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Himmel und Erde

Schatten und Licht, Interlude 1
von

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Allein unter Menschen

„Gibt es einen Grund, dass ich mich mitten in der Nacht aus meiner eigenen Festung schleichen musste?“, fragte Sander genervt, als er den Schatten bemerkte, der sich in der Dunkelheit der Nacht von einem der vielen umstehenden Baumstämme löste.

„Glaubt ihr, ich verschwende meine Zeit gerne?“, entgegnete Siri ebenso schlecht gelaunt. Genauso wie vor einer Woche, als sie mit Sander zum ersten Mal Kontakt aufgenommen hatte, vermied sie es ihr Gesicht zu zeigen. „Es gibt neue Befehle.“

„Ich höre.“

„Morgen Nachmittag werdet ihr Allen Shezar sagen, dass er und seine Begleiterin auf Grund der Spuren am Tatort entlastet worden sind! Am Abend stellt ihr dann den Konferenzsaal für eine Feier zur Verfügung, quasi als Wiedergutmachung für die Händler und deren Familien, die seit letzter Woche hier festsitzen! Ihr werdet Allen Shezar ebenfalls einladen, das Mädchen jedoch nicht! Gebt ihr zu verstehen, dass sie bei der Feier nicht willkommen ist!“

„In weniger als vierundzwanzig Stunden lässt sich keine Feier organisieren.“, widersprach Sander.

„Für solche Fälle ist dieser Ort wie geschaffen. Lasst euch was einfallen!“, giftete Siri ihn an.

„Ja, ja, schon gut.“, knurrte Sander und runzelte die Stirn. Der Schatten schien plötzlich in sich zusammenzusacken. Zwar konnte er nicht viel erkennen, aber eine Bewegung von Siris Händen lies vermuten, dass sie sich an den Kopf fasste. „Stimmt etwas nicht?“

„Klappe!“, fauchte Siri mit gequälter Stimme. „Sorgt euch nur um eure Befehle!“

„Was ist mit der Blockade?“, erkundigte sich Sander.

„Übermorgen könnt ihr sie auflösen. Keinesfalls früher. Die Feier muss stattfinden!“, wies Siri ihn an.

„Was ist mit der Herberge?“

„Die Trümmer sind beseitigt worden.“

„Ich mach mir mehr Gedanken über die Angreifer.“, stellte Sander klar.

„Man hat sich um sie gekümmert.“, teilte ihm Siri mit.

„Ich wüsste schon gerne, wer in meinem Gebiet ein solches Feuerwerk veranstalten kann.“, hakte er nach, doch sie ging geschmeidig in eine drohende Haltung über.

„Ihr wisst, wen ihr eure Karriere zu verdanken habt?“

„Ja, weiß ich.“ Mir, fügte Sander in Gedanken zu.

„Und ihr wisst, wer mein Meister ist?“

„Weiß ich.“, antwortete er, auch wenn Siris Frage eher eine Feststellung war.

„Dann solltet ihr meinem Urteil vertrauen!“, riet ihm Siri.

„Verstanden.“

„Geht!“

„Jawohl.“, bestätigte Sander und wendete zackig sich ab. Mit dem Entschluss mehr darüber herauszufinden, worauf er sich eingelassen hatte, als er Trias Angebot angenommen hatte, hielt er mit festem Schritt auf Orio zu. Auch wenn dieses fremde Mädchen dem nicht zu stimmen würde, so hatte er doch als Festungskommandant noch andere Pflichten zu erfüllen als nach ihrer Pfeife zu tanzen.
 

Wie eine Sturmflut schlug Allens Frustration gegen Merles offenen Geist. Vor einer Woche war er noch mit Einsatz bei der Sache gewesen, entschlossen das Potential auszunutzen, welches die Gedankenwelt in sich birgt, doch nun nach dutzenden, erfolglosen Sitzungen zeigte er Nerven. Er und Merle saßen sich im Schneidersitz gegenüber, sämtliche Vorhänge waren zugezogen, der ganze Raum schien in ein dunkles Tuch gehüllt.

Sie hatte diese Maßnahme damit begründet, dass die Wahrnehmung von Zeit bei einer Meditation nur störte. Auch auf Stühle hatte sie bewusst verzichtet, da sie Allen möglichst weit auf sich selbst reduzieren wollte, was im Klartext hieß, dass er durch seine Sinne nicht abgelenkt werden sollte. Zum Glück war der Raum schalldicht, beide trugen nur leichte Gewänder, die sie kaum auf der Haut spürten. Merle war bei Meditation sonst immer so, wie die Natur sie geschaffen hatte, doch bei einer Sitzung zu zweit konnte sie auf Kleidung ebenso wenig verzichten wie auf den Boden, auf dem sie saß. Da Allen ein Mann war, wie er im Buche stand, erging es ihm sicherlich ähnlich.

Anfangs hatten sie noch im Liegen meditiert, jedoch hatte sich schnell herausgestellt, dass diese Position für ihn zu entspannend war. Die Konzentration, die notwendig war um den Sitz aufrechtzuerhalten, bewahrte ihn vor dem Einschlafen, während er in seinem eigenen Geist versank. Merle hingegen stellte sich einen einfachen Gegenstand vor, gerade hatte sie einen Becher vor Augen, und sendete dessen Bild über ihre Gedanken in die Welt hinaus. Natürlich hatte sie Allen davon nichts gesagt. Er sollte nur seinen Blick nach innen richten. Selbst wenn er etwas wahrnehmen sollte, hatte er die Anweisung, es erst einmal dabei zu belassen und am Anschluss der Sitzung ihr davon zu berichten.

Ganz bewusst hatte Merle sich für diese Art von Einstiegstraining entschieden. Van und sie selbst hatten ihre ersten Schritte noch mit dem Aufspüren von Lebewesen gemacht, doch wie sie später festgestellt hatte, musste man bei dieser Technik gleichzeitig Gedanken senden und empfangen. Nicht sehr anfängerfreundlich, wie sie fand. Alles, was Allen zu tun hatte, war ihre Bilder wahrzunehmen. Der einzige Knackpunkt an dieser Theorie war, dass ihre Lehrmethode nicht funktionierte. Vielleicht ist es leichter, wenn man sich auf ein Ziel konzentriert, überlegte Merle.

„Lass uns für heute Schluss machen.“, schlug sie vor und erhob sich.

„Jetzt schon?“ wunderte sich Allen. Merle bewunderte die Kraft, die er aufbrachte um seine Erschöpfung nicht zu zeigen, doch auch wenn ihre gemeinsamen Meditationsübungen bei ihm nichts bewirkt hatten, konnte sie seine Gedanken lesen wie ein offenes Buch.

„Ich kann mich nicht konzentrieren, wenn der Gestank von fremdem Schweiß in meiner Nase hängt.“, begründete sie ihre Entscheidung. „Ich geh erst einmal unter die Dusche.“

„Bin ich nicht derjenige, der müffelt?“, merkte Allen an.

„Wer ist denn der Kavalier von uns beiden?“, erwiderte sie lächelnd und ging durch das Schlafzimmer ins Bad. Als der heiße Wasserstrahl schließlich die Haut unter ihrem Fell berührte, konnte sie sich ein Seufzen nicht verkneifen. Wie ihre tierischen Verwandten konnte sie sich zwar mit ihrer Zunge putzen, war aber im Gegensatz zu Katzen dem Wasser nicht abgeneigt. Nur das Abtrocknen brauchte mehr Zeit als bei Menschen.

Plötzlich klingelten bei ihr die Alarmglocken. Jemand betrat das komfortable und dennoch einengende Gefängnis von ihr und Allen. Als sie den Besucher durch dessen Aura als Sander identifizierte, durchfuhr sie sogleich der Impuls sich sofort anzuziehen und nachzusehen, was er wollte. Einen Moment später jedoch meldete sich ihr Stolz zu Wort und sie machte etwas, was sie sonst nie machte. Sie kämmte ihr Haupthaar, extra gründlich und sehr viel länger, als es nötig gewesen wäre. Auch beim Anziehen lies sie sich Zeit. Sie wollte dem perversen Schwein nicht noch einmal unter die Augen treten, es sei denn der Weg an ihm vorbei würde aus diesem vornehmen Rattennest herausführen.

Allen und Sander unterhielten sich noch immer, als Merle schließlich vor einem Spiegel trat und sich darin skeptisch betrachtete. Das kräftige Blau ihres Kleides glich ihrer Augenfarbe und hob die hellrote Nagelpfeile hervor, die sie selbst im Schlaf immer bei sich trug. Die angebliche Dienerin, von der sie vor einer Woche untersucht worden war, hatte ihr diese potenzielle Waffe zum Glück gelassen. Nicht einmal Merle wusste, wie sie reagieren würden, wenn man versuchen würde, ihr dieses Schmuckstück zu entreißen. Der einzige, der das je gewagt hatte, war…Allen.

Und er war mit heiler Haut davongekommen. Gerade spürte sie, wie Sander das Speisezimmer in Richtung Flur verließ. Ich war wohl schon immer zu weich Allen gegenüber gewesen, staunte Merle und sah in seine Richtung, als könnte sie durch die Wand schauen. Ein letztes Mal, bevor sie sich nach dem Stand der Dinge erkundigen wollte, sah sie in den Spiegel und verkniff sich ein Lachen. Ihr sonst so widerspenstiges, kurzes Haar bildete eine perfekte Ordnung, keine einzige Strähne stand von den anderen ab und alle vereinten sich zu einem eleganten Rosa um ihren Kopf.

Das bin ich nicht, dachte sie und fuhr mit beiden Händen durch ihre Frisur. Das Ergebnis gefiel ihr schon besser. Katzen mochten ja ordentliche Tiere sein, sie hingegen liebte das Chaos. Vergnügt trat sie in das Esszimmer, in dem Allen am Tisch saß und vor sich hin brütete.

„Und? Was gibt’s neues?“, erkundigte sie sich.

„Wir sind frei.“, antwortete Allen schlicht.

„Frei? Wie kommt’s?“

„Da Sander außer uns keine Augenzeugen hatte, musste er sich auf die Spuren vor Ort verlassen und die sagen, dass der Angriff von einer Horde ausgeführt wurde, die erst ein Dorf und dann die Herberge angegriffen hat. Da keine Spuren von der Ruine wegführen, müssen sie in dem Feuer verbrannt sein, dass sie selbst gelegt haben.“

„Unwahrscheinlich, dass eine solche Horde von den Wachen nicht bemerkt worden wäre?“, bemängelte Merle. „Glaubt er im Ernst dieser Geschichte?“

„Er hat keine andere Wahl als zu spekulieren.“, meinte Allen. „Anscheinend machen die Gilden Druck. Die Sperrung der Handelsrute nach Farnelia bringt den meisten nur Verluste.“

„Was ist aus dem Dorf geworden?“

„Anscheinend hat niemand überlebt.“

Merle musste sich Mühe geben für die Kameras geschockt zu wirken. Dass ein Dorf voll von Gezeichneten und deren Dienern nicht mehr existierte, war einerseits beruhigend, aber andererseits auch ärgerlich. Einer der wenigen Anhaltspunkte für weitere Ermittlungen war nun hinüber. Dennoch schien Trias Vorhaben noch nicht soweit gediehen zu sein, dass er es sich leisten konnte entdeckt zu werden, was bedeutete, dass sie noch Zeit hatte ihm auf die Schliche zu kommen.

„Wir können hier nichts mehr tun.“, merkte Merle an. „Wir sollten weiterziehen.“

„Heute lohnt es sich nicht mehr aufzubrechen. Bald ist es dunkel.“, widersprach Allen und schaute durch die Fenster, deren Vorhänge er geöffnet hatte. Die Sonne stand schon tief.

„Dann lass uns wenigstens im Gasthaus übernachten. Ich kann die Einrichtung hier nicht mehr sehen.“

„Das Gasthaus wird diese Nacht immer noch überfüllt sein. Die Blockade wird erst morgen früh gelöst, damit die Händler nicht im Namen der Schadensbegrenzung schon in der Nacht aufbrechen und sich somit unnötigen Gefahren aussetzen. Außerdem findet heute Abend noch ein Fest statt, quasi eine Abschiedsfeier für die Händler und deren Familien. Sander hat mehr als deutlich gemacht, dass ich mich ebenfalls dort blicken lassen sollte.“

„Als Leckerbissen für die Töchter der hohen Herren.“, sagte Merle grinsend, woraufhin Allen schwach lächelte. „Ob sich zwischen den Müllsäcken, die man mir gegeben hat, ein schönes Kleid finden lässt?“

„Du bist nicht eingeladen.“, teilte er ihr nervös mit. Merle traute ihren empfindlichen Ohren nicht. Einen Moment schien es Allen so, als würde sie jeden Moment komplett aus der Haut fahren, doch dann lies sie enttäuscht ihre Schultern hängen.

„Verstehe. Ihr Menschen wollte unter euch sein.“, flüsterte sie kaum hörbar, woraufhin Allens Herz in die Zehenspitzen sank.

„Weißt du, ich bin nicht gewillt, mich dem Willen von Sander zu beugen. Und ich bin mir ziemlich sicher, dir geht es ebenso.“, äußerte Allen sich zuversichtlich. „Wir könnten zusammen gehen. Du bräuchtest dich nicht einmal umzuziehen.“

Merle musste angesichts seines Versuches sie aufzuheitern lächeln.

„Nein, wir bekämen nur Ärger mit den Wachen.“, sagte Merle ablehnend. „Das gilt auch für den Fall, dass du nicht kommst. Ich will Sander keinen Grund liefern uns hier noch länger festzuhalten. Zieh dich um! Das Bad und das Schlafzimmer sind frei.“

„Tut mir Leid.“, sagte er, während er an ihr vorbeiging.

„Was soll dir schon Leid tun?“, fragte Merle zu ihm gewandt und steigerte ihr Lächeln zu einem breiten Grinsen. Dass der heiter ausgesprochene Vorwurf an ihn gerichtet war, schmerzte Allen besonders.

„Alles.“
 

Merle saß auf kargen, kalten Fels in der dunklen Tropfsteinhöhle hinter dem Wasserfall. Da sie keine Gefangene mehr war, war die Tür zu ihrem Gefängnis auch nicht mehr abgeschlossen. Noch bevor Allen sich fertig umgezogen hatte, war sie aus dem Esszimmer, durch die Flure hindurch bis ins Freie gerannt. In mitten der Masse an Leuten, von denen keiner sie beachtete, hatte sie sich dann noch verlorener gefühlt. Während ihrer Flucht vor der Einsamkeit hatte sie schließlich den einzigen Platz aufgesucht, von dem sie wusste, dass dort allein sein konnte. Der Eingang lag nicht innerhalb der Festung und war dank der guten Tarnung auch nicht von der örtlichen Besatzung entdeckt worden.

Als sie die Höhle betreten hatte, schien ihr ein kleiner Stein vom Herzen zu fallen. Das verwirrende Labyrinth aus Stalaktiten und Stalagmiten war ihr tausend Mal lieber, als die perfekte Ordnung im Stützpunkt über ihr. Die weiche Form der Felsen war viel angenehmer anzusehen als die harten Kannten der Festungsbauten. Doch auch in dieser Halle aus Stein, wo niemand sie je finden würde, fand sie keine Ruhe. Vielleicht lag es ja an der tosenden Wand aus Wasser, die sich vor ihr erhob und ihr den Weg versperrte. Zurückgehen wollte sie nicht. So blieb ihr nichts anderes übrig, als starr dazusitzen. Im Schutz des Lärms flüsterte sie leise:

„Idiot!“



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