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OS sammlungen

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Steinhaufen

Steinhaufen
 

1938

Endlich ist das kleine Haus still geworden. Die Ruhe legt sich wie ein Tuch über alle anwesenden.

Und ganz still und heimlich wurde der erste Stein gelegt.

Es war ein heller…vielleicht einer der hellsten die er auf dem großen Haufen zu sehen vermochte.

In der nächsten Zeit kamen ein paar Steine dazu, an die sich keiner mehr zu erinnern vermochte.

Doch später, irgendwann würde man sie irgendwo versteckt finden.
 

1944

Das qietschen einer Schaukel, vermischt mit dem unbeschwertem Kinderlachen inmitten von Trümmern.

Das Mädchen stört sich nicht an dem Schutt und der Asche.

Sie hat gelernt den Augenblick zu leben.

Unzählige Luftangriffe der Aliierten hatten sie es gelehrt.

Ein dunkler Stein der seine dunkle Farbe langsam verlor und sich erhellte.

Es war der erste an den sich Liesel erinnern konnte.

Ein dunkles Jahr, aber mit schönen Momenten und der Hoffnung es könnte nur besser werden.

Damals war sie 6.
 

1955 *

Seufzend macht Liesel sich auf den Weg zur Schule. Links von Ihr immer der graue Vorhang.

Die wachen Augen sind von Jahren der Gleichmütigkeit abgestumpft, die Schritte scheinen nicht zu einem Teenager zu passen.

Sie zupft unzufrieden an ihrem Rock ehe sie sich über die langen Blonden Haare fährt die wie immer zu zwei Zöpfen geflochten sind.

Wie gerne würde sie es sehen wenn Strähne um Strähne zu Boden fiele.

Ein Schatten fällt vor ihr auf den Boden.

Kurz hat Liesel das verlangen den Schatten zu treten, zu schlagen, zu bespucken.

Sie lässt es sein und geht an dem Wachsoldaten hoch auf der Mauer vorbei.

Sie ist 17.

Keiner sollte mit so jungen Jahren so vernünftig sein.

Irgendwo wurde ein matter gelber Stein neben einem anderen gelegt.
 

1965

Ein Lächeln für die Kameras.

Es ist ein echtes, genauso echt wie ihr Universitätsabschluss den sie in der linken Hand hält.

Für einen Moment vergisst sie wo sie ist.

Echte Freude als sie ihre Familie in den Arm schließt.

Ihr kurzen Haare umfliegen ihren Kopf wie Flammen als sie sich plötzlich dreht um ihrem Freund in die Arme zu schließen.

Unbeschwertes Lachen hallt in den eng nebeneinander stehenden Häusern wieder.

Liesel ist 27, die Welt liegt ihr zu Füßen.

Es war ein gutes Jahr.

Ein blendend heller Stein.
 

1975

Tränen, Schreie und Blut.

All dieses hat Liesel in schlechter Erinnerung.

Heute merkt sie, dass sie auch Glück bringen.

Alle Schmerzen sind vergessen als sie mit ihrem Sohn auf der Brust einschläft.

Es war ein anstrengender Tag gewesen.

Die Gedanken an den toten Vater des Jungen verdrängt Liesel.

Sie will lieber weiter im Glück des Moments leben und es graut ihr vor dem Tag wenn sie ihrem Sohn erzählen wird dass sein Vater bei der Flucht vor dem sozialistischem Staat von eben jenem getötet worden war.

Später trifft sie auf Stefan.

Kurz darauf heiraten sie.

Es war ein Marmorierter Stein, der Helligkeit und Dunkelheit im Gleichgewicht hielt.

Sie ist mittlerweile 37.
 

1989

Liesel marschiert inmitten der anderen Bürgern mit.

Ihr Sohn ist bei Nachbarn.

Sie denkt an ihn und Jürgen, den Toten Vater, während sie mit den anderen 4 Wörter aus voller Kehle brüllt.

Wir sind das Volk!

Sie glaubt daran.

Sie ist nie mit dem Leben in der DDR zufrieden gewesen, nachdem sie mit 15 Briefe aus dem „Westen“ gelesen hatte.

Nur ein paar Monate später sieht sie die Pressekonferenz im Fernsehen.

Ein lachen schleicht sich auf ihr Gesicht, das mittlerweile einige Falten ziert.

Überglücklich drückt sie ihren Sohn an sich.

Sie ist stolz ihrem Sohn eine bessere Zukunft zu ermöglichen.

Sie ist froh, endlich das Paradies zu sehen.

Sie ist 51.

Ihr Sohn Michael 14.

Der Stein ist ein Hellgrauer.

Man könnte Meinen, er sei aus der Mauer herausgebrochen worden, die nun breit ist abgerissen zu werden.
 

1994

Sie schießt lachend ein Foto von ihrem Abschluss-Schüler.

Ihre Hand sucht die des Mannes neben ihr.

Sie stehen einfach nur da, und sehen der Jugend beim Feiern zu.

Liesel denkt kurz an ihren eigenen Abschluss zurück.

Es war ein schöner Tag.

Die Sonne schien von einem Wolkenlosem Himmel.

Auch heute scheint die Sonne.

5 Monate später ist Stefan tot.

Die Ärzte sagen Herzinfarkt, Liesel will ihnen nicht glauben.

Sie hat Angst.

Die Wohnung kommt ihr so groß vor, nachdem Michael nach Heidelberg zog um zu studieren und nun Stefan tot ist.

Sie ist 56 und denkt erstmals übers Sterben nach.

Mit zittriger Hand zieht sie ein vergilbtes Buch hervor.

Man kann die Fotografien nur noch schlecht erkennen.

Diesmal ist es ein dunkler Stein.
 

2001

Mittlerweile hat ihr Sohn geheiratet.

Nun ist die Enkelin da.

Sie lächelt auf sie hinab.

Liesel ist nun 63.

Sie fährt zum Notar und nimmt eine Veränderung an ihrem Testament vor, dass sie kurz nach Stefans Tod verfasste.

Es ist ein sehr heller Stein.
 

2008

Neben Michael, seiner Frau und Marlene, der Tochter sind etliche Bekannt gekommen.

Sie geben brav ihre Blumen ab, Stefan schluckt.

Mit schweißnassen Händen geht er zur Schaufel.

Tränen rinnen ihm das Gesicht hinab als die dunkle Erde auf den hellen Sarg trifft.

Liesel ist 70.

Es ist der einzig schwarze Stein.
 

Der Steinhaufen ist leer, das Puzzle fertig.

Dunkel und Helle steine werden durch matte ergänzt.

Aus dem Wirrwarr der Steine ist ein Bild aus Farbe geworden.

Es wirkt dunkel, es wirkt hell.

Es ist das Leben der Liesel Weiland.
 

Ende
 

*Ich weiß, falsches Datum, die Mauer ist ja erst 1961 erbaut wurden, ist mir aber erst später aufgefallen, man möge mir verzeihen...



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