nichts, das übernahm Die zwei Sekunden später für den Drummer. "Naja... wir eigentlich schon, aber bist du denn in der Stimmung für eine Party?" Da erschien ein Grinsen auf Kaoru's Gesicht, das nicht ganz so ungezwungen war wie es aussah. "Was, bloß weil ich nach acht Jahren plötzlich wieder Single bin? Ich hatte eigentlich nicht vor, mich deshalb für den Rest meines Lebens irgendwo zu verkriechen und in Selbstmitleid zu zerfließen, dafür bin ich mit meinen 30 Jahren auch noch viel zu jung! Life goes on, oder wie das heißt." Dass seine vier Kollegen diesen unbeschwerten Worten Glauben schenkten, konnte er nur hoffen, aber ihren skeptischen Blicken nach zu urteilen waren ihm seine Überzeugungsversuche anscheinend nicht so richtig geglückt. Kaoru verdrehte die Augen. "Jetzt kuckt nicht so, und wagt es ja nicht, mich in Zukunft mit Samthandschuhen anzufassen. Wir werden uns alle ganz schnell daran gewöhnt haben, und Kyo und ich sind immer noch sehr gute Freunde. Hab ich Recht?" fragte er an den Sänger gewandt und dieser nickte, wobei ein kleines Lächeln seine Mundwinkel noch oben zog. Kaoru nickte ebenfalls, stand dann wortlos auf und ging zur Tür der Garderobe. Dort angekommen drehte er sich mit einem Ruck um und warf den übrigen Mitgliedern Dir en grey's einen bitterbösen Blick zu, den sie nur allzu gut kannten. "Und jetzt macht mal ein bisschen Betrieb, sonst trete ich euch in eure faulen Ärsche." Noch ein schnelles Zwinkern, dann war der Leader um die Ecke verschwunden, und nach einem kurzen Schweigen machten sich auch die anderen auf den Weg zu den Duschräumen.
 

****
 

Zwei Stunden später war Kaoru zu der Überzeugung gelangt, dass seine optimistischen Worte nicht viel mehr als heiße Luft gewesen waren, mit denen er sogar sich selbst kurzzeitig hatte täuschen können. Davon war nun allerdings nichts mehr übrig. Die After Show Party war in vollem Gange, alle Gäste amüsierten sich prächtig, und er war mitten unter ihnen und wünschte sich so weit weg wie möglich. Zwei Tage hatten ihm anscheinend doch nicht gereicht, um sich mit der neuen Situation abzufinden, auch wenn er sich alle Mühe gab, seinen Frust hinter einem falschen Lächeln zu verstecken. Kyo hatte mehr Zeit gehabt, sich an den Gedanken zu gewöhnen, und das merkte man auch; der Sänger plauderte angeregt mit befreundeten Musikern anderer Bands, trank, lachte und hatte ganz offensichtlich Spaß. Es war eigentlich alles wie immer, nur dass er nicht ständig neben Kaoru saß und ihm ab und zu einen Kuss stahl oder dem Gitarristen auf andere Art und Weise besondere Aufmerksamkeit schenkte. Aber Kyo ignorierte ihn nicht und ging ihm auch nicht aus dem Weg, sprach ganz ungezwungen mit Kaoru, prostete ihm zu und verhielt sich auch sonst vollkommen natürlich. Als würde ihm die Trennung gar nichts ausmachen. Dieser Gedanke wurde für Kaoru mit der Zeit immer unerträglicher, und gerade als er sich sicher war, dass der Abend auf keinen Fall noch beschissener werden konnte, tauchte ein verspäteter Gast auf und erhöhte die schlechte Laune des Gitarristen noch um ein Vielfaches. "Sorry, dass ich erst jetzt komme! Es gab einen kleinen Notfall und wir mussten deswegen alle länger als geplant im Studio bleiben." entschuldigte Gara sich mit dem Blick eines Unschuldslämmchens - wobei Kaoru fast die Galle hochkam - und setzte sich neben Kyo an ihren Tisch. Eigentlich waren es vier Tische, die man zusammengeschoben hatte damit mehr Leute daran Platz fanden, und es herrschte ein ständiges Kommen und Gehen. Zur Zeit wurden sie von Kaoru, Kyo, Die, Daisuke von Kagerou und einigen enger befreundeten Roadies besetzt. Und nun eben auch von Gara, sehr zum Leidwesen eines gewissen Gitarristen. "Was war das denn für ein Notfall?" hakte Kyo sofort neugierig nach, während er eine Bierflasche vor seinen Freund und derzeitigen Mitbewohner auf den Tisch stellte. Aber der Sänger von Merry winkte mit einem kleinen Grinsen ab. "Ach, das war nicht weiter wild, erzähl ich dir später."
 

'Ja, später, wenn ihr zuhause seid.' fügte Kaoru noch in Gedanken hinzu und richtete seine Augen dann schnell auf das Glas Sake vor sich, damit niemandem sein mordlüsterner Blick auffiel. Da war sie wieder. Seine alte, verhasste Bekannte, die er vor fast acht Jahren kennengelernt und nach mehreren Wochen erfolgreich wieder abgeschüttelt hatte, feierte seit zwei Tagen ihr großes Comeback. Ihr Name: Eifersucht. Es war nicht einmal so, dass Kaoru Gara nicht leiden konnte, der Sänger war ihm durchaus sympathisch und eine äußerst angenehme Gesellschaft, aber das schreckte Madame Eifersucht nicht ab. Im Gegenteil, Gara war das gefundenes Fressen für sie, denn auch Kyo hatte sich dessen einnehmender Persönlichkeit nicht entziehen können und war schon seit der Zeit, als Gara noch als Roadie bei La:Sadie's geschuftet hatte, sehr gut mit ihm befreundet. Zu gut, wie Kaoru damals fand, aber Kyo hatte ihn nach etlichen unschönen Szenen und Streitgesprächen schließlich doch davon überzeugen können, dass zwischen ihm und Gara nichts lief. Aber damals war Kyo in einer Beziehung gewesen, jetzt konnte er wieder tun und lassen, was er wollte, und außerdem wohnte er bei dem anderen Sänger... schlief mit ihm unter einem Dach... vielleicht sogar im selben Zimmer... im selben Bett... Bilder von Kyo und Gara, sich in den Armen liegend und leidenschaftlich küssend, tauchten erst verschwommen, dann immer klarer in Kaoru's Vorstellung auf, quälten den Gitarristen und ließen ihn nicht mehr los, bis plötzlich jemand vor seinem Gesicht mit den Fingern schnippte und ihn schlagartig zurück in die Realität beförderte. Erleichtert blickte Kaoru auf und in das Gesicht seines Erlösers, der aber, wie er feststellen musste, gleichzeitig sein schlimmster Alptraum war. Es fiel Kaoru alles andere als leicht, Gara's Lächeln zu erwidern. "Ich hab mich schon gefragt, ob du mich den ganzen Abend ignorieren willst." meinte dieser und nahm einen Schluck von seinem Bier, ließ den Gitarristen dabei aber nicht aus den Augen. Kaoru warf einen flüchtigen Blick auf Kyo, der sich gerade mit Daisuke über irgendetwas köstlich amüsierte, sah dann zurück zu Gara und erwiderte "Ich war nur gerade in Gedanken."
 

"Ich verstehe..." kam die sanfte Antwort des Sängers, der Kaoru's Blick gefolgt war, und er lehnte sich vor und sah den Älteren eindringlich an. "Aber glaub mir, du machst dir mal wieder viel zu viele Gedanken... genau wie früher..." Natürlich wusste Kaoru, worauf Gara anspielte, und er zuckte mit den Schultern und meinte betont gleichgültig, dass er jetzt sowieso nicht mehr das Recht dazu hatte. Sein Gegenüber starrte ihn noch einen Moment wortlos an, dann nickte er kurz und sein Blick wurde nachdenklich. "Das stimmt zwar, aber... Also ich möchte damit nicht respektlos klingen, Kaoru, wirklich nicht... aber nicht das Recht zu haben, etwas zu tun, hält die Menschen oft nicht davon ab, es trotzdem zu tun..." Gerade als Kaoru etwas auf diese vorsichtig geäußerten Worte erwidern wollte, ließ sich jemand nicht unbedingt leise und unauffällig direkt neben ihm auf einen Stuhl fallen und zog die Aufmerksamkeit der beiden auf sich. Besagter Störenfried stellte sich nämlich als ziemlich aufgekratzter Toshiya heraus, der Gara erst einmal freudig begrüßte und dann grinsend erzählte, dass er bis vor einer Minute mit einer unbekannten Schönheit getanzt hatte. "Und warum bringst du sie nicht her?" fragte Kaoru, der sehr froh über die plötzliche Unterbrechung durch den Bassisten war, woraufhin dessen Grinsen noch breiter wurde. "Sie sagt nur schnell ihren Freundinnen Bescheid, dass die heute ohne sie heimfahren werden. Ich bin auch nur hier, um mich zu verabschieden und euch noch einen schönen Abend zu wünschen." Er zwinkerte vielsagend und nun mussten auch Gara und Kaoru grinsen. "Ich nehme mal an, dass unser Abend nicht ganz so schön werden wird wie deiner, aber trotzdem danke." meinte Kaoru und stieß mit seinem Glas leicht gegen die Bierflasche in Toshiya's Hand. Auch Gara prostete dem Bassisten schmunzelnd zu, der seine Flasche in wenigen Zügen leerte und sich danach auch von den anderen, darunter Kyo und Daisuke, verabschiedete. Kaoru sah Toshiya noch so lange hinterher, bis dieser mit seiner neusten Eroberung den Klub verlassen hatte, dann wanderte sein Blick erneut zu Kyo, was dieser allerdings nicht bemerkte, da Gara gerade seine ungeteilte Aufmerksamkeit genoss. Die Laune des Gitarristen sank sofort wieder in den Keller, und ein leises Seufzen entwich seiner Kehle, um im Lärm aus Musik, Gesprächen und Gelächter unterzugehen. Lange betrachtete Kaoru das markante Gesicht seines Ex-Freundes, dann glitt sein Blick langsam über Kyo's Hals und die vertrauten Hände, mit denen der Jüngere sein Kinn stützte, hinunter zu dessen ärmellosen Shirt, das zwar die tätowierten Arme preisgab, den durchtrainierten Oberkörper des Sängers aber leider verbarg. Und Kaoru konnte sich in diesem Moment absolut nicht vorstellen, jemals mit einem anderen als Kyo einen schönen Abend zu haben.

Golden Week (29.4. - 5.5.)

... ist eine Ansammlung von mehreren nationalen Feiertagen innerhalb von sieben Tagen. Kombiniert mit gut platzierten Wochenenden, wird die Golden Week eine der längsten Ferienperioden des japanischen Jahres. Viele Firmen geben zusätzliche Tage frei, um die Golden Week zu durchgehenden Ferien zu erweitern. (http://www.kuroitenshi.de/Feiertage.htm)
 

~3~
 

Entsetzt riss Kaoru die Augen auf. Ein Schrei, so ohrenbetäubend und markerschütternd, wie er nur von einer gequälten Seele in größter Not kommen konnte, hatte ihn unvermittelt aus seinem traumlosen Schlaf aufschrecken lassen und der arme Gitarrist sah sich verwirrt und leicht panisch in seinem Wohnzimmer um. Einen Moment später gab er ein genervtes Murren von sich und sank zurück auf das Polster seiner Couch, beachtete den im Fernsehen laufenden Spielfilm nicht weiter, in dem eine junge, blonde Frau – wahrscheinlich Amerikanerin – verzweifelt um Hilfe rief, während eine unförmige Bestie langsam und bedrohlich auf sie zukroch. Wie oft war es dem Gitarristen seit der After Show Party vor vier Tagen schon passiert, dass er bis spät in die Nacht gelangweilt vor dem Fernseher gesessen hatte und irgendwann einfach eingeschlafen war? Die Antwort war mehr als traurig. Es waren genau drei Mal, also jede Nacht. Was ihn auch nicht sonderlich verwunderte beim Anblick der vielen leeren Bierflaschen auf, neben und unter dem Couchtisch. 'Wie armselig...' dachte er deprimiert und kniff gleich darauf die Augen fest zusammen, als der Todesschrei der Blondine schmerzhaft in seinem Kopf dröhnte. Hoffentlich hatte er irgendwo noch Aspirin. Aber das, so beschloss Kaoru, würde er frühestens in einer halben Stunde herausfinden, eher konnte und wollte er sich nicht von der bequemen Horizontale in die unangenehme Vertikale begeben. Doch wenige Minuten später machte ihm jemand einen Strich durch die Rechnung und wählte die Nummer des Leaders, woraufhin dessen Telefon klingelte, welches sich dummerweise nicht in unmittelbarer Reichweite befand. Es kam Kaoru kurz in den Sinn, das Ding einfach zu ignorieren und weiter liegen zu bleiben, doch schließlich siegte der letzte Rest Vernunft in seinem noch etwas benebelten Hirn und er erhob sich von seinem Lager und trottete gähnend hinüber zum Fensterbrett, auf dem das Telefon stand. "Hallo?" murmelte er hinein und bereute schon im nächsten Moment zutiefst, sich für das Telefon und gegen die Couch entschieden zu haben. "Hey Kao, wie geht's denn so?" trällerte ihm Die's viel zu fröhliche Stimme entgegen und Kaoru verdrehte die Augen. "Würdest du hier auch anrufen und mich das fragen, wenn Kyo sich nicht vor einer Woche von mir getrennt hätte?"
 

"Was haben wir aber heute für gute Laune." stichelte Die voller Ironie, doch als der andere Gitarrist darauf nichts erwiderte, fuhr er deutlich ernster fort. "Kao, du musst dich vor mir nicht verstellen und den harten Kerl mimen, ich weiß genau, dass dich die Trennung von Kyo fertig macht. Das ist ja auch mehr als verständlich. Also wirst du es mir doch wohl nicht übel nehmen, wenn ich mich mal melde und nach deinem werten Befinden erkundige. Nicht, dass du dich jeden Abend aus lauter Frust besäufst." Kaoru schielte hinüber zum Couchtisch. "Tu ich nicht." Kurzes Schweigen am anderen Ende der Leitung. "Aha, und was machst du stattdessen schönes?" Ein flüchtiger Blick zum Fernseher. "Arbeiten." Das kam dann doch etwas überraschend für Die. "Wie bitte? Du arbeitest?! Du hast da wohl etwas verwechselt, mein Lieber, Urlaub wurde nicht zum arbeiten erfunden, sondern um sich davon zu erholen!" Die entsetzten Worte des anderen Gitarristen ließen Kaoru – trotz Kopfschmerzen und flauem Magen – ein wenig schmunzeln. "Ich sehe es eher so, dass ich mich im Urlaub von euch erhole, nicht von der Arbeit an sich. Ihr vier seid nämlich weitaus anstrengender." Er hörte ein leises Schnauben und konnte sich Die's schmollendes Gesicht mit der beleidigten Schnute wunderbar bildlich vorstellen, was zur Verbesserung seiner Laune erheblich beitrug. "Ach DaiDai, es ist ja echt lieb, dass du dir Sorgen machst, aber dafür gibt es keinen Grund. Ich springe zwar nicht vor Freude im Dreieck, aber ich komme schon klar."
 

'Ob ich ihn damit überzeugt habe?'
 

"Wirklich?"
 

'Anscheinend noch nicht ganz.'
 

"Ja, wirklich."
 

'Bitte...'
 

"Na wenn du das sagst..."
 

'Gott sei Dank!'
 

"Dann können wir uns ja heute Abend in Kabukichō treffen und ein bisschen um die Häuser ziehen!"
 

'Verdammt!!'
 

Kaoru konnte kaum glauben, wie beharrlich Die heute war, und verfluchte sich erneut dafür, das Klingeln nicht ignoriert zu haben. Er hatte absolut keine Lust darauf, seine Wohnung heute oder in den nächsten Tagen zu verlassen, schon gar nicht, um mit seinem Kollegen auf die Piste zu gehen. Jetzt musste eine Ausrede her, und zwar schnell. "Äh... das geht leider nicht, ich..." Hastig suchte er nach einem plausiblen Grund, den Vorschlag abzulehnen, fuhr sich verzweifelt mit einer Hand durch die ungewaschenen Haare und sagte schließlich das erste, das ihm in den Sinn kam. "Ich hab schon was vor." Eine Sekunde später machte seine Stirn Bekanntschaft mit der Wand und Kaoru musste sich stark beherrschen, um seinen Kopf nicht noch ein zweites und drittes Mal dagegen zu schlagen. Wie konnte er auch nur so bescheuert sein? Das war wirklich das Dämlichste, was er hatte sagen können, und Die's darauf folgende Frage bestätigte seine Befürchtungen. "Oho, darf man auch fragen, was das ist? Der Herr ist doch wohl nicht etwa verabredet?" Na prima, jetzt hatte er den Salat. Aber zum Glück fielen Kaoru diesmal genau die richtigen Worte ein. "Erst fragst du mich, ob ich mich vor lauter Trennungsschmerz ins Koma saufe, und dann denkst du plötzlich, ich würde schon nach einer Woche mit anderen durch's Bett hüpfen? Hab ich da einen Denkfehler oder ist das wirklich etwas widersprüchlich?" Das Schweigen des anderen Gitarristen ließ ihn erleichtert aufatmen, da hatte er sich ja gerade noch einmal aus der Affäre ziehen können. Gespannt wartete Kaoru auf Die's Reaktion. "Hmm... hast Recht, das war wohl etwas voreilig von mir. Aber es hätte ja sein können, dass du dich mit einem anderen über Kyo hinwegtrösten willst..." murmelte Die seine Erklärung und wurde dabei immer leiser. Kaoru seufzte. "Hör mal, so einer bin ich nicht. Wie schon gesagt, ich bin nicht gerade glücklich über Kyo's Entscheidung, aber ich habe sie akzeptiert und es geht mir den Umständen entsprechend gut. Ich hab auch ganz bestimmt nicht vor, ewig Single bleiben, aber... Die, hast du eigentlich eine Ahnung, wie lang acht Jahre sind? Darüber kommt man nicht in einer Woche hinweg, das braucht Zeit und-"
 

"Schon gut, Kao, du musst nicht weiterreden, ich versteh dich. Entschuldige bitte, dass ich dich so bedrängt und dir Sachen unterstellt hab, die nicht stimmen, das war nicht fair von mir." Die's kleinlaute Worte versetzten Kaoru's Herz einen leichten Stich, die Sorge seines Kollegen war ja keineswegs unbegründet, und dass er Die während des gesamten Gespräches von vorne bis hinten angelogen hatte, tat ihm jetzt aufrichtig leid. Aber das konnte Kaoru nun auch nicht mehr ändern, er musste sein kleines Schauspiel bis zum Ende durchziehen. "Macht doch nichts, ich weiß ja, dass du es nur gut meinst. Und danke, dass du an mich gedacht hast. Ich bin sicher, du findest ganz schnell jemanden, der mit dir die Straßen und Klubs unsicher macht." Bei diesen Worten grinste Die schon wieder, was Kaoru zwar nicht sah, sich aber denken konnte. "Stimmt, da mache ich mir keine Sorgen. Heute beginnt ja immerhin die Golden Week, da ist ganz Japan auf den Beinen. Das heißt Party pur und am Ende der Woche kann man mich von der Straße aufsammeln. Also dann, ich wünsch dir noch einen schönen Tag und heute Abend viel Spaß, was auch immer du da vor hast. Mach's gut!" Kaoru wünschte Die ebenfalls viel Vergnügen, fügte noch hinzu, dass er es nicht zu bunt treiben solle, und verabschiedete sich dann von seinem Freund. Nachdem er aufgelegt hatte, blieb der Gitarrist noch eine Weile reglos am Fenster stehen und starrte ins Leere, dann wanderte sein Blick erneut zum Couchtisch und Die's Worte wiederholten sich in seinem Kopf. " Ich wünsch dir noch einen schönen Tag und heute Abend viel Spaß, was auch immer du da vor hast." Mit hängenden Schultern machte Kaoru kehrt und ging in die Küche, um sich noch ein Bier zu holen.
 

****
 

Zwei Tage später hatte er endgültig die Nase voll. Die Wohnung war der reinste Schweinestall, überall lagen leere Flaschen und Fast Food-Schachteln herum, der Mülleimer quoll über und die Luft konnte man schon gar nicht mehr als solche bezeichnen. Genau wie man Kaoru nicht mehr als ansehnlichen Menschen bezeichnen konnte. Fettige Haarsträhnen hingen ihm in das ungewaschene Gesicht, das unrasiert noch schmutziger wirkte als es eigentlich war, seine blasse Haut und die dunklen Ringe unter seinen Augen ließen ihn krank und müde aussehen und das zerknitterte Shirt hatte es dringend nötig, gewaschen zu werden. Das alles stellte er bei einem unbeabsichtigten Blick in den Spiegel fest und stieg vor lauter Schreck sofort unter die Dusche. Eine halbe Stunde später verließ ein neuer Kaoru Niikura das Bad; gewaschen, frisch rasiert und – nach einem kurzen Ausflug in sein Schlafzimmer – mit sauberen Klamotten. Als er zurück ins Wohnzimmer kam, rümpfte er die Nase und musste über sich selbst den Kopf schütteln. Noch nie hatte er sich so dermaßen gehen lassen, es war wirklich eine Schande. Das Aufräumen, Lüften und Putzen dauerte dementsprechend auch etwas länger, aber nach einer reichlichen Stunde war (dank großer Spülmaschine, Turbostaubsauger und nahegelegenen Müll- und Flaschencontainern) der Normalzustand wieder hergestellt. Und nun saß der Gitarrist mit einer großen Tasse Kaffee am Küchentisch und überlegte, was er mit dem Rest des Tages anfangen sollte. Weiter wie ein erbärmliches Häufchen Elend in der Wohnung herumgammeln und Kyo nachtrauern kam nicht in Frage, das stand schon mal fest. Aber sich mit einem aus der Band treffen wollte er nicht wirklich, und seine anderen Freunde waren gleichzeitig auch Kyo's Freunde, auf deren fragende oder mitleidige Blicke er erst recht keine Lust hatte. Vielleicht reichte es ja für den Anfang, einfach nur ein bisschen durch die Stadt zu schlendern, denn raus an die frische Luft und unter Menschen wollte er unbedingt, ganz im Gegensatz zu gestern und den Tagen davor. Ein kurzer Blick auf die Küchenuhr verriet Kaoru, dass es gerade erst 13 Uhr war, und so beschloss er spontan, irgendwo in Shibuya einen kleinen Happen zu essen und danach bummeln zu gehen. Das würde ihn ganz sicher auf andere Gedanken bringen, jedenfalls hatte es früher auch immer funktioniert. Also trank er seinen Kaffe aus, zog sich um, unternahm noch etwas gegen seine Augenringe und verließ dann voller Zuversicht die Wohnung.
 

Der Gitarrist behielt auch Recht damit, dass ihn der kleine Ausflug auf andere Gedanken bringen würde, allerdings hatte er sich das etwas anders vorgestellt. Die hatte ihm zwar vorgestern noch gesagt, dass zur Zeit Golden Week war, aber daran hatte Kaoru heute schon gar nicht mehr gedacht, sonst wäre er wohl zuhause geblieben. Schon die Fahrt mit der U-Bahn war die reinste Zumutung gewesen, da hätte selbst die Bezeichnung Sardinenbüchse der vollgestopften Bahn noch geschmeichelt. Einen Sitzplatz hatte er natürlich nicht bekommen, der war während der Golden Week so wahrscheinlich wie ein Sechser im Lotto, und so war ihm nichts anderes übrig geblieben als bei jeder Station zu beten, dass hier die meisten Fahrgäste aussteigen würden, und die merkwürdig spitze Tasche der Frau hinter sich zu ertragen, die ihn ständig in den Rücken stach. Kaoru spürte den Schmerz selbst jetzt noch, während er in einem der zahlreichen (und natürlich ebenso überfüllten) Ramen-ya saß und seine Nudelsuppe schlürfte. Zum Glück war er allein unterwegs, so hatte er recht schnell einen Platz ergattern können, während andere sehr lange auf einen freien Tisch für mehrere Personen warten mussten. Das hatte seine Laune zwar wieder etwas angehoben, der Gedanke an seinen geplanten Streifzug durch die Geschäfte ließ den Gitarristen aber gleich wieder die Stirn runzeln. Einerseits kam ein solcher Einkaufsbummel in diesen Tagen schon fast einem Selbstmordversuch gleich, aber andererseits wollte er die strapaziöse Fahrt hierher nicht umsonst unternommen haben. Dieses Argument war dann auch der Grund dafür, dass Kaoru sich nach dem Bezahlen der Rechnung tatsächlich wagemutig ins Getümmel stürzte – und keine Stunde später völlig entnervt in einen Musik- und Instrumentenladen flüchtete. Er litt zwar nicht an Platzangst, aber diese Menschenmassen, die sich wie ein zäher Brei durch die Straßen schoben, waren dann doch etwas zu viel für ihn. Man kam kaum vorwärts, wurde ständig eingequetscht oder angerempelt, und musste sich, wenn man nicht erblinden wollte, vor den unzähligen Sonnenschirmen der jungen Frauen in Acht nehmen. Nein, unter solchen Umständen machte Kaoru das Shoppen keinen Spaß, und er musste ernüchtert feststellen, dass es auch hier in einem seiner Lieblingsläden deutlich voller war als an gewöhnlichen Tagen. Glücklicherweise tummelten sich die meisten Leute jedoch vor den CD-Regalen und hatten weniger Interesse an den Instrumenten, die im hinteren Bereich des Ladens standen, so würde er sich dort erholen und ein bisschen herumstöbern können. Ihm fiel auch schon, während er sich den nebeneinander aufgereihten Gitarren näherte, eine ins Auge die er sich genauer ansehen wollte, als Kaoru plötzlich zum x-ten Mal an diesem Tag von jemandem im Vorbeigehen angerempelt wurde. Anders als zuvor drehte der Fremde sich allerdings zu ihm um und entschuldigte sich, woraufhin Kaoru ebenfalls stehen blieb um zu erwidern, dass nichts passiert sei. Aber die Worte blieben ihm im Hals stecken und die Gitarre war vergessen.
 

Das Gesicht...
 

Der Mund...
 

Die Piercings...
 

Die Größe...
 

Kaoru's Kehle war auf einmal ganz trocken und er verspürte den starken Drang, sich die Augen zu reiben, so geschockt war er. Der junge Mann vor ihm sah fast so aus wie Kyo zu der Zeit, als er noch seine Piercings getragen hatte! Natürlich war er keine Kopie des Sängers, aber die Ähnlichkeit war doch erstaunlich und verschlug Kaoru im Moment vollkommen die Sprache. Auch der Fremde schien überrascht zu sein und starrte den Gitarristen mit großen Augen an, was Kaoru vermuten ließ, dass er erkannt worden war. Doch anstatt nachzufragen oder gleich um ein Autogramm zu bitten, entschuldigte der Jüngere sich noch einmal, nickte ihm dabei zu und marschierte dann weiter Richtung Ausgang. Kaoru sah ihm nach, überlegte für den Bruchteil einer Sekunde, ob er völlig den Verstand verloren hatte, und eilte dann ebenfalls zur Tür. Draußen auf dem Fußweg drängten sich immer noch tausende Japaner, aber das störte den Gitarristen nun aus einem ganz anderen Grund, nämlich dem, dass er den Kyo-Verschnitt so schlechter verfolgen konnte. Denn der tauchte genau in diesem Moment in der Menschenmasse unter und Kaoru hatte seine liebe Not damit, ihn wieder ausfindig zu machen und dann auch nicht mehr aus den Augen zu verlieren. Was musste der Kerl auch so winzig sein?! ... Aber war nicht genau das einer der Gründe, warum Kaoru ihm folgte? Er schätzte, dass der Unbekannte kaum größer war als Kyo, wenn überhaupt, und das gefiel ihm schon mal sehr gut. Und dann die Piercings... Kaoru war damals nicht wirklich begeistert gewesen als Kyo beschlossen hatte, seinen Gesichtsschmuck nicht mehr zu tragen, besonders beim Küssen hatte der Ältere sie vermisst und- Verdammt, wo war der Typ hin? Sofort reckte Kaoru suchend den Hals und verfluchte sich dabei, vor lauter Schwelgen in alten Erinnerungen unachtsam geworden zu sein. Wenn er den Fremden deswegen nun tatsächlich verloren hatte... Halt! Da! Da war er ja! Kaoru's Herz machte einen freudigen Hüpfer als er seine 'Beute' wieder entdeckte, die gerade ein Café betrat. Na Gott sei Dank, die Jagd hatte ein Ende. Erleichtert schob der Gitarrist sich durch die Menschenmassen hinüber zu dem Café, zögerte aber, als er nach der Türklinke greifen wollte. Was hatte er denn jetzt überhaupt vor? Sich einfach zu dem Fremden setzen und ein Gespräch anfangen? Nein, ganz sicher nicht, außerdem war es ziemlich wahrscheinlich, dass der andere sich hier mit jemandem traf. Aber was wollte Kaoru dann? Oder anders gefragt: Was wollte er von dem Unbekannten? Herausfinden, ob es noch mehr Gemeinsamkeiten zwischen ihm und Kyo gab? Oder sich davon überzeugen, dass er sich geirrt hatte was ihre Ähnlichkeit betraf? Wäre nicht er sondern zum Beispiel Die in dieser Situation gewesen und hätte Kaoru um Rat gefragt, dann hätte der vernünftige Leader ohne zu Zögern gesagt, dass Die mit dem Unsinn aufhören solle. Aber es war nun mal nicht Die der hier stand...
 

'Ach was soll's, ich lass mich einfach überraschen.' Mit diesem spontanen (und so gar nicht vernünftigen) Entschluss öffnete Kaoru die Tür, trat ein und ließ seinen Blick sogleich durch den große Raum schweifen. Das Café war gut besucht, aber zum Glück nicht brechend voll, er hatte also durchaus Chancen auf einen Platz, hoffentlich direkt an der Bar oder irgendwo anders, wo er gute Sicht hatte. Aber darum würde er sich kümmern sobald er wusste, wo der Unbekannte saß... Okay, jetzt wusste er es. Kaoru hatte das Gesicht, das seinem Ex-Freund so ähnelte, gerade noch rechtzeitig an einem Vierertisch erspäht, bevor es hinter der Getränkekarte verschwunden war. Sehr schön, jetzt konnte der Gitarrist sich in aller Ruhe unbemerkt ein Plätzchen suchen, das sich gut zum Beobachten eignete. Bei diesem Gedanken kam er sich zwar doch ziemlich albern vor, schob seine Neugier dann aber einfach darauf, dass ihm langweilig war und er eh nichts besseres zu tun hatte. Und eine Minute später saß Kaoru auch schon an der Bar, hielt die Getränkekarte so, dass er über deren Rand hinweg den Fremden sehen konnte, und bedauerte nicht zum ersten Mal an diesem Tag, seine Sonnenbrille zuhause vergessen zu haben. Der Gitarrist konnte nur hoffen, dass es nicht allzu sehr auffiel wenn er ständig hinüberschaute, entdeckt zu werden wäre ihm dann doch etwas peinlich. Die nächste halbe Stunde verbrachte Kaoru damit, den jungen Mann beim Lesen einer Zeitschrift zu beobachten und dabei gelegentlich an seinem Tee zu nippen, um nicht ganz so verdächtig zu wirken. In dieser Zeit schwirrten ihm zwei Dinge durch den Kopf: Zum einen die Erkenntnis, dass er sich nicht getäuscht hatte, denn der Fremde sah Kyo wirklich ähnlich, und zum anderen die Frage, warum der Jüngere allein an einem Tisch für vier Personen saß. Wenn er niemanden erwartete, sondern nur lesen und dabei etwas trinken wollte, hätte er sich doch auch an die Bar oder einen Zweiertisch setzen können. Besonders ereignisreich war Kaoru's Überwachungsaktion auch nicht gerade gewesen, Mr. Unbekannt hatte nur ab und zu einen Schluck aus seiner Tasse genommen und sich dabei ein wenig im Café umgesehen – der Gitarrist hatte natürlich jedes Mal vollkommen unauffällig weggeschaut – und war vor etwa zehn Minuten auf seinem Handy angerufen worden. Zuerst hatte Kaoru gedacht, dass der Fremde von dem Anrufer gerade versetzt wurde und wütend reagieren würde, aber das Lächeln auf seinen Lippen hatte diese Theorie zunichte gemacht. Und Kaoru's Herz schneller schlagen lassen. Es schlug sogar noch etwas schneller als er nun beobachtete, wie der Fremde sich mit einer hübschen Kellnerin unterhielt. Ja, unterhielt, denn für eine einfache Bestellung dauerte die ganze Sache eindeutig zu lange. Es sah für den Gitarristen vielmehr nach einem Flirt aus, und wie zur Bestätigung zwinkerte der Unbekannte der jungen Frau lächelnd zu, woraufhin diese nickte und dann, ebenfalls lächelnd, zur Bar eilte. Das gefiel Kaoru zwar ganz und gar nicht, aber-
 

'Aber was hab ich denn erwartet? Dass er sich an einen Kellner anstatt an eine Kellnerin ranmacht? Oder dass er sich hier mit seinen Eltern verabredet hat um ihnen mitzuteilen, dass ihr Sohnemann schwul ist? Wach auf, Kaoru, nicht jeder steht auf Männer! Und nicht jeder ist Single wie du...' Vollkommen in seine Gedanken vertieft schrak der Gitarrist etwas zusammen, als plötzlich eine Kaffeetasse vor ihm auf den Tresen gestellt wurde, und das ausgerechnet von der jungen Frau, mit der Kaoru's derzeitige Obsession gerade geflirtet hatte. "Den hab ich nicht bestellt." meinte er in der Annahme, der Kellnerin sei ein Fehler unterlaufen, doch diese zeigte sich von seinen Worten völlig unbeeindruckt. "Der Kaffee ist von dem jungen Herrn dort drüben," sie wies mit ihrem Kopf in die Richtung, in der der Unbekannte saß, "und er lässt ausrichten, dass sie ihn bestimmt brauchen werden, wenn sie ihn weiter anstarren wollen. Er wartet nämlich auf ein paar Freunde und wird noch eine ganze Weile hier sitzen." Überrascht blinzelte Kaoru die junge Frau an. Sie verzog zwar keine Miene, aber in ihren Augen konnte er problemlos ablesen, wie sehr sie die Situation amüsierte. Und ein kurzer Blick zu dem nun ebenfalls herübersehenden und grinsenden Fremden genügte, um sich ertappt und obendrein reichlich dämlich zu fühlen. Aber er wäre nicht Kaoru Niikura, Gitarrist und Leader von Dir en grey, wenn er das zeigen würde. Nein, da er nun schon aufgeflogen war, sollte er versuchen, das beste daraus zu machen und sich keine Blöße zu geben. Und so schaltete er von 'Maus in der Falle' auf 'Charmebolzen' um und sah die Kellnerin, die anscheinend doch nicht das Interesse des Unbekannten geweckt sondern lediglich als Botin gedient hatte, schmunzelnd an. "Dann sollte ich vielleicht mal rübergehen und mich für den Tipp und den Kaffee bedanken, oder was meinen Sie?" Bei diesen Worten stahl sich auch ein verschmitztes Lächeln auf das Gesicht der jungen Frau und sie erwiderte "Das wäre wohl angebracht." bevor sie sich umdrehte und wieder an ihre eigentliche Arbeit ging. 'Ja, das wäre es...' dachte Kaoru und sah wieder hinüber zu dem Kyo-Verschnitt. Dieser hatte sein Kinn auf die linke Hand gestützt, hob nun zusätzlich die – mit Ausnahme des Zeigefingers - zur Faust geballte rechte Hand und streckte den verbliebenen Finger in Kaoru's Richtung aus. Und knickte ihn ein. Und streckte ihn. Und knickte ihn wieder ein. Und streckte ihn erneut. Und so weiter. Kaoru musste sich zusammenreißen damit sein Schmunzeln, angesichts dieser lockenden Geste, nicht zu einem breiten Grinsen wurde. 'Der scheint es ja gar nicht erwarten zu können...'
 

Mit gestärktem Selbstvertrauen erhob der Gitarrist sich nun endlich vom Barhocker, nahm seine Kaffeetasse und schlenderte dann gemächlich auf den Fremden zu, unterbrach dabei nie ihren Blickkontakt. Auch seine Zielperson ließ ihn nicht eine Sekunde lang aus den Augen, und als Kaoru an dem Vierertisch angekommen war, schob der junge Mann den ihm gegenüber stehenden Stuhl mit einem Fuß nach hinten und grinste. Kaoru kam dieser stillen Aufforderung natürlich gerne nach, nahm Platz, stellte seine Tasse ab und sah in das merkwürdig vertraute Gesicht des Fremden. "Ich schätze, das mit dem heimlichen Beobachten ist nicht gerade meine Stärke, hm?" Sein Gegenüber zuckte mit den Schultern. "Also ich weiß ja nicht wie oft du sowas machst, aber falls es das erste Mal war, dann war's für den Anfang schon gar nicht so schlecht. Aber beim nächsten Versuch solltest du besser eine Sonnenbrille tragen." Das war dem Gitarristen zwar auch schon aufgefallen, aber darauf wollte er nicht weiter eingehen und schüttelte langsam den Kopf. "Es wird keinen nächsten Versuch geben, das war heute eine einmalige Ausnahme." Na wenn das nicht direkt war... Seine Worte verfehlten auch nicht ihre gewünschte Wirkung, denn der Jüngere hielt inne und stellte dann die Tasse, die er gerade an seinen Mund hatte führen wollen, wieder zurück auf den Tisch. "Das heißt, ich kann mir richtig was darauf einbilden, von dir verfolgt worden zu sein?" Kaoru beglückwünschte sich, jetzt ging das Gespräch in die richtige Richtung. "Ganz genau." antwortete er, mit seinem charmanten Lächeln als ständigem Begleiter, und wartete gespannt auf die Reaktion des Fremden. Dieser musterte ihn kurz und hob dann eine Augenbraue. "Heißt es auch, dass ich heute die erste und gleichzeitig letzte Chance hatte, dem Leader von Dir en grey einen Kaffee auszugeben?" Damit brachte er Kaoru völlig aus dem Konzept, der Gitarrist hatte in diesem Moment absolut nicht damit gerechnet, auf seine Identität angesprochen zu werden. Aber na gut, dann ging es jetzt eben auf einem kleinen Umweg weiter. "Aha, du hast mich also doch erkannt. Ich war mir vorhin im Laden nicht sicher..." Als er dies hörte, sah der Jüngere plötzlich ganz entrüstet aus, so als hätte Kaoru ihm unterstellt, der dümmste Mensch der Welt zu sein. "Natürlich hab ich dich erkannt, wäre sonst ja auch voll peinlich!" Das ging dem Gitarristen zwar runter wie Öl, aber er wollte sich dann doch nicht so sehr in den Himmel heben lassen. "Ach was, es gibt genug Leute in Japan, die keine Rockmusik hören und uns und andere Bands nicht kennen. Die Kellnerin, die du zu mir rübergeschickt hast, schien ja auch nicht zu wissen, wer ich bin." Zu seiner Überraschung nickte der Fremde. "Stimmt, Minami kennt eure Musik nicht, sie hört nur amerikanischen Pop und so'n Zeug." Na super, er kannte ihren Namen und sogar ihren Musikgeschmack. Vielleicht war sie ja seine Freundin und Kaoru verschwendete hier nur seine Zeit...
 

Ein bisschen entmutigt, auch wenn man ihm das nicht sonderlich ansah, öffnete der Gitarrist wieder den Mund. "Ich nehme mal an, du bist mit dieser Minami verabredet und wartest hier so lange, bis sie Feierabend hat, hab ich Recht?" fragte er und bekam auch genau die Antwort, die wohl jeder in einer solchen Situation bekommen hätte. "Neugierig bist du gar nicht, oder?" Sein Gegenüber schien aber nicht sauer oder genervt sondern grinste dabei, wovon Kaoru sich diesmal anstecken ließ und sich ebenfalls ein Grinsen erlaubte. "Das ist Berufskrankheit, ich muss als Leader immer über alles Bescheid wissen." Offenbar war dies eine plausible Erklärung für den anderen. "Na dann will ich dich mal nicht länger im Unklaren lassen. Nein, ich warte nicht auf Minami, ihre Schicht dauert auch noch eine ganze Weile. Ich kenne sie, weil wir in der Schule zusammen in eine Klasse gegangen sind, und als sie hier anfing hat sie mich mal hergeschleppt, um mir zu zeigen wo sie arbeitet. Seitdem ist das hier sowas wie mein Stammlokal. Ist dein Wissensdurst damit gestillt?" Es war wirklich erstaunlich, wie bereitwillig und offen dieser junge Mann Details von sich preisgab, die einen Wildfremden wie Kaoru eigentlich gar nichts angingen. Der Gitarrist war sich sicher, dass ihm jeder andere die Antwort auf seine ziemlich eindeutige Frage schon längst verweigert und ihn weggeschickt hätte, aber der kleine Kerl hier bot sogar an, ihm noch mehr zu erzählen. Bitte, wenn er es so haben wollte... "Noch nicht ganz, jetzt bin ich nämlich erst recht neugierig geworden. Wenn du nicht auf sie wartest, auf wen oder was wartest du denn dann?" Da wurde das Grinsen auf dem Gesicht des Fremden noch etwas breiter. "Auf meine Freundin." BAM! Kaoru's Augen weiteten sich und sein Lächeln verschwand, aber der andere erlöste ihn gleich wieder von seinem Schock und fügte hinzu "Und ihren Freund. Irre ich mich, oder bist du gerade ein bisschen blass um die Nase geworden?" Der Gitarrist sah sofort hinunter auf seinen Kaffee und versuchte mit aller Kraft, das Schmunzeln des Jüngeren zu ignorieren und nicht rot zu werden, was ihm auch erstaunlich gut gelang. Und dann lenkte er vom Thema ab indem er den anderen bat, genau dies nicht zu tun, und nahm anschließend einen Schluck von dem mittlerweile lauwarmen Getränk. Sein Gegenüber ließ es sich zwar nicht nehmen, Kaoru noch einen Moment mit seinem Grinsen und einem wissenden Blick zu foltern, dann gab er aber nach. "Hmm... na gut. Hast du vorhin mitgekriegt, dass ich auf dem Handy angerufen wurde?" Der Gitarrist nickte nur als Antwort. "Das waren die beiden. Sie wollten eigentlich schon vor einer ganzen Weile hier sein, aber dann kam ihnen etwas dazwischen und sie riefen an um Bescheid zu sagen, dass sie ein bisschen später kommen. Jetzt haben wir zwar leider nicht mehr so viel Zeit zum quatschen, aber ich habe sie wegen der Tour ziemlich lange nicht mehr gesehen, deshalb-"
 

"Moment mal, Tour? Welche Tour denn?" Kaoru blinzelte verwirrt und fragte sich, was er gerade verpasst hatte, wurde aber gleich darauf von dem Jüngeren aufgeklärt. "Oh, achso, das hätte ich wohl vorher erwähnen sollen. Ich bin Sänger in der Band baroque, und wir haben vor drei Tagen unsere Tour durch Japan beendet." Der Gitarrist glaubte, sich verhört zu haben. "Du bist Sänger?!" Ein Nicken. "In einer Band?!" Sein Gegenüber legte den Kopf etwas schief und sah ein wenig verwundert aus, nickte aber erneut. Das musste Kaoru erst einmal verdauen. Gab es wirklich solche Zufälle, oder sollte er langsam damit anfangen, an das Schicksal zu glauben? Aber darüber würde er wohl ein anderes Mal philosophieren, denn der Jüngere schaute ihn etwas besorgt an und fragte, ob alles in Ordnung sei. Kaoru lächelte. "Ja, alles okay, das kam nur etwas unerwartet. Und soll ich dich jetzt baroque-Sänger nennen, oder verrätst du mir auch noch deinen Namen?" Da verschwand die Sorge aus dem Gesicht des anderen und er grinste wieder. "Baroque-Sänger klingt zwar irgendwie cool, aber nenn mich lieber Ryo." Fast wären Kaoru bei diesen Worten die Augen rausgefallen. Das konnte doch nur ein Traum sein! Dieser gesprächige Zwerg sah seinem Ex-Freund nicht nur sehr ähnlich, war auch Sänger einer Band und hatte ebenfalls Lippen- und Augenbrauenpiercings und ungefähr die gleiche Körpergröße wie Kyo – nein, er musste zur Krönung auch noch einen fast gleich klingenden Namen haben! Wenn er jetzt noch tatsächlich schwul war, dann konnte und wollte Kaoru ihre Begegnung nicht mehr als Zufall abstempeln. "Hey Ryo, ist das dein neuer Freund?" Okay, soviel dazu... Die Stimme, die diese bedeutungsvolle Frage an ihre Ohren getragen hatte, gehörte einer jungen Frau, die plötzlich lächelnd neben dem Sänger aufgetaucht war. Als sie von diesem zu Kaoru sah, riss sie allerdings die Augen weit auf, eine Reaktion, die der Gitarrist gut kannte. Offenbar hatte diese junge Dame einen etwas anderen Musikgeschmack als Minami. "Oh mein Gott, oh mein Gott, das ist ja-" Weiter kam sie nicht, da Ryo ihr schnell eine Hand vor den stotternden Mund hielt. "Schrei hier nicht so rum, Mariko, das muss ja nicht jeder mitkriegen!" Während er noch darauf wartete, dass seine Bekannte sich wieder beruhigte, machte sich hinter ihr ein junger Mann mit einem kleinen Räuspern bemerkbar, woraufhin der Sänger ihn anstrahlte. "Hey Tsutomu, schön dich wiederzusehen!" Da riss Mariko sich los und funkelte Ryo beleidigt an, Kaoru schien sie in diesem Augenblick vollkommen vergessen zu haben. "Ach, bei ihm freust du dich und mir hältst du zur Begrüßung den Mund zu?! Na danke auch." Sie verschränkte die Arme und drehte sich von Ryo weg, der sofort damit anfing, sie immer und immer wieder in den Rücken zu pieksen. Nach etwa zehn Sekunden hatte sie es satt und fuhr genervt herum. "Was?"
 

"Ich hab dich vermisst." war die leise Antwort, und nicht nur Mariko schmolz bei Ryo's aufrichtigen Lächeln dahin. Nur dass Kaoru sich nicht im nächsten Moment auf den Sänger stürzte um ihn in eine feste Umarmung zu ziehen, obwohl der Gitarrist nichts dagegen gehabt hätte. Aber was nicht war, konnte ja noch werden... Amüsiert beobachtete er wie Ryo dagegen ankämpfte, von Mariko zerquetscht zu werden, und sie schließlich erfolgreich von sich schob und nach Luft rang. "Ich nehme mal an dass das heißen sollte, dass du mich auch vermisst hast?!" keuchte er und Mariko zwinkerte ihm kichernd zu. Dann fiel ihr aber wieder ein, dass da ja noch jemand am Tisch saß, und schon war sie mucksmäuschenstill und starrte Kaoru mit großen Augen an. Tsutomu, der nun neben ihr stand, sah dagegen fragend zu Ryo. "Stören wir?" Doch bevor sein Freund darauf antworten konnte, ergriff Kaoru das Wort. "Nein, ihr stört nicht, schließlich seid ihr ja miteinander verabredet. Ich habe mir nur erlaubt, mich ein bisschen mit Ryo zu unterhalten, damit er sich nicht langweilt." Er schaute zu besagtem Sänger und dieser erwiderte sein Lächeln, aber dabei wollte Kaoru es nicht belassen und kramte, während er aufstand, in der Innentasche seiner Jacke herum. Wenn er jetzt keine Karte mit seiner Handynummer dabei hatte, dann... Die Finger des Gitarristen schlossen sich um ein Stück Papier, das zu dick war für einen einfachen Zettel, und erleichtert zog er die Karte heraus und hielt sie Ryo hin, der auch ohne zu zögern danach griff. Kaoru ließ sie aber noch nicht los, sodass nun jeder eine Hälfte festhielt, und sah dem Sänger ein letztes Mal in die Augen. "Verlier sie nicht." Mit diesen Worten überließ er Ryo die Karte, nickte dessen beiden Freunden noch kurz zu und verließ dann die kleine Runde und gleich darauf das Café. Kaum war die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen, da tippte Mariko dem Sänger auf die Schulter und dieser riss seinen Blick von der Tür los und sah sie ebenso fragend an wie sie ihn. "Sag mal, Ryo... Irre ich mich, oder hat gerade der Leader von Dir en grey in aller Öffentlichkeit mit dir geflirtet?" Der Angesprochene betrachtete einen Moment die Karte in seiner Hand, steckte sie dann in seine Hosentasche und grinste wieder wie gewohnt. "Ich glaub, du irrst dich nicht." Da hob Mariko beide Augenbrauen, während sie und ihr Freund Tsutomu sich nun endlich an den Tisch setzten. "Und wirst du ihn anrufen?" Auf diese Frage antwortete Ryo nicht, sondern schmunzelte nur geheimnisvoll und nahm einen Schluck von seinem Cappuccino.

~4~
 

Am ersten Tag nach ihrer Begegnung lag Kaoru mal wieder nur faul in der Wohnung herum und ließ sein Handy nicht aus den Augen.
 

Am zweiten Tag vertrödelte er sich die Wartezeit damit, im Internet Näheres über die Band baroque herauszufinden.
 

Am dritten Tag war seine Laune bedrohlich nahe davor, wieder in den Keller oder sogar noch tiefer zu sinken.
 

Am vierten Tag klingelte endlich sein Handy. Und der Anrufer war... Dir en grey's Manager.
 

Keine 24 Stunden später waren die fünf Musiker wieder miteinander vereint, die Freude darüber hielt sich jedoch bei allen ziemlich in Grenzen. Die lag halb auf dem großen Tisch im Konferenzraum, hatte den Kopf auf seine verschränkten Arme gebettet und sah aus, als würde er schlafen. Man hatte dem Gitarristen schon beim Eintreten ansehen können, wie sehr ihn die Golden Week geschlaucht hatte, seine kleinen müden Augen und die kraftlosen Bewegungen waren mehr als eindeutig gewesen. Ihm gegenüber lag Toshiya in exakt der selben Position und Verfassung, offenbar hatte Die den Bassisten zu seinem Saufkumpanen auserkoren, nachdem er bei Kaoru abgeblitzt war. Während die beiden ihren Restrausch ausdösten, saß Shinya ungerührt auf seinem Stuhl neben Toshiya und war mit dem Schreiben einer SMS beschäftigt, und Kaoru hockte am Kopfende des Konferenztisches und hypnotisierte zum wiederholten Male sein Handy. Es fehlten nur noch ihr Manager und Kyo. Letzterer hatte es sich offenbar in den Kopf gesetzt, seinen Autritt heute mal etwas spektakulärer als sonst zu gestalten, denn auf einmal flog die Tür so weit auf, dass sie mit einem lauten Knall gegen die Wand dahinter donnerte und Die und Toshiya aus ihrem Halbkoma aufschrecken ließ. Vier verwunderte Augenpaare hefteten sich auf den Sänger, der seinen Blick prüfend durch den Raum schweifen ließ und dann plötzlich grinste. "Sehr schön, ich dachte schon, ich wäre der letzte." Zufrieden damit, dass ihr Manager noch nicht anwesend war, ließ Kyo sich auf den freien Stuhl neben Die fallen und fing an, in seiner Tasche zu wühlen. Dabei bemerkte er nicht die Aura des Bösen, die um den geweckten Gitarristen schwebte. "Nicht DER letzte, aber DAS letzte." Als ihm diese unfreundlichen Worte aus dem Mund seines sonst so gutgelaunten Kollegen zugezischt wurden, hielt Kyo in seiner Suche inne, hob den Kopf und blinzelte Die mit großen Augen an. "Wie bitte?" Der Größere gab als Antwort aber nur ein leises Grummeln von sich und ließ seinen Oberkörper dann wieder auf die Tischplatte sinken, so wie es Toshiya gleich nach Kyo's Erscheinen schon getan hatte. Der fragende Blick des Sängers wanderte daraufhin zu Kaoru, den Die's Reaktion absolut nicht überrascht hatte. Er deutete auf den anderen Gitarristen, dann auf Toshiya, und meinte nur "Golden Week."
 

"Ach so, na dann psssst." Kyo legte dabei einen Finger an die Lippen und zwinkerte Kaoru zu - eine Geste, die natürlich rein freundschaftlich gemeint war, dem Älteren aber einen unerwartet starken, schmerzhaften Stich im Herzen versetzte. Er musste sich in diesem Moment wohl oder übel eingestehen, dass er seinen Ex-Freund vermisste, und diese nun aufkommende Sehnsucht wurde immer stärker, je länger er Kyo beobachtete. Der Sänger hatte mittlerweile gefunden, wonach er gesucht hatte, und nahm einen großen Schluck aus seiner Wasserflasche, ehe er Kaoru wieder ansah und eine Augenbraue hob. "Seit wann arbeitet man im Urlaub eigentlich?" Damit sprach er genau das aus, was allen anderen auch schon die ganze Zeit auf der Zunge gelegen hatte, und wie auf Knopfdruck erhoben sich sowohl Die als auch Toshiya von ihrem harten Lager und nickten zustimmend. "Genau, ich dachte es hieß, wir hätten bis zur nächsten Tour frei. Darunter verstehe ich nicht, um 9 Uhr hier auf der Matte stehen zu müssen." murrte der um seinen Schönheitsschlaf gebrachte Bassist, und plötzlich befand Kaoru sich im Visier seiner genervten Bandkollegen. Leader zu sein hatte eben nicht nur Vorteile. "Seht mich bloß nicht so an, das Treffen heute war schließlich nicht meine Idee. Ich hab euch schon gestern am Telefon gesagt, dass wir Details zur Veröffentlichung der neuen Single klären müssen, weil sich etwas in der Planung geändert hat, also zieht gefälligst nicht solche Gesichter und wartet-" In diesem Moment klingelte Kaoru's Handy, die Nummer auf dem Display war ihm allerdings unbekannt. Der Gitarrist hob eine Hand als stumme Entschuldigung an seine Freunde, und nahm den Anruf entgegen. "Hallo?"
 

"Ich hab sie nicht verloren." Kaoru musste bei diesen Worten nicht erst überlegen, wer dran war, und er hätte Ryo für sein ausgezeichnetes Timing knutschen können. Immerhin sollte Kyo unter gar keinen Umständen merken, dass der Gitarrist ihn vermisste, und was wäre in diesem Fall geeigneter als ein geheimnisvolles Gespräch mit einem Unbekannten?! Aber er durfte nicht allzu offensichtlich am Telefon flirten, also entschied Kaoru sich schnell für eine andere Taktik und sein Gesicht nahm den gleichen selbstsicheren Ausdruck an wie vor ein paar Tagen im Café. "Freut mich zu hören. Und, hat Mariko sich von dem Schock wieder erholt?" Innerlich lobte er sich dafür, den Namen der jungen Frau, die bei seinem Anblick fast das ganze Café zusammengequiekt hatte, nicht vergessen zu haben, und dass er vor den vier anwesenden Musikern mit einer unbekannten Person über eine andere unbekannte Person sprach, machte die ganze Sache noch besser. Sie sollten ruhig wissen, dass er auch ohne sie und besonders ohne Kyo nicht allein dastand und für andere interessant war. Denn durch das Mitleid, welches ihm seit der Trennung entgegengebracht wurde, hatten sein Selbstwertgefühl und sein Stolz doch ziemlich gelitten. Aber damit war jetzt Schluss! Und so erhob Kaoru sich, während Ryo von Mariko erzählte, und verließ langsamen Schrittes den Raum, wobei er sich der neugierigen Blicke in seinem Rücken wohl bewusst war und sie aufs Äußerste genoss. Auf dem Gang angelangt und die Tür hinter sich geschlossen, widmete er dann seine ganze Aufmerksamkeit dem Anrufer, der ihn so viele Tage hatte warten lassen.
 

"-aber sie hat mir versprochen, vor ihren Kommilitonen nicht damit zu prahlen, dass sie dich getroffen hat. Sie erzählt ja auch keinem, dass sie mich kennt, auch wenn ich nicht so eine Berühmtheit bin wie du."
 

"Na na, miss deine Berühmtheit mal nicht daran, dass ich dich nicht kannte, ich krieg von den jüngeren Bands kaum noch etwas mit. Aber ich hab mich mal ein bisschen über euch schlau gemacht, und ihr scheint ziemlich erfolgreich zu sein."
 

"Da kam wohl wieder deine Berufskrankheit durch, hm?! Naja, stimmt schon, wir können nicht klagen. Aber deswegen ruf ich nicht an. Hast du später Zeit?"
 

"Wie, du meinst heute?"
 

"Genau, ich wollte fragen ob wir uns treffen können. Oder bist du beschäftigt?"
 

"Also ich sitze zwar gleich in einer Besprechung, aber die dürfte höchstens eine Stunde dauern. Danach hab ich den ganzen Tag Zeit."
 

"Gut, dann nehme ich hiermit deine Gesellschaft für den Rest des Tages in Anspruch. Irgendwelche Einwände?"
 

"Ganz und gar nicht. Wo und wann treffen wir uns?"
 

"Yoyogi Park, 12 Uhr. Und bring Hunger mit!"
 

"Okay, und wo genau?"
 

"Such mich."
 

"Wie bitte?"
 

"Such mich."
 

"...Dir ist schon klar, wie groß der Park ist, ne?!"
 

"Jupp."
 

"Krieg ich nicht mal einen kleinen Tipp?"
 

"Hmm... nördlich vom Teich mit dem Springbrunnen, auf der größten Wiese des Parks."
 

"Und du denkst wirklich, dass ich dich so finden werde?"
 

"Sieh es doch mal so: Es ist Donnerstag Mittag, und die Golden Week ist seit heute vorbei. Also gehen alle wieder wie gewohnt auf Arbeit oder in die Schule und es dürfte im Park um die Zeit relativ leer sein. Oder traust du es dir nicht zu, mich aufzuspüren?"
 

Kaoru musste zugeben, dass Ryo's indirekte Herausforderung einen gewissen Reiz hatte, und er antwortete "So gesehen dürfte es eigentlich doch kein großes Problem sein, dich zu finden." bevor er sich umdrehte und die Tür zum Konferenzraum wieder öffnete, in dem die übrigen Mitglieder Dir en grey's gelangweilt auf das Erscheinen ihres Managers warteten. Der Gitarrist freute sich, die Stille im Raum kam ihm sehr gelegen als Ryo sich wieder zu Wort meldete. "Schön, also sehen wir uns dann." In der Hoffnung, dass er den Sänger wirklich nicht lange würde suchen müssen, erwiderte Kaoru für alle gut hörbar "Ja, bis später." und vernahm nach einer kurzen Pause, während der er sich wieder auf seinen Stuhl gesetzt hatte, noch einmal Ryo's Stimme. "Ich freu mich." Er klang plötzlich gar nicht mehr so frech sondern vollkommen ehrlich, und Kaoru lächelte sanft. "Ich mich auch." Es folgte ein leises Klicken in der Leitung und der Gitarrist legte ebenfalls auf und verstaute sein Handy wieder in der Hosentasche. Dann hob er den Kopf und strahlte voller Enthusiasmus in die müden, griesgrämigen Gesichter seiner Kollegen. "Okay, wo waren wir?"
 

****
 

Ihr Manager war etwa fünf Minuten später endlich aufgetaucht um zu verkünden, dass die neue Single Saku doch schon eher als geplant, nämlich Mitte Juli veröffentlicht werden sollte, was den Unmut seiner Schützlinge noch gesteigert hatte. Nur Kaoru war so guter Laune gewesen, dass ihn die Aussichten auf einen verkürzten Urlaub und baldige Studioaufnahmen nicht weiter gestört hatten. Es war doch nur eine Single mit insgesamt drei Songs, die würden sie ganz schnell eingespielt haben. Nach der Besprechung, in der man sich auch auf eine weitere Tour von Ende Oktober bis Mitte November geeinigt hatte, war Kaoru direkt zum Yoyogi Park gefahren und stand nun vor dem Eingang in Harajuku. Es war kurz vor 11 Uhr, also hatte er noch mehr als eine Stunde Zeit, um den Sänger ausfindig zu machen, das sollte zu schaffen sein. Und so stiefelte Kaoru, nachdem er sich vorsichtshalber den aushängenden Lageplan angesehen hatte, los in Richtung Springbrunnen, der im Zentrum des Parks lag. Auf seinem Weg dorthin stellte der Gitarrist erleichtert fest, dass tatsächlich nur wenig Leute unterwegs waren, hauptsächlich Senioren oder Frauen mit Kinderwagen, und dies hob seine Laune noch weiter an. Gleichzeitig verspürte er aber auch ein längst vergessenes Kribbeln in der Magengrube, von dem er nicht sagen konnte, ob es reine Vorfreude oder nicht doch auch zum Teil Nervosität war, immerhin hatte er heute seine erste Verabredung seit acht Jahren. Aber er versuchte, diesen störenden Gedanken aus seinem Kopf zu verbannen und sich stattdessen auf das Wesentliche zu konzentrieren. Und das war im Moment, Ryo erst einmal zu finden.
 

Am Springbrunnen angelangt musste Kaoru sich kurz orientieren, bevor er weiter in Richtung Norden ging. Der Leader war ein pünktlicher Mensch und hatte keine Lust, ausgerechnet heute zu spät zu kommen, doch ein Blick auf seine Uhr, die nun 11:15 anzeigte, beruhigte ihn. Er wusste auch, dank des Lageplans, dass der Teich mit dem Springbrunnen auf der größten Wiese des Parks lag und er sich somit bereits auf ihr befand, also sollte Ryo eigentlich bald in Sicht kommen. Kaoru lief weiter, vorbei an einer Gruppe leicht übergewichtiger Frauen, die zusammen Gymnastik machten, und an Parkbänken, auf denen größtenteils ältere Männer saßen und Zeitung lasen oder sich einfach die warme Mittagssonne ins Gesicht scheinen ließen. Plötzlich verlangsamte er seinen Schritt etwas und kniff die Augen zusammen. Etwa 50 Meter von ihm entfernt hob sich eine riesengroße, knallrote Decke deutlich vom Gras ab, auf der anscheinend nur eine einzige Person lag, und je näher er kam, desto sicherer wurde Kaoru, dass er Ryo gefunden hatte. Da er ja noch viel Zeit hatte, schlenderte er nun ganz gemächlich weiter, und auf den letzten paar Metern verzog sich sein Mund zu einem kleinen Grinsen. Der Anblick, der sich ihm da bot, war aber auch zu niedlich.
 

Ryo lag auf dem Rücken und hatte seine Arme als Kissenersatz unter dem Kopf verschränkt, sein linkes Bein war angewinkelt und diente dem anderen Bein als Stütze. Das an sich war noch völlig normal, es war etwas anderes, das Kaoru amüsierte. Der Sänger hörte nämlich über Kopfhörer Musik und bewegte dazu die Lippen, und seine Mimik gab genau das wieder, was er bei den einzelnen Stellen des gerade gespielten Liedes empfand. Es war offenbar ein sehr abwechslungsreiches Stück, denn in einem Moment hatte Ryo noch nachdenklich die Augenbrauen zusammengezogen, und im nächsten Moment lächelte er schon wieder wie ein kleiner Sonnenschein, was besonders süß aussah, da er dabei ja noch lautlos mitsang. Und sein nackter, gen Himmel zeigender Fuß wippte eifrig im Takt mit. Kaoru dachte nicht im Traum daran, sich jetzt schon bemerkbar zu machen, er schaute dem kleinen Vollblutsänger lieber noch ein Weilchen zu und achtete darauf, dass sein Schatten dabei nicht auf Ryo's Gesicht fiel und seine Ankunft verriet. Nach einigen Minuten entschied er sich aber spontan – obwohl er dem Jüngeren noch viel länger hätte zusehen können – für einen weiteren Vergleich mit seinem Ex-Freund und kitzelte Ryo am Fuß. Dessen Reaktion war zu Kaoru's Freude auch sehr Kyo-typisch, denn der kleine Kerl gab ein lautes Quietschen von sich, riss den belästigten Fuß in die Höhe, seine Augen weit auf und die Kopfhörer von den Ohren. Kaoru's Grinsen wurde noch breiter, da Ryo ganz offensichtlich genauso kitzlig war wie Kyo (und wie Millionen anderer Menschen auch, aber dieser Gedanke hatte im Kopf des Gitarristen keinen Platz), und er beugte sich zu dem keuchenden Sänger hinunter und zwinkerte ihn an. "Schönen guten Tag wünsch ich." Sein armes Opfer legte eine Hand auf die Brust und japste nach Luft. "Großer Gott, ich hätte fast 'nen Herzkasper gekriegt!"
 

"Keine Sorge, in dem Fall hätte ich dich ganz heldenhaft und fachmännisch wiederbelebt." erwiderte Kaoru noch immer grinsend, setzte sich dann neben Ryo und zog ebenfalls die Schuhe aus. Der Jüngere musste bei diesen Worten schon wieder schmunzeln. "Wie beruhigend." Er nahm Kaoru seine Kitzelattacke anscheinend nicht wirklich übel. Dass Kyo im Gegensatz dazu erst einmal eine Runde geschmollt hätte, ignorierte der Gitarrist und legte sich bäuchlings auf die Decke, auf der mindestens drei weitere Personen Platz gehabt hätten. Seinen Kopf stützte er dabei mit einer Hand, um Ryo ansehen zu können, der inzwischen seinen MP3-Player weggepackt hatte und es sich jetzt auch wieder neben Kaoru gemütlich machte. "Tut mir übrigens sehr leid, dass ich mich erst so spät bei dir gemeldet hab, aber wegen der Golden Week war ich schon total verplant. Und zu meinen Freunden wollte ich dich nicht mitschleppen, da hätten wir keine einzige ruhige Minute zum quatschen gehabt." entschuldigte der Sänger sich und sah Kaoru dabei mit so treuherzigen Hundeaugen an, dass dieser nicht anders konnte als zu lächeln. "Kein Problem, ich..." er stockte kurz, da Ryo unbewusst damit angefangen hatte, an einem seiner Lippenpiercings zu knabbern, fing sich aber gleich wieder, "...ich freue mich, dass du überhaupt angerufen hast." Da ließ Ryo von seine Piercing ab und lächelte ebenfalls, behielt aber für sich, dass er Kaoru's Nummer an jenem Tag sofort nach dem Abschied von Mariko und Tsutomu in sein Handy gespeichert hatte. "Und ich freue mich, dass du bereit warst, mich hier zu suchen. Hätte bestimmt nicht jeder gemacht."
 

"Ich bin ja auch nicht jeder, und nach meiner kleinen Verfolgungsaktion am Samstag war das hier das reinste Kinderspiel." bemerkte Kaoru schmunzelnd. "Kommst du eigentlich oft hierher?" Ryo nickte. "Ja, so oft ich Zeit hab und das Wetter mitmacht. Ich bin lieber mit Freunden oder mit meinem Hund draußen als den ganzen Tag zuhause zu hocken. Und du?" Einen Moment lang schwieg der Ältere und sah an Ryo vorbei ins Leere, dachte an die Tage nach Kyo's Auszug. Sein Schmunzeln verschwand. "Naja, mal so, mal so. Hängt ganz von meiner Laune ab." Dann riss er sich aber wieder zusammen und sah grinsend in das fragende Gesicht des Sängers. "Aber was diesen Park hier angeht... Ich musste den Lageplan am Eingang studieren, um herzufinden, ich denke das sagt alles." Bei diesen Worten lachte Ryo und nickte erneut, dann fiel ihm etwas ein und er richtete sich auf. "Ach ja, hast du Hunger?" Dabei zeigte er hinter sich auf seinen Rucksack und Kaoru hob neugierig eine Augenbraue. "Kommt ganz darauf an, was du mitgebracht hast." Nun war es an dem Jüngeren, zu grinsen, und er griff nach dem Rucksack. "Ich denke, so lange du nichts gegen Reis und Hühnchen hast, dürfte es dir schmecken." Und während Kaoru sich ebenfalls aufsetzte, holte sein Gegenüber zwei Lunchboxen heraus und öffnete eine davon. Sofort wehte dem Gitarristen ein herrlicher Duft um die Nase und er beugte sich ein wenig vor, um den Inhalt näher begutachten zu können. Die Yakitori sahen wirklich mehr als lecker aus. "Also wenn es so schmeckt wie es aussieht und riecht, dann hab ich einen Bärenhunger."
 

"Na dann find es doch heraus." Damit hielt Ryo ihm den Behälter hin und Kaoru griff nach einem der gegrillten Hühnchenspieße, nahm das obere Ende in den Mund und zog das erste Fleischstück langsam ab. Ryo's Augen folgten gespannt seinen Bewegungen, und auf einmal kam dem Gitarristen in den Sinn, wie zweideutig das ganze gerade aussehen musste. Er konnte nur mit großer Mühe ein laszives Grinsen unterdrücken, konzentrierte sich stattdessen auf das Hühnchenstück in seinem Mund und ein aufrichtiges Lächeln erschien auf seinem Gesicht. "Wow, das schmeckt echt besser als an den Ständen, wo ich mir ab und zu welche hole. Wo hast du die denn gekauft?" Ryo schien erleichtert und zwinkerte ihm schelmisch zu. "Von wegen gekauft, die hab ich selbst gemacht." Wie vom Blitz getroffen hielt Kaoru, der das nächste Fleischstück mit der Hand abgezogen hatte und es sich gerade in den Mund stecken wollte, bei diesen Worten inne und starrte den Jüngeren überrascht an. "Du kochst?!" Der Angesprochene nahm sich nun ebenfalls ein Yakitori und antwortete, während seine Finger an dem obersten Stück zogen, dass er zwar kein Meister war, aber durchaus das eine oder andere Gericht kochen konnte, womit er Kaoru unbewusst eine wahnsinnig große Freude machte. Denn wie es der Zufall so wollte, hatte auch Kyo ein nicht zu verachtendes Talent, was das Kochen anging. Dass diese Fähigkeit keine übernatürliche Gabe und nicht nur wenigen Auserwählten vorbehalten war, übersah der Gitarrist hier ebenso wie zuvor die Tatsache, dass es weit mehr Menschen außer Kyo und Ryo gab, die an den Füßen kitzlig waren. Er sah nur das, was er sehen wollte, und das waren immer mehr Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Sängern.
 

Sie unterhielten sich noch eine ganze Weile und aßen dabei die Yakitori und Maki-Sushi, die Ryo in der zweiten Lunchbox mitgebracht und natürlich auch selbst gemacht hatte. Er zauberte sogar noch zwei große Wasserflaschen aus seinem Rucksack hervor, wodurch er bei Kaoru erneut Pluspunkte sammelte. Nachdem alles verputzt war und der Ältere sich für das leckere Essen bedankt hatte, legte er sich auf den Rücken und starrte gedankenverloren in den wolkenlosen Himmel. Bis jetzt kam er blendend mit Ryo aus und fühlte sich in dessen Gesellschaft unglaublich wohl, der Jüngere schaffte es auch immer wieder mühelos, ihn mit kleinen frechen Bemerkungen zum Lachen zu bringen. Es kam ihm in den Sinn, dass Ryo - genau wie Kyo - zweigleisig zu fahren schien, was sein Verhalten betraf: Mal war er vorwitzig und um keinen Spruch verlegen, und dann, ganz plötzlich und ohne jede Vorwarnung, fiel diese schützende Maske von ihm ab und der wahre, aufrichtige und verletzliche Ryo kam zum Vorschein. Kaoru mochte beide Seiten, sowohl bei Ryo als auch bei Kyo. "Woran denkst du?" fragte der jüngere Sänger im nächsten Moment und Kaoru sah lächelnd in dessen neugierige Augen. "Daran, dass ich pappsatt und vollkommen zufrieden bin." Das entsprach zwar nicht zu 100 Prozent der Wahrheit, war aber auch nicht gelogen, da Ryo's Verhalten ihn wirklich glücklich und zufrieden machte.
 

"Soso, pappsatt ist der Herr. Na aber du weißt doch sicher, wie wichtig Bewegung nach dem Essen ist, ne?!" Der zurückgekehrte freche Ton in Ryo's Stimme und das breite Grinsen auf seinem Gesicht ließen Kaoru verwirrt eine Augenbraue heben. "Ähm, darf man fragen, worauf du damit anspielst?" Doch Ryo konnte sich die Antwort sparen, das übernahm das laute Geschrei, welches plötzlich in Kaoru's Ohren dröhnte. Und als dieser sich zu der Quelle des Lärms umdrehte, weiteten sich seine Augen auf Tomatengröße. Da kam doch wirklich und wahrhaftig eine riesige Schar Kinder – alles Jungen, deren Alter er auf etwa neun bis zehn Jahre schätzte – zielsicher und in einem mörderischen Tempo auf sie zugestürmt, dass es dem Gitarristen ganz angst und bange wurde. Was sollte das denn jetzt werden? Kaoru hatte aber keine Zeit mehr, diese Frage an Ryo zu richten, denn das Unheil in Form von etwa 20 Kindern hatte sie mittlerweile erreicht und umzingelt. "HALLO RYO!!" plärrten die Jungen im Chor und entblößten dabei ihre vielen kleinen Zahnlücken. Der Sänger grinste in die Runde. "Hey Jungs, na wie war die Schule?"
 

"ÄTZEND!!" war die einstimmige Antwort der Kinder, dann riss einer der Knaben einen Fußball in die Höhe und schwenkte ihn ganz aufgeregt durch die Luft. "Du, wir haben ein Problem! Takumi ist krank, jetzt fehlt uns einer!" Ryo schien das jedoch nicht ganz so tragisch zu sehen. "Oh, na hoffentlich geht's ihm bald wieder besser. Aber keine Sorge, ich hab da eine Idee." Bei diesen Worten fiel sein Blick auf Kaoru, der sofort energisch den Kopf schüttelte, Ryo damit aber nicht sonderlich beeindrucken konnte. "Mein Freund hier wird mitspielen, dann hat jede Mannschaft wieder genau elf Leute." Sofort brachen die Kinder in lautes Jubeln aus und rannten schon mal vor zur Mitte der Wiese, ihr neuer Mitspieler war allerdings nicht annähernd so begeistert. Er setzte sich im Schneidersitz hin und verschränkte trotzig die Arme vor der Brust. "Das kannst du vergessen, ich spiele nicht mit einem Haufen Gartenzwerge Fußball." Ryo, der sich gerade seine Schuhe anzog, sah amüsiert zu ihm hinüber. "Na komm schon, sei kein Spielverderber! Oder machen das deine alten Knochen nicht mehr mit?" DAS hatte gesessen, und Kaoru's Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, mit denen er Ryo fixierte während er nach seinen eigenen Schuhen tastete. Er wußte, dass der andere erst 21 und damit ganze neun Jahre jünger war, aber sich deshalb als altersschwach und gebrechlich abstempeln zu lassen kam für den Gitarristen nicht in Frage. Sein Gegenüber erkannte an Kaoru's Reaktion, dass er genau das richtige Argument gefunden hatte, und wartete grinsend, bis die Schuhe des Älteren zugeschnürt waren. Dann stand er auf und Kaoru erhob sich ebenfalls. Wortlos starrten sich die beiden herausfordernd an, Ryo streckte sich dabei noch etwas, um ihren Größenunterschied wenigstens ein bisschen auszugleichen, und als hätte jemand ein lautloses Signal gegeben, sprinteten sie plötzlich gleichzeitig los. Kaoru hatte Ryo schon nach wenigen Sekunden hinter sich gelassen, da der Jüngere vor Lachen nicht so schnell rennen konnte, und auch er hatte ein breites Grinsen auf dem Gesicht.
 

Sie spielten und spielten und spielten, bis Kaoru's Mannschaft als eindeutiger Sieger aus dem Match hervorging und seinen Kapitän dementsprechend laut feierte. Ryo hatte es als erster von ihnen beiden wieder zurück auf die Decke geschafft und beobachtete nun kichernd, wie der Gitarrist das gleiche Ziel ansteuerte. Er hatte es aber um ein Vielfaches schwerer, da er noch eine Handvoll Kinder mitschleppen musste, die sich an seine Arme, um seine Hüfte und sogar an seine Beine gehängt hatten und darauf bestanden, noch eine Runde zu spielen. "Mir scheint, du hast eine neue Fangemeinde!" rief Ryo ihm über das Geschrei der Jungen entgegen, als Kaoru nur noch wenige Meter von der rettenden Decke trennten, und der Gitarrist verdrehte die Augen. "Ja, ganz toll!" Der Sarkasmus in seiner Stimme war nicht zu überhören und Ryo zwinkerte ihm lachend zu, was Kaoru schon fast wieder für die Strapazen entschädigte. Endlich hatte er es bis zu dem Sänger geschafft und sah ihn hilfesuchend an, sodass dieser sich schließlich erbarmte und die Aufmerksamkeit der Knaben auf sich zog. "Sagt mal, habt ihr schon auf die Uhr gesehen? Es ist schon nach drei, ihr kriegt bestimmt gewaltigen Ärger von euren Eltern, wenn ihr nicht langsam heimgeht!" Da machten die Jungen große Augen und ließen sofort von Kaoru ab. "Echt, schon so spät?!" Ryo nickte. "Jawohl, also beeilt euch lieber mal ein bisschen. Wir sehen uns dann nächste Woche wieder, ja?" Seine kleinen Freunde grinsten daraufhin und einer von ihnen trat einen Schritt vor. "Ja, und vergiss nicht, Kaoru wieder mitzubringen!" Die anderen Kinder bekräftigten dies mit so lautem Schreien, dass der Gitarrist noch vor Ryo die Hände hob und zusagte, dass er beim nächsten Mal auch wieder dabei sein würde, nur damit endlich Ruhe war. Und so hatte er außerdem gleich einen Grund, um sich wieder mit Ryo treffen zu können. Seine neue Fangemeinde verabschiedete sich daraufhin und lief glücklich zu dem Rest der Kinder zurück, es war ein erneutes Johlen zu hören, als die große Neuigkeit weitererzählt wurde, und dann machten sich alle schnatternd und lachend auf den Heimweg.
 

In der Zwischenzeit hatte Kaoru sich auf der Decke niedergelassen, blickte wieder in den Himmel und spürte zu seiner eigenen Überraschung neben der Erschöpfung noch etwas anderes. "Wow, das hat richtig... Spaß gemacht!" Der Sänger neben ihm lächelte. "Das hat man dir auch angesehen. War das eigentlich ernst gemeint, dass du wieder mitspielen wirst, oder wolltest du sie damit nur loswerden?" Als der Gitarrist nicht sofort antwortete, fügte Ryo noch etwas leiser hinzu "Ich hoffe, dass es dein Ernst war." Darauf hatte Kaoru gewartet und drehte sich auf die Seite, sodass sie sich gegenüberlagen. "Das war es auch. Wenn ich etwas verspreche, dann halte ich es." Dabei sah er Ryo tief in die Augen, und für eine Weile herrschte Stille zwischen ihnen. Kaoru versuchte abzuschätzen, was Ryo bis jetzt für ihn empfand, ob er sich wirklich für eine Beziehung interessierte, die über Freundschaft hinausging. Anzunehmen war es ja, immerhin hatte der Sänger ihn angerufen und sich mit ihm treffen wollen, obwohl sie sich bis dahin erst ein einziges Mal über den Weg gelaufen waren, und das unter nicht gerade normalen Umständen. Aber Ryo hatte sich von Kaoru's Verfolgungsaktion nicht abschrecken lassen und war dem anderen gegenüber ganz offen und freundlich, obwohl die Absichten des Gitarristen ziemlich deutlich waren. Auch jetzt erwiderte er seinen eindringlichen Blick völlig unbefangen, und Kaoru beschloss, das Risiko einzugehen. Ohne seine Augen von ihm zu lassen, streckte der Gitarrist seinen Arm langsam nach Ryo aus und nahm dessen Hand sanft in seine eigene. "Ich möchte dich aber unbedingt schon vorher wiedersehen." Diese leisen Worte zauberten dem Sänger ein Lächeln auf die Lippen. "Da wird sich sicher etwas machen lassen. Ich für meinen Teil hab die nächsten Wochen Urlaub, weil wir ja erst vor kurzem unsere Tour beendet haben. Also wenn du irgendwann mal Zeit hast-"
 

"Wie wäre es mit morgen? Ich hab nämlich auch Urlaub seit unserer letzten Tour!" fiel Kaoru ihm sogleich freudig und erleichtert ins Wort und brachte Ryo zum schmunzeln. "Sehr gern. Schon eine Idee, was wir machen könnten?" Der Blick, den er daraufhin von Kaoru bekam, ließ ihn aber sofort rot werden und wegschauen, weshalb der Gitarrist lachte und Ryo's Hand kurz aufmunternd drückte. "Keine Angst, ich werde nicht gleich über dich herfallen. Jetzt bin ich dran, mir etwas auszudenken, also lass dich einfach überraschen." Sie einigten sich darauf, dass Kaoru den Jüngeren am nächsten Morgen anrufen würde, dann redeten die beiden noch stundenlang über alles mögliche, bekamen gar nicht wirklich mit, dass der Park inzwischen voller Leute war. Erst als der Himmel allmählich dunkler wurde, packte Ryo seine Sachen wieder zurück in den Rucksack und verließ zusammen mit Kaoru die Wiese. Am Parktor in Harajuku blieben sie kurz stehen um sich voneinander zu verabschieden, da Ryo nach links und Kaoru nach rechts musste. Man sah beiden an, wie wenig begeistert sie darüber waren, sich hier trennen zu müssen. Kaoru war der erste von ihnen, der sich schließlich einen Ruck gab. "Also dann, bis morgen." meinte er lächelnd und Ryo nickte. "Ja, und ich bin schon gespannt, was du dir einfallen lassen wirst." Der Gitarrist zwinkerte ihm bei diesen Worten verheißungsvoll zu, hob noch einmal kurz zum Abschied die Hand und machte sich dann auf den Weg, Ryo dagegen blieb noch eine Weile stehen und sah ihm verträumt hinterher. Doch plötzlich veränderte sich sein Blick und ein anzügliches Grinsen schlich sich auf die Lippen des Sängers. "Und falls dir doch nichts einfällt, nehme ich auch gern dein anderes Angebot an..."

~5~
 

Kaoru hatte den Sänger am Vormittag angerufen und sich für 13 Uhr angekündigt, war daraufhin auch prompt wieder zum Mittagessen eingeladen worden und stand nun ganz pünktlich vor Ryo's Wohnung. Er freute sich über ihr schnelles Wiedersehen und hatte sich fest vorgenommen, heute einen noch besseren Eindruck auf den Jüngeren zu machen als gestern, doch als ihm kurz nach seinem Klingeln die Tür geöffnet wurde, waren all seine guten Vorsätze in einem Sekundenbruchteil vergessen und er prustete los. Ryo bot aber auch einen wahrhaft göttlichen Anblick, wie er da mit seiner übergroßen Doraemon-Schürze und einem tropfenden Kochlöffel vor ihm stand. Kaoru hatte alle Mühe, sein Lachen wenigstens auf ein Kichern zu reduzieren, und als der kleine Kerl ihn dann auch noch ganz empört anschaute, seine freie Hand in die Hüfte stemmte und mit einem Fuß mehrmals auf den Boden tapste, war für den Gitarristen alles zu spät und er musste sich während eines neuen Anfalls an der Wand abstützen. "Hey, was gibt's da zu lachen? Die ist cool, nur damit du's weißt!" verteidigte Ryo die Ehre seiner geliebten Schürze, schloss die Augen und richtete seine Nase trotzig hinauf zur Zimmerdecke. In dieser Pose wartete er, bis Kaoru sich wieder beruhigt hatte, wagte dann einen Blick auf den anderen und dieser sah schmunzelnd zurück. "Ich find sie ja auch todschick, und am liebsten würde ich dir noch die dazu passende Kochmütze aufsetzen. Lässt du mich rein oder hab ich's mir jetzt bei dir verscherzt?" Zu Kaoru's Glück musterte sein Gegenüber ihn nur kurz und ging dann ein paar Schritte zurück, um den Weg in den Flur frei zu machen, und während der Ältere die Tür hinter sich schloss und seine Schuhe auszog, wurde Ryo schon wieder gesprächig. "Wie du gerade festgestellt haben dürftest, bin ich noch nicht ganz mit dem Essen fertig, also mach's dir einfach schon mal bequem. Wohnzimmer ist da hinten, Bad hier um die Ecke." Dabei schwenkte er seinen Löffel als Wegweiser durch die Luft, wodurch hier und da ein kleiner Spritzer Soße auf dem Fußboden landete, aber das schien ihn nicht weiter zu stören. War ja kein Teppich, das konnte man wieder wegwischen.
 

Wenige Minuten später – Kaoru hatte sich inzwischen auf das gemütliche Sofa gelegt und war damit beschäftigt, den Geräuschen aus der Küche zu lauschen – wurde die Wohnungstür erneut geöffnet und ein Dritter betrat das Reich des baroque-Sängers. Der junge Mann entledigte sich ebenfalls seiner Schuhe, tänzelte dann grazil um die Soßeflecken herum durch den Flur ins Wohnzimmer und nahm dort zielstrebig Kurs auf die Stereoanlage. Doch er sollte sie vorerst nicht erreichen, denn der unerwartete Anblick des Gitarristen ließ ihn zur Salzsäule erstarren. Das war ja nichts neues für Kaoru, also nickte er dem Fremden – der ihm aber doch irgendwie merkwürdig bekannt vorkam - einfach zu, sagte "Hi." und brach damit dessen Bann. "Du bist Kaoru von Dir en grey!" platzte es aus ihm heraus und auf dem Gesicht des besagten Musikers machte sich ein kleines Grinsen breit. "Ich weiß." Einen Augenblick starrte der Jüngere ihn noch verwirrt an, dann drehte er sich abrupt um in Richtung Flur und es entstand folgender lautstarker Dialog:
 

"HEY RYO!!!"
 

"HI!!"
 

"AUF DEINER COUCH LIEGT KAORU VON DIR EN GREY!!!"
 

"ICH WEISS!!"
 

"SAG BLOSS DAS IST DER, VON DEM DU GESTERN ABEND SO RUMGESCHWÄRMT HAST?!"
 

"HALT DIE KLAPPE, BANSAKU!!!!!"
 

Nun grinste auch Ryo's Bekannter und wandte sich wieder Kaoru zu. "Also hab ich Recht! Hi, ich bin Bansaku! Ryo hat schon in den höchsten Tönen-" Genau in dem Moment stürzte eben dieser mit hochrotem Kopf ins Zimmer und hielt nun ein ziemlich scharf aussehendes Messer in der Hand. "Noch ein Wort und ich hack dir die Finger ab, dann kannst du nie wieder Bass spielen! Überleg's dir!" Sein Blick sprach von Mord und Totschlag, Bansaku lächelte jedoch nur spöttisch. "Pah, dann müsstet ihr euch aber nach einem neuen Bassisten umsehen, und davon wären Akira und Kei bestimmt nicht begeistert." Das Argument schien auch Ryo einzuleuchten, denn er kaute nachdenklich auf seiner Unterlippe herum und ließ schließlich das Messer sinken, warf noch einen flüchtigen Blick auf Kaoru, der die ganze Szene amüsiert verfolgt hatte, und durchbohrte seinen Bandkollegen dann mit den Augen, wenn er es schon nicht mit dem Messer durfte. "Was willst du überhaupt hier, außer mich zu blamieren?" Sofort zeigte der Bassist hinter sich auf die Stereoanlage. "Meine CD holen, die hab ich gestern abend vergessen. Wusste ja nicht, dass du Besuch kriegst, sonst hätte ich damit natürlich gewartet und wäre hier nicht einfach so reingeplatzt." Sein breites Grinsen verriet allerdings sehr deutlich, dass es ihm ganz und gar nicht leid tat, und Ryo runzelte die Stirn. "Das nächste Mal hänge ich ein 'Bitte nicht stören'-Schild an die Tür oder nehme dir einfach vorher den Wohnungsschlüssel weg. Na los, schnapp dir deine CD und sag dann schön brav Auf Wiedersehen."
 

"Kann er nicht noch zum Essen bleiben?" mischte Kaoru sich da plötzlich in das Gespräch ein und Ryo riss den Kopf herum und starrte ihn ungläubig an, genau wie Bansaku. Der Gitarrist ließ sich davon aber nicht beirren. "Also ich würde gern ein paar deiner Freunde kennenlernen, und es wird doch bestimmt auch für drei reichen, oder? Außerdem erfahre ich so vielleicht noch ein paar interessante Details von deiner gestrigen Schwärmerei." Bei diesen Worten zwinkerte er Ryo schmunzelnd zu, der sogleich wieder errötete, dann aber ganz entsetzt die Augen aufriss. "Ach stimmt ja, das Essen!" Und schon hatte er kehrt gemacht und war wieder zurück in die Küche gesaust, um den Inhalt seiner Pfanne vor dem Anbrennen zu bewahren. "Ich deute das einfach mal als ein 'Ja'." meinte Kaoru und stand auf, da Bansaku keine Anstalten machte, sich zu setzen, und noch immer etwas unsicher aussah. "Ist das auch wirklich okay für dich? Ich will euch echt nicht stören." Er nahm offenbar an, dass der Gitarrist nur höflich sein wollte, aber von diesem Gedanken brachte Kaoru ihn sehr schnell ab und stellte ganz nebenbei fest, dass sie anscheinend auf den Zentimeter genau gleich groß waren. Das machte ihm den Bassisten gleich noch sympathischer und er lächelte ihn an. "Was meinst du, sollen wir mal schauen, ob Ryo Hilfe braucht?"
 

Fünf Minuten später saßen sie dann also zu dritt am gedeckten Tisch, und während der kleine Chefkoch höchstpersönlich jedem eine Portion Reis in die Schale schaufelte, bemerkte er grinsend, wie Kaoru die große, dampfende Schüssel in der Mitte fixierte. Als Ryo die gelbliche Masse schließlich mit einer Kelle über den Reis gab, folgten die geweiteten Augen des Gitarristen jeder noch so kleinen Bewegung und blieben dann an seinem Gegenüber hängen, nachdem dieser sich endlich hingesetzt hatte. Bansaku sah Kaoru fragend an. "Was kuckst du denn so? Hast du noch nie Curry mit Reis gesehen?" Die Antwort darauf bekam er allerdings nicht von dem Älteren, sondern von Ryo. "Doch, hat er, wahrscheinlich sogar schon ziemlich oft. Ist ja immerhin sein Lieblingsessen." Da hob Kaoru überrascht beide Augenbrauen. "Woher weißt du das? Ich kann mich nicht erinnern, das gestern irgendwann mal erwähnt zu haben." Nun war es an dem Sänger, überlegen zu schmunzeln und den verwirrten Gesichtsausdruck seines Gastes zu genießen. "Tja mein Lieber, du bist eben nicht der einzige, der recherchieren kann und einen Internetanschluss hat. War ganz leicht herauszufinden, was du am liebsten isst, und beim nächsten Mal setze ich dir dann leckere Ramen vor. Na, wie klingt das?"
 

"So als wolltest du dich in sein Herz kochen." kam sogleich die trockene Antwort von Bansaku, der im nächsten Moment einem Esstäbchen ausweichen musste. "Dich hat keiner gefragt, du Depp, also tunk deine Nase ins Curry und sei ruhig! Ich versuche hier ganz unauffällig Eindruck zu schinden, und was machst du? Mir schon wieder in den Rücken fallen! Das-" Ryo's Standpauke fand ein jähes Ende als er plötzlich aus dem Augenwinkel heraus eine Bewegung wahrnahm, und gespannt beobachtete der Sänger, wie Kaoru sich einen Löffel voller Reis und Curry in den Mund schob. Selbst Bansaku wartete stumm und neugierig auf das Urteil des Gitarristen, welches zu Ryo's Freude auch absolut positiv ausfiel, denn Kaoru schloss beim Kauen die Augen und hob schließlich lächelnd einen Daumen. "Köstlich." Das war sein ganzer Kommentar dazu, aber dieses eine Wort reichte schon, um dem Jüngeren ein strahlendes Lächeln aufs Gesicht zu zaubern. "Echt?" Kaoru nickte, nahm dann auch schon den nächsten vollen Löffel in den Mund und sah amüsiert dabei zu, wie Ryo seinem Bandkollegen triumphierend die Zunge rausstreckte, bevor er selbst zu essen begann. Nachdem alles verputzt war und sie noch ein Weilchen am Tisch gesessen und sich unterhalten hatten, verschwand Kaoru mal kurz um die Ecke während die beiden baroque-Mitglieder das Geschirr zurück in die Küche trugen und in die Spülmaschine räumten. Ryo nahm gerade die große Schüssel von Bansaku entgegen, da sah er seinen Freund schelmisch grinsen und verdrehte die Augen.
 

"Hast wohl wieder schmutzige Gedanken, hm?!"
 

"Was? Ich doch nicht! Aber Kaoru ist echt cool, den solltest du dir angeln."
 

"Hör bitte endlich mit diesen Sprüchen auf!"
 

"Reg dich ab, er hört uns doch nicht. Und was habt ihr heute noch vor, wenn man fragen darf?"
 

"Keine Ahnung, er wollte es mir am Telefon nicht verraten."
 

"Vielleicht lädt er dich in irgendeine Romantikschnulze ein, dann könnt ihr im Dunkeln knutschen!"
 

"Laber nicht so einen Stuss, wir sind doch gar nicht zusammen! Wir freunden uns gerade erst an!"
 

"Also gestern abend hörte sich das aber noch ganz anders an, da haben deine Augen richtig geleuchtet, als du von eurem Treffen im Park erzählt hast und davon, wie er deine Hand gehalten hat. Hättest mir übrigens ruhig sagen können, wer dein neuer Schwarm ist, ich bin vorhin ja fast aus den Latschen gekippt."
 

"Na aber so umwerfend bin ich nun auch wieder nicht." erklang es da hinter ihnen von Kaoru, der lautlos durch den Flur getapst war und nun am Türrahmen lehnte. Bansaku musste schmunzeln und wies auf Ryo. "Frag mal den hier, der wird dir-" Das nächste, was der Bassist von sich gab, war ein kleiner Schmerzensschrei, da Ryo den Moment offenbar für angemessen gehalten hatte, um ihm kräftig gegen die Schulter zu boxen. "Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du zu viel redest?" Bansaku rieb sich die schmerzende Stelle und nickte. "Ja, du. Aber ich dachte immer, das wäre deine Art um mir zu sagen, dass du mich magst." Damit zwinkerte er dem Sänger zu und grinste wie ein Honigkuchenpferd, und so sehr Ryo auch dagegen ankämpfte, am Ende musste er doch lächeln und wuschelte Bansaku durch die Haare. "Idiot..." Bei diesem Anblick wurde Kaoru erst richtig bewusst, wie gut die beiden trotz der ständigen Sticheleien tatsächlich befreundet waren, und er konnte nicht anders, als ebenfalls zu lächeln, bevor er sich wieder zu Wort meldete. "Ryo, wir sollten langsam los." Der Angesprochene sah das genauso und schob Bansaku an Kaoru vorbei aus der Küche und ins Wohnzimmer, dort zeigte er auf seine Stereoanlage. "Vergiss deine CD nicht, sonst hab ich dich morgen schon wieder auf der Matte stehen." Mit einer beleidigten Schnute folgte der Bassist Ryo's Anweisung, dann gingen alle drei in den Flur und Ryo und Kaoru zogen sich ihre Schuhe an, Bansaku dagegen nahm seine nur in die Hand. "Na dann wünsch ich euch heute noch viel Spaß. Ach und Ryo..." Der Sänger, der auf dem Boden saß und gerade einen Schuh zuschnürte, hob den Kopf und sah seinen Kollegen abwartend an. Dieser schielte noch kurz zu Kaoru hinüber und rief dann grinsend "Schnapp ihn dir!" bevor er blitzschnell aus der Wohnung huschte, sodass Ryo's zweiter Schuh nicht ihn, sondern die arme, unschuldige Tür traf.
 

****
 

An der JR Omori Station stiegen sie aus der Bahn und Ryo hatte noch immer keine Ahnung, was ihr Ziel war, also sah er sich im Weitergehen neugierig um und suchte nach Hinweisen, was von seinem Begleiter nicht unbemerkt blieb. "Wir sind bald da, von hier aus sind es nur 15 Minuten Fußweg. Aber erwarte bitte nicht so viel Action wie gestern, da wo wir hingehen ist es eindeutig ruhiger als im Park mit den Jungs." Da grinste der Sänger neben ihm. "Das ist vollkommen okay, ich muss auch nicht unbedingt jeden Tag durch die Gegend rennen. Es hat mich übrigens ziemlich überrascht, wie gut du gestern gespielt hast, mein Team hatte ja nicht die geringste Chance gegen deins." Es freute Kaoru natürlich sehr, auf den Jüngeren Eindruck gemacht zu haben, und er begründete sein Können damit, dass er früher in der Schulmannschaft gespielt hatte. Den leichten Muskelkater in seinen Beinen verschwieg der Gitarrist dabei allerdings. "Aha, dein Geziere war also nur eine Taktik, um mich und die anderen dann schön überrumpeln zu können." schlussfolgerte Ryo und zündete sich eine Zigarette an. Dass er – wie auch Kyo – Raucher war, hatte Kaoru bereits gestern erleichtert festgestellt und diese Gemeinsamkeit sofort auf der immer länger werdenden Liste in seinem Kopf vermerkt. Heute allerdings hoffte er, dass die beiden Sänger sich zumindest in einem ganz bestimmten Punkt unterschieden, denn für den Ort, den sie gerade ansteuerten, hatte er Kyo nie begeistern können. Ryo entdeckte kurz darauf ein Schild, oder eher eine Art Wegweiser, und er sah seinen Begleiter erstaunt an. "Sag bloß wir gehen ins Shinagawa Aquarium?!" Kaoru nickte. "Stimmt, genau da gehen wir hin. Warst du schon mal dort?"
 

"Nein, noch nie. Meine Schulklasse hatte irgendwann mal einen Ausflug dahin gemacht, aber ohne mich, ich glaub ich war da gerade krank." Das kam dem Älteren natürlich sehr gelegen, denn so war die Wahrscheinlichkeit geringer, dass Ryo sich langweilen würde. Und enttäuscht schien er auch nicht zu sein, zumindest sah er noch immer genauso neugierig aus wie vor seiner Entdeckung und zog nicht so ein langes Gesicht wie Kyo damals. 'Sehr schön...' dachte Kaoru zufrieden und sein Blick verweilte noch einen Moment auf dem Sänger. 'Wirklich sehr schön.' Schließlich hatten sie das Aquarium erreicht und ihre Wege trennten sich kurzzeitig - Ryo ging zu der großen Tafel direkt neben dem Eingang, auf der die Öffnungszeiten und verschiedenen Attraktionen standen, und Kaoru trat an die Kasse. Als die Kassiererin, die gut und gerne seine Mutter sein konnte, ihn erblickte, wich ihr gelangweilter Gesichtsausdruck einem strahlenden Lächeln. "Oh, hallo Kaoru, dich gibt's ja auch noch! Warst ziemlich lange nicht mehr hier, ich hab mir schon ein bisschen Sorgen um dich gemacht." Ja, die Gute ähnelte nicht nur vom Alter, sondern auch vom Verhalten her sehr seiner Mutter. Der Gitarrist lächelte. "Das ist lieb, Izanami, aber ich war nur wieder für ein paar Wochen auf Geschäftsreise. Das nächste Mal sag ich dir vorher Bescheid, versprochen." Er hatte ihr nie verraten, welchen Beruf er ausübte, und so falsch war der Ausdruck 'Geschäftsreise' für ihre Touren ja auch gar nicht, also musste er sich nicht wie ein Lügner vorkommen. "Heute habe ich sogar noch jemanden mitgebracht, also diesmal bitte zwei Karten." Das hatte Izanami's Neugier geweckt und sie stand auf, lehnte sich über ihren Kassenschalter nach vorn und sah sich suchend um. Kaoru wies zum Eingang, und gerade als die Kassiererin Ryo erspäht hatte, drehte dieser sich um und machte sich auf den Weg zu ihnen, sodass sie sein Gesicht sehen konnte. Der Anblick stimmte Izanami nachdenklich und sie setzte sich wieder auf ihren Platz. "Den kleinen Kerl hattest du doch schon einmal mitgebracht, nicht wahr?! Aber irgendwie hatte ich ihn etwas älter in Erinnerung..."
 

"Nein nein, das ist ein anderer, die beiden sehen sich nur ziemlich ähnlich." grinste Kaoru und sein Herz machte dabei einen dreifachen Salto. Er war also nicht der einzige, der die Ähnlichkeit zwischen seinem Ex-Freund und Ryo sah! Dieser kam einen Moment später an der Kasse an und zupfte Kaoru am Ärmel. "Ich kenne echt niemanden, der so lange dazu braucht, Eintrittskarten zu kaufen, wie du. Oder gibt's ein Problem?" Dabei sah er zu der Kassiererin und diese schüttelte lächelnd den Kopf. "Nein, es gibt kein Problem, ich habe mich nur ein wenig mit Kaoru unterhalten, weil er so lange nicht mehr da war. Ihr habt übrigens Glück, heute ist hier kaum etwas los, und das obwohl Freitag ist. Aber das ist in den Tagen nach der Golden Week meist so. Na gut, ich will euch nicht länger aufhalten, also hier sind eure Karten. Ich wünsch euch viel Spaß!" Kaoru und Ryo bedankten und verabschiedeten sich, dann gingen sie hinüber zum Eingang des Aquariums und der Gitarrist warf einen Blick auf seine Uhr. "Sehr gut, jetzt haben wir noch eine ganze Stunde Zeit." Bei diesen Worten hob sein Begleiter verwundert eine Augenbraue, erwiderte "Eh, wieso nur eine Stunde? Da steht doch, dass das Aquarium bis 17 Uhr geöffnet hat." und beobachtete, wie ein geheimnisvolles Schmunzeln seinen Weg auf Kaoru's Lippen fand, während sie das Gebäude betraten. "Das stimmt auch, aber wir werden uns um 16 Uhr mit ein paar Bekannten von mir treffen, und die sollten wir nicht warten lassen." Da hob Ryo auch noch die andere Augenbraue. "Du scheinst wirklich oft herzukommen, wenn du hier so viele Leute kennst und die Frau an der Kasse sogar deinen Namen weiß."
 

"Ja, ziemlich oft. Es gab sogar mal eine Zeit, da war ich fast jeden zweiten Tag hier, und das fiel dann einigen Leuten auf und ich wurde von vielen, unter anderem auch von Izanami an der Kasse, angesprochen." erklärte der Gitarrist, gab daraufhin Ryo seine Karte und sie passierten das automatische Drehkreuz. Und dann begann Kaoru's Führung durch seine selbsterklärte Zuflucht vor dem Lärm und Stress des Alltags, vor der Hektik und vor den Verpflichtungen. Zufrieden sah er dabei zu, wie Ryo an jedem Aquariumtank und Becken stehen blieb und deren sowohl einheimische als auch exotische Bewohner interessiert beobachtete, teilweise auch nach Arten suchte, die es laut der Erklärungstafeln gab, die aber auf den ersten Blick nicht zu sehen waren. Er bat Kaoru auch ab und zu, ihm zu helfen, und dann klebten sie beide an der Glasscheibe und suchten so lange, bis sie endlich ein Exemplar der betreffenden Gattung entdeckt hatten. Besonders an dem großen Ozeanbecken konnte der Sänger sich gar nicht satt sehen und kam erst davon los, nachdem Kaoru ihm versichert hatte, dass dies nur ein kleiner Vorgeschmack auf den Unterwassertunnel war, von dem Ryo bereits auf dem Schild am Eingang gelesen hatte. Dieses Highlight des Aquariums stand dann auch gleich als nächstes auf dem Programm, und als sie den Fahrstuhl, der sie eine Etage tiefer gebracht hatte, verließen und dafür den Tunnel betraten, weiteten sich Ryo's Augen und er schien gar nicht zu wissen, wohin er zuerst schauen sollte. Kaoru erinnerte sich, dass es ihm bei seinem ersten Besuch vor vielen Jahren genauso gegangen war, und lächelte versunken vor sich hin.
 

"Hey, kuck mal!" riss ihn die Stimme des Jüngeren aber gleich wieder aus seinen Gedanken und er blickte hinüber zu Ryo, der ganz nah an der Scheibe stand und ihn heranwinkte. Als Kaoru näher trat und sah, was der andere entdeckt hatte, musste er grinsen. "Ach der." Damit meinte er einen etwa handgroßen hellgelben Fisch, der direkt vor Ryo's Gesicht immer und immer wieder angriffslustig gegen das Glas schwamm und sich jedes Mal kurz daran festsaugte. "Ich glaub, er will mich küssen." kicherte Ryo, was Kaoru zum schmunzeln brachte. "Darauf brauchst du dir aber gar nichts einbilden, das macht er bei jedem, der nah genug herankommt. Siehst du?" Dabei drückte der Gitarrist die Spitze seines Zeigefingers gegen die Scheibe und zog sie dann zur Seite, woraufhin der Fisch seiner angeblichen Beute folgte und Ryo die Stirn runzelte. "Pah, so ein treuloses Vieh." Gespielt beleidigt wandte er sich ab und war gleich darauf auch schon zur anderen Seite geeilt, um die Haie und Rochen aus der Nähe zu betrachten. Als der Sänger sich das nächste Mal umdrehte, war es Kaoru, den er wie einen besonders außergewöhnlichen Fisch anstarrte. "Was machst du denn da? Ist dir nicht gut?" fragte er und trat an den Älteren heran, der nun rücklings auf dem Boden lag und die Hände unter dem Kopf verschränkt hatte. "Alles in Ordnung, aus dieser Perspektive ist das ganze nur noch viel eindrucksvoller. Solltest du auch mal probieren, ich kann's nur empfehlen." antwortete Kaoru lächelnd, aber Ryo sah sich skeptisch in dem leeren Tunnel um. "Und was ist, wenn gleich jemand kommt? Wäre doch irgendwie peinlich, oder?"
 

"Ich glaub nicht, dass jetzt noch andere herkommen. Im Moment findet die letzte Delphinshow des Tages statt, und weil es so etwas nur hier und sonst nirgendwo in Tokyo gibt, werden wohl alle dort sein." Dieses Argument schien dem Jüngeren auszureichen, denn er legte sich ohne weiter zu zögern neben Kaoru – auffallend nah, wie dieser grinsend feststellte – und sah ebenfalls hinauf zum gewölbten Glasdach über ihnen. "Du hast Recht, ich komme mir jetzt richtig vor wie auf dem Grund des Meeres. Echt krass..." meinte er beeindruckt, dann blieben sie eine Weile still und beobachteten die vorbeischwimmenden Meerestiere über ihren Köpfen, der eine dabei neugierig und aufmerksam, der andere entspannt und verträumt. Sogar so verträumt, dass er erst nach einigen Minuten merkte, wie Ryo ihn von der Seite anstarrte. Als er ihn fragte, was los sei, lächelte der Jüngere. "Ich kann wirklich gut verstehen, warum du so gern herkommst. Danke, dass du mich mitgenommen hast." Kaoru fiel bei diesen Worten ein riesengroßer Stein vom Herzen und er musste gegen den plötzlichen Drang ankämpfen, Ryo in die Arme zu nehmen. Wenn sie noch länger hier lagen, würde er den Kampf verlieren, davon war der Gitarrist überzeugt, deshalb erhob er sich abrupt und hielt dem anderen eine Hand hin, um ihm aufzuhelfen. Dieser sah ihn jedoch etwas verwirrt an. "Warum stehst du denn auf? Hab ich was falsches gesagt?" Den Sänger zu verunsichern hatte Kaoru natürlich nicht gewollt, und er schüttelte lächelnd den Kopf. "Nein, ganz im Gegenteil, ich habe mich sehr darüber gefreut. Aber es gibt hier noch ein paar andere interessante Becken, und außerdem ist es bald 16 Uhr." Das beruhigte Ryo und er ließ sich von seinem Begleiter hochziehen, dann gingen sie langsam durch den Rest des Tunnels und sahen sich draußen noch weiter um, bis Kaoru den Jüngeren über eine Treppe wieder hinauf in die obere Etage führte. Als die beiden Musiker sich aber einem Durchgang näherten, über dem "Delphin- und Seelöwenstadium" stand, war Ryo erneut verwirrt. "Du hast doch gesagt, die Show vorhin war die letzte für heute, also was wollen wir dort?"
 

"Das wirst du gleich sehen." war alles, was er von Kaoru als Antwort bekam, und kurz darauf betraten sie die Außenanlage des Aquariums, dessen Platz von einem großen Pool und der Zuschauertribüne eingenommen wurde. Sofort entdeckte Kaoru einen jungen Mann und ging, gefolgt von Ryo, auf ihn zu. "Hi Kaoru, pünktlich wie immer!" wurde der Gitarrist freudig begrüßt und er legte seinem Bekannten einen Arm um die Schulter. "Klar, ich will doch nicht, dass du wegen mir unnötig lange auf deinen Feierabend warten musst. Wenn ich vorstellen darf, das ist Ryo." Der Sänger nickte seinem Gegenüber lächelnd zu, was dieser erwiderte. "Und dieser feine Kerl hier heißt Yuuichi und ist einer der beiden Dresseure. Außerdem sind wir über so circa 30 Ecken miteinander verwandt." erklärte Kaoru grinsend und wollte noch etwas hinzufügen, wurde aber plötzlich von einem lauten Schnattern unterbrochen, drehte sich um und marschierte hinüber zum Becken. Yuuichi schmunzelte. "Scheint, als fühle sich da jemand vernachlässigt." Das hörte Ryo aber schon gar nicht mehr, er war viel zu sehr damit beschäftigt, Kaoru mit weit aufgerissenen Augen hinterher zu starren. Erst als der Dresseur ihm gegen die Schulter tippte, wanderte sein erstaunter Blick zu Yuuichi. "Na komm, Kaoru möchte dir noch in paar andere Freunde von ihm vorstellen. Mit denen ist er aber nicht verwandt, und falls doch, dann über ein paar tausend Ecken mehr als mit mir." meinte dieser zwinkernd, dann folgte er dem Gitarristen und auch Ryo setzte sich nun endlich in Bewegung und ging auf das Becken zu, an dessen Rand Kaoru kniete und etwas streichelte, das verdächtig nach einem Delphin aussah. Wie ein kleines neugieriges Kind, das einen Hund sah aber sich nicht so recht traute, ihn anzufassen, blieb er in einem gebührenden Abstand von knapp zwei Metern stehen und beobachtete das ganze erst einmal. Kaoru wandte ihm das Gesicht zu und grinste. "Na, überrascht? Gestern hast du mir deine kleinen Freunde vorgestellt, heute bin ich an der Reihe. Diese Schönheit heißt Hope, und sie ist neben Ran der einzige Delphin, den ich inzwischen von den anderen unterscheiden kann."
 

"Stimmt, Sunday, Kai und Safu verwechselst du ständig, das sollte dir echt peinlich sein. So oft, wie du herkommst, müsstest du es doch eigentlich mittlerweile hinkriegen." lachte Yuuichi und kniete sich nun ebenfalls hinunter, denn inzwischen war Kai aufgetaucht und verlangte nach Aufmerksamkeit. Kaoru zog eine Schnute, während er mit einer Hand über Hope's Bauch fuhr. "Du hast leicht reden, du siehst sie ja so gut wie jeden Tag. Und bei den Seelöwen kann ich alle unterscheiden, ohne Ausnahme." Nun mischte sich auch Ryo, der den Sicherheitsabstand inzwischen schon auf einen Meter verringert hatte, mit ins Gespräch ein. "Na falls es hier nur zwei oder drei davon gibt, ist das aber nichts, womit man prahlen könnte." Darauf schien Kaoru nur gewartet zu haben, denn er klärte den Sänger sofort darüber auf, dass insgesamt zehn Seelöwen im Aquarium lebten, zusätzlich zu den fünf Delphinen. "Die beißen übrigens nicht, du kannst sie gern auch mal streicheln." fügte er noch hinzu, amüsiert über Ryo's Zurückhaltung. Dieser musterte die beiden Tiere noch einmal prüfend, dann nahm er seine Ringe ab, steckte sie in die Hosentasche und ließ sich mit den Worten "Aber wenn ich hinterher weniger als zehn Finger habe, mach ich dich dafür verantwortlich." auf dem gefließten Boden neben Kaoru nieder. "Gibt es irgendeine Stelle, die ich zu meiner eigenen Sicherheit lieber nicht anfassen sollte?"
 

"Na ins Auge solltest du sie nicht gerade pieksen, das könnte Hope dir etwas übel nehmen, aber sonst hast du freie Bahn." antwortete der Gitarrist und brachte damit sowohl Ryo als auch Yuuichi zum grinsen, und endlich streckte der Sänger eine Hand aus und strich langsam über die glatte Haut des Delphins. "Wah, die ist ja ganz weich!" rief er begeistert und strahlte mit einem Mal übers ganze Gesicht, verlor nun seine restliche Scheu und streichelte den hellen Bauch, die Flossen, und als Hope sich wieder drehte, auch ihren Rücken und Kopf. Doch als das Weibchen plötzlich den Schnabel öffnete und seine Zahnreihen entblößte, zog Ryo seine Hand wieder zurück und sah Kaoru fragend an. Da kam Yuuichi mit einem Eimer anmarschiert und der Sänger konnte sich schon denken, was er darin vorfinden würde. Natürlich waren es tote Fische, und obwohl die Delphine schon während der Show eine ganze Menge davon als Belohnung bekommen hatten, rissen Hope und Kai nach jedem Happen, den Kaoru und Ryo ihnen zuwarfen, erneut ihre Schnäbel auf und warteten auf Nachschub. "So, jetzt ist es aber genug, sonst werden die beiden noch fett und faul. Außerdem will Purin auch noch was abhaben." meinte ihr Dresseur schließlich, woraufhin Kaoru sich ohne ein weiteres Wort vorbeugte und von Kai einen 'Kuss' auf den Mund bekam. Ryo beobachtete dies mit großen Augen und musste dann über sich selbst schmunzeln. Er war doch tatsächlich für den Bruchteil einer Sekunde eifersüchtig auf einen Delphin gewesen, zumindest hätte er gern mit Kai den Platz getauscht. Aber was Kaoru konnte, das konnte er schon lange, also beugte der Sänger sich ebenfalls nach vorn zu Hope, und siehe da, auch er bekam von der Delphindame ein feuchtes Bussi auf die Lippen. "Hey Hope, Schnabel weg von Ryo!" rief Kaoru sofort empört und der Jüngere lachte. "Ach nee, du darfst mit den Mädels rumknutschen und ich nicht?! Nein nein, gleiches Recht für alle. Außerdem ist es ja nicht so, als könntest du irgendwelche Besitzansprüche stellen, ne?!"
 

'Noch nicht...' dachte Kaoru bei diesen Worten und begnügte sich für den Moment damit, sein Kinn in eine Hand zu stützen und demonstrativ zu schmollen. In der Zwischenzeit hatte Yuuichi die beiden Delphine weggelockt und es war ein erneutes Rufen zu hören, welches Ryo stark an eine alte Autohupe erinnerte. Der Verursacher stellte sich als schwarzer Torpedo heraus, der unter der Wasseroberfläche auf sie zuschoss und sich erst beim Auftauchen am Beckenrand als Seelöwe zu erkennen gab. Da verschwand das Schmollen aus Kaoru's Gesicht und er lächelte das Tier an. "Hey Kleines, na, hast du mich vermisst?" Purin antwortete mit einem lauten Hupen, wie Ryo dieses Geräusch von jetzt an nannte, stieß sich zu seiner Überraschung aus dem Wasser heraus auf die Fließen und schlitterte dann zielstrebig auf den Gitarristen zu, der aufgestanden war und sich ein Stück vom Beckenrand entfernt hatte. "Tut mir leid, auf den Kuss musst du heute wohl verzichten, wir werden beobachtet." meinte Kaoru etwas betreten und schielte dabei zu seinem Begleiter hinüber, während Purin ihn auffordernd von allen Seiten anstupste und dabei ein wahres Hupkonzert veranstaltete. Ryo verdrehte die Augen und wedelte mit einer Hand in der Luft herum. "Jetzt mach schon, sonst gibt sie ja nie Ruhe." Mit dieser Erlaubnis beugte Kaoru sich hinunter zu dem blökenden Weibchen und holte sich seinen Begrüßungsschmatzer ab. "Du musst wissen, Purin ist mir total verfallen, sie hört besser auf mich als auf Yuuichi." erklärte er daraufhin, und in eben diesem Moment erschien der besagte Dresseur wieder auf der Bildfläche. "Und das ist nicht mal gelogen. Keine Ahnung, was sie so toll an ihm findet, da bin ich echt überfragt."
 

"Ich nicht." erwiderte Ryo sofort ohne zu überlegen, und erst als Kaoru und Yuuichi ihn mit großen Augen anstarrten, wurde ihm bewusst, dass er das tatsächlich gerade laut gesagt hatte. "Also ich... ich meine... ähm..." Doch weil ihm keine rettenden Worte einfielen, die ihn aus der Affäre hätten ziehen können, gab er schließlich auf und murmelte mit geröteten Wangen "Ach ihr wisst schon, wie ich das gemeint hab." Von ihm unbemerkt zwinkerte Yuuichi dem Gitarristen zu und dieser lächelte, dann zog Purin wieder die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich, wofür ihr Ryo sehr dankbar war. Er beobachtete wie Kaoru der Hupe über den Kopf kraulte und hörte ihn sagen "Na los, du hast Ryo noch gar nicht Guten Tag gewünscht, du unhöfliches Ding.", dann kam der Ältere auch schon auf ihn zu und der Seelöwe folgte ohne zu zögern. Vor Ryo blieben die beiden stehen und Kaoru meinte, er solle seine Hand ausstrecken, was der Sänger auch tat und sogleich Purin's Flosse schütteln konnte. Das brachte ihn wieder zum grinsen und er streichelte das Tier ebenfalls, sah anschließend dabei zu wie es auf verschiedene Kommandos des Gitarristen reagierte und gab ihm jedes Mal einen Fisch als Belohnung. Dann war es an der Zeit, von Yuuichi und Purin Abschied zu nehmen, und nachdem die beiden Musiker sich auf der Herrentoilette noch Gesicht und Hände gewaschen hatten, verließen sie das Aquarium und machten sich auf den Rückweg. Eine Weile herrschte Schweigen, dann musste Kaoru plötzlich schmunzeln.
 

"Und, was denkst du, wird Bansaku heute abend wieder bei dir reinschneien und wissen wollen, wo wir waren?"
 

"Auf jeden Fall, er hat es ja auch nicht weit bis zu mir."
 

"Wieso, wo wohnt er denn?"
 

"Nebenan."
 

"...Wie jetzt? Was meinst du mit 'nebenan'?"
 

"Damit meine ich, dass er in der Wohnung neben meiner wohnt. Deshalb hat er sich heute beim Gehen auch nicht erst seine Schuhe angezogen, er hätte sie ja wenige Sekunden später wieder ausziehen müssen."
 

"Ist das Absicht, dass ihr Nachbarn seid?"
 

"Nicht direkt, aber als ich mal erwähnte, dass ich bei meinen Eltern ausziehen will, erzählte er mir von der freien Wohnung neben seiner, und die hat mir gefallen. Und es ist ja auch ganz praktisch, wenn man seinen Freund und Bandkollegen so nah bei sich hat."
 

"Aber nicht immer."
 

"Stimmt, nicht immer. Ich möchte mich übrigens noch mal bedanken, es war eine klasse Idee von dir, herzukommen."
 

"Freut mich zu hören. Ich hatte vorher schon Bedenken, ob du dich nicht vielleicht langweilen würdest."
 

"Ach was, überhaupt nicht! Und... kann ich dich auch gleich um einen Gefallen bitten?"
 

"Klar, schieß los."
 

"Naja, also... Wenn du das nächste Mal ins Aquarium gehst... nimmst du mich dann wieder mit?"
 

"Gern, aber dann musst du auch unbedingt mal wieder dein leckeres Curry für mich kochen. Abgemacht?"
 

"Abgemacht!"
 

Anm.: Wen es interessiert, wo Kaoru und Ryo den Nachmittag verbracht haben, der kann ja mal den Link hier anklicken!^^ http://www.aquarium.gr.jp/guide/innermap.html#01 (#11 ist der Tunnel)

~6~
 

Wie er da so an dem 2-Mann-Tisch saß, in seinem Eiskaffee rührte und beinahe ununterbrochen zur Eingangstür des kleinen Cafés hinübersah, hätte man glatt meinen können, er warte auf jemanden. Und genau das tat Kaoru auch. Das Wochenende war ihm schrecklich lang vorgekommen, so ganz ohne Ryo, der einen kranken Freund in Kanagawa besucht hatte, aber in wenigen Augenblicken würde die Langeweile ja Gott sei Dank ein Ende haben. Wenn der Sänger sich nicht verspätete... Kaoru warf zum wiederholten Male einen Blick auf seine Uhr. Es war wirklich schon fast krankhaft, wie sehr er auf Pünktlichkeit achtete, aber so war er nun mal, und es gab auch weitaus schlimmere Macken als diese. Sein kleiner Freund mit dem Zifferblatt verriet ihm, dass es jetzt genau 17 Uhr war, Ryo müsste also jeden Moment hier auftauchen – und tatsächlich, als er wieder zur Tür sah wurde diese gerade aufgerissen und ein abgehetzter Sänger stürzte herein, schaute sich kurz suchend um und marschierte, nachdem er den Gitarristen entdeckt hatte, lächelnd auf ihn zu. "Bin ich zu spät?" war das erste, was Ryo von sich gab als er an ihrem Tisch ankam, und Kaoru schüttelte schmunzelnd den Kopf. "Pünktlich auf die Minute." Damit schob er den ihm gegenüberstehenden Stuhl mit einem Fuß nach hinten, genau so wie der Jüngere es vor neun Tagen in eben diesem Café auch schon getan hatte. Ryo grinste und ließ sich erleichtert darauf fallen. "Na dann hat sich das Gerenne wenigstens gelohnt, ich bin unterwegs nämlich noch einem Bekannten über den Weg gelaufen und hatte meine liebe Not damit, ihm einigermaßen höflich zu verklickern, dass ich's eilig hab."
 

"Und dann hast du dich extra beeilt, um mich nicht warten zu lassen?" hakte Kaoru teils amüsiert, teils aufrichtig erfreut nach und Ryo nickte ein wenig verlegen, dachte dabei allerdings 'Naja, unter anderem…' Er musste dem Älteren ja nicht unbedingt auf die Nase binden, dass er es einfach nicht mehr hatte erwarten können, ihn wiederzusehen. Kaoru lächelte. "Na dann geb ich dir als kleines Dankeschön jetzt einen aus. Was möchtest du trinken?" Sein Gegenüber öffnete sofort den Mund, schloss ihn aber gleich wieder als sein Blick auf Kaoru's Glas fiel. "Hm… Ich bestell normalerweise immer einen Cappuccino, aber ich könnte eigentlich auch mal was anderes probieren. Wie schmeckt der Eiskaffee hier denn so?" Da schob der schmunzelnde Gitarrist sein Glas in die Mitte des Tisches, tunkte seinen Löffel in den Kaffee und hielt diesen Ryo anschließend hin. "Koste doch einfach, dann weißt du's." Das ließ der andere sich natürlich nicht zweimal sagen, beugte sich vor und nahm den angebotenen Löffel in den Mund, sah Kaoru dabei die ganze Zeit direkt und ohne Scheu in die Augen. Es war ihm, genau wie dem Älteren, herzlich egal, dass ihre kleine Aktion ein paar neugierige beziehungsweise verwirrte Blicke auf sich zog; sollten die Leute doch denken, was sie wollten. Alles, was den Sänger im Moment interessierte, waren zwei Dinge: der Geschmack des Kaffee's und Kaoru's Lächeln. Und beides gefiel ihm ausgesprochen gut, weshalb er keine fünf Minuten später ebenfalls ein Glas Eiskaffee vor sich stehen hatte und immer wieder witzige Anekdoten aus dem Tourleben mit seinen Bandkollegen zum besten gab, einfach um den Gitarristen weiter lächeln oder lachen zu sehen. "Und du hast immer noch Lust, mitzukommen?" fragte er allerdings nach einer Weile ganz unvermittelt, woraufhin Kaoru ihn überrascht anblinzelte. Ryo hatte gestern angerufen und gefragt, ob er mit zu Mariko's Geburtstagsparty kommen wolle, die sie heute abend feierte, und er hatte ohne zu zögern zugesagt. Dass Ryo ihn jetzt noch einmal darauf ansprach, wunderte ihn etwas. "Klar hab ich noch Lust dazu, warum fragst du?" Der Jüngere rührte nachdenklich in seinem Kaffee herum. "Naja, ich will nicht, dass du dich unwohl fühlst, immerhin kennst du dort keinen…"
 

"Ich kenne dich, das reicht mir voll und ganz." erwiderte Kaoru sofort und schenkte Ryo dabei ein so aufrichtiges Lächeln, dass dieser butterweiche Knie bekam. "Und falls Bansaku auch kommt, kenne ich sogar schon zwei Leute, und Mariko und ihren Freund hab ich ja auch schon kurz gesehen. Mach dir mal keine Sorgen um mich, ich bin weder menschenscheu noch schüchtern." Bei diesen Worten grinste ihn der kleine Sänger wieder ganz frech an. "Das hab ich gemerkt, schüchtern bist du wirklich nicht. Aber stimmt schon, Bansaku wird da sein. Kei und Akira kommen auch, dann lernst du gleich mal die ganze Chaotentruppe kennen, mit der ich mich ständig rumschlagen muss." Kaoru stützte sein Kinn in eine Hand und machte ein gespielt erschöpftes und leidendes Gesicht. "Ja, es ist schon nicht leicht mit den lieben Bandkollegen, ständig machen sie einem nur Ärger und Stress." Ryo imitierte seine Pose und seinen Gesichtsausdruck sofort und nickte zustimmend. "Wem sagst du das… Aber wir werden tapfer durchhalten und weiter den ganzen Mist ausbaden, den sie verzapfen." Da gab der Gitarrist ein kurzes Seufzen von sich und nahm sein Glas in die Hand. "Darauf trinken wir." Und sie stießen ihre Gläser leicht aneinander, als wären sie alte Leidensgenossen, dann nahm jeder von ihnen einen großen Schluck und anschließend sahen die beiden sich noch ganze drei Sekunden lang vollkommen ernst an – bis Ryo es nicht mehr aushielt und zu kichern begann, und auch Kaoru konnte sich ein breites Grinsen nicht länger verkneifen und zwinkerte dem Jüngeren dabei schelmisch zu. In Ryo's Gegenwart wurde er manchmal richtig kindisch, aber das störte ihn absolut nicht. Im Gegenteil, es war sogar ziemlich befreiend, das ganze erwachsene und pflichtbewusste Leader-Getue für eine Weile an den Nagel zu hängen und zur Abwechslung mal wieder ganz ungezwungen herumalbern zu können. Ryo tat ihm gut, das merkte er.
 

Kurz darauf verließen sie das Café und machten sich auf den Weg zu dem kleinen Klub, in dem die Party stattfinden sollte. Wie Kaoru von Ryo erfuhr, war Mariko's Vater der Besitzer, weshalb sie ihren Geburtstag jedes Jahr dort feierte und immer sehr viele Freunde einlud. Platz gab es ja genug. Also machte Kaoru sich auf eine Gästezahl von etwa 50 Leuten gefasst – und bekam ganz große Augen, als sie den Klub schließlich betraten, denn er hatte sich um bestimmt mehr als 150 Leute verschätzt, die entweder in kleinen Gruppen zusammensaßen, um die Bar herumstanden oder auf der Tanzfläche ihren Spaß hatten. Es sah fast so aus, als wäre der Klub heute ganz normal geöffnet. "Und das sind alles Mariko's Freunde?" wandte er sich verblüfft an Ryo und dieser schüttelte den Kopf. "Nein nein, sie sagt den Leuten, die sie einlädt, nur immer, dass sie noch ein paar Freunde mitbringen sollen, und die bringen dann auch welche mit und so weiter und so weiter, deshalb sind das auch so viele. Ich denke mal, Mariko kennt selbst nur höchstens ein Viertel von den Leuten hier. Aber je mehr, desto besser, das passt mir auch ganz gut." meinte er zufrieden lächelnd und Kaoru hob fragend eine Augenbraue. "Warum das denn?" Doch seine Neugier wurde diesmal nicht gestillt, da Ryo ihn mit einem einfachen "Wirst du schon sehen." abspeiste und dann auch gleich mit sich zog, weil er Mariko endlich entdeckt hatte. Sie war umringt von fünf jungen Frauen, die alle lachend auf sie einschnatterten, und fühlte sich offensichtlich pudelwohl, doch als Ryo auf sich aufmerksam machte, wurde ihr Lächeln sogar noch strahlender. "Da bist du ja endlich!!" Sofort löste sie sich von ihren Freundinnen und fiel dem Sänger um den Hals. "Was kommst du denn so spät, Kei und die anderen sind schon längst da!" Grinsend erwiderte Ryo die herzliche Umarmung, dann drückte er Mariko ein Stück von sich. "Also erstens: Alles alles Gute zum Geburtstag, Süße! Und zweitens: Ich wurde vorhin noch auf einen Eiskaffee eingeladen, und wenn du siehst, von wem, dann wirst du mir bestimmt verzeihen." Mariko, die bis jetzt nur Augen für Ryo gehabt hatte, warf bei diesen Worten einen Blick auf dessen Begleiter und erstarrte. Wer würde das auch nicht, wenn auf der eigenen Geburtstagsparty plötzlich der Leader von Dir en grey auftauchte?! Dieser trat nun lächelnd näher an sie heran, wünschte ihr ebenfalls alles Gute zum Geburtstag und machte die Überraschung schließlich perfekt, indem er sich vorbeugte und sie auf die Wange küsste. Und nicht nur Mariko's Augen wurden dabei so groß wie Tomaten, auch Ryo war sichtlich geschockt. Erst Delphine, dann Robben, und jetzt auch noch junge Frauen – alle bekamen einen Kuss von Kaoru, nur ER nicht!! Das durfte doch wohl nicht wahr sein!! Und er machte auch keinen Hehl aus seiner Meinung dazu, sondern verschränkte die Arme vor der Brust und zog eine beleidigte Schnute. Kaoru sah daraufhin von Mariko zu Ryo und meinte nur schulterzuckend "Was denn? Ein anderes Geschenk hab ich nicht."
 

"Du kannst froh sein, dass Tsutomu das nicht gesehen hat, sonst hättest du jetzt ein Problem." erwiderte der Jüngere immer noch leicht pikiert und wedelte dann mit einer Hand vor Mariko's Gesicht herum, da das arme Ding mit offenem Mund vor ihnen stand und sich nicht rührte. "Hey, alles klar bei dir? Mariko, huhu!! Kaoru, hol doch mal bitte einen Eimer mit kaltem Wasser, das wir ihr über die teure Frisur kippen können." Das waren die magischen Worte. "Spinnst du?! Pfoten weg von meinen Haaren, dafür hab ich ewig beim Friseur gesessen!!" keifte die zu neuem Leben erwachte junge Frau aufgebracht und funkelte Ryo bitterböse an. Der lächelte zuckersüß zurück. "Keine Panik, das hab ich doch nur gesagt damit du nicht den Rest des Abends wie eine Salzsäule hier rumstehst und deine eigene Party verpasst. Aber vielleicht sollte ich Kaoru in Zukunft lieber von dir fernhalten, du reagierst immer so komisch wenn du ihn siehst..." Da weiteten sich Mariko's Augen noch mehr und sie schüttelte hastig den Kopf. "Nein nein, das war doch nur weil ich so überrascht war, ehrlich!" Dann wandte sie sich an Kaoru. "Ich freue mich wirklich sehr, dass du gekommen bist, fühl dich bitte ganz wie zuhause. Ach und halte den Kleinen hier unter allen Umständen von jeglichen Wassereimern fern, ja?!" Der Gitarrist versprach schmunzelnd, sein Bestes zu geben und Ryo nicht aus den Augen zu lassen, was dieser natürlich nur zu gern hörte, dann wurde plötzlich Mariko's Name gerufen und sie sah hinüber zu den neu eingetroffenen Gästen, die ihr zuwinkten. "Entschuldigt mich bitte, mein Typ wird verlangt. Kaoru, ich verlass mich auf dich!" Und damit drehte sie sich um und eilte davon, ließ Ryo und seinen Begleiter aber keineswegs allein, denn nun wurden die beiden auf Mariko's fünf Freundinnen, mit denen sie sich eben noch unterhalten hatte, aufmerksam, die sich keinen Zentimeter bewegt hatten und Kaoru mit leuchtenden Augen anstarrten. Ryo erkannte die Gefahr und reagierte blitzschnell. "Vergesst es, heute gibt es keine Autogramme! Der Gute hat Urlaub und will seine Ruhe, kapiert?! Los komm, wir holen uns was zu trinken." Mit diesen Worten deutete er hinüber zur Bar und Kaoru grinste, nickte seinen Fans noch kurz zu und marschierte dann los, dicht gefolgt von Ryo. Dieser drehte sich im Gehen aber noch einmal zu den enttäuschten jungen Frauen um, zeigte erst auf Kaoru's Rücken, dann auf sich selbst und machte so unmissverständlich klar, dass er zuerst dagewesen war und die Mädels sich gar keine Hoffnungen machen sollten. Und weil er gerade so gute Laune hatte, ließ er es sich auch nicht nehmen, auf die teils ungläubigen und teils neidischen Blicke mit einem frechen Grinsen zu reagieren.
 

An der gut besuchten Bar wurden erst einmal zwei Bier bestellt, und während sie darauf warteten, amüsierten Kaoru und Ryo sich weiter über Mariko's verblüfften Gesichtsausdruck. "Der Ärmsten sind ja wirklich fast die Augen rausgefallen, als sie dich gesehen hat." lachte der Sänger und Kaoru's Mund verzog sich zu einem breiten Grinsen. "Aber die Krönung war ihr Blick, als ich ihr den Kuss auf die Wange gedrückt hab." Bei der Erinnerung daran nickte Ryo, sein Lächeln wurde allerdings immer kleiner und er sagte nichts mehr, starrte stattdessen nachdenklich hinunter auf seine Hände und verwirrte den Gitarristen mit diesem plötzlichen Stimmungsumschwung von Sekunde zu Sekunde mehr. "Was hast du denn auf einmal?" erkundigte Kaoru sich schließlich vorsichtig und nach kurzem Zögern blickte Ryo wieder auf. "Stehst du eigentlich auf Frauen?" platzte es aus ihm heraus und trotz seiner Unsicherheit zwang er sich dazu, Kaoru weiter anzusehen. Völlig überrumpelt blinzelte dieser einen Moment lang überrascht, doch dann erschien ein sanftes Lächeln auf seinem Gesicht. Und noch während er ganz langsam den Kopf schüttelte, ein leises "Nein." von sich gab und Ryo damit von seiner Sorge befreite, hob er eine Hand und strich dem Jüngeren eine Haarsträhne hinters Ohr, fuhr dabei mit seinem Daumen hauchzart über dessen Wange. Schweigend sahen die beiden sich tief in die Augen. Kaoru beugte sich ein Stück vor. Ryo kam ihm entgegen. Und dann kam, was kommen musste... sie wurden unterbrochen. "Hey Ryo, Kaoru, da seid- Aaahh, sorry, sorry, lasst euch nicht stören, ich bin schon weg!! Aber wenn ihr dann irgendwann mal fertig seid, wir sitzen da hinten, dort, seht ihr? Akira, Kei und seine Schnecke sind auch da, wir haben schon Ausschau nach euch gehalten, aber dich Zwerg zu finden ist ja nicht so leicht und-"
 

"Bansaku!!" unterbrach Ryo den plappernden Bassisten und sah aus, als würde er ihm am liebsten den dürren Hals umdrehen. Kaoru grinste dagegen nur wieder belustigt. "Ja?" fragte Bansaku ganz unschuldig lächelnd und japste im nächsten Moment ängstlich auf, als sein Bandkollege nach zwei schnellen Schritten plötzlich vor ihm stand, ihn am Kragen packte und zu sich herunterzog. "Du bist der Nagel zum Sarg meines Liebeslebens." wurde ihm leise zugezischt, dann war er wieder frei und runzelte die Stirn. "Meine Güte, dann geht zum Knutschen doch irgendwo hin, wo ihr ungestört seid..." Aber Schmollen war nicht Bansaku's Art, also zuckte er einfach mit den Schultern und grinste schon wieder. "Jetzt ist die romantische Stimmung eh futsch, also könnt ihr euch auch gleich zu uns setzen, ne?!" Ryo wollte sich sofort damit herausreden, dass sie ja leider noch auf ihre Getränke warten mussten, aber genau in diesem Augenblick hielt Kaoru ihm eine Bierflasche vor die Nase und er klappte seinen Mund wieder zu. Das Schicksal hatte es aber auch schon mal besser mit ihm gemeint... Kurz darauf machten sie es sich zu sechst in einer gemütlichen Sitzecke bequem und Ryo stellte Kaoru seinen beiden anderen Bandkollegen und Kei's Freundin Sumi vor. Doch viel Zeit zum Plaudern hatte der baroque-Sänger nicht, denn auf einmal tauchte ein Kumpel von ihm auf und bat ihn, sich doch für ein Weilchen mit zu ihm und seinen Freunden, die Ryo ebenfalls gut kannte, zu setzen und ein bisschen zu quatschen. Man sah sich doch so selten. Schweren Herzens wandte Ryo sich also an Kaoru und fragte, ob er ihn für ein halbes Stündchen mit Bansaku und den anderen allein lassen könne, woraufhin ihm der Gitarrist aufmunternd zuzwinkerte. "Na sicher, wir werden uns schon vertragen. Lass dir ruhig Zeit. Aber halte dich schön brav von Eimern fern, sonst krieg ich Ärger mit Mariko." Das brachte Ryo wieder zum grinsen und er gab sein heiliges Versprechen, dann verließ er mit seinem Bekannten den Tisch.
 

Auch wenn es ihm gefiel, seine alten Freunde mal wiederzusehen, so freute Ryo sich doch, als er schließlich wieder aufstand und sich von ihnen verabschiedete. Bei seiner Rückkehr stellte der Sänger allerdings überrascht fest, dass nur noch Akira und Kaoru in der Sitzecke saßen und sich offenbar sehr angeregt unterhielten, von den anderen war weit und breit keine Spur. Ryo wollte sich schon wieder neben Kaoru setzen, da hörte er, wie dieser etwas von Tonabnehmern sagte, und hielt inne, starrte die beiden Musiker fassungslos an. "Sagt bloß, ihr unterhaltet euch über Gitarren?!" Sowohl Akira als auch Kaoru hoben je eine Augenbraue. "Du klingst so überrascht. Wir sind Gitarristen, da liegt das doch nahe." meinte Akira nur staubtrocken und Kaoru nickte schmunzelnd, sagte aber nichts weiter. Ryo verdrehte die Augen und hätte fast "Männer!" gestöhnt, konnte es sich aber noch rechtzeitig verkneifen und sah die beiden resigniert an. "Okay okay... Wo ist eigentlich Bansaku?" Endlich meldete Kaoru sich wieder zu Wort. "Der ist draußen und telefoniert." Ryo nickte. "Und Kei und Sumi?" Diesmal kam die Antwort von Akira. "Sumi Klo, Kei Bar." Mürrisch zog der Sänger die Augenbrauen zusammen. "Du warst aber auch schon mal gesprächiger. Schon gut, ich lass euch dann mal weiter fachsimpeln und leiste Kei Gesellschaft, aber denk bloß nicht, dass du Kaoru jetzt den ganzen Abend für dich allein hast, verstanden?" Jetzt grinste selbst Akira, was bei dem ruhigen und beherrschten jungen Mann eher selten vorkam, und salutierte. "Geht klar!" Ein wenig enttäuscht wollte Ryo sich schon umdrehen und losmarschieren, da ergriff Kaoru schnell sein Handgelenk und lächelte ihn entschuldigend an. "Nur noch ein paar Minuten, okay? Dann gehöre ich wieder voll und ganz dir..." Und selbst wenn Ryo stinksauer gewesen wäre, bei diesem Anblick und diesen verheißungsvollen Worten hätte er Kaoru wahrscheinlich alles verziehen und sich am Ende wohl noch selbst entschuldigt. Daher nickte er nur wortlos, lächelte ebenfalls und schwebte dann auf Wolke Sieben hinüber zur Bar, an der sein bester Freund gerade eine Bierflasche entgegen nahm. Bei ihm angekommen ließ Ryo sich auf einem Barhocker nieder, beachtete den Größeren aber nicht weiter sondern starrte verträumt zu Kaoru, der Akira im Moment etwas zu erklären schien. Kei studierte den Sänger eine Weile, nippte dabei an seinem Bier und schüttelte schließlich den Kopf. "Junge Junge, so wie du aussiehst scheint es dich ja echt mächtig erwischt zu haben." Damit verschaffte er sich Ryo's ungeteilte Aufmerksamkeit, denn der wandte sich ihm sogleich zu und strahlte übers ganze Gesicht. "Oh Mann, Kei, ich bin so verknallt, ich bin so verknallt, das glaubst du gar nicht!!" sprudelte es aus dem Kleinen heraus und sein Gegenüber grinste. "Doch, irgendwie glaub ich das schon."
 

"Kaoru ist so toll, ich glaub er hat den Charme mit Löffeln gefressen, und er sieht so unverschämt gut aus!!" quasselte Ryo munter weiter. "Ich meine, kuck ihn dir doch mal an!! Außerdem ist er witzig und klug und überhaupt ein ganz toller Mensch, so!" Kei schmunzelte bei diesen Worten. "Du brauchst mich nicht davon überzeugen, dass er ein netter Kerl ist, das glaub ich dir auch so, außerdem hab ich mich vorhin mit ihm unterhalten. Ich mag Kaoru." versicherte er seinem Freund und dieser nickte zufrieden, sah dann aber etwas betrübt hinüber zu den beiden Gitarristen. "Bloß doof, dass er sich jetzt anscheinend lieber mit Akira über Gitarren unterhält, als Zeit mit mir zu verbringen..." Kei, dem dieser Blick von Ryo gar nicht gefiel, legte ihm aufmunternd einen Arm um die Schulter. "Ach naja, Akira will sich doch demnächst ein ESP-Modell zulegen und Kaoru gibt ihm nur ein paar Tipps. Freu dich doch, dass er sich bemüht, mit deinen Freunden gut klarzukommen, das bedeutet bestimmt, dass es ihm ernst mit dir ist." Und Kei hatte mit seiner kleinen Verhaltensanalyse Erfolg, denn Ryo lächelte wieder und sah ihn dankbar an. "Hast Recht, daran hab ich nicht gedacht. Und er scheint es auch wirklich ernst zu meinen, immerhin hat er mich zu seinem liebsten Ort in ganz Tokyo mitgenommen und vorhin hätten wir uns auch beinahe geküsst, wenn Bansaku mit seinem verhexten Timing nicht plötzlich aufgetaucht wäre." Dabei machte er ein äußerst genervtes Gesicht und brachte Kei zum Lachen. "Ja, das klingt ganz nach dem Traumtänzer. Aber das war sicher nicht eure letzte Gelegenheit, ihr seht euch doch heute auch gerade erst zum vierten Mal, nicht wahr? Also reg dich nicht auf. Übrigens..." er wies mit dem Kopf zu ihrer Sitzecke, "er ist wieder da." Auch Ryo sah nun wieder hinüber zu Bansaku und den anderen, und Akira erwiderte ihre Blicke und zeigte auf seine Armbanduhr. Kei sah nach, wie spät es auf seiner eigenen Uhr war, und meinte dann "Es wird langsam Zeit." Ryo nickte. "Okay, dann los." Gemeinsam verließen sie die Bar und gingen zurück zu ihren Freunden, Akira und Bansaku leerten gerade ihre Gläser, als die beiden am Tisch ankamen. "Tut mir echt leid, Kaoru, aber du musst jetzt mal für ein Weilchen auf uns verzichten - also mehr oder weniger..." entschuldigte Ryo sich bei dem Gitarristen, "Aber dir wird bestimmt nicht langweilig werden."
 

"Verrätst du mir auch, was ihr vorhabt?" fragte Kaoru, während Bansaku und Akira sich grinsend erhoben, und der Sänger machte ein geheimnisvolles Gesicht. "Nur Geduld, das wirst du gleich erfahren." Dann wandte er sich an seine Bandkollegen. "Können wir?" Doch bevor jemand darauf antworten konnte, schaltete Kei sich ein. "Moment, wo ist eigentlich Sumi hin?" Akira klärte ihn darüber auf, dass sie ein paar Freundinnen getroffen hatte und gerade bei denen saß, dann marschierte er los und der Rest von baroque folgte ihm – Ryo erst, nachdem er Kaoru noch kurz mit dem Versprechen, bald wieder da zu sein, zugezwinkert hatte. Auf seinem Weg durch die Menge wäre er dann beinahe in Kei reingerannt, der zurückkam und die Bierflasche in seiner Hand hochhielt. "Die hab ich ganz vergessen, ich stell sie nur noch schnell auf meinen Platz." erklärte er, als er die Verwirrung in Ryo's Gesicht sah, und dieser meinte nur "Alles klar, bis gleich." und ging weiter. An ihrem Tisch angekommen, stellte Kei seine Flasche ab und beugte sich dann zu Kaoru, der gerade dabei war, sich eine Zigarette anzuzünden. "Kaoru, hör mal..." Der ältere Gitarrist blickte auf und ließ, als er den ernsten Blick seines Gegenübers sah, das Feuerzeug sinken. "Was ist? Habt ihr es euch anders überlegt?" Kei schüttelte den Kopf. "Nein, ich möchte nur mal kurz unter vier Augen mit dir reden. Wegen Ryo." Nun wurde auch Kaoru ernst und beugte sich ebenfalls nach vorn zu dem anderen, sah ihn abwartend an. "Es kommt vielleicht nicht so rüber, aber er ist ein ziemlich sensibler Mensch und leicht zu verletzen, deshalb hoffe ich, dass du es ernst meinst und nicht nur mit ihm spielst. Sollte das doch der Fall sein, dann lass ihn bitte in Ruhe und such dir jemand anderen. Ich will nicht, dass man ihm weh tut." Nicht eine einzige Sekunde hatte Kei ihn bei diesen Worten aus den Augen gelassen, und Kaoru hielt dem eindringlichen Blick stand und nickte langsam. "Keine Sorge, ich meine es ernst. Ryo liegt mir sehr am Herzen." Dann lächelte er ein wenig. "Und ich freue mich, dass er so gute und besorgte Freunde wie dich hat." Der Jüngere sah ihn noch einen Moment prüfend an, dann lehnte er sich zurück, erwiderte "Ich verlass mich auf dein Wort." und erlaubte sich dann ebenfalls ein kleines Lächeln. "Also bis gleich." Und damit drehte er sich um und verschwand.
 

Kaoru blieb zurück und runzelte nachdenklich die Stirn, während er endlich seine Zigarette anzündete. Er hatte nicht gelogen bei dem, was er über Kei's gute Freundschaft zu Ryo gesagt hatte, dennoch gingen ihm die Worte des anderen gegen den Strich. Denn wenn er sich richtig erinnerte, war Kei gerade erst 19 Jahre alt, und da meinte dieser Grünschnabel doch tatsächlich, Kaoru etwas über Beziehungen erzählen zu können? Ziemlich respektlos, wie der Ältere fand. Kei war es wohl zu Kopf gestiegen, dass er selbst eine Freundin hatte, und meinte jetzt, der große Experte auf diesem Gebiet zu sein. Nun gut, Kaoru würde ihn in dem Glauben lassen. Er hatte ja auch nicht vor, Ryo zu verletzen, schließlich war er total begeistert von dem Kleinen. Doch gerade, als der Gitarrist sich mal wieder die vielen Gemeinsamkeiten zwischen Ryo und Kyo in Erinnerung rufen wollte, stoppte die Musik und ein aufgeregtes Murmeln zog sich durch den großen Saal, welches beim plötzlichen Aufleuchten der Bühnenscheinwerfer in lautes Jubeln überging. Gleich darauf betraten die Mitglieder von baroque mit ihren Instrumenten die Bühne und im Nu hatten sich so gut wie alle Partygäste davor versammelt, Kaoru war eine der wenigen Ausnahmen. 'Darauf hätte ich aber auch kommen können.' dachte er noch und wunderte sich kurz über sich selbst, dann widmete der Gitarrist seine ganze Aufmerksamkeit dem Geschehen auf der Bühne und wartete gespannt auf den Auftritt. Dass Ryo's Performance sich grundlegend von Kyo's unterscheiden würde, war Kaoru von Anfang an klar, aus dem simplen Grund, dass es einfach NIEMANDEN gab, den man auf der Bühne mit Kyo vergleichen konnte. Und das war auch gut so.
 

Inzwischen waren die Rufe aus dem Publikum etwas leiser geworden und der mächtigste junge Mann im Raum – nämlich der mit dem Mikro – grinste fröhlich in die große Runde. "So, liebe Leute, für alle, die uns nicht kennen: Wir sind baroque!" Weiter kam Ryo nicht, da ein erneutes mehrstimmiges Johlen durch die Menge ging und ein Weiterreden sinnlos machte. Also tat der Sänger das, was er in dieser Situation immer tat, und legte einen Finger an die Lippen. Sofort wurde es wieder ruhig und Ryo sprach lächelnd weiter. "Wie die meisten von euch wissen, treten wir jedes Jahr anläßlich des Geburtstages der liebreizenden Mariko-" es wurden wieder einige Stimmen laut, "hier auf und bringen noch ein bisschen mehr Stimmung in den Laden. Mariko, wo bist du eigentlich?" Suchend sah er sich um und entdeckte seine Freundin schließlich, als diese mit Tsutomu im Schlepptau in Richtung Bühne eilte und dabei ihren Rock etwas zurecht zupfte. "Hey Jungs, ich glaub, wir hätten uns doch noch etwas Zeit lassen sollen." meinte Ryo, immer noch mit dem Mikrofon an den Lippen, da scherzhaft zu seinen grinsenden Kollegen und allgemeines Gelächter erfüllte den Raum. Mariko streckte ihm daraufhin die Zunge raus, grinste dann aber ebenfalls und ließ es zu, dass Tsutomu von hinten die Arme um sie schlang. Den beiden war die Situation anscheinend überhaupt nicht unangenehm. Ryo zwinkerte ihnen zu und schaute dann wieder in die Menge, seine Augen leuchteten vor lauter Vorfreude. "Okay, dann kann's ja endlich losgehen! Wie sieht's aus, hat jemand von euch Lust auf 'style'?" Die Zustimmung kam in Form eines ohrenbetäubenden Jubels und Ryo verschwendete keine weiteren Worte, sondern hob einen Arm und verwandelte den Saal gleich darauf mit Kei, Akira, Bansaku, ihrem Support-Drummer Shintaro und allen Leuten im Publikum in einen wahren Hexenkessel, was mit dem nachfolgenden Song 'Gariron' sogar noch extremer wurde. Alle sprangen oder wippten im Takt, rissen die Arme in die Luft, sangen mit und hatten einfach Spaß, sowohl vor als auch auf der Bühne. Ryo wirbelte von links nach rechts und von rechts nach links, stand kaum eine Sekunde lang still und animierte die Leute im Publikum dazu, noch mehr zu geben. Dabei hatte er ständig ein breites Grinsen im Gesicht und schaffte es trotzdem, einwandfrei zu singen und jeden mitzureißen. Auch die anderen Bandmitglieder fegten über die Bühne und mussten aufpassen, sich nicht gegenseitig über den Haufen zu rennen, und Kaoru beobachtete das ganze von seinem Platz aus und schmunzelte vor sich hin. Im Prinzip war es das reinste Chaos, aber genau deshalb hatte auch jeder seinen Spaß – weil man einfach losließ und über nichts mehr nachdachte. In diesem Moment wünschte der Gitarrist sich plötzlich mehr als alles andere, mit seiner eigenen Band auch wieder auf einer Bühne zu stehen und genau das gleiche zu erleben. Aber darauf würde er noch ganze 2 Monate warten müssen.
 

Nach dem dritten Lied, baroque's allererster Single-Auskopplung 'Irokoi', bat Ryo das Geburtstagskind auf die Bühne und sang für sie 'Happy Birthday', wobei er von seinen Kollegen und den Gästen tatkräftig unterstützt wurde und zum Dank auch eine schon fast schmerzhafte Umarmung erhielt – Kei und die anderen natürlich auch. Dann bedankte Mariko sich bei allen für ihr Kommen und die lieben Glückwünsche, und zum Schluß durfte sie sich noch einen Song wünschen. "Na, damit ihr mir nicht alle schon am Anfang vor Erschöpfung umkippt, bin ich jetzt für ein ruhigeres Lied, also spielt bitte 'ila.' für mich." Die Musiker nickten belustigt, woraufhin Mariko ihnen die Bühne wieder überließ, und bei den ersten Takten lächelte Ryo zu ihr hinunter. "Okay Süße, das hier ist für dich." Es war ein richtiger Wohlfühl-Song, den die junge Frau sich da ausgesucht hatte, und es wurde wirklich deutlich ruhiger, doch schon bei der nächsten Nummer 'Gakidou' war der Frieden vorbei und es wurde wieder ordentlich gerockt. 'Ibitsu' war ein ähnlich schnelles Stück, mit 'Sound of Respire' kamen dann alle wieder etwas zum verschnaufen. Die Freude im Publikum war groß, als anschließend 'Uta' gespielt wurde, dieses Lied war offenbar besonders beliebt, danach machten die Jungs auf der Bühne eine kurze Pause und manch einer befürchtete schon, der Auftritt wäre damit vorbei. Aber Ryo hatte noch etwas geplant und trat nach vorn, bedeutete den Leuten erneut mit einem Finger an den Lippen, bitte wieder leise zu sein. Als er seinen Finger mit dem Mikro ersetzt, wirkte der Sänger auf einmal nicht mehr ganz so ausgelassen, und alle waren still. Das, was nun kommen würde, war ihm anscheinend besonders wichtig. "Das nächste Lied möchte ich auch jemandem unter euch widmen, ich denke, derjenige weiß, dass er gemeint ist." Kaoru's Herz schlug bei diesen Worten schneller und noch bevor er daran zweifeln konnte, dass Ryo von ihm sprach, sah dieser zu ihm herüber und lächelte sanft, dann schloss er seine Augen und die ersten Takte der Ballade erklangen. 'Hito no iro', also 'Die Farben des Menschen', nahm Ryo's Stimme nicht sonderlich in Anspruch, da das Lied zur Hälfte ein Instrumentalstück war, doch das, was er sang, brachte er mit einer solchen Hingabe und so viel Gefühl rüber, dass Kaoru schlucken musste. Der Leader freute sich, das tat er wirklich, er war richtig gerührt, doch... irgendetwas nagte an ihm, er wusste nur nicht, was es war. Warum hatte er auf einmal ein schlechtes Gewissen? Was verbarg sein Unterbewusstsein vor ihm? Kaoru war verwirrt.
 

So schnell, wie es begonnen hatte, war das Lied auch schon wieder vorbei, und die meisten Leute klatschten anstatt zu rufen, was als Reaktion auf diese Ballade auch sehr viel angemessener war. Doch selbst ihr Klatschen verstummte sogleich wieder, als Ryo erneut den Mund öffnete, ohne dabei jemanden direkt anzusehen. "Und wenn wir uns ein bisschen länger kennen, dann widme ich dir auch ein Lied mit mehr Text." Das brachte alle Partygäste zum Lachen und der Sänger grinste ein wenig verlegen in die Runde, dann war er aber plötzlich wieder putzmunter und rief "So, und ich wette ihr wisst, welches Lied zum Schluß kommt! Na?" Die eingefleischten baroque-Fans unter den Leuten wussten es und antworteten mit einem lauten "Graphic Noise!!", und als wäre das der Startschuss legte die Band auch sofort los und brachte die Menge ein letztes Mal an diesem Abend zum ausflippen. Erschöpft aber glücklich und zufrieden verließen die Musiker danach unter lautem Beifall und Rufen die Bühne, auf ihrem Weg zurück zu Kaoru wurden sie aber nicht weiter bedrängt und waren auch sehr froh über den Respekt der Leute. Ryo freute sich besonders, er wollte schließlich jetzt, wo er endlich Zeit für Kaoru hatte, keine aufgeregten Mädels – oder Kerle - an sich kleben haben, davon hatte der Sänger für heute genug. Er war gespannt darauf, was Kaoru sagen oder tun würde, wenn er Ryo nach dem Auftritt wiedersah... Doch diesmal machte ihm nicht nur Bansaku, sondern gleich seine ganze unsensible Band einen Strich durch die Rechnung, indem sich alle drei jubelnd und halb am verdursten an ihm vorbei drängten und auf die lockenden Bierflaschen stürzten, die Kaoru während 'Graphic Noise' für sie besorgt hatte. Sich zu einem Lächeln zwingend stieg Ryo auf die Sitzbank und über den trinkenden Kei und den lauthals lachenden Bansaku hinweg, setzte sich zwischen diesen und Kaoru und trauerte im Stillen um die romantischen Stimmung, die er sich erhofft hatte. Na gut, in einem lauten Klub und umgeben von seinen Bandkollegen hatte er wohl auch nichts anderes erwarten dürfen. Ryo war so in Gedanken versunken, dass sein Herz einen Schlag aussetzte, als er plötzlich spürte wie seine Hand unter dem Tisch von einer größeren, warmen Hand umschlossen und sanft gedrückt wurde. Überrascht blickte er auf und in Kaoru's dunkle Augen. "Danke..." hörte er den Gitarristen trotz des Lärms um sie herum klar und deutlich sagen, obwohl Kaoru's Stimme nicht viel mehr als ein Flüstern war, und aus dem gezwungenen wurde endlich ein aufrichtiges Lächeln. "Gern geschehen."
 

****
 

An diesem Abend war nichts weiter zwischen ihnen passiert, und auch vor und nach dem Fussballspiel im Park ein paar Tage später hatte Kaoru keine Annäherungsversuche mehr gestartet. Ryo wurde langsam aber sicher frustriert. Und was noch schlimmer war: unsicher. Was war denn nur los mit Kaoru? Erst schmiss er sich ungeniert an ihn heran und schaffte es innerhalb kürzester Zeit, Ryo vollkommen für sich zu gewinnen, und jetzt? Nichts! Klar, sie kamen blendend miteinander aus und hatten immer viel Spaß zusammen, aber wollte der Gitarrist nicht mehr als das? Ryo auf jeden Fall. Er hatte vor Kei keineswegs übertrieben, er war wirklich Hals über Kopf in den Älteren verknallt, aber was nützte ihm das, wenn Kaoru plötzlich von Angriff in Leerlauf umgeschaltet hatte. Selbst den ersten Schritt zu tun, das war einfach nicht Ryo's Art... Einladen? Ja! Flirten was das Zeug hielt? Na klar! Aber um den Hals fallen und küssen? Nein, das überließ er dann doch immer den anderen. Von denen es ja sowieso erst drei gegeben hatte, Kaoru ausgenommen. Aber so leicht gab Ryo nicht auf, er würde sich eben einfach weiter mit dem Gitarristen treffen und in Geduld üben, und entweder sagte Kaoru ihm irgendwann klipp und klar, dass er doch nichts von ihm wollte, oder er würde ihn verdammt noch mal endlich küssen! Mit diesem Ziel vor Augen hatte Ryo den Älteren auch nach ihrem Fussballmatch mit den Kindern gefragt, ob er am nächsten Abend mit ihm ins Kino gehen wolle, und natürlich hatte Kaoru wie immer sofort erfreut zugesagt. Welchen Film der Sänger ausgesucht hatte, verriet er allerdings erst, nachdem Kaoru ihn abgeholt hatte und sie bereits zusammen vor dem Kino standen. Sein Begleiter hob beim Anblick des Posters gleich beide Augenbrauen. "Sekai no chûshin de, ai o sakebu? Ehrlich?" Sofort setzte Ryo seinen perfektionierten Dackelblick auf und schob die Unterlippe vor, was in Kombination noch viel niedlicher aussah. "Mach jetzt bitte keinen Rückzieher! Mariko hat den Film vorgestern schon mit Tsutomu gesehen und meinte, er wäre sehr gut aber total traurig, und ich müsse ihn mir unbedingt anschauen! Aber wenn du nicht mitkommst, dann muss ich da ganz alleine rein, und das will ich nicht! Dabei hab ich doch so ein Faible für Dramen und-"
 

"Schon gut, keine Panik, ich komm doch mit." setzte Kaoru dem aufgeregten Wortschwall des Sängers ein Ende und grinste. "Ich hätte einfach nicht gedacht, dass du solche Filme magst, das ist alles." Ryo zuckte nur lächelnd mit den Schultern und stiefelte dann zu den Kassen hinüber, zufrieden mit sich und der Welt. Er hatte auch absolut keine Einwände, als Kaoru beide Eintrittskarten bezahlte, und wenig später saßen sie in dem erstaunlich vollen Kinosaal – den sie vorsichtshalber erst betreten hatten, als es schon dunkel war, da keiner von ihnen erkannt und angesprochen werden wollte - und amüsierten sich darüber, dass manche Pärchen jetzt schon am Rumknutschen waren, obwohl der Film noch gar nicht angefangen hatte. Ryo hätte zwar eigentlich auch nichts dagegen gehabt, aber naja... Während die Trailer liefen, fiel dem Sänger aber noch etwas ein, das er Kaoru wohl nicht verschweigen sollte, also stupste er ihn in die Seite und flüsterte "Aber ich warne dich schon mal vor, ich werde bestimmt heulen wie ein kleines Mädchen." Trotz der Dunkelheit sah er, wie der Ältere schmunzelte. "Na komm, so schlimm wird es schon nicht werden." Wenn er sich da mal nicht täuschte. "Du hast ja keine Ahnung. Ich hab auch bei The Last Samurai geflennt, und dieser Film hier soll laut Mariko tausendmal trauriger sein." erwiderte der Sänger und das kleine Schmunzeln verschwand von Kaoru's Lippen. "Oh... Hast du Taschentücher dabei?" Ryo schüttelte den Kopf. "Nein, vergessen. Dann muss eben dein Ärmel dafür herhalten." Und schon war das Schmunzeln wieder da. "Kein Problem, bedien dich ruhig." Dass weder Mariko noch Ryo übertrieben hatten, merkte der Gitarrist aber recht schnell, und in der zweiten Hälfte des Films wurde es richtig dramatisch, weshalb es ihn auch nicht wunderte, als er immer mehr Mädchen und Frauen um sich herum schniefen hörte. Ein unauffälliger Seitenblick zu Ryo genügte, um sein Herz noch ein bisschen schwerer zu machen, denn der Jüngere kämpfte sichtlich gegen die Tränen an. Und als die leukämiekranke junge Frau dann auch noch im Krankenhaus vor ihrer großen Liebe stand und die beiden sich - getrennt durch eine Glaswand - küssten, konnte Ryo nicht mehr an sich halten, schlug beide Hände vor den Mund, um ein Schluchzen zu ersticken, und ließ seinen Tränen endlich freien Lauf. Kaoru konnte gar nicht mit ansehen wie sehr der Sänger mit den beiden Hauptpersonen, deren Liebe keine Zukunft hatte, litt, und so legte er ihm tröstend einen Arm um die Schulter und zog ihn näher zu sich, woraufhin Ryo sich auch gleich an den Älteren kuschelte, seine Augen aber nicht vom Geschehen auf der Leinwand losreißen konnte. So saßen sie bis zum Ende nebeneinander, und auch während des Abspanns rührte sich keiner von beiden, genau wie die meisten anderen Kinobesucher. Dieser Film über eine Liebe, die den Tod noch jahrelang überdauerte, hatte bei allen einen tiefen Eindruck hinterlassen, auch bei Kaoru, der Dramen sonst eigentlich nichts abgewinnen konnte. Aber so schnell würde Ryo ihn ganz sicher nicht wieder in einen derart traurigen Film kriegen, das stand schon mal fest. Apropos Ryo...
 

Der Jüngere lehnte noch immer an ihm und schniefte leise vor sich hin, doch als Kaoru sich ein wenig aufrichtete und mit seiner freien Hand Ryo's Kinn anhob, um in dessen Gesicht sehen zu können, beherrschte dieser sich wieder, wich dem Blick des Gitarristen aber aus. "Tut mir leid..." Kaoru brachte Ryo schließlich doch dazu, ihn anzusehen, und schüttelte sanft lächelnd den Kopf. "Das sollte es aber nicht. Du stehst zu deinen Gefühlen, ich finde das bewundernswert. Außerdem war der Film wirklich sehr traurig." Dabei wischte er dem Sänger ganz langsam die letzten Tränen von den Wangen und zwinkerte ihm dann aufmunternd zu. "Na komm, lass uns gehen." Ryo, ganz gerührt von diesen verständnisvollen Worten, nickte nur stumm und folgte Kaoru aus dem Saal, und da sie die Spätvorstellung genommen hatten und der Film auch noch Überlänge hatte, war es draußen bereits dunkel, als sie das Kino verließen. "Willst du noch irgendwo was trinken gehen, oder lieber gleich nach Hause?" fragte der Ältere, konnte sich die Antwort aber bereits denken und behielt auch Recht. "Gleich nach Hause, ich bin heute sowieso keine besonders tolle Gesellschaft mehr." Also marschierten sie schweigend los und jeder von ihnen hing seinen Gedanken nach. Kaoru mochte es gar nicht, den anderen so still und nachdenklich zu sehen, er vermisste Ryo's unbeschwertes Lachen, sein freches Grinsen, sein süßes Lächeln, seine Scherze und kleinen Albernheiten. Warum tat er sich nur solche Filme an, wenn er von Anfang an wusste, wie sensibel er darauf reagieren würde? Der Gitarrist verstand es nicht, aber er verstand sich ja manchmal selbst nicht richtig. Zum Beispiel wusste er immer noch nicht, was ihn davon abhielt, Ryo zu küssen. Es bestand immerhin kein Zweifel mehr daran, dass der Jüngere nur darauf wartete, und genau das war ja auch Kaoru's Ziel gewesen – Ryo für sich zu gewinnen. Er hatte es geschafft, also wo lag das Problem? Was war der Grund? Gab es überhaupt einen? Nein, wahrscheinlich nicht, er zerbrach sich hier ganz sicher völlig unnötig den Kopf. Es gab absolut keinen Grund dafür, jemanden, der ihn so sehr an Kyo erinnerte, nicht küssen zu wollen.
 

Trotz seiner wirren Gedanken bemerkte Kaoru, wie Ryo sich plötzlich wieder die Augen rieb und schwer atmete. Er hätte in diesem Moment wirklich alles dafür getan, um den Kleinen wieder fröhlich zu sehen, und als dieser mit erstickter Stimme "Oh Mann, ich bin wegen dem blöden Film richtig deprimiert." hervorpresste, gingen bei Kaoru alle Lichter aus. Ryo wusste gar nicht so recht, wie ihm geschah, als der Gitarrist ihn auf einmal packte, und im nächsten Moment spürte er eine kalte Hauswand an seinem Rücken und Kaoru's weiche, warme Lippen auf seinem Mund. Und schmolz dahin. Doch bevor er den lang ersehnten Kuss vertiefen konnte, ließ Kaoru schon wieder von ihm ab und lehnte sich schmunzelnd ein Stück zurück. "Na, immer noch deprimiert?" Auf das Gesicht des Jüngeren schlich sich ein kleines Grinsen und er nickte langsam, um eine Sekunde später erneut von Kaoru's Lippen kosten zu können, diesmal ein wenig länger. Als der Gitarrist den Kuss erneut beendete, hielt Ryo die Augen einfach weiter geschlossen und flüsterte "Noch ein bisschen...", bekam daher nicht mit, wie hungrig der Ältere ihn plötzlich ansah. Und bei ihrem dritten Kuss hielt sich keiner von beiden mehr zurück. Kaoru drückte Ryo fest an sich, dieser vergrub seine Hände in Kaoru's Haaren, und dass ihm allmählich die Luft ausging ignorierte er stur, dafür hatte er viel zu lange auf diesen Moment gewartet. Der Gitarrist war da etwas vernünftiger, löste sich von ihm und lehnte seine Stirn gegen die von Ryo, welcher nun wieder schwer atmete, diesmal aber aus einem ganz anderen Grund als vorhin. Und der hier gefiel ihm auch um einiges besser.
 

Eine Weile blieben sie so stehen und sagten kein einziges Wort, genossen einfach die Nähe zueinander, dann sah Ryo plötzlich auf und schmunzelte Kaoru geheimnisvoll an. Dieser hob eine Augenbraue. "Du hast schon mal jemanden mit Lippenpiercings geküsst, nicht wahr?" beantwortete der Sänger Kaoru's unausgesprochene Frage mit einer Gegenfrage, die für den Älteren so überraschend kam, dass er Ryo zunächst nur verdutzt anstarren konnte. Dieser zwinkerte ihm grinsend zu. "Die Kerle, die ich bis jetzt geküsst habe, hatten alle keine Erfahrung damit und stellten sich am Anfang ziemlich dumm an, aber bei dir ist das ganz anders. Deshalb bin ich darauf gekommen. Aber vielleicht täusche ich mich ja auch und du bist einfach ein Naturtalent." Nun fand auch Kaoru endlich die Sprache wieder und grinste zurück. "So gern ich dich auch in diesem Glauben lassen würde... Du hast Recht, ich hab schon ein bisschen Erfahrung damit. Jetzt frage ich mich allerdings, ob ich mich damals auch blöd angestellt habe..." Dabei machte er ein nachdenkliches Gesicht, wurde aber schnell von Ryo abgelenkt, der ihm lächelnd einen Kuss auf den Mund drückte und dann meinte "Also ich kann mich jedenfalls absolut nicht beklagen.", womit er sich einen weiteren langen Kuss verdient hatte. Danach machten die beiden sich Hand in Hand auf den Rückweg, für den sie (aus ziemlich offensichtlichen Gründen) fast doppelt so lange brauchten wie für den Weg zum Kino. Den traurigen Film hatte der Sänger schon längst vergessen, seine Gedanken drehten sich jetzt einzig und allein um Kaoru, und als dieser ihm vor der Haustür einen Abschiedskuss gab und eine gute Nacht wünschte, ließ Ryo seine Hand nicht los und schüttelte langsam den Kopf. Nein, er würde den Gitarristen heute nicht so einfach wieder gehen lassen, dazu war er fest entschlossen. Und Kaoru verschlug es für einen Moment den Atem, als er den Ausdruck in den plötzlich noch dunkler wirkenden Augen des Jüngeren sah. Er kannte inzwischen schon viele davon – Freude, Begeisterung, Staunen, Überraschung, Erschöpfung, Sehnsucht, Trauer – aber jetzt kam ein völlig neuer dazu: Verlangen. Unbändiges Verlangen, das keinen Zweifel darüber zuließ, was Kaoru in Ryo's Wohnung erwarten würde, wenn er nun mitging. Sein Herz schlug auf einmal schneller, für einen kurzen Moment kam ihm sogar der Gedanke, dass er Kyo gleich betrügen würde, was natürlich völliger Unsinn war, doch all das wurde mit einem Schlag bedeutungslos, als er erneut von Ryo geküsst wurde und dann wieder in dessen Augen sah. Augen, die ihm für diese Nacht sehr wenig Schlaf versprachen... und dieses Versprechen auch hielten.

~7~
 

That's all i know about it – go ahead!

That's all i know about it – go ahead!

That's all i know about it – go ahead!

Please come to the last gasp with me - my pleasure!
 

-KLICK-
 

Kaoru wandte sich vom Mischpult ab und sah gespannt in die konzentrierten Gesichter seiner Bandkollegen, die alle zusammen hinter ihm auf der Couch saßen. "Na, was sagt ihr? Alle zufrieden und glücklich?" Der Gitarrist hoffte sehr, dass jetzt niemand mehr etwas an der Aufnahme von 'Machiavellism' zu meckern hatte, denn dann wäre die Arbeit an ihrer neuen Single endlich abgeschlossen und er könnte wieder zurück nach Hause – beziehungsweise zu demjenigen, der ihn dort erwartete. Ryo hatte in den letzten Tagen bei ihm übernachtet, da Kaoru's Wohnung näher beim Studio lag. "Najaaa~" begann Toshiya quälend langsam und trieb damit Angstschweiß auf die Stirn seines Leaders, von dem er auch gleich mental gevierteilt wurde. "...also ich find's klasse!" Und schon stand der Bassist, nun von einem Ohr zum anderen grinsend, wieder in Kaoru's Gunst. "Sehr schön! Und wie sieht's bei euch aus?" Seine Frage wurde von den drei übrigen Musikern ebenfalls mit einem Grinsen und einem zustimmenden Nicken beantwortet, und keine zehn Sekunden später hatte Kaoru auch schon seinen Kram zusammengepackt und verabschiedete sich mit den Worten "Aufräumen könnt ihr heute ausnahmsweise mal selbst, ich hab's eilig." Doch so schnell kam er den anderen nicht davon. "Halt! Stop! Keine Bewegung!" rief Kyo und funkelte seinen Ex-Freund finster an. "Was heißt denn hier 'ausnahmsweise'? Du hattest es bisher IMMER eilig und wir mussten IMMER aufräumen, also stell die Tasche gefälligst wieder hin und mach wenigstens heute mal mit, immerhin ist es der letzte Tag!"
 

"Genau!" mischte sich nun auch Die ein und verschränkte die Arme vor der Brust - eine Pose, die er nur dann einnahm, wenn ihm etwas nicht passte. "Du bist jeden Tag nach getaner Arbeit sofort abgerauscht und hast uns einfach stehen lassen, ich hab langsam keinen Bock mehr, deine Gitarren wegzuräumen! Was ist denn bitteschön so dringend, dass du nicht mal fünf Minuten länger hier bleiben kannst?" Fragend sah der Rothaarige seinen Kollegen an und dieser runzelte die Stirn. "Na gut, wenn es euch so fertig macht, dann bleib ich eben noch und helf mit." Da erschien plötzlich ein wissendes Grinsen auf Die's Gesicht, welches Kaoru ganz und gar nicht behagte, und er trat unwillkürlich einen Schritt zurück als der Jüngere auf ihn zukam, ganz nah vor ihm stehen blieb und prüfend in seine Augen sah. Kaoru wollte schon fragen, was das werden sollte, doch der andere Gitarrist kam ihm zuvor. "Du hast ja verdächtig schnell nachgegeben, wolltest wohl meine Frage nicht beantworten, hm?! Kaolein, verschweigst du uns etwa was? Zum Beispiel einen neuen Freund, zu dem du jetzt ganz schnell zurück willst?" Bei diesen Worten wurde Die's Grinsen noch breiter, Kaoru's Augen größer und der Rest von Dir en grey sehr viel aufmerksamer. "Ach nee," meinte Kyo, "so ertappt wie du gerade schaust, hat unser Die wohl voll ins kleine Schwarze getroffen, ne?!" Er schmunzelte dabei, und sein Mangel an Eifersucht missfiel Kaoru irgendwie, obwohl er ja eigentlich mit Ryo mehr als glücklich war und Kyo's Reaktion ihm völlig egal sein sollte. Naja, das würde sich mit der Zeit schon geben. "Also stimmt es?! Erzähl doch mal, wer ist denn der Glückliche? Jemand den wir kennen?" Toshiya war urplötzlich hinter dem Sänger aufgetaucht und sah Kaoru nun neugierig an, stützte sich dabei auf Kyo's Schultern ab und drohte scheinbar jeden Moment nach vorne zu kippen, so weit beugte er sich über den Kleineren. Dieser wirkte nicht gerade begeistert, aber da ihn die Anwort ebenso sehr interessierte wie den Bassisten, hielt er den Mund und sah seinen Ex-Freund abwartend an. Kaoru blickte von Toshiya zu Kyo, von Kyo zu Die – Shinya saß noch immer auf der Couch, hörte aber gespannt zu – und seufzte schließlich. Wenn er heute noch nach Hause wollte, musste er sich jetzt entweder schleunigst eine überzeugende Ausrede einfallen lassen, oder endlich mit den Tatsachen rausrücken. Und wenn er darüber nachdachte... was wäre denn eigentlich so schlimm daran, Kyo und den anderen von Ryo zu erzählen? Früher oder später würden sie ihn ja sowieso zu Gesicht bekommen. Also gab er sich einen Ruck und antwortete "Na gut, unser Sherlock hat mich durchschaut. Ja, ich hab einen neuen Freund, und nein, ihr kennt ihn nicht. Kann ich jetzt gehen?"
 

"Püh, auf welchem Mond lebst du denn bitte?! Jetzt wollen wir doch erst recht wissen, wer er ist! Seit wann seid ihr denn schon zusammen?" Toshiya hatte Blut geleckt, das hatte Kaoru nun davon. Aber um des lieben Friedens Willen gab er erneut nach. "Auf einen detailierten Lebenslauf wirst du wohl verzichten müssen, Totchi, gib dich einfach damit zufrieden, dass er Ryo heißt und dass wir seit einem Monat zusammen sind, okay?" Bei diesen Worten weiteten sich die Augen seiner Bandkollegen, und Kyo sprach mal wieder als erster das aus, was alle dachten. "Woah, seit einem Monat?! Du hast echt nur drei Wochen gebraucht, um über mich hinweg zu kommen?! Ich glaub, ich sollte jetzt ernsthaft beleidigt sein." Und dabei hatte Kaoru schon abgerundet, denn eigentlich war der Kinobesuch mit Ryo bereits fünf statt vier Wochen her... aber seine Kollegen mussten ja nicht alles wissen. Trotzdem hatte der Gitarrist nun das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen, doch während er noch nach den richtigen Worten – die es in einer solchen Stuation eh nicht gab – suchte, grinste Die schon wieder und tippte Kyo gegen die Stirn. "Ach komm, als wärst du seit eurer Trennung ein Kind von Traurigkeit gewesen. Red dem armen Kao mal kein schlechtes Gewissen ein, der kuckt ja schon wie die Maus in der Falle." Da machte sich auf dem Gesicht des Sängers ebenfalls ein Grinsen breit und er zwinkerte dem verdutzten Kaoru zu. "War ja auch bloß Spaß, lass dich doch nicht immer so von mir verarschen. Ich freu mich für dich, ehrlich. Und jetzt hau schon ab, sonst kriegen wir am Ende noch Stress mit deinem Lover." Zum 'Dank' wurde ihm dafür von einem sichtlich erleichterten Kaoru die Frisur zerwuschelt, dann war der Leader mit einem knappen "Wir sehen uns." auch schon zur Tür raus und überließ seine Kollegen ihrem Schicksal. "Ach Mann, Kyo, das hättest du dir aber wirklich verkneifen können! Jetzt muss ich wieder Kao's Zeug wegräumen!" maulte Die eingeschnappt, was den angesprochenen Sänger, der damit beschäftigt war, seine Haare wieder in ihre ursprüngliche Richtung zu schieben, aber herzlich kalt ließ. "Reg dich ab, dafür spendier ich dir heute abend eben dein erstes Bier. Es bleibt doch dabei, dass wir alle einen trinken gehen, auch wenn Kao nicht mitkommt, oder?"
 

****
 

Der Klub war verqualmt, laut und rappelvoll - also genau so, wie die Jungs von Dir en grey (abgesehen von Shinya) es mochten. Und da es sich um einen V.I.P-Klub handelte, mussten sie auch nicht befürchten, von Fans erkannt und bestürmt zu werden. Eigentlich hatten sie zwar in ihren Lieblingsklub gehen wollen, in dem sie immer auf die Vollendung eines Albums oder einer Single anstießen, aber der hatte heute leider schon seine Besucherkapazität erreicht und so waren die vier Musiker auf diesen hier ausgewichen. Zum Glück hatten sie auch ohne Reservierung noch eine freie Sitzecke gefunden, in der es sich nun alle gemütlich machten. "Vier Bier!" wurde kurz darauf der hübschen Bedienung über die Musik hinweg entgegengeschrien, und während Die und Toshiya (und sogar heimlich Shinya) der jungen Frau bei ihrem Rückweg zur Bar auf den wohlgeformten Hintern starrten, sah Kyo sich suchend in der Menge um. Als Toshiya, der seine Augen als erster von dem Gesäß der Kellnerin losreißen konnte, den umherwandernden Blick des Sängers bemerkte, schüttelte er grinsend den Kopf. "Na, wohl wieder auf der Jagd nach Frischfleisch, hm?! Du bist echt unersättlich, Kyo." Sein kleiner Kollege lehnte sich zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und musterte den Bassisten ganz langsam von oben bis unten. "Das sagt der richtige. Du bist doch derjenige von uns, der einen Klub nie alleine verlässt und sich ständig aufregt, dass die meisten Frauen keinen Bock auf einen Dreier haben, nur weil du dich nicht entscheiden kannst, welche von beiden du denn nun abschleppst. Ich bin gegen dich ja noch der reinste Asket." Niemanden wunderte es, dass Toshiya bei dem letzten Kommentar fragend eine Augenbraue hob und leise "As- was?" vor sich hinmurmelte, und während Die bei der Vorstellung eines keuschen Kyo einen Lachanfall bekam, sah eben dieser triumphierend in das noch leicht verwirrte Gesicht des Bassisten. "Denk nicht drüber nach, davon bekommst du nur Kopfschmerzen. Und was deine Frage angeht, da lagst du falsch, ich hab mich nach Gara umgesehen. Der Kerl kommt doch nie aus eigenem Antrieb mal aus seiner Bude raus, deshalb hatte ich ihm gestern gesagt, dass wir heute einen trinken gehen und dass er dazustoßen soll. Und vorhin hab ich ihm noch schnell eine SMS geschrieben, dass wir ausnahmsweise hier sind. So kommt er mal wieder unter Menschen und ich kann trinken, soviel ich will, ohne mir Gedanken darüber machen zu müssen, wie ich wieder nach Hause komme." Als wäre das ihr Stichwort gewesen, erschien genau in diesem Moment die Kellnerin an ihrem Tisch und stellte jedem ein Bier vor die Nase – bei Toshiya ließ sie sich aus ganz unerfindlichen Gründen etwas mehr Zeit und durchbohrte ihn dabei mit einem bedeutungsvollen Blick – dann widmete sie sich wieder anderen durstigen Gästen und die vier Musiker, von denen einer nun ziemlich überheblich grinste, griffen nach ihren Flaschen und stießen an. Das Besäufnis war eröffnet.
 

Eine knappe halbe Stunde später wurde der Klub von einem jungen Mann betreten, der unter normalen Umständen jetzt allein in seiner Wohnung sitzen und gelangweilt den Fernseher anstarren würde. Aber die Umstände waren schon seit zwei Monaten nicht mehr normal, und Gara war eigentlich auch ganz froh darüber. Als Kyo sich bei ihm einquartiert und gemeint hatte, es wäre ja nur vorübergehend, hatte Gara keine Einwände gehabt, schließlich war der Ältere sein Freund und Mentor, von dem er sehr viel gelernt hatte. Kyo's Bemühungen, eine eigene Wohnung zu finden, hielten sich seitdem allerdings ziemlich in Grenzen, und manchmal nervte es Gara auch, wenn er abends nach einem langen, anstrengenden Tag im Studio nach Hause kam, eigentlich nur noch ins Bett wollte und dann einen hellwachen Zwerg auf seiner Couch vorfand, der sich langweilte und unterhalten werden wollte. Einmal hatte er Kyo in einer solchen Situation gefragt, ob er denn nicht langsam mal wieder in einer eigenen Wohnung leben wollte, um ihn mehr oder weniger subtil darauf aufmerksam zu machen, dass das 'vorübergehend' schon längst überschritten war. Doch der Ältere hatte ihn angelächelt und erwidert "Ehrlich gesagt hab ich es mit dem Ausziehen gar nicht so eilig, dafür mag ich es viel zu sehr, dich ständig in meiner Nähe zu wissen. Oder fall ich dir auf den Wecker? Das musst du nur sagen, echt, dann bin ich weg, ich will dir auf gar keinen Fall auf den Keks gehen!" Und er hatte dabei für einen Augenblick so besorgt und verletzlich ausgesehen, dass Gara gar nichts anderes übrig geblieben war, als Kyo zu versichern, dass er ihn auch gern bei sich hatte. Der Ältere erlaubte sich eine solche Offenheit nämlich äußerst selten und dann auch nur gegenüber seiner engsten Vertrauten, dessen war Gara sich bewusst. Und es stimmte ja auch. Gara war nicht gern allein, und vor der Zeit mit Kyo hatte er immer sofort den Fernseher eingeschaltet, wenn er heimgekommen war, weil er die Stille nicht ertrug. Das war seit zwei Monaten nicht mehr nötig, es sei denn, Kyo war selbst noch unterwegs. Und dann ertappte Gara sich manchmal dabei, dass er den anderen Sänger vermisste. Und was er ihm außerdem zugute halten musste: Kyo schleppte aus Anstand und Respekt vor Gara nie seine One-Night-Stands an, sondern vergnügte sich mit ihnen entweder in deren Wohnung oder gleich in dem Klub, in dem er sie aufgegabelt hatte. Das hatte er Gara mal eines Morgens am Frühstückstisch gesagt und dann noch ganz beiläufig erwähnt, dass er in der vergangenen Nacht zum ersten Mal seit acht Jahren mit einem anderen Mann als Kaoru geschlafen hatte.
 

Doch zurück zur Gegenwart, in der Gara noch immer am Rande der Tanzfläche stand und nach Kyo und seinen Bandkollegen Ausschau hielt. Als sein Blick auf die Bar fiel, die auf der gegenüberliegenden Seite stand, beschloss er allerdings, sich erst einmal mit einem kühlen Bier zu versorgen, die anderen konnte er danach immer noch suchen. Und vielleicht lief er dort ja schon einem von ihnen über den Weg. Also setzte Gara sich in Bewegung und schlängelte sich grazil durch die Menschenmenge, wich dabei scheinbar mühelos den tanzenden Leibern aus und hatte sein Ziel schon fast erreicht, als ihm plötzlich eine wunderschöne junge Frau auffiel, seine Konzentration dadurch für einen Moment aussetzte und er auch prompt mit jemandem zusammenstieß. Glücklicherweise war derjenige genau so ein dürres Hemd wie Gara, sonst hätte es den Sänger wohl umgehauen. Höflich wie Gara nun mal war, wollte er sich natürlich bei dem Fremden entschuldigen, also öffnete er den Mund, schloss ihn aber gleich wieder und starrte den anderen überrascht an. Und der starrte zurück. Und blinzelte. Und grinste. "Mensch Makoto, wir haben uns zwar lange nicht mehr gesehen, aber deshalb musst du mich vor lauter Wiedersehensfreude ja nicht gleich über den Haufen rennen!" Bei diesem vertrauten Ton musste nun auch Gara schmunzeln, die wunderschöne junge Frau war im Nu vergessen. "Verzeih, ich konnte mich einfach nicht beherrschen, als ich dein liebliches Gesicht nach so vielen Monaten endlich wiedersah, Bansaku." Der Bassist lachte. "Ja, das glaub ich dir auf's Wort. Und, wie geht's denn so? Bist du allein hier?" Eigentlich hätte Gara jetzt ganz gern mit Bansaku geplaudert, doch im Gegensatz zu dem öfters mal etwas verpeilten Jüngeren entging ihm nicht, dass sie, umringt von mehreren hundert Leuten, mitten auf einer Tanzfläche standen und ihnen laute Musik in den Ohren dröhnte. Keine idealen Voraussetzungen für eine gepflegte Unterhaltung, wie der Sänger von Merry fand. "Mir geht's gut, und ich bin gerade auf der Suche nach meinen Freunden. Aber lass uns später weiterquatschen, hier ist es ein bisschen zu laut und eng, und ich glaube, sie hätte auch was dagegen." Dabei deutete er auf das Mädchen, das – die Hände in die Hüften gestemmt – neben Bansaku stand und ihn ganz dezent mit ihrem Blick erstach. Da fiel dem Bassisten erst auf, dass er ja gerade noch mit der Unbekannten getanzt hatte, und er nickte Gara zu. "Hast Recht, ist gerade etwas ungünstig. Aber komm doch später mal an unseren Tisch, wir sitzen da hinten-" er wies in eine Ecke ganz in der Nähe der Bar, "dann kannst du mir erzählen, wie's mit der Band zur Zeit so läuft und wie's Kuni geht." Der Sänger grinste. "Gewöhn dir doch bitte endlich mal dieses Kuni ab, ich fand den Namen damals schon blöd. Nero passt viel besser zu ihm. Aber ich schau nachher garantiert bei euch vorbei, also bis dann! Und viel Spaß noch!" Dabei nickte er leicht in die Richtung des ungeduldigen Mädchens, zwinkerte Bansaku noch kurz zu und setzte anschließend seinen Weg zur Bar fort. Dort angekommen wollte er sich endlich sein heißersehntes Bier bestellen, doch noch bevor er dazu kam, tippte ihm jemand auf die Schulter.
 

Zur gleichen Zeit zählte Shinya Sekunden. Das war ihm immer noch lieber, als selbst aktiv bei diesem dummen Kampftrinken mitzumachen, das Die und Kyo gerade veranstalteten. Es ging darum, wer von den beiden zwei volle Bierflaschen schneller austrinken konnte, und Shinya sollte laut die Zeit mitzählen, da Die ständig versuchte, seinen eigenen Rekord von sieben Sekunden zu unterbieten. Heute gelang es ihm endlich. "Yeah, sechs Sekunden, ich bin ein buuurrbb~" Das Freudengeschrei des Gitarristen war von einem lauten Rülpsen unterbrochen worden, weshalb Kyo breit grinste (und darüber vergas, dass er verloren hatte) und Shinya missbilligend eine Augenbraue hob. "Ein Schwein." vollendete er den angefangenen Satz und wurde sogleich von Die in die Seite geknufft. "Ach Shin-chan, du bist einfach zu wohlerzogen für diese Welt. Ne, Kyo?! … Kyo?" Der angesprochene Sänger ließ seinen Blick gerade zum wiederholten Male durch den Klub schweifen in der Hoffnung, Gara irgendwo zu entdecken, deshalb war es um seine Aufmerksamkeit nicht besonders gut bestellt, aber ein lautes "KYO!!" aus Die's Mund änderte das ganz schnell. "Mann ey, schrei doch nicht so rum, ich werd noch taub wegen dir, du Depp!" meckerte er und wollte sich schon ganz demonstrativ einen Finger ins Ohr stecken, da flötete es von der Seite plötzlich "Schaut mal, wen ich gefunden habe!" und als er aufsah standen da Toshiya und Gara, jeder mit einer Bierflasche in der Hand. Der große Bassist hatte Gara einen Arm um die Schulter gelegt. "Er stand ganz mutterseelenallein an der Bar und war schon den Tränchen nahe, da dachte ich mir 'Ach scheiß auf die süße Bedienmaus, du musst diesem armen, verlorenen Ding helfen, seine Freunde zu finden und-'"
 

"Boah Totchi, jetzt halt doch mal die Klappe! Ich hab Gara eingeladen, damit er sich mal ein bisschen von seiner eigenen Chaotentruppe erholen kann, und nicht, damit du ihm auch noch mit deinem Gelaber auf den Sack gehen kannst!" Jeder andere hätte Kyo diesen harschen Ton wohl übel genommen, Toshiya war da allerdings unempfindlich, er wusste ja, dass sein Kollege gern den bösen Giftzwerg raushängen ließ und es eigentlich gar nicht so meinte. Deshalb nahm er auch seinen Arm von Gara's Schulter, ergriff dafür allerdings dessen freie Hand und starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. "Oh, das tut mir furchtbar leid, Garalein, verzeihst du mir? Bitte, ich würde es nicht ertragen, wenn du mir jetzt böse wärst! Außerdem würde Kyo mich sonst mindestens zehn, nein, zwanzig Köpfe kürzer machen, und dann wäre ich ja genauso klein wie er!" Bei diesen Worten zog Gara, der sich schon längst an die kleinen schauspielerischen Ausbrüche des Bassisten – und auch an sämtliche Eigenarten der übrigen Mitglieder von Dir en grey - gewöhnt hatte, seine Hand aus Toshiya's Griff und fuhr sich damit nachdenklich übers Kinn. "Naja... hm... okay, überredet. Aber lass in Zukunft das Garalein weg, sonst hetz ich doch noch Kyo auf dich." Toshiya nickte als Antwort eifrig mit dem Kopf und die beiden grinsten sich an, dann setzten sie sich endlich zu den anderen an den Tisch und Die berichtete sofort stolz von seinem neuen Rekord. "Und gegen Kyo hab ich natürlich auch gewonnen, aber der war heute eh nicht so richtig bei der Sache, er hat sich ständig nach dir umgesehen, Gara." Der Sänger von Merry sah zu seinem Mentor und zuckte mit den Schultern. "Sorry, unsere Besprechung hat etwas länger gedauert, wir bringen ja demnächst das neue Album raus. Und gerade hab ich hier noch einen ehemaligen Bandkollegen von mir getroffen, ich verzieh mich deshalb später auch noch mal kurz, um in Ruhe mit ihm zu quatschen." Das weckte Kyo's Interesse. "Kenn ich den Typ?" wollte er wissen, und Gara nickte nach kurzem Zögern. "Also du könntest ihn kennen, vielleicht erinnerst du dich aber auch gar nicht mehr an ihn, wir haben After Effect ja schon vor einer ganzen Weile aufgelöst. Er hat bei uns Bass gespielt und ist jetzt in einer anderen Band, baroque. Und deren Gitarrist Akira war vorher mit unserem Yuu in Shiver. Baroque haben Merry auch immer mal wieder unterstützt und sind sogar mit uns zusammen auf Tour gegangen, wir sind also ziemlich gut miteinander befreundet." Dass er eine wichtige Information ausgelassen hatte, war Gara gar nicht aufgefallen, aber Kyo wies ihn umgehend darauf hin. "Und hat dieser Bassist auch einen Namen?"
 

"Was? Oh, ach so, er heißt Bansaku. Ist eine ziemliche Knalltüte, aber an sich total in Ordnung. Er meinte, er und seine Leute sitzen irgendwo da hinten, auf der anderen Seite der Bar, vielleicht kann man sie ja von hier aus seh-" Plötzlich brach Gara ab und seine Augen verengten sich zu Schlitzen, während er quer durch den Raum spähte und etwas oder jemanden fixierte. Kyo und die anderen versuchten, seinem Blick zu folgen, Gara's erst erstaunter und jetzt nachdenklicher Gesichtsausdruck machte sie neugierig. Was gab es denn dort so Interessantes, dass es ihm die Sprache verschlagen hatte?! "Hast du diesen Bansaku entdeckt?" fragte schließlich Shinya, dem das sinnlose Herumstarren zu dumm wurde, und Gara schüttelte langsam den Kopf. "Nein, Akira..." Das erklärte aber noch nicht wirklich, warum er so erstaunt schien. "Ja und? Macht er gerade einen Handstand, oder warum starrst du ihn so an?" hakte nun auch Die nach, und was Gara dann murmelte, ließ die Jungs von Dir en grey ungläubig beide Augenbrauen heben. "Ist das da neben ihm... Kaoru?" Sofort rutschte Kyo ganz dicht an Gara heran und sah wieder suchend in die Richtung, in die auch der Jüngere blickte. "Eh? Wo? Ich seh keinen, der wie Kao aussieht, außerdem ist der zuhause bei seinem neuen... seinem... warte mal, das dort drüben... das ist ja tatsächlich Kao! Was macht der denn hier, und mit wem redet er da?" Gara informierte ihn darüber, dass der andere, offensichtlich jüngere Mann eben jener Akira von baroque war, und der kleine Kerl, der da mit dem Rücken gegen Kaoru's Schulter lehnte und sich lächelnd mit einem Schwarzhaarigen und einem Mädchen unterhielt, das war deren Sänger Ryo. Der Schwarzhaarige hieß Kei und war baroque's Leadgitarrist, zur Vervollständigung der Band fehlte also nur noch Bansaku. "Die scheinen sich aber gut zu kennen, so wie Kao mit diesem Akira gerade ablacht... und der Knirps beachtet ihn zwar nicht weiter, aber Kao würde garantiert nicht jedem erlauben, sich so einfach an ihn zu lehnen." bemerkte Die und runzelte die Stirn. Inzwischen hatten auch er, Toshiya und Shinya ihren Leader entdeckt, was bei der Entfernung und den vielen Leuten, die sich ständig an ihnen vorbeischoben, gar nicht so leicht gewesen war, und sie alle waren im Moment ziemlich verwirrt. Und dank der nächsten Aktion des 'Knirpses' waren sie wenige Sekunden später nicht mehr verwirrt, dafür aber regelrecht entgeistert, denn vor ihren Augen lehnte der Sänger von baroque sich auf einmal schräg nach hinten, sodass er mit seinem Kopf direkt unter Kaoru's hing, und dieser setzte dem Topf noch den Deckel auf, indem er sich grinsend zu dem Jüngeren hinunterbeugte und-
 

"Waaaahhh, die knutschen ja!! Seht ihr das?! Und wie die rangehen, als wollten sie sich gleich auffressen!! Dann ist das also der neue von Kao!!" Toshiya's Kombinationsvermögen war wirklich bemerkenswert. Sonderlich viel Beachtung schenkte ihm in diesem Moment allerdings niemand, dafür war jeder viel zu sehr damit beschäftigt, sich an den Anblick von Kaoru mit einem anderen Kerl als Kyo zu gewöhnen. Merkwürdigerweise fiel ihnen das aber gar nicht mal so schwer, und Die legte kurz den Kopf schief und sah dann den Kleinsten seiner Bandkollegen nachdenklich an. "Hey Kyo, irgendwie erinnert mich der Typ ein bisschen an dich." Sofort runzelte dieser die Stirn, erwiderte aber nichts sondern starrte einfach weiter hinüber zu seinem Ex-Freund, der offensichtlich gar nicht mehr von diesem Ryo lassen konnte. "Na dann kannst du dir ja bestimmt auch denken, warum Kao mit ihm zusammen ist." kam es da auch schon aus Toshiya's geschwätzigem Mund. Er ahnte ja nicht, wie nahe seine mehr im Spaß geäußerten Worte an die Wahrheit herankamen. Gara spähte kurz zu Kyo, konnte den Ausdruck in dessen Augen aber nicht deuten, und seine Aufmerksamkeit wurde auch gleich wieder auf Kaoru gelenkt, denn Die meinte plötzlich "Schaut mal, ich glaub, die beiden haben noch was vor." Wie er darauf kam musste niemand erfragen, ein Blick hinüber zu Kaoru und den Jungs von baroque genügte. Ryo war inzwischen auf den Schoß seines Freundes geklettert und es sah ganz so aus, als würde er sich gerade an Kaoru's Hemd zu schaffen machen. Akira verdrehte die Augen, als wolle er sagen 'Nicht schon wieder', und rutschte ein Stück von den beiden weg, Kei hingegen lachte, stieß mit seinem Fuß leicht gegen Kaoru's Knie und redete dabei auf die beiden Marathonküsser ein. Gara nahm stark an, dass dabei Worte wie 'nicht allein' und 'Zimmer' fielen, denn im nächsten Moment waren Kaoru und Ryo auch schon aufgestanden und schienen sich von den anderen zu verabschieden. Und während sie sich anschließend ihren Weg aus dem Klub bahnten - ausgesprochen langsam, da Kaoru ganz dicht hinter Ryo lief und dabei an dessen Hals knabberte - winkte Kyo eine Kellnerin heran und bestellte eine neue Runde Bier.

~8~
 

"Als ich diesen Kerl neben Kao sah und du meintest, er heiße Ryo, hätte ich es eigentlich gleich wissen müssen." Das waren Kyo's erste Worte, nachdem er sich schwerfällig auf der Couch in Gara's Wohnzimmer niedergelassen hatte. Während der Heimfahrt hatten sie überhaupt nicht miteinander gesprochen, und auch im Klub war Kyo für seine Verhältnisse ziemlich einsilbig gewesen und hatte kaum Anteil an den Gesprächen der anderen genommen. Es war auch nur bei ein paar wenigen Bieren geblieben. Gara konnte sich schon denken, was diesen plötzlichen Stimmungsumschwung ausgelöst hatte, Shinya vermutlich auch, nur Die und Toshiya hatten ihre Aufmerksamkeit so sehr dem Alkohol und schönen Frauen gewidmet, dass ihnen die Gewitterwolken über dem Kopf ihres wortkargen Freundes entgangen waren. Und genau das schien dieser beabsichtigt zu haben. "Ich nehme mal an, du hast uns allen nicht so viele Drinks spendiert, weil du gerade besonders gute Laune hattest, hm?!" entgegnete Gara, anstatt auf Kyo's Worte einzugehen, machte es sich neben ihm auf der Couch gemütlich und beobachtete dabei, wie der Ältere die Augenbrauen zusammenzog. "Natürlich nicht. Totchi und Die abzufüllen war der einfachste Weg, lästige Fragen und Anspielungen zu vermeiden. Bei Shinya klappt sowas ja leider selten, aber der hätte wohl eh nichts gesagt. Ist besser so, ich kann mit den Dreien einfach nicht über sowas reden…" Gara musterte seinen Freund schweigend und ein kleines Lächeln legte sich auf seine Lippen – nicht, weil er die Situation in irgend einer Weise amüsant fand, sondern weil es ihn jedes Mal auf's neue ehrte, dass Kyo mit seinen Problemen zu ihm kam und so offen zu seinen Gefühlen stand. Er war eben auch nur ein Mensch, mit all seinen Hoffnungen, Ängsten und Enttäuschungen. Er war verletzlich. "Und über was genau kannst du nicht mit ihnen reden?" hakte Gara schließlich nach, als der andere keine Anstalten machte, fortzufahren, auch wenn ihm die Antwort längst klar war. Normalerweise hätte Kyo ihn jetzt mit einem genervten Blick bedacht und gebeten, sich doch nicht dumm zu stellen, heute allerdings war seine Reaktion anders: Er beugte sich langsam und träge nach vorn, stützte seine Ellbogen auf den Knien ab um sein Kinn in beide Hände zu legen, und murmelte, mehr zu sich selbst als zu dem anderen Sänger, "Ich dachte wirklich, es würde mir nichts ausmachen..."
 

"Weißt du, wann ich dich das letzte Mal so niedergeschlagen gesehen hab? Vor knapp zwei Monaten, als du genau hier auf dieser Chouch gesessen und endgültig beschlossen hattest, dich von Kaoru zu trennen." Gara's Stimme war sanft, aber nicht mitleidig. "Ich hatte dir geraten, dir das gut zu überlegen, weil ich eine ungefähre Vorstellung davon habe, wie sehr du ihn geliebt hast. Wie sehr du ihn immer noch liebst. Und weil es dir bestimmt nicht egal sein würde, wenn er irgendwann mal eine neue Beziehung mit jemandem eingeht, auch wenn du das wahrscheinlich steif und fest behaupten würdest. Aber du sagtest, dass es das beste für euch beide ist, dass ihr keine gemeinsame Zukunft habt. Du warst dir sicher. Was du dich jetzt fragen solltest, ist, ob du dich selbst belogen hast." Kyo warf einen kurzen Seitenblick auf Gara und gab ein leises Geräusch von sich, das wie ein Knurren klang. "Ich WAR mir auch sicher! Ich hatte es satt, von Kao wie Luft behandelt zu werden, so konnte es einfach nicht weitergehen!" Damit wiederholte er unbewusst genau das, was er damals vor sieben Wochen zu Gara gesagt hatte. "Ich habe ihn danach auch kaum vermisst, hatte kein schlechtes Gewissen, wenn ich mit anderen schlief, und konnte ganz normal mit ihm umgehen! Es war toll, ich hatte endlich wieder ein interessantes Leben, nicht mehr diesen Trott! Bis vor ein paar Stunden war wirklich alles in Butter!" Als Kyo merkte, dass er gerade dabei war, sich wegen seiner Entscheidung zu rechtfertigen und dabei auch noch in Rage zu reden, atmete er einmal tief durch und sprach dann ganz ruhig weiter. "Also nein, ich denke nicht, dass ich mich selbst belogen habe. Ich habe meine Gefühle für Kao lediglich unterschätzt. Jeder verkalkuliert sich mal, also belehr mich nicht deswegen." Bei diesen Worten und Kyo's schmollendem Gesichtsausdruck musste Gara schmunzeln. "Ich habe nicht versucht, dich zu belehren, ich wollte dich nur zum reden bewegen. Wenn man laut nachdenkt, kommen Einsichten und Ideen meist schneller, als wenn man allein und im Stillen vor sich hinbrütet." Nun war es an Kyo, die Lippen zu einem leichten Grinsen zu verziehen. "Und von welchem Genie hast du diese Weisheit?" fragte er Gara ganz scheinheilig und dieser zwinkerte ihm, ebenfalls grinsend, zu. "Von dir, Sempai."
 

Kyo fühlte sich schon etwas besser. Es half ihm, mit Gara zu sprechen, der Jüngere hatte ein Gespür für ihn und war stets ehrlich mit seiner Meinung. Deswegen war er auch immer, wenn Kaoru's Desinteresse ihn wieder einmal zur Weißglut getrieben hatte, auf Gara's Couch geflüchtet, wie ein Patient zu seinem Psychiater. Der Vergleich gefiel ihm zwar nicht besonders, aber so war es nun mal. Kyo erinnerte sich noch gut daran, wie er am Abend nach Dir en grey's Rückkehr von der letzten Tour erneut hinüber zu Gara's Wohnung getrottet war und seinem ehemaligen Schützling und mittlerweile guten Freund zum wiederholten Male von seiner Enttäuschung und seiner Absicht, Kaoru zu verlassen, berichtet hatte. Mit dem Unterschied, dass er diesmal beschloss, es auch wirklich durchzuziehen, anstatt wieder schwach zu werden und seine Meinung zu ändern, sobald er Kaoru wiedersah. Gara hatte ihm geduldig zugehört und schließlich geraten, noch einmal ganz in Ruhe darüber nachzudenken und dann das zu tun, was er für richtig hielt. Und dann auch dazu zu stehen. Ruhe war Kyo in dieser Nacht leider mehr als genug vergönnt gewesen, Kaoru hatte ihm ja nicht einmal im Bett etwas mehr Aufmerksamkeit geschenkt, und am nächsten Morgen hatte es für Kyo nicht die geringsten Zweifel gegeben. Ihre Beziehung machte keinen Sinn mehr. Und das hatte Kaoru wenig später am Frühstückstisch erfahren. Danach war alles gut gewesen. Bis heute. "Okay, jetzt hab ich also laut darüber nachgedacht und bin zu der Einsicht gekommen, dass ich mich geirrt habe und es mir tatsächlich doch was ausmacht, Kao mit diesem blöden Ryo-Heini zu sehen und mir vorzustellen, was die beiden gerade treiben. Klasse, und was bringt mir das jetzt? Hab ich in der Vergangenheit auch mal einen schlauen Spruch darüber abgelassen, was man in so einer Situation am besten macht?" Er wollte es eigentlich nicht, konnte aber nicht verhindern, dass seine Worte zynisch klangen. Gara's Grinsen verschwand. "Nein, nicht, dass ich mich erinnere. Und nenn Ryo bitte nicht blöd, denn erstens kannst du das nicht beurteilen und zweitens ist er es nicht."
 

"Ja ja, schon gut." murrte Kyo, verschränkte die Arme vor der Brust und drückte sich mit dem Rücken tief in das weiche Couchpolster hinein. "Na jedenfalls hab ich keine Ahnung, was ich jetzt machen soll. Vielleicht gewöhn ich mich ja ganz schnell dran und es macht mir gar nichts mehr aus, aber irgendwie bezweifle ich das… dafür hat mich der Anblick der beiden zu sehr gestört. Ist echt kein schönes Gefühl, das kann ich dir sagen. Und dann auch noch von Die zu hören, dass dieser Typ mir ähnelt! Wo ähnelt der mir denn bitteschön?! Außerdem geht der doch noch in den Kindergarten, Kao hat anscheinend seine pädophile Ader entdeckt! Dieser Ryo wird ihm mit seinem kindischen Gequassel bestimmt ganz schnell auf den Keks gehen, die beiden sind einfach nicht-" Er brach ab als Gara seufzte und ihn tadelnd ansah. Ein langgezogenes "Kyo~" tat sein übriges und der Ältere verdrehte genervt die Augen. "Boah, es macht mich echt wahnsinnig, dass du mit diesem Ryo befreundet bist, jetzt kann ich nicht mal über ihn ablästern!" Er wollte sich schon wieder auf's Schmollen verlegen, aber Gara gab ihm keine Zeit dafür. "Was du machen solltest, ist ganz klar. Versuch dich damit abzufinden. Ich bin mir sicher, dass du das jetzt am allerwenigsten hören wolltest, aber so sieht es nun mal aus. Du hast seit eurer Trennung keinen Anspruch mehr auf Kaoru und schon gar nicht das Recht, eifersüchtig zu sein. Vor allem, da DU dich von IHM getrennt hast. Du hast damals einen Schlußstrich gezogen und danach dein Leben weitergelebt. Kaoru macht genau dasselbe, das musst du respektieren, ob es dir nun gefällt oder nicht. Es wäre auch nicht besonders ratsam, mit ihm darüber zu reden." Zu seiner Überraschung nickte Kyo ganz verständnisvoll. "Stimmt. Ich hatte auch eher an so etwas wie anspringen und die Klamotten vom Leib reißen gedacht…"
 

"Ach Kyo…" Gara seufzte und rieb sich die Stirn. "Und was würde dir das bringen? Vorausgesetzt natürlich, dass Kaoru sich überhaupt darauf einlässt! Denkst du, dass sich etwas ändert, wenn ihr wieder zusammenkommt? Du hast ihn damals verlassen, weil er dir nicht mehr die Beachtung geschenkt hatte, die du von deinem Partner erwartest. Vielleicht wäre das in den ersten Wochen oder Monaten ja anders, aber was sagt dir, dass es letztendlich nicht wieder auf genau das gleiche hinausläuft?" Damit schien er einen Treffer gelandet zu haben, da Kyo seinen Mund, den er bereits geöffnet hatte, um etwas zu erwidern, wieder schloss und stattdessen nachdenklich auf seine Hände starrte. Und dann sagte er etwas, womit Gara absolut nicht gerechnet hatte. "…Ähnelt er mir wirklich?" Ein irritiertes Blinzeln. "Wer, Ryo? … Also vom Charakter her eher nicht, aber äußerlich… schon irgendwie. Das wäre mir aber nicht aufgefallen, wenn Die es nicht gesagt hätte." Sein Gegenüber nickte nachdenklich. "Stimmt, Die hat es gesagt… Er hat gesagt, dass dieser Ryo ihn an mich erinnert. Und weißt du auch noch, was Totchi darauf erwidert hat?" Über diese Frage musste Gara nicht lange nachdenken. "Ja, er sagte… Moment mal, interpretier da bloß nicht zu viel hinein! Ich kann mir kaum vorstellen, dass Kaoru mit jemandem zusammenkommt, nur weil derjenige seinem Ex-Freund ein bisschen ähnlich sieht! So oberflächlich ist er nicht, Ryo bedeutet ihm ganz sicher mehr!" Irgendwie lief das heutige Gespräch nicht ganz so ab, wie der Sänger von Merry es gehofft hatte. "Aber was wäre, wenn du dich da täuschst? Wenn Totchi Recht hatte?" Als Gara den schon an Entschlossenheit grenzenden Ausdruck in Kyo's Augen sah, klingelten bei ihm sofort sämtliche Alarmglocken Sturm und er hob abwehrend die Hände. "Kyo, bitte, tu das nicht! Misch dich nicht in ihre Beziehung ein! Ryo ist ein herzensguter Mensch, er hat es nicht verdient, dass man ihm den Freund ausspannt. Und-"
 

"Hat er es denn verdient, belogen zu werden?!" Für Kyo schien es tatsächlich bereits eine Tatsache zu sein, und Gara wusste genau, was für ein Dickschädel der Ältere sein konnte. Jetzt musste er sich wirklich anstrengen. "Kyo, das WEISST du doch gar nicht! Du vermutest es nur, weil es dir gerade in den Kram passt, aber ich sage dir, es stimmt nicht! Ganz sicher nicht! Du und Ryo, ihr seid einfach… sein Typ, oder was weiß ich, aber es geht doch nicht nur um's Aussehen! Kaoru belügt Ryo nicht!" Sein Gegenüber fixierte ihn sogleich mit einem herausfordernden Blick. "Legst du dafür deine Hand ins Feuer?" Gara schluckte. "Ich…" Er zögerte einen Moment und man konnte ganz flüchtig einen Funken von Zweifel in seinen Augen sehen, doch verschwand dieser so schnell, wie er gekommen war. "Kyo, überleg doch bitte mal. Wenn Kaoru wirklich noch so sehr an dir hängen würde, dann hätte er dich das doch in irgend einer Form spüren lassen. Er hätte versucht, mit dir zu flirten und dich zu überreden, zu ihm zurückzukommen. Hat er das denn getan? Wahrscheinlich nicht, ich denke, das hättest du mir erzählt." Leider war vernünftiges Argumentieren bei Kyo gar nicht so einfach. "Ich muss wohl damals sehr überzeugend gewesen sein, er hat sich bestimmt einfach keine Chancen mehr bei mir ausgerechnet und aufgegeben, bevor er sich mit seinen Annäherungsversuchen blamiert." Der Jüngere verspürte das Bedürfnis, seinen Kopf gegen eine Wand zu rammen. "Genau, und deshalb ist er losgezogen und hat sich eine Art Doppelgänger von dir gesucht, der ihm als Ersatz dient, weil er dich nicht mehr haben kann. Würde an seiner Stelle jeder andere ja auch machen! … Merkst du eigentlich, wie absurd das ist?!" Der entschlossene Blick des Älteren veränderte sich leider immer noch nicht, trotzdem unternahm Gara einen letzten Versuch, zu dem vernünftigen Teil in Kyo's Schädel durchzudringen, auch wenn er sich nicht mehr viele Chancen ausrechnete. "Kyo, mach dir doch erst einmal klar, was genau du für Kaoru empfindest und warum du jetzt so plötzlich ganz heiß darauf bist, ihn wiederzubekommen! Ist es aus Liebe? Aus verletztem Stolz? Oder aus-" Gara redete immer weiter auf Kyo ein, allerdings bekam dieser nicht mehr allzu viel davon mit. Er musste nachdenken.
 

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Ein warmes, weiches Gefühl auf der Haut weckte ihn und er schlug langsam die Augen auf. Das Gesicht seines Gegenübers, nur wenige Millimeter von seinem eigenen entfernt, war vollkommen unbewegt und friedlich, die Augen geschlossen, die Atmung gleichmäßig. Kaoru schmunzelte, überlegte kurz und entschied sich schließlich für die Wange. Ein sanfter Kuss, und schon hatte er die Augen wieder geschlossen. Wenige Sekunden später berührte etwas ganz sacht seine Nasenspitze, war aber gleich darauf auch schon wieder verschwunden, und als er erneut die Augen öffnete, begrüßte ihn der gleiche Anblick wie zuvor. Naja, nicht genau der gleiche Anblick, diesmal waren die Lippen etwas fester aufeinander gepresst. Kaoru suchte sich - nachdem er es geschafft hatte, das breite Grinsen von seinen Lippen zu verbannen - ein neues Ziel aus, hob den Kopf ein wenig vom Kissen ab, damit seine Bewegung kein Geräusch verursachte, und küsste den anderen zärtlich auf die Stirn. Dann bettete er seinen Kopf vorsichtig zurück auf das Kissen und stellte sich wieder schlafend. Der Gitarrist glaubte, ein ganz leises Kichern zu hören, und im nächsten Moment spürte er zum dritten Mal etwas weiches, nun auf seinen Lippen. Und diesmal verschwand das Gefühl nicht mehr, sondern wurde von Sekunde zu Sekunde immer intensiver, süßer, einladender. Eine Einladung, die er nur allzu gerne annahm. Ihr Kuss dauerte dementsprechend auch ziemlich lange, und als sie sich endlich voneinander lösten und gleichzeitig die Augen aufschlugen, strahlte Ryo mit der Sonne um die Wette und gewann mit Leichtigkeit. "Guten Morgen." Kaoru lächelte. "Morgen." Damit schlang er seine Arme um den Jüngeren und zog ihn noch näher zu sich, was Ryo mit einem wohligen Seufzen quittierte, ehe er sich ganz dicht an Kaoru kuschelte. Keiner von beiden hatte es eilig, ihre geliebte Zufluchtsstätte aus Decken und Kissen zu verlassen, um dem neuen Tag zu begegnen, dafür war die Zeit, die sie gemeinsam verbringen konnten, viel zu kostbar. "Ich hasse den Juli jetzt schon..." murmelte es plötzlich in die Stille hinein und Kaoru strich Ryo sanft über den Rücken. "Ach komm, übertreib mal nicht, es sind doch nur zwei Wochen. Das kann man ja schon fast gar nicht als Tour bezeichnen."
 

"Mach drei daraus, bei all den Vorbereitungen und den beiden Fanklub-Konzerten, die auf euch zukommen. Und dann auch noch die beiden letzten Auftritte hier in Tokyo..." Der kleine Sänger seufzte. "Außerdem könnte ich unseren Manager immer noch dafür erschlagen, dass er die Aufnahmezeit für unsere neue Single auf die ersten zwei Juliwochen gelegt hat. Das hat der mit Absicht gemacht, ganz sicher." Ryo klang wie ein beleidigtes Kind und gegen seinen Willen musste Kaoru lachen. "Hey, ich find das überhaupt nicht witzig!" entrüstete sich das schmollende Knäul in seinen Armen sofort und piekste ihn in den Bauch, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. Der Erfolg blieb allerdings aus, Kaoru kicherte noch immer. "Hmpf. Ja ja, lach du nur, aber ich seh's schon kommen, dass du irgendwann ganz allein im Tourbus hockst und dir vor Sehnsucht nach mir die Augen aus dem Kopf heulst. Und ich werde am 24. eine riesige Party schmeißen und dich nicht eine einzige Sekunde vermissen, so!" Einen Moment lang schwiegen sie beide, dann spürte Ryo plötzlich eine Hand an seinem Kinn und blickte Sekunden später in Kaoru's ernstes Gesicht. "Ryo, es tut mir leid. Ich wäre an deinem Geburtstag wirklich viel lieber hier bei dir als auf Tour, aber es geht nun mal nicht anders, das weißt du doch." Der Jüngere starrte Kaoru zuerst nur wortlos an, nickte aber schließlich und schmiegte sich wieder eng an ihn. Er schämte sich bereits für sein kindisches Verhalten. "Ja, ich weiß... Sorry, dass ich schon wieder damit angefangen hab." Eine kurze Pause, dann- "Aber du rufst mich an, ja?" Ryo's Stimme klang mit einem Mal so unsicher und schon fast bittend, dass Kaoru ganz warm ums Herz wurde, und in diesem Moment hätte er den kleinen Kerl am liebsten nie wieder losgelassen. Wenn es etwas auf der Welt gab, das er nicht ertrug, dann war es, Ryo traurig zu sehen. Aber zum Glück wusste er, was in solchen Situationen immer funktionierte, also brachte er den Sänger dazu, ihn wieder anzusehen, und hielt sich nicht erst mit langen Reden auf sondern versiegelte Ryo's leicht geöffneten Mund mit seinem eigenen.
 

Es war ein Kuss voller Gefühl, voller Sehnsucht, voller Versprechungen, und als sie sich voneinander trennten, zierte Ryo's Gesicht bereits wieder ein wunderschönes Lächeln. Kaoru erwiderte es, lehnte seine Stirn an die des Jüngeren und flüsterte "Natürlich werde ich dich anrufen. Und zwar noch vor Mitternacht, damit ich auch garantiert der erste bin, der dir gratuliert." Zur Belohnung kam er erneut in den Genuss dieser unglaublich weichen Lippen, nach denen er schon längst süchtig war, doch gerade, als er den Kuss vertiefen wollte, klingelte Ryo's Handy auf dem Nachttisch neben dem Bett. Wäre ja auch zu schön gewesen... Mit einem Murren registrierte Kaoru, dass der Besitzer des verhassten Ruhestörers doch tatsächlich Anstalten machte, sich von ihm zu lösen, und umklammerte ihn daher nur noch fester. Einen Augenblick schien es auch, als würde Ryo nachgeben und das Klingeln ignorieren, doch zu Kaoru's Überraschung siegte an diesem Morgen zur Abwechslung mal die Vernunft in dem kleinen Sänger und er beendete den Kuss. "Ich geh lieber mal ran, könnte unser Manager sein." Damit drehte er sich aus der Umarmung seines Freundes, griff nach dem Handy und versuchte anschließend qualvolle fünf Minuten lang verzweifelt, mit baroque's Manager zu telefonieren, dabei möglichst sachlich und beherrscht zu klingen und seinem Gesprächspartner unter keinen Umständen durch vereinzelte Seufzer oder ähnliche Geräusche zu verraten, was gerade mit ihm angestellt wurde. Denn Kaoru's Hand war auf Wanderschaft gegangen. Schließlich verabschiedete Ryo sich hastig von seinem Manager, pfefferte das Handy in die nächstbeste Ecke des Zimmers und gab keine Sekunde später ein ersticktes Stöhnen von sich. Sein Freund kniete mittlerweile über ihm, ein fast schon diabolisches Grinsen auf den Lippen, und kaum bekam Ryo wieder genügend Luft, rief er "Verdammt, Kao, das war gemein!", erhielt aber neben einem gleichgültigen Schulterzucken nur "Mir war langweilig." als Antwort. Und das waren vorerst die letzten sinnvoll zusammenhängenden Sätze, die in Kaoru's Schlafzimmer gesprochen wurden.
 

Eine Stunde später lagen die beiden, nun um einiges erschöpfter, noch immer im Bett – Ryo streichelte verträumt über Kaoru's Arm und Bauch, und der Gitarrist starrte gedankenverloren an die Zimmerdecke. Ihm war erst vor wenigen Minuten bewusst geworden, dass Ryo ihn vorhin zum allerersten Mal Kao genannt hatte, und er wusste nicht so recht, was er davon hielt. Freute er sich? Ärgerte es ihn? Der Wirrwarr in seinem Kopf machte keinen Sinn, und so beschloss er nach einer Weile, einfach nicht mehr darüber nachzudenken. Jedenfalls nicht jetzt, denn da ihn die Sache an Kyo erinnert hatte, war ihm gerade auch noch etwas anderes eingefallen. "Ryo?" Der Angesprochene ließ seinen Kopf auf Kaoru's Brust liegen und machte lediglich durch ein leises "Hm~" deutlich, dass er zuhörte, zu mehr konnte er sich nicht aufraffen. "Ich... hab's den anderen von Dir en grey gesagt. Also, dass wir zusammen sind." Diese Worte hauchten dem ausgepowerten Sänger allerdings im Nu neues Leben ein und er blickte mit großen Augen hinauf in Kaoru's lächelndes Gesicht. "Echt jetzt?" Der Gitarrist nickte. "Echt jetzt. Es hat sich gestern einfach so ergeben. Ich hab auch keine Volksrede gehalten, aber sie wissen jetzt immerhin, dass es dich gibt. Zufrieden?" Das Strahlen in Ryo's Gesicht war ein ziemlich eindeutiger Vorbote auf die Antwort, die Kaoru gleich darauf in Form von einem glücklichen "Ja!!" und unzähligen stürmischen Küssen bekam. Der Jüngere ahnte nichts von Kaoru's Beziehung zu Kyo, er hatte vor ein paar Wochen nur gefragt, ob seine Bandkollegen wussten, dass ihr Leader schwul war. Und ob Kaoru vorhatte, ihnen von Ryo zu erzählen. Der Gitarrist hatte darauf geantwortet, dass die Jungs über seine Orientierung Bescheid wüssten, er wolle mit der Neuigkeit aber lieber noch ein wenig warten, da seine letzte Beziehung erst vor kurzem in die Brüche gegangen war und seine Kollegen nicht den Eindruck bekommen sollten, Kaoru sei verlogen und gefühlskalt. Wer sein Ex-Freund war, hatte er damals allerdings nicht gesagt. Und Ryo hatte nicht gefragt.

~9~
 

16.07.2004
 

"Ryo? ... Ryo??" Suchend sah Kaoru sich im Inneren des menschenleeren Tourbusses um. Er war doch nur kurz draußen gewesen, um seinen Koffer zu verstauen... "Ryo!!" Da bewegte sich plötzlich der Vorhang seiner Schlafkoje, neben der er gerade stand, und im nächsten Moment schnellte eine Hand daraus hervor und packte den überrumpelten Gitarristen am Kragen seines Shirts. Der Hand folgte ein Kopf mitsamt Oberkörper und Ryo zwinkerte ihm zu. "Siehst du?! Du bist nur eine Minute ohne mich, und schon hast du eine halbe Panikattacke. Du solltest mich echt mitnehmen, in der Koje wäre noch genug Platz für mich." Bei diesen Worten und Ryo's spitzbübischem Grinsen musste Kaoru schmunzeln, seufzte allerdings innerlich, da ihm sehr wohl bewusst war, dass sein Freund das nur zum Teil im Spaß sagte. Der andere Teil in ihm brannte darauf, Kaoru auf seiner Tour zu begleiten, und ihm selbst ging es da ähnlich. Er wusste, dass er Ryo auch sehr vermissen würde, aber was konnte er schon tun? Ihn mitzunehmen war unmöglich, sie hatten schließlich beide ihre Verpflichtungen, und außerdem waren da ja auch noch seine Bandkollegen. Besonders Kyo... Kopfschüttelnd streichelte Kaoru dem Jüngeren über die Wange und dessen Grinsen verschwand. Resigniert blickte er zu Boden. "Ja, schon klar... Aber du wirst mir echt total fehlen, auch wenn es nur zwei Wochen sind." Ryo schwieg einen Moment, zögerte noch, dann sah er wieder auf und versuchte sich an einem Lächeln, in seinen Augen spiegelte sich aber gleichzeitig auch Verwirrung und Unsicherheit wider. "Ich weiß, dass ich ziemlich anhänglich bin, aber bei dir kann ich irgendwie nicht anders. Keine Ahnung, warum, aber du... ich..." Er fand offenbar nicht die richtigen Worte, oder traute sich einfach nur nicht, sie auszusprechen, und Kaoru war sich auch nicht sicher, ob er sie überhaupt hören wollte. Denn wenn Ryo ihm hier und jetzt seine Liebe gestehen oder etwas ähnliches sagen würde, wüsste der Gitarrist nicht, was er darauf erwidern sollte.
 

Seine Rettung kam in Form einer fellüberzogenen, schwanzwedelnden Fußhupe, Kaoru besser bekannt als Miyu, die auf einmal unter lautem Kläffen die Stufen des Busses erklomm und dann in einem mörderischen Tempo auf ihn zuflitzte. Doch als sie den fremden Eindringling, der halb aus Kaoru's Koje hing, bemerkte, änderte sie spontan ihre Absicht, dem Gitarristen zur Begrüßung ans Bein zu pinkeln, und bellte stattdessen lieber Ryo an. Der Sänger fühlte sich allerdings nicht wirklich von diesem winzigen Geschöpf bedroht, es amüsierte ihn eher, weshalb er auch endlich aus seinem Versteck krabbelte, sich hinhockte und eine Hand ausstreckte. Sofort stellte Miyu ihr Gejaule ein, trippelte ein paar Schritte näher und schnüffelte an der Hand, die ihr da so furchtlos (und ziemlich leichtsinnig) dargeboten wurde, und wenige Sekunden später fing Ryo leise zu kichern an, weil die glatte Zunge des Hundes seine Haut kitzelte. "Respekt, du scheinst in Ordnung zu sein. Miyu mag nämlich nicht jeden." Als Ryo und Kaoru bei diesen Worten die Köpfe hoben, sahen sie Shinya auf der obersten Treppenstufe stehen. Der zierliche Drummer lächelte sanft. "Hi, ich heiße Shinya." Er nickte Ryo zu, der sich erhob und ebenfalls vorstellte, dann endlich grüßte er auch seinen Bandleader, stellte dabei eine Tasche mit Kleinkram auf der Bank ihrer Sitzecke ab und pfiff anschließend nach seinem Hund, der auch sofort gehorsam zu seinem Herrchen lief. "Wir drehen noch eine kleine Runde, also bis gleich. Mach's gut, Ryo." Und schon war der - für seine Verhältnisse heute ziemlich gesprächige - Drummer mitsamt Anhang wieder verschwunden. Ryo drehte sich zu Kaoru um und hob fragend eine Augenbraue, doch der Gitarrist winkte ab und erklärte ihm schmunzelnd, dass Shinya niemand war, der Leuten gleich euphorisch um den Hals fiel oder sie zutextete. Das war eher Toshiya's Art. "Apropos..." murmelte Kaoru und wurde plötzlich nachdenklich, "Die anderen werden auch gleich kommen. Wir haben nicht mehr viel Zeit..."
 

Sie starrten einander wortlos an, es herrschte auf einmal absolute Stille, doch je länger Kaoru in Ryo's warme, tiefbraune Augen sah und das Gefühl bekam, in ihnen zu versinken, desto mehr begann die Luft um ihn herum zu knistern, und leise Stimmen flüsterten ihm etwas zu, das er nicht verstand. Verwirrung machte sich in ihm breit, eine plötzliche, unerklärliche Furcht ergriff sein Herz und er fühlte sich mit einem Mal ganz schwach und elend – doch im nächsten Augenblick schlangen sich zwei Arme um seinen Körper und hielten ihn fest, weiche Lippen legten sich auf seine eigenen, eine grenzenlose Wärme umgab ihn und verjagte die Angst und dieses merkwürdige andere Gefühl, das ständig an ihm nagte, was auch immer es war. Zurück blieb nur Geborgenheit. Und aus dieser Geborgenheit, schöner als alles, was er je zuvor empfunden hatte, wurde schließlich Verlangen, weshalb die beiden, eng umschlungen, ihren Kuss immer mehr vertieften und dabei ihre Körper von Sekunde zu Sekunde stärker aneinander pressten. In diesem Moment wollte Kaoru nie wieder ohne Ryo sein, doch- "Also ich störe euch ja wirklich nur äußerst ungern," meldete sich wie aus dem Nichts eine neue Stimme zu Wort und die beiden lösten sich überrascht voneinander und erblickten Kyo, der am Rand der Sitzecke saß und seinen Kopf mit einem Arm auf dem Tisch abstützte, "aber das hättet ihr lieber heute früh im Bett machen sollen, als hier und so kurz vor unserer Abfahrt." Wie man an seinem Grinsen ablesen konnte, amüsierte ihn die Situation sichtlich, Kaoru dagegen – noch etwas benommen von der unerwarteten Gefühlsachterbahn, die er gerade erlebt hatte - fand sie nicht ganz so witzig wie sein Ex-Freund. Instinktiv ergriff er Ryo's Hand, bemühte sich aber trotz allem, gelassen zu wirken, und grinste ebenfalls. "Mensch Kyo, warum musst du ausgerechnet heute mal pünktlich sein, hm?" Der Angesprochene, der gerade einen Zug von seiner Zigarette nahm, antwortet nicht sondern zuckte lediglich mit den Schultern, wobei sich sein belustigter Gesichtsausdruck kein bisschen veränderte. Wieder seufzte Kaoru innerlich. "Wie du dir sicher denken kannst, ist das hier Ryo, ich hab euch ja von ihm erzählt." Bei der Nennung seines Namens lächelte Ryo den anderen Sänger an, der es ihm gleichtat und seine freie Hand zu einem angedeuteten Winken erhob. "Freut mich." Dann wandte Kyo sich wieder an Kaoru und schmunzelte. "Aber 'erzählt' ist dann doch etwas übertrieben, Kao, du hast uns bisher nur verraten, wie er heißt." Der Gitarrist wollte darauf gerade etwas erwidern, als plötzlich der Chef der Roadies auf der Bildfläche erschien und ihm das Wort abschnitt. "Guten Morgen Kaoru, hallo Kyo." Etwas verwundert blinzelte er den Unbekannten neben Kaoru an, grüßte dann aber auch ihn lächelnd und meinte anschließend "Kaoru, komm mal bitte mit, ich muss was dringendes mit dir besprechen."
 

"Okay, ich komme." brummte der Gitarrist, dem es natürlich überhaupt nicht recht war, dass Ryo gleich ausgerechnet mit Kyo allein sein würde, aber als Leader musste er sich jetzt auf seine Arbeit konzentrieren, und einen der beiden aus dem Bus schmeißen konnte er ja schlecht. Also drückte er Ryo einen flüchtigen Kuss auf den Mund, wobei er "Bin gleich wieder da." murmelte, warf Kyo noch einen warnenden Blick zu und eilte dann dem Roadie hinterher. Ryo sah ihm gedankenverloren nach und merkte erst, dass Kyo sich erhoben hatte, als dieser auf einmal direkt vor ihm stand und ihn völlig ungeniert und neugierig von oben bis unten musterte. Etwas unsicher blickte Ryo ihn an und fragte "Was ist?", woraufhin Kyo ihm wieder ins Gesicht sah, es kurz studierte und dann erneut breit grinste. "Schicke Piercings." Zuerst schaute Ryo bei diesen unerwarteten Worten ziemlich verdutzt aus der Wäsche, doch dann lächelte er erleichtert. "Danke. Sieht so aus, als hättest du auch mal welche gehabt." Dabei deutete er auf Kyo's Unterlippe und entdeckte dann auch die Löcher in dessen Nase und Augenbraue. Der Ältere nickte. "Ja, aber nach ein paar Jahren waren sie mir zu nervig. Ich hab sie auch nicht gut vertragen, sie haben sich dauernd entzündet. So, und du bist also auch Sänger, hm?!" wechselte er ganz unvermittelt das Thema und sah zu wie sein Gegenüber erst nickte und gleich darauf irritiert die Augenbrauen zusammenzog. "Moment mal, hattest du vorhin nicht gesagt, Kaoru hätte euch nur meinen Namen verraten?" Gara hatte also nicht gelogen, der Kleine war anscheinend wirklich gar nicht mal so dumm, wie Kyo etwas unzufrieden feststellte, sich aber nicht anmerken ließ. "Ja, hat er auch, aber wir haben euch kurz darauf zufällig zusammen gesehen, und Gara hat mir erzählt, dass du zu baroque gehörst." Ryo, der sich düster daran erinnerte, dass Gara mal erwähnte hatte, mit dem Sänger von Dir en grey befreundet zu sein, kam bei dieser Erklärung zu dem Schluss, dass Tokyo auch nur ein Dorf war, und lächelte wieder. "Oh, ach so." Dann schwiegen beide einen Moment und stellten dabei fest, wie ungewohnt es war, mit ihrem Gesprächspartner auf Augenhöhe zu sein, anstatt ständig nach oben schauen zu müssen. Bei Frauen kam das ja noch relativ häufig vor, aber bei anderen Männern... eher nicht.
 

"Juhuu, jemand zu Hause??" dröhnte es da plötzlich durch den Bus, gefolgt von einem vierfüßigen Poltern, und schon sah Ryo sich mit zwei weiteren Mitgliedern Dir en grey's konfrontiert, bei denen er nun definitiv wieder sehr weit nach oben schauen musste. "Oha, sieh mal an!" rief Die, als er Ryo neben Kyo stehen sah, und drehte sich grinsend zu Toshiya um, "Kaoru stellt uns also endlich seinen Neuen vor!" Der Bassist hinter ihm strahlte, als hätte er sich zu lange in einem Kernkraftwerk herumgetrieben. "Aaahh, hi Ryo! Schön, dich mal kennen zu lernen! Ich bin Toshiya! Und der Schreihals hier heißt Die!" Und schon marschierte er zielstrebig auf den Sänger zu und hielt ihm eine Hand hin, die Ryo sofort lächelnd ergriff. "Freut mich auch, vorstellen muss ich mich ja anscheinend nicht erst großartig." Die tauchte hinter Toshiya auf und schüttelte, immer noch grinsend, den Kopf. "Nee, musst du nicht, wir haben dich schon mal mit Kao gesehen." Dann musterte er Ryo etwas intensiver, ähnlich, wie Kyo es kurz zuvor getan hatte, und sein Grinsen wurde zu einem Schmunzeln, das sein Gegenüber nicht ganz deuten konnte. "Hmm, kein Wunder, dass er so auf dich abfährt." Dabei zwinkerte er Ryo zu und dessen Augen weiteten sich schlagartig. Hatte Die ihn etwa gerade angemacht? Er konnte ja nicht ahnen, dass die Worte des Gitarristen in Wirklichkeit eine Anspielung auf seine Ähnlichkeit zu Kyo waren. Unschlüssig darüber, was er darauf erwidern sollte, kratzte Ryo sich zunächst nur etwas verlegen am Kopf, doch gerade als ihm eine Idee gekommen war, wie er das Thema ändern konnte, tauchten Shinya und Miyu wieder auf und lenkten die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich. Und wenig später stieß auch Kaoru wieder zu ihnen, der allerdings ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter zog. "Na Kaolein, ich kann mir schon denken, warum du so bedröppelt schaust." meinte Die, knuffte den anderen Gitarristen in die Seite und sah dann hinüber zu Ryo. Kaoru folgte seinem Blick und seufzte, diesmal laut. "Ich fürchte, wir müssen jetzt los."
 

Natürlich kam das für seinen Freund alles andere als überraschend, aber er ließ dennoch betrübt die Schultern hängen, während er Kaoru hinterher zur Bustür schlurfte. An der Treppe angekommen drehte er sich noch einmal zu den anderen um und zwang sich zu einem Lächeln. "Macht's gut, ich wünsch euch eine erfolgreiche Tour." Die vier Musiker bedankten sich, ebenfalls lächelnd, bei Ryo, dann verließ der Sänger den Bus und trat zu Kaoru, der an der Außenwand lehnte, ins Leere starrte und rauchte. Ryo stellte sich neben ihn und bekam im nächsten Moment Kaoru's Zigarette angeboten, die er wortlos annahm. Schweigend blieben sie so nebeneinander stehen und ließen den Glimmstengel hin- und her wandern, bis er schließlich gnadenlos unter Ryo's Fuß zertreten wurde. Dann endlich drehte Kaoru sich zu seinem Freund um und nahm ihn in die Arme. "Stürz dich am besten in die Arbeit, dann vergeht die Zeit schneller. Du wirst sehen, die zwei Wochen sind im Nu rum. Und grüß unsere kleinen Kicker von mir, ja?!" Ryo, der seinen Kopf in der Halsbeuge des Gitarristen vergraben hatte, nickte und sah ein paar Sekunden später hinauf in Kaoru's Gesicht. "Und du-" Weiter kam er nicht, hatte aber auch nicht wirklich etwas dagegen, durch einen Kuss zum Schweigen gebracht worden zu sein, krallte seine Hände in Kaoru's Shirt und betete im Stillen, dass dieser umwerfende Typ ganz schnell wieder bei ihm sein würde. Unwillig lösten sie sich schließlich wieder voneinander und Kaoru lehnte seine Stirn gegen Ryo's. "Ja, keine Sorge, ich ruf dich an. Versprochen." Er lächelte dabei, seine Gedanken waren allerdings ganz woanders, nämlich bei seinem Ex-Freund, und er suchte in Ryo's Augen nach Anzeichen dafür, dass Kyo ihm vielleicht von ihrer Beziehung erzählt oder Kaoru sonstwie schlecht gemacht hatte. Doch da war nichts. Keine Wut, keine Enttäuschung, kein Argwohn oder sonst etwas in der Art. Nur Liebe. Und Vertrauen.
 

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22.07.2004
 

Sommer und Touren vertragen sich nicht, wie Kaoru zum x-ten Mal gequält feststellte, während er sich den Schweiß von der Stirn wischte und anschließend einen großen Schluck von seinem bereits lauwarmen Wasser nahm. Angewidert verzog er das Gesicht, schluckte es aber dennoch tapfer hinunter. Wie ironisch, dass sie diese Tour ausgerechnet 'Keen under the sun' genannt hatten, denn eben diese Sonne verwandelte ihren Bus (dank defekter Klimaanlage) Tag für Tag in eine verdammte Sauna. Es war wirklich ein Wunder, dass Miyu noch nicht eingegangen war, die arme kleine Hundedame kam aus dem Hecheln gar nicht mehr heraus, und ihren Begleitern ging es da nicht viel anders. Von denen hatten drei - Toshiya, Shinya und Die – beschlossen, der Hitze tagsüber durch langes Schlafen zu entgehen und dafür in den kühleren Nächten länger auf zu bleiben, weshalb sie auch jetzt wieder in ihren Kojen lagen und das übliche Schnarchkonzert ertönen ließen. Nur Miyu, Kaoru und ihr Busfahrer waren noch wach, und natürlich Kyo, dem es im Moment von allen am besten ging, da er gerade schön kalt duschte. Kaoru hatte zwar genau zur selben Zeit gehen wollen, doch als Kyo plötzlich mit einem Handtuch und vorgeschobener Unterlippe bewaffnet vor ihm gestanden hatte, hatte er ziemlich schnell nachgegeben und dem Sänger den Vortritt gelassen. Der Blick, den Kyo ihm daraufhin zugeworfen hatte, ging Kaoru nun nicht mehr aus dem Kopf, genau wie vieles andere, was den Sänger betraf.
 

Angefangen hatte es damit, dass Kyo Kaoru gleich bei ihrem ersten Auftritt im FLEEZ in Takasaki in einen ziemlich heißen Fanservice verwickelt hatte, der überhaupt nicht abgesprochen war. Der Gitarrist war natürlich trotz seiner Überraschung darauf eingegangen, aber nach dem Konzert hatte er Kyo sofort gefragt, was er sich dabei gedacht hatte. "Ich weiß auch nicht so recht, Kao... Ich hab dich da stehen und dein Solo spielen sehen, und du sahst so scharf aus, da konnte ich einfach nicht anders." war Kyo's fast schon geschnurrte Antwort gewesen, gespickt mit einem eindringlichen Blick und einem Schmunzeln. Im ersten Moment war Kaoru so verwirrt gewesen, dass er nichts hatte sagen können, und als er endlich seine Stimme wieder gefunden hatte, war seine Bitte nicht etwa gewesen, die Sache mit dem Fanservice sein zu lassen, sondern lediglich, ihm beim nächsten Mal rechtzeitig vorher Bescheid zu geben. Dafür könnte er sich jetzt noch schlagen, denn Kyo hatte es sich von da an bei keinem ihrer Auftritte nehmen lassen, mindestens zweimal mit ziemlich anzüglichem Benehmen an dem Gitarristen zu kleben. Aber das war noch nichts, weswegen Kaoru sich ernsthaft den Kopf zerbrechen würde, schließlich hatten Dir en grey früher auch sehr viel Fanservice gemacht.
 

Was ihn aber durchaus beschäftigte war Kyo, wenn er nicht gerade auf einer Bühne stand. Sein Ex-Freund schien in der Zeit unmittelbar vor ihrer Abreise nicht viel Sex abbkommen zu haben, oder er hatte plötzlich seine verschmuste, anhängliche Ader entdeckt oder sonst was, auf jeden Fall suchte er auffallend oft Kaoru's Nähe, gab in dessen Gegenwart öfters mal zweideutige Bemerkungen von sich, teilte bereitwillig sein Bier und seine Zigaretten mit ihm, saß fast immer neben dem Gitarristen oder verirrte sich, wenn er mal etwas zu viel getrunken hatte, sogar auf dessen Schoß. Und sein Verhalten ging auch nicht ganz spurlos an Kaoru vorbei. Gegipfelt hatte es gestern darin, dass alle fünf Musiker sich am Vormittag auf dem Dach der Orga Hall in Okayama gesonnt hatten, und Kyo Kaoru angeboten hatte, ihm den Rücken mit Sonnencreme einzureiben. Mit diesem Vorschlag hatte der Ältere ja noch kein Problem gehabt, sehr wohl aber damit, dass sein Ex-Freund aus dem Eincremen dann kurzerhand eine ausgiebige und ziemlich sinnliche Massage gemacht hatte, weswegen Kaoru anschließend lieber erst einmal eine Weile auf dem Bauch liegen geblieben war und Toshiya gebeten hatte, Kyo an seiner Stelle nun den Rücken einzuschmieren. Das wissende Grinsen seiner Bandkollegen, allen voran natürlich Kyo's, hatte ihm doch glatt die Schamesröte ins Gesicht getrieben, und selbst jetzt, als er daran zurückdachte, wurde er noch leicht rot um die Nase. Kyo's Berührungen ließen Kaoru offensichtlich noch immer nicht kalt. Aber nach einer achtjährigen Beziehung hätte ihn das eigentlich auch sehr gewundert.
 

Da Kyo nun bereits seit einer ganzen Weile duschte, nahm Kaoru an, dass es nicht mehr lange dauern würde, immerhin war ihr Wasservorrat begrenzt, also ging er zum Schrank gegenüber der Badkabine und suchte sich schon mal ein Handtuch heraus. Und ganz so, als hätte Kyo seine Gedanken gelesen, öffnete der Sänger keine zwei Sekunden später die Badtür und trat zu ihm in den Gang. In den sehr schmalen Gang. Kaoru drehte sich zu seinem Ex-Freund um und musste unwillkürlich schlucken, denn sie standen so nah voreinander, dass der Gitarrist das vertraute Shampoo in Kyo's Haaren riechen und die angenehme Kälte, die nach der Dusche von seiner Haut ausging, spüren konnte. Und die Tatsache, dass der Jüngere lediglich ein Handtuch um seine schmalen Hüften trug, machte das Ganze auch nicht besser. "Kao? ... Kao!" drang es da auf einmal an sein Ohr und er blinzelte, als wäre er gerade aus einem Traum erwacht. "Ja? Was ist?" Kyo sah schmunzelnd durch die tropfenden Strähnen vor seinen Augen hindurch und deutete hinter den Gitarristen. "Ich muss mal an den Schrank." Es dauerte einen Moment, bis Kaoru begriff, dass er im Weg stand, dann endlich ging er einen Schritt zur Seite und betrat, nachdem Kyo nun seinerseits den Weg frei gemacht hatte, die Badkabine. Er konnte sich aber noch nicht dazu durchringen, die Tür zu schließen, und zu seinem Entsetzen juckte es ihm in den Fingern, während er beobachtete, wie vereinzelte Wassertropfen aus Kyo's nassen Haaren auf dessen makellosen Rücken fielen und sich dort ihren Weg hinab bahnten, bis sie unter dem weißen Handtuch verschwanden. Er konnte seine Augen erst von diesem Anblick losreißen, als er bemerkte, dass Kyo ihn über seine Schulter hinweg ansah, doch zu seinem Erstaunen ließ der Jüngere zur Abwechslung mal keinen frechen Spruch vom Stapel, obwohl es sich in diesem Moment ja wirklich mehr als anbot. Er blickte Kaoru einfach nur weiter schweigend und mit diesem kleinen, wissenden Schmunzeln an, welches auch nicht verschwand, als Kaoru die Tür bereits geschlossen hatte. Kyo konnte sich gut vorstellen, dass der Gitarrist eine kalte Dusche jetzt doppelt nötig hatte.
 

Tatsächlich ließ Kaoru sich diesmal besonders lange Zeit, doch auch wenn es verlockend war, noch länger unter dem kühlen Wasserstrahl zu stehen, so wollte er nicht den geballten Zorn seiner drei anderen Bandkollegen auf sich ziehen, indem er den gesamten Tagesvorrat verbrauchte, und trat schließlich wieder unter der Dusche hervor. Nach dem Abtrocknen schnappte er seine Shorts und schaute sich, während er sie anzog, auf der Suche nach seinem neuen Shirt in der kleinen Kabine um, sah aber nur das durchgeschwitzte Hemd, dass er gerade eben getragen hatte. Da ging ihm auf, dass er nur dazu gekommen war, sich ein Handtuch zu nehmen, Kyo's Anblick hatte ihn dann aber alles andere – so auch ein frisches Shirt – vergessen lassen. Na ganz toll, jetzt musste er auch noch so, wie er hier stand, durch den Bus stiefeln. Aber vielleicht schlief Kyo ja auch inzwischen oder war mit etwas anderem beschäftigt, das ihn von seinem halbnackten Ex-Freund ablenken würde. Mit dieser Hoffnung öffnete Kaoru etwas vorsichtiger als sonst die Badtür und schlich nach draußen, wo er allerdings sogleich ernüchtert feststellen musste, dass Kyo noch immer hellwach war und sich anscheinend am liebsten damit beschäftigte, sinnlos im Gang herumzustehen. Im – wie schon erwähnt - sehr schmalen Gang. "Hast dir ja ganz schön Zeit gelassen. Ist überhaupt noch Wasser übrig?" meinte er leicht grinsend und ließ dabei seinen Blick langsam über Kaoru's Körper wandern. Der Gitarrist entschied ganz spontan, es darauf ankommen zu lassen, antwortete knapp, dass es gerade noch für die anderen reichen müsste, und blieb dann einfach weiter wortlos stehen. Und der Jüngere sah ihn weiter an. "Kyo." raunte Kaoru ihm nach ein paar Sekunden zu und der Angesprochene gab ein kurzes "Hm?" von sich, ließ seine Augen aber, wo sie waren. "Kyo, du starrst." versuchte Kaoru es erneut, und diesmal blickte Kyo auf und in sein Gesicht. Und er schmunzelte wieder. "Ich weiß. Hast du doch vorhin auch getan. Und es ist ja auch nicht so, als müsstest du deinen Körper verstecken..." Damit zwinkerte er dem Gitarristen zu, drehte sich um und schlenderte davon.
 

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23.07.2004
 

"Und du willst wirklich nicht mitkommen?" Toshiya setzte seinen besten Dackelblick auf, doch auch der konnte Kaoru von seiner Entscheidung, an diesem Abend im Hotel zu bleiben, nicht abbringen. "Wirklich nicht, Totchi. Geht euch heute mal zur Abwechslung ohne mich besaufen, ich bleib lieber hier." Der Bassist zog eine Schnute und Die, der neben ihm stand, wedelte energisch mit einem Finger vor der Nase seines Bandleaders herum. "Na gut, aber beim nächsten Mal bist du wieder mit von der Partie, haben wir uns verstanden?!" Grinsend salutierte Kaoru mit den Worten "Zu Befehl, großer Meister.", dann schob er seine Kollegen aus dem Zimmer in den Flur, wo Kyo und Shinya bereits auf sie warteten, wünschte den vieren noch einen schönen Abend und schloss, nachdem sie sich endlich in Richtung Fahrstuhl in Bewegung gesetzt hatten, die Tür. Er wäre ja eigentlich ganz gern mitgegangen, aber er hatte sein Versprechen, Ryo noch vor Mitternacht anzurufen, nicht vergessen, und in einem lauten Klub ließ es sich nun mal nicht ganz so gemütlich telefonieren und zum Geburtstag gratulieren wie hier. Und außerdem... Kaoru machte es sich auf seinem Bett bequem, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und starrte nachdenklich zur Zimmerdecke empor. Kyo's merkwürdiges Verhalten während der letzten Tage irritierte ihn immer mehr. Die anzüglichen Blicke, die ständigen Berührungen, die zweideutigen Sprüche... Was sollte das alles? Wenn er es nicht besser wüsste, würde er sagen, der Sänger flirtete mit ihm, aber das war natürlich absurd. Kyo war immerhin derjenige gewesen, der Kaoru abserviert und einen klaren Schlussstrich gezogen hatte, von daher kam das nicht in Frage. Er wollte seinen Ex-Freund während ihrer Tour sicher nur ein bisschen verwirren, und das gelang ihm ja auch bestens. "Kleiner selbstverliebter Giftzwerg..." murmelte der Gitarrist in die Stille hinein und lächelte. Kyo war schon immer ziemlich von sich überzeugt gewesen, doch gerade dieses starke Selbstbewusstsein war eine der Eigenschaften, die ihn damals in Kaoru's Augen besonders anziehend gemacht hatten. Oder, wie er sich ehrlich eingestehen musste, immer noch anziehend machten. Es ließ sich einfach nicht ändern, er stand nun mal auf den Kerl, aber was vorbei war, war eben vorbei, das hatte Kyo im klipp und klar gesagt. Und er hatte ja Ryo, also konnte Kaoru sich beim besten Willen nicht beklagen. Daher störte es ihn trotz Kyo's mitunter wirklich recht verwirrendem Benehmen auch nicht weiter, mit diesem – so wie heute – ein Hotelzimmer zu teilen, außerdem würde der Sänger sowieso erst weit nach Mitternacht und sicher ziemlich betrunken zurückkehren, wie ein nasser Sack auf sein eigenes Bett fallen und dann friedlich bis zum Morgen vor sich hinschnorcheln.
 

Bei dem Gedanken daran lächelte Kaoru erneut, doch dann hörte er ein Geräusch und sah hinüber zur Zimmertür, die sich in eben diesem Moment öffnete. Und herein trat... der kleine Mann mit dem großen Ego, hellwach und stocknüchtern, da er ja erst vor wenigen Minuten mit seinen Kollegen losgezogen war. Verwundert blinzelte Kaoru den Jüngeren an und dieser grinste zurück. "Oi, bleib so, ich hol meine Kamera. Diesen Blick muss man für die Nachwelt festhalten." Dabei zog er seine Schuhe aus, und während Kaoru noch damit beschäftigt war, ihn anzuschmollen, ging Kyo hinüber zu seiner Reisetasche und warf sein Portmonee hinein. Er hatte also offensichtlich nicht vergessen, etwas mitzunehmen, sondern wollte im Hotel bleiben. Als Kaoru ihn danach fragte, nickte Kyo schmunzelnd. "Ganz recht, ich bleibe hier. Hab mich bei den anderen damit herausgeredet, dass ich ganz plötzlich eine Idee für einen neuen Songtext hätte, die ich unbedingt sofort aufschreiben müsste." Der Sänger sah aus, als wäre er gerade mächtig stolz auf sich, über Kaoru's Kopf schwebten dagegen riesengroße Fragezeichen. "Und warum hast du das getan? Ich dachte, du wolltest mit den Jungs was trinken gehen? Hab ich was verpasst?" Da wurde Kyo auf einmal ernst und starrte den Gitarristen nachdenklich an. "Ja, ich glaube, das hast du." murmelte er kaum hörbar, und als Kaoru sah, wie Kyo langsam auf ihn zu kam, setzte er sich schnell auf, da es ihm plötzlich unangenehm war, so völlig schutzlos und wie auf dem Präsentierteller vor Kyo zu liegen. Dieser blieb bei Kaoru's Aktion stehen und das Schmunzeln kehrte auf sein Gesicht zurück. "Na so ganz ahnungslos scheinst du ja doch nicht zu sein. Aber ich muss wohl etwas deutlicher werden." Er ließ eine kleine dramatische Pause entstehen, während der er seinem Ex-Freund fest in die Augen sah, und dann- "Ich will dich zurück, Kao."
 

Kaoru starrte den Jüngeren mit weit aufgerissenen Augen an und war vollkommen sprachlos. Was sollte er denn jetzt DAVON halten? Wurde er nur von Kyo verarscht, oder meinte der Sänger es wirklich ernst mit dem, was er gerade gesagt hatte? Und selbst wenn er es tatsächlich ernst meinte, wollte Kaoru IHN denn überhaupt zurück? ... Na gut, das war ehrlich gesagt ziemlich leicht zu beantworten, aber er war ja immerhin noch mit- "Ryo... Ich bin mit Ryo zusammen, das weißt du." kam es da endlich aus seiner Kehle, die auf einmal so rauh war, als hätte er einen Eimer Kieselsteine verschluckt, und Kaoru hoffte, dass er nicht ganz so unsicher klang, wie er sich gerade fühlte. Kyo's wissendem Lächeln nach zu urteilen tat er das allerdings doch. "Ja, ich weiß, dass du mit Ryo zusammen bist. Aber mal ehrlich, Kao, der Grünschnabel kann mir doch nicht das Wasser reichen." Da war es wieder, dieses immense Selbstbewusstsein, das in diesem Fall jedoch schon sehr stark an Arroganz grenzte. Zu stark für Kaoru's Geschmack, und außerdem mochte er es ganz und gar nicht, wenn jemand über seinen Freund herzog, erst recht nicht, wenn derjenige ihn nur flüchtig kennengelernt hatte. "Wenn du vorhast, Ryo weiter zu beleidigen, dann spar dir den Atem. Ich erwarte nicht von dir, dass du ihn respektierst, aber ich erwarte, dass du mich und meine Entscheidungen respektierst. Genau so, wie ich deine Entscheidung respektiert habe." Mit diesen Worten stand er auf und wollte seine Zigaretten vom Tisch, der in der anderen Ecke des Zimmers stand, schnappen, um auf dem Balkon eine zu rauchen, doch Kyo's nächster Satz ließ ihn abrupt innehalten. "Er ist nur ein Ersatz für mich, nicht wahr, Kao?!" Fassungslos blickte der Gitarrist hinüber zu seinem Ex-Freund, der mit vor der Brust verschränkten Armen gegen einen Stuhl lehnte und den Blick erwiderte, ohne mit der Wimper zu zucken. "Ich weiß, dass ich Recht habe, und du weißt es auch."
 

"Nein, das stimmt nicht." flüsterte Kaoru mit schwacher Stimme und schüttelte leicht den Kopf, woraufhin Kyo die Augen verdrehte. "Mach mir doch nichts vor, Kao. Ryo ist genau so groß wie ich und sieht mir ziemlich ähnlich, das haben mir Die, Totchi und Gara bestätigt. Herrgott noch mal, er hat sogar fast die gleichen Piercings wie ich damals! Ändere seine Frisur ein bisschen, steck ihn in meine alten Klamotten und schick ihn in die Vergangenheit, und neun von zehn Leuten würden ihn für mich halten!" Kyo war nun nicht mehr ganz so gelassen wie am Anfang, sein Temperament ergriff langsam aber sicher Besitz von ihm, und gegen seinen Willen fühlte Kaoru sich plötzlich wieder zu ihm hingezogen. Doch da war eine Sache, bei der er hellhörig geworden war. "Was... was zum Teufel hat Gara damit zu tun? Aaahh, schon klar, lass mich raten. ER hat dich auf diese Schnapsidee gebracht, nicht wahr?! Was mischt er sich da ein, verdammte Scheiße?! Mein Leben und mit wem ich zusammen bin und mit wem nicht geht ihn einen Dreck an!" Kaoru kochte vor Wut, er sah in dem Sänger von Merry mal wieder die Ursache allen Übels, doch Kyo beeilte sich, die Sache richtig zu stellen. "Du tust ihm Unrecht, Kao, das hast du schon immer getan. Gara hat mich nicht auf die Idee gebracht, er hat sogar versucht, dich zu verteidigen, und meinte, du wärst nicht deswegen mit Ryo zusammen, denn es ginge ja schließlich nicht allein ums Aussehen. Aber damit hat er, ohne es zu ahnen, meine Theorie sogar noch bestätigt. Es geht wirklich nicht nur ums Aussehen..." Damit stieß er sich von der Stuhllehne ab und ging erneut Schritt für Schritt auf Kaoru zu, und der Gitarrist, der langsam nicht mehr wusste, was er noch glauben und denken sollte, und sich im Moment vorkam wie eine in die Enge getriebene Maus, wich unsicher vor Kyo zurück, bis er die Tür des Kleiderschranks in seinem Rücken spürte. Kyo kam derweil immer näher und drückte gespielt nachdenklich einen Finger auf seinen Mund. "Wie war das noch gleich? Was ist Ryo gleich noch mal von Beruf?" Dann lächelte er, als wäre es ihm wieder eingefallen, und zwinkerte Kaoru zu. "Ach ja, jetzt weiß ich's wieder. Ryo ist Sänger. Na so ein Zufall." Mittlerweile war er direkt vor dem Älteren stehen geblieben und sah ihn schmunzelnd an. "Und... hmm, Ryo... klingt ein bisschen wie Kyo, findest du nicht?!"
 

"Hör auf damit..." flüsterte Kaoru und verschloss seine Augen vor Kyo und der Welt. Er war mit der Situation völlig überfordert, wusste nicht mehr, was er wollte, WEN er wollte. Warum machte Kyo das mit ihm? Warum sagte er erst, ihre Beziehung hätte keinen Sinn mehr, nur um kurz darauf seine Meinung aus heiterem Himmel wieder zu ändern? Kyo konnte doch nicht allen Ernstes erwarten, dass der Gitarrist ihm sofort freudig um den Hals fallen würde, schließlich hatte er jetzt Ryo, und der bedeutete ihm auch sehr viel! Doch als Kaoru plötzlich zwei Finger an seiner Wange spürte, die sanft hinab zu seinem Kinn glitten, daraufhin die Augen wieder öffnete und sogleich in Kyo's eigene, groß und schwarz und voller Leidenschaft, blickte, und erst jetzt merkte, dass nur noch wenige Millimeter ihre Körper voneinander trennten, stockte ihm der Atem und die Gedanken an Ryo verblassten. Kyo schmunzelte noch immer. "Ich kenne dich, Kaoru, wahrscheinlich sogar besser als du dich selbst. Dass du ihn mit zum Bus gebracht hast, war nicht, damit ihr so viel Zeit wie möglich miteinander verbringen konntet, auch wenn du dir das vielleicht eingeredet hast. Soll ich dir sagen, was es war? ... Ein Hilfeschrei." Er nickte leicht, als Kaoru bei diesen Worten verwirrt die Stirn runzelte. "Ja, du hast richtig gehört. Ein Hilfeschrei. Du hast ihn zu mir gebracht, hast mir gezeigt, dass du mich so sehr vermisst, dass du dir in deiner Verzweiflung eine Kopie von mir gesucht hast. Du hast geschrien. Und ich habe dich gehört." Dem Gitarristen schwirrte der Kopf. Konnte das sein? Hatte er Ryo vielleicht wirklich, ohne sich dessen bewusst zu sein, Kyo vorgeführt, um ihm damit zu zeigen, wie sehr er ihn brauchte? Noch während Kaoru darüber nachgrübelte, merkte er, wie sein Handgelenk ergriffen wurde, und genoss im nächsten Moment das vertraute Gefühl von Muskeln und warmer, weicher Haut unter seinen Fingern, schob Sekunden später sogar aus eigenem Antrieb Kyo's Shirt weiter nach oben und legte dann seine ganze Hand flach auf den durchtrainierten Bauch des Sängers. Ein kleines Lächeln, das erste, seit Kyo das Hotelzimmer betreten hatte, erschien auf dem Gesicht des Gitarristen und wurde von Kyo erwidert, der sich noch ein wenig reckte und Kaoru dann tief in die Augen sah. "Ich habe dich gehört, also verschließ dich jetzt nicht vor mir. Denn wozu an einer Kopie festhalten, wenn du das Original haben kannst?!"
 

Die Versuchung war so groß, dass Kaoru glaubte, wahnsinnig zu werden. Er wollte Kyo so sehr, sein ganzer Körper schrie nach ihm, doch eine kleine verhasste Stimme in seinem Kopf erinnerte ihn beharrlich daran, dass er Ryo's Vertrauen nicht missbrauchen durfte. Dass er dem Kleinen nicht weh tun durfte. Doch Kyo war mindestens genau so beharrlich und streckte sich noch weiter, bis ihre Lippen sich hauchzart berührten und Kaoru Kyo's heißen Atem spüren konnte, der ihn nur noch weiter um den Verstand brachte. "Sag mir eins, Kao, macht es dich an, wenn ihr euch küsst und du das kalte Metall seiner Piercings an deinen Lippen spürst, so wie damals bei mir? Reicht deine bloße Anwesenheit aus, um bei ihm das hier-" er presste Kaoru's Hand gegen die imposante Beule in seiner Hose, "zu bewirken? Bringt er dich im Bett auch jedes Mal zum-" Kaoru, der bei dem Gefühl von Kyo's Erregung endgültig den letzten Rest an Selbstbeherrschung verloren hatte, schnitt dem Jüngeren das Wort ab, indem er ihn schon fast brutal packte und in einen gierigen Kuss zog. Kyo grinste triumphierend in den Kuss hinein und ließ es sich nur zu gern gefallen, im nächsten Moment hochgehoben zu werden, schlang auch sofort seine Beine um Kaoru's Hüfte und vergrub seine Hände in den Haaren des Gitarristen, während dieser ihn zielstrebig zum Bett trug, ohne dass ihre Lippen sich auch nur eine Sekunde lang voneinander trennten.
 

In dieser Nacht wartete Ryo vergeblich auf einen Anruf von Kaoru.
 

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@Kaoru: Ja ich weiß, der grobe Storyverlauf dieser FF ist tierisch vorhersehbar... ^^'

~10~
 

Beängstigend laut quietschend und ächzend rollte das eiserne Gitter des Tores beiseite und gab den Weg für die beiden gigantischen Busse frei, die wenige Augenblicke später auf dem weitläufigen Parkplatz zum Stehen kamen. Bei dem hinteren öffnete sich die Tür sofort und alle Roadies kamen heraus, um das Gepäck und Equipment zu entladen. Kurz darauf zeigten sich auch drei Bewohner des ersten Busses, sie traten einer nach dem anderen hinaus in die Nachmittagssonne und genossen die frische Luft, an der es ihnen unterwegs des öfteren gemangelt hatte. Kein Wunder, bei fünf Kerlen und einem Hund auf engstem Raum. "Na endlich..." seufzte Die erleichtert während er sich, die Arme zum Himmel gerichtet, ausgiebig streckte. Seine Bemerkung ließ Toshiya grinsen. "Ja, ich bin auch froh, dass diese Tour vorbei ist. War ja kaum auszuhalten mit unseren beiden Turteltauben. Ne, Shinya?!" Damit drehte er sich zu seinem Kollegen um, doch der Drummer bedachte ihn nur mit einem eisigen Blick und schwieg, während sie darauf warteten, dass der Laderaum geöffnet wurde. Shinya war, seit Kaoru und Kyo wieder zusammengefunden hatten, sogar noch wortkarger als ohnehin schon, er hielt offenbar überhaupt nichts davon, dass ihr Leader Ryo betrog und bisher noch nicht einmal den Schneid besessen hatte, ihm das zu beichten. Toshiya und Die waren zwar auch nicht wirklich die Typen, die Fremdgehen gut hießen, aber ihre Freude darüber, dass das Traumpaar der Band wieder zusammen war, überwog. Und Ryo würde schon noch jemanden finden, mit dem er glücklich werden konnte.
 

Kurz darauf hatte jeder der drei sein Gepäck in Empfang genommen und alle warteten nur noch auf Kyo und Kaoru, doch die beiden dachten anscheinend gar nicht daran, sich in nächster Zeit mal blicken zu lassen. Ihre Kollegen (ganz zu schweigen von den Roadies und ihrem Fahrer) wurden langsam aber sicher ungeduldig, weshalb Die schließlich mit der flachen Hand mehrmals beherzt gegen die Buswand schlug und dabei rief "Hey ihr zwei, jetzt kommt endlich da raus! Poppen könnt ihr auch daheim!" Und ganz so, als hielten sie die Worte des Gitarristen für eine vorzügliche Idee, die es sogleich in die Tat umzusetzen galt, verließen Kaoru und Kyo tatsächlich nur wenige Sekunden später den Tourbus und gesellten sich zu den anderen. "War ja klar, kaum ist von poppen die Rede, kommen die Herrschaften angedackelt." witzelte Die und zwinkerte den beiden zu, was Kyo dazu veranlasste, besitzergreifend die Arme um Kaoru's Hüfte zu schlingen und grinsend zu seinem ehemaligen Ex-Freund aufzublicken. "Hey Kao, mir scheint, da ist jemand neidisch auf unser erfülltes Sexleben." Der angesprochene Gitarrist schmunzelte bei diesen Worten, murmelte noch ein kurzes "Ach wirklich?" und zog Kyo im nächsten Moment auch schon wieder in einen langen Kuss, den ungefähr hundertsten an diesem Tag. Die beiden waren wirklich unersättlich. Doch das dezente Räuspern ihres Busfahrers erinnerte sie schließlich wieder daran, dass sie noch nicht allein waren, also verschoben Kaoru und Kyo ihre Liebeleien auf später, um sich jetzt erst einmal bei den Roadies und Mitarbeitern zu bedanken und zu verabschieden. Viele von ihnen würde man ja bereits in wenigen Tagen bei den Vorbereitungen für das Tourfinale hier in Tokyo wiedersehen.
 

"So, wir werden uns dann auch mal verziehen." meinte Kyo, als sie wenig später nur noch zu fünft auf dem Parkplatz standen, und betrachtete dann den schweren Koffer zu seinen Füßen. Die folgte dem Blick des Sängers und grinste, denn obwohl Kyo noch immer keinen Rollkoffer besaß, hatte Die absolut nichts zu befürchten. Und siehe da, ohne darum gebeten zu werden schnappte Kaoru sich, wie schon in den vergangenen Tagen, ohne zu zögern sowohl sein eigenes als auch Kyo's Gepäck, wünschte Toshiya, Die und Shinya noch eine erholsame Zeit und marschierte dann schnurstracks zu seinem Wagen. Das Gewicht, das er dabei mit sich schleppte, machte ihm anscheinend gar nichts aus, und Kyo sah seinem Freund mit leuchtenden Augen hinterher. Grund genug für Die, noch einen mehr oder weniger sinnvollen Spruch zum besten zu geben. "Ja ja, in Kao's Fall versetzt die Liebe eben nicht Berge, sondern Koffer. Aber der Angeber soll mal nicht so stark tun, ich wette, er hebt sich gerade einen übelsten Bruch." Da drehte Kyo sich zu dem Gitarristen um und strafte ihn mit einem geringschätzigen Blick. "Kao ist kein Angeber, sondern ein Kavalier. Solltest du vielleicht auch mal versuchen, dann hättest du auch keinen Grund mehr, neidisch auf uns zu sein." Dass der Sänger seine Worte nicht ganz so ernst meinte, zeigte das Grinsen, das sich plötzlich auf seinem Gesicht breit machte, und nachdem Kyo sich von seinen Kollegen verabschiedet hatte, stiefelte er Kaoru gut gelaunt hinterher. "Also dann, bis nächste Woche." murmelte nun auch Shinya, nickte Die und Toshiya noch kurz zu und machte sich dann ebenfalls auf den Weg zu seinem Wagen. Seine Laune hatte sich noch immer nicht gebessert. "Keine Angst," meinte Die, als er Toshiya's besorgten Blick bemerkte, und legte dem Bassisten eine Hand auf die Schulter, "der kriegt sich schon wieder ein. Und es ist ja auch wirklich nicht gerade die feine Art, wie Kao sich verhält. Aber soll ich dir mal was sagen, Totchi?" Der Gitarrist wies hinüber zu Kaoru und Kyo, die - kaum dass ihr Gepäck im Kofferraum verstaut war - schon wieder heftig miteinander rumknutschten, und lächelte. "Ich glaub, nicht einmal in ihren besten Zeiten waren sie jemals so unzertrennlich gewesen, wie jetzt."
 

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Aus dem Wagen raus, das Gepäck achtlos zurückgelassen, die Treppen hoch und den Wohnungsschlüssel eilig hervorgekramt. Kaoru konnte es gar nicht mehr erwarten, Kyo wieder in ihrem gemeinsamen Bett zu haben, und so, wie der Jüngere sich von hinten gegen ihn presste und sich bereits an Kaoru's Hose zu schaffen machte, ging es ihm da offenbar nicht anders. "Mach schon~" raunte er dem Gitarristen ungeduldig ins Ohr und verstärkte, gerade als Kaoru den Schlüssel ins Schloss gesteckt hatte, den Druck seiner Hand noch ein bisschen, was den Älteren Sterne sehen ließ. Daher kam ihm auch nur in der allerhintersten Ecke seines Bewusstseins etwas leicht merkwürdig vor, als er die Tür endlich öffnete, und intensiver darüber nachdenken wollte er im Moment natürlich auch nicht, immerhin klebte gerade ein zu allem entschlossener Kyo an ihm. Und diesen packte er auch sogleich, nachdem er noch schnell die Tür zugetreten hatte, presste ihn gegen die nächstbeste Wand und fiel buchstäblich über sein williges Opfer her. Ihre Küsse waren leidenschaftlich, drängend, fordernd, und es hätte nicht mehr viel gefehlt und sie hätten sich gleich hier im Flur die Klamotten vom Leib gerissen, doch als Kaoru gierig Kyo's Hals attackierte und dieser seinen Kopf zur Seite drehte, wich plötzlich alle Kraft aus dem Sänger und er erstarrte. "Kao..." Sein Freund reagierte allerdings nicht darauf sondern fuhr fort, Kyo's Hals mit Küssen zu übersäen, erst als der Jüngere seinen Namen etwas lauter rief und ihn dabei ein Stück von sich schob, damit sie sich in die Augen sehen konnten, fragte er atemlos "Was ist denn?" Und als Kyo - auf einmal todernst - langsam wieder nach rechts ins Wohnzimmer sah und Kaoru seinem Blick folgte, wurde ihm mit einem Schlag bewusst, was ihm vorhin so merkwürdig vorgekommen war. Die Tür war nicht verschlossen gewesen. Und der einzige, der außer ihm einen Schlüssel zur Wohnung besaß, war...
 

"Oh nein... Ryo..."
 

Der Sänger hockte mit angezogenen Beinen in einem Sessel, starrte sie aus vor Schreck weit aufgerissenen Augen an und hielt sich dabei mit einer Hand den Mund zu. Sein Gesicht war tränenüberströmt. Doch als hätten erst diese wenigen, entsetzt geflüsterten Worte Ryo klar gemacht, dass das, was er da sah, tatsächlich bittere Realität war, entrang sich trotz vorgehaltener Hand endlich ein herzzerreißendes Schluchzen seiner Kehle, das Kaoru durch Mark und Bein ging. Der Gitarrist ließ nun auch von Kyo ab und trat einen Schritt auf Ryo zu, was allerdings zur Folge hatte, dass dieser wie von der Tarantel gestochen aufsprang und sich hinter den Sessel flüchtete, um mehr Abstand zwischen sie zu bringen. "Ryo, bitte... Es tut mir leid. Du solltest es nicht auf diese Weise erfahren, aber ich wollte es dir auch nicht am Telefon sagen, sondern persönlich." versuchte Kaoru ihn zu beruhigen, aber der Jüngere sah ihn nur weiter fassungslos durch seine Tränen hindurch an und schüttelte immer wieder den Kopf. Dann wanderte sein Blick etwas tiefer und er schluchzte erneut auf, weshalb Kaoru irritiert nach unten schaute und schlagartig rot wurde. Der Knopf seine Hose war geöffnet und der Reißverschluss zur Hälfte heruntergezogen, eine Art Schandmal dafür, was hier beinahe passiert wäre. Hastig machte der Gitarrist seine Hose wieder zu. "Hör zu, lass uns darüber reden, okay? Ich erklär dir das alles, es ist nämlich ziemlich kompliziert und-"
 

"Halt den Mund!" schrie Ryo da plötzlich mit unerwartet rauher Stimme und wirkte immer verzweifelter während er, mit dem Rücken zur Wand und den Blick stets auf Kaoru geheftet, langsam um den Tisch und die Couch herumschlich. Und da erst fiel Kaoru etwas auf. Ryo's Augen waren ganz rot, so als hätte er schon lange geweint und nicht erst gerade eben damit angefangen. Er sah überhaupt ziemlich elend aus, seine Haut war auffallend blass und bildete einen starken Kontrast zu den dunklen Ringen unter seinen Augen, und er schien sogar ein bisschen abgenommen zu haben, was in Ryo's Fall nicht unbedingt gesund war. Verwundert und besorgt blinzelte Kaoru den Sänger an. "Ryo, was... ist irgendwas passiert? Ich meine, außer..." Natürlich meinte er, außer der Tatsache, dass er gerade beinahe vor Ryo mit einem anderen Mann Sex gehabt hätte. Gott, er war so ein unsensibles Arschloch. Und das sah Ryo anscheinend ähnlich, denn er ballte seine Hände zu Fäusten und kniff kurz die Augen zusammen, und als er sie wieder öffnete, lag darin so viel Schmerz, dass Kaoru am liebsten zu ihm gegangen und ihn in den Arm genommen und getröstet hätte. Aber das war in dieser Situation selbstverständlich nicht möglich, überhaupt würde er den Kleinen nie wieder in seine Arme schließen können, und zu Kaoru's Erstaunen machte ihn diese Erkenntnis plötzlich noch trauriger als die schrecklichen Umstände, unter denen Ryo von seiner Untreue erfahren hatte. Aber er verdrängte den Gedanken und konzentrierte sich wieder auf die Gegenwart und Ryo, der inzwischen den Durchgang zum Flur erreicht hatte, wo Kyo noch immer stand. Reglos sahen die beiden Sänger einander an, wobei Ryo gebührenden Abstand hielt. Er wollte nicht so nahe an Kyo heran, musste es aber, wenn er hier raus wollte. Und das wollte er im Moment mehr als alles andere. Doch zu seiner Überraschung senkte Kyo, dem der Jüngere ehrlich leid tat, schließlich den Blick und trat zur Seite, machte so den Weg für ihn frei. Und diese Gelegenheit ließ Ryo sich nicht entgehen, rannte blitzschnell und ohne sich noch einmal umzudrehen in den Flur, griff nach seinen Schuhen, riss die Tür auf und stürzte aus der Wohnung. Er hörte nur noch, wie Kaoru seinen Namen rief.
 

****
 

An diesem Abend hatten sie nicht mehr miteinander geschlafen, dazu waren weder Kaoru noch Kyo in der Stimmung gewesen. Natürlich hatten sie gewusst, dass es Ryo schwer treffen würde, wenn er von ihrer Beziehung erfuhr, aber dass es so laufen würde, hatte keiner von beiden gewollt. Ryo's entsetzter Blick und der verzweifelte Klang seiner Stimme ließen Kaoru einfach nicht mehr los, und es gab nichts, was Kyo tun konnte, um ihn auf andere Gedanken zu bringen. Zum Glück zeigte der Sänger sich erstaunlich verständnisvoll, was sein Freund auch zur Kenntnis nahm und wofür er ihm sehr dankbar war, aber Kaoru wusste, dass er und Kyo erst eine glückliche und unbeschwerte Zukunft haben würden, wenn er vorher noch einmal mit Ryo sprach und ihm alles – wirklich alles - erklärte. Persönlich. Er schuldete es Ryo, und in gewisser Weise schuldete er es auch Kyo. Und deshalb stand er auch jetzt, zwei Tage nach dem ganzen Malheur, vor Ryo's Tür. Er hatte zwar auch einen Wohnungsschlüssel, aber ihm war klar, dass er kein Recht mehr hatte, ihn zu benutzen. Nervös betrachtete er die Klingel. Er sah noch genau vor sich, wie er zum ersten Mal hier gestanden und sie benutzt hatte, nur um sich wenige Sekunden später köstlich über den Anblick von Ryo mit Doraemon-Schürze und tropfendem Kochlöffel zu amüsieren. Bei der Erinnerung daran schlich sich ein kleines Lächeln auf sein Gesicht, doch kurz darauf erstarb es auch schon wieder. Heute würde er keinen Anlass zum Lachen haben, und Ryo auch nicht. Der Jüngere würde sich ziemlich viele schmerzhafte Dinge anhören müssen, vorausgesetzt natürlich, dass er Kaoru überhaupt zuhörte. Kaoru hoffte es, hatte aber gleichzeitig auch große Zweifel. Und er würde es Ryo nicht einmal verdenken, wenn dieser ihm bei seinem Anblick sofort die Tür vor der Nase zuschlagen würde. Aber das kam auf den Versuch an, also hob Kaoru schließlich eine Hand und drückte nach kurzem Zögern auf die Klingel. Die Tür wurde wenig später geöffnet und auch nicht gleich wieder geschlossen, allerdings war es nicht Ryo, der ihn mit vorwurfsvollem Blick musterte. Es war Kei.
 

"Verschwinde." war alles, was der jüngere Gitarrist sagte, doch in diesem einen Wort schwang so viel Hass und Verachtung mit, dass Kaoru sich sofort noch ein ganzes Stück mieser fühlte, als er es ohnehin schon tat. "Ich werde auch wieder gehen, keine Sorge, aber vorher möchte ich Ryo bitten, mir zuzuhören. Es ist wirklich wichtig, dass er die ganze Wahrheit erfährt." Bei diesen Worten wurde Kei etwas redseliger, und er trat zu Kaoru in den Gang und schloss die Tür hinter sich, damit Ryo sie nicht hörte. "Die ganze Wahrheit?! Die ganze Wahrheit ist, dass du ein untreues, gefühlloses Arschloch bist! Und glaub mir, die kennt er bereits, dafür haben du und dieser Typ ja bestens gesorgt!" Kaoru schüttelte den Kopf. "Erstens ist das nur ein Teil der Wahrheit, und zweitens hab ich das so nicht gewollt. Also, dass er uns so sieht." Während er sich rechtfertigte, fiel ihm an Kei's Shirt, knapp unterhalb des Schlüsselbeins, eine feuchte Stelle auf, so als habe der Jüngere sich dort mit Wasser bespritzt, doch seine Aufmerksamkeit wurde sogleich wieder auf die Worte seines Gegenübers gelenkt. "Ist mir vollkommen egal, ob das Absicht war oder nicht! Ich hatte dich gewarnt! Ich hatte dir gesagt, dass du nichts mit ihm anfangen sollst, wenn es dir nicht wirklich ernst ist! Kannst du dir vorstellen was das für ein Gefühl für ihn war, als er an seinem Geburtstag und den Tagen danach nichts von dir hörte?! Er hat sich sogar eingeredet, dass du einfach viel zu beschäftigt bist, und wollte dich deshalb nicht mit seinen Anrufen und Problemen belästigen! Und dann muss er dabei zusehen, wie sein Freund mit einem anderen rummacht!" Kei wurde immer wütender und zerrte an der Stelle seine Shirts, wo Kaoru den nassen Fleck bemerkt hatte. "Siehst du das?! Siehst du, wie fertig er ist?! Er weint sogar im Schlaf, Kaoru! Warum musstest du ihm das antun? Und ausgerechnet jetzt, wo er dich so dringend gebraucht hätte! Wegen dir ist alles noch viel schlimmer für ihn geworden! Erst die Sache mit Bansaku, dann Akira, und jetzt auch noch DAS!" Und zu Kaoru's Überraschung rollten plötzlich Tränen über Kei's Wangen, die der junge Gitarrist aber sofort trotzig wegwischte.
 

"Kei, wovon sprichst du da? Was ist mit Bansaku und Akira?" fragte Kaoru verwirrt und beobachtete, wie Kei, den die ganze Sache offensichtlich auch sehr mitnahm, darüber nachgrübelte, ob er dem Älteren etwas erzählen oder ihn doch lieber zum Teufel jagen sollte. Schließlich entschied er sich für das Erstere und teilte Kaoru mit, dass Akira im Krankenhaus lag und es ihn so schwer getroffen hatte, dass drei Fanklub Konzerte Ende August abgesagt werden mussten. Das war in einem Monat. Besorgt wollte Kaoru wissen, was denn mit ihm los sei, doch da verdunkelte sich Kei's Blick wieder. "Das geht dich nichts an." Kaoru nickte. "Stimmt, es geht mich wirklich nichts an. Aber ich hoffe trotzdem, dass er schnell wieder gesund wird. Und was ist mit Bansaku? Ist der etwa auch krank?" Doch die zusammengepressten Lippen und der gepeinigte Blick des Jüngeren ließen Kaoru vermuten, dass es im Fall des Bassisten um etwas anderes ging. Etwas schlimmeres. Und er behielt Recht, denn was Kei ihm dann sagte, ließ Kaoru's Herz noch eine Etage tiefer sinken. "Das geht dich zwar auch nichts an, aber du wirst es früher oder später sowieso erfahren. Bansaku... ist aus der Band ausgestiegen, und wir überlegen, ob wir ohne ihn überhaupt mit baroque weitermachen werden. Wohl eher nicht... Und du kannst dir ja sicher denken, wie enttäuscht Ryo war, als er das erfuhr, und auch noch so kurz vor seinem Geburtstag. Du und die Band, ihr habt ihm alles bedeutet. Und dann rufst du ihn nicht mal an, weil du wahrscheinlich gerade mit deinem Neuen... Aber er hat versucht, tapfer zu sein, weil er sicher war, dass alles gut werden würde, wenn du wieder da bist. Doch da hat er sich leider gründlich geirrt. Und jetzt-" Kei brach ab und biss sich auf die Lippe, ihm war anzusehen und auch anzuhören, dass er mit den Tränen kämpfte. Und auch Kaoru war tief bestürzt über das wahrscheinliche Ende dieser erfolgversprechenden jungen Band und besonders über die vielen Schicksalsschläge, die Ryo innerhalb von nur wenigen Tagen hatte hinnehmen müssen.
 

"Es tut mir so leid..." murmelte er betreten in die Stille hinein und war sich inzwischen überhaupt nicht mehr so sicher, ob es das Richtige wäre, Ryo die Wahrheit zu erzählen. Würde es ihn nicht nur noch mehr verletzen, zu erfahren, dass Kaoru sich nur für ihn interessiert hatte, weil er ihn so sehr an Kyo erinnerte? Natürlich würde es das, aber Kaoru hatte bis vor ein paar Minuten noch gedacht, dass Ryo letztendlich darüber hinwegkommen würde. Aber nach allem, was dem Sänger in letzter Zeit widerfahren war, hielt Kaoru es nicht für ausgeschlossen, dass Ryo an den Details ihrer von Anfang an falschen Beziehung endgültig zerbrechen könnte, und DAS würde Kaoru ihm niemals antun. Dafür hatte er den Kleinen viel zu gern. Und so kam der Gitarrist zu dem Schluss, ihm die Wahrheit doch zu ersparen, griff in seine Hosentasche, holte den Zweitschlüssel zu Ryo's Wohnung hervor und hielt ihn Kei, der sich wieder gefangen hatte, hin. "Hier, den wollte ich noch zurückgeben. Weißt du zufällig, wo er..." Die Worte lagen Kaoru auf der Zunge, doch es kam ihm schäbig und gefühlskalt vor, sie auszusprechen. Kei verstand aber auch so. "Ja, weiß ich. Ich hole sie, Ryo wird froh sein, wenn sie weg sind." Damit drehte er sich um, schlüpfte in die Wohnung und kam gleich darauf mit dem Zweitschlüssel zurück. Kaum hatte er ihn dem Älteren in die Hand gedrückt, wollte er die Tür auch schon schließen, doch als Kaoru seinen Namen rief, hielt er inne und sah seinen Gegenüber mit ausdruckslosen Augen an. Kaoru lächelte traurig. "Ich bin froh, dass du dich um ihn kümmerst." Ohne etwas darauf zu erwidern, schloss Kei die Tür.
 

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Anm.: Für alle, die sich mit baroque nicht so gut auskennen, möchte ich hier nur mal erwähnen, dass alle Zeitangaben (Tourdaten, Veröffentlichungen etc.), die die beiden Bands betreffen, der Realität entsprechen, so also auch Akira's Krankenhausaufenthalt und die Zeit, in der Bansaku den anderen seinen Ausstieg bekannt gab. *sich bei FFs immer gern an Fakten orientiert* Beim Recherchieren kam es mir manchmal schon fast so vor, als hätten die Bands sich vorher abgesprochen, damit ich es beim Zusammenbasteln der Story leichter hab! XD

Ähm... hi!^^' Ich hoffe, ihr wisst noch einigermaßen, worum es im letzten Kapitel ging, ansonsten lieber nochmal kurz nachschauen... Aber ich glaub, um alle Anspielungen in diesem Kapitel zu bemerken müsste man glatt nochmal die ganze FF lesen~
 

~11~
 

Als Kyo die Wohnung betrat, war seine erste Reaktion, die Nase zu rümpfen, und seine zweite, ins Wohnzimmer zu stapfen und das Fenster bis zum Anschlag aufzureißen. Der Sänger konnte förmlich dabei zusehen, wie dicke Rauchschwaden an ihm vorbei ins Freie zogen, und kopfschüttelnd drehte er sich zu dem Verursacher dieser Luftverpestung um. Kaoru saß am PC, hatte eine seiner Gitarren auf dem Schoß und – wer hätte es gedacht – eine fast heruntergebrannte Zigarette im Mundwinkel. "Hi." nuschelte er um den Glimmstengel herum und verfolgte anschließend mehr oder weniger interessiert, wie Kyo auf ihn zukam, neben ihm stehen blieb und seinen Blick zwischen Kaoru und dem überquellenden Aschenbecher auf dem Schreibtisch hin- und herwandern ließ. Als der Jüngere die Wohnung vor knapp drei Stunden verlassen hatte, war er noch leer gewesen. "Selber hi, du wandelnder Schornstein." grüßte er schließlich zurück und nahm Kaoru dabei die Kippe aus dem Mund. Doch noch bevor der Gitarrist sich in irgend einer Form darüber beschweren konnte, hatte er auch schon Kyo's Lippen auf seinen eigenen und sah durchaus ein, dass eine Zigarette jetzt tatsächlich eher störend gewesen wäre. Und er hatte ja auch noch mehr. Also schloss er die Augen und genoss einfach den Kuss, bis Kyo sich wieder von ihm löste und den Zigarettenstummel mit einigen Schwierigkeiten auf dem bedrohlich schwankenden Kippenberg ausdrückte. Dann sah er den Älteren tadelnd an. "Weißt du, mich stört's ja nicht, dass du rauchst, ich tu's ja auch, aber in letzter Zeit übertreibst du's echt ein bisschen. Ich hab dich gerade erst wieder, da will ich dich nicht gleich an Lungenkrebs verlieren." Kaoru, der gerade nach der Zigarettenschachtel hatte greifen wollen, überlegte es sich bei diesen Worten noch schnell anders, lehnte sich stattdessen auf seinem Stuhl zurück und fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. "Ach, das war doch jetzt nur, weil ich beim Komponieren nicht richtig vorwärts gekommen bin."
 

"Von wegen, du qualmst schon seit Tagen pausenlos vor dich hin." widersprach Kyo ihm da sofort und verschränkte die Arme vor der Brust, warf dann aber einen kurzen Blick auf den Monitor und das geöffnete Composer-Programm. Viel hatte Kaoru in den drei Stunden wirklich nicht geschafft. "Naja, aber besonders gut scheint's ja echt nicht gelaufen zu sein. Woran liegt's denn? Keine Inspiration?" Kaoru zuckte mit den Schultern und stellte die Gitarre beiseite, was Kyo sofort (und ganz richtig) als Einladung auffasste und sich breitbeinig auf dem nun freien Schoß niederließ. "Nein, Ideen hab ich eigentlich mehr als genug, ich kann mich bloß irgendwie nicht richtig konzentrieren." erklärte der Gitarrist und man sah ihm deutlich an, wie sehr ihn das frustrierte, wo er doch sonst kaum Probleme mit dem Songwriting hatte und eigentlich immer recht schnell damit fertig wurde. Und auch noch sehr viel brauchbares dabei herauskam. Kyo beschloss daher (nicht ganz uneigennützig), die Sorgenfalten seines Freundes wieder zu glätten, und drückte sich ein weniger näher an ihn heran, was auch den gewünschten Effekt hatte, denn Kaoru hob schmunzelnd eine Augenbraue und hatte plötzlich dieses Funkeln in den Augen, das Kyo nur allzu gut kannte. Der Sänger grinste. "Na dann solltest du dich jetzt erst mal entspannen, wenn's mit dem Schreiben im Moment eh nichts wird. Und ich kenne da einen erheblich gesünderen und... befriedigerenden Weg als Kettenrauchen." Damit rutschte er von Kaoru's Schoß wieder herunter, warf ihm noch einen vielsagenden Blick zu und schlenderte dann in Richtung Schlafzimmer davon, wobei er schon mal sein Shirt auszog und achtlos auf den Boden fallen ließ, ehe er um die Ecke verschwand. Kaoru grinste nun ebenfalls, schloss das Composer-Programm und beantwortete die Frage, ob er den Datenstand speichern wollte, nach kurzem Zögern mit Nein. Dann folgte er Kyo - und sollte erst in einer Stunde wieder das Bedürfnis nach einer Zigarette verspüren.
 

Nach dieser besagten Stunde lag Kaoru allein im Bett, Glimmstengel zwischen den Lippen, und lauschte dem einlullenden Geräusch von fließendem Wasser aus dem Bad. Kyo duschte noch, und das schon zum zweiten Mal. Beim ersten Mal, vor etwa einer halben Stunde, hatten sie zusammen geduscht, was natürlich damit geendet hatte, dass sie gleich wieder übereinander hergefallen waren, dann ging es im Schlafzimmer weiter, und danach waren beide zu erschöpft für eine nächste Runde gewesen, weshalb sie vorsichtshalber einzeln duschen gegangen waren. Und jetzt brauchten beide erst mal ein paar Stunden Schlaf, denn ihre Nächte waren seit diesem verhängnisvollen Tourtag vor drei Wochen immer recht kurz und... aktiv, und man war ja auch nicht mehr der Jüngste. Aber das hätte Kaoru natürlich nie laut ausgesprochen, und schon gar nicht in Gegenwart von Kyo, der wenige Minuten später in nichts weiter als Shorts aus dem Badezimmer trat und sich die Haare mit einem Handtuch trockenrubbelte. Anschließend durfte sich das nun feuchte Handtuch zu den Klamotten gesellen, die kreuz und quer auf dem Boden verstreut lagen, und Kyo machte es sich auf seiner Seite des Bettes bequem. Schweigend teilten sie sich den Rest von Kaoru's Zigarette, die der Sänger jetzt ebenfalls nötig hatte, dann gab es für den Gitarristen noch einen langen Kuss und im nächsten Moment sah er von seinem Freund nur noch den Rücken. Diesen starrte er eine Weile nachdenklich an und fragte sich, ob es Sinn machte, heute einen neuen Versuch zu starten. Bisher hatte Kyo sich immer dagegen gewehrt, meist mit Worten, aber manchmal auch mit Händen und Füßen, und Kaoru war ziemlich sicher, dass er jetzt auch keine Ausnahme machen würde. Aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt, und Kyo war müde, vielleicht schlief er sogar schon...
 

Kurzentschlossen rückte Kaoru langsam und vorsichtig Zentimeter für Zentimeter näher an sein 'Opfer' heran, bis er direkt hinter ihm lag, wartete noch einen Augenblick, zögerte, gab sich schließlich den entscheidenden Ruck und legte einen Arm um Kyo's Taille, womit er den Jüngeren behutsam an sich zog. Kyo, der schon die ganze Zeit geahnt hatte, was ihm gleich blühen würde, ließ seinen Freund genau fünf Sekunden lang das Gefühl genießen, dann grummelte er leise aber hörbar "Kao..." ins Kopfkissen und stieß den Gitarristen, als er sich nach dieser Warnung nicht von selbst zurückzog, mit der Schulter weg. Der Stoß war nur leicht, machte Kaoru aber unmissverständlich klar, dass er keine Chance auf Erfolg hatte, und so drehte er sich murrend von dem Jüngeren weg, sodass sie nun Rücken an Rücken lagen, kuschelte sich statt an Kyo in seine Bettdecke und schmollte. Obwohl nein, eigentlich schmollte er nicht, und enttäuscht war Kaoru auch nicht wirklich, da er sich von Anfang an keine großen Erfolgschancen ausgerechnet hatte. Denn Kyo kuschelte nicht, Kyo hatte Sex. Und dann schlief er. Oder er hatte noch mehr Sex. Und das war schon immer so und für Kaoru bisher auch vollkommen in Ordnung gewesen. Doch nun, nach drei Wochen der Euphorie darüber, wieder mit Kyo zusammen zu sein, merkte er langsam, dass ihm etwas fehlte. Als er noch mit Ryo zusammen gewesen war, hatte dieser vom Kuscheln gar nicht genug bekommen können, egal wann und (fast) egal wo. Daran hatte der Gitarrist sich zwar auch erst mal gewöhnen müssen, weil er das von Kyo so rein gar nicht kannte, aber es war ihm deutlich leichter gefallen, sich ans Kuscheln zu gewöhnen und das Schöne darin zu erkennen, als nun wieder gänzlich darauf verzichten zu müssen. Früher hatte es ihn keineswegs gestört, dass er manchmal stundenlang nicht aus dem Schlafzimmer kam, weil Kyo mal wieder zum Sexmonster mutiert war (Denn mal ehrlich, welchen Kerl würde das schon stören?!), doch inzwischen wusste er auch durchaus die Attacken eines Knuddelmonsters zu schätzen, weshalb er immer öfter, besonders in Momenten wie diesem, an Ryo denken musste und merkte, dass er ihn vermisste. Denn mit diesem Knuddelmonster hatte er das Schlafzimmer ja auch oft stundenlang nicht verlassen, nur eben nicht aus den selben Gründen wie mit Kyo. Meistens jedenfalls... 'Ach was soll's. Die Hauptsache ist, dass Kyo und ich wieder zusammen sind, alles andere ist nicht so wichtig.' redete Kaoru sich schließlich ein, bevor er vom vielen Grübeln noch Kopfschmerzen bekam, zog die Bettdecke ein Stückchen höher und schloss die Augen. Doch obwohl er hundemüde war, fand er lange Zeit keinen Schlaf und wälzte sich unruhig hin und her. Was ihn aber nicht sonderlich überraschte, denn so ging es ihm schon seit fast zwei Wochen.
 

****
 

"Kyo, auskäsen!! Wir kommen zu spät!!" Ungeduldig fummelte Kaoru an seinem Schlüsselbund herum, damit seine Finger etwas zu tun hatten, und wartete darauf, dass Kyo endlich fertig wurde. Dieser verstand jedoch überhaupt nicht, was die ganze Hetzerei sollte, und war dementsprechend ähnlich genervt wie der Gitarrist. "Ja doch, reg dich ab, bin ja gleich soweit! Ist doch eh egal, ob wir nun ein paar Minuten eher oder später im Klub sind, und außerdem sind die anderen auch nie pünktlich!" plärrte es aus dem Schlafzimmer zurück und Kaoru, schon fix und fertig angezogen und abmarschbereit, hoffte inständig, dass sein Freund sich doch endlich mal für ein T-Shirt entscheiden würde. Dass Kyo's Argumente nicht ganz ungerechtfertigt waren, interessierte ihn kaum; er wollte nur endlich raus aus dieser Wohnung und mal wieder unter Menschen, am besten mit lauter Musik und jeder Menge Alkohol drum herum. Und ihre beiden Abschlusskonzerte, auf die das ja eigentlich alles zutraf, waren immerhin schon über eine Woche her. Deshalb hatte er gestern Toshiya, Die und Shinya angerufen und sie mehr oder weniger dazu verpflichtet, heute mit ihm und Kyo in ihren Stammklub zu gehen – wobei Die und Toshiya natürlich sofort Feuer und Flamme gewesen waren. Shinya dagegen hatte sich am Anfang noch gesträubt, aber nachdem Kaoru viel Zeit in Überredungskünste, Gegenargumente und Drohungen investiert hatte, war dem Drummer am Ende nichts anderes übrig geblieben, als zuzustimmen. Dass Kyo anstandslos mitkommen würde, war Kaoru von Anfang an klar gewesen, doch dass der Sänger jetzt so ein Trara um sein Outfit machte und sich nicht darum kümmerte, dass Kaoru wie auf heißen Kohlen an der Tür stand und endlich los wollte, ging dem Älteren gehörig gegen den Strich. Er war sogar schon drauf und dran, ohne Kyo abzuziehen, als dieser aber doch noch auf der Bildfläche erschien und nach seiner Jacke griff. Kaoru nahm nur ganz am Rande wahr, dass sein Freund in den Klamotten, die er letztendlich ausgesucht hatte, unglaublich gut aussah, und er verlor – sehr zu Kyo's Ärger - auch kein Wort darüber.
 

Kurz darauf waren die Mitglieder von Dir en grey wieder vereint und taten das, was sie neben Musik machen am besten konnten: Sie betranken sich (außer Shinya, wie immer). Und Kaoru war, zur Überraschung seiner Kollegen, zur Abwechslung mal der Anführer dieses Saufkommandos. Er ließ kein einziges Trinkspiel aus, unterbot sogar Die's Zwei-Bierflaschen-auf-Zeit-Rekord von sechs Sekunden (weshalb der andere Gitarrist fast in Tränen ausbrach) und rannte, sobald ihr Vorrat aufgebraucht war, immer gleich persönlich zur Bar, um Nachschub zu besorgen, weil ihm die Bedienungen heute allesamt viel zu langsam waren. Und so war es auch jetzt wieder: Er wippte ungeduldig mit dem Fuß, ließ Toshiya dabei keinen Moment aus den Augen und machte sich, sobald der Bassist die letzte Bierflasche geleert hatte, schnurstracks auf den Weg zur Bar. Von dem ruhigen und beherrschten Leader war wirklich nicht mehr viel übrig geblieben, und das war den anderen auch keineswegs entgangen, Alkoholpegel hin oder her. "Sag mal, was ist denn heute mit Kao los?" fragte Die den Sänger zu seiner Rechten, während sie alle Kaoru hinterhersahen, und Kyo zog ein langes Gesicht und schüttelte langsam den Kopf. "Nicht erst seit heute, der ist schon seit Tagen so komisch drauf, und ich mach mir langsam auch echt Sorgen. Er benimmt sich total daneben, und egal was ich mache, er ist immer entweder gereizt und unzufrieden oder so aufgekratzt wie jetzt. Er hat auch überhaupt keine Geduld mehr und kann sich auf nichts lange konzentrieren, und dann rennt er wie ein aufgescheuchtes Huhn durch die Wohnung und macht mich damit halb wahnsinnig. Ich glaube, er schläft auch schlecht. Keine Ahnung, was er hat, aber es gefällt mir ganz und gar nicht. Würden wir zur Zeit Aufnahmen machen oder auf Tour sein, hätten wir echt ein Problem."
 

"Und dass er sich eine Kippe nach der anderen reinpfeift ist auch neu, oder ist mir das nur nie aufgefallen?" meinte Toshiya verstört und Kyo seufzte. "Stimmt, damit fing das alles überhaupt erst an. Ich mach die Fenster inzwischen schon gar nicht mehr wieder zu." Die Gesichter der anderen drei Musiker waren nun ebenfalls ernst und besorgt, und jeder von ihnen versuchte, sich einen Reim auf Kaoru's merkwürdiges Verhalten zu machen. Toshiya hatte als erster einen bösen Verdacht. "Naja, vielleicht... nimmt er ja Drogen. Klingt irgendwie danach, finde ich. Also jetzt nicht nur mal 'nen Joint oder die eine oder andere Pille, sondern härteres Zeug." Und obwohl Kyo, Die und Shinya ihn völlig entsetzt anstarrten, konnte keiner von ihnen leugnen, dass diese Idee gar nicht so abwegig war, wenn man die Sache realistisch betrachtete. "Hast du ihn denn irgendwas nehmen sehen? Oder hast du das Gefühl, dass er etwas vor dir versteckt oder verheimlicht?" hakte Shinya bei Kyo nach und dieser überlegte einen langen Moment. "Nein, mir ist jedenfalls nichts aufgefallen. Er schließt sich auch nicht im Bad ein oder sowas. Aber ich werde von jetzt an darauf achten." Seine Kollegen nickten und Toshiya meinte noch kleinlaut "Ich hoffe, dass ich mich irre.", dann mussten sie abbrechen und wieder so tun, als wäre alles in bester Ordnung und als würden sie sich keine Sorgen um Kaoru machen. Denn der war wieder an ihrem Tisch aufgetaucht, breit grinsend und mit reichlich Bier bewaffnet.
 

****
 

Einige Tage später konnte Kyo den anderen zumindest teilweise Entwarnung geben. Kaoru rauchte zwar noch immer wie ein Schlot und wirkte oft unzufrieden und unkonzentriert, war dafür aber deutlich ruhiger und nicht mehr so ein aufgekratztes, schizophrenes Nervenbündel wie an dem Abend im Klub und den Tagen davor. Und Kyo hatte auch nicht den kleinsten Hinweis auf Drogen entdeckt, was sie alle ungemein erleichterte, auch wenn die Möglichkeit noch immer nicht ausgeschlossen, sondern nur unwahrscheinlicher war. Und um sicher zu gehen, dass der Gitarrist sich nicht doch heimlich irgendwo Stoff besorgte, wich Kyo ihm kaum noch von der Seite und begleitete Kaoru fast immer, wenn dieser in die Stadt fuhr, unter dem Vorwand, dass ihm eh langweilig sei und er sich die Beine vertreten müsse. Das erste Mal waren sie dann in Shibuya shoppen gewesen, was sie früher auch oft getan hatten, und beim nächsten Mal hatte es sie nach Shinjuku verschlagen. Heute allerdings hatte Kaoru Kyo damit überrascht, dass er nach einem Abstecher zur Takeshita-dōri noch durch den Yoyogi Park spazieren wollte. Kaoru? In einem Park? Spazieren? Das hatte Kyo sogar noch mehr verblüfft als die selbstmörderische Absicht, nach Harajuku und besonders zur Takeshita-dōri zu fahren, immerhin war dort die Gefahr, erkannt und anschließend von keifenden Jrock-Fans zerfleischt zu werden, am größten in ganz Tokyo. Und wenn man dann auch noch im Doppelpack dort aufkreuzte, wurde die ganze Angelegenheit gleich noch gefährlicher. Man konnte letztendlich nur darauf hoffen, mit Hut und Sonnenbrille nicht weiter aufzufallen, und das hatte Kyo auch die ganze Zeit über verzweifelt getan, während er sich neben Kaoru durch die bunte Menschenmenge geschoben hatte. Und nun, nachdem sie diesen Trip tatsächlich lebend überstanden hatten, schlenderten sie durch den Yoyogi Park, mit seinen schreienden Kindern, Rentnern und verirrten Touristen. Kyo konnte nicht behaupten, dass er sich sonderlich wohl fühlte, aber was tat er nicht alles für seinen Freund. Und vielleicht hatte er ja Glück und die dunklen Wolken, die am Horizont aufzogen, brachten ihnen Regen, denn ohne Schirm würde Kaoru hundertprozentig umkehren und heimfahren wollen.
 

Eine ganze Weile lang geschah jedoch nichts dergleichen und Kyo musste wohl oder übel weiter neben dem im Moment wenig gesprächigen Gitarristen hertrotten, doch schließlich erbarmte sich der Wettergott und befahl seinen Wolken, langsam aber sicher ihre Schleusen zu öffnen. Kyo musste, als er die ersten Tropfen auf dem Boden sah, ein zufriedenes Grinsen unterdrücken. "Mist, es fängt an zu regnen." maulte er stattdessen gespielt genervt und blieb stehen. "Los, lass uns zurückgehen, oder hast du irgendwo 'nen Schirm versteckt?" Kaoru richtete bei diesen Worten das Gesicht zum Himmel und wischte sich eine Sekunde später einen Regentropfen von der Nase. "Na ganz toll..." knurrte er und verzog das Gesicht, und zu Kyo's Freude machte der Ältere ohne großartig weiter zu überlegen kehrt und stiefelte zurück. Denn Kaoru konnte es auf den Tod nicht ausstehen, nass zu werden, wenn es nicht gerade unter der Dusche oder bei einem Konzert war. Und so gingen die beiden deutlich schnelleren Schrittes in die Richtung, aus der sie gekommen waren, und hatten schon fast die letzte Biegung vor dem Ausgang erreicht, als Kaoru etwas hörte, sich umsah und dann abrupt stehen blieb. Seine Aufmerksamkeit galt nun nicht mehr dem immer stärker werdenden Regen, sondern einem kleinen Jungen, vielleicht drei oder vier Jahre alt, der einige Meter von ihnen entfernt ganz allein auf der Wiese stand und sich die Augen aus dem Kopf heulte, während er lautstark nach seiner Mutter schrie. Es war aber anscheinend nicht laut genug, denn von einer potentiellen Mutter war weit und breit nichts zu sehen. "Kao, komm schon, es gießt gleich wie aus Kübeln." mahnte Kyo, der das schreiende Kind nicht weiter beachtete und das selbe auch von Kaoru erwartete, und traute daher seinen Augen kaum, als der Gitarrist nach kurzem Zögern nicht wie erhofft zum Ausgang, sondern auf den fremden Jungen zuging. "Kao! Was machst du denn?" rief Kyo ihm noch hinterher, doch Kaoru winkte nur mit einer Hand ab und marschierte unbeirrt weiter, bis er bei dem verlassenen Knirps angekommen war. Und nachdem er sich vor ihn hingehockt und kurz mit ihm gesprochen hatte, was Kyo aus der Entfernung allerdings nicht hören konnte, hob er das Kind doch tatsächlich auf einen Arm und kam mit ihm zu Kyo zurück, der auf dem Weg stand und seinen Freund ungläubig anstarrte. "Wir müssen seine Mutter suchen. Shoji, weißt du noch, wo du die Mama zuletzt gesehen hast?"
 

"Da..." schniefte der kleine Junge und zeigte mit einer Hand in die Richtung, aus der er gekommen war (oder es zumindest glaubte), mit der anderen wischte er sich die letzten Tränen aus den Augen. Inzwischen regnete es immer stärker und schon bald würde ihnen allen die Kleidung auf der Haut kleben, doch das schien Kaoru diesmal überhaupt nicht zu stören. Er nickte nur und ging in die Richtung, die Shoji ihm gezeigt hatte, dass Kyo ihnen allerdings nicht folgte, merkte Kaoru erst, als der Sänger aus einiger Entfernung seinen Namen rief. Erstaunt drehte er sich um und sah den Jüngeren fragend an. "Was ist denn, komm endlich!" rief er zurück, doch Kyo schüttelte nur den Kopf, ließ Kaoru noch schnell wissen, dass er am Bahnhof von Harajuku auf ihn warten würde, und eilte dann zum Parkausgang. Ihm war heute ganz eindeutig nicht nach weiteren Samariter-Aktionen, schon gar nicht im strömenden Regen. Und so machte Kaoru sich ohne Kyo auf die Suche nach Shoji's Mutter, die er eine Viertelstunde später auch tatsächlich fand. Nachdem sich die vollkommen aufgelöste Frau mehrmals überschwenglich bei ihm bedankt und ihr Kind dabei fast erdrückt hatte, machte auch Kaoru sich endlich auf den Weg und kam schließlich bis auf die Knochen durchweicht am Bahnhof an. Kyo, durch das Dach vor dem Regen geschützt, hielt ihm eine Flasche heißen Tee hin, die er aus einem der vielen Getränkeautomaten gezogen hatte, und Kaoru nahm sie wortlos an. Dann gingen sie zum Gleis und fuhren nach Hause.
 

****
 

Drei Stunden später war Kaoru dank Dusche, frischer Klamotten und einem weiteren Tee wieder aufgewärmt und saß erneut mit seiner Gitarre auf dem Schoß am PC. Doch es hatte, wie schon von ihm befürchtet, auch heute keinen Zweck, das Komponieren wollte ihm einfach nicht mehr so locker von der Hand gehen wie früher. Missmutig starrte er den Monitor an und überlegte, ob er aufgeben oder weitermachen sollte, und während in seinem Inneren ein erbitterter Kampf zwischen Stolz und Vernunft vor sich ging, klingelte das Telefon. Kyo, der gerade ins Wohnzimmer gekommen war, um sich seinen Wohnungsschlüssel vom Couchtisch zu schnappen, ging ran, da Kaoru offensichtlich beschäftigt war. "Hallo? Hi Totchi... Was? Ja, ich glaub ich erinnere mich an sie... Ach Gottchen... Jetzt flenn hier nicht so rum... Du, ich hab jetzt ehrlich keine Zeit, ruf doch Die an und heul dich bei ihm aus... Kao? Nee, der kann jetzt auch nicht..." Dabei sah Kyo zu dem Gitarristen hinüber und ihre Blicke trafen sich. Kaoru hob fragend eine Augenbraue, Kyo verdrehte aber nur die Augen und winkte ab. "Ja ja, das wird schon wieder, wir gehen bald wieder zusammen einen trinken, dann reißt du dir einfach 'ne neue auf... Nein, ich muss jetzt echt los... Okay, mach's gut." Und damit legte der Sänger wieder auf und wollte sich schon aus dem Staub machen, um nicht zu spät zu Merry's Konzert zu kommen, doch Kaoru war neugierig, was er gerade verpasst hatte. "Ach, nichts weiter, Totchi wurde bloß von seiner letzten Eroberung abserviert und badet jetzt in Selbstmitleid." beantwortete Kyo die Frage des Älteren und wollte ihm zum Abschied noch schnell einen Kuss geben, doch Kaoru lehnte sich zurück, hielt Kyo mit einer Hand auf Abstand und blinzelte ihn erstaunt an. "Totchi geht's dreckig und du tust das einfach so ab? Wie würdest du es denn finden, wenn deine Freunde dich einfach mit deinen Problemen allein lassen würden?"
 

"Kao, mal ehrlich, du kennst doch unseren Casanova. Der hat jede Woche 'ne andere Schnecke, und mal lässt er sie sitzen und mal ist es eben umgekehrt, so wie jetzt. Und dann macht er ein riesiges Drama daraus und hat ein paar Tage später schon wieder ihren Namen vergessen. Wenn ich mir da jedes Mal von ihm ein Ohr abkauen lassen würde, hätte ich für nichts anderes mehr Zeit und wäre wahrscheinlich schon längst in der Irrenanstalt oder wegen Mordes im Knast." Bei diesen Worten grinste der Sänger, Kaoru fand das aber ganz und gar nicht komisch und runzelte die Stirn. "Und was ist, wenn du dich irrst und Totchi es diesmal ernst meinte? Wenn er wirklich jemanden zum reden braucht und all seine Freunde ihn abweisen? Ist dir das völlig egal? Kurze Info, der Junge hat auch Gefühle, die man verletzen kann, und das ist dir gerade prima gelungen, Glückwunsch!" Kaoru war mit jedem Satz lauter und wütender geworden, und Kyo sah absolut nicht ein, sich vollkommen grundlos von ihm anschnauzen zu lassen. "Jetzt mach mal halblang, ja?! Totchi geht es spätestens in zwei Tagen wieder blendend, da gehe ich jede Wette ein, und du brauchst dich hier gar nicht so aufzuplustern und mich als schlechten Menschen hinzustellen!" Dass er seine Energie nämlich lieber darauf konzentrierte, sich um Kaoru statt um den sprunghaften Bassisten zu kümmern, verschwieg er dabei lieber, allerdings hätte ihn dieser Satz höchstwahrscheinlich vor Kaoru's nächstem Vorwurf bewahrt. "Und was sollte dann das heute mit dem Kleinen?! Du hast ihn echt einfach ignoriert und bist weitergegangen, dir war es scheißegal, ob er seine Mutter wiederfindet oder noch stundenlang weinend durch den Park irrt!" Nun wurde es dem Sänger aber wirklich zu bunt und er konnte sich nicht mehr beherrschen, weshalb er schließlich all den angestauten Frust der letzten Wochen auf Kaoru losließ. "Ja verdammt, und du weißt genauso gut wie ich, dass ich mich vor einer Woche, einem Monat oder einem Jahr nicht anders verhalten hätte, nur jetzt stört's dich plötzlich! Kao, ich bin so, wie ich schon immer war, der einzige, der sich verändert hat, bist du! Und ich war ehrlich gesagt noch nie scharf darauf, mit Doktor Jekyll, Mister Hyde oder Mutter Teresa zusammen zu sein!"
 

"Na immer noch lieber Mutter Teresa als so ein herzloser Giftzwerg wie du!" fauchte der Gitarrist, der inzwischen aufgestanden war, da ohne nachzudenken zurück, und bei diesen Worten riss Kyo zuerst die Augen weit auf, nur um sie gleich darauf zu schmalen Schlitzen zu verengen und die Lippen fest aufeinander zu pressen. Sein ganzer Körper bebte vor Wut und Enttäuschung, und er strafte seinen Gegenüber mit einem tödlichen Blick. "Das war meilenweit unter der Gürtellinie, Kaoru. Meilenweit." erwiderte er mit leiser Stimme, und hätte der Ältere bis dahin noch nicht gemerkt, dass er seinen Freund gerade zutiefst verletzt hatte, so wäre es ihm spätestens bei diesem Satz bewusst geworden, da Kyo ihn nur Kaoru nannte, wenn er wirklich, wirklich sauer auf ihn war. Doch er hatte es gemerkt, hatte es schon gewusst noch bevor die Worte überhaupt verklungen waren, und es tat ihm auch ehrlich leid, Kyo so unfair behandelt zu haben. Doch ihm war auch klar, dass eine Entschuldigung jetzt nichts bringen, sondern nur auf taube Ohren stoßen würde, und der Gitarrist bezweifelte, dass er im Moment überhaupt zu einer Entschuldigung in der Lage war. Denn auch er war wütend, nur wusste er im Gegensatz zu Kyo nicht genau, auf wen. Daher hielt er den Jüngeren auch nicht auf, als dieser schließlich wortlos auf dem Absatz kehrt machte und aus ihrer Wohnung verschwand, sondern ließ sich wieder auf seinen Stuhl sinken und atmete tief durch. Und sobald er sich wieder einigermaßen gefasst hatte, rief er Toshiya zurück und hörte sich dessen Liebeskummer an, anstatt sich um seine eigenen Beziehungsprobleme zu kümmern.
 


 

Anm.: Oh krass, ich hab es tatsächlich geschafft. Ö_Ö Ich war schon fest davon überzeugt, das Kapitel nicht rechtzeitig fertig zu bekommen, aber dann ging es plötzlich doch wieder mit dem Schreiben! *freu* Und es ist auch nicht so schlecht geworden, wie ich befürchtet hatte~ Heute (18.11.) kommt nämlich die neue Single von kannivalism (Ryo's Band) raus, die nach einer ziemlich langen Pause endlich wieder zurück sind, und aus diesem Anlass wollte ich das neue Kapitel heute hochladen. Und das letzte Kapitel ist ja auch schon fast genau 1 Jahr her... *schäm* Sorry, Leute!!

Ach ja, und wer die Takeshita-dōri nicht kennt: http://en.wikipedia.org/wiki/Takeshita_Street (die ist voll toll ^_^ ... und voll eng >_>)

~12~
 

Kaoru hatte sich nach ihrem Streit zwar bei Kyo entschuldigt, verbessert hatte sich ihre Beziehung dadurch aber kaum. Der Gitarrist merkte inzwischen selbst, dass er leicht reizbar und sehr kritisch geworden war, wenn es um seinen Freund ging, konnte sich dies aber weder erklären noch verkneifen, weshalb es in der Wohnung der beiden auch weiterhin oft laut wurde und auch mal die eine oder andere Tür knallte. Früher hatte es nach solchen Auseinandersetzungen einfach Versöhnungssex gegeben und alles war wieder in Ordnung, doch das funktionierte inzwischen nicht mehr und Kaoru verbrachte die Nächte immer öfter auf dem Sofa. Auch heute, nach einer erneuten hitzigen Diskussion, war er von Kyo aus ihrem Schlafzimmer verbannt worden, und so lag Kaoru mal wieder im Wohnzimmer, starrte an die Decke und versuchte, aus seinem irrationalen Verhalten schlau zu werden. Er hätte doch eigentlich glücklich sein müssen, jetzt, da Kyo wieder da war, also warum war er es nicht? Warum hatte er ständig etwas an dem Sänger auszusetzen? Und warum fühlte er sich nicht mehr wohl in seiner eigenen Haut? Kaoru war Selbstzweifel nicht gewohnt und seine Gefühlsachterbahn ging nicht nur Kyo sondern auch ihm selbst gehörig auf die Nerven, doch egal, wie lange er darüber nachdachte, irgendetwas blockierte ihn und ließ nicht zu, dass er den Grund für das Chaos in seinem Kopf erkannte. Die einzige Erkenntnis, zu der er am heutigen Abend gelangte, war die, dass es so nicht weitergehen konnte. Allerdings war er noch nicht dazu bereit, Kyo und ihre Beziehung aufzugeben, er wollte um sie kämpfen, und so musste er wohl oder übel in den sauren Apfel beißen und etwas tun, das er zutiefst verabscheute: Er musste mit jemandem über seine Gefühle sprechen. Und dummerweise fiel ihm nur eine Person ein, die dafür in Frage kam. Ein Blick auf seine Uhr bestätigte dem Gitarristen, dass es für einen kleinen Hausbesuch wohl noch nicht zu spät war, und so erhob er sich langsam (und auch ein bisschen widerwillig), stopfte seinen Wohnungsschlüssel in die Hosentasche und machte sich auf den Weg.
 

****
 

Er wusste nicht, ob es richtig war, was er tat, aber im Grunde wusste er das schon längst nicht mehr. All seine Entscheidungen der letzten Wochen und Monaten hatten ihm oder anderen über kurz oder lang nur Leid gebracht, da kam es auf diese hier wohl auch nicht mehr an. Und wenn er sich nicht mehr auf sein eigenes Urteil verlassen konnte, dann musste er sich eben zur Abwechslung mal Rat von einem Außenstehenden holen, der die Situation neutral und nüchtern betrachten konnte – zumindest hoffte Kaoru, dass der Mann, der gerade neben ihm auf der Couch Platz nahm, die ganze Angelegenheit neutral sehen würde. "Also ich sollte langsam wirklich Honorar dafür verlangen, ständig als Seelenklempner herzuhalten." nuschelte Gara, während er seinem Sitznachbarn einen Tee reichte, doch ihm war anzusehen, dass er nicht wirklich etwas gegen den Besuch des Gitarristen einzuwenden hatte. Vielleicht war er sogar froh darüber, dass Kaoru mit seinem Problem ausgerechnet zu ihm gekommen war, immerhin hatte sich ihre Freundschaft immer auf recht dünnem Eis bewegt, was Gara gerne ändern wollte. "Kyo hat mir schon erzählt, dass ihr euch dauernd streitet und du dich seiner Meinung nach... verändert hast. Siehst du das auch so?" Kaoru wich seinem Blick aus, nickte aber nach kurzem Zögern. "Ja, ich schätze, das kann man so sagen." Dabei beließ er es zunächst, doch als Gara nichts dazu sagte, sondern ihn nur stumm und erwartungsvoll ansah, rang er sich zu einer etwas ausführlicheren Erklärung durch. "Ich weiß einfach nicht, was mit mir los ist. Ich bin ständig unzufrieden und launisch, habe aber keine Ahnung, warum. Mich regen jetzt Sachen an Kyo auf, die mir früher gar nicht aufgefallen sind oder egal waren, und-" Er brach ab als Gara eine Hand hob und ihn forschend ansah. "Was genau meinst du mit 'früher'?" fragte der Sänger, woraufhin Kaoru irritiert beide Augenbrauen hob. "Na die Zeit, bevor Kyo sich von mir getrennt hatte." Ihm kam diese Frage völlig überflüssig vor und er wunderte sich, worauf sein Gegenüber, dessen abschätzender Blick ihm langsam aber sicher unangenehm wurde, hinauswollte. Gara ließ ihn auch nicht lange zappeln. "Meinst du nicht vielleicht eher die Zeit, bevor du Ryo kennengelernt hast?" Mit seiner Frage, die für Kaoru irgendwie gar nicht wie eine richtige Frage sondern eher wie eine Feststellung klang, nahm Gara dem Älteren erst mal den Wind aus den Segeln. Ehrlich überrascht blinzelte Kaoru ihn an. "Wie... wieso kommst du denn jetzt auf Ryo?" Er schien den Zusammenhang wirklich nicht zu sehen und Gara staunte, wie begriffsstutzig der eigentlich so smarte Leader in manchen Dingen sein konnte. Er musste hier wohl etwas weiter ausholen. "Weißt du, ich muss zugeben, dass ich enttäuscht von dir war, als du Ryo so einfach verlassen hast und zu Kyo zurückgegangen bist." Kaoru's Blick verfinsterte sich bei diesen Worten und er wollte schon etwas ziemlich giftiges darauf erwidern, doch Gara kam ihm zuvor. "Ich hatte ehrlich geglaubt, dass Kyo's Theorie darüber, dass du mit Ryo nur zusammen warst, weil er Kyo äußerlich ähnelt, absoluter Unsinn ist und du ihn nicht bei der erstbesten Gelegenheit einfach abservieren würdest. Als das dann aber doch passierte, habe ich stark an meiner Menschenkenntnis gezweifelt..." Dieser Gedanke störte Gara sichtlich, doch nach einer kurzen Pause fuhr er mit einem winzigen Schmunzeln fort. "Inzwischen glaube ich allerdings, dass ich doch nicht so falsch lag." Er versuchte zu erkennen, ob Kaoru langsam dämmerte, wovon er sprach, und tatsächlich schien sich der Nebel im Verstand des Gitarristen etwas zu lichten. Zumindest sah er jetzt weniger verwirrt als vielmehr wie vom Blitz getroffen aus, und Gara wunderte sich erneut, warum der Ältere nicht von selbst darauf gekommen war. Dieser fand nun auch allmählich seine Zunge wieder. "Du meinst..."
 

"Ich meine, dass du gegenüber Ryo ein schlechtes Gewissen hast. Und was noch viel wichtiger ist: Ich glaube, du empfindest mehr für ihn, als dir tatsächlich bewusst ist." Dabei tippte Gara sich lächelnd an die Schläfe und Kaoru sah das Verständnis in den intelligenten Augen seines Gegenübers und musste unwillkürlich daran denken, wie sehr dieser Mann, den er nun schon seit so vielen Jahren kannte, sich von seiner Bühnen-Persona unterschied. Abseits des Rampenlichts war Gara einer der ruhigsten, vernünftigsten und gescheitesten Menschen, die Kaoru kannte, doch sobald der Sänger von Merry ein Mikrofon in der Hand hielt und vor Publikum stand, war er es, der dringend einen Seelenklempner brauchte. In dieser Hinsicht stand er Kyo in nichts nach… womit wir auch gleich wieder beim Thema wären. "Aber... ich liebe Kyo." wandte Kaoru ein und sah sich im Handumdrehen wieder Gara's kalkulierendem Blick ausgesetzt. Der Jüngere schien über seine nächsten Worte genau nachzudenken, und schließlich sprach er sie aus. "Bist du sicher, dass du Liebe nicht vielleicht mit Gewohnheit verwechselst?" Und damit lieferte er Kaoru das fehlende Puzzleteil, auch wenn dem Gitarristen das dadurch entstandene Bild nicht wirklich gefiel. Denn nun musste er sich damit auseinandersetzen, dass er sich lieber an etwas altem und vertrauten festgeklammt hatte, als sich etwas neuem, besseren zu öffnen. Das Verfallsdatum war abgelaufen, und er hatte es ignoriert.
 

Doch Gara war noch nicht fertig, er wollte absolut sicher gehen, dass Kaoru sich wirklich über seine Gefühle klar wurde. "Vielleicht solltest du mal darüber nachdenken, was Kyo eigentlich genau für dich ist." Kaoru, der sich inzwischen eingestand, dass das Reden mit Gara tatsächlich etwas Licht ins Dunkle brachte, richtete langsam den Blick zur Zimmerdecke und überlegt laut. "Kyo ist… Kyo ist Sex. Leidenschaft. Hingabe. Und Versuchung. Bei ihm hast du das Gefühl, dass du ihn erobern und zähmen willst, auch wenn du weißt, dass es dir nie gelingen wird. Er ist wie diese griechische Göttin, Mars oder wie die heißt." Bei diesem Vergleich verdrehte Gara die Augen, konnte sich ein belustigtes Grinsen aber nicht verkneifen. "Ähm… erlaube mir bitte, dein von Sailor Moon ruiniertes Allgemeinwissen etwas aufzupolieren. Also Mars gehört eigentlich zur römischen Mythologie, und es ist auch keine Göttin sondern ein Gott, nämlich der des Krieges. Und so, wie du Kyo gerade beschrieben hast, ist er wohl eher eine Mischung aus Mars und Venus. Aber ist das wirklich schon alles, was dir zu ihm einfällt? Denn bis jetzt klingt es so, als wäre er für dich nur ein Abenteuer oder eine Herausforderung, und es fällt mir schwer, zu glauben, dass eure jahrelange Beziehung nur darauf aufbaut. Was ist er denn noch?" Sein Gegenüber sah wieder hinauf zur Decke und runzelte nachdenklich die Stirn. "Willensstark und entschlossen. Ich schätze, dafür bewundere ich ihn ein bisschen. Wenn er ein Ziel klar vor Augen hat, dann sieht er zwar die Hindernisse, die ihm im Weg stehen, zuckt aber einfach nur mit den Schultern und stürzt sich in die Schlacht. Vielleicht ist er dabei manchmal etwas rücksichtslos und nimmt es in Kauf, dass jemand verletzt wird, aber er übertreibt es nicht. Und er sagt, was er denkt. Manchmal ist er dabei sogar so schonungslos ehrlich, dass nicht jeder damit klarkommt, aber mit solchen Leuten will er ja eh nichts zu tun haben..." Als Kaoru nichts weiter aufzählte, nickte Gara und übernahm wieder das Wort. "Zusammengefasst heißt das also, dass du Kyo begehrst, respektierst und bis zu einem gewissen Grad bewunderst. Klingt für mich zwar eher nach einer ungesunden Hentai-Männerfreundschaft als nach einer erfüllten, herzlichen Beziehung, aber da das bei euch ja über viele Jahre hinweg funktioniert hat, will ich mal nichts dagegen sagen. Worauf es jetzt ankommt, ist… was ist Ryo?" Darüber musste Kaoru nicht lange nachdenken, ihm fielen auf Anhieb gleich mehrere Attribute für den kleinen Kerl ein. Er konnte jetzt sagen, wie empfindsam und gefühlsbetont Ryo war und dass er sich manches zu sehr zu Herzen nahm. Dass er anhänglich, unsicher und überbesorgt sein konnte. Dass er hilfsbereit war und sich immer um das Wohl seiner Mitmenschen bemühte. Dass er sich nicht schämte, vor anderen zu weinen. Dass er oft weinte. Dass er öfter lachte. Dass er viele Freunde hatte. Dass er unglaublich neugierig war. Dass er vor Lebenslust sprühen und jeden um sich herum damit anstecken konnte, und dass ein Blick in seine leuchtenden Augen genügte, um selbst den grauesten Regentag in den schönsten Tag des Jahres zu verwandeln. Doch Kaoru sprach nichts davon aus, da ihm mit einem Schlag bewusst geworden war, dass all diese Eigenschaften in einem einzigen Wort zusammengefasst werden konnten. "Ryo ist Liebe."
 

****
 

Am nächsten Morgen lockte der Geruch von frisch gebrühtem Kaffee den Sänger Dir en grey's aus dem Schlafzimmer. Als er die Küche betrat, registrierte er, dass Kaoru mit einer Tasse am Küchentisch saß, und seufzte innerlich. Hoffentlich kamen sie wenigstens heute mal ohne Streit aus. Mit seiner eigenen gefüllten Kaffeetasse bewaffnet setzte er sich einen Moment später ebenfalls an den Tisch und wollte seinem Freund als Friedensangebot gerade einen guten Morgen wünschen, da ließ ihn etwas im Blick des Gitarristen den Mund wortlos wieder schließen. Kaoru sah ihn nicht an, er starrte stattdessen auf die Tasse in seiner Hand, und er schien sehr angestrengt über etwas nachzudenken. Man konnte förmlich hören, wie es in seinem Kopf ratterte, und obwohl er nicht wütend wirkte, blieb Kyo vorsichtshalber lieber still. Nicht, dass er aus Versehen eine erneute Auseinandersetzung provozierte, denn dann würde er Kaoru leider den Kopf abreißen müssen. Also trank der Sänger einfach seinen Kaffee. Oder hatte es zumindest vor, denn gerade, als er den ersten Schluck nehmen wollte, wurde sein Gegenüber plötzlich lebendig und schaute ihn an. "Kyo, warum wolltest du eigentlich wieder mit mir zusammen sein?" Oha. Daher wehte der Wind also. Na das konnte ja fast nur wieder im Desaster enden. Kurz überlegte Kyo, ob er noch schnell seinen Kaffee trinken sollte, entschied sich aber dann doch dagegen. Wozu das Unvermeidliche hinauszögern? "Ich dachte, das hätten wir damals schon geklärt." lautete seine Antwort, die Kaoru natürlich alles andere als zufrieden stellte. Der Gitarrist stützte sein Kinn auf eine Hand und schüttelte nachdenklich den Kopf. "Nein, du hast mir damals nur erklärt, dass du meinen 'Hilfeschrei' gehört hast. Und den hättest du immerhin auch einfach ignorieren können. Also, warum hattest du plötzlich wieder Interesse an mir?" Kaoru hatte nicht ganz Unrecht, das musste Kyo zugeben, und so rückte er endlich mit dem Grund für seinen Sinneswandel heraus. "Weil ich annahm, dass du mich nach unserer Pause wieder mehr zu schätzen wissen würdest und wir wieder miteinander statt nur nebeneinander leben könnten. Dass es so sein würde wie früher." Kaoru reagierte darauf nur mit einem kleinen Nicken, er schien mit dieser Antwort gerechnet zu haben, und nun war es an Kyo, den Gitarristen nachdenklich anzusehen. "Aber es funktioniert nicht, stimmt's?" Es war eigentlich keine Frage, und das wussten sie beide. "Nein, tut es nicht." stimmte der Ältere ihm wenige Sekunden später resigniert zu. "Wir haben uns da wohl beide etwas eingeredet."
 

"Dann kommt jetzt wahrscheinlich der Teil, in dem du mit mir Schluß machst?" fragte Kyo ohne jede Wut oder Enttäuschung und Kaoru nickte erneut. "Es sei denn, dir fällt etwas besseres ein?" Nun endlich genehmigte sich der Sänger einen Schluck aus seiner Tasse, schloß dabei kurz die Augen und sah dann wieder hinüber zu Kaoru. "Nein, ich glaube auch nicht, dass das mit uns beiden noch einen Sinn hat. Und ich bin ehrlich gesagt sogar ein bisschen erleichtert." Statt beleidigt zu sein, antwortete Kaoru darauf mit einem entschuldigenden Lächeln, und Kyo begann sich zu fragen, wie der Gemütszustand des Gitarristen in der vergangenen Nacht diese 180°-Drehung hinbekommen hatte. "Ich war ein ziemliches Ekel, nicht wahr?" murmelte Kaoru leicht beschämt und Kyo konnte trotz der Umstände nicht anders, als breit zu grinsen. "Das würde ich glatt die Untertreibung des Jahrhunderts nennen." Auch der Ältere musste nun grinsen, und mit einem Mal war es so, als hätte es die letzten zwei Monate gar nicht gegeben und sie konnten wieder ganz entspannt miteinander umgehen. "Na hoffentlich bekommen Die und Totchi nicht wieder einen Nervenzusammenbruch, wenn wir es ihnen sagen. Aber wenigstens sind wir uns dieses Mal einig. Und du wirst jetzt wahrscheinlich postwendend zu Ryo gehen und ihn auf Knien rutschend anflehen, dich zurückzunehmen, oder?" hakte Kyo augenzwinkernd nach, doch da schüttelte Kaoru den Kopf und sein Grinsen verschwand. "Nein, das wäre zwecklos. Erstens glaube ich nicht, dass er mir verzeihen würde, zweitens hat er gerade noch genug andere Probleme, und drittens meinte Gara, mir würde eine längere Beziehungspause mal ganz gut tun." Bei diesen letzten Worten verschluckte Kyo sich fast an seinem restlichen Kaffee. "Moment mal, halt! Gara? Was hat denn ausgerechnet Gara jetzt damit zu tun?" wollte er sofort wissen und wurde gleich darauf Zeuge, wie Kaoru leicht errötete, die Arme vor der Brust verschränkte und trotzig auf die Tischplatte stierte. "Naja, ich war gestern Abend bei ihm, um ihn um Rat zu fragen, und er-" Weiter kam der Gitarrist nicht, und es dauerte geschlagene fünf Minuten, bis Kyo sich von seinem Lachanfall erholt hatte.
 

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3 Jahre später
 

Die Sonne wanderte erst zu seinem Ohr, dann wärmte sie seine Wange und kitzelte ihn schließlich an der Nase, woraufhin Kaoru endlich die Augen öffnete und selig lächelte. Wie eine Katze streckte er alle Viere von sich, gähnte herzhaft und dachte einmal mehr darüber nach, wie sehr er diesen Winter doch liebte. Kein Stress, keine Termine, keine Tour, keine Aufnahmen, nichts! Er hatte monatelang frei, und das war nach dem letzten Jahr auch mehr als verdient. Immerhin hatten Dir en grey 2007 ihr 10-jähriges Bandjubiläum gefeiert, und das hatte unter anderem mehrmonatiges Touren durch Japan, die USA und Europa bedeutet. Zusätzlich waren sie auf diversen Festivals aufgetreten und hatten ganz nebenbei noch eine Single, ein Album und ein Best-of-Album veröffentlicht. So sehr der Gitarrist seine Band und das Touren auch liebte, so war er doch heilfroh, dass es nun endlich geschafft war. Ihr letztes Konzert hatten sie vor reichlich vier Wochen, am 25. Dezember, gegeben, und seitdem genoß Kaoru das süße Nichtstun, an das er sich erst wieder hatte gewöhnen müssen. Für heute stand ein ausgedehnter Besuch in seinem Lieblingsplattenladen auf dem Programm, Frühstück würde er sich unterwegs besorgen, und da das Wetter mitzuspielen schien, dachte er auch an einen Spaziergang über die Rainbow Bridge hinüber nach Odaiba. Aber dazu musst er er erst einmal aufstehen, also schwang sich der Gitarrist aus dem Bett und schlenderte gut gelaunt in's Bad. Eine knappe halbe Stunde später warf er sich im Flur eine dicke Jacke über, schlüpfte in seine Stiefel und wollte gerade nach dem Wohnungsschlüssel greifen, als es an der Tür klingelte. Überrascht öffnete er sie und war gleich noch um einiges überraschter, denn er hatte nicht damit gerechnet, den jungen Mann, der da stand, je wiederzusehen. "Hallo." nuschelte Kei und wirkte auch nicht sonderlich begeistert über seine Anwesenheit. Missmutig starrte er Kaoru an; es war offensichtlich, dass er immer noch nicht gut auf den Älteren zu sprechen war, selbst nach so langer Zeit. Aber was wollte er dann hier? "Hallo Kei," erwiderte Kaoru also, "lange nicht gesehen. Kann ich was für dich tun?" Da veränderte sich der abweisende Ausdruck in Kei's Augen, seine Schultern sackten ein wenig nach unten und er wirkte plötzlich sehr erschöpft. "Nein, für mich kannst du nichts tun, aber..." Er zögerte kurz. "Ryo schickt mich." Kaoru drehte sich um und schloß seine Wohnungstür ab. "Und warum schickt er dich? Bist du sein Laufbursche, oder warum kommt er nicht selbst?" Seine Worte waren zwar nicht besonders feinfühlig, aber er hatte ganz gewiss nicht vor, auf ewig für seine Tat vor drei Jahren vor dem Jüngeren zu Kreuze zu kriechen. Als er sich wieder zu eben diesem umdrehte, schäumte Kei zwar innerlich vor Wut, zwang sich aber bei dem Gedanken daran, weshalb er hier war, zivilisiert zu bleiben. Falls Kaoru sich weigerte, konnte er ihm ja immer noch seine Meinung auf's Butterbrot schmieren. "Ich wünschte, er hätte selber kommen können, aber Ryo ist im Krankenhaus." Zu seiner Erleichterung stellte Kei fest, dass Kaoru sofort ernst und besorgt aussah - er hatte fast damit gerechnet, dass es dem Älteren egal sein würde. "Was ist mit ihm? Ist er verletzt?" wollte dieser sofort wissen, und da ließ Kei die zweite Bombe platzen. "Nein, er ist nicht in der Notaufnahme oder so. Er ist... auf der psychiatrischen Station."
 

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Kaoru mochte keine Krankenhäuser, und er war noch nie auf einer psychiatrischen Station gewesen. Entsprechend unwohl fühlte er sich, als er das Foyer des abgesonderten Gebäudeflügels betrat und sich der Rezeption näherte. 'Hier scheinen sich keine Patienten aufzuhalten, zumindest sehen die Leute auf den Wartestühlen ziemlich normal aus.' Bei diesem Gedanken tadelte er sich sofort für seine Ignoranz, denn dem Gitarristen war eigentlich schon bewusst, dass die wenigsten Menschen mit psychischen Problemen wie im Film schreiend und in Zwangsjacke durch die Gegend liefen. Es war nur eben ein Thema, das in Japan eher vermieden und totgeschwiegen wurde. Aber er hatte sich vorgenommen, Ryo ohne Vorurteile gegenüberzutreten und ihm, soweit es Kaoru möglich war, zu helfen. An der Rezeption angekommen, musste er sich noch einen Moment gedulden, bis eine Schwester Zeit für ihn hatte. "Guten Tag, Sie wünschen?" begrüßte sie ihn schließlich und Kaoru erklärte ihr, dass er ein Bekannter von Ryo Kodama war und ihn sprechen wollte. Es sei Teil der Therapie. Die Krankenschwester wies ihm daraufhin den Weg zu einem Besuchszimmer im hinteren Teil des Traktes und das war dann auch recht schnell gefunden. Die Tür hatte ein kleines Sichtfenster, damit die Patienten immer überwacht werden konnten, aber der Gitarrist blieb zunächst auf Abstand und sah nicht hindurch. Er war inzwischen doch ein wenig nervös geworden, schließlich wusste er nicht, was ihn gleich erwartete, denn darüber hatte Kei geschwiegen, genau wie über die Gründe, warum genau Ryo hier war. Wenn Kaoru es also wissen wollte und kein Angsthase war, dann musste er durch diese Tür gehen und es selbst herausfinden. Langsam näherte er sich und schaute nach einem erneuten kurzen Zögern durch das kleine Fenster, ohne zu merken, dass er dabei den Atem anhielt. Doch was er sah, erleichterte ihn schon mal. Ryo saß in einem großen Sessel, hatte die Beine übereinander geschlagen und zupfte an einer Akustikgitarre. Dabei sah er gedankenverloren aus einem großen Fenster, das fast die gesamte gegenüberliegende Wand einnahm. Der Sänger schien sich, soweit Kaoru das von hier aus beurteilen konnte, in den vergangenen drei Jahren zumindest äußerlich kaum verändert zu haben; seine Haare waren nur ein wenig kürzer und er wirkte etwas schmaler. Das konnte aber auch an dem riesigen Sessel liegen. Also keine ausgerissenen Haare, kein Schreien und Fluchen, keine Zwangsjacke. Nur Ryo.
 

Mit neuem Mut ausgerüstet klopfte Kaoru nun endlich an die Tür und betrat das Zimmer. Ryo machte noch keine Anstalten, seine Anwesenheit zur Kenntnis zu nehmen, sondern schaute weiter aus dem Fenster, nur seine Finger hatten aufgehört, zu spielen. Also nahm der Ältere erst einmal ihm gegenüber auf einem der Stühle Platz, und es dauerte auch nur wenige Sekunden, bis Ryo seine Augen von der Aussicht losriss und ihn ansah. Das schien ihn allerdings einiges an Überwindung zu kosten, er lächelte auch nicht, und wenn man darüber nachdachte, war das absolut verständlich. Immerhin hatten sie sich das letzte Mal gesehen, als er Kaoru zusammen mit Kyo quasi in flagranti erwischt hatte. Der Gedanke daran bescherte Kaoru erneut Gewissensbisse, auch wenn er mit diesem Kapitel eigentlich abgeschlossen hatte - für ihn war das offensichtlich einfacher gewesen als für Ryo, denn sonst wäre Kaoru heute nicht hergebeten worden. "Hey." war alles, was der Jüngere zur Begrüßung sagte, und seinem Gegenüber wurde klar, dass das hier kein simpler kleiner Plausch werden würde. Ryo's Blick wirkte nicht direkt leer, aber irgendwie dumpf und resigniert, ganz anders, als Kaoru ihn von damals in Erinnerung hatte. Damals, als Kaoru's Anblick Ryo immer zum Strahlen gebracht hatte... "Hallo Kleiner." erwiderte der Gitarrist schließlich mit einem kleinen Lächeln und beobachtete im nächsten Moment, wie Ryo überrascht die Stirn runzelte. Das war offenbar nicht der beste Start gewesen. "Tut mir leid, ich hätte dich nicht so nennen sollen." entschuldigte Kaoru sich eilig, doch Ryo schien sich schon wieder gefangen zu haben und winkte ab. "Schon gut, nicht weiter wild, das kam nur etwas... unerwartet." Er sah Kaoru prüfend an. "Ich nehme an, Kei hat dir erzählt, worum es geht?" Der Gitarrist nickte. "Er hat gesagt, dass es in deiner Therapie darum geht, dich mit traumatischen Erlebnissen aus deiner Vergangenheit auseinanderzusetzen, damit du sie endlich richtig verarbeiten kannst." wiederholte er Kei's Erklärung praktisch Wort für Wort, dann stutzte er und runzelte seinerseits die Stirn. "Er hat mir allerdings nicht gesagt, wogegen du eigentlich therapiert wirst." Die offene Frage schwebte einen Moment lang im Raum, dann atmete Ryo hörbar aus und antwortete "Ich wurde vor drei Wochen wegen schwerer Depressionen eingeliefert." Das war es also. Kaoru kannte sich mit Depressionen zwar nicht besonders aus, aber ihm war zumindest bewusst, dass das nichts war, worüber man schnell hinweg kam. Wenn man denn überhaupt jemals ganz darüber hinweg kam. Bei diesem Gedanken spürte Kaoru Trauer in sich aufsteigen und er sah Ryo plötzlich mit anderen Augen, als würde ihm erst jetzt richtig klar werden, mit wem er hier eigentlich sprach. Würde dieser junge Mann, mit dem er zumindest eine Zeit lang sehr glücklich gewesen war und dessen Charakter er einst mit dem Wort 'Liebe' zusammengefasst hatte, vielleicht nie mehr wiederkehren? War seine Lebensfreude wirklich derart zerstört worden? Und- "Bin ich schuld?" kam es schon fast geflüstert aus dem Mund des Gitarristen und er machte sich innerlich darauf gefasst, mit der Antwort für immer leben zu müssen. Unsicher sah er Ryo in die Augen, suchte darin nach einer Anklage, nach Hass, nach Wut oder Enttäuschung, fand aber nichts davon. Er fand überhaupt nichts, und das war eigentlich sogar noch schlimmer. Ryo erwiderte einfach nur nachdenklich seinen Blick und antwortete schließlich "Nein, bist du nicht." Doch dann schlich sich ein trauriges kleines Lächeln auf sein Gesicht. "Du hast es mir aber auch nicht gerade leichter gemacht." Da seufzte Kaoru und fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. "Nein, das habe ich ganz bestimmt nicht. Es tut mir so leid, Ryo..."
 

"Warum hast du es getan?" entgegnete der Jüngere da wie aus der Pistole geschossen und mehr und mehr Gefühle schienen sich in ihm zu regen, die er oder vielleicht auch Medikamente bis jetzt unterdrückt hatten. Das kleine Lächeln war weg, dafür wirkte er nun verwirrt und enttäuscht. "Warum hast du mich betrogen, wo doch alles so gut lief zwischen uns, und dann auch noch mit jemandem, den du schon ewig kennst? Das macht doch überhaupt keinen Sinn!" Der Sänger hatte also nie auf irgendeinem Weg erfahren, dass Kaoru und Kyo zuvor jahrelang zusammengewesen waren, und tappte noch genauso im Dunkeln wie damals vor drei Jahren. Kaoru war nicht sicher, wie er darauf antworten sollte. Er rief sich in's Gedächtnis, was Kei ihm mit auf den Weg gegeben hatte: "Sei ehrlich, aber nicht brutal ehrlich. Wenn es etwas ist, dass ihn wirklich schwer verletzen würde, dann versuch es ihm schonend beizubringen. Oder lass es am besten gleich ganz weg." Also versuchte der Gitarrist sein Glück auf einem kleinen Umweg. "Das wollte ich dir damals erklären, aber nachdem ich von Kei erfahren hatte, was zu der Zeit noch alles passiert war und wie fertig du warst, hielt ich es für keine gute Idee mehr." Er konnte sich noch genau an diese kleine Szene vor Ryo's Wohnungstür erinnern, doch jetzt wünschte Kaoru, er hätte an diesem Tag doch noch mit Ryo gesprochen. Wie zur Bestätigung meinte dieser nun traurig "Ich hätte es schon überlebt, von dir die Wahrheit zu hören. Immer noch besser, als sich monatelang beschissen zu fühlen. Ich sag dir eins, betrogen zu werden kann einem ganz schön das Selbstbewusstsein kaputtmachen." Das glaubte Kaoru dem Sänger auf's Wort. "Und du denkst wirklich, dass es dir hilft, jetzt alles zu erfahren?" Darauf reagierte sein Gegenüber nur mit einem ernsten Nicken, und Kaoru blieb nichts anders übrig, als die ganze Geschichte von Anfang an und mit jeder unangenehmen Wahrheit zu erzählen. Als er damit fertig war, fühlte er sich wieder genauso elend wie an dem Tag, als ihm auf Gara's Couch klar geworden war, was genau er mit Ryo verloren hatte. Und dass er es wohl nie zurückbekommen würde. Was der Sänger hingegen gerade empfand, das konnte Kaoru nicht erkennen. Ryo hatte sich Kaoru's Vortrag stumm angehört und nicht ein einziges Mal auch nur einen Ton von sich gegeben, nicht einmal, als der Gitarrist all die angeblichen Gemeinsamkeiten zwischen ihm und Kyo erwähnt hatte. Und auch jetzt sagte er nichts sondern schien durch den Älteren hindurchzusehen. "Ryo?" fragte Kaoru schließlich vorsichtig, woraufhin Ryo blinzelte, als hätte man ihn aus einem Traum gerissen. "Oh Mann..." murmelte er nur, er hatte das Gesagte offenbar noch nicht vollständig verdaut, also blieb Kaoru wieder still und wartete ab. Nach einer gefühlten Ewigkeit fand Ryo dann doch die Sprache wieder. "Wenn das alles stimmt, dann... dann hast du mich also nicht betrogen, weil ich dir nicht gut genug war, sondern-"
 

"Sondern weil ich ein begriffsstutziger Idiot war, der den Wald vor lauter Bäumen nicht gesehen hat." vollendete Kaoru den Satz und sah Ryo schuldbewusst an. "Es tut mir wirklich unendlich leid, Kleiner. Du warst der Hauptpreis, und ich hab es einfach nicht gemerkt." Und seine Worte schienen wie Balsam auf Ryo's vernarbte Seele zu wirken, jedenfalls fand das verloren geglaubte Lächeln den Weg zurück auf sein Gesicht und er erwiderte schon beinahe schelmisch "Nach allem, was ich gerade über dich erfahren habe, müsstest du eigentlich schon fast mir leid tun." Erleichtert über diese unerwartet positive Reaktion auf sein Geständnis, merkte Kaoru, wie langsam Hoffnung in ihm aufkeimte. Vielleicht konnte dieser Therapieansatz Ryo wirklich helfen, sich aus dem schwarzen Loch, in das er gefallen war, zu befreien und wieder auf Dauer gesund zu werden. Kaoru wünschte es ihm jedenfalls von ganzem Herzen. Doch da war auch noch eine andere Hoffnung, die nun wieder zaghaft an seinem Bewusstsein anklopfte, nachdem er sie vor Jahren zusammen mit diesem ganzen Schlamassel begraben hatte. Und auch jetzt versuchte er sie zu unterdrücken, immerhin war ihr Timing diesmal sogar noch schlechter als damals, doch so richtig wollte es ihm heute nicht gelingen. Nun ja, vielleicht blieb man ja in Kontakt, und wenn es Ryo irgendwann mal besser ging... Er wurde aus seinen Gedanken gerissen als es plötzlich klopfte und gleich darauf ein Arzt seinen Kopf zur Tür reinsteckte. "Entschuldigen Sie die Störung, Herr Kodama, aber es wird Zeit für unsere Sitzung." Dabei wies er auf die Uhr an der Wand und Ryo nickte. "In Ordnung, ich bin gleich da." Dann waren sie wieder allein und Ryo lehnte die Gitarre, welche er die ganze Zeit über wie einen Rettungsanker auf seinem Schoß behalten hatte, gegen den Sessel und stand auf. Kaoru tat es ihm gleich, doch bevor er sich von dem Jüngeren verabschieden konnte, überraschte dieser ihn mit einer unerwarteten Bitte, der Kaoru aber sehr gern nachkam. "Nur für den Fall, dass mir noch Fragen einfallen sollten." murmelte Ryo, während Kaoru seine Handynummer auf das Cover einer Zeitschrift, die auf dem kleinen Beistelltisch gelegen hatte, schrieb. Dabei unterdrückte der Gitarrist erfolgreich ein Schmunzeln, und die weggeschubste kleine Hoffnung in seinem Inneren wedelte aufgeregt mit einem Fähnchen. "Kein Problem, du kannst mich jederzeit anrufen, egal, was los ist." versicherte er dem Sänger und gab ihm die Zeitschrift mit der Nummer, dann wünschte er ihm noch gute Besserung und ging zur Tür. Einen Moment stand er davor, ohne sie zu öffnen, dann drehte er sich noch einmal zu Ryo um und lächelte. "Vielleicht können wir ja irgendwann mal wieder in's Aquarium gehen." Überrascht und etwas unsicher blinzelte Ryo ihn an, und der Ältere fürchtete schon, damit einen Schritt zu weit gegangen zu sein, doch schließlich entspannte Ryo sich sichtlich und brachte sogar wieder ein vages Lächeln zustande. "Ja, vielleicht." Damit musste Kaoru sich im Moment begnügen, aber das war für ihn auch vollkommen in Ordnung.
 

Es war nicht perfekt. Aber es war ein Anfang.
 

Ende



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Von:  Angel_of_Thursday
2015-08-07T19:34:20+00:00 07.08.2015 21:34
WOAH!! Ich dachte gerade, ich sehe nicht richtig, als ich Methadon in meiner Favoliste auf aktualisiert gesehen habe! Nach all den Jahren gibt es doch noch ein Ende!
Um ehrlich zu sein, hätte ich ein ganz anderes Ende erwartet. Eher, dass Kaoru in so ne Anstalt kommt... Aber naja... Auf jeden Fall eine Interessante FF. Und es freut mich wirklich sehr, dass du sie nun doch noch beendet hast! ^^ ganz großes Lob und Danke dafür!

Von:  Kaoru
2015-07-17T12:15:41+00:00 17.07.2015 14:15
Heyyyyy :D

Als ich gestern auf Mexx war und mir angezeigt wurde, dass eine gewisse Tattoo ein neues Kapi zu „Methadon“ hochgeladen hat, wollte ich es erst gar nicht glauben – seit wie vielen Jahren warte ich jetzt schon darauf? OMG, dich muss ja wirklich eine fiese Schreibunlust heimgesucht haben. Aber lass mal, dafür hab ich vollste Verständnis – geht mir derzeit auch nicht großartig anders -.-

Wie auch immer, nun zurück zu deinem Baby:
Das ist nun also der Abschluss, auf den ich so lange gewartet hab. Um ehrlich zu sein, stehe ich dem mit geteilten Gefühlen gegenüber. Einerseits finde ich das Ende durchaus passend, wenn es auch keinem wirklichen HE gleichkommt und ich gerne noch mehr über Kao-Ryo gelesen hätte, ist dieser offene Schluss doch vielversprechend. Andererseits – und ich habe es gerade bereits angedeutet – stört es mich, dass das jetzt so Knall auf Fall abgeschlossen ist. Nimm es mir nicht übel, Tattoo, aber man fragt sich, worauf man all die Jahre eigentlich gewartet hat. Ich hätte mir wirklich zum Ende hin mehr von den beiden Schnuckeln gewünscht, immerhin hat ihre Beziehung sehr vielversprechend angefangen… so wäre beispielsweise ein Epilog mit einem Zeitsprung zu Ryos neuer Band und einer Andeutung zu einer neuen Beziehung zu Kaoru durchaus denkbar gewesen. Natürlich ist es dir überlassen, wie du deine Storys beendest, nur hast du so viel Arbeit in die Ausarbeitung der Charaktere und ihrer Beziehungen gesteckt, dass das Ende mich als Leser beinahe enttäuscht.

Nichtsdestotrotz hat es mich gefreut, dass du die Story zu einem Ende gebracht hast. Vielen Dank dafür :)

Sei lieb gedrückt,

Kaoru
Von:  sayonarakagerou
2009-12-04T20:00:56+00:00 04.12.2009 21:00
ut mir leid, dass es solang mit dem kommi gedauert hat: aber dafür darf ich dich aber richtig loben, ich hab nixcghts gemerkt von der langen pause, bin immer noch fan deiner schriften
aufs nächste!
sayo
Von: abgemeldet
2009-11-25T16:37:29+00:00 25.11.2009 17:37
Also, auf Wunsch hier noch mal offiziell:

Was mit inhaltlich besonders gefallen hat, ist Kaorus Entwicklung. Ich weiß ehrlich gesagt gar nicht mehr, ob du da vorher schon darauf eingegangen bist oder nicht, aber es ist schon intressant zu sehen, wie sich die Zeit mit Ryo auf ihn ausgewirkt hat. *smile*
Sprachlich ist die ganze FF natürlich wie immer top. ^^ Es tut so gut, ordentliche Sätze zu lesen...
Bleibt eigentlich nur noch zu hoffen, dass du uns da nicht wieder ein ganzes Jahr warten lässt. ^_~
Von: abgemeldet
2009-11-21T19:11:36+00:00 21.11.2009 20:11
Du hast mir mein Fernweh wieder ins Gedächnis gerufen, Schatz! *lacht*

Ich wünschte Kaoru wäre wieder bei Ryo......
Von:  Armaterasu
2009-11-19T20:58:05+00:00 19.11.2009 21:58
ganz ehrlich? ich glaube ja echt, dass kaoru sich doch mehr in ryo verliebt hat, als ihm eigentlich lieb ist... und ich denke auch, dass er kyo sehr oft mit ryo vergleicht... alleine schon, dass kuscheln und dann auch der park... und dann auch das kind, wo kao sich sofort darum gekümmert hat, ich glaube ryo hätte das auch getan... nur kyo eben nicht... auch, dass kao so aufgekratzt ist und dass es ihm unheimlihc schwer fällt zu komponieren und so... und ich glaube auch ernsthaft, dass es nur noch eine frage der zeit ist, bis sich kaoru wieder bei ryo meldet und er ryo vielleicht doch die ganze story erzählt... weswegen er mit ihm eigentlich überhaupt zusammen gekommen ist... ich bin gespannt was passieren wird, aber ich warte auf den großen knall zwischen kyo und kao... freu mich auf das nächste kapitel ^^

LG
amy
Von:  Angel_of_Thursday
2009-11-19T17:55:31+00:00 19.11.2009 18:55
Uuh, endlich gehts hier weiter!!*-* +freu+
Oh mann..is ja echt n riesen auf und ab mit Kyo und Kaoru... Konnt ja nicht gut gehen.<_<
Bin mal gespannt, was du noch draus machst...
Und solangsam bekommt der Titel für mich auch eienn Sinn...
Von:  Yusuke
2009-11-19T16:44:51+00:00 19.11.2009 17:44
Ich glaube gar nicht, dass es endlich weiter geht *__*
das ist an sich ist schon mal recht positiv~
[jaa... ich hab sie gelesen, ohne zu kommentieren und ich hab die ganze Zeit auf eine Fortsetzung gewartet, die nun auch endlich da ist]
...
Nun denn... zum Kapitel...
Irgendwie ist das ganze schon ein wenig traurig...
Die Stimmung scheint irgendwie die gleiche zu sein, wie am Anfang der Geschichte, als sich die beiden getrennt hatten, auch wenn sie Zeit füreinander haben und alles.
Aber die Atmosphäre, die rüber kommt ähnelt der zu Beginn beschrieben einfach...

und dass Kaoru wieder an Ryo denkt, finde ich kein bisschen in Ordnung.
Ich bin auch für ein Happy End... aber mit Kyo O.o
...
und mir fällt nichts sinnvolles mehr ein..
achso doch.... Ryo soll auch sein Happy End bekommen... aber nicht mit Kao.. [Akira zum beispiel~~]
...
also nun denn... ich hoffe, dass das nächste kapitel bald kommt~
^^~
Von:  Missie
2009-11-19T15:08:05+00:00 19.11.2009 16:08
Ich bin gespannt wie es weiter geht *___*"
Sehr sehr sehr gespannt
ich hoffe das sich ne feine 3 ecks beziehung entwickelt weil ich sie alle 3 mag ><
Von:  Kaoru
2009-11-19T11:49:39+00:00 19.11.2009 12:49
Mutter Teresa raucht wie ein Schlot, ja?

Hm, was will mir das Kapitel nun sagen, meine liebe Tattoo?
Erst mal bin ich ja fast in Ohnmacht vor Freude gefallen, dass auf meiner pers. Startseite tatsächlich 'Methadon- Kapitel 11' stand! Boah, du hattest es zwar schon angekündigt und ich war ungeduldig wie eh und je), aber wenn es dann so weit ist... Hach, du hast uns aber auch echt warten lassen!!!

Nun, ein paar Andeutungen hab ich noch verstanden:
1.Kuscheln- OK, das war sogar mit Ryo in Verbindung gebracht
2. Yoyogi-Park- das erste Date ,wenn ich mich recht erinnere
3. das Kind und Kaos plötzliche überfürsorgliche Ader

Hm, nun hab ich mich ja echt gefreut, dass es eben doch nicht so einfach für diesen doofen Mistkerl ist, den Kleinen zu vergessen. War wohl doch nicht nur ein Kyo-Ersatz oder wie seh ich das?
Kyo findet das natürlich weniger witzig, aber ehrlich gesagt kann ich auch nicht ganz verstehen, was Kao an ihm findet. OK, der Sex ist wahrscheinlich super, aber kann das alles sein?
Nähe finde ich auch nciht unwichtig und was ist mit Einfühlungsvermögen?
Kyo kam schon etwas schlecht weg in dem Kapi, auch wenn ich ihn mir genau so vorstelle...

Joa, ich erwarte eine 2.Wende und ein Happy End mit Ryo (und es wäre genial, wenn das ganze nicht noch ein Jahr dauert^^b)

Liebe Grüße und fühl dich gedrückt,

Kaoru

PS: ich weiß nicht, ob es dir aufgefallen ist, aber ERSTE!!!!


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